Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Struck hatte sich als Ausputzer seiner Fraktion für die Haushaltsdebatte angekündigt. Es ist erstaunlich, daß er bis auf den letzten Satz zum Haushalt praktisch nichts gesagt hat.
— Das überrascht natürlich auch nicht, da er offensichtlich kein Konzept mitgebracht hatte, sondern lediglich die Rede des Bundesfinanzministers. Er hätte etwas Gutes leisten können, wenn er Teile davon vorgelesen hätte.
Hier ist lediglich über die Kommunalfinanzen geredet worden, wie sie sich möglicherweise nach dem
Ende des Jahres 1995 entwickeln werden. Es ist nichts zu der Frage gesagt worden, wie der Haushalt 1995 im Entwurf tatsächlich beschaffen ist — bei dem Kollegen Struck nicht, und bei der Frau Matthäus-Maier hat es sich hauptsächlich auf das Thema Steuerreform konzentriert.
Herr Struck, Sie sagen, daß es bei der Frage der Gewerbesteuersenkung, die im nächsten Jahr entwickelt werden soll, natürlich auch auf die Bundesländer ankommt und daß eine Zusammenarbeit zwischen den Kommunen, den Bundesländern und dem Bund auch bei der Frage der Steuerreform geprobt werden und stattfinden muß. Aber wenn Sie so tun, als gäbe es ein geschlossenes Bild der zehn Ministerpräsidenten der SPD, dann erinnern Sie sich bitte daran, welche Probleme es bereitet hat, einen Sprecher für den Vermittlungsausschuß zu finden. Man konnte sich nicht entscheiden zwischen dem Notar, dem Kämpfer und dem Raufbold. Nachher hat man sich für das finanzpolitische Schlußlicht entschieden.
Sie sollten sehen, daß es um andere Dinge geht. Dem Bürger geht es um die Frage: Bei welcher Politik ist mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken? Wo ist mit Stabilität zu rechnen? Wenn Sie die Umfragen aus den letzten Tagen sehen, dann wissen Sie, daß der überwiegende Teil der Bevölkerung in Ost wie in West mit Zuversicht in die Zukunft guckt, daß der überwiegende Teil mit der Entwicklung nach der Vereinigung unseres Landes einverstanden ist. Dies kann doch nur bedeuten — nach der Bundestagswahl hat sich das noch verbessert —, daß man davon ausgeht: Diese Regierung gewährleistet Stabilität, Stabilität vor allen Dingen auch in Haushaltsfragen. Wir sind auf dem richtigen Wege.
Ich will deswegen überhaupt nicht bestreiten — ich sage das auch ganz klar für die Bürger, weil der Eindruck entsteht, wir hätten hier etwas zu verheimlichen —, daß ab dem 1. Januar höhere Steuern gezahlt werden müssen. Wir müssen den Bürgern zusätzlich einen Solidarbeitrag abverlangen. Damit auch das ganz klar ist: Je höher die Einkommen sind, um so höher wird dieser Solidarbeitrag sein. Wir verlangen zusätzlich einen Beitrag zur Pflegeversicherung. Dies wird wahrscheinlich im nächsten Jahr keine explodierenden Nettolöhne bedeuten. Aber wer die Wahrheit kennt, muß sie auch vollständig nennen und sagen, daß sich die Nettoeinkünfte seit 1982 tatsächlich um 40 % nach oben bewegt haben.
— Auch die der Kleinverdiener, nicht nur Ihre.
Man muß vor allen Dingen auch erkennen, daß die Entscheidungen zum Thema Pflegeversicherung, zum Thema Steuererhöhung und zum Solidarbeitrag im Bundesrat mit der Mehrheit der SPD-regierten Länder beschlossen worden sind. Es ist einfach schäbig, jetzt so zu tun, als hätte man mit all dem nichts zu tun.
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Dietrich Austermann
Damit bringt man auch das wirklich wertvolle Thema Pflegeversicherung in Mißkredit. Hier ist eine großartige soziale Leistung vollbracht worden. Wir danken den Bürgern dafür, daß sie sich an dieser großartigen Leistung je nach Finanzkraft beteiligen.
Meine Damen und Herren, es geht in Deutschland heute nicht darum, einen größeren Kuchen auf verschiedene Ebenen der öffentlichen Hand zu verteilen. Wenn man hört, was Sie zur Finanzsituation sagen, hat man den Eindruck, die Ärmsten im Lande seien die Kommunen. Das mag in Teilbereichen, bei einzelnen Großstädten, zutreffen. Aber man muß auch eindeutig erkennen, daß der kommunale Finanzausgleich ein Thema ist, das in erster Linie die Länder angeht, das unter die Länderhoheit fällt und dort entschieden werden muß.
Man muß vor allen Dingen auch erkennen, daß der Bund in erheblichem Maße Leistungen erbracht hat, um die Kommunen besserzustellen und sie zu entlasten. Ich nenne das FKPG, das Spar-, Wachstums- und Konsolidierungsprogramm, den Abbau von Steuervergünstigungen, das Thema Zinsabschlag, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, die zusätzlich eingenommene Konzessionsabgabe, die Entlastung bei der Pflegeversicherung, die Entlastung durch die Postreform, den Rückgang der Asylbewerberzahlen, den Wegfall der Beteiligung am Fonds Deutsche Einheit — alles Entlastungen für die Kommunen.
Gleichzeitig haben die Länder durch die Entscheidungen des letzten Jahres deutliche Zuwächse bei den Einnahmen. Ich nehme als Beispiel das Land Schleswig-Holstein. Es wird im Jahre 1995 nach jetziger Schätzung 14 % mehr Gemeinschaftssteuern einnehmen. Die Gemeinden werden an dieser Entwicklung leider nicht entsprechend beteiligt. Selbst nach Abzug der geringen Ergänzungszuweisungen ist davon auszugehen, daß die Einnahmen der Länder fast zweistellig zunehmen.
Zu den Einnahmen und zur Finanzsituation der Kommunen habe ich etwas gesagt. Ich glaube, wir sollten die Erklärung, es ginge heute nur darum, sich über die kommunalen Finanzen zu unterhalten, in etwas anderem Licht sehen. Wenn man tatsächlich die Verschuldung, die Belastung des Bundes, der Länder und der Gemeinden sieht, wird das Ganze bestätigt.
Man muß auch erkennen, welche gewaltigen Sonderleistungen aus dem Bundeshaushalt in den letzten vier Jahren erbracht worden sind, und zwar durch UNO-Einsätze, die zusätzliche Kosten verursacht haben, durch den Abzug der Russen, durch Katastrophenfälle, durch Soforthilfen für eine Fülle von Ländern an allen Ecken und Enden der Erde. Man sollte diese gewaltigen Leistungen nicht kleinreden und die eigene Arbeit richtig einschätzen.
Ich möchte einige wenige Sätze zu den neuen Bundesländern sagen — früher ein Hauptthema, das heute meines Erachtens etwas zu kurz gekommen ist.
Die Leistungen für die neuen Bundesländer werden sich im kommenden Jahr vor allen Dingen aus diesem Bundeshaushalt auf 200 Milliarden DM belaufen, d. h. um 60 Milliarden DM über den Leistungen des Jahres 1991 liegen.
Wenn man die Rednerin der PDS zu diesem Thema gehört hat, hat man den Eindruck, es sei überhaupt nicht nötig, daß angesichts des brillanten Zustandes, in dem die DDR zurückgelassen wurde, eine einzige Mark fließt. Lafontaine sprach ja damals von der zehntgrößten Industrienation. Weshalb dann eigentlich ständig neue Forderungen gerade von den Kommunisten, von der Partei des Stacheldrahts, wenn die Situation so ideal ist?
Der Nettotransfer nach Abzug der Steuern wird 155 Milliarden DM betragen, davon 106 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt, 40 Milliarden von Ländern und Gemeinden und immerhin 7 Milliarden von der EG — ein gewaltiges Programm für die neuen Bundesländer, das zeigt, daß wir die Verantwortung für die Erreichung der gleichen Lebensverhältnisse im ganzen Bundesgebiet übernehmen.
Man sollte auch darauf hinweisen, welche Leistungen direkt an die Bürger im Osten gehen: durch Kriegsopferversorgung, aktive Arbeitsmarktpolitik, Vorruhestand, Altersübergangsgeld, Sozialversicherung, Erziehungsgeld und Kindergeld 47 Milliarden DM!
Von Frau Matthäus-Maier ist vorhin der Eindruck erweckt worden, wir würden Leistungen bei Arbeitsbeschaffung, Fortbildung und Umschulung einschränken. Der Entwurf des Bundeshaushalts für 1995 sieht höhere Leistungen bei Fortbildung und Umschulung vor. Und in diesem Jahr geben wir die ABM-Mittel nicht einmal voll aus. Wer da hergeht und sagt, wir sollten ständig neues Geld geben, der verkennt offensichtlich die tatsächliche Situation.
Ich habe gesagt, Stabilität drücke sich auch darin aus, daß wir keine unnötigen Versprechungen machen, sondern den Bürgern sagen, daß es im nächsten Jahr voraussichtlich keine Nettolohnerhöhung geben wird. Wenn man aber den Leuten sagen kann, es werde zumindest so bleiben, wie es ist, wäre das im Vergleich für viele Länder der Welt ein hervorragender Zustand.
Meine Damen und Herren, die Bürger der Bundesrepublik haben deshalb Vertrauen und Zuversicht in diese Bundesregierung, weil sie in manchen anderen Bereichen ihre Erfahrungen mit SPD-geführten Regierungen gemacht haben. Ich nehme dafür gar nicht das Beispiel von 1969 bis 1982. Wir wissen alle, in welchem Zustand das Land hinterlassen wurde.
— Das kann man sicher nicht sagen; denn selbst die Arbeitslosenquote lag damals wesentlich höher als heute, und das ist ein ganz entscheidendes Kriterium, Regierungsarbeit zu messen. Auch wenn Sie hier den
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Rekord im Wettbrüllen auch noch schlagen wollen, das schaffen Sie nicht!
— Auch Ihr Gebrüll, Herr Fischer, wird daran nichts ändern.
Auf der einen Seite wird es offensichtlich Mode, davon zu reden, man müsse der Wirtschaft mehr helfen, die Standortbedingungen verbessern — Herr Scharping hat das in Tutzing ganz kurz einmal sagen dürfen —; gleichzeitig aber stellen wir fest, daß in den Bundesländern von Ihnen das Spießrutenlaufen der Wirtschaft geübt wird. Ob das in Hamburg, in Gorleben, in Hanau oder woanders ist: Es gibt 30 Fälle juristischen Spießrutenlaufens, das Sie der Wirtschaft durch Ihr Verhalten zumuten.
offenbar macht das dem Schläger, Herr Fischer, Freude.
Auf SPD-Parteitagen werden ständig neue Forderungen erhoben. Ich glaube, daß man auch feststellen muß, daß die SPD in vielen Bereichen die Schlachten der Vergangenheit schlägt. In einer Zeit, da sich die Tarifvertragsparteien bereits über Ganzjahrestarifverträge unterhalten, beantragt die SPD im Bundesrat, die Schlechtwettergeldregelung müßte ab 1996 fortgeführt werden. Die SPD hat offensichtlich nicht erkannt, wie die Entwicklung über sie hinweggeht. Das gilt für jedes Thema, das heute angesprochen wurde.
Frau Matthäus-Maier redet noch von den Doppelfenstern des Jahres 1975. Vor drei Monaten mußten wir aber feststellen, daß sich die SPD im Bundesrat geweigert hat, den erneuerbaren Energien neue Chancen zu geben.
Wir haben im Bundesrat mehr Chancen für erneuerbare Energien gefordert, zusätzlich zu den 300 Millionen DM, die für diesen Bereich im Bundeshaushalt bereitstehen.
Dasselbe gilt für Themen wie UN-Solidarität. Was sagt da Ihr Seniorenbeauftragter? Wie redet Herr Scharping? Was sagen Sie zum Thema PDS? Welches Thema man auch nimmt: Die SPD ist zu einer „ARD"- Partei verkommen: alles rennt durcheinander.
Während Herr Scharping in Tutzing von der Notwendigkeit einer Modernisierung sprach und politische Thesen vortrug, die, als die CDU sie vertrat, im Wahlkampf noch verteufelt wurden, zeigte die Reaktion der Partei im Hinblick auf die beabsichtigte Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, daß es Ihnen überhaupt nicht ernst ist mit der Entlastung der Wirtschaft.
Es ist vorhin kritisiert worden, daß die Ausgaben im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit im kommenden Jahr in Teilbereichen geringer sind. Die Lösung ist ganz einfach: Das hängt mit dem Aufschwung zusammen, das hängt damit zusammen, daß die Bundesanstalt weniger Kurzarbeitergeld bereitstellen muß, das hängt damit zusammen, daß sie weniger Arbeitslosengeld bereitstellen muß.
Dies ist der entscheidende Grund, nicht etwa, daß wir sparen wollen, um die Arbeitslosigkeit zu finanzieren.
Als letzten Punkt möchte ich die Frage ansprechen: Geht es bei der Diskussion um Kinderfreibeträge, Kindergeld oder Ausgaben der Gemeinden darum, daß man dem einen oder anderen mehr Geld zukommen lassen möchte? Dabei wird immer verschwiegen, daß der Besserverdienende nur ein begrenztes Kindergeld bekommt.
Es geht ganz einfach um die Frage: Wem nützt es? Es nützt den Bundesländern, wenn man mehr Kindergeld zahlt und weniger abschreibt, weil die Länder dann bei der Einkommen- und der Lohnsteuer höhere Einnahmen haben. Es nützt den Menschen aber nichts, wenn sich unter dem Strich nichts ändert.
Sie wollen mehr Kindergeld und geringere Abschreibungsmöglichkeiten nur deshalb, weil Sie die Situation der Länderhaushalte verbessern wollen. Dabei geht es den Ländern ohnehin wesentlich besser als dem Bund. Es geht Ihnen überhaupt nicht um die Familien mit Kindern. Es geht um diese einzige Frage.
Nein, die Bürger wollen Rechtsstaat, Stabilität, Zuversicht und Perspektive. Dieser Bundeshaushalt vermittelt Zuversicht. Er ist besser als vor einem halben Jahr, was nicht bedeutet, Herr Kollege Weng, da ja auch gute Dinge noch verbessert werden können, daß wir im Haushaltsausschuß das eine oder andere nicht noch verbessern werden. Warum denn nicht? Es ist die Frage, ob wir unter Umständen zu einem Nullwachstum kommen, was relativ bescheidene Einsparmöglichkeiten bedeuten müßte.
Wir unterstützen den Bundesfinanzminister in dem Bemühen, die Stabilitätspolitik fortzusetzen und damit Zuversicht beim Bürger zu erzeugen.
Herzlichen Dank.