Rede von
Ingrid
Matthäus-Maier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sie werden an einer anderen Stelle meiner Rede merken: Daß sich alle Kreditinstitute bezüglich „Zinsbesteuerung und Luxemburg" nicht mit Ruhm bekleckert haben, ist bekannt.
Aber, Herr Schauerte, jetzt geht es weiter:
Können Sie mir sagen, wie bei einem Sozialhilfeempfänger, der versucht, statt der ihm zustehenden 560 DM im Monat 20 DM mehr zu erschleichen — was sicher nicht rechtens ist —, ein Unrechtsbewußtsein entstehen soll,
wenn er in der Zeitung liest, daß der ehemalige Regierungssprecher Peter Boenisch wegen Steuerhinterziehung zu 1 Million DM Steuerstrafe verurteilt worden ist?
Das bedeutet: etwa eine halbe Million DM hinterzogene Steuern. Um auf diese halbe Million zu kommen, müssen eine Menge Sozialhilfeempfänger ganz schön betrügen, meine Damen und Herren.
Können Sie mir sagen, wie ein Unrechtsbewußtsein entstehen soll, wenn der Sozialhilfeempfänger außerdem noch in der Zeitung liest, daß der Herr Bundeskanzler eben diesen Mann Anfang des Jahres zu seinem persönlichen Wahlkampfberater Nr. 1 berufen hat, meine Damen und Herren?
Wie soll ein Unrechtsbewußtsein entstehen, solange in diesem Lande Schmiergelder, auf deutsch: Bestechungsgelder, steuerlich absetzbar sind? Nein, meine Damen und Herren, der Fisch stinkt vom Kopfe: Oben werden die schlechten Beispiele gesetzt.
Es wäre die Aufgabe der Eliten in diesem Lande, diesem Verfall der Steuermoral durch persönliches Vorbild und durch Verantwortungsgefühl ein Ende zu setzen. Wir Sozialdemokraten jedenfalls werden nicht zulassen, daß eine Schieflage entsteht, bei der der Sozialmißbrauch lauthals angeprangert wird, Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug aber als Kavaliersdelikte durchgehen. Beides muß bekämpft werden!
Speziell bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung bei der Zinsbesteuerung hat sich Herr Waigel nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Jedermann weiß, daß dem Staat Jahr für Jahr Milliarden DM an Zinsbesteuerung verlorengehen. Auch unter der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union hat sich das trotz aller Versprechen nicht geändert.
Aber, Herr Bundesfinanzminister, Sie können sich nicht einfach hinter Luxemburg verstecken; denn Sie haben doch der Steuerverwaltung durch die Änderung der Abgabenordnung ganz bewußt die Möglichkeit genommen, wirksam gegen diese Steuerhinterziehung vorgehen zu können.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 331
Ingrid Matthäus-Maier
Der Arbeitnehmer wird von dieser Regierung in einer noch nie dagewesenen Höhe durch Steuern und Abgaben geschröpft. Aber wenn einer im Monat an Zinsen so viel verdient, wie ein normaler Arbeitnehmer in einem ganzen Jahr an Lohn oder Gehalt bekommt, stehen ihm die Scheunentore für die Steuerflucht weit offen, und die deutsche Kreditwirtschaft steht im Zweifel zur Hilfe bei der Kapital- und Steuerflucht bereit. Dies muß endlich ein Ende haben.
Dies führt nicht nur zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe. Für mindestens genauso gefährlich halte ich die Stimmung, die sich langsam im Lande verbreitet: Der Ehrliche ist der Dumme; wenn er Steuern zahlt, ist er eigentlich nicht ganz dicht. Ich sage Ihnen: Eine Regierung, die zuläßt, daß der ehrliche Steuerzahler meint, er sei der Dumme, untergräbt die Grundlagen unseres Gemeinwesens. Deshalb muß dies schleunigst gestoppt werden.
Angesichts der Zinsfalle, in die Sie uns hineinmanövriert haben, kommt dem Umschichten im Haushalt eine besondere Bedeutung zu. Als wichtigstes Beispiel für intelligentes und sozial gerechtes Umschichten nenne ich die nötige Verbesserung des Familienleistungsausgleichs. Die Familien mit Kindern kommen bei dieser Bundesregierung unter die Räder. Auch 1995 werden sie vergeblich darauf warten, daß die verfassungsrechtlich gebotene Entlastung wirklich stattfindet.
Hat nicht gerade erst die Denkschrift der beiden Kirchen beklagt, daß Kinder immer mehr zu einem Armutsrisiko für die Familien werden? — Dies ist übrigens ein Armutszeugnis für zwölf Jahre Regierung Kohl.
Wir schlagen Ihnen eine Anhebung des Kindergeldes auf 250 DM vom ersten Kind an sowie eine Erhöhung ab dem vierten Kind auf 350 DM als Abzug von der Steuerschuld vor, solide finanziert durch das Ersetzen des Kinderfreibetrages bei der Steuer und durch eine maßvolle Begrenzung des Ehegattensplittings. Die von Ihnen dagegen immer wieder vorgebrachten Gegenargumente sind nicht stichhaltig.
Erstes Gegenargument: Unser Vorschlag sei angeblich nicht verfassungsgemäß, Karlsruhe schreibe Freibeträge vor. Das ist Unsinn. Das Verfassungsgericht hat mehrfach festgestellt, dem Gesetzgeber stehe es ausdrücklich frei, „die kinderbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen oder ihr statt dessen im Sozialrecht durch die Gewährung eines dafür ausreichenden Kindergeldes Rechnung zu tragen oder auch eine Entlastung im Steuerrecht und eine solche durch das Kindergeld miteinander zu kombinieren." Das heißt, daß nach unserer Verfassung mehrere Modelle möglich sind. Verstecken Sie sich also nicht hinter Juristereien wenn Sie aus ideologischer Verbohrtheit darauf beharren, daß Kinder reicher Leute dem Staat fast dreimal soviel wert sein sollen wie die Kinder kleiner Leute.
Zweites Gegenargument: Bei unserem Vorschlag würden Familien mit Kindern angeblich schlecht behandelt, weil sie genausoviel Steuern zahlen müßten wie Familien ohne Kinder. Auch das ist Unsinn. Wir sehen ausdrücklich den Abzug von der Steuerschuld vor. Das heißt, daß ein Arbeitnehmer, der zwei Kinder hat, im Monat 500 DM weniger Lohnsteuer zahlen würde als sein Kollege ohne Kinder. Dies wäre auch eine enorme Vereinfachung des Steuerrechts sowie der Verwaltung. Jeder Bürger würde wissen, wieviel ihm für sein Kind zusteht. Dies spart auch Kosten. Die meisten von Ihnen wissen sicher nicht, daß allein im Haushaltsentwurf 1995 650 Millionen DM dafür vorgesehen sind, daß der Bund der Bundesanstalt für Arbeit die Kosten für die Auszahlung des Kindergeldes erstattet.
Das ist sicher unsinnig.
Drittes Gegenargument: Unser Vorwurf, Kinderfreibeträge seien unsozial, stimme nicht. Dies ist nun ganz einfach zu widerlegen. Der heutige Kinderfreibetrag in Höhe von etwas über 4 000 DM führt dazu, daß jemand mit niedrigem Einkommen daraus eine Entlastung von 65 DM im Monat erhält, ein Spitzenverdiener — das ist nach unserer Definition derjenige, der den Spitzensteuersatz zahlt, der im Jahr also mehr als 240 000 DM verdienen muß — jedoch für sein Kind eine Entlastung von 181 DM im Monat erhält. 65 DM für das Kind kleiner Leute, 181 DM für das Kind von Spitzenverdienern: Da bekommen also die Spitzenverdiener 116 DM mehr an Entlastung für ihr Kind im Monat. Hier gilt doch der Satz: „Wer hat, dem wird gegeben" oder, um es einmal mit Luther zu sagen — das ist Luther, das bin nicht ich —:" Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen." Das ist hier offensichtlich der Fall.
Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe ein Gesetz mit der Überschrift „Entlastung für Familien mit Kindern. § 1: Eltern mit niedrigem Einkommen erhalten für ihr Kind im Monat eine Entlastung von 65 DM. § 2: Eltern, die im Jahr mehr als 240 000 DM verdienen, erhalten für ihr Kind im Monat eine Entlastung von 181 DM." Dann würden die Menschen alle meinen, wir hätten sie nicht mehr alle, es seien in den Paragraphen die Zahlen vertauscht worden.
Aber die Zahlen sind nicht vertauscht worden. Das ist exakt die Wirkung des Kinderfreibetrages. Wenn Sie es uns Sozialdemokraten nicht glauben: Bitte schlagen Sie in der Denkschrift der beiden Kirchen nach. Dort steht wörtlich:
332 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
Ingrid Matthäus-Maier
Als eine sozialstaatliche Fehlentwicklung ist es auch anzusehen, daß ... Kinderfreibeträge . . . die Begünstigten um so mehr entlasten, je höher ihr steuerpflichtiges Einkommen ist.