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    Plenarprotokoll 13/8 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 8. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Wolfgang Vogt (Düren) und Dr. Alfred Dregger 313B Neubezeichnung eines Ausschusses 313 B Erweiterung und Ablauf der Tagesordnung 313 B Zur Geschäftsordnung Manfred Müller (Berlin) PDS 313 D Joachim Hörster CDU/CSU 314 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 314 C Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksache 13/50) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksache 12/8001) c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft (Drucksache 13/76) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 315 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 324 C, 366 D Hartmut Schauerte CDU/CSU 330 B Gunnar Uldall CDU/CSU 332 A Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 335 B Otto Schily SPD 336 D Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 339 B Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 342 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 343 B Dr. Barbara Höll PDS 347 C Joachim Poß SPD 349 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 349 D Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 351 D Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/ CSU 354 B Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 355 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 357 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 359C Detlev von Larcher SPD 360 B Dr. Peter Struck SPD 361 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 362 A, 364 A Dietrich Austermann CDU/CSU 364 B Dr. Uwe-Jens Rudi Rössel PDS 367 B Manfred Kanther, Bundesminister BMI 369 B Fritz Rudolf Körper SPD 371 A Erwin Marschewski CDU/CSU 374 C Johannes Singer SPD 374 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 375 D II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Cern Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 377 C Ina Albowitz F D P 379C Ulla Jelpke PDS 381 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 381 D Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 384 A Norbert Geis CDU/CSU 388 A, 392 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 392 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 392 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 393 C Nächste Sitzung 394 D Berichtigung 394 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 395* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 313 8. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 7. Sitzung, Seite 307 A, Zeile 22: Statt „15 %" ist „50 %" zu lesen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Borm, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 395* Anlage zum Stenographischen Bericht (C) Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 14. 12. 94 * Borchert, Jochen CDU/CSU 14. 12. 94 Conradi, Peter SPD 14. 12. 94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 14. 12. 94 90/DIE GRÜNEN Heym, Stefan PDS 14. 12. 94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 14. 12. 94 Iwersen, Gabriele SPD 14. 12. 94 Sauer (Stuttgart), Roland CDU/CSU 14. 12. 94 Schmidt-Zadel, Regina SPD 14. 12. 94 Schumann, Ilse SPD 14. 12. 94 Vergin, Siegfried SPD 14. 12. 94 Wallow, Hans SPD 14. 12. 94 Warnick, Klaus-Jürgen PDS 14. 12. 94 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Vorlage des Bundeshaushalts 1995 setzen wir, acht Wochen nach der Bundestagswahl, einen wichtigen Markstein unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik für die kommende Legislaturperiode. Damit stellen wir Handlungsfähigkeit unter Beweis. Wir haben keine Zeit für endlose Debatten verschwendet. Entschlossen und konsequent werden wir unseren finanzpolitischen Weg weitergehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der tiefe Konjunktureinbruch 1993 ist endgültig überwunden. Das Wachstum gewinnt immer mehr an Fahrt. Das reale Bruttoinlandsprodukt 1994 wird nicht mit den prognostizierten 1,5 %, sondern mit 2,5 % wachsen.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Im dritten Quartal 1994 wurden die positiven Wachstumserwartungen noch einmal übertroffen. Die Produktionsverluste der Rezession 1992/93 sind aufgeholt. 1995 erwarten wir eine Wachstumsrate von 3 %. Diese Einschätzung wird von allen nationalen und internationalen Experten und Institutionen geteilt.
    Die Opposition wird jetzt wieder kritisieren, das sei allenfalls „ein Auf ohne Schwung". Sie haben noch krampfhaft bis zum 16. Oktober den Menschen einreden wollen, es gebe gar keinen Aufschwung. Wir sind in unseren Prognosen sehr bescheiden gewesen; aber um so mehr sind wir von der Wirklichkeit positiv überholt worden. Das lassen wir uns schließlich nicht vorwerfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Keine Rezession seit den 60er Jahren war so kurz wie die von 1993. Die Initialzündung durch den Export spricht nicht gegen die Qualität des Aufschwungs. Die inländischen Faktoren gewinnen an Kraft, vor allem die Investitionen. Sie wissen genau: Der Arbeitsmarkt folgt diesen Indikatoren so sicher wie das Amen in der Kirche.
    Pläne, über Umverteilung den Konsum anzukurbeln, bringen nichts. Sie führen vielmehr über höhere Steuern zur Belastung unserer Wettbewerbsfähigkeit oder über höhere Defizite zu konjunkturabwürgenden Zinssteigerungen.

    (Zustimmung bei der F.D.P.)

    Die öffentlichen Finanzen sind stabil, die Lasten der Einheit geschultert. Die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen ist gut vorangekommen. Der größte Teil der einigungsbedingten Zusatzlasten wird über Einsparungen finanziert. Die Finanzierung der Erblasten des Sozialismus ist geklärt. Die Finanzausstattung der neuen Länder wurde durch das vom Bund vorangetriebene Föderale Konsolidierungsprogramm für die nächsten zehn Jahre gesichert.
    Der Konsolidierungskurs greift. 1994 und 1995 wird das Defizit des Bundes jeweils um 10 Milliarden DM unter den ursprünglichen Planungen liegen. Und es würde mich nicht wundern, wenn wir am Ende dieses Jahres nicht 10, sondern vielleicht 13 Milliarden DM
    316 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    weniger Nettokreditaufnahme hätten. Das ist ein großer Erfolg

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    und eine Bestätigung des klaren Kurses. Genau so wie wir 1993 die automatischen Stabilisatoren haben wirken lassen und konjunkturbedingte Mehrausgaben und konjunkturbedingte Mindereinnahmen durch höhere Defizite finanziert haben, müssen wir jetzt das, was mehr in die Kasse kommt, systematisch zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme verwenden. Das ist der richtige, solide Weg.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das Tal ist durchschritten, das Ziel ist in Sicht. Nun dürfen wir allerdings nicht stehenbleiben, wir dürfen uns nicht ausruhen. Jetzt geht es um Konsolidierung, um Steuern, Arbeitsmarkt, Standort Deutschland, Europa, Wirtschaftswachstum, Frieden und Sicherheit in der Welt.
    Bei den Steuern haben wir den ersten Schritt getan. In der letzten Woche haben wir eine Neuregelung für das Existenzminimum vorgelegt. Die Opposition darf staunen. Diese Lösung ist verfassungsgemäß, sozial gerecht und schwächt nicht die Leistungsbereitschaft der Bürger und unserer Wirtschaft. Wir sind sehr gespannt, ob sich die SPD-Bundesländer einer Lösung verweigern wollen.
    Wir sind und bleiben die wirtschaftliche Nummer eins in Europa. Deutschland bleibt der europäische Stabilitätsanker und Wachstumsmotor. Wir können einen weiteren, noch vor wenigen Wochen für ausgeschlossen gehaltenen großen Erfolg für Deutschland verbuchen. Zusammen mit Luxemburg erfüllt Deutschland bereits 1994 und 1995 alle Konvergenzkriterien von Maastricht — trotz der gerade überwundenen Rezession und der finanzpolitischen Bewältigung der Einheit. Ich halte das für einen großartigen Erfolg.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auch bei den strukturellen Defiziten haben wir zusammen mit Japan die weltweit günstigste Position. In nur vier Jahren haben wir laut Internationalem Währungsfonds das strukturelle Defizit um vier Fünftel abgebaut. Allein mit diesem internationalen Vergleich erübrigt sich bereits das Gerede von einer „Schuldenexplosion".
    Natürlich haben die Schulden zugenommen. Aber: Bedenkt man die Aufgabe der Einheit, die Erblast des Sozialismus und die Rezession, dann darf der Zuwachs nicht überbewertet werden. Wir haben von Beginn an entschlossen gegengesteuert. Die Schulden sind in einem volkswirtschaftlich vertretbaren Rahmen geblieben.
    Unsere europäischen Partner haben auf dem Europäischen Rat in Essen am Wochenende die Erfolge der Bundesregierung ausdrücklich anerkannt. Als Vorsitzender des Ecofin-Rates habe ich in Essen über die Umsetzung des Aktionsplans zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unterrichtet. Dabei können wir feststellen: Der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit ist überschritten. Die Beschäftigung steigt wieder. Ohne dauerhaftes und kräftiges Wirtschaftswachstum gibt es
    keine gesicherten Fortschritte beim Abbau der Arbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Aber wir wissen, das reicht nicht aus.

    Neben strukturellen Verbesserungen auf den Arbeitsmärkten müssen wir die hohen strukturellen Defizite in den öffentlichen Haushalten einiger Länder jetzt zurückführen, gerade bei positiver Konjunkturentwicklung. Wer es nicht schafft, im Aufschwung zu konsolidieren, wird Mühe haben, den Anschluß an Maastricht zu gewinnen.
    Für den Beginn der Endstufe und für die Auswahl der Teilnehmer wird allein die Erfüllung der im Vertrag niedergelegten Konvergenzkriterien entscheidend sein. Ihre strikte Einhaltung sichert die Funktionsfähigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion. Abstriche bei dem Stabilitätskriterium können wir nicht hinnehmen. Für uns gilt: Strikte Konvergenz hat Vorrang vor starren Zeitplänen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zwar ist im Durchschnitt der Mitgliedstaaten das Staatsdefizit 1994 gesunken, aber es ist immer noch zu hoch. Weitere Anstrengungen zum Defizitabbau sind notwendig. Damit wird das Vertrauen der Finanzmärkte und Investoren gestärkt. Wir begegnen so auch wirksam der weltweiten Knappheit an Sparkapital.
    Ein weiterer Schwerpunkt in Essen waren die transeuropäischen Netze. Der Europäische Rat hat die vorgeschlagenen Verkehrs- und Energieprojekte gebilligt. Unsere Auffassung, wonach neue Gemeinschaftsinstrumente zur Finanzierung nicht erforderlich sind, wurde bestätigt. Es macht auch keinen Sinn, meine Damen und Herren, wenn wir hier in den nationalen Parlamenten und in unseren Ländern versuchen, unter schweren Opfern die Defizite zurückzufahren, wenn gleichzeitig eine zusätzliche Defizitfinanzierung in Europa eröffnet wird. Wir haben uns mit gutem Grund und mit Erfolg dagegen gewehrt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die deutsche Präsidentschaft in der Europäischen Union ist ein Erfolg. Unter deutscher Präsidentschaft ist erstmals das Verfahren zur Überwachung der Haushaltslage angewendet worden. Wir haben dabei auf die strikte Anwendung der Maastrichter Konvergenzkriterien geachtet. Es zeigt sich: Der Vertrag von Maastricht hat die Stabilitätskultur in Europa einen entscheidenden Schritt vorangebracht. Noch nie gab es in Europa eine so abgestimmte Finanz- und Wirtschaftspolitik. In der Mehrzahl der Mitgliedstaaten gleichen sich jetzt Preise, Zinsen und Wechselkurse stabilitätsgerecht an.
    Die finanziellen Grundlagen der Europäischen Union sind jetzt gesichert. Es ist Deutschland gelungen, den EU-Haushalt 1995 fristgerecht auf den Weg zu bringen. Die Einigung über den Eigenmittelbeschluß hat einen schweren Haushaltsstreit mit dem Europäischen Parlament abgewendet. — Es war nicht ganz einfach, den „Kuhhandel über die Milchquote" zu beseitigen. Aber es ist Gott sei Dank gelungen. — Die Anpassung der finanziellen Vorausschau für die EU der Fünfzehn ist ebenfalls unter Dach und Fach.
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 317
    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Sparsamste Haushaltsführung, Konzentration und Bündelung von Aufgaben sind auch in Europa notwendig. Auch auf europäischer Ebene müssen die Prinzipien des schlanken Staates angewandt werden. Dies ist auch ein Beitrag, die deutsche Belastung mittelfristig zu senken.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wir können nicht einfach eine Finanzebene, die mittlerweile ein Volumen von rund 150 Milliarden DM hat und zu der wir rund 45 Milliarden DM beisteuern, von den allgemeinen Konsolidierungsanstrengungen in Europa ausnehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auf dem Ministerrat vom 24. November 1994 wurden die Schlußfolgerungen über die Kriterien einer endgültigen Umsatzbesteuerung verabschiedet. Damit ist für die Verwirklichung der dem Binnenmarkt entsprechenden Besteuerung nach dem Ursprungslandprinzip zum 1. Januar 1997 eine ganz entscheidende Hürde genommen worden.
    Wichtige Anliegen wurden entscheidend vorangebracht. In enger Abstimmung mit unseren Partnern, insbesondere mit unseren französischen Freunden, die jetzt die Präsidentschaft übernehmen, werden wir intensiv an der Lösung der noch offenen Probleme weiter arbeiten.
    Mit seiner stabilitäts- und wachstumsorientierten Finanzpolitik hat Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der weltweiten Rezession geleistet. Auch im Kreis der wichtigsten Industrienationen, der G-7-Gruppe, hat sich Deutschland als erfolgreicher und verläßlicher Partner erwiesen. Die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit in der G 7 ist und bleibt eine wichtige Voraussetzung für stabile internationale Währungsbeziehungen.
    Besonders eng und vertrauensvoll war die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Finanzminister Lloyd Bentsen. Die gemeinsame Arbeit war von Freundschaft und gegenseitigem Vertrauen geprägt. Ich möchte ihm für diese Zusammenarbeit, da er jetzt nach einem reichen politischen Leben, das ihn 1948 zum erstenmal in das Repräsentantenhaus geführt hat, seinen Abschied genommen hat, sehr herzlich danken und ihm alles Gute für die Zukunft wünschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sicher werden wir die Zusammenarbeit mit seinem Nachfolger Robert Rubin in gleicher Weise fortsetzen können.
    Die G 7 hat die Reformanstrengungen der Länder in Mittel- und Osteuropa weiter begleitet. Bei verschiedenen internationalen Treffen hat die G 7 ihre Unterstützung zugesagt, zugleich aber auch deutlich gemacht: Die Unterstützung hängt von der Weiterführung eines marktwirtschaftlichen Reformkurses in diesen Ländern ab.
    Ein weiteres wichtiges Thema im europäischen und internationalen Bereich ist die Sicherheit der Kernkraftwerke in Osteuropa. Deutschland hat sich auf dem Europäischen Rat in Korfu und auf dem Wirtschaftsgipfel in Neapel erfolgreich dafür eingesetzt,
    ein Maßnahmenpaket zur raschen Schließung des Kernkraftwerks in Tschernobyl zu vereinbaren. Die Umsetzung dieses Planes ist auf gutem Weg.
    An einem solchen Projekt entscheidet sich wirklich die Verläßlichkeit der internationalen Gemeinschaft. Dies ist nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches und weltweites Problem. Darum werden wir nicht lockerlassen, bis dieses Problem befriedigend gelöst ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deutschland hat sich wie kein anderes Land für die Unterstützung erster entscheidender Reformschritte in der Ukraine eingesetzt. Dazu haben wir die Initiative für eine Zahlungsbilanzhilfe der Europäischen Union ergriffen. Durch unsere Bemühungen gelang es, einen positiven Grundsatzbeschluß über eine Hilfe von 85 Millionen ECU zu erreichen.
    Unsere Partner in Europa und der Welt erwarten auch weiterhin die verantwortungsvolle Mitarbeit Deutschlands bei der Lösung der entscheidenden internationalen Probleme und einen klaren Stabilitäts- und Wachstumskurs. Dafür stehen wir auch in Zukunft ein!
    Nahezu alle finanzpolitischen Entscheidungen der 12. Legislaturperiode waren durch die Einheit bestimmt. Zugleich mußte eine der schwersten Rezessionen der Nachkriegszeit überwunden werden.
    Dies bedeutete: Finanzierung des wirtschaftlichen Strukturwandels in den neuen Ländern und der dazu notwendigen Sozialtransfers. Dazu gehörte die Förderung privater Investitionen, die Bereitstellung der öffentlichen Infrastruktur von Straßen bis hin zu Telefonleitungen, aber auch eine aktive Arbeitsmarktpolitik.
    Dies bedeutete die Sicherung einer angemessenen Finanzausstattung der neuen Länder und ihrer Kommunen, die damit ihren Teil zum Neuaufbau beitragen konnten.
    Dies bedeutete Umsteuerung des Bundeshaushalts auf den Bedarf in den neuen Ländern, Veränderung der Prioritäten bei den Ausgaben.
    Dies bedeutete Kontrolle und rasche Konsolidierung der öffentlichen Defizite, um einen Anstieg des strukturellen Defizits möglichst gering zu halten und damit die Belastungen der finanzpolitischen Spielräume der Zukunft zu minimieren.
    Dies bedeutete gleichzeitig Rücksichtnahme der Finanz- und Steuerpolitik auf die Konjunktur, und es bedeutete, Steuererhöhungen auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken, um die Leistungsbereitschaft der Bürger und die Wachstumskraft der Unternehmen nicht zu beeinträchtigen.
    Dazu gehörte auch die Rücksichtnahme auf europäische und internationale Zusammenhänge: Der Standort Deutschland mußte im internationalen Wettbewerb weiter gestärkt werden. Es durfte kein Zweifel an dem in 40 Jahren erarbeiteten internationalen Vertrauen in die Stabilität Deutschlands geben. Keine Aufweichung der D-Mark, Bewahrung ihrer Ankerfunktion für das EWS sowie die entschlossene Weiterentwicklung der europäischen Wirtschafts- und Wäh-
    318 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    rungsunion und die Erfüllung der in Maastricht vereinbarten Konvergenzkriterien waren weitere Ziele.
    Jede einzelne dieser Aufgaben erforderte allen Einsatz der Finanzpolitik. Keine Aufgabe durfte auch nur vorübergehend aus dem Blick geraten. In diesem Aufgabenpaket gab es zugleich eine ganze Reihe von Unbekannten, die sich erst im Laufe der Zeit konkretisieren ließen. Der richtige Policy-mix mußte laufend angepaßt werden.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was?)

    — Haben Sie das noch nie gehört? Entschuldigung, Herr Fischer, Sie waren die letzten vier Jahre nicht hier; dafür kann ich nichts. Aber Sie lernen das noch. Sie sind ja kein Dummer.

    (Heiterkeit)

    Insbesondere die katastrophale ökonomische Situation in den Staaten Osteuropas und auch bei dem vermeintlichen Musterknaben der Planwirtschaft, der ehemaligen DDR, stellte sich ja erst nach und nach heraus. Aus 1 300 Milliarden Mark angeblichen Vermögens wurden schließlich in der Eröffnungsbilanz der Treuhand 210 Milliarden DM Schulden.

    (Beifall des Abg. Rolf Köhne [PDS])

    — Es ist wirklich erstaunlich, daß auf dieser Seite jemand klatscht, wenn man sagt: Aus 1 300 Milliarden Mark angeblichen Vermögens wurden nun 210 Milliarden DM Schulden. Das ist die Bilanz, die Sie, meine Damen und Herren, zu verantworten haben. Sie haben gar keinen Grund, zu klatschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Dafür ist die Treuhand verantwortlich!)

    Wir haben jetzt über 500 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt für die Einheit ausgegeben. Auch nach allen Gegenrechnungen betrug die Nettobelastung des Bundes durch die einigungsbedingten Ausgaben noch rund 260 Milliarden DM.
    Private Investitionstätigkeit ist mit einer Fülle von Maßnahmen gefördert worden. Dazu gehören Investitionszulagen und Sonderabschreibungen sowie der Verzicht auf die Erhebung der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer. Umfangreiche ERP-Kreditprogramme und Investitionszuschüsse im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" flossen in die neuen Länder.
    Im Mai 1993 wurde das Föderale Konsolidierungsprogramm verabschiedet. Darin wurde der neue Finanzausgleich ab 1995 geregelt. Die dort vereinbarten jährlichen Transferleistungen von über 50 Milliarden DM ermöglichen den neuen Ländern bei etwa gleich hohen Defizitquoten wie im Westen Ausgaben von 120 % des Westniveaus. Bei den Investitionen sind es sogar 180 %. Die Pro-Kopf-Investitionen haben 1993 das Niveau in den alten Ländern überschritten. Damit sind Wachstumsergebnisse von real etwa 9 % möglich geworden — Zahlen, wie wir sie weltweit nur in sehr dynamischen Wirtschaftsregionen kennen, beispielsweise in Asien.
    Die Hauptlast der wirtschaftlichen Erneuerung lag bei der Treuhand. Sie hat in den letzten vier Jahren eine herausragende, ausgezeichnete Arbeit geleistet.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ohne jedes Vorbild, ohne Anweisungen aus Lehrbüchern wurden hier bis Ende 1994 14 500 Unternehmen privatisiert. 65 Milliarden DM Privatisierungserlöse wurden erzielt, 1,5 Millionen Arbeitsplatzzusagen und 207 Milliarden DM Investitionszusagen erreicht.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    „Rasche Privatisierung, entschlossene Sanierung und behutsame Stillegung" war die auch heute noch gültige Devise.

    (Lachen bei der PDS)

    Sie stammt von Detlev Rohwedder. Er hat für Deutschland mehr getan, als die Lacher auf dieser Seite.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Vergangene Woche habe ich den Verwaltungsrat der Treuhandanstalt, der die letzten fünf Jahre ehrenamtlich gearbeitet hat, verabschiedet. Zugegen war auch Frau Rohwedder. Ich danke dieser tapferen, großartigen Frau für die Haltung, die sie hier an den Tag legt.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Wir stehen ihr, ihren Kindern und ihrem verstorbenen Mann gegenüber in hoher Pflicht.
    Mit Hunderttausenden von unternehmerischen Einzelentscheidungen ist die Treuhand diesen Aufträgen gerecht geworden. An den Finanzen ist keine mögliche Sanierung gescheitert. Um jeden einzelnen Arbeitsplatz wurde gekämpft. Dies belegen auch Sondermaßnahmen der Treuhandanstalt mit einem Volumen von 6,9 Milliarden DM noch bis zum Jahresende. Zu diesen Maßnahmen gehören u. a. die Sicherung industrieller Kerne, die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die Privatisierung der Chemieindustrie und der Deutschen Waggonbau AG sowie weiterer Mittel für mittelständische ehemalige Treuhandunternehmen.
    Wenn heute der Umstellungsprozeß der Wirtschaft mit Volldampf läuft, Arbeitsplätze entstanden oder gesichert worden sind, in vielen kritischen Regionen einer wettbewerbsunfähigen Monostruktur nicht das Licht ausgegangen ist, ist das auch ein Verdienst der Treuhand. Wenn dennoch Arbeitsplätze verlorengegangen sind und in manchen Regionen die Arbeitslosenquote noch zu hoch ist, ist dies das Verdienst von 45 Jahren Sozialismus, von Ulbricht, Honecker, Mittag und den Genossen der SED, in deren Nachfolge Sie politisch und moralisch stehen, meine Damen und Herren von der PDS.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wer dafür die Treuhand oder die Soziale Marktwirtschaft verantwortlich macht, verfälscht geschichtliche
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 319
    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Tatsachen. Ich habe Verständnis für die Menschen in den neuen Ländern, die ihr individuelles Schicksal beklagen. Arbeitslosigkeit ist schwer zu ertragen. Die Chancen und Risiken der Marktwirtschaft leuchten nicht jedem sofort ein. Aber wenn Politikfunktionäre der ehemaligen SED im neuen Gewand der PDS, also die Mitverursacher der Misere, hier die Treuhand, die Bundesregierung und die Soziale Marktwirtschaft in Mißkredit bringen möchten, ist dies eine politische Unverschämtheit. Angesichts der Tatsache, daß so viele Menschen leider in der Welt hungern müssen, und angesichts der Tatsache, daß Hungerstreiks gegen Diktaturen bisweilen das einzige Mittel sind, um zu protestieren, ist Ihr Hungerstreik eine politische Unverschämtheit und ein Mißbrauch der Demokratie.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Hier wird in infamer Weise ein unglaubliches Lügenmärchen gestrickt, um daraus eine politische Suppe zu kochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Den größten Teil der Kosten der Einheit haben wir durch Einsparungen finanziert. Im Bundeshaushalt haben wir seit 1990 70 Milliarden DM dauerhaft eingespart. Die dennoch erforderliche maßvolle Erhöhung der Nettokreditaufnahme wurde reibungslos am Kapitalmarkt finanziert. Trotz der Inanspruchnahme des Kapitalmarktes durch die privaten Investoren und die öffentliche Hand sanken die langfristigen, für die Investitionen entscheidenden Kapitalmarktzinsen auf den historischen Tiefstand von knapp 5,5 %. Trotz eines gewissen Anstiegs liegen sie jetzt immer noch unter dem langfristigen Durchschnitt. Darin zeigt sich das große Vertrauen des In- und Auslands.
    Wir haben in 40 Jahren konsequenter Stabilitätspolitik einen großen Vertrauenskredit in der Welt erworben. Niemand hatte Bedenken, Geld in Deutschland in der D-Mark anzulegen. Spekulanten haben sich die Zähne ausgebissen.
    Trotz der Entlastungen auf der Ausgabenseite waren auch Einnahmeverbesserungen unvermeidlich. Sie konnten aber in engem Rahmen gehalten und konjunkturgerecht zeitlich begrenzt werden.
    Mit dem Jahr 1995 kehren wir zur finanzpolitischen Normalität zurück. Die Übergangsfinanzierungen für die Einheit werden beendet und in den Bundeshaushalt übernommen. Die abschließende Regelung der Erblasten und die vollständige Integration der neuen Länder in das Finanzausgleichsystem führen die Finanzpolitik in ruhigeres Fahrwasser.
    Im Erblastentilgungsfonds wird die sozialistische Erblast übernommen. Dabei werden die Altschulden des Kreditabwicklungsfonds der Treuhand und des DDR-Wohnungsbaus die ursprünglich angenommenen 400 Milliarden DM wohl nicht ganz erreichen. 1995 zahlt der Bund für den Erblastentilgungsfonds aus seinem Haushalt Zins und Tilgung in Höhe von 26 Milliarden DM. Dazu kommen die direkte Finanzierung der Nachfolgeeinrichtungen der Treuhand von 5,6 Milliarden DM und die Altschuldenhilfe für
    die Wohnungswirtschaft in den neuen Ländern von gut 1 Milliarde DM. — Die Umsetzung des Altschuldenhilfegesetzes ist übrigens ein voller Erfolg. Vertreter der Wohnungswirtschaft haben mir dies kürzlich bestätigt und damit auf mögliche Investitionen von insgesamt 200 Milliarden DM in den nächsten fünf bis acht Jahren hingewiesen.
    An dieser Stelle noch eine wichtige Bemerkung für den Kapitalmarkt: Allein die Übernahme der Finanzierung der aufgelaufenen Treuhandschulden und der Nachfolgeinstitutionen im Bundeshaushalt entlastet den Kapitalmarkt um etwa 1 % des Bruttoinlandsprodukts, also um gut 30 Milliarden DM. Der neue Finanzausgleich kostet den Bund etwa 35 Milliarden DM. Sieben Umsatzsteuerpunkte gibt der Bund an die Länder ab. Das sind etwa 17 Milliarden DM. Die Bundesergänzungszuweisungen betragen weitere 18 Milliarden DM.
    Aus gesamtwirtschaftlichen Gründen holen wir uns nur einen Teil dieser 35 Milliarden DM über den Solidaritätszuschlag zurück. Er muß so bald wie möglich zurückgeführt werden. Aber der Konsolidierungskurs hat Vorrang. Nur wenn sich entsprechende Spielräume ergeben, können wir über eine Kürzung reden. Diese Spielräume haben wir eindeutig definiert: wenn die Belastung des Bundes durch die Transfers für die neuen Länder im Rahmen des Finanzausgleichs sinkt oder die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag dauerhaft stärker steigen, als im Finanzplan vorgesehen. Das wird jährlich überprüft. Damit übernehmen die Länder Mitverantwortung für den Abbau. Wenn die sieben Umsatzsteuerpunkte für den Transfer Ost nicht mehr voll gebraucht werden, müssen die Länder Umsatzsteuerpunkte an den Bund zurückgeben. Dieses Geld darf nicht anderweitig verbraucht werden.
    Meine Damen und Herren von der SPD, es macht keinen Sinn, immer wieder über die vermeintliche soziale Ungerechtigkeit des Solidaritätszuschlags zu fabulieren. Der von Ihnen mitbeschlossene Solidaritätszuschlag ist gerecht. Er knüpft an unseren von jedermann für sozial gerecht gehaltenen progressiven Einkommensteuertarif an. Wer viel Steuern zahlt, zahlt viel Zuschlag. Wer wenig oder keine Steuern zahlt, zahlt auch keinen Zuschlag. Eine vierköpfige Familie zahlt schon jetzt bis zu einem Bruttoeinkommen von 47 197 DM keine Mark. Mit der Neuregelung des Existenzminimums steigt dies auf 54 001 DM.
    Wie bereits vor der Wahl angekündigt, entspricht der jetzt vorgelegte Bundeshaushalt 1995 weitgehend dem Entwurf vom September. Allerdings können wir heute einen in wichtigen Eckpunkten verbesserten Haushalt vorlegen. Mit 484,1 Milliarden DM — rund 600 Millionen DM weniger als im ersten Regierungsentwurf — steigen die Ausgaben nur um 0,9 %. Das ist deutlich unter dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Wenn wir das Ziel angehen, vor allen Dingen die Staatsquote bis zur Jahrtausendwende etwa auf die Zahl zu senken, wie sie vor der Wiedervereinigung gewesen ist, dann gelingt dies nur, wenn die Steigerung des Haushalts deutlich unter der Steigerung des nominellen Bruttosozialproduktes liegt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    320 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Man kann sich kaum eine stärkere Berücksichtigung dieser Zielmarge vorstellen, wenn man den Haushalt nur um 0,9 % steigerte und das nominelle Bruttosozialprodukt um etwa 5 % zunähme.
    Um Ihnen, Frau Matthäus-Maier, und Ihnen, Herr Wieczorek, gleich zuvorzukommen: Sparen Sie sich den Einwand, hier handle es sich um Buchungstricks!

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das stimmt doch alles nicht! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Natürlich. Ich wußte doch, daß Ihnen nichts Neues einfällt.

    (Zuruf der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) — Frau Fuchs, hören Sie doch einmal zu!


    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sie hat Sie ja noch gar nicht gefragt!)

    — Entschuldigung; ich rede doch. Ich warte nachher darauf, daß Sie fragen.
    Ich gratuliere Ihnen übrigens, daß Sie Vorsitzender des Haushaltsausschusses geworden sind.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD — Zurufe von der SPD: Sehr gut!)

    Bei seinem Geburtstag hat Rudi Walther seinen Wunsch geäußert, daß der Vorsitz des Haushaltsausschusses wechseln möge, und zwar nicht deswegen, weil die SPD gern einen Posten aufgibt, sondern weil das Folge eines Machtwechsels gewesen wäre. Ich habe gesagt: Wir sind fair; die SPD hat wenige gute Leute; einen davon soll sie zum Vorsitzenden des Haushaltsausschusses machen; wir stellen weiter die Regierung. Dabei ist es geblieben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Natürlich werden die Mittel für den neuen Finanzausgleich als Mindereinnahmen gebucht. Das ist haushaltsrechtlich in Ordnung und ist zu allen Zeiten so angewendet worden, auch zu Ihrer Regierungszeit. Denn mit der gleichen Berechtigung hätten wir dann umgekehrt ab 1990 die Übergangsfinanzierungen aus den Ausgabensteigerungen für diese Jahre herausrechnen können. Das haben wir natürlich nicht getan.
    Und wie behandeln Sie denn die neuen Zusatzlasten für den Bund durch den Erblastentilgungsfonds und die zusätzlichen Leistungen für die neuen Länder und die Treuhandnachfolge? Sollen wir sie etwa weglassen? Das wäre ja die logische Folge Ihrer Kritik.
    Die Nettokreditaufnahme wird gegenüber dem ersten Entwurf um 10,2 Milliarden DM auf 58,6 Milliarden DM zurückgeführt.
    Die von der Bundesregierung im Sommer beschlossenen Einsparmaßnahmen bei der Arbeitslosenhilfe sind mit der Koalitionsvereinbarung in die umfassendere Reform und Neuabgrenzung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe eingeordnet worden. Hier sind Reformen dringend nötig. Es kann nicht sein, daß der Anreiz zur Aufnahme einer regulären Arbeit in vielen Fällen nur minimal ist. Der Anreiz zur Arbeitsaufnahme muß gesteigert werden, nicht der Anreiz zum Ausbeuten sozialer Sicherungssysteme. Das Lohnabstandsgebot muß wieder deutlich gewahrt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Bürgergeldsystem! Sehr gut!)

    Ich danke hier Renate Schmidt und auch Ihnen, Herr Scharping, für deutliche Worte zur Mißbrauchsbekämpfung an Ihre eigene Partei.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Lachen bei Abgeordneten der SPD)

    Ich glaube, das ist ein guter Beginn, um eine ideologiefreie Debatte über dieses Thema zu führen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ideologiefrei waren wir schon immer!)

    Auch im kommenden Bundeshaushalt bleiben die Hilfen für die neuen Länder der dominierende Faktor. Wie in den Vorjahren kommen den neuen Ländern, einschließlich der Steuerverzichte des Bundes, etwa 150 Milliarden DM zugute. An Einnahmen aus den neuen Ländern erhält der Bund rund 45 Milliarden DM. Im Saldo stellt der Bund also für die neuen Länder 1995 etwa 105 Milliarden DM bereit — bei einem Bundeshaushalt von 484,1 Milliarden und einem Defizit von 58,6 Milliarden DM.
    Schon diese Relation zeigt noch einmal überdeutlich die Verschiebung der Prioritäten und das Ausmaß der bereits durchgeführten Konsolidierung im Bundeshaushalt.
    Auch wenn wichtige Klippen umschifft worden sind und das Fahrwasser wieder ruhiger geworden ist: Wir müssen weiter klar auf das Ziel zusteuern. Die Konsolidierungsaufgabe ist noch keineswegs erledigt.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Richtig!)

    Die Ausgabenspielräume bleiben auch in den Jahren nach 1995 eng begrenzt. Der geltende Finanzplan unterstellt bereits ein nominales Wirtschaftswachstum von fünfeinhalb Prozent. Nachdem uns manche Skeptiker noch bis vor kurzem übertriebenen Optimismus vorgeworfen haben, wird niemand mehr bestreiten: Dieses Ziel ist erreichbar.
    Aber mehr ist auch jetzt nicht zu erwarten. Das Ausgabenmoratorium muß für die ganze Legislaturperiode gelten.

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

    Wir müssen bei den wichtigen finanzpolitischen Meßgrößen den Stand vor der Wiedervereinigung erreichen.

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

    Die Staatsquote muß von jetzt etwa 50 % bis zum Jahre 2000 auf 46 % gesenkt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Entstehende Spielräume müssen vorrangig für die weitere Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 321
    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Standorts Deutschland genutzt werden. Die Steuer- und Abgabenquote muß mittelfristig wieder zurückgeführt werden. Diese Wachstumsaufgabe anzupakken ist der zentrale finanzpolitische Auftrag dieses Jahrzehnts.
    Eine dynamische Wirtschaft, die laufend neue Arbeitsplätze schafft, entsteht durch den Abbau von Wachstumshemmnissen, durch eine aktive, die individuelle und wirtschaftliche Leistungsbereitschaft fördernde Politik. Das ist keine Politik der sozialen Kälte.
    Erstens. Nur durch wirtschaftlichen Wohlstand und Wachstum können wir unseren Stand der sozialen Absicherung halten und gezielt verbessern.
    Zweitens. Die Ethik einer christlichen Partei hat eine den Schwachen und Benachteiligten zugewandte Sozialpolitik im Mittelpunkt ihrer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Widerspruch bei der SPD — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Märchen!)

    Wenn es um richtig verstandene Solidarität geht, lassen wir uns von den Sozialisten jedenfalls nicht übertreffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Aber Sozialpolitik muß an der konkreten Situation des einzelnen orientiert sein. Die staatliche Verwaltung und Regulierung von sozialen Problemen in unüberschaubaren und anonymen Institutionen darf nicht überhandnehmen. Sie ist sonst auch nicht bezahlbar.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sehr wahr!)

    Der Sozialstaat muß umgebaut werden.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wohin?)

    Statt des Einsatzes der sozialen Gießkanne müssen wir uns um die konkreten Probleme des einzelnen kümmern. Bürokratie muß abgebaut und gestrafft werden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. — Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anonymer Sozialdemokrat! — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie können sich das Valiumzäpfchen bei mir abholen!)

    — Beruhigen Sie sich doch, Herr Fischer.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nehmen Sie einmal Nachhilfestunden bei Herrn Blüm!)

    — Herr Blüm braucht bei mir keine Zwischenfrage zu stellen; denn wir verstehen einander blind.

    (Heiterkeit bei der SPD — Beifall bei der CDU/CSU — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Norbert, wohin bist du gekommen?)

    Marktwirtschaftliche Sozialpolitik hilft den Schwachen. Sie setzt aber zugleich Anreize für die Hilfe zur Selbsthilfe und geht gegen die Ausbeutung der Sozialsysteme zum Schaden der Allgemeinheit vor.
    Auch im Bundeshaushalt 1995 wird jede dritte Mark für soziale Sicherung ausgegeben. Nicht in einem einzigen Haushalt, für den die SPD unter ihren Finanzministern Verantwortung trug, wurde prozentual so viel für Soziales ausgegeben, nicht in einem einzigen Haushalt von 1970 bis 1982.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

    — Ich freue mich, daß das eine lebendige Auftaktrunde ist. Ich hätte gar nicht gedacht, daß Sie nach Ihrer Niederlage bei der Bundestagswahl schon so munter sind. Sie haben sich offensichtlich rechtzeitig auf die Niederlage eingestellt.
    Wir müssen weiterhin konsequent prüfen, welche Aufgabengebiete der Staat der Zukunft in einer offenen Gesellschaft zu übernehmen hat und wie er die Aufgaben, die er übernehmen soll, ausführt. Die Effizienz der Staatstätigkeit muß gesteigert werden.
    Wenn wir von jedem Bürger und der Wirtschaft verlangen, flexibel und schnell auf Veränderungen im Markt zu reagieren, muß für den Staat das gleiche gelten. Unter dem Stichwort schlanker Staat wollen wir diese Probleme angehen. Wir wollen den Personaleinsatz in der Verwaltung zurückführen. Dabei haben wir uns ein klares Ziel gesteckt: Wir haben bereits seit 1993 den Personalbestand konsequent verringert.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vor allem bei den Staatssekretären!)

    Wir werden ihn auch künftig um jährlich ein Prozent verringern. Bis zum Ende des Jahrhunderts soll der Stand von 1989 erreicht werden.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Bei zunehmender Leistungskraft!)

    Zwischen 1991 und Ende 1995 werden 46 000 Stellen abgebaut. Weitere 10 000 folgen. Das sind dann bei Stellenkosten von durchschnittlich etwa 70 000 DM jährlich dauerhafte Einsparungen von gut 3,5 Milliarden DM.
    Bei den Verwaltungsausgaben, die immerhin ein Volumen von 30 Milliarden DM im Bundeshaushalt ausmachen, werden wir 1995 Pilotprojekte zur Erprobung flexibler Haushaltsverfahren starten.
    Die erfolgreiche Privatisierung in Ost und West wird weitergeführt. Ordnungspolitisch konsequent trennt sich der Staat mittelfristig von seinen Sondervermögen Bahn und Post. Die Privatisierung der Telekom ist die größte Privatisierungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dabei geht es nicht um Einnahmen für den Staat. Die Einnahmen, die er dadurch bekommt, werden wir für Gehaltszahlungen für die noch verbleibenden Beamten und für Pensionslasten benötigen. Damit ist dieser Bereich ein für allemal aus dem hoheitlichen Bereich heraus. Langfristig wird es bei Post und Bahn keine Beamten mehr geben. Es entstehen vom öffentlichen Ballast befreite, marktwirtschaftlich ausgerichtete High-Tech-Unternehmen, die ihren erfolgreichen Part auf den Weltmärkten spielen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    322 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Neben der Bilanz der Treuhand war es im Westen insbesondere der Einstieg in die endgültige, vollständige Privatisierung der Lufthansa, der von der internationalen Fachpresse als „deal of the year" gewürdigt wurde.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Im Osten werden die Nachfolgeeinrichtungen der Treuhandanstalt dafür sorgen, daß die erfolgreiche Privatisierung in den neuen Ländern weiter auf Kurs gehalten wird und Fehlentwicklungen im Einzelfall rasch korrigiert werden.
    Nicht benötigte Liegenschaften wird der Bund weiterhin rasch veräußern. Die bisher gewährten Verbilligungen werden aber auslaufen. Interessierte Länder und Kommunen sind jetzt gefordert, ihre Interessen zu konkretisieren und Verkäufe rasch abzuschließen. Der Bund will Familien mit Kindern beim Verkauf bundeseigener Grundstücke gegenüber anderen Kaufinteressenten bevorzugen. Hier werden wir im Verwaltungsweg zu attraktiven Lösungen für die Familien kommen.
    Wichtige Vorhaben in der Steuerpolitik stehen an. Dabei darf es keine Steuersenkungen auf Pump geben. Dennoch wäre es genauso verkehrt, mit der Steuersenkung erst bei Defiziten von Null zu beginnen. Wir werden den steuerpolitischen Aufgaben deshalb in der Finanzplanung Rechnung tragen. Dabei stehen die Sicherung des Existenzminimums und die Verbesserung des dualen Systems des Familienleistungsausgleichs im Vordergrund.
    Nach der deutlichen Unterschreitung des geplanten Defizits 1994 und 1995 werden wir 1996 etwa auf dem Niveau des Finanzplans bleiben. 1997 und 1998 werden die Defizite etwas höher als im Finanzplan liegen. Nach dem Vorliegen der mittelfristigen Steuerschätzung und der gesamtwirtschaftlichen Vorausschau werden wir mit dem Haushalt 1996 Mitte nächsten Jahres die genauen Zahlen kennen und den Finanzplan vorlegen.
    Insgesamt wird der Konsolidierungspfad jedenfalls nicht verlassen. Alle weiteren richtigen und sinnvollen Steuersenkungen müssen erst durch zusätzliche Konsolidierungserfolge verdient werden; sonst verkehrt sich ihre Wirkung ins Gegenteil.
    Die wichtigsten steuerpolitischen Aufgaben werden im Jahressteuergesetz 1996 angepackt. Ich möchte schon heute die Opposition im Bundestag und im Bundesrat auffordern, sich dieser für Deutschland zentralen Zukunftsaufgabe nicht mit Scheuklappen zu widersetzen. Das Thema ist zu wichtig, um es zu einem Wahlkampftheater werden zu lassen. Wir alle tragen Verantwortung für Deutschland. Es sollte hier zu einer Steuerkoalition der Vernunft kommen. Dabei biete ich Ihnen von meiner Seite eine unvoreingenommene Diskussion an.
    Mit dem von mir in der letzten Woche gemachten Vorschlag können wir die Steuerfreistellung des Existenzminimums verfassungskonform regeln. Damit wird die bis Ende 1995 geltende Übergangsregelung abgelöst. Mein Vorschlag hat vor allem die folgenden Vorzüge: Jeder wird entlastet; keiner wird belastet. 1,5 Millionen Haushalte fallen zusätzlich aus der Steuerpflicht heraus. Nach unvermeidlichen Belastungen in den letzten Jahren erfolgt 1996 mit einem Volumen von 15 Milliarden DM eine wichtige Entlastung aller Steuerzahler. Dies verstetigt die private Nachfrage und das Wirtschaftswachstum. Der Vorschlag ist leistungsgerecht und verteilungspolitisch ausgewogen. Höhere Einkommen werden prozentual am niedrigsten entlastet. Die niedrigen Einkommen werden am höchsten entlastet.
    Der Vorschlag ist auch finanzpolitisch ein zukunftsfähiger Weg; denn künftige Anpassungen des steuerfreien Existenzminimums führen zu wesentlich geringeren Steuerausfällen als alle anderen bisher bekannten Lösungen, wie z. B. der von Nordrhein-Westfalen vorgeschlagene Tarif.
    Die Neugestaltung des Einkommensteuertarifs enthält folgende Eckpunkte: Das Existenzminimum wird in Höhe von rund 12 000 DM für Ledige bzw. 24 000 DM für Verheiratete steuerfrei gestellt. Der bisherige Grundfreibetrag wird durch eine außertarifliche Steuerermäßigung, die sogenannte Grundentlastung, ersetzt. Diese Grundentlastung wird mit steigendem Einkommen abgebaut und läuft bei einem zu versteuernden Einkommen von rund 30 000 DM bei Ledigen bzw. 60 000 DM bei Verheirateten aus.
    Die tarifliche Grenzbelastung wird über die gesamte Progressionszone hinweg um 0,7 Prozentpunkte leistungsgerecht abgesenkt. Der linear-progressive Tarifverlauf bleibt erhalten.
    Diese Lösung hat folgende konkrete Auswirkungen: Ein verheirateter Alleinverdiener mit einem zu versteuernden Einkommen von 30 000 DM wird um rund 2 200 DM entlastet. Bei geringem Einkommen bis zum Existenzminimum von rund 12 000 DM bei Ledigen bzw. 24 000 DM bei Verheirateten wird die Steuerbelastung um 100 % gesenkt. Bei einem Spitzenverdiener ergibt sich eine Entlastung von weniger als 2 % der bisher zu tragenden Steuerschuld.
    Rund ein Viertel der Steuerzahler im unteren Einkommensbereich haben einen Entlastungsanteil von über 40 % am Gesamtvolumen. Auf die untere Hälfte der Steuerzahler entfällt ein Entlastungsanteil von rund 70 %.
    Die vorgeschlagene Lösung bewegt sich im Spielraum, den das Bundesverfassungsgericht einräumt. Auch der für 1996 vorgesehene Freistellungsbetrag von 12 095 DM bzw. 24 191 DM entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
    1995 stellen wir 11 500 DM frei, obwohl nur rund 11 000 DM erforderlich wären. Auch der Freistellungsbetrag für 1996 liegt über dem Existenzminimum und kann ebenfalls 1997 unverändert fortgelten. 13 000 DM sind jetzt nicht notwendig.
    Über Modelle mit einem größeren Finanzvolumen können wir selbstverständlich diskutieren, wenn gleichzeitig konsensfähige Vorschläge für eine Gegenfinanzierung unterbreitet werden. Diese Vorschläge müssen aber verteilungspolitisch ausgewogen sein und dürfen zu keiner Steuerkomplizierung führen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Der Kollege Schleußer ist zum Wortführer der SPD ernannt worden. Das begrüße ich. Dennoch, sein
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 323
    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Vorschlag ist weniger begrüßenswert. Er wirkt ab einem zu versteuernden Einkommen von 50 000 DM wie eine Ergänzungsabgabe. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit Sicherheit nicht gewollt.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

    Ich kann im übrigen auch nicht einsehen, wieso Sie sich unserer Lösung verschließen, die gerade die Geringverdiener besonders begünstigt. Es ist auch nicht so, daß wir den linear-progressiven Tarifverlauf aufgeben. Es macht wenig Sinn, sich durch eine Diskussion über punktuelle Grenzbelastungen den Blick für das Wesentliche zu versperren. Aus der Sicht der Steuerpflichtigen zählt letztlich das, was unter dem Strich übrigbleibt.
    Berücksichtigt man alle zusätzliche Transfers oder Belastungen, die für verschiedene Einkommensgruppen relevant sind, ergeben sich bei der Grenzbelastung ständig Abweichungen von einem Formeltarif. Unbeschritten bleibt: Absolut und relativ werden die unteren Einkommen am stärksten entlastet.
    Ich hoffe, wir können bei den anstehenden Verhandlungen konstruktiv zusammenwirken. Ich empfehle Ihnen, in diesem Zusammenhang einmal mit Ihrem früheren Kollegen Apel Kontakt aufzunehmen, der erst kürzlich in einem Interview deutlich gemacht hat, er halte diese Steuerpläne der Bundesregierung für richtig.
    Weitergehenden Kompensationswünschen der Bundesländer möchte ich gleich an dieser Stelle eine Absage erteilen. Es kann nicht sein, daß allein der Bund in der Pflicht zum Sparen ist. Die Länder sind durchaus in der Lage, weitere Einsparungen und Haushaltsverbesserungen vorzunehmen. Bereits jetzt haben wir eine finanzielle Schieflage zwischen Bund und alten Ländern, und zwar zu Lasten des Bundes. Die alten Länder und ihre Gemeinden werden 1995 wohl eine Defizitquote von 51/2 % erreichen. Trotz der Konsolidierungsanstrengungen wird sie beim Bund noch 12 % betragen.
    Meine Damen und Herren, die Familien sollen weiter entlastet werden. Dies ist ein Schwerpunkt der Politik der Bundesregierung. Der Kinderfreibetrag wird stufenweise auf das volle Existenzminimum eines Kindes angehoben, in einem ersten Schritt zum 1. Januar 1996 um rund 1 000 DM. Dafür wird es möglich, die Familientransferleistungen wie z. B. das Kindergeld ziel- und bedarfsgerecht auf einkommensschwache Familien mit mehreren Kindern zu konzentrieren.
    Unser besonderes Augenmerk gilt zukunfts- und wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen. Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch, auch wenn sich erste positive Signale zeigen. Zur Sicherung von Wachstum und Beschäftigung werden wir deshalb für 1996 die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform in Angriff nehmen. Die international einmalige Sonderbelastung der deutschen Unternehmen durch die Gewerbesteuer muß gesenkt werden. Nur so können wir im internationalen Wettbewerb den Standort Deutschland behaupten. Hochproduktive Arbeitsplätze sind nur mit einer ausreichenden Kapitalausstattung möglich. Deshalb
    muß die ertragsunabhängige Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wer sich dem verweigert, setzt die Zukunft unserer Arbeitsplätze in Deutschland aufs Spiel. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer wollen wir mit einer mittelstandsfreundlichen Entlastung bei der Gewerbeertragsteuer verbinden.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Eingebettet wird das Gesamtkonzept in eine Gemeindefinanzreform. Klar ist: Die Gemeinden müssen einen vollen Ausgleich erhalten.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Wie denn?)

    Sie sollen auch weiterhin ein Interesse daran haben, die Ansiedlung von Gewerbebetrieben und damit von Arbeitsplätzen zu fördern. Klar ist aber auch: Wie bei den vorhergehenden Stufen der Unternehmensteuerreform kommt auf Grund der haushaltspolitischen Situation nur eine aufkommensneutrale Gestaltung in Frage.

    (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wie?)

    Die Philosophie eines schlankes Staates muß auch für unser Steuersystem gelten. Das Steuersystem muß wieder einfach und transparent werden. Dies ist eine Forderung sowohl im Interesse der Steuerzahler als auch im Interesse der Steuerverwaltung.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wer regiert hier eigentlich?)

    — Die Steuergesetze sind zumeist durch den Vermittlungsausschuß gegangen. Sie sind eine Einigung zwischen der Koalition und der Opposition, also gemeinsam mit Ihnen gemacht. Wenn es — leider — zu Verkomplizierungen gekommen ist, tragen wir alle zusammen die Verantwortung.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die da drüben mehr!)

    Wir müssen das gemeinsam abbauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer regiert eigentlich?)

    Ich habe dazu im September ein Diskussionspaket vorgestellt. Die einzelnen Punkte des Diskussionspaketes werden wir eingehend erörtern, um sie in das Jahressteuergesetz 1996 zu integrieren.
    Ich möchte noch einmal betonen: Ich bin gerne bereit, unser Steuersystem nachhaltig zu reformieren. Ich rufe alle gesellschaftlichen Gruppen auf, nicht nur auf die Privilegien der anderen zu zeigen, sondern die eigenen in den Mittelpunkt zu rücken.
    Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Kohlepfennig erfordert jetzt von allen Beteiligten verantwortungsbewußtes Handeln. Über die Parteigrenzen hinweg muß ideologiefrei am Energiekonsens weitergearbeitet werden. Durch die jetzt zu treffenden Entscheidungen zur Kohlefinanzierung darf die Konsolidierungspolitik nicht gefährdet werden. Ziel der Neuregelung muß eine weitgehende
    324 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Bundesminister Dr. Theodor Waigel Belastungsneutralität für den Stromverbraucher sein.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, Friedrich Dürrenmatt hat gesagt: „Die Wirklichkeit ist nur veränderbar, insofern sie noch nicht ist. Wir können versuchen, die Zukunft zu beeinflussen. Das ist alles." In der Tat, es ist die vornehmste Aufgabe der Politik, die Zukunft zu gestalten. Die Bürger wollen klare Perspektiven, Lösungsvorschläge für drängende Probleme.

    (Zuruf von der SPD: Ja!)

    Wir haben uns für die Lösung der wesentlichen Wiedervereinigungsaufgaben den Zeitrahmen von zehn Jahren gesetzt. Nach diesem Maßstab ist jetzt Halbzeit. Fünf Jahre ohne Stacheldraht und Mauer liegen hinter uns. Ich denke, wir haben diese Halbzeit gut gespielt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In den neuen Ländern bleibt noch eine Menge zu tun, vieles aufzubauen, wie beispielsweise die Frauenkirche in Dresden, wofür wir eine Sondermünze prägen und den Erlös für diesen guten Zweck zur Verfügung stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Vielleicht ist es eine weniger gute deutsche Eigenschaft, sich über wirkliche Glücksfälle der Geschichte nicht recht freuen zu können. Dabei haben wir gerade jetzt allen Grund dazu. Wir brauchen unsere Einheit nicht protzig zu Markte zu tragen, aber auch nicht griesgrämig vor der Welt zu verstecken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir können dankbar und stolz darauf sein: Deutschland steht für immer auf der Seite der Freiheit, gegen Diktatur und Unterdrückung. Wir haben in Deutschland dazu beigetragen, ein menschenverachtendes System zur Geschichte werden zu lassen. Unsere Aufgabe ist es, diese Erfahrung in Europa einzubringen. Die tragenden Elemente der abendländischen Kultur, das Christentum und die Aufklärung, haben auch an der Schwelle eines neuen Jahrtausends nichts von ihrer Aktualität verloren.
    Die europäische Einigung muß kommen — nicht als europäischer Superstaat, sondern als föderale Gemeinschaft, in der aber die wichtigen Interessen und gemeinsamen Überzeugungen entschlossen und mit einer Stimme nach außen vertreten werden. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, mit dem Ende des Ost-West-Konflikts sei ein Europa überflüssig.
    Große Herausforderungen warten auf uns. Die Kirchen diskutieren den konziliaren Prozeß, Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung dieser Prinzipien müssen wir einen deutschen, einen europäischen Beitrag leisten. Wir können uns dabei kein kleines Karo leisten. Wer immer nur die Probleme und Schwierigkeiten sieht, wird die Zukunft nicht meistern.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was sagt Edmund Stoiber dazu?)

    Für uns gilt Immanuel Kants kategorischer Imperativ der Politik: „Du kannst, denn du sollst. " Mit Freude
    an der Gestaltung der Zukunft zu arbeiten, Verantwortung für Deutschland, Europa und die Welt wahrzunehmen, das, meine Damen und Herren, ist unser Programm.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich eröffne die Aussprache. Als erste nimmt das Wort die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Endlich zur Sache!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ingrid Matthäus-Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als erstes möchte ich gratulieren; denn zwischen der letzten und der heutigen Bundestagssitzung gab es für den Finanzminister ein bedeutsames persönliches Ereignis: Er und Frau Irene Epple haben geheiratet. Meine Fraktion gratuliert Ihnen recht herzlich und wünscht Ihnen alles Gute und ein bißchen mehr Muße.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie werden aber verstehen, Herr Waigel, daß ich jetzt zu etwas weniger lobenswerten Seiten von Ihnen kommen muß, denn der Bundeshaushalt 1995 liegt heute zur Diskussion vor.
    Zu Beginn dieser 13. Legislaturperiode stellen sich der Finanzpolitik insbesondere vier Hauptaufgaben: erstens Umschichtung im Bundeshaushalt zugunsten von Zukunftsinvestitionen für neue Arbeitsplätze in Ost und West, für die Förderung von Wissenschaft, moderner Technologie und Ausbildung; zweitens Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, damit wir durch Sparen und Umschichten aus der Schuldenfalle herauskommen; drittens steuerliche Entlastung der viel zu hoch besteuerten Familien mit Kindern; viertens steuerliche Freistellung des Existenzminimums.
    Der Entwurf des Bundeshaushaltes 1995 und Ihre anderen Vorschläge geben leider auf keines dieser drängenden Probleme eine befriedigende Antwort.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Bierstedt [PDS])

    Durchwursteln ist die Devise. Der vom Bundeskanzler angekündigte Aufbruch in die Zukunft findet nicht statt. Forschung und Technologie kommen zu kurz. Der Bund steckt in einer 100-Milliarden-Zinsfalle. Die Familien mit Kindern müssen sich wieder einmal mit schönen Worten abspeisen lassen und werden auf 1996 vertröstet. Bei den Vorschlägen zur Steuerfreiheit des Existenzminimums werden die kleinen und mittleren Einkommen viel zu gering entlastet.
    Wir hatten gehofft, Sie würden den Beginn der neuen Legislaturperiode zu einem finanzpolitischen Neuanfang nutzen. Wir sehen mit Bedauern, daß Sie diese Chance verpaßt haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Bierstedt [PDS])

    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 325
    Ingrid Matthäus-Maier
    Der Bundeskanzler hat einen Aufbruch in die Zukunft angekündigt. Zu diesem Zweck hat er das Ministerium für Forschung und Technologie und das Ministerium für Bildung und Wissenschaft zusammengelegt zu einem sogenannten Zukunftsministerium. Dieses begrüßen wir. Wir wünschen Herrn Minister Rüttgers für sein schweres und wichtiges Amt eine gute Hand.
    Aber entgegen allen Erwartungen hat der Herr Bundeskanzler bei diesem sogenannten Zukunftsministerium nicht etwa eine halbe oder eine Milliarde DM draufgelegt; real nimmt dieser Haushalt sogar ab. Schon die erste Feuerprobe hat der sogenannte Zukunftsminister nicht bestanden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Dem neuen Ministerium einen schönen Titel zu geben statt mehr Geld, damit ist der Zukunftssicherung Deutschlands mit Sicherheit nicht gedient.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Bierstedt [PDS])

    Der bekannte Unternehmensberater Roland Berger sagte erst vor wenigen Tagen: „Ohne Innovationen geht Deutschland die Arbeit aus." Aber wo bleiben bei Ihnen die Innovationen? Wo bleibt denn die von Ihrem bisherigen Forschungsminister landauf, landab in Aussicht gestellte steuerliche Förderung für Unternehmen, die in Forschung und Technologie investieren? Wo bleibt die dringend notwendige Förderung des Mittelstandes?
    Die Forschungslandschaft in Ostdeutschland verkümmert. Der Anteil von Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie am Gesamthaushalt ist weiter zurückgegangen. Ein Bundeskanzler aber, der wie Helmut Kohl den Anteil des Forschungshaushaltes am Bundeshaushalt auf das niedrigste Niveau seit 20 Jahren fallen läßt, sollte das Wort Wirtschaftsstandort Deutschland überhaupt nicht mehr in den Mund nehmen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Bierstedt [PDS])

    Wo bleibt die dringend notwendige Anpassung der Ausbildungsförderung? Unser Land ist ein rohstoffarmes Land. Unser Rohstoff, die Grundlage unseres Wohlstandes sind die Ausbildung, die Leistungsbereitschaft und das Engagement der Menschen. Wir setzen uns daher für eine Erhöhung des BAföG um 4 % ein, was nach zweijähriger Pause nun wirklich nicht maßlos ist und was der Vermittlungsausschuß fast einstimmig beschlossen hat.
    Man muß doch wissen: Wer das BAföG vernachlässigt, verlängert die Studienzeiten, weil sich die Studenten dann etwas hinzuverdienen müssen. Wir brauchen aber kürzere und nicht längere Studienzeiten, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Bierstedt [PDS])

    Wir hätten auch gern gewußt, wie Sie die Meisterkurse im Handwerk wieder fördern wollen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Erst Ende 1993 haben Sie die Meisterfortbildung im Arbeitsförderungsgesetz zerschlagen — angesichts der enormen Bedeutung unseres dualen Ausbildungssystems ein schwerer Fehler. Wenn Sie das jetzt korrigieren wollen, stimmen wir zu. Es wird nämlich Zeit, daß Sie die Teilnehmer an Techniker- und Meisterkursen nicht mehr länger finanziell im Regen stehenlassen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sagen Sie nicht, Sie hätten dafür kein Geld. Allein in 1995 erhöhen Sie den Verteidigungshaushalt um 670 Millionen DM. Nicht nur, daß Sie nach dem Ende des Kalten Krieges viel zu spät begonnen haben, im Verteidigungshaushalt einzusparen; jetzt soll damit schon wieder Schluß sein. In Zeiten seines höchsten Standes machte der Verteidigungshaushalt 54 Milliarden DM aus. Erst nach langem Drängen und zögerlichem Schritt für Schritt haben Sie ihn auf 47,2 Milliarden DM gekürzt. Jetzt soll er bereits wieder ansteigen.
    Soll das denn schon die ganze Friedensdividende gewesen sein, meine Damen und Herren? Nein, wenn Sie schon nicht bereit sind, hier weiter zu kürzen — was eigentlich notwendig wäre —, dann legen Sie doch wenigstens die 670 Millionen DM nicht beim Verteidigungshaushalt, sondern beim sogenannten Zukunftshaushalt obendrauf.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Es ist auch kein Zeichen von Zukunftsorientierung, daß die Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit Jahr für Jahr zurückgehen: 1993 560 000, 1994 450 000, 1995 geplant 435 000 DM. Der Verwaltungsrat der Bundesanstalt will 510 000 DM. Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, diesem Vorschlag des Verwaltungsrates zu entsprechen. Denn die Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit sind ein wichtiger Bestandteil zur Bekämpfung der nach wie vor viel zu hohen Arbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie fragen uns: Wie wollen Sozialdemokraten diese aktive Arbeitsmarktpolitik bezahlen? Ja, wollen Sie denn behaupten, daß Arbeitslosigkeit kein Geld kostet? Die Bundesanstalt für Arbeit beziffert allein für 1993 die Kosten der Arbeitslosigkeit auf insgesamt 116 Milliarden DM. Hinzu kommen Langzeitarbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, die Arbeitslosigkeit von Menschen, denen man mit Mitte 40 sagt: Eigentlich können wir dich überhaupt nicht mehr gebrauchen. Das ist vor allem ein persönliches Schicksal, ein Schicksal, das oft die ganze Familie trifft, auch die Kinder.
    Wissen Sie denn nicht, daß in diesem Lande eine Million Kinder von der Sozialhilfe abhängig sind?
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    Ingrid Matthäus-Maier
    Wissen Sie nicht, daß sich immer wieder Kinder bei Klassenfahrten krank melden, weil den Eltern das Geld fehlt? Massenarbeitslosigkeit ist außerdem ein gefährlicher Nährboden für Rechtsradikalismus, für wachsende Gewaltbereitschaft und Ausländerfeindlichkeit.
    Wenn Sie all das zusammennehmen, die unmittelbaren Kosten und die Folgen, dann stellt Massenarbeitslosigkeit die größte volkswirtschaftliche Verschwendung dar. Wir müssen endlich Arbeit finanzieren statt erzwungene Arbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Notwendig ist es dann z. B. auch, die viel zu hohen Lohnnebenkosten dadurch zu senken, daß man nicht mehr den Beitragszahlern in zweistelliger Milliardengröße — wie durch diese Bundesregierung geschehen — Kosten für Aufgaben aufbürdet, bei denen es sich um allgemeine staatliche Aufgaben handelt, an denen sich alle beteiligen müßten. Alle fordern dies: die Gewerkschaften, die Unternehmer, die Fachleute. Es wird Zeit, daß die Bundesregierung für diese Art Senkung der Lohnnebenkosten endlich konkrete Vorschläge macht.

    (Beifall bei der SPD)

    Daß dieser Haushalt nicht zukunfts-, sondern vergangenheitsorientiert ist, zeigt sich auch an anderer Stelle. Die Ausgaben für Energieeinsparprogramme und regenerierbare Energiequellen nehmen nicht etwa zu, sondern sie nehmen ab.

    (Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

    Das ist schlecht für die Umwelt, und das ist auch schlecht für die Arbeitsplätze.
    Ein Beispiel: Die Japaner hatten ein 70 000-
    Dächer-Solarenergieprogramm. Wir in Deutschland hatten dagegen nur ein Miniprogramm. Da braucht sich doch keiner zu wundern, daß ein Solarenergieauftrag der Saudis über mehrere hundert Millionen DM an die Japaner ging, weil die in dieser Frage einfach weiter sind. Ich bin aber der festen Überzeugung: Nicht das Land, das die besten U-Boote und die besten Panzer, sondern das Land, das die besten Energieeinspar- und Umweltschutztechnologien produziert und exportiert, wird im Jahr 2000 weltweit die Nase vorn haben.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das eine schließt das andere nicht aus!)

    Auch in Deutschland haben wir längst nicht alle Energieeinsparpotentiale ausgeschöpft.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zum Beispiel die Kernkraftwerke!)

    Ich darf daran erinnern, daß wir in den 70er Jahren ein sehr erfolgreiches Programm zum Einbau von Doppelfenstern aufgelegt haben. Mit Hilfe eines Zuschusses haben damals Hunderttausende von Menschen Doppelfenster eingebaut, Energie gespart und Arbeitsplätze geschaffen — ein besonders gutes Beispiel für die Verbindung von Arbeit und Umwelt.
    Wenn Sie endlich bereit wären, einen Teil der rund 700 Millionen DM, die Sie in Ihrem Bundeshaushalt noch immer für die Kernenergie vorsehen, in entsprechende Energieeinsparprogramme umzuschichten, dann hätten wir dafür auch das Geld.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS — Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

    Daß es auch anders geht, zeigt z. B. das Land Hessen. Dort sind binnen zwei Jahren die Fördermittel für Energieeinsparmaßnahmen auf 110 Millionen DM fast verdoppelt worden; die Vorgängerregierung der CDU gab nur 60 Millionen DM aus.
    Auch in der Steuerpolitik werden Sie an einer Stärkung des Umweltgedankens nicht vorbeikommen. Der Kanzler sagt, dieses Land müsse fit gemacht werden für das 21. Jahrhundert. Da hat er sicher Recht. Aber dazu gehört dann doch z. B. auch eine ökologische Steuerreform. Wir Sozialdemokraten hatten konkrete Vorschläge gemacht, wie man die Lohnsteuerzahler entlastet und gleichzeitig die Energie verteuert. Wären Sie unseren Vorschlägen gefolgt, wären die Nettolöhne höher und wäre das Existenzminimum schon heute steuerfrei. Statt dessen haben Sie uns beschimpft, gleichzeitig aber die Mineralölsteuer um sage und schreibe 55 Pfennig je Liter erhöht,

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!)

    ohne die Lohn- und Einkommensteuer zu senken, was wir als Sozialdemokraten vorgesehen hatten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ein solches phantasieloses Abkassieren ist keine Reformpolitik.
    Auch wenn Sie heute hundertmal nein zur ökologischen Steuerreform sagen: Sie ist richtig, sie wird kommen. Mittlerweile unterstützen auch Teile der Wirtschaft sie. Hier paßt das berühmte Wort von Willy Brandt wirklich besonders gut: „Wer morgen sicher leben will, muß heute für Reformen sorgen. " Die ökologische Steuerreform gehört dazu.

    (Beifall bei der SPD)

    Warum können Sie mit uns eigentlich nicht kleine Schritte in die richtige Richtung machen, so z. B. die Kilometerpauschale durch eine Entfernungspauschale ersetzen, die jedem Arbeitnehmer zur Verfügung steht, egal wie er sich zu seinem Arbeitsort begibt? Das wäre ein wirksamer Anreiz für die Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs oder für die Bildung von Fahrgemeinschaften,

    (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Habt Ihr schon einmal etwas von Steuervereinfachung gehört?)

    weil dann jeder Beifahrer seine Entfernungspauschale erhielte. Übrigens wäre das auch ein wichtiger Beitrag zur Vereinfachung des Steuerrechts.

    (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Von wegen!)

    Und warum gibt es eigentlich immer noch eine Mineralölsteuerbefreiung für Flugbenzin, für die
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    Ingrid Matthäus-Maier
    gewerbliche Binnenschiffahrt oder die Gasölbetriebsbeihilfe? Einen Teil davon wird man nur auf europäischer Ebene regeln können, aber man muß es endlich anpacken.

    (Beifall bei der SPD)

    Außerdem zeigen diese Beispiele, daß Umweltschutz nicht immer nur Geld kosten muß, sondern durchaus auch Geld bringt. Daß das Bundesverfassungsgericht Sie durch die Entscheidung zum Kohlepfennig, den es als verfassungswidrig eingestuft hat, zwingt, endlich ernsthafter als bisher an die Energiesteuer heranzugehen, ist sicher zu begrüßen.
    Da wir gerade bei der Kohle sind: Daß Sie die Zweidrittelbeteiligung des Bundes an der Kokskohlenbeihilfe im Haushalt 1995 auf 50 % herunterfahren, ist ein Verstoß gegen die Kohlerunde 1991. Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie diesen Vertrauensbruch gegenüber den Arbeitnehmern in der Montanindustrie und ihren Familien zurück!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Was die dringend notwendige Konsolidierung des Bundeshaushaltes angeht, so ist das Ergebnis auch außerordentlich mager. Sie sagen, Ihr Haushalt sei ein Sparhaushalt, weil er nur um 0,9 % steige; Sie haben das eben wiederholt. Das liegt doch aber nur an einer Bilanzierungsänderung. Knapp 30 Milliarden DM des Bundes für die neuen Länder wurden in 1994 auf der Ausgabenseite verbucht, während sie 1995 als Steuermindereinnahmen außen vor bleiben. Wenn man dies berücksichtigt, dann beträgt die Steigerungsrate Ihres Haushaltes mehr als 7 % statt der ausgewiesenen 1 %. Mit Sparen hat das nichts zu tun.
    Herr Waigel, da Sie mir das nicht abnehmen, darf ich einmal die „Welt", die uns ja nun nicht gerade nahesteht, von heute morgen zitieren. Dort heißt es in einer Überschrift: „Ein Stabilitätshaushalt, der nur so aussieht, aber keiner ist". Recht hat die „Welt", meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Dann ist Herr Waigel stolz, daß die Neuverschuldung um etwa 10 Milliarden DM geringer ausfällt als vorgesehen. Das begrüßen wir ausdrücklich.

    (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.])

    Aber auch dies hat doch mit echter Konsolidierung nichts zu tun.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist es!)

    Denn zum einen hat sich der Finanzminister den Trick einfallen lassen, durch eine Vorverlegung des Fälligkeitstermins bei der Mineralölsteuer zum Jahresende einmalig das Steueraufkommen 1995 um 2,6 Milliarden DM zu liften. Zum anderen werden 13 Milliarden DM durch Privatisierungen erzielt. „Waigels einmaliger Geldsegen", schreibt die „Wirtschaftswoche".
    Aber sparen kann man das doch nun wirklich nicht nennen, Herr Waigel.

    (Beifall bei der SPD — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Versilbern nennt man so etwas! — Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Dann machen Sie doch wenigstens bei unseren Sparvorschlägen mit!)

    Außerdem sind die vorgesehenen 58,6 Milliarden DM an neuen Schulden angesichts einer guten Konjunktur auch nicht gerade ein Pappenstiel. Von den beiden letzten Jahren abgesehen ist das die dritthöchste Neuverschuldung des Bundes.

    (Zurufe von der SPD: Ja! — Richtig!)

    Wenn Sie einmal keinen neuen Schuldenrekord aufstellen, dann ist das doch kein Grund, das gleich als Haushaltskonsolidierung zu feiern, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Wie ernst selbst in Regierungskreisen die Finanzlage des Staates eingeschätzt wird, hat doch erst jüngst ein Papier aus dem Bundeskanzleramt gezeigt, das dringend vor einem 30-Milliarden-Loch gewarnt hat. Dieses Papier stammt doch aus dem Bundeskanzleramt, nicht von Sozialdemokraten!

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Kohl hat das gemacht!)

    Wenn der Herr Bundesbankpräsident Tietmeyer wenige Tage vor den Haushaltsberatungen mahnt, eine Besserung in der mittelfristigen Finanzplanung sei nicht zu erkennen und der Ausstieg aus der — so wörtlich — „Verschuldungsfalle" dürfe nicht scheitern, dann ist das nun wirklich ein Alarmzeichen.
    Die Finanzkrise des Staates hat mittlerweile dramatische Ausmaße angenommen: ein öffentlicher Schuldenberg von insgesamt 2 Billionen DM, davon 1,4 Billionen DM — das sind 70 % — allein beim Bund. Die Verschuldung pro Kopf der Bevölkerung beträgt zum Jahresende insgesamt etwa 27 000 DM. Das heißt, Ende 1995 wird eine vierköpfige Familie eine Staatsschuld in Höhe von 108 000 DM auf dem Buckel haben.
    Eine Politik, die über einen dauernden Anstieg der öffentlichen Gesamtverschuldung zugleich auch den ständigen Anstieg der Zinsbelastung billigend in Kauf nimmt, verzichtet aber darauf, die Zukunft aktiv zu gestalten, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Das ist ja das Entscheidende: Auch diejenigen, die sagen, die Investitionsquote sei doch hoch, und das mache man ja alles für die Zukunft, dürfen nicht vergessen, daß diese enorme Verschuldung zu einer enormen Zinsbelastung führt. Auf diese Schulden zahlt nämlich allein der Bund 1995 fast 100 Milliarden DM an Zinsen. Das ist ein Viertel aller Steuereinnahmen des Bundes. Ich darf Sie daran erinnern, daß das Bundesverfassungsgericht bei anderer Gelegenheit eine Zins-Steuer-Quote von 24 % als Haushaltsnotlage bezeichnet hat. Das schreiben Sie sich einmal
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    Ingrid Matthäus-Maier
    hinter die Ohren, Herr Waigel: Eine Haushaltsnotlage des Bundes wäre die Folge!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Die gesamte öffentliche Hand, also die anderen Gebietskörperschaften und die Nebenhaushalte dazugenommen, zahlt 1995 145 Milliarden DM an Zinsen. Zum Vergleich: Der ganze Bundeshaushalt für Umwelt beträgt 1,4 Milliarden DM. Obwohl der Staat in jeder Minute 1,6 Millionen DM an Steuern einnimmt, macht er zusätzlich in jeder Minute 340 000 DM neue Schulden und zahlt für seine Schulden in jeder Minute 280 000 DM Zinsen. Meine Damen und Herren, das muß uns doch parteienübergreifend besorgt machen: in jeder Minute 280 000 DM Zinsen! Wenn diese Entwicklung nicht gestoppt wird, dann versündigen wir uns an den nachfolgenden Generationen, weil die dann kein Geld mehr haben werden, um Politik zu machen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die stoppen wir ja, allerdings gegen Ihren Widerstand!)

    Noch bedrohlicher als der Schuldenstand ist die Dynamik der Staatsverschuldung. Alle 13 Finanzminister in den 40 Jahren von 1949 bis zur Amtszeit von Herrn Waigel haben in diesen Jahren zusammen nicht soviel neue Schulden wie der Herr Waigel allein in den fünf Jahren seiner Amtszeit gemacht.

    (Zurufe von der SPD: Hört! Hört! — Zuruf von der CDU/CSU: Er hat auch die Einheit gemanagt!)

    Da Sie, Herr Bundesfinanzminister, zugleich CSU- Vorsitzender sind, darf ich Ihnen eine CSU-Wahlkampfanzeige gegen den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt aus dem Jahr 1980 in Erinnerung bringen. Darin hieß es wörtlich:
    Endstation Staatsbankrott: Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte liegt jetzt annähernd bei der Ziffer, welche uns Hitler als Ergebnis seines Wahnsinnskrieges hinterlassen hatte, bei über 400 Milliarden DM.

    (Zurufe von der SPD: Hört! Hört! — Unglaublich!)

    Herr Waigel, abgesehen davon, daß dieser Vergleich absolut geschmacklos war, will ich hier einmal die Zahlen darstellen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Als Helmut Schmidt von Ihnen gestürzt wurde,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Der Arme Helmut!)

    betrug nach zwei Erdölkrisen die Verschuldung des Bundes 390 Milliarden DM. Heute beträgt die Verschuldung des Bundes 1 400 Milliarden DM. Sie haben während der Amtszeit Ihres Bundeskanzlers die Verschuldung des Bundes um 1 Billion DM erhöht. Meinen Sie nicht, daß es langsam an der Zeit wäre,
    sich bei Helmut Schmidt öffentlich zu entschuldigen, meine Damen und Herren?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Da wir gerade beim Entschuldigen sind: Wissen Sie noch, wie Sie Helmut Schmidt mit dem angeblichen Pleitenrekord gejagt haben? Gestern konnten wir lesen: über 20 000 Pleiten allein in den alten Bundesländern, unter Ihrer Bundesregierung!

    (Zuruf von der SPD: In einem Jahr!)

    Da finde ich, daß Sie einmal in sich gehen und merken sollten, wie unfair Sie den ehemaligen Bundeskanzler behandelt haben.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Der arme Herr Schmidt!)

    Die Schulden, so sagt die Bundesregierung, seien die notwendigen Folgen der deutschen Einheit. Das ist nun wirklich nicht zutreffend. Niemand bestreitet, daß die deutsche Einheit eine so große Herausforderung darstellt, daß sie vorübergehend eine höhere Nettokreditaufnahme rechtfertigt. Selbstverständlich! Aber das konnte doch kein Freibrief für eine so maßlose Staatsverschuldung sein. Der Herr Bundeskanzler sagt heute dazu gerne beschwichtigend, alle hätten sich damals getäuscht. Nein, meine Damen und Herren, diese Geschichtsklitterung lassen wir nicht zu.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich darf daran erinnern, daß es schließlich Sozialdemokraten waren, die bereits im Wahlkampf 1990 mit Entschiedenheit darauf hingewiesen haben, daß die deutsche Einheit dreistellige Milliardenbeträge kosten würde, was von Ihnen immer als Horrorzahl zurückgewiesen wurde. Aber unsere angeblichen Horrorzahlen sind doch von der Wirklichkeit längst übertroffen worden. Es mag sein, daß sich der Herr Bundeskanzler über das Gesamtvolumen der Kosten getäuscht hat, aber in erster Linie hat der Herr Bundeskanzler nicht sich getäuscht, sondern er hat die Wähler getäuscht, als er vor der Wahl sagte: keine Steuererhöhungen für die deutsche Einheit, und danach kamen die größten Steuer- und Abgabenerhöhungen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Daß diese enorme Staatsverschuldung nicht zwangsläufige Folge der deutschen Einheit war, sieht man an drei einfachen Beispielen:
    Erstens. Hätten Sie nicht schlimme wirtschaftspolitische Fehler bei der deutschen Einheit gemacht, wären die Kosten zweifellos geringer gewesen. Jedermann in diesem Lande weiß, daß allein die unselige Eigentumsregelung — Rückgabe vor Entschädigung Investitionen um Jahre verzögert und damit zu Milliardenverlusten geführt hat.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

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    Ingrid Matthäus-Maier
    Zweitens. Hätten Sie früher, wie von uns gefordert, beim Verteidigungshaushalt zu kürzen begonnen, dann hätten auch Milliarden gespart werden können.
    Drittens. Hätte die Bundesregierung den Solidaritätszuschlag nicht Mitte 1992 auslaufen lassen, sondern ihn, wie alle Experten und auch meine Partei gefordert hatten, für Einkommen oberhalb einer Grenze von 60 000 DM bei Ledigen bzw. 120 000 DM bei Verheirateten auch für die Jahre 1993 und 1994 beibehalten, dann hätte uns das allein 40 bis 50 Milliarden DM Schulden erspart. Das wären schon jetzt ein paar Milliarden DM weniger Zinsen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Nein, die Schuldenfalle, in der wir sitzen, ist in großem Maße hausgemacht. Warum war es z. B. nicht möglich, in Zeiten guter Welt- und Binnenkonjunktur in den 80er Jahren den Schuldenstand wenigstens einmal abzubauen, statt ihn ständig auszuweiten? Warum konnten nicht wenigstens die über 130 Milliarden DM Bundesbankgewinne, von denen Sie versprochen hatten, nie und nimmer würden Sie sie kassieren, nicht voll und ganz in den Abbau der Staatsverschuldung gesteckt werden?
    Nein, am Sparen, am Kürzen, am Gürtel-engerSchnallen, führt kein Weg vorbei. Aber Vorsicht: Unter dieser Bundesregierung fordern meist diejenigen dazu auf, den Gürtel enger zu schnallen, die selber Hosenträger anhaben. Das kann nicht funktionieren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sparen ist nur dann glaubwürdig, wenn es dabei gerecht zugeht. Ich nenne nur zwei Beispiele, wie man nicht sparen darf:
    Das eine Beispiel: Das Kürzungspaket dieser Bundesregierung in Höhe von 20 Milliarden DM vom letzten Jahr, bei dem der Herr Bundeskanzler, der Herr Bundesfinanzminister und die Frau MatthäusMaier nicht eine einzige Mark zu den Kürzungen beitragen mußten, wohl aber Arbeitslose, Familien mit Kindern und Sozialhilfeempfänger zur Kasse gebeten wurden, ein solches Kürzungspaket ist nicht gerecht und daher unglaubwürdig — und eine Regierung, die es vorlegt, auch.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Oder: Ein Bundeskanzler, der den schlanken Staat verordnet,

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Er hat auch Hosenträger!)

    dann zwei Ministerposten einspart — was wir begrüßen —, aber zugleich das Heer der Staatssekretäre wieder um eine Stelle vergrößert, ein solcher Bundeskanzler ist ebenfalls nicht glaubwürdig.
    Was meinen Sie eigentlich, was die Mitarbeiter der Bundesverwaltung über die Vorbildfunktion einer Regierung denken, wenn diese Regierung der Bundesverwaltung eine Schrumpfkur von 1 % Personalabbau pro Jahr verordnet, selber aber mit einer Mammutriege von über 70 Regierungsmitgliedern in die neue Legislaturperiode geht: ein Kanzler, 17 Minister und ein Heer von über 50 Staatssekretären? Mein Eindruck ist: Die Größe dieser Regierung steht in umgekehrtem Verhältnis zu der Qualität ihrer Arbeit. Deswegen sollten Sie da endlich abspecken.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Sparen heißt außerdem, daß man nicht Dinge anschafft, für die man kein Geld hat. Damit bin ich beim Jäger 90.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Endlich!)

    Sie sagen: Oje, oje, jetzt kommt die Frau MatthäusMaier mit dem Jäger 90! Aber ich sage Ihnen: Wir können doch nicht aufhören, das Richtige zu fordern, nur weil Sie nicht aufhören, das Falsche zu tun.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Schon die Billigversion des Jäger 90 soll 100 Millionen DM pro Stück kosten. Übrigens, wie Herr Rühe so argumentiert, hat man das Gefühl, man würde sich geradezu ein Schnäppchen entgehen lassen, wenn man nicht ein Flugzeug für 100 Millionen DM pro Stück kauft.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Winterschlußverkauf!)

    Für einen einzigen Jäger 90 könnte man 1 000 Sozialwohnungen bauen. Da kann ich nur sagen: Wir brauchen endlich ausreichend Sozialwohnungen und haben kein Geld für den Jäger 90, und dabei bleibt's!

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Das Verschieben von Kosten auf andere öffentliche Haushalte ist auch kein Sparen, sondern ein finanzpolitisches Schwarzer-Peter-Spielen. Dazu gehört der Vorschlag der Bundesregierung zur Kürzung der Arbeitslosenhilfe. Damit würden Hunderttausende von Langzeitarbeitslosen in die Sozialhilfe geschoben und Kosten von vier bis sechs Milliarden DM auf die Gemeinden verlagert.

    (Zurufe von der SPD: Richtig!)

    Eine solche Politik der Verschiebebahnhöfe lehnen wir ab. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie Probleme lösen, aber nicht, daß Sie die Probleme weiterschieben nach dem Motto: Bundeshaushalt saniert, Gemeindefinanzen ruiniert.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Zu einer soliden Finanzpolitik gehört auch, daß der Staat die Steuern, die ihm zustehen, wirklich erhebt und Steuerhinterziehung und Mißbräuche bekämpft.

    (Beifall bei der SPD)

    330 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Ingrid Matthäus-Maier
    Darauf haben die ehrlichen Steuer- und Beitragszahler ein Recht, weil sonst die Ehrlichen durch höhere Steuern und Beiträge für die Mißbräuche und Steuerhinterziehungen der Unehrlichen mitbezahlen müssen. Wenn der Staat nicht entschlossen gegen Mißbrauch vorgeht, untergräbt er auch die Akzeptanz des Steuer- und Abgabensystems. Mißbrauch muß also bekämpft werden — das sage ich nicht erst seit heute —, auch im sozialen Bereich.
    Allerdings geht diese Aufforderung nicht nur an Arbeitnehmer, sondern auch an Arbeitgeber. Der größte Teil des Sozialmißbrauchs kann doch überhaupt nur funktionieren, weil Arbeitgeber z. B. bei illegaler Beschäftigung oder bei Schwarzarbeit aktiv beteiligt sind, wie der Bericht der Bundesregierung über Mißbrauch in der Arbeitsverwaltung vor wenigen Monaten erst gezeigt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Außerdem muß die Bundesregierung viel entschlossener als bisher gegen Steuerhinterzieher und Subventionsbetrüger vorgehen, zumal die Summen, um die es hier geht, den Mißbrauch im Sozialbereich bei weitem in den Schatten stellen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wenn der Baulöwe Schneider, wie in den Zeitungen zu lesen, jahrelang keine Steuern gezahlt hat, wenn Herr Flick nach Österreich geht, um sich seiner Steuerpflicht in Deutschland zu entziehen,

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Unglaublich!)

    wenn Fußballprofis nach Belgien umziehen, um in den Genuß der geringeren Pauschalbesteuerung zu geraten, und Fernsehmoderatoren ihnen folgen, wenn außerdem noch die Bundesregierung diese Steuerschlupflöcher nicht schließt, dann unterhöhlt das die Steuermoral in diesem Lande.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)