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    Plenarprotokoll 13/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. November 1994 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde, für die Aktuellen Stunden sowie der Vereinbarung über die Befragung der Bundesregierung in der Sitzungswoche ab 12. Dezember 1994 259 A Tagesordnungspunkt: Regierungserklärung des Bundeskanzlers (Fortsetzung der Aussprache) Wolfgang Thierse SPD 259 B Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBWFT 263 A Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 267 A Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. 268B Hans-Werner Bertl SPD 270 B Eckart Kuhlwein SPD 270 C Dr. Ludwig Elm PDS 271 A Dr. Peter Glotz SPD 272 D, 282 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern) 276 B, 283 A Dr. Peter Glotz SPD 277 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 277 D Horst Kubatschka SPD 278 A Jörg Tauss SPD 279 C Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 281 A Achim Großmann SPD 283 D Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU 287 B Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 288 C Otto Reschke SPD 289 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 289 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 290 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 292 C Klaus-Jürgen Warnick PDS 294 B Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 295 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 296 D Achim Großmann SPD 297 B Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU 299 A Elke Ferner SPD 300 A Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 301 B Matthias Wissmann, Bundesminister BMV 303 D Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 305 C Manfred Grund CDU/CSU 306 C Horst Friedrich F.D.P. 307 B Dr. Dagmar Enkelmann PDS 309 D Nächste Sitzung 310 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 311* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu dem Tagesordnungspunkt: Regierungserklärung des Bundeskanzlers (Fortsetzung der Aussprache) Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister BMPT 311* C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 312* D Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. November 1994 259 7. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. November 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Vergleiche Anlage 2 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Austermann, Dietrich CDU/CSU 25. 11. 94 Bachmaier, Hermann SPD 25. 11. 94 Beucher, Friedhelm SPD 25. 11. 94 Julius Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 25. 11. 94 Burchardt, Ulla SPD 25. 11. 94 Buwitt, Dankward CDU/CSU 25. 11. 94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 25. 11. 94 90/DIE GRÜNEN Gleicke, Iris SPD 25. 11. 94 Graf (Friesoythe), Günter SPD 25. 11. 94 Frhr. von Hammerstein, CDU/CSU 25. 11. 94 Carl-Detlev Hasenfratz, Klaus SPD 25. 11. 94 Heym, Stefan PDS 25. 11. 94 Dr. Hö11, Barbara PDS 25. 11. 94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 25. 11. 94 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 25. 11. 94 Iwersen, Gabriele SPD 25. 11. 94 Janssen, Jann-Peter SPD 25. 11. 94 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 25. 11. 94 Kanther, Manfred CDU/CSU 25. 11. 94 Kastning, Ernst SPD 25. 11. 94 Kirschner, Klaus SPD 25. 11. 94 Labsch, Werner SPD 25. 11. 94 Leidinger, Robert SPD 25. 11. 94 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 25. 11. 94 Erich Mante, Winfried SPD 25. 11. 94 Matschie, Christoph SPD 25. 11. 94 Meckel, Markus SPD 25. 11. 94 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 25. 11. 94 Neumann (Berlin), Kurt SPD 25. 11. 94 Neumann (Gotha), SPD 25. 11. 94 Gerhard Nickels, Christa BÜNDNIS 25. 11. 94 90/DIE GRÜNEN Peters, Lisa F.D.P. 25. 11. 94 Dr. Pfaff, Martin SPD 25. 11. 94 Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 25. 11. 94 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 25. 11. 94 Hermann Saibold, Hannelore BÜNDNIS 25. 11. 94 90/DIE GRÜNEN Schaich-Walch, Gudrun SPD 25. 11. 94 Dr. Scheer, Hermann SPD 25. 11. 94 * Schindler, Norbert CDU/CSU 25. 11. 94 Schumann, Ilse SPD 25. 11. 94 Dr. Solms, Hermann Otto F.D.P. 25. 11. 94 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 25. 11. 94 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 25. 11. 94 Vergin, Siegfried SPD 25. 11. 94 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Volmer, Ludger BÜNDNIS 25. 11. 94 90/DIE GRÜNEN Wallow, Hans SPD 25. 11. 94 Welt, Jochen SPD 25. 11. 94 Wester, Hildegard SPD 25. 11. 94 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 25. 11. 94 Wieczorek (Duisburg), SPD 25. 11. 94 Helmut Dr. Zöpel, Christoph SPD 25. 11. 94 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu dem Tagesordnungspunkt: Regierungserklärung des Bundeskanzlers (Fortsetzung der Aussprache) Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister für Post und Telekommunikation: Bereits in der Vergangenheit ist der Telekommunikationsmarkt im Vergleich zur übrigen Wirtschaft überdurchschnittlich gewachsen. Im Jahr 2000 wird er vermutlich allein in Deutschland die 200-Milliarden-Mark-Schwelle überschreiten. Weltweit wird dieser Markt dann ein Volumen von schätzungsweise 1,5 Billiarden DM umfassen. Die Mikroelektronik macht es möglich, daß Telekommunikation und Datenverarbeitung miteinander verschmelzen und daß auch zunehmend die sich vervielfältigenden Formen des Fernsehens - ich nenne hier nur das Stichwort Multimedia in diese Entwicklung einzubeziehen sind. Als ein Land, das davon lebt, daß es Technologie entwickelt, herstellt und verkauft, muß Deutschland sich in diesem Markt geschickt und erfolgreich positionieren. Dazu gehört, daß von staatlicher Seite die notwendigen Vorkehrungen getroffen werden, die es den Unternehmen erlauben, sich national und international nicht nur zu behaupten, sondern ihre Stellung weiter auszubauen oder neue Marktsegmente zu schließen. Nach den Beschlüssen zur Postreform II werden wir mit dem Verkauf von Telekom-Aktien für dieses Unternehmen als erstes den Schritt in die neue, privatisierte Welt einleiten. Die Entscheidung über das Bankenkonsortium, das diese Emission durchführen wird, hat die Bundesregierung bereits getroffen und heute morgen bekannt gegeben. Diese Emission wird den Finanzplatz Deutschland stärken und auch die Börsenfähigkeit anderer deutscher Unternehmen an der US-Börse erleichtern. Es ist die Absicht der Bundesregierung, diese Privatisierung durch die Fortführung der Liberalisierung zu ergänzen. Denn nur der Wettbewerb wird schließlich die nötigen Kräfte und Ressourcen entfalten helfen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu behaupten und zum globalen Mitspieler im weltweit schärfer werdenden Wettbewerb im Telekommunikations- 312* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. November 1994 markt zu werden. Unsere Devise lautet deshalb: kontrolliert offensiv liberalisieren. Ich freue mich, daß es uns beim Telekommunikationsrat am 17. November 1994 in Brüssel gelungen ist, den Beschluß zu fassen, das Netzmonopol parallel zum Telefondienstmonopol zum 1. Januar 1998 aufzuheben. Den Mitgliedstaaten mit weniger entwickelten Netzen (Spanien, Irland, Griechenland und Portugal) und alle Mitgliedstaaten, denen bei der Aufhebung des Telefondienstmonopols eine Übergangsfrist eingeräumt worden ist, wird ebenfalls im Bereich des Netzmonopls eine Übergangsfrist von wenigen Jahren eingeräumt. Wir haben damit Klarheit auch über die Zukunft des Netzmonopols geschaffen. Der Charme dieser Lösung liegt darin, daß sich alle Migliedstaaten der EU zu diesem Beschluß bereitgefunden haben und wir damit keine Parzellierung der Entwicklung innerhalb der Europäischen Union ertragen müssen. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat mit diesem Beschluß einen großen Erfolg errungen, Herr Bangemann sprach sogar von einem historischen Tag. Damit sind in den vergangenen beiden Jahren die wichtigsten Pflöcke für eine planvolle Weiterentwicklung der Telekommunikation in Deutschland eingeschlagen worden: Privatisierung der Telekom, Festlegen der Termine für das Ende des Telefondienst- und des Netzmonopols. Nun beginnt die weitere Arbeit, d. h. innerhalb der Pflöcke muß nun gebaut werden. Denn wir wollen den Übergang von einem monopolistisch geprägten Markt zu einem wettbewerblichen mit Umsicht und zum Nutzen des Ganzen in Angriff nehmen. Es wird Leute geben, die mit dem einzuschlagenden Weg nicht zufrieden sind, manche werden mehr, manche weniger fordern — wie das eben in solchen Übergangs- und Umbruchzeiten ist. Seien Sie, meine Damen und Herren jedoch versichert, daß ich am vorgezeichneten Weg konsequent festhalten werde und bei allen unterschiedlichen Interessen, deren Vertreter Einfluß fordern werden, das politisch Vertretbare und wirtschaftlich Sinnvolle als Maß meiner Arbeit ansehen werden. Der Markt der Postdienstleistungen ist in den letzten Jahren ebenfalls in Bewegung geraten. Die Entwicklung ist zwar nicht vergleichbar stürmisch wie bei der Schwester Telekommunikation, doch zeigt beispielsweise das Aufkommen privater Kuriere, daß im Postbereich zumindest in bestimmten Bereichen und Nischen durchaus ein Kundenbedarf besteht für verbesserte oder auch neuartige Dienstleistungen. Mit der Postreform II haben wir auch hier die Voraussetzungen geschaffen, damit sich die gute alte Post an die neuen Zeiten und Verhältnisse anpassen kann. Wir stehen damit zumindest in Europa an der Spitze der Entwicklung. Ich denke, daß die Voraussetzungen gut sind, damit die Deutsche Post AG im Lauf der nächsten Jahre sowohl in Umfang und Qualität ihrer Dienstleistungen als auch mit ihrem betriebswirtschaftlichen Ergebnis einen Quantensprung nach vorne tun wird. Die Postbank arbeitet völlig im Wettbewerbsbereich und wird sich mehr und mehr zu einer Bank normalen Stils entwickeln und künftig auch mit Partnern aus ihrer Branche kooperieren. Im Vertrieb wird sie mit der Deutschen Post AG verflochten bleiben, so daß Postbankdienstleistungen auch weiterhin an den Schaltern der Post angeboten werden, ein wichtiges Kriterium zur Infrastruktursicherung. Meine Damen und Herren, die Umbruchsituation im Post- und Telekommunikationsbereich, in dem heute in Deutschland über 800 000 Menschen beschäftigt sind und auf dessen Funktionieren Wirtschaft und Gesellschaft angewiesen sind, fordert unser aller Anstrengung. Die Bundesregierung beabsichtigt, auch zukünftig diese Herausforderung in einem breiten Konsens zu meistern, der das Wohl des Bürgers im Auge hat. Ich lade alle ein, die den bestehenden Handlungsbedarf im Grundsatz anerkennen, an dieser Aufgabe mitzuwirken. Amtliche Mitteilung Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 12/1841 Drucksache 12/1845 Drucksache 12/2050 Drucksache 12/3111 Drucksache 12/3147 Drucksache 12/4033 Drucksache 12/4179 Drucksache 12/5178 Drucksache 12/5458
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    Rede von Dr. Jürgen Rüttgers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Thierse, ich bin Ihnen, wenn ich Ihre Rede richtig erspürt habe, dankbar für die grundsätzliche Zustimmung, die Sie den Punkten gezollt haben, die in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zum Thema Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie angesprochen worden sind. Ich glaube, das ist eine gute Ausgangslage, trotz der Kritik, die sicherlich auch zu dieser Debatte gehört.
    Ich will Ihnen auch ausdrücklich, Herr Thierse, darin zustimmen, daß gerade Bemühungen um die neuen Bundesländer in den nächsten Monaten und Jahren im Vordergrund der Arbeit meines Ministeriums stehen müssen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben da hochmotivierte und kochqualifizierte Forscher und Wissenschaftler, die einen Vergleich weltweit nicht zu scheuen brauchen. Deshalb tut jede Anstrengung not, das, was in dieser Umbruchzeit vielleicht unausweichlich war, wieder aufzuarbeiten und hier Chancen zu eröffnen.
    Ich bin persönlich zutiefst davon überzeugt, daß gerade die Forschungs- und Wissenschaftslandschaft in den neuen Bundesländern auch im europäischen Vergleich in der Zukunft riesige Chancen hat, und ich glaube, wir können sie insgesamt nutzen.
    Meine Damen und Herren, gestern hat der Deutsche Bundestag über den Wirtschaftsstandort Deutschland diskutiert. Naturgemäß standen bei dieser Debatte die Kostenstrukturen unserer Wirtschaft im Vordergrund. Aber ich glaube, das Kostenproblem ist nur eine Seite. Der Strukturwandel wird nur gelingen, wenn wir es schaffen, die Innovationsbereitschaft in Deutschland zu erhöhen.
    Es ist wahr: Leider haben viele Unternehmen in der Rezession die Aufwendungen für Forschung und Ausbildung gekürzt. Es ist auch wahr, daß die öffentliche Hand angesichts der Sonderlasten durch Rezession und Erblast des Sozialismus nicht das Geld zur Verfügung stellen konnte, das wünschenswert gewesen wäre. Aber je weiter der Konsolidierungsprozeß der öffentlichen Haushalte fortschreitet, desto eher
    wird es möglich sein, das zu ändern. Ich bin deshalb froh, daß die Koalition als ersten Schritt über die schon im Haushaltsentwurf 1995 vorgesehene überproportionale Steigerung hinaus die Steigerung der Haushaltsmittel für Zukunftsinvestitionen in den nächsten Jahren fortsetzen will.
    Aber, meine Damen und Herren, so wichtig das Geld ist, Geld ist nicht alles. Innovation beginnt in den Köpfen, und Innovationsfähigkeit ist der Schlüssel für Zukunftsfähigkeit.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das merkt man Ihrer Regierung aber nicht an!)

    Sie ist unser wichtigster Rohstoff.
    Diese Innovationsfähigkeit ist zugleich eine Herausforderung, die sich — auch das, meine ich, muß man sagen — nicht nur an die Politik richtet. Nicht die Politik allein kann die Fragen beantworten. Dieses Problem geht uns alle an, und es fordert uns alle, vor allem die jungen Menschen, die in der Ausbildung sind und sich für ihr späteres Berufsleben qualifizieren. Es geht ja gerade um ihre Lebenschancen in einer Zeit, die von grundlegenden Veränderungen gekennzeichnet ist. Es geht die Forschungs- und Bildungseinrichtungen an, die Unternehmen und ihre Mitarbeiter, die Selbständigen. Und es geht die Leistungseliten in unserem Land an. Dazu zähle ich den hochmotivierten Facharbeiter genauso wie den Forscher und den Ingenieur. Wenn heute viele eher ängstlich in die Zukunft blicken, dann müssen wir Anwalt sein für diejenigen, die Neues wagen, die den Mut haben, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deshalb, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, ist es unsere wichtigste Aufgabe, Zukunft nicht als das Morgen zu begreifen, das dem Heute zwangsläufig folgt, sie nicht als bloße Fortsetzung des Status quo zu verstehen, sondern als Gestaltungsaufgabe, die den Willen zur Veränderung voraussetzt.
    In unserem Land — auch das wissen wir aus vielfältigen öffentlichen Diskussionen — haben, zumindest in dem, was dann veröffentlicht überkommt, Bedenkenträger Konjunktur. Ich meine, wir müssen sicherlich bedenken und abwägen, was wir in Zukunft wollen. Aber, meine Damen und Herren, dann müssen wir auch zupacken und uns etwas zutrauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung bewußt. Ich glaube, das haben wir mit der Koalitionsvereinbarung und dem neuen Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie unterstrichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und das war alles?)

    Meine Damen und Herren, daß dieses neue Ministerium als Zukunftsministerium bezeichnet wird, freut
    mich; dennoch will ich von vornherein möglichen



    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    Fehlinterpretationen vorbeugen. Zukunft ist weder am Reißbrett noch am ministeriellen Schreibtisch plan- und machbar. Das muß immer klar sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Was uns zukunftsfähig macht, sind die vielen Menschen, die Ideen haben, die mit Gestaltungsfreude und Leistungsbereitschaft an neue Aufgaben herangehen. Wissenschaft und Forschung brauchen Freiräume. Die Freiheit der Wissenschaft ist mehr als ein verbrieftes Recht. Sie ist Voraussetzung für Kreativität und Erfindungsreichtum, allerdings auch für Verantwortung und selbstkritische Überprüfung.
    Wenn ich vom Innovationsstandort spreche, geht es mir auch um eine bessere und flexiblere Abstimmung zwischen Bildungssystem und Arbeitswelt, zwischen Bildung und Forschung. Ich glaube, die Zusammenfassung in diesem Ministerium ist Ausdruck dieser Notwendigkeit. Ich verstehe sie zumindest nicht nur als Verschlankung, sondern sie ist Programm.
    Wo Bruchstellen Austausch und Synergie verhindern, müssen Brücken den Wissenschafts- und Anforderungstransfer gewährleisten. Wir brauchen kurze Wege, meine Damen und Herren, um unsere Flexibilität und Reaktionsfähigkeit zu erhöhen. Wir wollen Menschen zusammenführen, die in unserer vielgliedrigen Forschungs-, Wissenschafts- und Unternehmenslandschaft Großartiges leisten.
    Seit langem — Sie kennen diese Debatte — wird ja über das Für und Wider strategischer Allianzen diskutiert. Da gibt es die einen, die verweisen auf Japan, und andere beschwören den Wettbewerb. Ich finde, wir haben in Deutschland eine eigenständige Tradition. Wir haben plurale und föderale Strukturen, und ich finde, sie haben sich bewährt.

    (Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD])

    Aber es gibt natürlich eine lebhafte Diskussion um die politischen Schwerpunkte, und, lieber Herr Schily, das ist nicht die Vergangenheit. Das ist aktuelle Diskussion unter Leuten, die sich auskennen.
    Wir sollten nicht — das ist eine Botschaft, die heute von hier ausgehen kann — in alten Gräben verharren: hier die Verfechter einer Industriepolitik und dort die Anhänger einer reinen ordnungspolitischen Lehre. Ich finde, wir sollten uns unserer Stärken bewußt sein und darauf aufbauen. Dazu gehört, daß wir den Dialog der besten Köpfe unseres Landes ausbauen, indem wir sie an einen Tisch holen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Bei den Spitzentechnologien des 21. Jahrhunderts, z. B. bei der Mikroelektronik, liegen wir nicht durchweg an der Spitze. Aber wie man durch gezielte Strategien eine Spitzenstellung erreichen kann, Herr Fischer, zeigt gerade das Beispiel der Umwelttechnologien. Hier sind deutsche Unternehmen international marktführend. Die Exporterfolge zeigen dies überdeutlich.
    Als Exportnation und Hochlohnland muß sich unsere Wirtschaft auf den Märkten behaupten, auf denen sich mit innovativen Produkten und Dienstleistungen eine hohe Wertschöpfung erzielen läßt. Das
    sind die Märkte, auf denen die Beherrschung fortgeschrittener Technologien eine herausragende Rolle für die Wettbewerbsposition spielt.
    Deshalb dürfen wir uns nicht zurücklehnen, wenn etwa Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen:
    Innovationen dauern in Deutschland zu lange, sind realitätsfern und schlecht geplant. Von 1919 Erstideen, die von den Innovationsforschern überprüft wurden, erblickten nur 176 das Licht des Marktes.
    Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere an uns vorbeiziehen. Das ist nicht nur eine Frage von politischen Entscheidungen, sondern zuerst einmal eine Frage der Beweglichkeit in den Köpfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In vielen Unternehmen hat inzwischen, wenn ich dies recht sehe, ein deutlicher Wandlungsprozeß eingesetzt. Ihr Ziel ist es, die Diskrepanz zwischen den — auch im internationalen Vergleich — hohen FuE- Aufwendungen und den keineswegs optimalen Marktergebnissen abzubauen. Die Wirtschaft hat die Notwendigkeit einer schnelleren Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in wettbewerbsfähige Produkte erkannt. Aber klar ist auch: ohne neue Ideen keine neuen Produkte. Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung widersprechen sich nicht. Sie sind zwei Seiten der gleichen Medaille.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben gute Grundlagen. Die großen Wissenschaftsorganisationen haben ihre Leistungsfähigkeit in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt. Sie sind und bleiben unverzichtbare Bestandteile unserer Forschungs- und Wissenschaftslandschaft.
    Im Bildungsbereich stellt sich daneben die Frage, ob unsere Bildungsgänge mit der schnellen Entwicklung des Wissens und der Fertigkeiten in einer sich wandelnden Berufswelt Schritt halten. Herr Thierse, da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu: Bildung heißt immer auch Persönlichkeitsbildung, heißt Erziehung, heißt Wertevermittlung. Das ist mehr als Technik, das ist mehr als Organisation. Wenn ich auch da die Hinweise in Ihrer Rede richtig verstanden habe, sollten wir in ein Gespräch eintreten über das, was Sie — für meinen Geschmack und mein Gefühl zu groß — als große Bildungsreform bezeichnet haben.
    Mancher wird sich aus eingefahrenen Denkstrukturen und aus liebgewordenen Organisationsschlachten herausbewegen müssen und zuerst einmal die Debatte über Inhalte führen müssen. Das — auch da will ich zustimmen — ist ganz sicherlich nicht zuerst eine Debatte, die auf dem großen Markt ausgetragen werden kann. Aber vielleicht gibt es dort eine Chance, weiterzukommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn Bildung die jungen Menschen zu einer aktiven und eigenverantwortlichen Mitgestaltung im Berufsleben befähigen muß, dann ist dies ein wichtiges und ein zentrales Thema. Ich bin deshalb froh, daß



    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    in der Koalitionsvereinbarung ein Bündel von Maßnahmen dazu vorgeschlagen worden ist.
    Unser Ziel ist, die berufliche und akademische Bildung zu stärken und damit Ansehen und Förderung der beruflichen Bildung aufzuwerten, Ausbildungszeiten zu optimieren und durch neue Elemente der Fort- und Weiterbildung für ein lebenslanges Lernen zu ergänzen.

    (Zuruf der Abg. Otto Schily [SPD])

    — Herr Schily, wenn Sie demnächst vielleicht wieder einmal — wenn ich auf Ihren Zwischenruf eingehen darf — mit einem Lehrling sprechen, dann werden Sie merken, vor welchen Anforderungen dieser steht. Das ist also ein ganz wichtiger Punkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will hier auch sehr deutlich sagen: Ich beobachte die Aufweichung unseres dualen Bildungssystems mit Sorge. Für viele Unternehmen ist es anscheinend allemal günstiger, statt mehr als 100 000 DM in eine dreijährige Lehrzeit zu investieren, einen Fachhochschulabgänger einzustellen. Aber der schon heute akute Facharbeitermangel — er ist im dualen System die Folge von zuwenig Ausbildung in den Betrieben — kann zur Wachstumsbremse werden. Wenn das duale System ausblutet, dann leidet unsere gesamte Wirtschaft an Kreislaufschwäche.
    Wir haben uns das Ziel gesetzt, die Attraktivität der beruflichen Bildung nachhaltig zu stärken. Dabei geht es auch um die Gleichwertigkeit von beruflichen und allgemeinbildenden bzw. akademischen Ausbildungsgängen. Ich meine, wir brauchen eine größere Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung. Ausbildungsangebote, die betriebliche und Hochschulausbildung verbinden, sollen daher gezielt gefördert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir werden darüber hinaus die Begabtenförderung in der beruflichen Bildung weiterentwickeln und zugleich die Qualifizierungsmöglichkeiten leistungsschwächerer Jugendlicher und Erwachsener verbessern. Wir streben insgesamt eine Reform der Ausbildungsförderung unter Einbeziehung der beruflichen Aufstiegsfortbildung an, zu der ich alsbald Vorschläge unterbreiten werde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die schwierige Lage an den Hochschulen ist allgemein bekannt. Ich glaube, es wäre falsch, sie zu beschönigen. Die Hörsäle sind zu voll, die Bibliotheken überlastet. Ich will jetzt auch nicht einfach nur auf die Erstverantwortung der Länder hinweisen. Dieses politische Spiel ist bekannt und braucht nicht wiederholt zu werden. Es ist manchmal hilfreich, aber nicht immer erfolgreich.

    (Dr. Peter Glotz [SPD]: Stimmt!)

    Aber zur Wahrheit gehört: Die Probleme sind nicht nur eine Frage des Haushalts; ich glaube, sie sind vielschichtiger. Deshalb brauchen unsere Hochschulen eine verläßliche Perspektive.
    Durch eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes wollen wir die Situation der Hochschulen verbessern und in Zusammenarbeit mit den Ländern eine Strukturreform erreichen, die zur Verkürzung der durchschnittlichen Studienzeiten führt, der Lehre größeres Gewicht gibt, die Eigenverantwortung der Hochschulen und den Wettbewerb untereinander stärkt. Ich will ausdrücklich sagen: Das ist eine schwierige Aufgabe, die nur in ganz enger Zusammenarbeit mit den Ländern und unter Beteiligung der Hochschulen gelöst werden kann.
    Meine Damen und Herren, die bestehenden BundLänder-Hochschulsonderprogramme wollen wir gemeinsam mit den Ländern zu einem Gesamtkonzept zusammenfügen. Besondere Bedeutung kommt dabei strukturfördernden Maßnahmen und der Förderung von Frauen in der Wissenschaft zu.

    (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Peter Glotz [SPD])

    Die gemeinsame Bund-Länder-Hochschulbaufinanzierung soll an die veränderten Rahmenbedingungen angepaßt werden. Ich hoffe, daß es gelingt, durch Konzentration der Förderung neue Handlungsspielräume zu gewinnen.
    Neben diesen Bemühungen — wenn Sie wollen, Herr Thierse: neben einer Offensive — im Bildungsbereich wollen wir die Schubkräfte für Forschung und Technologie stärken. Die Bundesregierung beabsichtigt, die Haushaltsmittel für Forschung und Technologie überproportional zu steigern, um Spielräume für neue Ideen, insbesondere in den Spitzentechnologien, und die notwendige Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern zu eröffnen. Dazu habe ich bereits zu Beginn das Notwendige gesagt.
    Wo Forschung mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, hat der Bürger ein Recht darauf, daß sie zielorientiert und effizient ist. Wissenschaft und Forschung haben ihrerseits einen Anspruch auf klare Leitziele in der öffentlichen Förderung. Das Instrumentarium der Wissenschafts- und Technologieförderung soll flexibler und einfacher werden, womit vor allem dem wichtigen Beitrag der kleinen und mittelgroßen Unternehmen zum Innovationsprozeß gedient werden soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Besonderen Wert werden wir dabei in allen Bereichen der Forschungsförderung auf eine systematische Erfolgskontrolle des Mitteleinsatzes legen. Ich finde, gerade in Zeiten knapper Kassen können wir uns Reibungsverluste und Fehlinvestitionen nicht leisten,

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    obwohl — auch das muß beachtet werden — Forschung immer mit Unbekanntem zu tun hat, immer mit etwas zu tun hat, dessen Ergebnis nicht von vornherein feststeht. Deshalb kann natürlich nicht am Schreibtisch gesagt werden, was schließlich herauszukommen hat, wenn Geld eingesetzt wird.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ein bißchen ahnen kann man es schon!)




    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    — Kollege Weng, diese Debatte wird ja zwischen den Forschungs- und Bildungspolitikern und den Haushaltspolitikem seit Jahren geführt.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Aber jetzt neu, Herr Minister!)

    — Einverstanden, Herr stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Da wird vielleicht die neue Gesamtverantwortung das Blickfeld etwas weiten.
    Forschung kann beim besten Willen nicht effektiv sein, wenn ihr Fesseln angelegt werden, die ein vernünftiges Arbeiten verhindern und zusätzlichen Kostendruck erzeugen. Wenn wir einerseits Geld für Forschungsprojekte ausgeben und andererseits Gesetze schaffen, Verordnungen erlassen und bürokratische Verfahren zelebrieren, die ein freizügiges und kreatives Forschen und Entwickeln unmöglich machen, dann verhindern wir Wettbewerb und mehr Effizienz in Forschung und Wissenschaft.
    Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, das mir in einem Gespräch mit der IG Chemie vorgetragen worden ist. Dabei ging es um die Erweiterung einer innovativen Anlage mit einem Investitionswert von knapp 40 Millionen DM. Nachdem die umfangreichen Genehmigungsunterlagen vom Unternehmen im Mai 1991 dem Regierungspräsidenten vorgelegt worden waren, begann die große Zeit des Wartens. Bis zum heutigen Tage, meine Damen und Herren, wurde noch kein einziger Spatenstich getan, aber — und das ist ein wichtiger Punkt — allein die Planung hat inzwischen mehr als 6 Millionen DM — bei einem Investitionsvolumen von 40 Millionen DM — gekostet. Das muß sich ändern.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD)

    Deshalb ist es unser Ziel, forschungs- und innovationsfreundlichere Rahmenbedingungen zu schaffen.
    Wir müssen bestehendes Recht und geübte Verwaltungspraxis — und auf das letztere möchte ich besonderen Wert legen; denn manches, was hier in Bonn richtig beschlossen, erdacht und in Gesetzesform gekleidet worden ist, bekommt seine schrecklichen Auswirkungen erst dann, wenn es im Rahmen des Verwaltungsverfahrens verfeinert und so lange durch die Mangel gedreht worden ist, bis zum Schluß keiner mehr die ursprüngliche Intention kennt — auf Innovationshemmnisse überprüfen. Wo immer es möglich ist, müssen diese beseitigt werden.
    Auch wir im Deutschen Bundestag sollten darauf achten, daß vor der Entstehung neuer Rechtsvorschriften — und das gilt natürlich noch viel stärker für die Ministerien — sensibler über mögliche negative Auswirkungen auf wissenschaftliche Belange nachgedacht wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Das gilt auch für europäische Regelungen in Forschung und Entwicklung. Mein Amtsvorgänger hat auch auf diesem Feld mit grobem Einsatz die Zeit der deutschen Präsidentschaft im Europäischen Rat genutzt.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD] und Dr. Peter Glotz [SPD]: Welcher?)

    Ich hoffe — dank der guten Vorarbeit —, daß der Forschungsministerrat, Herr Kollege Glotz, am 1. Dezember 1994 weitere zehn Programme verabschieden wird.
    Meine Damen und Herren, zur europäischen Dimension gehört auch, daß unser Land als Ort der internationalen Begegnung einen hohen Stellenwert und festen Platz hat. Ich glaube, verehrter Herr Thierse, daß die Gründung einer Akademie der Wissenschaften dazu beitragen kann. Wir haben diese Idee als Angebot in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen, damit Bund und Länder, Wissenschaft und bestehende Akademien an einem Strang ziehen. Ich hoffe, Herr Thierse, daß es uns gelingt, darüber breite Übereinstimmung zu erzielen. Ich nehme das Angebot — und so habe ich Ihre „Kritik" zu Beginn verstanden — zum Gespräch über diese Frage an, zumal es nicht darum geht, gegen Bestehendes und Bewährtes zu konkurrieren, sondern beides in gemeinsamer Verantwortung zu ergänzen.

    (Dr. Peter Glotz [SPD]: Das werden Sie vor allem den Ländern klarmachen müssen!)

    — Das glaube ich, Herr Glotz. Aber das ist eine Diskussion, die wir führen müssen. Ich bin insofern über die Resonanz, die es trotz aller Skepsis auch in der wissenschaftlichen community gibt, froh, denn sie zeigt Offenheit. — Ich bin dankbar, daß heute nicht nur Herr Thierse, sondern auch der ehemalige Vorsitzende des Forschungsausschusses, der Herr Kollege Catenhusen, die Bereitschaft der SPD zum Dialog erklärt hat.
    Bei allem, was wir an Investitionen in die Zukunft Deutschlands als Innovationsstandort planen und einbringen wollen, ist es notwendig, daß wir uns um den Konsens zwischen Bund und Ländern, zwischen Wissenschaft und Forschung und zwischen Politik und Wirtschaft bemühen. Ich bin für Vorschläge offen, weil Offenheit die Voraussetzung für Innovations- und Erneuerungsfähigkeit ist.
    Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich ausdrücklich sagen: Ich verstehe diejenigen, die nicht bei jedem Projekt gleich Hurra schreien. Ich weiß, daß Konsens nur zu erzielen ist, wenn vorher offen über Chancen und Risiken diskutiert wurde.
    Der Fortschritt in Wissenschaft und Technik darf nicht grenzenlos sein. Es gibt Grenzen, z. B. die Würde des Menschen, die nicht überschritten werden dürfen. Insofern muß sich jeder Forscher, aber auch jeder Politiker die Frage stellen, ob wir eigentlich alles dürfen, was wir heute schon können. Aber angesichts von Hunger und Arbeitslosigkeit, von Umweltschäden und Krankheit müssen wir auch die Frage beantworten, ob wir eigentlich schon alles können, was wir können müßten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, ohne Innovations- und Erneuerungsfähigkeit hat Deutschland keine sichere Zukunft. Die Bundesregierung will mit dem neuen Ministerium für Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie ein verläßlicher Partner im Bündnis



    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    der Zukunft sein. Ich persönlich freue mich auf unsere Zusammenarbeit.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht der Abgeordnete Manuel Kiper.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Manuel Kiper


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister hat in seiner Rede betont, daß Innovationsfähigkeit wesentliches Element der Sicherung des Standorts Deutschland zu sein habe. Mit der Betonung von Innovation und Zukunft versucht die Bundesregierung offensichtlich, sich selber Mut zu machen, wohlwissend, daß sie zu dieser Innovation nicht mehr fähig ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Woher wissen Sie denn das?)

    Ein Reformprogramm wollen und können Sie doch gar nicht mehr vorlegen; ich werde das hier im einzelnen belegen. Um davon abzulenken, haben Sie nun Herrn Rüttgers zum Zukunftsminister auf geblasen.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Inzwischen ist er auf das Normalmaß eines Bundesministers wieder zurückgeschrumpft worden. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß es bedauerlich ist, daß bei der Namensgebung dieses Ministeriums der innovative Bereich der letzten Legislaturperiode, nämlich die Technikfolgenabschätzung, einfach unter den Tisch gefallen ist.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Die Gesundschrumpfung des Kabinetts wurde von uns lange gefordert. Die SPD hat gesagt, sie schreibe sich diese Forderung auf die eigenen Fahnen. Wir begrüßen, daß das Kabinett verkleinert worden ist. Wir begrüßen die Zusammenlegung der beiden Ministerien. Aber die einfache Addition der beiden Ministerien ist unzureichend. Die zu einer „Offensive für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur" hochstilisierte Koalitionsvereinbarung ist ungeeignet, um die wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen der Zukunft tatsächlich anzupacken.
    Folgende Punkte möchte ich hier nennen.
    Erstens. „Weiter so" ist das Motto der Regierungserklärung. Die Bundesregierung hält fest — wir haben das in den letzten beiden Tagen gehört; das steht auch in der Regierungserklärung — am Forschungsreaktor Garching II, obwohl bundesweit Atomphysiker vor den außenpolitischen Risiken der dort geplanten Nutzung von hochangereichertem Uran warnen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Es gibt Alternativen: Ich erinnere nur an die Neutronenspallationsanlage. Das könnte eine tatsächliche Innovation sein. Aber dazu ringt sich die Bundesregierung nicht durch. Sie hält fest an überholten Forschungsschwerpunkten wie Atomtechnik, Fusionsenergie, bemannte Weltraumforschung und Militärforschung. Herr Rüttgers, Sie werden es nicht fertigbringen, die Sackgassentechnologien von vorgestern unserer Bevölkerung tatsächlich als Innovationen zu verkaufen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

    Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ich möchte einen zweiten Punkt benennen: Sie verschlafen die eigentlichen technologischen Herausforderungen der Zukunft. Sie behaupten „Offenheit für neue Lösungen". Die Sonnenenergie aber führt nicht einmal ein Schattendasein in Ihrem Regierungsprogramm. Für die Bundesregierung bleibt Sonnenenergie ein schwarzes Loch.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sie parlieren von Spitzentechnologien und angeblichen Schlüsseltechnologien wie der Gentechnik. Sie schwören auf Gott und meinen doch, selber Schöpfer spielen zu dürfen. Sie laufen den Seifenblasen der Gentechnik hinterher. Die gentechnischen Grenzüberschreitungen werden sich ethisch, gesellschaftlich und ökonomisch als ein Riesenverlustgeschäft entpuppen. Entgeht Ihnen denn, daß der gentechnisch verheißene Aids-Impfstoff ein Traum bleibt? Er ist ferner denn je! Entgeht Ihnen denn, daß die ganze Branche in den USA einen riesigen Verlust macht? Die Branche hatte im letzten Jahr ein 2-MilliardenDollar-Verlustgeschäft zu verzeichnen.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Bedenken sind kein Wert an sich, Herr Kollege!)

    — Das ist richtig. Ich möchte hier, meine Damen und Herren, auch betonen, daß die kritische Auseinandersetzung mit der Gentechnik, die Ablehnung der Gentechnik seitens unserer Fraktion nicht eine blinde Herangehensweise an Technik insgesamt ist, daß dies keine Absage unserer Fraktion an Biotechnologie oder Enzymtechnologie ist. Wir sind sehr wohl zu einer differenzierten Prüfung neuer biotechnologischer Verfahren bereit.

    (Zuruf von der F.D.P.: Seit wann denn?)

    Wir werden darüber im einzelnen noch zu reden haben.
    Meine Damen und Herren, ich möchte drittens sagen: Sie wollen jetzt die hinderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen überprüfen. Wir haben die Deregulierung der Gentechnik erlebt. Wir haben heute im Bundesrat die Gentechniksicherheitsverordnung auf der Tagesordnung. Ich halte es für unverantwortlich, daß von seiten der Bundesregierung — und ich muß hier auch die SPD ansprechen: wohl im Einvernehmen mit SPD-Landesregierungen — das Schutzniveau enorm abgesenkt wird und in Zukunft auch S 1-und S 2-Bereichsabfälle und Abwässer aus Genlabors und Genproduktionsstätten einfach in die Umwelt entlassen werden können. Sie, meine Damen und Herren, bewahren nicht mehr die Schöpfung, sondern offensichtlich ist Ihr neuer Leitspruch: die Schöpfung durch Genzwitter aufmischen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ich möchte noch — viertens — sagen: Es ist sehr gut — und wir begrüßen das —, daß in den neuen



    Dr. Manuel Kiper
    Bundesländern Anreize für Forschungs- und Entwicklungsleistungen unterstützt werden. Wir möchten auch hier betonen, daß wir die angekündigte überproportionale Aufstockung des Bundeshaushalts für Forschung und Technologie begrüßen. Allerdings: Wenn Sie weiter Sackgassentechnologien hätscheln, werden wohl die angeblich intelligenten Arbeitsplätze der Zukunft eher eine kürzere Restlaufzeit haben als der Bundeskanzler.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

    Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Initiativen der Bundesregierung zur Gründung einer Akademie der Wissenschaften, aber wir warnen Sie, hier einseitig auf Eliten — auf die besten Köpfe, wie Herr Rüttgers sagte — zu setzen. Wir brauchen eine Demokratisierung der Wissenschaft, eine Demokratisierung der Forschungslandschaft. Sie sollten runde Tische, Sie sollten offene Foren machen.
    Meine Damen und Herren, die Leitlinie der Forschungs- und Technologiepolitik muß Zukunftsfähigkeit sein. Herr Minister Rüttgers, wir wünschen Ihnen, daß Sie nicht ein Angström werden, die kleinste Maßeinheit im Raum. Wir wünschen Ihnen, daß „ein Rüttgers" in Zukunft nicht das Synonym für die kleinste Einheit von Zukunftsfähigkeit wird.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)