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    Plenarprotokoll 12/211 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 211. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. Februar 1994 Inhalt: Tagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Abgeordneten Johannes Gerster (Mainz), Heribert Scharrenbroich, Peter Kittelmann, Dr. Peter Struck, Peter Conradi, Freimut Duve, Manfred Richter (Bremerhaven), Ina Albowitz, Uwe Lühr, Andrea Lederer, Werner Schulz (Berlin) und weiterer Abgeordneter Verhüllter Reichstag — Projekt für Berlin (Drucksache 12/6767) Peter Conradi SPD 18275 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 18278 A Heribert Scharrenbroich CDU/CSU . . 18278D Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 18280 C Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18281 B Manfred Richter (Bremerhaven) F.D.P. 18282A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 18283 A Eike Ebert SPD 18286 A Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 18287 B Freimut Duve SPD 18287 D Namentliche Abstimmung 18288 C Ergebnis 18294 A Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Erster Altenbericht der Bundesregierung (Drucksache 12/5897) Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 18289 A Lieselott Blunck (Uetersen) SPD . . . . 18290D Walter Link (Diepholz) CDU/CSU . . 18291B, 18305 D Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . 18291 C Klaus Riegert CDU/CSU 18292 C Arne Fuhrmann SPD 18296 A Erika Reinhardt CDU/CSU 18298 D Hans A. Engelhard F.D.P. 18300D Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 18302C Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18304A Lisa Seuster SPD 18305 C Walter Link (Diepholz) CDU/CSU . . . 18308B Winfried Fockenberg CDU/CSU . . 18310B a) Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) fraktionslos 18311B Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (Arbeitsschutzrahmengesetz) (Drucksache 12/6752) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Unfallverhütung und das Unfallgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland: Unfallverhütungsbericht 1992 (Drucksache 12/6429) Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 18312B Manfred Reimann SPD 18313B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Februar 1994 Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU 18315A Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 18315D Petra Bläss PDS/Linke Liste 18316D Paul K. Friedhoff F D P. 18317 C Nächste Sitzung 18318D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 18319* A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von den Abgeordneten Johannes Gerster (Mainz), Heribert Scharrenbroich und weiteren Abgeordneten eingebrachten Antrag betr. verhüllter Reichstag — Projekt für Berlin (Tagesordnungspunkt 9) Hans-Dirk Bierling CDU/CSU 18320* A Klaus Bühler (Bruchsal) CDU/CSU . . 18320* B Hartmut Koschyk CDU/CSU 18320* C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU 18320* D Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . 18321* B Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU 18321* C Dr. Eberhard Brecht SPD 18321* D Martin Grüner F.D.P. 18322* B Birgit Homburger F D P 18322* D Jürgen Türk F.D.P. 18323' A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 18323* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Februar 1994 18275 211. Sitzung Bonn, den 25. Februar 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 25. 2. 94 Bartsch, Holger SPD 25. 2. 94 Becker-Inglau, Ingrid SPD 25. 2. 94 Berger, Hans SPD 25. 2. 94 Dr. Blanck, CDU/CSU 25. 2. 94 Joseph-Theodor Böhm (Melsungen), CDU/CSU 25. 2. 94* Wilfried Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 25. 2. 94 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 25. 2. 94 Herta Dörflinger, Werner CDU/CSU 25. 2. 94 Ehrbar, Udo CDU/CSU 25. 2. 94 Eimer (Fürth), Norbert F.D.P. 25. 2. 94 Fischer SPD 25. 2. 94 (Gräfenhainichen), Evelin Francke (Hamburg), CDU/CSU 25. 2. 94 Klaus Gallus, Georg F.D.P. 25. 2. 94 Ganschow, Jörg F.D.P. 25. 2. 94 Dr. Gautier, Fritz SPD 25. 2. 94 Gries, Ekkehard F.D.P. 25. 2. 94 Grochtmann, Elisabeth CDU/CSU 25. 2. 94 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 25. 2. 94 Grünbeck, Josef F.D.P. 25. 2. 94 Haack (Extertal), SPD 25. 2. 94 Karl-Hermann Hackel, Heinz-Dieter F.D.P. 25. 2. 94 Haschke (Jena-Ost), Udo CDU/CSU 25. 2. 94 Heinrich, Ulrich F.D.P. 25. 2. 94 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 25. 2. 94 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 25. 2. 94 Kastning, Ernst SPD 25. 2. 94 Keller, Peter CDU/CSU 25. 2. 94 Kleinert (Hannover), F.D.P. 25. 2. 94 Detlef Köppe, Ingrid BÜNDNIS 25. 2. 94 90/DIE GRÜNEN Körper, Fritz Rudolf SPD 25. 2. 94 Kohn, Roland F.D.P. 25. 2. 94 Kolbe, Manfred CDU/CSU 25. 2. 94 Koltzsch, Rolf SPD 25. 2. 94 Koppelin, Jürgen F.D.P. 25. 2. 94 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 25. 2. 94 Koschnick, Hans SPD 25. 2. 94 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 25. 2. 94 Leidinger, Robert SPD 25. 2. 94 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 25. 2. 94 Elke Dr. Matterne, Dietmar SPD 25. 2. 94 Mattischeck, Heide SPD 25. 2. 94 Dr. Menzel, Bruno F.D.P. 25. 2. 94 Michels, Meinolf CDU/CSU 25. 2. 94 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Mildner, Klaus CDU/CSU 25. 2. 94 Molnar, Thomas CDU/CSU 25. 2. 94 Müller (Schweinfurt), SPD 25. 2. 94 Rudolf Müller (Völklingen), SPD 25. 2. 94 Jutta Müller (Wesseling), CDU/CSU 25. 2. 94 Alfons Niggemeier, Horst SPD 25. 2. 94 Ostertag, Adolf SPD 25. 2. 94 Dr. Penner, Willfried SPD 25. 2. 94 Pesch, Hans-Wilhelm CDU/CSU 25. 2. 94 Pfuhl, Albert SPD 25. 2. 94 Dr. Pinger, Winfried CDU/CSU 25. 2. 94 Dr. Pohl, Eva F.D.P. 25. 2. 94 Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 25. 2. 94 Susanne Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 25. 2. 94 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 25. 2. 94 Ingrid Schaich-Walch, Gudrun SPD 25. 2. 94 Scheffler, Siegfried SPD 25. 2. 94 Dr. Schmude, Jürgen SPD 25. 2. 94 von Schmude, Michael CDU/CSU 25. 2. 94 Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 25. 2. 94 Schütz, Dietmar SPD 25. 2. 94 Schulte (Hameln), SPD 25. 2. 94 ** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 25. 2. 94 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 25. 2. 94 Christian Seibel, Wilfried CDU/CSU 25. 2. 94 Skowron, Werner H. CDU/CSU 25. 2. 94 Dr. Starnick, Jürgen F.D.P. 25. 2. 94 Dr. Frhr. von Stetten, CDU/CSU 25. 2. 94 Wolfgang Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 25. 2. 94 Dr. von Teichman, F.D.P. 25. 2. 94 Cornelia Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 25. 2. 94 Dr. Vogel, Hans-Jochen SPD 25. 2. 94 Vosen, Josef SPD 25. 2. 94 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 25. 2. 94 Westrich, Lydia SPD 25. 2. 94 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 25. 2. 94 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 25. 2. 94 Wieczorek-Zeul, SPD 25. 2. 94 Heidemarie Wieczorek (Duisburg), SPD 25. 2. 94 Helmut Wimmer (Neuötting), SPD 25. 2. 94 Hermann Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 25. 2. 94 Wolf, Hanna SPD 25. 2. 94 Zierer, Benno CDU/CSU 25. 2. 94 Zywietz, Werner F.D.P. 25. 2. 94 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung 18320* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Februar 1994 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von den Abgeordneten Johannes Gerster (Mainz), Heribert Scharrenbroich und weiteren Abgeordneten eingebrachten Antrag betr. verhüllter Reichstag — Projekt für Berlin (Tagesordnungspunkt 9) Hans-Dirk Bierling (CDU/CSU): Ich erkläre hiermit, daß ich mich bei der Abstimmung meiner Stimme enthalten werde, da ich das parlamentarische Verfahren namentlicher Abstimmung für den Antragsgegenstand als überzogen betrachte. Wie ich Herrn Christo bereits früher mitteilte, steht meine Stimmenthaltung nicht für eine grundsätzliche Ablehnung des Projektes, zumal dafür öffentliche Mittel nicht beansprucht werden. Eine Entscheidung des Präsidiums oder Ältestenrates für das Projekt Reichstagsverhüllung hätte ich akzeptiert und nach außen vertreten. Die Befassung des Plenums jedoch und um so mehr die namentliche Abstimmung über den Antrag im Deutschen Bundestag lehne ich entschieden ab, solange wichtigste Entscheidungen des Hohen Hauses mit höchster Bedeutung für unser Volk — wie z. B. die Pflegeversicherung — in dieser Wahlperiode noch nicht durchgesetzt werden konnten. Ohne die Bedeutung von Kunst und Kultur für das Leben einer Nation unterbewerten zu wollen, sehe ich mich veranlaßt zu erklären: Meinen Wählern im sächsischen Wahlkreis Meißen-Riesa-Großenhain kann und will ich nicht den Aufwand erklären, den das Deutsche Parlament für den Streit um die Reichstagsverhüllung des Herrn Christo betreibt, während für meine Wähler existentiell bedeutsame Fragen noch offen sind. Da die Regeln des Hohen Hauses mich hindern, der Abstimmung aus Protest fernzubleiben, werde ich mich der Stimme enthalten. Klaus Bühler (Bruchsal) (CDU/CSU): Heute steht auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages der Gruppenantrag „Verhüllung des Reichstages" (Drucksache 12/6767) zur Beratung und zur namentlichen Abstimmung an. An dieser Abstimmung werde ich mich nicht beteiligen. Ich darf dies wie folgt begründen: In der derzeitigen Situation scheint es mir nicht gerechtfertigt zu sein, daß der Deutsche Bundestag das Projekt eines Künstlers, den Reichstag zu verhüllen, zum Gegenstand einer parlamentarischen Debatte mit anschließender namentlicher Abstimmung macht. Damit möchte ich keineswegs zum künstlerischen Wert einer solchen Aktion Stellung beziehen. Vielmehr bin ich der Meinung, daß sich das Parlament gerade jetzt vorrangig mit den Problemen auseinandersetzen sollte, die unseren Bürgerinnen und Bürgern unter den Nägeln brennen (Einführung einer Pflegeversicherung, Sicherung des Wirtschaftsstandortes Bundesrepublik Deutschland, weitere Maßnahmen zur konjunkturellen Wiederbelebung und Verstärkung der Anstrengungen zum Abbau der Arbeitslosigkeit, Verbesserung der Inneren Sicherheit u. a. m.). Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Gegen eine Verpakkung des Reichstagsgebäudes in Berlin durch den amerikanisch-bulgarischen Künstler Christo wende ich mich mit politischen Argumenten. Christos Absicht zielt nämlich auf die Verhüllung eines nationalen Symbols. Der Künstler hat bereits verschiedene Gebäude wie die Kunsthalle in Berlin, das Museum für Zeitgenössische Kunst in Chicago, verschiedene Denkmäler in Mailand und antike Stadtmauern in Rom verhüllt. Seit 22 Jahren trägt sich Christo mit der Absicht, den Reichstag in diese Reihe einzugliedern. Keines der genannten Objekte besitzt jedoch annähernd die historische, politische und emotionale Bedeutung des Berliner Reichstags. 1. Christos Absicht, den Reichstag zu verhüllen, kann nur angemessen vor dem Hintergrund der spezifischen deutschen Geschichte und der immer noch fortwirkenden Akzeptanzprobleme der parlamentarischen Demokratie bewertet werden. Christos Ansinnen ist geeignet, zur Beschädigung des Parlamentarismus in Deutschland beizutragen. 2. Christo begründet seine Absicht mit den Argumenten, er wolle den Reichstag als Mahnmal der untergegangenen Weimarer Demokratie und als Symbol des politischen Neubeginns in Deutschland nach der Wiedervereinigung herausstellen. Es ist jedoch in diesem Zusammenhang an die Beliebigkeit der Argumentation Christos zu erinnern, der in Verkennung der geschichtlichen Wahrheit den Reichstag anfänglich für ein Symbol des Dritten Reiches hielt, welches verdeckt werden müsse. 3. Vor allem aber stellt sich die Frage nach der Selbstachtung der Deutschen: Haben sie nicht auch ein Recht auf die Würde ihrer nationalen Symbole? In Frankreich durfte Christo lediglich den Pont Neuf, nicht aber das Parlamentsgebäude oder den ElyseePalast verpacken. Warum muß ausgerechnet der Reichstag das erste Gebäude dieser Art sein? Vielleicht versucht sich der amerikanisch-bulgarische Künstler zunächst am Kapitol in Washington oder am Parlament in Sofia. Ich bekunde meine feste Überzeugung, daß durch die heutige Debatte und die namentliche Abstimmung der Bundestag die Angelegenheit der geplanten Verhüllung des Reichstags stark überbewertet. Der Bundestag hätte wahrlich Anlaß, wesentlich bedeutsamere Probleme einer Lösung zuzuführen. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn im Vorfeld dieser Debatte ein politischer Konsens, den Reichstag nicht verhüllen zu lassen, zustande gekommen wäre. Da dies bedauerlicherweise nicht der Fall war, beteilige ich mich trotz meiner dargelegten inhaltlichen Bedenken an der Abstimmung und stimme mit nein. Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Ich stimme dem Antrag zu, die künstlerische Verhüllung des Reichstagsgebäudes zu gestatten, obwohl ich viele der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Februar 1994 18321* vorgetragenen Einwände bedenkenswert finde und insbesondere den Hinweis auf die herausragende Bedeutung des Reichstages als nationales und historisches Symbol für zutreffend halte. Dennoch komme ich persönlich zu einer anderen Bewertung. Die Verbindung von Kunst und Politik, von künstlerischem Ausdruck und nationalen Symbolen ist schwierig, aber sie ist weder ungewöhnlich noch unstatthaft. Die Neugestaltung der „Neuen Wache" in Berlin als nationale Gedenkstätte mit der — im übrigen gegenüber dem Original vergrößerten — Skulptur von Käthe Kollwitz ist ein aktuelles, ebenfalls umstrittenes, für mich persönlich überzeugendes Beispiel. Der Reichstag ist in der Tat nicht irgendein Gebäude, er ist ein einzigartiges Monument nicht nur der deutschen Geschichte. Kein anderes Parlamentsgebäude der Welt steht in gleicher Weise für Glanz und Elend der Demokratie, Aufstieg und Fall einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft, Stärke und Schwäche des Parlamentarismus, Konfrontation und Zusammenbruch von Ideologien, den Ost-West-Konflikt und seine Überwindung. Gerade deshalb ist für mich die Absicht zur Verhüllung des Reichstages und nicht irgend eines anderen Parlamentsgebäudes alles andere und jedenfalls mehr als ein künstlerisches Experiment oder ein ästhetisches Erlebnis zur Verdeutlichung einer historischen Zäsur, es ist vielmehr eine grandiose Möglichkeit, auf ein Gebäude, seine Geschichte und seine Bedeutung aufmerksam zu machen und es in den Mittelpunkt einer breiten öffentlichen Auseinandersetzung mit großer internationaler Aufmerksamkeit zu rücken: Genau dort gehört der Reichstag, das deutsche Parlament, hin. Für mich geht es bei dieser Abstimmung nicht um die Alternative: Respekt vor der Kunst oder Respekt vor nationalen Symbolen, sondern um die seltene Gelegenheit, das eine mit dem anderen in überzeugender Weise zu verbinden. Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Kunst ist nicht abstimmbar. Aus diesem Blickpunkt halte ich die Abstimmung des Deutschen Bundestages über das Projekt „Reichstagsverhüllung" des Künstlers Christo auch für sehr problematisch. Unbestritten ist neben dem ästhetischen Aspekt die künstlerische Idee, durch Verhüllung eines Gebäudes und die daraus folgende Verfremdung der üblichen Sichtweise neue Anblicke, Einblicke und Reflexionen zu provozieren, ein Gedanke von beeindruckender Gestaltungs- und Aussagekraft. Mit der Verhüllung der Brücke „Pont Neuf" in Paris durch Christo wurde dies manifest. Dies ist die eine, nicht eine einem Abstimmungsverfahren zugängliche Seite. Die andere Seite ist die Frage, ob es aus der Sicht des deutschen Volkes und seiner gewählten Vertretung angemessen ist, den Sitz des deutschen Parlamentes für solch ein Projekt zur Verfügung zu stellen. Ich bin nicht dieser Ansicht. Ich bin der Meinung, daß das Reichstagsgebäude gerade im Hinblick auf die damit verbundene Geschichte und seinejetzige und zukünftige Funktion als Plenargebäude des Deutschen Bundestages frei von Entfremdung und Verfügbarkeit für alles und jedes bleiben muß. Das Reichstagsgebäude ist der Sitz des Deutschen Bundestages. Seit den Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990 hat dieses Gebäude zudem eine neue nationale Symbolik als Kristallisationspunkt des Willens aller Deutschen zur Einheit. Daraus verbietet es sich, das Gebäude, seine Funktion und Symbolik künstlerisch oder sonstwie zur Disposition zu stellen. Ich stimme aus diesem Grunde gegen den Antrag, die Verhüllung zuzulassen. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Ein geschäftstüchtiger Mann — sicher auch Künstler — hat es fertig gebracht, daß ein nationales Parlament sich mit der Verhüllung seines Domizils beschäftigt und eine ganze Nation ungläubig, staunend zuschauend sich fragt, ob ihre Abgeordneten nichts Wichtigeres zu tun hätten. Über Kunst läßt sich sicher streiten, und wer dagegen etwas zu sagen wagt, wird allzu schnell als „Kunstbanause" verschrieen. Ich weiß, daß auch die „Nachtwache" von Rembrandt 100 Jahre auf dem Bodenraum lag, bevor sie als Kunstwerk angesehen wurde, dennoch wage ich zu sagen, daß uns Christo an der Nase herumführen will. Es mag auch um „Kunst" gehen, es geht aber in erster Linie um Geld, Kommerz und ein potentielles Millionengeschäft des Künstlers. Christo hat es verstanden, Reklame zu machen, und Presse, Funk und Fernsehen helfen mit. Wir Abgeordneten haben bei den ausstehenden großen Problemen Wichtigeres zu tun, als auch noch namentlich abzustimmen über ein solch „großes Spektakel", um dann als Kunstkenner oder Kunstbanausen abgestempelt zu werden. Die hehren Erklärungen von Christo klingen sehr nach Phrasen, er will schlichtweg Geld verdienen und Publicity machen. Wenn es ihm gelingt, die Abgeordneten so „ einzulullen" wie er den Reichstag einzupacken gedenkt, wird daraus für ihn ein Millionengeschäft. Dazu sollten sich die Abgeordneten nicht hergeben. Ich halte die Abstimmung als solche für eine Zumutung. Dr. Eberhard Brecht (SPD): Deutschland befindet sich gegenwärtig in gedrückter Stimmung. Ob begründet oder nicht: Viele Bürgerinnen und Bürger vergleichen unsere gegenwärtige Situation mit der der Spätphase der Weimarer Republik. Nicht nur, daß Millionen von Menschen ohne Arbeit sind und noch mehr die Zukunft unseres Landes vorwiegend in Grau- und Schwarztönen malen; es sind vor allem die durch Umfragen belegten Zweifel an der Fähigkeit von Politikern, mit den Schwierigkeiten unseres Landes fertig zu werden. Zudem müssen wir einen erheblichen Mangel an konsensfähigen Wertvorstellungen in unserem Land konstatieren, einen Mangel, von 18322* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Februar 1994 dem insbesondere die politischen Ränder profitieren. Wo Subkulturen in unserem Land nicht mehr miteinander kommunizieren, um sich auf gemeinsame Paradigmen zu verständigen, muß der Staat als Dompteur mehr und mehr zum Haßobjekt aller werden. Am Ende steht das Gespenst von Chaos und Diktatur. In einer solchen Situation sind solche Kommunikationsformen zwischen Politikern und Bürgern gefragt, die die letzteren nicht nur mehr informieren, sondern sie auch stärker in die Entscheidungen und in die Verantwortung für unser Land einbeziehen. Nur so werden wir die Kraft finden, die anstehenden, mitunter nicht populären Entscheidungen auch demokratisch durchsetzen zu können. Die in der Vergangenheit bewährten Instrumente des demokratischen Rechtsstaates stellen keine ausreichende Antwort auf die Krise unseres Landes dar. So sollte — auch sichtbar — ein Neuanfang mit dem vereinten Deutschland gewagt werden. Mit diesem Hintergrund stand ich anfangs dem Projekt einer Reichstagsverhüllung durch den Künstler Christo wohlwollend gegenüber. Ein verhüllter Reichstag könnte den Wert von Demokratie durch ihre augenscheinliche Verschleierung verdeutlichen; die Verhüllung könnte Neugierde nach Demokratie erzeugen. Mit den genannten Argumenten habe ich bei Menschen aus meiner Umgebung für Christos Idee geworben. Ich stieß jedoch überwiegend auf Ablehnung: Einerseits wurde die symbolische Verhüllung des Reichstages als Ersatzhandlung der politischen Kaste für wirkliche Problemlösungen interpretiert, zu denen die Politiker offenbar nicht in der Lage seien. Zum anderen befürchte ich, daß der Symbolwert des Reichstages bei jenen Bürgerinnen und Bürgern Schaden nehmen könnte, die Christos Projekt aus künstlerischen Gründen heraus ablehnen. Wir gestehen ja jedem Kunstwerk zu, daß es nur von einer Minderheit der Bevölkerung akzeptiert wird. Dies wird bei der temporären Verwandlung des deutschen Parlaments nicht anders sein. Die öffentliche Zustimmung zur Reichstagsverhüllung wird Christo zufallen. Die artikulierte Ablehnung aber wird in der Konsequenz die Politiker und mittelbar auch die Demokratie treffen. Eine solche bei der Konzeption eines jeden öffentlichen Denkmals bestehende Spannung bin ich nicht bereit auszuhalten, wenn es um das Symbol des deutschen Parlamentarismus, der Demokratie in unserem Land schlechthin geht. Als Privatperson befürworte ich Christos Projekt; in meiner Funktion als Parlamentarier kann ich jedoch der oben angeführten Gründe wegen die Verwirklichung der Reichstagsverhüllung nicht mittragen. Martin Grüner (F.D.P.): Mein Eintreten und meine Zustimmung zur Verhüllung des Reichstages durch den Künstler Christo ist — bei allem Respekt vor den Gegenargumenten — von folgenden Überlegungen getragen: Der verhüllte Reichstag wird nach den bisherigen Erfahrungen mit den Werken von Christo ein Erlebnis von großer visueller Schönheit sein und kann den Neubeginn des vereinten Deutschlands in einem neuen Bundestag in Berlin symbolisieren. Unabhängig von der Bewertung des künstlerischen Ranges dieses Ereignisses bin ich als Wirtschafts- und Finanzpolitiker beeindruckt davon, daß Christo und seine Frau Jeanne-Claude die gesamten Kosten dieses Projektes mit eigenen Mitteln finanzieren und jede öffentliche Förderung oder private Sponsoren ablehnen. Das ist ein ganz ungewöhnlicher Umstand und wird in weiten Teilen der Bevölkerung ein positives Echo haben. Gerade dieser Tatbestand sollte deshalb in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Auch die positiven Beschäftigungswirkungen dieses Projektes, das immerhin eine Investition in der Größenordnung von ca. 8 Millionen Dollar erfordern wird einschließlich der positiven Auswirkungen auf Hotellerie und Gastronomie in Berlin bei den zu erwartenden Tausenden von zusätzlichen Besuchern, sollte für den Bundestag ein zusätzlicher Anlaß sein, dieses für die Stadt Berlin bedeutsame Projekt zu befürworten. So sieht es auch der Regierende Bürgermeister von Berlin in seinem Schreiben vom 18. Januar 1994 an die Mitglieder des Deutschen Bundestages. Alle bisherigen Großprojekte Christos außerhalb unserer Grenzen haben neben großer internationaler positiver Resonanz diese sehr günstigen wirtschaftlichen Nebenwirkungen gehabt, die auch und gerade für Berlin so wichtig sind. Da das Reichstagsgebäude lediglich für 14 Tage verhüllt sein soll und während der Verhüllung voll funktionsfähig bleibt, gibt es keine nachteiligen Auswirkungen, zumal die verwendeten Materialien wiederverwertet werden. Viele bedeutende Städte in Deutschland geben für die Werbung um Ansehen und Anziehungskraft jährlich Millionen an Steuermitteln aus. Das künstlerische Ereignis der Verhüllung des Reichstages durch Christo ist eine Werbung für Berlin mit internationaler Ausstrahlung, die keine öffentlichen Mittel in Anspruch nimmt. Berlin verdient es, daß seine Anziehungskraft durch dieses Projekt gefördert wird. Auch aus diesem Grunde stimme ich der Verhüllung des Reichstages durch Christo zu. Birgit Homburger (F.D.P.): Die Debatte über die Frage der Verhüllung des Reichstages durch den Künstler Christo ist eine Debatte, die die Menschen in unserem Land nicht verstehen. Wir haben wahrlich andere Probleme. Nun ist diese Debatte beantragt — also muß man sich entscheiden. 1. Die Frage der Verhüllung des Reichstages ist keine nationale Frage. 2. Die historische Diskussion und die Kunstdiskussion, die sich an diesem Projekt entsponnen haben, sind hochgezogene Diskussionen, die keinerlei Entscheidungsargumente liefern. 3. Aufgrund der Tatsache, daß das zur Verhüllung des Reichstages verwendete Material Polypropylen mit einer dünnen Schicht Aluminium sein wird, das später wiederverwendet wird, gibt es auch keinerlei Umweltrelevanz des Projektes. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 211. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. Februar 1994 18323* 4. Als einziges Argument bleibt also die touristische Attraktion für die Hauptstadt Berlin, die darüber hinaus den Steuerzahler nichts kostet. Daher habe ich, nach anfänglicher Ablehnung des Projektes, mit Ja gestimmt. Jürgen Türk (F.D.P.): Berlin bleibt eine Reise wert, solange man über die Stadt nachdenkt, spricht und streitet. Der Charme der Stadt ist ihre Widersprüchlichkeit, ihr Schmelztiegelcharakter für Menschen, Lebensweisen und Künste. In und durch Berlin entstand eine Inspiration für viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, auch oder gerade im Kunstgeschehen, immer verbunden mit dem Attribut des Anstoßens und In-Bewegung-Bringens. Was kann ein Kunstwerk wie die Verhüllung des Reichstags mehr leisten, als zum Nachdenken, darüber zu sprechen und zum Streiten anzuregen? Daß über die Verhüllung des Reichstags eine Plenardebatte stattfindet, daß sich viele Parlamentarier über das Für und Wider viele schlaue Gedanken machen, darüber sprechen und streiten, erscheint mir als Rechtfertigung für die Durchführung dieses Kunstwerks mehr als genug. Den Zweck seiner Verhüllung hat der Künstler Christo bei uns 662 Abgeordneten des Deutschen Bundestages schon erreicht. Mit dem Abschluß des Kunstwerks können noch mehr Menschen erreicht werden. Oder soll die Verhüllung des Reichstags als zweite „Unvollendete" in die Geschichte eingehen? Sollte sich der Deutsche Bundestag gegen eine Verhüllung des Reichstags aussprechen, werden die Gründe dafür schnell in Vergessenheit geraten. Dagegen wird bei einer Befürwortung Berlin ein einmaliges kunstgeschichtliches Erlebnis geboten, welches sehr viele Menschen anlockt. Wir zerbrechen uns hier im Bundestag die Köpfe, wie wir Berlin und die neuen Bundesländer für die Menschen und den Tourismus attraktiver gestalten können. Viele gute Vorschläge scheitern an den leeren Staatskassen. Jetzt haben wir einmal eine Gelegenheit, ohne den Einsatz von Steuergeldern, einfach durch bloße Zustimmung, einen wichtigen Beitrag zum Kennen- und Liebenlernen von Berlin und Umgebung zu leisten, und kokettieren mit der Chance des Versagens. Berlin ist keine Insel mehr. Seine Anziehungskraft wird auch auf das Umland ausstrahlen, und davon wird es profitieren. Denn Berlin ist nicht nur pulsierendes Nachtleben, sondern auch der zur Muße einladende Spreewald. 1995 wäre nicht nur das Jahr der Reichstagsverpackung, sondern in die Reiseüberlegungen könnte auch die Bundesgartenschau in Cottbus gleich mit eingeplant werden. Berlin als Aushängeschild für das gesamte Umland, das zur Erkundungsfahrt einlädt. Die Menschen in und um Berlin herum haben es durch die wirtschaftliche Lage sehr schwer. Wer wüßte das nicht besser als ein Abgeordneter aus dieser Region. Versagen wir ihnen nicht durch eine Tourismusattraktion die Chance eines wirtschaftlichen Vorwärtskommens beim Aufbau ihrer Heimat! Darum unterstütze ich den Gruppenantrag zur Verhüllung des Reichstags. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 665. Sitzung am 4. Februar 1994 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: 1. Gesetz über den Beruf der Diätassistentin und des Diätassistenten und zur Änderung verschiedener Gesetze über den Zugang zu anderen Heilberufen (Heilberufsänderungsgesetz — HeilBÄndG) 2. Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz — SÜG) 3. Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes (3. FStrÄndG) 4. Gesetz über den Bau des Abschnitts Wismar West-Wismar Ost der Bundesautobahn A 20 Lübeck-Bundesgrenze (A 11) 5. Gesetz zur Änderung des Binnenschiffahrtsgesetzes 6. Gesetz zur Änderung des Binnenschiffahrtsaufgabengesetzes 7. Gesetz über Statistiken im Handwerk (Handwerkstatistikgesetz — HwStatG) 8. Gesetz zu dem Protokoll Nr. 9 vom 6. November 1990 sowie zu dem Protokoll Nr. 10 vom 25. März 1992 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten 9. Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUAndG) 10. Gesetz zur Änderung des Handels- und Lohnstatistikgesetzes (Statistikänderungsgesetz — StatÄndG) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat bedauert, daß das im Föderalen Konsolidierungsprogramm beschlossene Einsparvolumen für Bund und Länder für den Bereich der Bundesstatistik von insgesamt jeweils 50 Millionen DM in den Jahren 1994 bis 1996 mit dem vorliegenden Gesetz bei weitem nicht erreicht wird. Er fordert die Bundesregierung auf, ihrer Verpflichtung aus dem Föderalen Konsolidierungsprogramm nachzukommen und unverzüglich einen weiteren Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem gewährleistet wird, daß das erforderliche Einsparvolumen erfüllt wird. Begründung: Der Bundesrat hatte bereits in seiner Stellungnahme vom 24. September 1993 — BR-Drucksache 567/93 (Beschluß) — darauf hingewiesen, daß durch den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Handels- und Lohnstatistikgesetzes das Einsparvolumen von insgesamt 50 Millionen DM für Bund und Länder jeweils in den Jahren 1994 bis 1996 bei weitem nicht erreicht wird. Die bislang vorliegenden Sparmaßnahmen ergeben für die Länder insgesamt ein Einsparvolumen von 4,91 Millionen DM und für den Bund von ca. 855 000 DM für den in Rede stehenden Zeitraum. Nach den Beschlüssen zum Föderalen Konsolidierungsprogramm handelt es sich um Vorgaben für die Bundesstatistik, so daß der Bund mithin zur Umsetzung verpflichtet ist. Globale Kürzungen in den Landeshaushalten sind insoweit nicht möglich, weil der Aufgabenbereich der Statistik nicht nur unverändert bleibt, sondern ständig zunimmt (z. B. Asylbewerberleistungsstatistik, Handwerkszählung 1995, Sozial- und Jugendhilfestatistik). Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. Friedliche Lösung des Kurdenproblems in der Türkei — Drucksache 12/6728 — wurde zurückgezogen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Haushaltsausschuß Drucksache 12/6780 Nr. 2.3 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 12/3182 Nr. 24 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 12/5749 Nrn. 3.52, 3.53
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    Rede von Lisa Seuster


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich kann jedenfalls von außen nicht erkennen, daß es da einen besonders harten Einsatz gegeben hat. Ich habe zwar immer wieder gehört, daß man das wolle, aber daß intensiv gekämpft worden ist und daß sie z. B. erreicht hat, daß der Bundeskanzler seine Richtlinienkompetenz anwendet, habe ich bisher nicht bemerkt.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN — Walter Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Ich komme gleich darauf zurück!)

    Ich gehe noch einmal auf die Presseerklärungen ein. Hier wird Frau Rönsch nicht müde, hoch angesetzte Versprechungen über angeblich bevorstehende Maßnahmen zu machen. Ich habe ihre Veröffentlichungen in den vergangenen Tagen noch einmal durchgesehen. Was ihren Einsatz z. B. bei Wettbewerbsausschreibungen und Preisverleihungen angeht, ist sie sehr rege. Ich frage mich aber, wie sie die politische Handlungslosigkeit mit der Äußerung in Einklang bringen kann, die sie 1993 auf der Pressekonferenz zum Altenbericht gemacht hat:
    Wir sind in der Altenpolitik auf einem guten Weg, den wir in den nächsten Jahren beharrlich fortsetzen müssen. Angesichts der wachsenden Zahl älterer Menschen ist die Seniorenpolitik eine der großen Zukunftsaufgaben.
    Ähnliche Sprechblasen haben wir auch heute morgen vernehmen können.
    Mir scheint, der Weg vom guten Vorsatz zur guten Tat ist in diesem Ministerium ein unüberwindbarer.

    (Beifall bei der SPD)

    Mein Kollege Arne Fuhrmann hat schon darauf hingewiesen, daß die Einrichtung der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel" erfolgreich von der SPD-Fraktion beantragt wurde und eben nicht das Ministerium die Initiative dazu ergriffen hat. Übrigens auch die Tatsache, daß wir heute diesen Altenbericht diskutieren, haben wir nicht dem Ministerium Rönsch zu verdanken, sondern noch dem alten Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Ich bin auch sicher, es gäbe diesen Altenbericht in dem neuen Ministerium nicht. Die wichtigsten Impulse und Weichenstellungen für die zukünftige Entwicklung infolge des demographischen Wandels kommen eben nicht von dieser Ministerin.
    Die SPD-Bundestagsfraktion stellt sich dieser Aufgabe. Wir erarbeiten Antworten auf die Frage, wie dieser Prozeß bewältigt werden kann, Antworten, die sicherstellen, daß es gelingt, einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu finden, wie diese bevölkerungs- und sozialpolitischen Verschiebungen bewältigt und positiv beeinflußt werden können.
    Die Analysen und Empfehlungen, die von den Sachverständigen in den Altenbericht eingebracht worden sind, werden uns diese Konsensfindung erleichtern. Wir haben verwendbares Zahlenmaterial und mit dem Bericht als solchem eine gute Grundlage
    für alle diejenigen, die als Praktiker im Bereich der Seniorenpolitik tätig sind.
    Auf die einzelnen Berichtsteile ist mein Kollege Fuhrmann bereits eingegangen, so daß ich mich in meinen Ausführungen auf die dazugehörige Stellungnahme der Bundesregierung beziehen möchte.
    Anläßlich der Vorstellung des Altenberichts vor der Presse hat Frau Ministerin Rönsch im Herbst 1993 folgende vier zentrale altenpolitische Herausforderungen für die Zukunft formuliert: erstens die Pflegeversicherung, zweitens die bundeseinheitliche Regelung der Altenpflegeausbildung, drittens die Sanierung der Altenpflegeheime in den neuen Bundesländern, viertens den Ausbau der Rehabilitation.

    (Arne Fuhrmann [SPD]: Klingt doch gut!)

    Daß es sich bei diesen vier Punkten um zentrale altenpolitische Herausforderungen handelt, dem können wir zustimmen. Aus diesem Grunde möchte ich jetzt noch einmal genauer hinsehen, was denn passiert ist.
    Ich komme zum ersten Bereich, der Pflege. Hier hat es ja gestern wieder keine Einigung gegeben, und es geht heute weiter. Für Außenstehende ist diese quälende Diskussion längst nicht mehr verständlich. Machen wir uns nichts vor: Bei einem endgültigen Scheitern werden insbesondere die beiden großen Parteien erheblichem Erklärungsdruck bei den Betroffenen, aber auch bei den eigenen Mitgliedern ausgesetzt sein.
    Die Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion und der Bundesregierung lagen ursprünglich weit auseinander. Da die Koalition auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen ist, ist sie uns an einigen Stellen entgegengekommen. Wir unsererseits haben auch Konzessionen gemacht, soweit es uns im Sinne der betroffenen Menschen möglich war. Jetzt ist die Koalition gefragt, die notwendige Kompromißbereitschaft zu zeigen, damit die Pflegeversicherung nicht endgültig scheitert. Wir fordern die Bundesregierung auf, das Bemühen um eine akzeptable Pflegeversicherung nicht länger durch internen Meinungsstreit und politische Bewegungslosigkeit zu torpedieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Der kritische Punkt, der eine Einigung bisher unmöglich macht, ist: Sollen die Kosten auf der Arbeitgeberseite ausgeglichen werden — wozu sich die SPD durchgerungen hat —, oder sollen — wie die Bundesregierung es will — bei dieser Gelegenheit den Unternehmen finanzielle Geschenke gemacht werden?
    Wir sind zur Streichung eines Feiertages zur Kostendeckung auf Arbeitgeberseite bereit. Die Regierung, meine Damen und Herren, fordert aber auf Druck der F.D.P. nach wie vor die Streichung von zwei Feiertagen. Dieser zweite Feiertag ist nach eigenen Zahlen von Arbeitsminister Blüm zur Finanzierung der Pflege nicht erforderlich. Die Streichung eines zweiten Feiertags wäre eine reine Umverteilungsstrategie unter dem Deckmantel der Pflege. Es wäre Aufgabe



    Lisa Seuster
    der Seniorenministerin, das in der Öffentlichkeit ganz deutlich zu sagen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich komme zum zweiten wesentlichen Punkt, der Altenpflegeausbildung. Bisher waren alle Bemühungen vergeblich, endlich eine bundeseinheitliche Regelung der Altenpflegeausbildung durchzusetzen, obwohl Frau Rönsch selbst hier nur allzuoft dringenden Handlungsbedarf betont.
    Wie bereits in der vergangenen, ist auch in der jetzigen Legislaturperiode keine Lösung mehr in Sicht. Der Zeitpunkt, an dem eine einheitliche Regelung hätte verabschiedet werden können, ist schlicht-weg verpaßt worden. In der 11. Legislaturperiode hat eine reale Chance für diese Regelung bestanden. Jetzt warten die Bundesländer nur noch auf die Verabschiedung der Pflegeversicherung in der Hoffnung, daß zumindest der größte Teil der Ausbildungskosten analog zur Krankenpflege über die Pflegesätze finanziert werden kann. Im übrigen verfestigen sich in den einzelnen Bundesländern die unterschiedlichen Ausbildungsstrukturen immer mehr, für die Altenpflegerinnen und Altenpfleger eine sehr bedauerliche, negative Entwicklung, die dem Berufsbild und dem Ansehen des Berufes schadet.
    Das Thema Altenpflegeausbildung macht deutlich, daß ein spezielles Seniorenministerium die politische Durchsetzungskraft der Ministerin nicht gestärkt hat.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich komme zum dritten Punkt: Pflegeheime in den neuen Bundesländern. Welchen Zickzackkurs das Ministerium um die Sanierung der Alten- und Pflegeheime in den neuen Bundesländern eingeschlagen hat, will ich an Hand folgender Erklärungen deutlich machen:
    Sowohl die Ministerin als auch der Ausschuß für Familie und Senioren haben nach der Wiedervereinigung ausgedehnte Reisen in die neuen Bundesländer gemacht, um die Situation in den Heimen zu begutachten. Einstimmig wurde festgestellt, daß sich die Häuser in einem katastrophalen Zustand befinden. Nach westlichen Standards müßten die meisten sofort geschlossen werden. Ein Sanierungsbedarf von 16 Milliarden DM wurde berechnet. Positiv zu vermerken war — darauf möchte ich an dieser Stelle hinweisen —, daß die Heime personell wesentlich besser versorgt waren als die in den alten Bundesländern. Es ist nicht richtig, Frau Ministerin, wenn Sie hier sagen, daß den alten Menschen dort einiges angetan wurde. Das ist eine Diskriminierung derjenigen, die in der Pflege unter schwierigen Bedingungen gearbeitet haben.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Die Bundesregierung versprach angesichts des großen Nachholbedarfs bei der Sanierung des Alten- und Pflegeheimbereichs, finanziell zu helfen. Der Sanierungsbedarf könnte von den neuen Ländern und den Kommunen allein nicht bewältigt werden, das sei eine
    gesamtgesellschaftliche Aufgabe. So wurden auch zwei Jahre lang im Rahmen eines Soforthilfeprogramms Bundesmittel in Höhe von 200 Millionen DM eingesetzt, die letztendlich jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein waren. Nach Ablauf dieser Zweijahresfrist war die Sanierung der Heime in den neuen Ländern dann plötzlich keine gesamtgesellschaftliche Aufgabe mehr. Dies war nach Ansicht unserer Regierung jetzt im Rahmen der Aufteilung zwischen Bund und Ländern allein Sache der fünf betroffenen Länder und ihrer Kommunen, eventuell noch der Träger der Einrichtungen.
    In der Diskussion im Familien- und Seniorenausschuß haben wir Sozialdemokraten immer wieder darauf hingewiesen, daß die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West durchaus eine vordringliche Aufgabe des Bundes sei. Bei der Koalition sind wir damit jedoch auf taube Ohren gestoßen.
    Als nächstes wurde — ich nehme an, um das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen — die Stiftung „Daheim im Heim" gegründet. Sie soll die Sanierung von Alteneinrichtungen voranbringen. Zur Gründung der Stiftung gab es Presseerklärungen der Ministerin, über die Arbeit der Stiftung jedoch nicht. Ist dies vielleicht ein Indiz für die Effektivität dieser Einrichtung?
    Jetzt, 1994, lautet die neueste Version, daß die Sanierung der Heime nicht mehr Aufgabe von Bund, Ländern, Kommunen oder gar der Stiftung sei, vielmehr sei es jetzt die Aufgabe der Beitragszahler der neuen Pflegeversicherung.

    (Zuruf der Bundesministerin Hannelore Rönsch)

    Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Warum sollen die Kosten jetzt plötzlich auf den Kreis der Arbeiter und Angestellten abgewälzt werden? Die Beitragsmittel der Pflegeversicherung können nicht dazu benutzt werden, ein Sanierungsproblem zu bewältigen. Wir wollen allein den Pflegebedürftigen diese Beiträge zugute kommen lassen. Wir als SPD-Fraktion fordern, daß der investive Nachholbedarf für ostdeutsche Pflegeheime über acht Jahre an Hand der eintretenden Einsparungen in der Kriegsopferversorgung finanziert wird. Hier wird es zu Einsparungen von insgesamt 800 Millionen DM jährlich kommen. Da diese Summe eine langfristige, zuverlässige Planung in den neuen Bundesländern ermöglichen wird, bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Stimmen Sie dem zu!

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich komme zum letzten Punkt, und zwar zur Rehabilitation. In der Beurteilung, daß der Ausbau von Rehabilitationsmöglichkeiten fortgesetzt werden muß, stimme ich mit der Ministerin überein. Bei einem Sportler sind Rehabilitationsmaßnahmen nach einer Meniskusoperation selbstverständlich. Dies muß genauso selbstverständlich sein, wenn ein älterer Mensch, z. B. nach einem Schlaganfall, ins Krankenhaus eingeliefert wird. Auch hier müssen die ersten Reha-Maßnahmen bereits im Akutkrankenhaus beginnen. Je nach allgemeinem Gesundheitszustand



    Lisa Seuster
    müssen die Behandlungen — möglichst in ortsnahen Reha-Zentren — anschließend fortgeführt werden. Mit geeigneten geriatrischen Reha-Maßnahmen könnte man erreichen, daß ältere Menschen möglichst lange ihre eigene Lebensführung erhalten können.
    Mit der Fortschreibung des Grundsatzes „Rehabilitation geht vor Pflege" ist im Rahmen des Gesundheitsreformgesetzes 1989 ein wichtiger Schritt getan worden. Damit wurde auch die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenversicherungen verbindlich festgeschrieben. Folgerichtig ist in den letzten Jahren auch die Zahl der geriatrischen Abteilungen in den Akutkrankenhäusern und in den Rehabilitationsbereichen angestiegen. Dies gilt es weiter auszubauen. Die Pflegeversicherung könnte auch hier wichtige Impulse geben.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, in allen vier wichtigen Punkten sind Lösungen nicht greifbar. Frau Rönsch hat ihre selbstgesteckten Ziele nicht erreicht. Sie ist auch mit ihrer Seniorenpolitik gescheitert.
    Abschließend möchte ich nur zu gern wissen: Wie wird Frau Rönsch versuchen, ihr Scheitern in der Seniorenpolitik zu kaschieren? Wird sie — wie in der Familienpolitik — von ihrem Scheitern mit einem unausgegorenen Vorschlag abzulenken versuchen? Wie wäre es damit: Alle Über-60jährigen, die ihren Führerschein abgeben, haben freie Fahrt in Bus und Bahn. Die Einnahmeausfälle zahlen die uneinsichtigen Über-60jährigen, die weiter Auto fahren wollen, als Strafsteuer.
    Vielleicht aber fällt der Ministerin noch etwas Besseres ein.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Walter Link das Wort.

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    Rede von Walter Link


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute morgen meine Rede zum Altenbericht der Bundesregierung mit den Sätzen überschrieben: Wie wir mit den alten Menschen umgehen, zeigt den menschlichen oder unmenschlichen Charakter unserer Gesellschaft.
    Ich füge hinzu: Es hat schon viele Jugendberichte der Bundesregierung gegeben, aber es gab noch nie einen Altenbericht. Das ist heute der erste, und dieser Altenbericht ist von Frau Professor Ursula Lehr, einer — wie ich meine — in der ganzen Welt anerkannten Alternsforscherin, veranlaßt worden.
    Und die dritte Überschrift lautet: 98 % aller Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 60 und 80 Jahren leben völlig selbständig ohne fremde Hilfe. Ich glaube, es ist das eigentlich Schöne an dieser Situation, daß so viele Menschen in einem so hohen Alter noch völlig selbständig glücklich und ohne fremde Hilfe leben können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl hat als erste Regierung in der Bundesrepublik Deutschland ein eigenständiges Ministerium für Senioren geschaffen. Damit hat der Bundeskanzler gezeigt, daß er die Herausforderung der demographischen Entwicklung erkannt und angenommen hat.

    (Lisa Seuster [SPD]: Das Symbol muß aber auch ausgefüllt werden!)

    Die Lebenserwartung in der Bundesrepublik hat sich in den letzten hundert Jahren fast verdoppelt. Herr Kollege Vogel, das haben wir gestern abend gerade bei dem Symposium in der Parlamentarischen Gesellschaft noch einmal so deutlich gehört, an dem wir beide teilgenommen haben. Also die Lebenserwartung hat sich fast verdoppelt in den vergangenen hundert Jahren.
    Heute sind in der Bundesrepublik 16 Millionen Menschen über 60 Jahre alt, das sind 20 % — jeder fünfte — unserer Bevölkerung.
    Der erste Altenbericht der Bundesregierung gibt uns viele Hinweise, wie Seniorenpolitik in der Zukunft gestaltet und verbessert werden kann.
    Ich möchte, meine sehr verehrten Damen und Herren, an dieser Stelle hervorheben, daß ich gestern morgen zu Beginn unserer Ausschußsitzung an den Tod unseres Freundes, des Staatssekretärs Albrecht Hasinger, erinnert habe. Wir haben uns zu seinen Ehren gestern in unserem Ausschuß erhoben, weil er in der Tat über viele Jahre mit uns in freundschaftlicher und enger Gemeinschaft für diese Politik gearbeitet hat.
    Statistiker starten immer wieder den Versuch, einen Menschen von einem bestimmten Geburtstag an als alt zu bezeichnen. Egal, ob dies mit 60 oder 65 Jahren geschieht, dies ist der Ansatz einer verfehlten Betrachtung. Die Unterschiedlichkeit des menschlichen Lebensstils, die Lebensführung und die menschliche Differenziertheit lassen dies nicht zu. Darum kann man nicht schematisch von „den Älteren", „den Senioren" oder „der älteren Generation" sprechen.
    Man muß sich nur einmal bewußt werden, wo überall von Senioren gesprochen wird. Einer meiner Berufe ist Sportlehrer. Der Begriff „Senior" ist nicht nur auf ältere Menschen zugeschnitten, sondern dieser Begriff wird vielfältig positiv verwendet, so z. B. im Sport. Bei vielen Sportarten bezeichnet man ab dem 21. Lebensjahr die Altersklasse, in der man startet, als die Seniorenklasse.
    Schlimm wird es, wenn wir von der „Alterslast", dem „Rentenberg" oder von der „Überalterung" sprechen. Die demographische Entwicklung zeigt uns, daß sich der Anteil der Menschen, die älter als 65 Jahre sind, in den nächsten 40 Jahren verdoppeln wird.
    Die Statistiker sagen auch — das habe ich vorhin in der Überschrift schon gesagt —, daß 98 % aller Menschen zwischen 60 und 80 Jahren völlig selbständig leben. Hieran sieht man, wie falsch es ist, wenn Altsein in die Nähe von Gebrechlichkeit und Krankheit gerückt wird.
    Auch ist in diesem Zusammenhang ein besonders bedeutender Aspekt, daß Frauen über Jahre hinweg, wenn z. B. der Ehepartner gestorben ist, ohne Eheoder Lebenspartner leben müssen. Dieser Erkenntnis



    Walter Link (Diepholz)

    ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Dies muß ein besonderes Interesse in der Betrachtung und Umsetzung von Altenpolitik finden.
    Die Bundesregierung legt nun einen umfassenden Bericht vor, der die unterschiedlichen Lebenssituationen älterer Menschen unter wirtschaftlichen und sozialen wie unter gesundheitlichen und psychischen Gesichtspunkten erfaßt. Der Altenbericht macht deutlich, daß Altenpolitik kein geschäftsordnungsbedingtes Referat sein kann. Altenpolitik muß gesellschaftliche Strukturpolitik sein. Sie ist Querschnittsauftrag bei allen gesellschaftlichen Aufgaben und allen Ministerien.
    Von daher, Frau Kollegin Seuster, ist Ihr Angriff von eben gegenüber der Ministerin völlig falsch. Man kann nicht Altenpolitik und Geschäftsordnung verbinden. Es ist gut, daß diese Bundesregierung gesagt hat: Wir zeigen eine besondere Aufmerksamkeit, indem wir das Ministerium schaffen; aber es wird Querschnittspolitik bleiben wie z. B. bei der Rente,

    (Christel Hanewinckel [SPD]: Das ist ja in Ordnung; aber man muß auch etwas tun!)

    wie z. B. bei der Pflegeversicherung, wie z. B. im Wohnungsbauministerium. Das andere war A und S. Querschnittsaufgabe muß es sein. Frau Ministerin Rönsch — das wissen wir nun einmal besser als Sie von der Opposition — hat sich mit all ihrer Kraft eingesetzt, daß die Pflegeversicherung kommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn ein Viertel unserer Gesellschaft zu den Älteren zählt, stellt sich die Frage, wie man diese strukturellen Probleme der Gesellschaft lösen und welchen Beitrag der einzelne dazu bringen kann. Daraus die Konsequenzen zu ziehen heißt, keine Nischenpolitik für angebliche und tatsächliche Defizite für ältere Menschen zu betreiben. Es heißt, die wirklichen Bedürfnisse älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger bei allen politischen Entscheidungen mit einzubeziehen.
    Deshalb hat unsere Seniorenministerin Hannelore Rönsch 1992 im Rahmen des Bundesaltenplanes ein Modellprogramm „Seniorenbüro" ins Leben gerufen. Mittlerweile haben wir viele Jugendberichte, und wir haben einen Jugendplan. Es ist das Verdienst dieser Ministerin und dieser Regierung, daß wir nun einen Altenbericht und auch einen Altenplan haben. Daran kommen auch Sie von der Opposition nicht vorbei. Das sind Erfolge.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Arne Fuhrmann [SPD]: Das ist ja in Ordnung!)

    Hier werden unseren Senioren ganz konkret neue Betätigungsfelder z. B. in den Seniorenbüros angeboten. Vor allen Dingen werden hier die jahrelangen Erfahrungen der Seniorinnen und Senioren nach ihren Interessen in gezielte ehrenamtliche Tätigkeit umgesetzt. Die Menschen, die ehrenamtlich tätig sind, sollten auch geschult werden. Ich glaube, es ist ganz wichtig, daß wir die Ehrenamtlichkeit nicht nur fordern, sondern von den Städten, Gemeinden und Kreisen auch Schulungen anbieten. Zu Recht kann davon gesprochen werden, daß die Selbständigkeit
    und die Beteiligung älterer Menschen in solchen Seniorenbüros vorbildlich gelebt werden.
    Meine Fraktion, die CDU/CSU, ist der Auffassung, daß nachbarschaftliche Netze dort wiederherzustellen sind, wo sie nicht mehr bestehen. Ziel muß es sein, in den Städten, Kreisen und Gemeinden ein gut strukturiertes Netz von sozialen Diensten zu schaffen, das zwar durch die Kommunen gesteuert und organisiert wird, aber durch zahlreiche Helferinnen und Helfer auch im Ehrenamt getragen wird. Jede Stadt sollte eine Vermittlungsbörse für soziale Hilfsdienste einrichten.
    Das sollte auch heute noch einmal aus dem Plenarsaal des Deutschen Bundestages der Appell an unsere Kommunen sein. Das wäre ein echter Gewinn für Seniorenpolitik, der nicht nur wünschenswert, sondern auch von der Finanzierbarkeit für Kommunen und Länder machbar ist und auf Dauer gesehen sogar eine Entlastung bringen könnte.
    In diesem Zusammenhang wäre auch eine Erweiterung des Aufgabenspektrums der Sozialstationen möglich, die gegenseitige Besuchs- und Hilfsdienste organisieren. Es muß dafür gesorgt werden, daß Menschen ihren dritten Lebensabschnitt in großer Sicherheit verbringen können.
    Neben dem Schutz vor Gewalt und Kriminalität spielt auch die Sorge um die finanzielle Sicherheit der Renten eine Rolle. Ich denke, wir sollten alle gemeinsam in diesem Hause das Gerede von der Unsicherheit der Renten lassen. Wir haben doch nicht umsonst zwischen der Koalition und der Opposition vor Jahren ein Gesetz geschaffen, um unseren Menschen die Sorgen zu nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich verstehe schon, Frau Kollegin Seuster, daß junge Leute heute fragen: Wenn ihr denn eine Lebensversicherung macht, profitiere ich auch davon, oder muß ich nur zahlen? Wenn schon die Renten so gut sind wie heute, profitiere ich auch noch davon? Daß diese Sorgen betrachtet werden müssen, auch über das Jahr 2000 hinaus, ist richtig, und das müssen wir gemeinsam tun,

    (Lisa Seuster [SPD]: Herrn Biedenkopf müssen Sie das sagen!)

    aber nicht unsere alten Menschen verunsichern. Das sage ich auch zu Kollegen meiner eigenen Partei.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Schlimm wäre dies besonders für die Rentner in Ostdeutschland, die nicht nur 40 Jahre Gefängnis in der DDR zu ertragen hatten, sich trotz Arbeit keinen Wohlstand schaffen konnten, wenn es hier zu einer Rentenkürzung käme. Die CDU/CSU sagt deutlich, daß es zu keiner Rentenkürzung in ihrer Regierungszeit kommen wird.

    (Arne Fuhrmann [SPD]: Das ist ja nicht mehr so lange — 3 Monate! — Heiterkeit bei der SPD)

    — Ach, wissen Sie, wie lange das noch ist, das
    bestimmen nicht Sie; das bestimmen die Wählerinnen
    und Wähler in der Bundesrepublik Deutschland. Da



    Walter Link (Diepholz)

    wollen wir dann einmal im Oktober gucken, wie das aussieht.

    (Arne Fuhrmann [SPD]: Wir fangen am 13. März an!)

    Wir haben gerade in dieser Woche auf dem Bundesparteitag bewiesen — und die gesamte veröffentlichte Meinung in Deutschland mit —, daß wir die Partei der Familie sind.
    Dieser Altenbericht heute und die Diskussion über diesen Altenbericht zeigen doch noch einmal sehr deutlich, daß wir auch die Partei der Seniorinnen und Senioren in Deutschland sind, und mit diesen Wählergruppen den Kampf mit Ihnen zu führen, die Sie sich aus diesen Politikbereichen längst abgemeldet haben, darauf freuen wir uns alle.

    (Lisa Seuster [SPD]: Können Sie denn mal die eine Zeitung nennen, die das gesagt hat? — Lachen bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Sagen Sie einmal: Warum ist eigentlich in den 70er Jahren, in den Jahren von 1969 bis 1982, als Sie regiert haben — Brandt, Schmidt; die demographische Entwicklung, wie wir sie heute haben, war schon abzusehen — kein Altenbericht gemacht worden? Warum haben Sie kein Seniorenministerium eingerichtet? Sie sind doch während Ihrer Regierungszeit die Versager auf der ganzen Linie gewesen, und heute laufen Sie nur hinter uns her! Das ist doch die Tatsache.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Arne Fuhrmann [SPD]: 12 Jahre seid ihr dran! Wir reden über die vergangenen 12 Jahre!)

    Der Altenbericht der Bundesregierung ist eine gute Analyse der jetzigen Situation der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Er zeigt auf, wie in der Zukunft Politik für ältere Menschen aussehen kann. Auch die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission kann diesen Bericht in ihrer Arbeit sicherlich gut aufnehmen und verwenden.
    Ich will Ihnen mal etwas zu den Sozialstationen sagen, weil Sie hier so dazwischenrufen und uns ständig Vorwürfe machen, und sagen, daß Sie mit unserer Altenpolitik nicht zufrieden sind. Daß zur Altenpolitik Sozialstationen geschaffen wurden, ist heute morgen von Heiner Geißler schon einmal gesagt worden.