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    Plenarprotokoll 12/172 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 172. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. September 1993 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksache 12/5500) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1993 bis 1997 (Drucksache 12/5501) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (Drucksache 12/5502) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungsund Wachstumsprogramms (Drucksache 12/5510) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz) (Drucksache 12/5630) Rudolf Scharping, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz 14735 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 14744 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA . 14754 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 14754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 14758A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 14760 C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14764 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 14767 A Hans-Ulrich Klose SPD 14775 A Dr. Renate Hellwig CDU/CSU . . . 14778 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 14778B Friedrich Bohl CDU/CSU 14784 B Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU 14786B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 14786D Michael Glos CDU/CSU 14790 C Walter Kolbow SPD 14791 D Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . 14796 C Hans-Gerd Strube CDU/CSU 14798A Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14799B Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 14800 B Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD 14802B, 14805C Helmut Schäfer (Mainz) F.D.P. . . . . 14805 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14805 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 14807 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 14808 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14809 B Dr. Klaus Rose CDU/CSU 14810B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. September 1993 Ortwin Lowack fraktionslos 14812B Ernst Hinsken CDU/CSU 14812D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos . 14814B, 14848 C Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 14815C Michael Habermann SPD 14817 B Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. . . . . . 14820 C Ortrun Schätzle CDU/CSU 14822 A Michael Habermann SPD 14822 D Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 14824 A Maria Michalk CDU/CSU 14825 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 14826D Dr. Edith Niehuis SPD 14829A Uta Würfel F D P. 14831 A Dr. Edith Niehuis SPD 14832 A Petra Blass PDS/Linke Liste 14833 A Susanne Jaffke CDU/CSU 14834 A Ralf Walter (Cochem) SPD 14835 B Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 14837 C Doris Odendahl SPD 14838 C Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . . 14841D Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . . 14843 C Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14844 B Carl-Ludwig Thiele F D P 14845 B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 14846 D Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister BMFT 14849B Josef Vosen SPD 14851D, 14855 C Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F D P 14852 C Dietrich Austermann CDU/CSU 14855 B Siegmar Mosdorf SPD . . . 14856C, 14861A Werner Zywietz F D P 14857 D Josef Vosen SPD 14858 C Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . . 14859 C Erich Maaß (Wilhelmshaven) CDU/CSU 14860B Nächste Sitzung 14862 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14863* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. September 1993 14735 172. Sitzung Bonn, den 8. September 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 8. 9. 93 Bartsch, Holger SPD 8. 9. 93 Blunck (Uetersen), SPD 8. 9. 93** Lieselott Dr. Blunk (Lübeck), F.D.P. 8. 9. 93 Michaela Böhm (Melsungen), CDU/CSU 8. 9. 93 ** Wilfried Börnsen (Bönstrup), CDU/CSU 8. 9. 93 Wolfgang Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 8. 9. 93 * Clemens, Joachim CDU/CSU 8. 9. 93 Ebert, Eike SPD 8. 9. 93 Dr. Fischer, Ursula PDS/LL 8. 9. 93 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 8. 9. 93 Dr. Gautier, Fritz SPD 8. 9. 93 Heyenn, Günther SPD 8. 9. 93 Hollerith, Josef CDU/CSU 8. 9. 93 Jaunich, Horst SPD 8. 9. 93 Dr. Kübler, Klaus SPD 8. 9. 93 Lambinus, Uwe SPD 8. 9. 93 Lenzer, Christian CDU/CSU 8. 9. 93 ** Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 8. 9. 93 Meckel, Markus SPD 8. 9. 93 Michels, Meinolf CDU/CSU 8. 9. 93* Dr. Müller, Günther CDU/CSU 8. 9. 93 * Müller (Düsseldorf), SPD 8. 9. 93 Michael Opel, Manfred SPD 8. 9. 93*** Pfuhl, Albert SPD 8. 9. 93 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 8. 9. 93 Reuschenbach, Peter W. SPD 8. 9. 93 Dr. Riedl (München), CDU/CSU 8. 9. 93 Erich Dr. Scheer, Hermann SPD 8. 9. 93 * Schell, Manfred CDU/CSU 8. 9. 93 Schmidt (Nürnberg), SPD 8. 9. 93 Renate Stachowa, Angela PDS/LL 8. 9. 93 Dr. von Teichman, F.D.P. 8. 9. 93 Cornelia Weis (Stendal), Reinhard SPD 8. 9. 93 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
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    Rede von Karsten D. Voigt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Rühe, wenn Sie mit skandinavischen und besonders mit dänischen Beispielen kommen, und es folgt einer, der sozusagen halb Skandinavier, nämlich halb Däne ist, begeben Sie sich auf eine gefährlich schiefe Bahn, weil Hans Haekkerup, der dänische Verteidigungsminister, mir sein Konzept natürlich zugeschickt hatte, noch bevor er es Ihnen geschickt hat.

    (Bundesminister Volker Rühe: Zur Genehmigung!)

    — Nicht zur Genehmigung, sonderen weil wir eng und jahrelang miteinander befreundet sind.
    In diesem dänischen Konzept gibt es einen prinzipiellen Unterschied zu dem, was die Bundesregierung plant, beabsichtigt und dem Parlament vorgelegt hat.
    Das ist die Anbindung aller dänischen Maßnahmen an die Vereinten Nationen. Sie haben dem Bundestag einen Vorschlag für eine Grundgesetzänderung vorgelegt, die millitärische Kampfeinsätze, letzten Endes, rechtlich gesehen, auch Kriegseinsätze, ohne eine vorhergehende Entscheidung des UNO-Sicherheitsrates ermöglichen soll. Gerade dies wollen alle skandinavischen Parteien, auch die Sozialdemokraten, nicht, auch nicht die Dänen. Diese Differenz dürfen Sie hier nicht verschleiern; denn das ist bei allem innerparteilichen Streit, den wir zwischen Ihnen und uns, zwischen den Sozialdemokraten und der Regierungskoalition, haben, die eigentliche Differenz.

    (Beifall bei der SPD)

    Als ich den Bundesaußenminister hörte — er kann aus verständlichen Gründen jetzt nicht mehr da sein; er hat mir das erläutert —, da habe ich gedacht: Mein Gott, der hat Mut! Auf gut Frankfurterisch nennt man das „Chuzpe" in Aufgreifung eines alten jiddischen Wortes. Man kann auch sagen: Er hat die Unverfrorenheit, mit Steinen zu werfen, obwohl er selber im Glashaus sitzt.
    Erstes Beispiel: Jugoslawien-Politik. War es nicht etwa ein gewisser Bundesaußenminister der Bundesrepublik Deutschland, der das Wort „die Serben in die Knie zwingen" gebraucht hat — ein Wort, das ein Außenminister in bezug auf keine Nation und kein Volk gebrauchen sollte? In welchem Verhältnis steht dieses unverantwortliche Wort, unabhängig davon, wie man die Taten der Serben beurteilt, zu dem faktischen Schweigen der Deutschen jetzt, wo es um eine friedliche Lösung in Jugoslawien geht? Welche Vorschläge haben Sie für diesen Prozeß, und welchen Einfluß haben die Deutschen auf den Friedensprozeß? Beides gegen Null tendierend. Dies ist das faktische Spannungsverhältnis zwischen Vollmundigkeit und Attentismus sowie Belanglosigkeit der deutschen Rolle bei dem Friedensgestaltungsprozeß im ehemaligen Jugoslawien.

    (Paul Breuer [CDU/CSU]: Denken Sie einmal darüber nach, warum!)

    Zweites Beispiel. Sie haben zu Recht die Frage der Bedeutung einer integrierten europäischen Verteidigung angesprochen, die als Ziel richtig ist und auch von uns geteilt wird. Wir glauben nicht, daß das schnell übers Knie gebrochen werden darf und kann. Aber die entscheidende Frage, die sich dabei neben dem Bekenntnis zu einer integrierten europäischen Verteidigung stellt, wie man nämlich solche integrierten Streitkräfte parlamentarisch kontrolliert, wie man also Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, in der Europäischen Union verwirklicht, haben Sie nicht einmal aufgeworfen, geschweige denn beantwortet.
    Daß die Europäische Gemeinschaft in einer Krise des Integrationsprozesses geraten ist, hängt vorrangig damit zusammen, daß sich die Demokratievorstellungen der verschiedenen Länder und Nationen nicht vereinbaren lassen und daß es deshalb zu einem Demokratiedefizit auf europäischer Ebene gekommen ist.



    Karsten D. Voigt (Frankfurt)

    Es ist doch selbstverständlich so, daß wir die Errungenschaft der parlamentarischen Kontrolle über die bewaffneten Streitkräfte, also das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Armee, das wir nach dem Krieg in bitterem Streit um einen Konsens wegen einer integrierten europäischen Armee beschlossen haben, nicht preisgeben dürfen. Wenn wir uns bezüglich dieser Demokratieprinzipien ich wollte nur dieses eine als Beispiel nennen — auf europäischer Ebene nicht einigen, dann helfen alle Bekenntnisse zur europäischen Einigung nicht. Wenn man sich nicht einigt, das Demokratiedefizit zu überwinden, dann wird die europäische Integration stagnieren und vielleicht sogar wieder zurückfallen.
    Deshalb müssen Sie sich nicht nur zu Europa bekennen. Sie müssen auch Wege vorschlagen, wie man Europa demokratisiert, und sagen, was Sie tun, um dem europäischen Einigungsprozeß demokratische Impulse zu verleihen, so daß unsere Nachbarn und wir uns darauf einigen können.
    Drittes Beispiel: Blauhelme. Ich benutze es bewußt. Sie haben bestimmte Diskussionen in der SPD angesprochen, an denen auch ich mich beteilige. Aber es gehört schon einiger Mut dazu, als ein Außenminister, der als Parteivorsitzender mit dafür verantwortlich ist, daß er gegen eine Entscheidung seiner eigenen Regierung klagt, hier von Handlungsunfähigkeit, die durch die Opposition hervorgerufen sein soll, zu sprechen. Das ist mehr als Chuzpe; das ist Unverfrorenheit.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich war in Somalia: Was ist denn das für eine merkwürdige Nichteinsatztheorie, die er in bezug auf Somalia durchgesetzt hat, die dazu führt, daß deutsche Truppen in Somalia, die viel besser als die Nigerianer oder Italiener ausgerüstet sind, sich nicht selber schützen dürfen, d. h. die eigentliche soldatische Aufgabe nicht erledigen können, wo wir zu einer Verfassungsänderung entsprechender Art bereit wären?
    Nur weil der Bundesaußenminister und F.D.P.Vorsitzende nicht deutlich machen wollte, daß er wieder einmal umgefallen ist, hat er das zu einem „Nichteinsatz" definiert. Jetzt sind die Soldaten dort, nehmen in der Realität die Nigerianer, als sie noch da waren, oder die Amerikaner zwischen sich, zwischen zwei deutsche Schützenpanzer, um die anderen zu schützen, die formal für ihren Schutz zuständig sind.
    Diese absurde Situation, unter der die Soldaten dort leiden — das habe ich erfahren , haben Sie doch als F.D.P. mit diesem ganzen Eiertanz zu verantworten, nicht wir.

    (Beifall bei der SPD)

    Was ist das für eine Regierung, die sozusagen die Fragen an die Opposition weiterreicht — ich verstehe einige dieser Fragen —, die bei der UN-Generalversammlung in Wirklichkeit an Sie gerichtet werden, an Herrn Kinkel, an Herrn Staatsminister Schäfer oder wer sonst von der F.D.P. da ist? Natürlich sagen sie in bezug auf die Opposition: Da gefällt uns hier und dort einiges nicht. Aber sie fragen zunächst einmal nach der Handlungsfähigkeit der Regierung. Und da ist die
    F.D.P. eine der Ursachen für die Handlungsunfähigkeit dieser Regierung. Und Herr Kinkel stellt sich hier noch hin und lamentiert über diese Frage. Das ist schon ganz schöner Mut.
    Er sagt dann — um ein weiteres Beispiel zu nennen —: Die Entwicklungspolitik steht im Vordergrund; Außenpolitik soll friedlich sein. Das finde ich richtig. Aber hätte er dann nicht diese Debatte nutzen müssen, um neben dem generellen Bekenntnis, daß man den Friedensprozeß im Nahen Osten unterstützt, zu sagen: Das und das haben wir mit den Israelis und mit der PLO besprochen? Aber da kommt nichts.
    Oder ist es nicht so, daß in Somalia alle, auch die Soldaten, sagen — auch in Belet Uen, wo es glücklicherweise relativ gut läuft —: Unser Einsatz hat erst Sinn gehabt, wenn wir uns als Soldaten wieder zurückziehen können und wenn zivile Hilfsorganisationen die Arbeit machen können? Wo haben denn der Außenminister oder der Entwicklungshilfeminister in Somalia diese Überleitung zur zivilen Phase besprochen?
    Wird hier nicht eine Verkürzung der gesamten Denkungsart sichtbar, wenn nur der Verteidigungsminister hinfährt, aber nicht der Entwicklungshilfeminister oder der Außenminister?

    (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler war auch nicht da! Unerhört!)

    Wir sind mit Entwicklungspolitikern und auch mit Menschenrechtlern hingefahren.
    Ich sage nur: Sie reden davon, aber in der Praxis folgt nichts. 91 Millionen für humanitäre Hilfe im Auswärtigen Ausschuß, 17 Milliarden für den Golfkrieg und etwas über 100 Millionen für Somalia. Gerade als jemand, der für Blauhelmeinsätze wirbt, damit wir uns an so etwas beteiligen können, sage ich: Die Proportionen müssen doch stimmen. Sie stimmen aber nicht in dieser Außenpolitik, die zwar mehr vom Vorrang der zivilen Mittel redet, aber wenn es um die „Pieselotten" geht, wenn es um das Geld geht, dann ist es faktisch viel leichter, Geld für militärische Einsätze als für Entwicklungshilfemaßnahmen zusammenzubekommen.
    Der Bundesaußenminister hat uns zum wiederholten Male ein außenpolitisches Konzept angekündigt. Er hat gesagt, er hätte darüber nachgedacht. Vielleicht hilft es ihm, wenn er das noch nicht vortragen konnte, daß ich ihm einige Anregungen mit auf den Weg gebe. Die beziehen sich auch auf die Fragen, die strittig sind.
    Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hat der damalige Bundesaußenminister Genscher fälschlich gesagt, es ginge nur um deutsche Kontinuität. Einige der Probleme, die wir jetzt haben, sind dadurch entstanden, daß es eine neue Rolle Deutschlands gibt und daß das mit dem Begriff „Kontinuität" allein nicht zu machen ist.
    Das hängt nicht nur damit zusammen, daß der Ost-West-Konflikt zu Ende ist, sondern auch damit, daß die Stabilisierungsaufgaben, die sich in Osteuropa gestellt haben, nicht mehr primär militärischer Art sind. Ingomar Hauchler, unser Sprecher für diesen



    Karsten D. Voigt (Frankfurt)

    Bereich, fährt inzwischen nicht nur in die Dritte Welt, sondern er fährt auch in große Teile der ehemaligen Sowjetunion, in die GUS-Staaten, weil es dort entwicklungspolitische Projekte gibt.
    Wenn es nicht gelingt, diese Länder ökonomisch und politisch vorbeugend zu stabilisieren — die ökonomische Destabilisierung z. B. der Ukraine mit den politischen Konsequenzen macht mir erhebliche Sorgen —, dann können wir militärisch noch so viel machen, es wird niemand helfen. Es wird nämlich primär Wanderungsbewegungen oder neue Tschernobyls geben, die man eben nicht mit militärischen Mitteln verhindern kann.
    Deshalb frage ich nach den Konzepten der Bundesregierung, die sie dort hat, was sie in dem Bereich neben einzelnen Projekten macht. Wo ist dort der große Gesamtentwurf? Ich kenne ihn nicht.
    Die politische, in bestimmten Bereichen ökologische, aber vor allen Dingen auch ökonomische Stabilisierung Osteuropas liegt in unserem Sicherheitsinteresse. So, wie die Amerikaner primär daran interessiert sind, daß die Nuklearwaffen beseitigt werden — auch ich bin daran interessiert —, sind wir als unmittelbar Betroffene natürlich auch daran interessiert, daß kein neues Tschernobyl passiert oder daß nicht Instabilität zu neuen Wanderungsbewegungen führt. Da gibt es spezifische westeuropäische Interessen, und Deutschland als das zur Zeit noch östlichste Land des Westens ist hiervon in besonderer Weise betroffen.
    Nun haben wir immer wieder darüber geredet, daß Deutschland nicht in eine Zwischenposition geraten sollte, daß es als ein Land mit so vielen Nachbarn am besten nicht bilateral mit diesen verkehrt, sondern im multilateralen Zusammenhang. Das hat bei uns glücklicherweise zu der großen Übereinstimmung geführt, daß wir die EG-Integration mit Maastricht vorantreiben müssen — trotz der Vorbehalte gegen einzelne EG-Regelungen.
    Dies führt bei uns jetzt nicht nur zur Bejahung der NATO, sondern zu einem Reformkonzept für die NATO, indem wir sagen, daß die Staaten, die die Option haben, der Europäischen Gemeinschaft beizutreten — also besonders unsere östlichen Nachbarn —, im Prinzip auch die Möglichkeit haben müssen, der NATO beizutreten.

    (Karl Lamers [CDU/CSU]: Ja, das ist ja unsere Idee!)

    — Sie sagen, das sei auch Ihr Konzept. Wo haben Sie denn mit den Briten darüber gesprochen?

    (Karl Lamers [CDU/CSU]: In Paris; da waren die Briten dabei!)

    Die Realität ist doch so, daß die Franzosen bei der Osterweiterung der EG skeptisch sind — Herr Lamers, Sie sitzen doch dauernd in Paris —, und die Briten sind bei der Osterweiterung der NATO meistens skeptisch. Die einen sind Traditionalisten bei dem einen, die anderen sind Traditionalisten bei dem anderen Punkt.
    Wo ist denn die Bundesregierung, die außer den Stellungnahmen ihrer einzelnen Minister innerhalb der EG und der NATO hier ein stimmiges Konzept — aufeinander abgestimmt — durchgesetzt hat?

    (Karl Lamers [CDU/CSU]: So leicht ist das nicht!)

    Das ist nicht der Fall. Volker Rühe ist für die Osterweiterung der NATO, der andere ist für die Osterweiterung der EG, die Bundesregierung möglicherweise für beides.

    (Karl Lamers [CDU/CSU]: Ich auch!)

    Aber innerhalb der EG und der NATO ist diese Konzeption bisher keineswegs als stimmiges Gesamtkonzept der Osterweiterung westlicher Institutionen geglückt, so daß wir durch die Osterweiterung des Westens nur noch von westlichen Ländern umgeben wären.
    Wie verbinden Sie dies durch eine kooperative Politik mit Rußland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, so daß nicht neue Konfrontationslinien entstehen? Das ist nicht ein voluntaristischer Akt; da hilft nicht ein Bekenntnis, sondern da müssen Sie ein Gesamtkonzept der engsten Kooperation, das fast an die Assoziation mit EG und NATO herangeht, haben und es in der NATO durchsetzen. Ich sehe da bei vielen NATO-Partnern große Vorbehalte. Ich frage hier nicht danach, wie Sie im Bundestag reden, sondern danach, was Sie in der NATO machen, um solch ein Konzept durchzusetzen. Ich sehe das bisher auch für die EG nicht, wo doch der Protektionismus, bei den einen ökonomisch, bei den anderen sicherheitspolitisch, immer mehr um sich greift.
    Deshalb möchte ich Ihnen sagen, daß wir als Deutsche, als Teil des Westens, als Teil der NATO, als Teil der EG an einer solchen Kooperativen und, soweit es die Möglichkeiten unserer unmittelbaren östlichen Nachbarn betrifft, auch integrativen Politik mit unseren östlichen Nachbarn primär interessiert sind. Wenn wir dort keine Sonderwege wollen, müssen wir dafür sorgen, daß das in den Institutionen, in denen wir Mitglied sind, eine Mehrheitsmeinung wird.
    Da vermisse ich Ihre Initiativen. Da ist die Bundesregierung nicht spürbar. Da sagt sie mal etwas, aber sie spielt keine Rolle. Wir reden immer von der neuen deutschen Rolle, die wir spielen sollen, aber dort, wo es um unsere eigenen Interessen geht, um diese neue Form der Ostpolitik, sind Sie nicht da. Da höre ich Sie mal auf Tagungen, im Rahmen von Konventionen, aber ich sehe nicht Ihre Wirkung in diesen internationalen Organisationen.
    Wenn Sie das in diesen Zusammenhang einbetten, werden Sie auch feststellen, daß die UNO-Orientierung zwischen uns gar nicht strittig ist. Alles das, was Rudolf Scharping aufgeführt hat — in dem einen oder anderen Punkt gehe ich ja konzeptionell darüber hinaus —, würde in Wirklichkeit ausreichen, das zu erfüllen, was die UNO heute macht.

    (Karl Lamers [CDU/CSU]: AWACS aber nicht!)

    Das ist die Praxis. Wenn ich an frühere Äußerungen
    von Herrn Rühe denke, so sagt er selber, daß über
    Blockaden in Nahost und Mission defense usw. usf.



    Karsten D. Voigt (Frankfurt)

    hinaus auch die Bundesregierung in den nächsten Jahren gar nichts anderes machen möchte.

    (Karl Lamers [CDU/CSU]: Ja, wir tun es!)

    Aber der entscheidende Punkt, den auch der Bundeskanzler verschleiert hat, als er nur von der UNO redete, ist der — damit komme ich auf meine Eingangsbemerkung zurück —, daß die Bundesregierung diesem Parlament einen Vorschlag zur Verfassungsänderung vorgelegt hat, in dem es eben nicht nur um friedliche und auch militärische Kampfeinsätze oder Kriegseinsätze geht, die durch den UNO-Sicherheitsrat ermöglicht oder beschlossen sind, sondern auch unabhängig davon.
    Dabei geht es nicht um die Frage, ob ich Ihnen unterstelle, daß Sie eine Bundeswehr als Interventionsarmee oder Kriegsarmee wollen — Verfassungsänderungen stehen jenseits von Unterstellungen gegenüber jetzt noch bestehenden Regierungen oder Koalitionen —, sondern es geht darum, ob wir verfassungsrechtlich die Möglichkeit eröffnen, unabhängig von der UNO weltweit zu intervenieren. Diese Frage ist nicht nur legitim, sie ist erforderlich und notwendig. Da können Sie nicht dadurch ausweichen, daß Sie sagen, Sie subjektiv wollten solche Interventionen weltweit nicht. Wenn Sie sie nicht wollen, dann sollten Sie auch nicht solche Verfassungsänderungen hier beantragen. Diese Differenz werden wir allerdings in den nächsten Wochen und Monaten weiter herausarbeiten.

    (Beifall bei der SPD — Karl Lamers [CDU/CSU]: Ihr wolltet doch gar keine Verfassungsänderung! )



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Nach § 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Helmut Schäfer (Mainz) das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schäfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Kollege Voigt, Sie zwingen mich zu einer Erwiderung, da Sie in einer geradezu abenteuerlichen Weise versucht haben, die F.D.P. dafür verantwortlich zu machen, daß angeblich deutsche Soldaten in Somalia nicht in der Lage seien, sich zu verteidigen. Ich halte das wirklich für einigermaßen grotesk.
    Ich darf darauf hinweisen, Herr Voigt, daß wir in vielen Gesprächen in der Vergangenheit feststellen konnten, daß es zwischen Ihnen und mir und zumindest zwischen den Kollegen der SPD, die internationale Erfahrungen haben, und denen der F.D.P. überhaupt keine Unterschiede gibt, sondern daß es für Sie eigentlich ein großes Problem war, daß es an denjenigen in Ihrer Partei, die immer wieder UNO-Einsätze mit Interventionismus verwechseln und das auch plakativ der SPD-Mitgliedschaft andienen, liegt, daß wir nicht weiterkommen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben doch in Karlsruhe geklagt!)

    Wenn Sie jetzt sagen, Herr Kollege Voigt, es sei unsererseits keine Bereitschaft da, darf ich noch einmal darauf hinweisen: Der Außenminister hat gerade vor wenigen Minuten das Angebot, weiter zu verhandeln, auf den Tisch gelegt. Es liegt an Ihnen und nicht an uns. Da kann man auch über den einen von Ihnen möglicherweise durchaus zu Recht angesprochenen Punkt zu einer vernünftigen Lösung kommen. Die Kompromißbereitschaft ist ja da. Der Außenminister ist in einem anderen Punkt bis zu einem Zwei-Drittel-Mehrheits-Vorschlag gegangen. Das wissen Sie doch.
    Ich bitte also, jetzt nur festzustellen, daß wir einen Kampfeinsatz in Somalia nicht genehmigen konnten und können, weil nach unserer Auffassung die Verfassungslage einen solchen Einsatz nicht hergibt. Insofern können Sie nicht den Vorwurf erheben, daß sich unsere Soldaten dort von anderen schützen lassen müßten. Das ist doch die Folge Ihrer unklaren Einstellung zu einer Verfassungsänderung und nicht die Folge einer verfehlten F.D.P.-Politik. Das wollte ich noch einmal in aller Deutlichkeit sagen.
    Ich bin der festen Auffassung, daß wir weiterkommen. Denn ein letztes: Wir bemühen uns inzwischen auch, über Ihnen nahestehende und uns vertraute Politiker in der Sozialistischen Internationale Einfluß auf Ihre Partei zu gewinnen, damit die Solidarität der Sozialdemokraten in der SI in Zukunft wiederhergestellt wird, so daß die letzte Partei, die sich so gegen Einsätze in den Vereinten Nationen sperrt, auch bereit ist, der Mehrheit der SI zu folgen.

    (Beifall bei der F.D.P.)