Rede:
ID1217203100

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Herr: 1
    2. Kollege: 1
    3. Klose,: 1
    4. gestatten: 1
    5. Sie: 1
    6. eine: 1
    7. Zwischenfrage?: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/172 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 172. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. September 1993 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksache 12/5500) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1993 bis 1997 (Drucksache 12/5501) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (Drucksache 12/5502) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungsund Wachstumsprogramms (Drucksache 12/5510) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz) (Drucksache 12/5630) Rudolf Scharping, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz 14735 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 14744 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA . 14754 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 14754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 14758A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 14760 C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14764 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 14767 A Hans-Ulrich Klose SPD 14775 A Dr. Renate Hellwig CDU/CSU . . . 14778 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 14778B Friedrich Bohl CDU/CSU 14784 B Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU 14786B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 14786D Michael Glos CDU/CSU 14790 C Walter Kolbow SPD 14791 D Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . 14796 C Hans-Gerd Strube CDU/CSU 14798A Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14799B Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 14800 B Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD 14802B, 14805C Helmut Schäfer (Mainz) F.D.P. . . . . 14805 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14805 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 14807 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 14808 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14809 B Dr. Klaus Rose CDU/CSU 14810B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. September 1993 Ortwin Lowack fraktionslos 14812B Ernst Hinsken CDU/CSU 14812D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos . 14814B, 14848 C Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 14815C Michael Habermann SPD 14817 B Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. . . . . . 14820 C Ortrun Schätzle CDU/CSU 14822 A Michael Habermann SPD 14822 D Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 14824 A Maria Michalk CDU/CSU 14825 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 14826D Dr. Edith Niehuis SPD 14829A Uta Würfel F D P. 14831 A Dr. Edith Niehuis SPD 14832 A Petra Blass PDS/Linke Liste 14833 A Susanne Jaffke CDU/CSU 14834 A Ralf Walter (Cochem) SPD 14835 B Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 14837 C Doris Odendahl SPD 14838 C Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . . 14841D Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . . 14843 C Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14844 B Carl-Ludwig Thiele F D P 14845 B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 14846 D Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister BMFT 14849B Josef Vosen SPD 14851D, 14855 C Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F D P 14852 C Dietrich Austermann CDU/CSU 14855 B Siegmar Mosdorf SPD . . . 14856C, 14861A Werner Zywietz F D P 14857 D Josef Vosen SPD 14858 C Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . . 14859 C Erich Maaß (Wilhelmshaven) CDU/CSU 14860B Nächste Sitzung 14862 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14863* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. September 1993 14735 172. Sitzung Bonn, den 8. September 1993 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 8. 9. 93 Bartsch, Holger SPD 8. 9. 93 Blunck (Uetersen), SPD 8. 9. 93** Lieselott Dr. Blunk (Lübeck), F.D.P. 8. 9. 93 Michaela Böhm (Melsungen), CDU/CSU 8. 9. 93 ** Wilfried Börnsen (Bönstrup), CDU/CSU 8. 9. 93 Wolfgang Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 8. 9. 93 * Clemens, Joachim CDU/CSU 8. 9. 93 Ebert, Eike SPD 8. 9. 93 Dr. Fischer, Ursula PDS/LL 8. 9. 93 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 8. 9. 93 Dr. Gautier, Fritz SPD 8. 9. 93 Heyenn, Günther SPD 8. 9. 93 Hollerith, Josef CDU/CSU 8. 9. 93 Jaunich, Horst SPD 8. 9. 93 Dr. Kübler, Klaus SPD 8. 9. 93 Lambinus, Uwe SPD 8. 9. 93 Lenzer, Christian CDU/CSU 8. 9. 93 ** Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 8. 9. 93 Meckel, Markus SPD 8. 9. 93 Michels, Meinolf CDU/CSU 8. 9. 93* Dr. Müller, Günther CDU/CSU 8. 9. 93 * Müller (Düsseldorf), SPD 8. 9. 93 Michael Opel, Manfred SPD 8. 9. 93*** Pfuhl, Albert SPD 8. 9. 93 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 8. 9. 93 Reuschenbach, Peter W. SPD 8. 9. 93 Dr. Riedl (München), CDU/CSU 8. 9. 93 Erich Dr. Scheer, Hermann SPD 8. 9. 93 * Schell, Manfred CDU/CSU 8. 9. 93 Schmidt (Nürnberg), SPD 8. 9. 93 Renate Stachowa, Angela PDS/LL 8. 9. 93 Dr. von Teichman, F.D.P. 8. 9. 93 Cornelia Weis (Stendal), Reinhard SPD 8. 9. 93 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Ulrich Klose


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man dem Bundeskanzler heute und in den letzten Wochen zugehört hat,

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Es lohnt sich immer!)

    als er über das Fernsehen aus dem Urlaub zu uns sprach,

    (Heiterkeit bei der SPD)

    dann bleibt nur die Feststellung: Ihm geht es offenbar gut,

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

    aber unser Land befindet sich in einer Krise.

    (Beifall bei der SPD)

    Nichts gegen Ihr Wohlbefinden, Herr Bundeskanzler; ganz im Gegenteil.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sehen heute sehr blaß aus!)

    Uns aber wäre wohler, wenn wir aus dieser Debatte den sicheren Eindruck mitnehmen dürften, daß Sie die Krise so, wie sie ist, zur Kenntnis nehmen und zu deren Überwindung mit mehr als nur Worten beitragen würden.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, Helmut Schmidt, der Vorgänger im Amt, ungeliebt oder geschätzt wegen seiner vielen Ratschläge — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Bei uns mehr geliebt und bei euch weniger geschätzt!)

    Ich habe übrigens, Herr Bundeskanzler, den Eindruck: Ob die Ratschläge geschätzt werden oder nicht so sehr, das hängt weniger von der Person als von dem Inhalt der Ratschläge ab; denn ich habe Sie — so erinnere ich mich — über Ratschläge von Helmut Schmidt schon anders reden hören als heute gegenüber Ministerpräsident Scharping.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist wahr! Es gibt solche und solche!)

    Ich finde, das sollten Sie zugeben. Vielleicht wäre es gut, wenn Sie den größeren Teil der Ratschläge, die er Ihnen in seinem letzten Buch erteilt, akzeptieren würden. Dann denken wir auch über die Ratschläge von Helmut Schmidt, die er uns erteilt, um so lieber nach.

    (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Bei euch hilft es sowieso nichts!)

    Im übrigen entdecke ich an mir selber, daß ich die Ratschläge von Helmut Schmidt, geschätzt oder nicht geschätzt, heute eher lieber höre. Aber ich erinnere mich — man soll ja vor seiner Geschichte nicht weglaufen —, es gab auch schon mal andere Zeiten.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich mußte das einfügen, weil Helmut Schmidt heute schon so oft zitiert worden ist.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber nicht von Scharping!)

    — Doch, doch er ist auch von Scharping genannt worden.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Nur einmal auf meine Einwendung, sonst nicht!)

    Helmut Schmidt spricht von der wahrscheinlich größten Krise seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. So drastisch würde es Herr Bundeskanzler Dr. Kohl nie formulieren.

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Weil es auch nicht stimmt!)

    Im Gegenteil: Er versucht ja noch immer, die Dinge etwas schönerzureden, als sie sind, und zumindest abzulenken, wenn es um persönliche Verantwortung geht, um politisch über die Runden zu kommen. Wenn es einer anders sieht, wie z. B. der Kollege Schulz, dem ich ebenfalls nicht inhaltlich in jedem Punkt zustimmen möchte — das nun doch nicht —, dann wird dieser Kollege, bildlich gesprochen, exiliert. Ich finde, daß das nicht die richtige Vorgehensweise ist. Natürlich haben Sie, Herr Bundeskanzler, jedes Recht auf eine eigene Meinung, und Sie können sie so stark und kraftvoll vertreten, wie es Ihnen möglich ist. Aber Sie befinden sich nicht im Besitz der absoluten Wahrheit, und ex cathedra sprechen Sie noch nicht.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das ist richtig!)

    Lassen Sie mich eine Bemerkung zu dem Stichwort Patriotismus machen, Herr Bundeskanzler. Ich nehme Ihnen Ihren Patriotismus ab.

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das wäre auch schlimm! )

    — Darf ich das sagen? Das war eine besonders kluge Zwischenbemerkung.
    Ich nehme Ihnen diesen Patriotismus ab und glaube auch, wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß dieses Europa, wie de Gaulle es seinerzeit gesagt hat, am Ende ein Europa der Vaterländer sein wird. Aber einen Alleinformulierungsanspruch für das, was Patriotismus ist, haben Sie natürlich nicht, Herr Bundeskanzler. Denn ich glaube inzwischen, auch ich bin ein Patriot. Ich gebe zu: Als ich das festgestellt habe, war ich zuerst eher ein bißchen erschrocken

    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    oder jedenfalls erstaunt — das ist übrigens gar nicht zum Lachen —, und noch heute mischt sich in diesen meinen Patriotismus, wenn ich an Deutschland denke oder über Deutschland nachdenke, zu der Liebe auch so etwas wie Ängstlichkeit. Gleichwohl bin ich ein Patriot.



    Hans-Ulrich Klose
    Herr Bundeskanzler, die Probleme, vor denen unser Land steht, sind groß und zahlreich. Nicht alle sind der Bundesregierung anzulasten; das ist richtig. Das sage ich hier, das sage ich sogar in Wahlveranstaltungen. Aber richtig ist eben auch, daß diese Regierung die Probleme durch politische und handwerkliche Fehler verschärft und durch Nichtstun vermehrt hat.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Dr. Uwe Küster [SPD]: Leider!)

    Im übrigen bitte ich Sie, meine Damen und Herren — auch jene von den Medien —, immer fein auf die Sprache des Herrn Bundeskanzlers zu achten. Er kennt ja die Probleme, und er weiß auch um die Verantwortung. Immer wenn es brenzlig wird und wenn er über seine Verantwortung reden müßte, dann redet er klugerweise von Gemeinsamkeit:

    (Beifall bei der SPD)

    „Nun laßt es uns doch einmal gemeinsam machen." Das ist natürlich die richtige Aufgabenverteilung. So hätte er es gerne: Wenn die Kastanien im Feuer sind und er alleine Probleme bekommt, dann besinnt er sich darauf, daß es ja noch andere gibt — nicht nur die Opposition, nein, da gibt es sogar auch Gewerkschaften, und die sollen dann mittun.
    Diese Aufgabenverteilung haben wir, um ehrlich zu sein, nicht so gern, und deshalb wollte ich auf diesen Punkt einmal aufmerksam machen. Es ist sehr interessant, eine solche Kanzlerrede — auch Reden von Ihnen, Herr Kollege Schäuble — unter diesem Gesichtspunkt sorgfältig nachzulesen.
    Wenn es eine Krise der Republik gibt — und die läßt sich eben nicht leugnen, Herr Bundeskanzler —, dann ist es Ihre Krise. Sie tragen die Verantwortung und müssen einstehen für diese Verantwortung.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie sind verantwortlich für die ökonomische Krise. Wenn Sie sagen — wörtlich formuliert —: „Wir haben in den 80er Jahren 3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen" , dann, Herr Bundeskanzler, tragen Sie — Sie persönlich — die Verantwortung für die Arbeitslosigkeit im Westen und vor allem im Osten der Republik.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer die Erfolge für sich einheimst, der muß auch die Mißerfolge auf seine Schultern laden.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Das sind heute ca. 5 Millionen Menschen, die in Deutschland ohne oder ohne reguläre Arbeit sind; Ende des Jahres werden es wahrscheinlich 6 Millionen sein.
    Sie, Herr Bundeskanzler, sind verantwortlich für die exorbitant hohe Verschuldung der öffentlichen Haushalte, auf die — das habe ich im Verlauf dieser Debatte gelernt — der Herr Bundesfinanzminister auch noch stolz ist. In Ihrer Regierungszeit, Herr Bundeskanzler, hat sich die Verschuldung von 682 Milliarden DM im Jahr 1982 auf 1,8 Billionen DM verdreifacht. 1997 werden wir bei ca. 2,5 Billionen DM landen.
    In Ihrer Regierungszeit, Herr Bundeskanzler, unter Ihrer Verantwortung hat sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger mehr als verdreifacht.

    (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

    Es fehlen heute — Sie tragen die Verantwortung — ca. 2 Millionen Wohnungen. Die Kriminalität ist während Ihrer Kanzlerzeit drastisch gestiegen und steigt weiter.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Sie sind verantwortlich, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Fakten sind klar, und es ist deutlich, daß sich diese Entwicklung zum Negativen in Ihrer Amtszeit vollzogen hat. Es sind Ihre Schulden, Ihre Arbeitslosen. Sie haben in den 80er Jahren den sozialen Wohnungsbau eingestellt, und Sie haben die Verarmungsprozesse in der Bevölkerung nicht nur nicht verhindert, Sie haben sie durch Ihre Politik gefördert.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Sie sind 1982 — ich erinnere mich an die damaligen Debatten noch gut, obwohl ich dem Bundestag damals noch nicht angehörte — angetreten mit der Forderung nach der geistig-moralischen Wende. Zehn Jahre später beklagen Sie die Erosion des Rechtsbewußtseins und den Verlust an festen Wertmaßstäben und Orientierung. Der Verlust ist unübersehbar.

    (Zuruf von der SPD: Das war die Wende!)

    Richtig ist sicher auch, daß Sie dafür nicht allein verantwortlich sind. Sie haben es sich aber zu Beginn Ihrer Amtsführung zur Aufgabe gemacht, den schon damals von Ihnen beklagten Werteverlust zu korrigieren. Wie sieht denn nun zehn Jahre später Ihre Erfolgsbilanz aus? Ich zitiere aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von uns:
    Notwendige Veränderungen müssen ansetzen im Elternhaus, in der Schule, bei der Verantwortung der Medien, der Kirche, den Gewerkschaften. Die Bundesregierung kann zu den notwendigen Korrekturen nur aufrufen und begleitend wirken. Eingeleitet und vollzogen werden muß diese Entwicklung durch die Gesellschaft insgesamt.
    War es das wirklich, Herr Bundeskanzler, was Sie mit geistig-moralischer Wende gemeint haben: große Worte und sonst gar nichts?

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen: Wenn Sie die Rolle der Medien beklagen — da ist unbestreitbar mancherlei zu beklagen —

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ich habe die Rolle der Medien gar nicht beklagt!)

    — in dieser Antwort der Bundesregierung, die ich eben zitiert habe; ich bitte um Entschuldigung; auch das, was ich zitiere, ist in der Debatte eingeführt; deshalb zitiere ich es ja —, dann frage ich: Wer hat



    Hans-Ulrich Klose
    denn durch die ungehemmte Privatisierung der Medien zu deren Kommerzialisierung beigetragen?

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sie waren das doch, nicht wir! Und heute gibt es aus Ihren Reihen schon wieder Äußerungen, daß man auch dem öffentlichen Rundfunk, so wie er jetzt noch ist, ans Leder gehen müsse, indem man die Gebühren abschaffe. Sie sind das doch, nicht wir!
    Sie waren es auch, der mit der Formel von der Leistung, die sich wieder — wieder! — lohnen müsse, die Umverteilung von unten nach oben eingeleitet und die Desintegration in der Gesellschaft vorangetrieben hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Die deutsche Gesellschaft des Jahres 1993 ist — leider — eine vielfach in sich gespaltene Gesellschaft, eine Gesellschaft, die mehr und mehr in Unfrieden lebt. Den oberen zwei Dritteln geht es gut und besser, dem unteren Drittel der Gesellschaft geht es relativ und absolut immer schlechter.
    Um es zu wiederholen: Die Zahl der Sozialhilfeempfänger hat sich, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungszeit mehr als verdreifacht.

    (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Wie kommt das denn?)

    Und was besonders erschreckend ist: Ein überproportional hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen lebt in Haushalten, die auf Sozialhilfe angewiesen sind.
    Herr Bundeskanzler, Kriminalität hat immer auch gesellschaftliche Ursachen.

    (Beifall bei der SPD)

    In dieser Entwicklung, in der Politik der Entsolidarisierung, sehe ich eine der Ursachen für das, was wir in unserem Lande registrieren. Deshalb muß ich Sie auffordern, wenn Sie und andere von Kriminalitätsbekämpfung sprechen, nicht immer nur in den Kategorien repressiver Reaktion, sondern auch in den Kategorien der Ursachenbekämpfung zu denken. Da ist mancherlei zu tun.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Daß wir im übrigen — auch wenn es darum geht, gesetzgeberisch tätig zu werden — mit uns reden lassen, hat Ministerpräsident Scharping für die SPD klargemacht. Ich unterstreiche das ausdrücklich. Aber in dem anderen Bereich sind zunächst Sie einmal gefordert; denn Sie haben regiert und regieren, und Sie haben die von mir beklagte Entwicklung zum Negativen zu verantworten. Ich weiß, daß Sie das nicht gern hören. Sie sind ja nicht unbedingt ein Meister im Zuhören.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Beobachten Sie mal Ihre Fraktion, wenn einer von uns redet! Wir hören Ihnen wirklich zu; Sie können sich nicht beklagen!)

    — Wenn Sie das persönlich nehmen, ziehe ich es zurück — denn ich will keine persönliche Auseinandersetzung haben —

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist es recht!)

    und formuliere es anders. Ich habe eher den Eindruck, Herr Bundeskanzler, daß Sie, wenn es um unangenehme Tatsachen geht, eine gewisse Neigung haben, wegzuhören und in der Reaktion eher zu verunklaren, als zur Klärung der Situation beizutragen. War das freundlich genug?

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl)

    — Okay, wenn Sie sagen, dies sei eine menschliche Eigenschaft seit Adam und Eva, bestätigen Sie mindestens, daß ich mit meiner Analyse so falsch nicht liege.
    Herr Bundeskanzler, zurück zu meinem Faden, den ich ungern verliere. Wenn Sie oder Herr Bundesfinanzminister Waigel heute von einer hohen Verschuldung sprechen — ich war beim Stichwort „verunklaren" —, dann reden Sie mit besonderer Lust von Erblasten; die finanziellen Lasten der DDR finanzieren Sie aus dem „Erblastentilgungsfonds". Mit dieser Sprachschöpfung — das ist ja völlig klar — will uns die Regierung weismachen, sie trage für diese hohe Verschuldung in Wahrheit keinerlei Verantwortung, habe alles nur geerbt.
    Ist das wirklich so, Herr Bundeskanzler? Sind Sie nicht verantwortlich für den seinerzeit vereinbarten Umtauschkurs bei der Einführung der Wirtschafts-und Währungsunion?

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist doch nicht das Problem! — Zurufe von der F.D.P.)

    Sie sind verantwortlich, und wir alle sind als Folge dieses Kurses gezwungen, 30 Milliarden DM jährlich allein zur Bedienung der daraus entstandenen Schulden aufzuwenden.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Welchen Kurs hätten Sie denn genommen? Sagen Sie das doch mal den Rentnern!)

    Mit diesen 30 Milliarden DM könnte für die Menschen im östlichen Teil Deutschlands wahrlich mehr getan werden als mit dem Strohfeuer eines einmaligen Umtauschgeschenkes, das im übrigen ökonomisch, wie Sie wissen, nur dem Westen gedient hat, nicht aber dem Osten.

    (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Zerstörerisch!)

    Nein, das war keine Erblast, sondern eine bewußte Entscheidung, über die man ja streiten kann, Herr Kollege Schäuble; das ist nicht mein Punkt. Aber ich widerspreche, wenn einfach immer so getan wird, als sei das über Sie und über die Regierung gekommen. So ist es nicht. Das ist die Folge einer politischen Entscheidung, die man so oder so beurteilen kann.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)




    Hans-Ulrich Klose
    Diese Entscheidung jedenfalls ist teuer. Ob sie ökonomisch gehollen oder eher geschadet hat, darüber kann man sehr wohl streiten. Nicht streiten kann man aber — das sage ich Ihnen — über Ihre historische Fehlentscheidung, die deutsche Einheit, diesen Glücksfall, ausschließlich auf Pump zu finanzieren. Darüber kann man jedenfalls nicht streiten!

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Hans Klein
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Kollege Klose, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Ulrich Klose


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ja, sicherlich.