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ID1217201200

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    Plenarprotokoll 12/172 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 172. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. September 1993 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksache 12/5500) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1993 bis 1997 (Drucksache 12/5501) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (Drucksache 12/5502) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungsund Wachstumsprogramms (Drucksache 12/5510) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz) (Drucksache 12/5630) Rudolf Scharping, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz 14735 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 14744 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA . 14754 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 14754 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 14758A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 14760 C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14764 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 14767 A Hans-Ulrich Klose SPD 14775 A Dr. Renate Hellwig CDU/CSU . . . 14778 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 14778B Friedrich Bohl CDU/CSU 14784 B Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU 14786B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 14786D Michael Glos CDU/CSU 14790 C Walter Kolbow SPD 14791 D Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste . . 14796 C Hans-Gerd Strube CDU/CSU 14798A Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14799B Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 14800 B Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD 14802B, 14805C Helmut Schäfer (Mainz) F.D.P. . . . . 14805 B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14805 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 14807 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 14808 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14809 B Dr. Klaus Rose CDU/CSU 14810B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. September 1993 Ortwin Lowack fraktionslos 14812B Ernst Hinsken CDU/CSU 14812D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos . 14814B, 14848 C Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 14815C Michael Habermann SPD 14817 B Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. . . . . . 14820 C Ortrun Schätzle CDU/CSU 14822 A Michael Habermann SPD 14822 D Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 14824 A Maria Michalk CDU/CSU 14825 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 14826D Dr. Edith Niehuis SPD 14829A Uta Würfel F D P. 14831 A Dr. Edith Niehuis SPD 14832 A Petra Blass PDS/Linke Liste 14833 A Susanne Jaffke CDU/CSU 14834 A Ralf Walter (Cochem) SPD 14835 B Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 14837 C Doris Odendahl SPD 14838 C Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . . 14841D Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . . 14843 C Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14844 B Carl-Ludwig Thiele F D P 14845 B Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 14846 D Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister BMFT 14849B Josef Vosen SPD 14851D, 14855 C Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F D P 14852 C Dietrich Austermann CDU/CSU 14855 B Siegmar Mosdorf SPD . . . 14856C, 14861A Werner Zywietz F D P 14857 D Josef Vosen SPD 14858 C Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . . 14859 C Erich Maaß (Wilhelmshaven) CDU/CSU 14860B Nächste Sitzung 14862 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14863* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 172. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. September 1993 14735 172. Sitzung Bonn, den 8. September 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 8. 9. 93 Bartsch, Holger SPD 8. 9. 93 Blunck (Uetersen), SPD 8. 9. 93** Lieselott Dr. Blunk (Lübeck), F.D.P. 8. 9. 93 Michaela Böhm (Melsungen), CDU/CSU 8. 9. 93 ** Wilfried Börnsen (Bönstrup), CDU/CSU 8. 9. 93 Wolfgang Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 8. 9. 93 * Clemens, Joachim CDU/CSU 8. 9. 93 Ebert, Eike SPD 8. 9. 93 Dr. Fischer, Ursula PDS/LL 8. 9. 93 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 8. 9. 93 Dr. Gautier, Fritz SPD 8. 9. 93 Heyenn, Günther SPD 8. 9. 93 Hollerith, Josef CDU/CSU 8. 9. 93 Jaunich, Horst SPD 8. 9. 93 Dr. Kübler, Klaus SPD 8. 9. 93 Lambinus, Uwe SPD 8. 9. 93 Lenzer, Christian CDU/CSU 8. 9. 93 ** Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 8. 9. 93 Meckel, Markus SPD 8. 9. 93 Michels, Meinolf CDU/CSU 8. 9. 93* Dr. Müller, Günther CDU/CSU 8. 9. 93 * Müller (Düsseldorf), SPD 8. 9. 93 Michael Opel, Manfred SPD 8. 9. 93*** Pfuhl, Albert SPD 8. 9. 93 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 8. 9. 93 Reuschenbach, Peter W. SPD 8. 9. 93 Dr. Riedl (München), CDU/CSU 8. 9. 93 Erich Dr. Scheer, Hermann SPD 8. 9. 93 * Schell, Manfred CDU/CSU 8. 9. 93 Schmidt (Nürnberg), SPD 8. 9. 93 Renate Stachowa, Angela PDS/LL 8. 9. 93 Dr. von Teichman, F.D.P. 8. 9. 93 Cornelia Weis (Stendal), Reinhard SPD 8. 9. 93 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Otto Solms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Es wird beklagt, daß Bundeswirtschaftsminister Rexrodt eine Analyse der wirtschaftlichen Situation aufgezeigt hat, die auch viel Selbstkritisches enthält. Aber das ist ein Grund, ihm dankbar zu sein; denn nur auf der Basis einer klaren und ehrlichen Analyse läßt sich eine richtige Therapie gestalten.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es reicht eben nicht, die Probleme nur darzustellen, sie lauthals zu beklagen, die Misere zu beschwören und das Chaos an die Wand zu malen, wie es Frau Matthäus gestern oder wie es der Herr Parteivorsitzende der SPD, Herr Scharping, wenn auch in differenzierender Form, soeben getan hat.
    Jetzt geht es darum, Lösungen zu entwickeln und konkrete Konzepte vorzulegen. Das ist unsere Aufgabe. Wenn wir das tun, wird auch die Zuversicht im Lande wieder einkehren, werden die Menschen in diesem Lande an diesem Aufbau mitarbeiten. Dies müssen wir auslösen; denn Wirtschaft, Volkswirtschaft ist ja auch maßgeblich Psychologie.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Probleme als eine Chance zur Veränderung begreifen; denn unser Staat muß verändert werden. Er muß angepaßt werden. Er muß flexibler werden. Nur dann kommen wir aus der Agonie heraus, in der er sich teilweise befindet.
    Wir müssen beim Angehen der Probleme Entschlossenheit und Mut beweisen; denn Mißmut — darauf hat Graf Lambsdorff im letzten Jahr schon hingewiesen — hilft vielleicht der Opposition, aber Mißmut hilft den Menschen nicht,

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    macht ihnen keinen Mut, selbst Hand anzulegen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Im übrigen sind es die Menschen leid, von uns immer wieder diese Streitrituale vorgeführt zu bekommen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Sie wollen, daß wir handeln. Die Regierungskoalition ist bereit dazu. Sie hat es bereits unter Beweis gestellt.
    Die Asylproblematik entspannt sich auf Grund des gefundenen Kompromisses. Die Asylbewerberzahlen sind in den vergangenen zwei Monaten von vorher über 30 000 im Monat auf unter 15 000, also um über 50 %, zurückgegangen. Wäre der Asylkompromiß nicht so lange verzögert worden, hätten wir dieses Ergebnis schon früher haben können,

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    und zwar sowohl mit der entsprechenden Beruhigung als auch mit den entsprechenden Einsparungen, die wir dabei auch erzielt hätten.
    Die Regierung hat das Föderale Konsolidierungskonzept und das Standortsicherungsgesetz auf den Weg gebracht. Vor der Sommerpause hat die Koalition ein einschneidendes Sparpaket beschlossen, das nun mit dem hier zu beratenden Haushalt umgesetzt wird.
    Herr Scharping, weil Sie es in Ihren Ausführungen mit den Finanzen anscheinend nicht so wichtig nehmen, muß ich auf das zurückkommen, was auch Herr Schäuble gesagt hat: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. Das sagt der Volksmund.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wer im Kleinen nicht bereit ist, anzufangen zu sparen, der wird auch die Aufgaben im Großen nicht erfüllen können.

    (Beifall bei der F.D.P. — Detlev von Larcher [SPD]: Sie haben offenbar den Sinn nicht begriffen!)

    Daran müssen alle mitarbeiten.
    Nach der Verabschiedung des Sparpakets kam es bereits zu einer spürbaren Beruhigung auf den Devisenmärkten. Das zeigt: Die Märkte schätzen die Leistungen der Bundesregierung sehr wohl positiv ein. Nun liegt es an Ihnen, das gleiche zu tun.

    (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das Bundeskabinett hat auf Initiative von Minister Rexrodt ein Programm zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts und zur Schaffung von mehr Beschäftigung auf den Weg gebracht. Auf diesem Weg gilt es nun voranzugehen; denn darin sind die therapeutischen Mittel enthalten, die wir nun anwenden müssen.

    (Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

    Das Kernproblem unserer Gesellschaft ist die Arbeitslosigkeit. Auf die Lösung dieses Problems müssen sich die Bemühungen konzentrieren. Selbst wenn wir die Talsohle der Konjunkturentwicklung erreicht haben sollten: Die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen. Das ist klar. Sie wird im Winter diesen und nächsten Jahres die Zahl von vier Millionen überschreiten. Daran führt jetzt kein Weg vorbei. Das müssen wir auch den Menschen ganz offen sagen.
    Es geht darum: Wie schaffen wir langfristig zusätzliche Arbeitsplätze, und wie können wir die tenden-



    Dr. Hermann Otto Solms
    ziell seit Jahrzehnten steigende Sockelarbeitslosigkeit bekämpfen? Da muß unsere Strategie für mehr Beschäftigung und Wachstum ansetzen. Sie kann nur erfolgreich sein, wenn alle dafür entscheidenden Körperschaften mitwirken: die Bundesregierung, der Bundestag, der Bundesrat mit seiner SPD-Mehrheit, die Tarifvertragsparteien und schlußendlich auch die Deutsche Bundesbank.
    Meine Damen und Herren von der Opposition, hier sind auch Sie in der Verantwortung. Klagen Sie nicht nur an! Arbeiten Sie mit, damit das Gesamtwerk gelingen kann!

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD])

    Es ist ein Konstruktionsmerkmal unseres sozialen Sicherungssystems, daß es an die Beschäftigung anknüpft. Nur durch mehr Beschäftigung können wir auch die soziale Sicherheit garantieren und dauerhaft leistungsfähig gestalten.
    Die Renten sind auch langfristig sicher, wenn es uns gelingt, die Beschäftigungssituation zu verbessern. Deswegen weiß ich auch gar nicht, warum Sie beklagen, daß sich Herr Rexrodt um die langfristige Sicherung der Renten kümmert. Das ist eine Aufgabe, die ein Wirtschaftsminister natürlich anpacken und auch öffentlich darstellen muß. Denn es ist ein Problem, das von allen Seiten erkannt und gesehen wird.
    Ich darf daran erinnern, daß Ihr Kollege und Sozialexperte Dreßler bei der Verabschiedung des Rentenreformkonzeptes 1989 wörtlich gesagt hat, daß die Reform für die nächsten zwei Jahrzehnte Korrekturen überflüssig machen soll. Das heißt, bis zum Jahre 2009 hat auch Herr Dreßler die Renten für sicher gehalten, darüber hinaus auf der Basis der jetzigen Struktur nicht.
    Es geht also darum: Wie können wir — übrigens gemeinsam, es gab ja immer den Rentenkonsens — für die Sicherung der Renten auch über diese Zeit hinaus, d. h. für die jetzt Beschäftigten, sorgen? Das ist die Aufgabe, und ihr stellen wir uns. Sie ist nur zu lösen, wenn wir die Beschäftigung so gestalten, daß genügend Beitragszahler zur Finanzierung der Renten und der anderen sozialen Sicherungssysteme zur Verfügung stehen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren wir brauchen eine Doppelstrategie für mehr Beschäftigung. Zum einen müssen wir die Standortbedingungen so gestalten, daß mehr dauerhafte Arbeitsplätze entstehen, und zwar im ersten Arbeitsmarkt. Zum anderen müssen wir neue Beschäftigungsfelder, neue Beschäftigungsformen für Menschen finden, die im ersten Arbeitsmarkt ohne solche Bemühungen keine Arbeit finden.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Es ist ja ganz einfach zu erkennen: Aus jedem Konjunkturtal sind wir in den letzten Jahrzehnten mit einer um 700 000 Personen erhöhten Sockelarbeitslosigkeit herausgekommen. Im jetzigen Konjunkturtal wird sich die Sockelarbeitslosigkeit noch einmal erhöhen, vermutlich um eine höhere Zahl, weil Deutschland größer geworden ist. Was können wir tun, um dem zu begegnen? Diese beiden Fragen sind zu beantworten.
    Zunächst zum ersten Problem: Die Standortbedingungen sind zu verbessern. Die deutsche Wirtschaft ist in ihrer Grundstruktur ein leistungsfähiger Riese. Aber sie liegt wie Gulliver eingeschnürt am Boden, gefesselt von tausenden von Normen, Richtlinien, Verordnungen, Auflagen, Abgaben, Steuern, Geboten und Regulierungen — lauter Fesseln, die einzeln kaum von Bedeutung wären, aber in ihrer Zusammenballung dazu führen, daß sich der Riese Gulliver nicht mehr bewegen kann, daß er gelähmt ist.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir müssen ihn von diesen Fesseln befreien. Unsere Volkswirtschaft braucht mehr Luft zum Atmen, braucht mehr Beweglichkeit, mehr Freiraum für unternehmerische Initiative. Wir müssen Gulliver wieder zum Laufen bringen. Das ist die Aufgabe.
    Was ist zu tun? Erstens: Wir müssen die Steuern und Abgaben senken. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer muß nach 1995 unter Einbeziehung des Solidaritätszuschlages über 45 % seines Einkommens für Steuern und Abgaben abgeben. Das senkt seine Leistungsbereitschaft, und das treibt ihn in die Schattenwirtschaft, in die Schwarzarbeit. Die Belastung der deutschen Wirtschaft mit Steuern und Abgaben ist weltweit ein trauriger Rekord. Das führt nicht dazu, daß die Investoren — international oder national — bereit sind, hier mutig zu investieren.
    Die Mehrwertsteuererhöhung mußte durchgeführt werden, die Mineralölsteuererhöhung folgt im nächsten Jahr, dann der Solidaritätszuschlag. Das ist nicht zu vermeiden, wenn wir die Erblast des Sozialismus tilgen wollen.
    Aber, meine Damen und Herren, wir müssen so schnell wie möglich neue Finanzspielräume erarbeiten, damit wir diese Belastung wieder senken können. Nur dann wird es gelingen, die Leistungsbereitschaft der Bevölkerung zu steigern, nur dann wird es gelingen, die Konjunktur zu stützen und die Wirtschaft wieder zum Investieren zu bringen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Zweitens. Wir müssen die öffentlichen Finanzen konsolidieren. An Einsparungen führt kein Weg vorbei. Auf Grund der schwachen Konjunktur fließen die Steuereinnahmen spärlicher. Diese Steuermindereinnahmen müssen wir im Haushalt 1994 durch eine höhere Nettokreditaufnahme finanzieren, obwohl der Spielraum für eine höhere Verschuldung sehr, sehr gering, wenn nicht gar überhaupt nicht vorhanden ist.
    Deshalb sind, allein um die Nettokreditaufnahme auf dem Niveau von etwa 67 Milliarden DM festzuschreiben, Einsparungen von 21 Milliarden DM notwendig. Dieses Sparprogramm hat keine Alternative. Wir müssen es vollziehen. Wir sind in den Einzelheiten in der Beratung beweglich, aber diese Gesamtsumme muß am Ende dabei herauskommen. Auch dabei muß der Bundesrat, müssen die Länder mitwirken. Es liegt in ihrer eigenen Verantwortung, auch ihre Haushalte zu konsolidieren. Nur so kann der haushaltspolitische Spielraum entstehen, daß wir wieder bewegungsfähig



    Dr. Hermann Otto Solms
    werden und stärker investive Anreize finanzieren können.
    Es führt auch kein Weg daran vorbei, die Struktur der sozialen Sicherungssysteme zu überdenken und auch hier zu Einsparungen zu kommen. Es kann mir kein Mensch erklären, daß es nicht sinnvoll ist, daß jemand, der nicht arbeitet und arbeitslos ist, weniger bekommt als jemand, der arbeitet.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Es kann auch nicht sinnvoll sein, daß jemand, der von der Sozialhilfe lebt, mehr bekommt als ein Arbeitsloser, der schließlich das Arbeitslosengeld mitfinanziert hat. Nur wenn dieses Abstandsgebot funktioniert, funktioniert auch der Arbeismarkt wieder besser. Daran führt kein Weg vorbei.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir müssen außerdem die administrativen Hemmnisse beseitigen. Es ist völlig richtig, daß wir all diese Hemmnisse geschaffen haben, und zwar alle gut begründet und nach langen Diskussionen. In der Zeit des Wohlstands in unserer gesicherten westlichen Welt konnten wir uns das leisten. Heute können wir uns vieles nicht mehr leisten, wenn wir anpassungsfähig genug bleiben wollen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Es ist richtig, was Herr Schäuble gesagt hat, nämlich daß viele — ich denke an die rot-grünen Koalitionen, ich denke insbesondere an mein Heimatland Hessen — nicht nur nicht bereit sind, die Fesseln abzustreifen, sondern jeden Tag neue Fesseln aufrichten. Wie sieht es denn mit den wichtigen Verkehrsverbindungen, Autobahnverbindungen West-Ost, beispielsweise von Kassel nach Eisenach, aus, wo sich die Lkw jeden Tag in kilometerlangen Staus befinden und die Menschen in ihren Dörfern belästigen? Hier muß gehandelt werden. Die Kommunalwahlen haben gezeigt, daß die Menschen den gegenwärtigen Zustand nicht mehr akzeptieren.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir brauchen ferner mehr Beweglichkeit in der Lohnpolitik. Wir müssen den Grundsatz durchsetzen, daß sich die Löhne an der Produktivitätsentwicklung orientieren, denn eine höhere Lohnsteigerung geht zwingend auf Kosten der Zahl der Arbeitsplätze. Wolfram Engels hat kürzlich in der „Wirtschaftswoche" geschrieben: Es ist ein tausend Jahre altes Gesetz: Wenn die Arbeitskosten steigen, sinkt die Beschäftigung. — Von diesem Gesetz kann sich keiner entfernen. Wer es beherzigt, wird dazu beitragen, daß die Beschäftigung wieder steigt. Und wir brauchen flexiblere Tarifverträge, die sich den Gegebenheiten vor Ort, im Betrieb und in der Region anpassen. Auch daran führt kein Weg vorbei.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir brauchen leistungsfähigere Strukturen in Schulen und Hochschulen wie auch im Bereich der Forschung und Technologie. Ein Industrieland wie Deutschland kann zukunftsträchtige hochbezahlte Arbeitsplätze nur zur Verfügung stellen, wenn es ein
    Spitzenland ist, ein Spitzenland, was die Ausbildung betrifft, was die Leistungen in der Forschung und in der Produktion betrifft. Deswegen können wir es uns nicht leisten, die Ausbildung von Leistungseliten zu tabuisieren.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir können uns das genausowenig wie die Vernachlässigung der beruflichen Bildung leisten. Sie ist das eigentliche Rückgrat unserer Wirtschaft.
    Meine Damen und Herren, der zweite Teil der Doppelstrategie ist die Bekämpfung der Sockelarbeitslosigkeit. Ich bin Herrn Schäuble dankbar, daß er einen alten Gedanken, den ich auch in der Koalition seit sechs, acht Jahren verfochten habe, aufgegriffen hat, nämlich die Abschaffung der steuerlichen Diskriminierung des Arbeitsplatzes im privaten Haushalt. Es wird gar nicht anders gehen, als in diesem Bereich ordentliche, steuer- und versicherungspflichtige Arbeitsplätze zu eröffnen, denn nur so werden wir es schaffen, daß etwa 1 Million Beschäftigte ordentliche, geschützte Arbeitsplätze bekommen und aus der Schwarzarbeit herausgezogen werden.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Auch die Pflegeversicherung wird viele neue Arbeitsplätze schaffen. Durch die Pflegeversicherung werden wir das Finanzvolumen zur Verfügung stellen, das benötigt wird, damit gerade in der häuslichen, in der ambulanten Pflege viele Menschen Beschäftigung finden, die eine entsprechende Beschäftigung im ordentlichen Arbeitsmarkt heute nicht finden können.
    Auch dies ist ein Feld neuer Beschäftigungsmöglichkeiten. So muß der Dienstleistungsbereich weiter genutzt werden, und so werden wir auch zu differenzierteren Lohnhöhen, Lohnkosten kommen müssen, um die Sockelarbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen zu können.
    Meine Damen und Herren, ich will auf die Diskriminierung dieses Themas durch das Wort „Dienstmädchenprivileg" nicht mehr zurückkommen. Ich will nur sagen, Frau Matthäus-Maier, Sie haben Ihre Partei hier auf den Holzweg geführt. Sie schauen zu, wie die Sockelarbeitslosigkeit Jahr um Jahr steigt, und sind nicht bereit, Ihre Vorstellungen einmal auf die Frage hin zu überprüfen: Wo können wir denn für diese Menschen zusätzliche Beschäftigung finden?

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Detlev von Larcher [SPD]: Sie haben doch die Arbeitslosen ausgeblendet!)

    Das ist ein humanes, ein moralisches Anliegen. Das ist im übrigen auch ein Anliegen für mehr Chancengleichheit für Frauen. Darauf will ich einmal hinweisen.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Die Frauen, die beispielsweise auch einen Beruf
    ausüben wollen, obwohl sie Kinder haben, sind darauf



    Dr. Hermann Otto Solms
    angewiesen, daß sich täglich jemand um die Kinder kümmert.

    (Beifall bei der F.D.P. — Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste])

    Wie können Sie so weit gehen, die Berufsmöglichkeiten dieser Frauen noch einzuschränken? Die Frauen, die dort Beschäftigung finden, wollen einen versicherten Arbeitsplatz haben und wollen nicht in der Schwarzarbeit verharren.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Abgeordneter Dr. Solms, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier zu beantworten?

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    Rede von Dr. Hermann Otto Solms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Wenn Sie nicht auf die Redezeit angerechnet wird.