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    Plenarprotokoll 12/163 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 163. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 13917A Nachträgliche Überweisungen von Gesetzesentwürfen an weitere Ausschüsse 13917 C Abwicklung der Tagesordnung 13918A Absetzung des Punktes 19 d von der Tagesordnung 13918A Zurückverweisung eines Gesetzentwurfes der Bundesregierung an den Innenausschuß 13918A Bestimmung des Abgeordneten Dankward Buwitt als ordentliches Mitglied und des Abgeordneten Erwin Marschewski als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß 13992B Wahl des Abgeordneten Dr. Christian Neuling als Mitglied im Schuldenausschuß bei der Bundesschuldenverwaltung für den ausgeschiedenen Abgeordneten Adolf Roth (Gießen) 13992B Entsendung des Abgeordneten Ernst Hinsken für den ausgeschiedenen Abgeordneten Michael Glos in den Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank 13999B Tagesordnungspunkt 4: Erklärung der Präsidentin des Deutschen Bundestages zum 17. Juni 1953 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 13918B Tagesordnungspunkt 5: Vereinbarte Debatte anläßlich des 40. Jahrestages des Aufstandes am 17. Juni 1953 und Beratung der dritten Beschlußempfehlung und des dritten Teilberichts des 1. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes (Drucksachen 12/4500, 12/4832, 12/4970) Rainer Eppelmann CDU/CSU 13920B Markus Meckel SPD 13923 A Wolfgang Mischnick F.D.P. 13925B, 13930C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 13926B, 13930B Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13927 C Steffen Heftmann, Staatsminister des Freistaates Sachsen 13928C Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD 13930D Dr. Dorothee Wilms CDU/CSU 13932A Dirk Hansen F.D.P. 13933 B Stephan Hilsberg SPD 13934 B Andrea Lederer PDS/Linke Liste 13935 C Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13936C, 13942 B Hans-Dirk Bierling CDU/CSU 13937 B Dr. Christine Lucyga SPD 13939B Arno Schmidt (Dresden) F.D.P. 13941A, 13942D Ortwin Lowack fraktionslos 13943A Tagesordnungspunkt 6: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Hollerith, Arnulf Kriedner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jürgen Türk, Werner Zywietz und der Fraktion der F.D.P.: Altlasten des SED-Unrechtsregimes (Drucksache 12/5146) II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Hollerith, Arnulf Kriedner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jürgen Türk, Werner Zywietz und der Fraktion der F.D.P.: Klare Perspektiven für sanierungsfähige Treuhandunternehmen (Drucksache 12/5147) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Schwanhold, Christian Müller (Zittau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Exportkonzept für die neuen Bundesländer — Westmärkte erschließen — Osthandel überbrücken — Handelsentwicklungsgesellschaften einrichten (Drucksache 12/4270) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zukunftsinvestitionsprogramm „Ökologische Modernisierung statt Arbeitslosigkeit" für die neuen Bundesländer (Drucksache 12/4293) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Müller (Zittau), Volker Jung (Düsseldorf), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Industriegesellschaften in den neuen Bundesländern (Drucksache 12/4679) f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Müller (Zittau), Hinrich Kuessner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Überbrückungs- und Modernisierungsdarlehen für Industrieunternehmen in den neuen Bundesländern (Drucksache 12/4680) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Glotz, Dr. Sigrid SkarpelisSperk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: ERP-Pressekredit- und Modernisierungsprogramm für die neuen Länder (Drucksache 12/4857) h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur Stärkung der Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland (Drucksache 12/4629) i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aa) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Sielaff, Dr. Gerald Thalheim, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Struktur- und sozialverträgliche Verwertung volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Flächen in den neuen Ländern durchführen bb) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Sielaff, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zur langfristigen Verpachtung im Rahmen der Verwertung bisheriger volkseigener Flächen (Drucksachen 12/3476, 12/4103, 12/4641) j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Wolfgang Roth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verstärkte Berücksichtigung von ostdeutschen Betrieben bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Drucksachen 12/737, 12/3416) k) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Werner Schulz (Berlin), Dr. Klaus-Dieter Feige, Dr. Wolfgang Ullmann und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Sanierung und Reorganisation des Treuhandvermögens (Treuhandgesetz) (Drucksachen 12/735, 12/4631, 12/4730) in Verbindung mit der Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kurswechsel bei der Treuhandanstalt und zu dem Antrag der Abgeordneten Arne Börnsen (Ritterhude), Helmut Esters, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Aufgaben der Treuhandanstalt (Drucksachen 12/2637, 12/726, 12/4631) 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Gerd Andres, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gemeinschaftsinitiative Neue Länder (Drucksachen 12/2874, 12/4306) Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 13945B Ingrid Matthäus-Maier SPD 13947 A Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 13948 D Paul K. Friedhoff F.D.P. 13950 A Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste 13952A Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13954 A Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 13955 D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 III Ingrid Matthäus-Maier SPD 13956B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13957A Jan Oostergetelo SPD 13957 D Rolf Schwanitz SPD 13958D Rainer Haungs CDU/CSU 13960C Ernst Schwanhold SPD 13961A Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 13963A Jürgen Türk F.D.P. 13964 A Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 13965 C Dr. Hermann Pohler CDU/CSU 13968A Christian Müller (Zittau) SPD 13969 A Josef Hollerith CDU/CSU 13971 B Hinrich Kuessner SPD 13972D Arnulf Kriedner CDU/CSU 13974A Dr. Konrad Elmer SPD 13975D Ulrich Petzold CDU/CSU 13976 A Wolfgang Weiermann SPD 13977 A Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) CDU/CSU (zur GO) 13978D Dr. Gerhard Päselt CDU/CSU 13979B Udo Haschke (Jena) CDU/CSU 13980 B Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung): Fragestunde — Drucksache 12/5104 vom 11. Juni 1993 — Auslaufen des Soltau-Lüneburg-Abkommens bis August 1994 MdlAnfr 4, 5 Klaus Harries CDU/CSU Antw StMin Helmut Schäfer AA 13982D, 13983 A ZusFr Klaus Harries CDU/CSU 13983 A Erhalt des deutschen Kunst- und Kulturbesitzes in Ostpreußen, Pommern, Ostbrandenburg, Nieder- und Oberschlesien MdlAnfr 6 Ortwin Lowack fraktionslos Antw StMin Helmut Schäfer AA 13983 C ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos 13983 D ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 13984 B Zurückweisung des Antrags auf Zulassung von Deutsch als dritter Amtssprache im Europarat MdlAnfr 7 Ortwin Lowack fraktionslos Antw StMin Helmut Schäfer AA 13984 C ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos 13984 D Auffassung von Lord Owen über eine friedliche Lösung für Bosnien; Haltung der Bundesregierung zum sogenannten Schutzzonen-Plan für Bosnien MdlAnfr 8, 9 Claus Jager CDU/CSU Antw StMin Helmut Schäfer AA 13985C, 13986B ZusFr Claus Jäger CDU/CSU . 13985D, 13986C ZusFr Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13986B Beurteilung der Ergebnisse der Internationalen Walfangkommission in Japan MdlAnfr 27 Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antw StS Dr. Helmut Scholz BML 13987B ZusFr Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13987 C Tagesordnungspunkt 19: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, F.D.P. und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über besondere Maßgaben für die Anwendung des Parteiengesetzes (Drucksache 12/5134) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (Kündigungsfristengesetz) (Drucksache 12/5081) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung pflanzenschutzrechtlicher und saatgutrechtlicher Vorschriften (Drucksache 12/4990) Zusatztagesordnungspunkt 3: e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" (Drucksache 12/5137) f) Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Weinrechts (Drucksache 12/5138) IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 Tagesordnungspunkt 20: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. März 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Chile über Rentenversicherung (Drucksachen 12/4888, 12/5095) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Anpassungsprotokoll vom 17. März 1993 zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) (Drucksachen 12/4738, 12/4922) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des EWR-Ausführungsgesetzes (Drucksachen 12/4790, 12/4921, 12/5148) c) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1993 bei Kapitel 60 02 Titel 532 03 — Ausgleichsabgabe nach § 11 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz — (Drucksachen 12/4698, 12/4933) d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft „Ehemaliges Stasi- und Ausbildungsgelände in Kallinchen/Schöneiche (Autodrom)" (Drucksachen 12/4543, 12/4934) e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung einer Teilfläche der ehemaligen WGT- Kaserne Herrenkrug in Magdeburg (Drucksachen 12/4642, 12/4935) f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der ehemaligen WGT-Kaserne Turmschanzenstraße Nord und Süd in Magdeburg (Drucksachen 12/4654, 12/4936) g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der bundeseigenen bebauten Liegenschaft Hegelstraße 42 (Palais am Fürstenwall) in Magdeburg (Drucksachen 12/4715, 12/4937) h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Zustimmung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft in Erfurt-Melchendorf (ehemals „ALO-Sportplatz") (Drucksachen 12/4714, 12/4938) i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers für Wirtschaft: Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" — Wirtschaftsjahr 1991 — (Drucksachen 12/4063, 12/4939) j) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der ehemaligen Rumbeke-Kaserne in Soest, Lübecker Ring (Drucksachen 12/4731, 12/4940) k) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der bundeseigenen Grundstücke in Frankfurt/Main (Drucksachen 12/4760, 12/4941) 1) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung in die Veräußerung eines Grundstücks in Berlin gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung (Drucksachen 12/4753, 12/4942) m) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 12 apl. Titel 893 02 — Förderung von Allgemeinen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen — (Drucksachen 12/4699, 12/4946) n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu der Verordnung der Bundesregierung: Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute (Drucksachen 12/4876, 12/5139) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 V o) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 100 zu Petitionen mit Ausnahme der lfd. Nrn. 70 bis 76 (Drucksache 12/4824) p) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 104 zu Petitionen (Drucksache 12/5048) q) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 105 zu Petitionen (Drucksache 12/5049) Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste (Erklärung nach § 31 GO) 13990 B Tagesordnungspunkt 9: Vereinbarte Debatte zum Einsatz der Bundeswehr in Somalia in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Sofortiger Rückzug aus Somalia (Drucksache 12/5136) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Beendigung des Einsatzes der Bundeswehr in Somalia (Drucksache 12/5140) Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) CDU/ CSU 13992 C Anke Fuchs (Köln) SPD 13994 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. 13994C, 13999 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 13995A Thomas Kossendey CDU/CSU 13996B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 13996 D Andrea Lederer PDS/Linke Liste 13998C Dr. Eberhard Brecht SPD 13999D, 14010 D Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14000 A Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14000C Volker Rühe, Bundesminister BMVg 14001 B Rudolf Bindig SPD 14002 C Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD 14002D, 14009B Horst-Jungmann (Wittmoldt) SPD 14003 A Walter Kolbow SPD 14003D, 14006 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. 14005 D Paul Breuer CDU/CSU 14006C Anke Fuchs (Köln) SPD 14006D Hans Wallow SPD 14008A Dieter Heistermann SPD 14008B Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 14009 C Ulrich Irmer F.D.P. 14010B Tagesordnungspunkt 8: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Drucksachen 12/2453, 12/5141) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum Inkrafttreten des Schengener Übereinkommens (Drucksachen 12/4057, 12/5141) c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Übereinkommen vom 27. November 1990 über den Beitritt der Italienischen Republik, vom 25. Juni 1991 über den Beitritt des Königreichs Spanien und vom 25. Juni 1991 über den Beitritt der Portugiesischen Republik zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 (Gesetz zu Beitritten zum Schengener Übereinkommen) (Drucksachen 12/3804, 12/5141) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Die Beseitigung der Grenzkontrollen Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Parlament (Drucksachen 12/2144 Nr. 2.2, 12/5141) Erwin Marschewski CDU/CSU 14012B Gerd Wartenberg (Berlin) SPD 14013B Wolfgang Lüder F.D.P. 14015 C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 14017B Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14019A Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) fraktionslos 14019D Joachim Clemens CDU/CSU 14020 C Gerlinde Hämmerle SPD 14022D Wolfgang Lüder F.D.P. 14024 C Bernd Schmidbauer, Staatsminister BK 14024 D Michael Stübgen CDU/CSU 14026D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 14028A VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 Tagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften (Viertes Mietrechtsänderungsgesetz) (Drucksache 12/3254) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Rudolf Schöfberger, Renate Schmidt (Nürnberg), Achim Großmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederherstellung eines sozialen Mietrechts (Drucksachen 12/3013, 12/5110) b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen, des Wohnungsbindungsgesetzes und des Belegungsrechtsgesetzes (Drucksachen 12/4276, 12/5121) Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU 14030A Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 14031 C Dr. Eckhart Pick SPD 14031D Burkhard Zurheide F.D.P. 14033 B Dr. Rudolf Schöfberger SPD 14034 A Stephan Hilsberg SPD 14034 D Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 14035B Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14036B Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 14037 B Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 14037 C Uwe Lambinus SPD 14037 D Dr. Walter Hitschler F.D.P. 14037 D Gabriele Wiechatzek CDU/CSU 14038 C Walter Schöler SPD 14040A Namentliche Abstimmungen 14042 A Ergebnisse 14042D, 14044D Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Bau der „Südumfahrung Stendal" der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde (Drucksachen 12/3477, 12/5126) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Rücknahme des Gesetzentwurfs über den Bau der „Südumfahrung Stendal" der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde durch die Bundesregierung (Drucksachen 12/4480, 12/5126) Horst Gibtner CDU/CSU 14047 A Dr. Margrit Wetzel SPD 14049B Elke Ferner SPD 14050 C Dr. Klaus Röhl F.D.P. 14050D Dr. Klaus Röhl F.D.P. 14051 D Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 14053 A Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14054 A Dr. Margrit Wetzel SPD (zur GO) 14054 D Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMV 14055A Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14055 D Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) 14056B Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Kinderpornographie (Drucksachen 12/3001, 12/4883) 14057C Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Drucksachen 12/3628, 12/4842) 14057 D Tagesordnungspunkt 14: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Barbara Höll und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Lage der Frauen in den neuen Bundesländern (Drucksachen 12/3089, 12/4262) 14058A Tagesordnungspunkt 15: Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Versorgungsrenten für Mitglieder der Waffen-SS (Drucksache 12/4788) 14058C Nächste Sitzung 14058 C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 VII Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 14059* A Anlage 2 Deutsche Position bei der Tagung der Internationalen Walfangkommission in Japan im Mai 1993 MdlAnfr 25, 26 — Drs 12/5104 — Dr. Wolfgang von Geldern CDU/CSU SchrAntw StSekr Dr. Helmut Scholz BML 14059* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 (Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Kinderpornographie) Heinz Seesing CDU/CSU 14060* A Erika Simm SPD 14061* A Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. 14063* A Anke Eymer CDU/CSU 14063* D Ursula Männle CDU/CSU 14064* C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 14065* B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht) Norbert Geis CDU/CSU 14066* C Dr. Hans de With SPD 14068* A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. 14068* D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 14069* C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesminister BMJ 14070* B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 14 (Lage der Frauen in den neuen Bundesländern) Petra Bläss PDS/Linke Liste 14071* B Claudia Nolte CDU/CSU 14072* D Dr. Helga Otto SPD 14074* A Dr. Sigrid Semper F.D.P. 14074* D Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14075* D Cornelia Yzer, Parl. Staatssekretärin BMFJ 14076* D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Antrag: Keine Versorgungsrenten für Mitglieder der WaffenSS) Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14078* A Volker Kauder CDU/CSU 14078* C Günther Heyenn SPD 14079* B Wolfgang Lüder F.D.P. 14080* A Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 14080* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 13917 163. Sitzung Bonn, den 17. Juni 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 6 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 17. 6. 93* Barbe, Angelika SPD 17. 6. 93 Baum, Gerhart Rudolf F.D.P. 17. 6. 93 Berger, Hans SPD 17. 6. 93 Blunck (Uetersen), SPD 17. 6. 93 Lieselott Dr. Blunk (Lübeck), F.D.P. 17. 6. 93 Michaela Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 17. 6. 93 Büchler (Hof), Hans SPD 17. 6. 93* Francke (Hamburg), CDU/CSU 17. 6. 93 Klaus Ganschow, Jörg F.D.P. 17. 6. 93 Gattermann, Hans H. F.D.P. 17. 6. 93 Dr. Gautier, Fritz SPD 17. 6. 93 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 17. 6. 93 Dr. von Geldern, CDU/CSU 17. 6. 93 Wolfgang Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 17. 6. 93 Gerster (Mainz), CDU/CSU 17. 6. 93 Johannes Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 17. 6. 93 Huonker, Gunter SPD 17. 6. 93 Kittelmann, Peter CDU/CSU 17. 6. 93* Kretkowski, Volkmar SPD 17. 6. 93 Lenzer, Christian CDU/CSU 17. 6. 93* Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 17. 6. 93 Marten, Günter CDU/CSU 17. 6. 93* Matschie, Christoph SPD 17. 6. 93 Dr. Matterne, Dietmar SPD 17. 6. 93 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 17. 6. 93* Dr. Neuling, Christian CDU/CSU Neumann (Gotha), SPD 17. 6. 93* Gerhard Odendahl, Doris SPD 17. 6. 93 Oesinghaus, Günther SPD 17. 6. 93 Pfeifer, Anton CDU/CSU 17. 6. 93 Pfuhl, Albert SPD 17. 6. 93 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 17. 6. 93* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 17. 6. 93* Reimann, Manfred SPD 17. 6. 93 Reuter, Bernd SPD 17. 6. 93 Schaich-Walch, Gudrun SPD 17. 6. 93 Dr. Scheer, Hermann SPD 17. 6. 93* von Schmude, Michael CDU/CSU 17. 6. 93 Frhr. von Schorlemer, CDU/CSU 17. 6. 93 Reinhard Sehn, Marita F.D.P. 17. 6. 93 Steiner, Heinz-Alfred SPD 17. 6. 93* Thierse, Wolfgang SPD 17. 6. 93 Tietjen, Günther SPD 17. 6. 93 Voigt (Frankfurt), SPD 17. 6. 93 Karsten D. Vosen, Josef SPD 17. 6. 93 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Walter (Cochem), Ralf SPD 17. 6. 93 Welt, Jochen SPD 17. 6. 93 Wester, Hildegard SPD 17. 6. 93 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 17. 6. 93 ** Wieczorek (Duisburg), SPD 17. 6. 93 Helmut Wieczorek-Zeul, SPD 17.6.93 Heidemarie Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 17. 6. 93 Zierer, Benno CDU/CSU 17. 6. 93 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Antwort des Staatssekretärs Dr. Helmut Scholz auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Wolfgang von Geldern (CDU/ CSU) (Drucksache 12/5104 Fragen 25 und 26): Welche Position hat die Bundesregierung bei der Internationalen Walfangkommissionstagung in Kyoto, Japan (10.-14. Mai 1993) vertreten? Wie beurteilt sie vor dem Hintergrund des einstimmigen Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 29. April 1993 das Ergebnis, und welche Folgerungen zieht sie aus der Konferenz? Zu Frage 25: Die Bundesregierung hat sich auf der Jahrestagung der Internationalen Walfang-Kommission (IWC) in Kyoto (Japan) vom 10. bis 14. Mai 1993 nachdrücklich für den Schutz der Walbestände eingesetzt. Den Forderungen Norwegens und Japans nach einer begrenzten Wiederaufnahme des Fangs von Zwergwalen wurde nicht stattgegeben, weil die Voraussetzungen für eine Lockerung des weltweiten Verbots des kommerziellen Walfangs (Moratorium) derzeit nicht gegeben sind. Im übrigen hat die Bundesregierung für die von der IWC angenommene Entschließung gestimmt, mit der das Konzept der Errichtung eines Schutzgebietes für Wale in antarktischen Gewässern grundsätzlich befürwortet wird. Entsprechend dieser Entschließung sollen noch offene Fragen, u. a. die Festlegung der Grenzen eines Schutzgebietes, in einer zwischenzeitlichen Sitzung mit dem Ziel geklärt werden, auf der nächsten Jahrestagung eine abschließende Entscheidung über das Schutzgebiet zu treffen. Zu Frage 26: Das Ergebnis der Jahrestagung entspricht in vollem Umfang der Entschließung des Deutschen Bundestages zum Walfang. An der Überprüfung des Moratoriums wird sich die Bundesregierung weiterhin beteiligen. Dabei sind die Bestimmungen der WalfangKonvention zu beachten, die eine Nutzung von Wal- 14060* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 beständen unter der Voraussetzung der Bestandserhaltung vorsehen. Der Bundesregierung liegt daran, die IWC zu erhalten und auch die am Walfang interessierten Länder in einen vollen Schutz der Walbestände einzubinden. Die einseitige Wiederaufnahme des Walfangs durch Norwegen betrachtet die Bundesregierung mit Sorge. Entsprechend der Entschließung des Deutschen Bundestages hat die Bundesregierung Norwegen aufgefordert, diese Entscheidung zu überprüfen und die Legitimität der IWC für die Regelung des Walfangs nicht in Frage zu stellen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 (Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Kinderpornographie) Heinz Seesing (CDU/CSU): Im „Übereinkommen über die Rechte des Kindes", dem Deutschland beigetreten ist, haben wir uns verpflichtet, Kinder vor allen Formen sexueller Ausbeutung und sexuellen Mißbrauchs zu schützen. Mit das Abscheulichste auf diesem Gebiet ist die Kinderpornographie. Das geltende Strafrecht hat bisher die Entstehung und Ausbreitung des Videomarktes für Kinderpornographie nicht verhindern können. Das ist um so schlimmer, als in ihnen ein authentischer Geschlechtsverkehr mit Kindern, selbst mit Säuglingen und Kleinkindern, meist Mädchen, dargestellt wird. Es ist erkennbar, daß selbst in unserem Lande Eltern ihre Kinder gegen hohes Entgelt vermieten, wohl wissend, daß diese Kinder für Filme und Fotos sexuell mißbraucht, körperlich verletzt und gequält und seelisch erniedrigt werden. Mit dem Gesetz gegen die Kinderpornographie will der Deutsche Bundestag ein Signal setzen. Zunächst richtet sich dieses Signal an die Justizbehörden der Länder. Wenn man dieses Übel wirksam bekämpfen will, muß die Strafverfolgung entschlossen und eindeutig sein. Das Signal sollte für die Gerichte sein, daß der Gesetzgeber auch durch das Strafmaß deutlich machen will, daß es darum geht, eine verstärkte generalpräventive Wirkung zu erzielen. Deswegen ist durch den Rechtsausschuß der Strafrahmen gegenüber dem Regierungsentwurf zum Teil noch erhöht worden. Allerdings sah sich der Rechtsausschuß nicht in der Lage, den weitergehenden Vorschlägen von mitberatenden Ausschüssen auf teilweise drastische Anhebungen des Strafrahmens zu folgen. Der Rechtsausschuß hat intensiv darüber beraten. Er hat sich letzten Endes von dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit leiten lassen und dabei Bezug genommen auf verschiedene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Im einzelnen wurden folgende Entscheidungen getroffen: 1. Im Vorgriff auf andere noch zu beratende Gesetzentwürfe wurde es für dringend geboten gehalten, schon jetzt eine Regelung zu treffen, mit welcher der bisher in bestimmten Fällen straflose Sextourismus deutscher Bürger, vielleicht auch deutscher Bürgerinnen, nun wirksam bekämpft werden kann, wenn es sich bei den Opfern um ausländische Kinder handelt. Kinderpornographische Filme werden häufig im Ausland mit ausländischen Kindern hergestellt. 2. Der Strafrahmen für die Veröffentlichung und Verbreitung von kinderpornographischen Produkten erfährt jetzt eine beträchtliche Ausbreitung und wird auf eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren erhöht. Der Rechtsausschuß war bei dieser Festlegung der Auffassung, daß der Unrechtsgehalt dieses Deliktes so bedeutend ist, daß dieser Strafrahmen angemessen ist. Insbesondere soll die Anhebung der Mindeststrafe auf Freiheitsstrafe von drei Monaten und damit die Zurückdrängung von Geldstrafen ein Signal an alle sein. 3. Für den neuen Tatbestand der Bewerbs- oder bandenmäßigen Verbreitung kinderpornographischer Produkte wurde ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgegeben, wenn es sich bei diesem Produkt um die Wiedergabe eines tatsächlichen Geschehens handelt. Gerade die Anhebung der Mindeststrafe entspricht den Vorstellungen aller Ausschüsse des Bundestages, die an der Beratung beteiligt waren. Um die Heraufsetzung der Höchststrafe auf eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren hat es Diskussionen gegeben. Ein solches Strafmaß hätte dann allerdings nicht mehr in das Sanktionensystem des Strafgesetzbuches mit den erforderlichen Abstufungen gepaßt. Die Verbreitung von kinderpornographischen Schriften wäre dann mit dem sexuellen Mißbrauch der Kinder gleichgesetzt worden. Allerdings könnte diese Problematik einmal Stoff zum Nachdenken geben. Es muß einmal die Frage erlaubt sein, ob es richtig ist, daß im Strafgesetzbuch die Beschädigung von Sachen oder ein Diebstahl oft höher mit Strafen belegt werden als die Verletzung von Menschen. 4. Auch die Besitzverschaffung und der Besitz von kinderpornographischen Produkten werden bestraft, wenn diese ein tatsächliches Geschehen wiedergeben. Auch der Konsument, der sich kinderpornographische Filme, Videofilme, Fotografien oder authentische Tonaufnahmen beschafft, trägt dazu bei, daß Kinder sexuell mißbraucht werden. Er trägt Mitverantwortung für die Existenz dieses Marktes und damit auch für den damit verbundenen Kindermißbrauch. Dieses Gesetz soll ein Signal sein an alle Menschen in unserem Lande. Denn es muß gefragt werden, warum es überhaupt einen Markt für Kinderpornographie gibt. In meiner Rede zur ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes habe ich auf diese Problematik schon hingewiesen. Nach der Verabschiedung dieses Gesetzes werden wir noch mehr tun müssen, um in die Köpfe und Seelen der Menschen hineinzukommen. Das wird nur dann gehen, wenn alle, jung und alt, eine neue Haltung zum Kind gewinnen. Das gilt für alle Lebensbereiche. Das muß weltweit, besonders aber für uns gelten. Verbote und Strafandrohungen alleine werden nur wenig bewirken. In den Köpfen der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 14061* Menschen muß sich festsetzen: Unsere Erde muß ein Platz sein, an dem Kinder von Liebe und Hilfe umgeben aufwachsen können. Erika Simm (SPD): Wir werden heute das Strafrechtsänderungsgesetz Kinderpornographie — davon gehe ich aus — mit großer Mehrheit verabschieden. Wir schaffen damit in einem Bereich des Strafrechts, nämlich dem der Pornographie, neue Straftatbestände und Strafverschärfungen, der Anfang der 70er Jahre unter heftigen öffentlich ausgetragenen Kontroversen liberalisiert wurde. Es geht dabei jedoch nicht etwa darum, zu Moralvorstellungen der Jahrhundertwende zurückzukehren; es geht auch nicht darum, Menschen ihrer sexuellen Orientierung wegen zu kriminalisieren. Es geht vielmehr darum, einen neuen Typ von Straftaten, der zum Teil mit Methoden des organisierten Verbrechens begangen wird, effektiver zu bekämpfen. Und es geht darum, Kinder vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Mißbrauch zu bewahren. Denn Kinderpornographie ist heute untrennbar mit sexuellem Mißbrauch verbunden. Durch das neue Medium des Videofilmes — und um solche handelt es sich in aller Regel, wenn wir heute von Kinderpornographie reden — ermöglicht die Herstellung pornographischer Filme durch Laien, das nahezu beliebige Kopieren, den Handel ohne Vorratshaltung, macht also Herstellung und Vertrieb weitgehend risikolos und minimiert die Gefahr der Entdeckung. Das verbleibende Risiko, strafrechtlich belangt zu werden, konnten die Händler angesichts der zu erzielenden hohen Gewinne leichten Herzens eingehen, hatten sie doch allenfalls eine geringe Geldstrafe zu erwarten, die sie locker — wie ein Angeklagter es einmal formulierte — „aus der Portokasse" bezahlten. Was ist der wesentliche Inhalt der Neuregelung? Ich will es mir ersparen, noch einmal sämtliche Punkte der Neuregelung darzustellen, und mich statt dessen auf die Veränderungen beschränken, die der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Laufe der parlamentarischen Beratungen erfahren hat. Bemerkenswert ist, daß diese Veränderungen auf einen überfraktionellen Antrag zurückgehen, der in den mitberatenden Ausschüssen „Frauen und Jugend" und „Familie und Senioren" jeweils einstimmig angenommen wurde. Im federführenden Rechtsausschuß hatte es dieser Änderungsantrag etwas schwerer, weil dort naturgemäß rechtsdogmatische Hürden zu überwinden waren. So hat dieser Antrag nicht in vollem Umfang Eingang in das abschließende Votum des Rechtsausschusses gefunden. Wichtige Punkte allerdings haben schließlich auch im Rechtsausschuß und beim BMJ Zustimmung gefunden. Worum geht es dabei? Grundsätzliche Kritik hatte der Regierungsentwurf wegen der dort vorgesehenen Strafrahmen gefunden, die von vielen als nicht ausreichend angesehen wurden, weil sie der neuen Deliktsqualität nicht Rechnung trugen und weil — auch vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen mit der Strafrechtspraxis — die Befürchtung bestand, auch in Zukunft würden überwiegend nur Geldstrafen verhängt oder gar die Mehrheit der Verfahren eingestellt werden. Daß die gesetzliche Neuregelung die von ihr erhoffte stärkere abschreckende Wirkung entfalten würde, erschien vielen angesichts der kriminellen Energie der Täter und der hohen Gewinne, die im Geschäft mit Kinderpornographie gemacht werden, zweifelhaft. Ein wesentliches Ziel der vorgeschlagenen Änderungen war es daher, die Strafrahmen so zu bemessen, daß Geldstrafe als Regelstrafe ausscheidet, also Freiheitsstrafe zur Regelstrafe wird und damit die Täter für den Fall, daß sie erwischt werden, nicht mehr eine Geldstrafe gleichsam als nebensächlichen Kostenfaktor einkalkulieren können. Dieses Ziel wurde erreicht durch die Anhebung der Mindeststrafe für die Verbreitungshandlungen auf drei Monate und für das Bewerbs- und bandenmäßige Handeln auf sechs Monate Freiheitsstrafe. Damit kann im ersten Fall nur noch in Ausnahmefällen, nämlich bei Fällen geringeren Unrechtsgehalts, in denen eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe zu verhängen wäre, auf Geldstrafe zurückgegriffen werden (§ 47 StGB). Und auch dann wird die Geldstrafe empfindlich sein, weil sie nämlich 90 Tagessätze im Mindestmaß betragen muß. Beim gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Handeln wird es künftig Geldstrafe überhaupt nicht mehr geben. Wer also künftig mit Kinderpornographie handelt, steht mit einem Bein im Gefängnis. Dies ist die Botschaft, die mit diesem Gesetz an den einschlägigen Täterkreis geht. Bedauerlich finde ich, daß es für den Fall des nun erstmals unter Strafe gestellten Besitzes von Kinderpornographie beim Strafrahmen des Regierungsentwurfs — ein Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe — geblieben ist. Dieses Strafmaß bewegt sich auf der absolut untersten Ebene des Strafensystems unseres Strafrechts und entspricht z. B. dem, was dem "Schwarzfahrer" in der Straßenbahn an Strafe droht. Der Diebstahl geringwertiger Sachen, also etwa einer Tafel Schokolade im Kaufhaus, ist demgegenüber mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren im Höchstmaß bedroht! Ich verstehe die in den Beratungen geäußerten Bedenken, man dürfe sich nicht dem Vorwurf aussetzen, angesichts vielfach bestehender Beweisschwierigkeiten, für den Auffangtatbestand des bloßen Besitzes eine Verdachtsstrafe schaffen zu wollen. Aber darum ging es uns mit unserem Vorschlag für ein höheres Strafmaß auch beim Besitz wirklich nicht. Sondern es geht darum, daß die Konsumenten von Kinderpornographie die Rolle des Anstifters zum sexuellen Mißbrauch von Kindern einnehmen. Ohne ihre Nachfrage gäbe es keinen Markt für Kinderpornographie und ohne sie nicht den sexuellen Mißbrauch von Kindern zur Herstellung kinderpornographischer Videos. Diese Zusammenhänge liegen offen zutage und jeder, der Kinderpornos erwirbt oder sonst in seinen Besitz bringt, weiß das. Ich bin deswegen der Meinung, daß die Abnehmer und Konsumenten von Kinderpornographie keineswegs nur — wie es in der Begründung zum Votum des Rechtsausschusses heißt — eine "mittelbare Verantwortung" in bezug auf den mit der Herstellung von Kinderpornographie zwangsläufig gegebenen sexuellen Mißbrauch haben. Jedermann weiß, daß den Videos ein reales 14062* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 Geschehen zugrundeliegt, ja es kommt den Konsumenten gerade hierauf an. Je realistischer und härter die Darstellung, desto höhere Preise sind sie bereit zu zahlen. Sie billigen damit auch den sexuellen Mißbrauch und haben diesen durch ihre Nachfrage auch unmittelbar mitzuverantworten. Ähnlich wie der Hehler im Verhältnis zum Dieb sind sie Nutznießer der vorausgegangenen Tat, des sexuellen Mißbrauchs, der zudem durch die Vervielfältigung der Darstellung und deren bildliche Wiederholung perpetuiert wird. Dem trägt das Strafmaß in der jetzigen Höhe nicht hinreichend Rechnung. Ich kann wohl im Namen der Kollegen sprechen, die mit mir den überfraktionellen Antrag unterstützt haben, wenn ich sage, daß wir die Strafverfolgung des Besitzes von Kinderpornographie kritisch verfolgen und erforderlichenfalls auf Nachbesserung des Gesetzes in diesem Punkt dringen werden. Erfreulich ist, daß nun für die Fälle des § 184 Abs. 4 der erweiterte Verfall vorgesehen wurde. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß der Handel mit Kinderpornographie zum Teil den für das Organisierte Verbrechen geltenden Regeln folgt. Ich halte dies aber noch nicht für ausreichend und hoffe, daß die vom BMJ zugesagte Prüfung, z. B. die Telefonüberwachung auch beim Vorliegen des Verdachts einer Handlung nach § 184 Abs. 4 für zulässig zu erklären, zu einem positiven Ergebnis führen wird. Kripobeamte, mit denen ich gesprochen habe, fordern dies einhellig. Ein überaus positives Ergebnis der ja recht intensiven und langwierigen Beratungen zum vorliegenden Gesetzentwurf ist seine Ergänzung um eine Änderung auch des § 5 StGB, mit der die Anwendung deutschen Strafrechts auf die Fälle des sexuellen Mißbrauchs ausgedehnt wurde, wo deutsche Täter die Tat an ausländischen Kindern in deren Heimatland begehen. Eine solche Regelung hatte bereits die Aids-EnqueteKommission in ihrem Abschlußbericht gefordert. Das Bundesjustizministerium wollte dem erst in Verbindung mit der Neuregelung des strafrechtlichen Jugendschutzes entsprechen. Da letzterer in seiner konkreten Ausgestaltung durchaus kontrovers ist und seine Verabschiedung sicher noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, hätte dies eine unnötige Verzögerung dieser Regelung bedeutet, über deren Notwendigkeit seit langem breite Einigkeit besteht. Der Sachzusammenhang mit den Strafbestimmungen zur Kinderpornographie ist auch durchaus gegeben: Die heute interessierenden kinderpornographischen Darstellungen sind ganz überwiegend Videofilme, die den tatsächlich ausgeführten sexuellen Mißbrauch von Kindern in jeder nur denkbaren Form und Intensität wiedergeben. Ein Teil der im Handel befindlichen kinderpornographischen Videofilme wird in den bekannten Sex-Tourismus-Ländern der Dritten Welt mit dort lebenden Kindern hergestellt. Die sexuelle Ausbeutung dieser Kinder durch sogenannte Sextouristen und Pornohändler muß gesellschaftlich geächtet werden. Dies hat zu geschehen durch Aufklärungskampagnen, Werbeverbote für entsprechende Reiseangebote und andere auf eine Bewußtseinsänderung der Menschen abzielende Maßnahmen. Das deutsche Strafrecht kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten, indem es diejenigen mit Strafe bedroht, die sich als unmittelbare Täter an der sexuellen Ausbeutung von Kindern in der Dritten Welt beteiligen. Sie tun das bisher auch dort, wo in den Heimatländern der Kinder entsprechende Strafbestimmungen bestehen, in aller Regel relativ gefahrlos, weil ihnen meist nichts Schlimmeres als die Abschiebung droht. Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung, die der Massentourismus für die betroffenen Staaten hat, ist deren Interesse an einer nachhaltigen Strafverfolgung in aller Regel gering. Halten wir uns nochmal vor Augen, worum es geht: Da reisen „gute" Bürger — ganz überwiegend sind es Männer — nach Thailand, auf die Philippinen, nach Kenia, Brasilien und in die Dominikanische Republik, um ihre Wünsche nach außeralltäglichen Sexualerfahrungen zu geringem Preis auszuleben. Daß es sich hier nicht um vereinzelte Fälle handelt, läßt sich am Beispiel Thailands ablesen, das heute der größte internationale Markt für Sextourismus ist. Ca. 5,3 Millionen Touristen haben 1990 allein Thailand besucht. An der Spitze der europäischen Besucher standen 243 000 Deutsche, davon 70 % Männer. 50- 70 % der männlichen Besucher (nach Thailand also jährlich mehr als 100 000 Deutsche) kommen vorrangig wegen der sexuellen Kontakte. Die Zahl der Prostituierten wird in Thailand auf ca. 1,5 Millionen Frauen geschätzt. Die Schätzungen für die Zahl der Kinderprostituierten schwanken zwischen 30 000 und 800 000 Mädchen. Auf den Philippinen wurde festgestellt, daß in den 80er Jahren die Kinderprostitution in einem alarmierenden Ausmaß zugenommen hat. Die Zahl der Kinderprostituierten dort wird z. Zt. auf 50 000 geschätzt. Auffällig war, daß wegen der Angst vor Aids insbesondere die Nachfrage der Touristen nach sehr jungen Mädchen und Jungen gestiegen ist. Inzwischen sind Fälle bekannt, in denen zur Befriedigung dieser Nachfrage bei Mädchen die Defloration operativ revidiert wurde, um den Freiern vorzutäuschen, es handle sich bei der Sexualpartnerin um ein unberührtes Mädchen. „Terre des hommes" schätzt, daß sich weltweit ca. 10 Millionen Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren prostituieren und jährlich 1 Million hinzukommen. Wie die in diesem Gewerbe arbeitenden Frauen und Männer stammen sie aus Familien mit niedrigsten Einkommen. Die meisten Kinderprostituierten gehen dieser Beschäftigung nach, um etwas Geld zum Familieneinkommen beizusteuern. Insofern kann die Prostitution von Kindern als Symptom für wachsende Armut, aber auch für einen zunehmenden Kulturverfall durch die Überlagerung mit Sitten der Herkunftsländer von Sextouristen gewertet werden. Der sexuelle Mißbrauch dieser Kinder auch durch deutsche Sextouristen ist vor diesem Hintergrund auch eine besondere Form der Ausbeutung, die mit den Mitteln des Strafrechts zu verfolgen und zu unterbinden auch dann unsere Pflicht ist, wenn die Heimatstaaten dieser Kinder dazu nicht in der Lage oder willens sind. Mit der Ergänzung des § 5 StGB schaffen wir heute eine wichtige Voraussetzung, die es uns ermöglicht, diese Verpflichtung einzulösen. Weitere Schritte müssen folgen. So müssen insbesondere mit den betreffenden Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 14063* Staaten Abkommen getroffen werden, die sicherstellen, daß die deutschen Strafverfolgungsbehörden den Strafanspruch, den wir für diese Auslandstaten heute gesetzlich verankern, auch durchsetzen können. Mit dem heute zu verabschiedenden Strafrechtsänderungsgesetz haben wir, meine ich, einen wichtigen Schritt getan, um den Schutz der Kinder in unserem Land, aber auch der Kinder in der Dritten Welt, vor sexuellem Mißbrauch und sexueller Ausbeutung zu stärken. Werfen wir einen Blick in unseren einstimmig verabschiedeten überfraktionellen Antrag „Maßnahmen gegen Kinderpornographie", so stellen wir aber fest, daß er noch eine ganze Reihe von unerledigten Punkten enthält. Die positiven Erfahrungen in der Zusammenarbeit über die Fraktionen hinweg, die ich mit den Beratungen zum Gesetzentwurf Kinderpornographie verbinde, ermutigen mich zu der Hoffnung, daß wir bei der Lösung der noch unerledigten Aufgaben auch weiterhin zusammenarbeiten werden. Norbert Eimer (Fürth) (F.D.P.): Es war an der Zeit, daß die bisherigen Strafen bei Kinderpornographie verschärft und ausgeweitet wurden. Durch neue Vertriebsnetze und Kommunikationstechniken, vor allem die Videotechnik, ist in dem bisherigen Gesetz eine Lücke entstanden, und dadurch hat die Kinderpornographie immer mehr zugenommen. Es ist zu einer explosionsartigen Verbreitung dieser Machwerke gekommen, immer mehr Pomos mit immer jüngeren Opfern. Eine wirkungsvolle Bekämpfung ist schon lange überfällig. Mit diesem Gesetz werden die Hersteller und Vertreiber nicht mehr mit einem blauen Auge davonkommen. Dieses Gesetz ist entstanden aus einer Initiative von Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen und geht zurück auf eine Anhörung der Kinderkommission und der Initiative von engagierten Frauen in diesem Parlament. Obwohl dieses Gesetz in erster Linie Sozialpolitiker und Familienpolitiker bewegt, lag die Federführung beim Rechtsausschuß. So möchte ich mich bei unseren Juristen dafür bedanken, daß sie unser Anliegen angenommen haben und wir heute dieses Gesetz in der Dritten Lesung verabschieden können. Neben der Herstellung und dem Vertrieb wird dieses Gesetz erstmals auch den Besitz von Kinderpornographie unter Strafe stellen. Händler haben nicht mehr Handelsware vorrätig, sondern ein Masterband, von dem sie bei Bedarf Kopien ziehen. Die Polizei war machtlos. Jeder, der solch abscheuliche Filme und Hefte erwirbt, macht sich mitschuldig an dem Verbrechen, das den Kindern angetan wird. Erst durch den Kauf entsteht der Markt, durch die Nachfrage wird der Anreiz der Produzenten zur Herstellung geschaffen. Die Konsumenten tragen also eindeutig Mitschuld am Leiden dieser Kinder. Das neue Gesetz bedrängt den Markt nicht nur von der Angebotsseite, sondern auch von der Nachfrageseite. Eine Bekämpfung der Kinderpornographie von beiden Seiten halte ich für besonders effektiv. Aber auch das Strafmaß für die Verbreitung wurde angehoben, war es bisher ein Jahr, so können in Zukunft Strafen bis zu fünf Jahren ausgesprochen werden. Wichtig ist auch die Anhebung der Mindeststrafe auf sechs Monate, wenn die Täter gewerbsmäßig oder als Mitglieder einer Bande handeln. Damit ist der Rechtsausschuß in einem wesentlichen Fall dem Wunsche der mitberatenden Ausschüsse gefolgt. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang ganz besonders bei meinem Kollegen van Essen bedanken, der unsere Anregungen immer sehr unterstützt hat. Auch ausländische Kinder sind in Zukunft besser durch dieses Gesetz vor deutschen Straftätern geschützt. Wer den interfraktionellen Antrag zu diesem Themenbereich noch im Kopf hat, weiß, daß dieses Gesetz nicht alles löst. So sind eine Reihe von Maßnahmen durch die Länder zu lösen, z. B. die Frage der presserechtlichen Verjährung. Auch eine Klarstellung im Bereich BTX ist notwendig. Aber die wichtigste Lücke in unserem Gesetz ist geschlossen. Bei all den Überlegungen um das Strafmaß dürfen wir allerdings einiges nicht vergessen. Strafe allein genügt nicht. Ich denke an unsere Diskussion zum Thema Gewalt gegen Ausländer, die wir gestern im Plenum hatten. Die Gesinnung unserer Gesellschaft muß sich wieder ändern. Da waren sich alle einig. Wenn eine Gesellschaft glaubt, daß alles nur vom eigenen Standpunkt, von der eigenen Interessenlage aus gesehen werden kann, wenn man das Propagieren und Beharren vom Klassenstandpunkt aus als Grundlage seines Denkens und Handelns macht, führt dies auf allen Ebenen zum Egoismus. Ich möchte uns alle erinnern an den wichtigsten Grundsatz für ein friedliches Zusammenleben der Menschen: „Meine Freiheit hört dort auf, wo die des Nächsten beginnt", und der Nächste ist der Mitbürger, der Ausländer, ist aber auch das Kind. Meine Freiheit hört dort auf, wo die des Nächsten beginnt. Wenn man dies berücksichtigt, dann wird man auch mehr Gefühl, mehr Rücksicht, mehr Hilfsbereitschaft und Sicherheit gerade für die Schwächsten unserer Gesellschaft, für die Kinder, entwickeln. Anke Eymer (CDU/CSU): Mit der heutigen abschließenden Beratung der geplanten Strafrechtsänderung zur Kinderpornographie ist ein wichtiger Schritt zur effektiveren Bekämpfung eines wahrhaft abscheulichen Tatbestandes getan. Die gewerbsmäßige Verbreitung sowie der Besitz von Schriften und Kassetten, die den Mißbrauch von Kindern zum Inhalt haben, wurden erstmals als Straftatbestand erfaßt. Das Strafmaß für weitere Vergehen in diesem Zusammenhang hat sich deutlich erhöht. Sextourismus, meine Damen und Herren, enttabuisiertes Sexvergnügen mit Kindern aus der dritten Welt, ist lange genug als männliche „Heldentat" verherrlicht worden! Die sexuelle Ausbeutung von Kindern, gleich welcher Nationalität, ist kein Kavaliersdelikt. Sie schließt vielmehr den Teufelskreis von Armut, Abhängigkeit und vorbestimmter weiterer Verelendung. Die Kinderprostitution ist keine innere Angelegenheit der sog. Entwicklungsländer; sie liegt vor allem in der Verantwortung der Industriestaaten. Die Strafandrohung auch für Untaten im Ausland wird 14064* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 in Verbindung mit entsprechenden Rechtshilfeabkommen mit den besonders betroffenen Ländern seine Wirkung hoffentlich bald zeigen. Nicht in allen Punkten entspricht die Höhe des Strafmaßes den Voten der mitberatenden Ausschüsse; wir hätten uns im ein oder anderen Fall mehr abschreckende Wirkung durch eine drastischere Höchststrafe gewünscht. Strafandrohung allein jedoch — das habe ich schon in meiner Rede vom Oktober 1992 zu diesem Thema betont — verändert die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht. Die gesamte Bevölkerung muß ein umfassendes Bewußtsein dieser Problematik entwickeln. Aktionen wie der kürzlich zum zweiten Mal begangene Jahrestag der internationalen Kampagne gegen Kinderprostitution tragen hierzu in wichtigem Maße bei. Kürzlich erhielt ich das Votum eines württembergischen Kreisverbandes, der sich auf seinem Parteitag vor allem für eine vorbeugende Aufklärung der Bevölkerung mittels entsprechender Fernsehspots, ähnlich der AIDS-Kampagne, ausgesprochen hat. Solche Zeichen „öffentlichen Betroffenseins" ermutigen dazu, weitere Maßnahmen auf den Weg zu bringen: Maßnahmen, die helfen, die Ursachen der Kinderpornographie zu erforschen, um sie auch präventiv bekämpfen zu können. Vor jeglicher Ursachenforschung aber steht die Fürsorge für die aktuell betroffenen Opfer. Sie aus der Umklammerung durch ihren oder ihre Peiniger zu lösen, ihnen Vertrauenspersonen an die Hand zu geben, kann ihnen helfen, das Erlittene zu überwinden: Vertrauenspersonen, die Mißhandlungen erkennen und unbeschadet falscher, wenn auch verständlicher Scham, beim Namen nennen. Wir benötigen Menschen, die die Notsignale mißhandelter Kinder aufnehmen und ihnen den Mut zur Offenheit geben. Viele Betroffene sind abhängig von ihrem Peiniger, wollen durch ihre Anzeige nicht einen guten Bekannten der Familie — nicht selten sogar ein Familienmitglied — der Strafverfolgung aussetzen. Wie kann man von einem mißhandelten Kind erwarten, daß es seinen eigenen Vater anzeigt — der es oftmals noch mit gezielter Androhung von Liebesentzug jahrelang emotional an sich bindet und zum Schweigen zwingt? Gerichte und Richter, die kindliche Aussagen, wenn sie ihnen wegen ihrer oft unglaublichen Details nicht plausibel erscheinen, in den Bereich kindlicher Phantasie verweisen, machen ein Manko in der juristischen Ausbildung deutlich, die keinerlei spezielle Schulung in der Gesprächsführung mit kindlichen Opfern vorsieht. Ich bin überzeugt, daß auch in diesem Bereich die Bereitschaft besteht, Änderungen einzuleiten, die den Kindern weitere seelische Torturen im Rahmen der Ermittlungsverfahren ersparen. Die Tatsache, daß Kinder nach geltenden Verfahren wie Erwachsene mehrfach während der Ermittlungen und in der Hauptverhandlung verhört werden, stellt nach übereinstimmender Meinung von Experten einen Hauptgrund dafür dar, daß nur ein Bruchteil der Fälle von sexuellem Mißbrauch zur Anzeige kommt. Das Geschäft mit der Kinderprostitution ist der Ausverkauf zwischenmenschlicher Gefühle und Beziehungen an den scheinbaren Liberalismus einer Überdrußgesellschaft, die auf der Suche nach neuen Dimensionen sogenannter Unterhaltung auch vor dem Schmutzigsten, dem Vergewaltigen von Kinderseelen, nicht zurückschreckt. Lassen Sie uns dem mit aller Entschlossenheit entgegentreten! Ursula Männle (CDU/CSU): Heute sprechen wir über Kinderpornographie, über die Mißachtung von Kinderrechten, über die Verletzung der Menschenwürde von Kindern. Sexueller Mißbrauch von Kindern ist eine der schlimmsten Formen der Menschenverachtung. In diesen Tagen wird in Wien über die Geltung von Menschenrechten in aller Welt debattiert, wird darüber gestritten, wie Menschenrechte im Alltag garantiert werden können. Wien sollte uns ermahnen, den Blick über die eigenen Staatsgrenzen hinaus zu richten und unsere Verantwortung für die weltweite Sicherung von Menschenrechten wahrzunehmen. Vor allem in den Ländern der Dritten Welt zwingt Armut viele Kinder, ihren Körper zu verdingen und ihre sexuellen Dienste feilzubieten. Die Nachfrage von Sextouristen aus den Industrie- und Wohlstandsgesellschaften, vor allem aus der Bundesrepublik Deutschland, Japan und den USA ist erschreckend hoch. Insbesondere das Verlangen nach immer jüngeren Kindern steigt, bedingt auch durch die Angst vor AIDS. Schon seit Jahren fordern Parlamentarierinnen aller Fraktionen rechtliche Maßnahmen, um dieses verabscheuungswürdige Verhalten wirksam zu bekämpfen und bestehende Strafbarkeitslücken zu schließen. Nach dem einstimmigen Votum des Rechtsausschusses vom 21. April 1993 soll sexueller Mißbrauch von Kindern zukünftig auch dann bestraft werden, wenn er durch Deutsche an ausländischen Kindern im Ausland begangen wird. Bislang können deutsche Strafverfolgungsbehörden im Falle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nur dann tätig werden, wenn Opfer und Täter Deutsche sind. Der sexuelle Mißbrauch von ausländischen Kindern durch Deutsche im Ausland kann nur dann geahndet werden (§ 176 StGB), wenn die Tat auch am ausländischen Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Dies trifft zwar in vielen Fällen zu, aber durch bestehende unterschiedliche Schutzaltersgrenzen in den ausländischen Rechtsordnungen bleiben entsprechende Taten Deutscher im Ausland straflos. Der Beschluß des Rechtsausschusses ist ein Erfolg interfraktioneller Zusammenarbeit von Parlamentarierinnen, die insbesondere nach einem Kongreß in Bangkok zum Thema Kinderprostitution und Tourismus im vergangenen Jahr darauf drängten, die geplante Gesetzesreform zügig zu verabschieden. Deshalb wird heute im Rahmen des Strafrechtsänderungsgesetzes Kinderpornographie auch das deutsche Strafanwendungsrecht bezüglich des sexuellen Mißbrauchs von Kindern erweitert — nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, erst im Rahmen des umfassenden Strafrechtsänderungsgesetzes zum Schutz Jugendlicher vor sexuellem Mißbrauch. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 14065* Wesentliches Anliegen der Erweiterung ist, noch bestehende Strafbarkeitslücken zu schließen und eine klare Botschaft an die zu senden, die für Sextourismus offen und auch versteckt werben, sowie an die, die sich auf ihren Urlaubstrips des sexuellen Mißbrauchs schuldig machen. Deutlich werden muß: Sextourismus ist kein Kavaliersdelikt, Sextourismus ist eine schönfärberische Umschreibung für sexuellen Mißbrauch, für eine neue Form von privatem Kolonialismus, von Ausbeutung. Recht schafft Rechtsbewußtsein. Organisationen im In- und Ausland, die sich mit Fragen der Kinderprostitution und des sexuellen Mißbrauchs von Kindern beschäftigen, verbinden mit der Reform die Hoffnung, daß ein Bewußtseinswandel initiiert wird, daß die öffentliche Meinung diese ausbeuterischen Sexualpraktiken ächtet und sich dadurch langfristig das Verhalten von Wohlstandstouristen ändert. Das heute zu verabschiedende Gesetz wird von allen Vereinigungen, die sich mit Fragen der Kinderprostitution beschäftigen, positiv aufgenommen. Auch die Teilnehmer der Anfang Mai in Stuttgart stattgefundenen Internationalen Konsultation der Kampagne zur Beendigung von Kinderprostitution betonten die weltweite Signalfunktion. Die Wirksamkeit der Reform wird auch von einer effektiven Strafverfolgung abhängen. Kooperation mit den Behörden vor Ort, Sensibilisierung der Bevölkerung, Aufklärung in Schulen und Medien sind wesentliche Voraussetzungen. Langfristig verhindert werden können Verletzungen der Menschenrechte von Kindern jedoch nur durch grundlegende gesellschaftlich-wirtschaftliche Strukturveränderungen, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Armutsbekämpfung ist der wirksamste Weg zur Sextourismusbekämpfung. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Kinderpornographie ist eine ganz besonders verabscheuungswürdige Erscheinungsform der Gewalt gegenüber Kindern. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes der Bundesregierung wollen wir einen Beitrag zur wirkungsvolleren Bekämpfung dieses Mißbrauchs mit den Mitteln des Strafrechts leisten. Ziel ist, die Verbreitung und den Besitz kinderpornographischer Produkte und nicht zuletzt auch ihre Herstellung so weit wie möglich zu unterbinden. Ich erinnere daran, daß gerade erst das zum 1. Januar 1993 in Kraft getretene Zollrechtsänderungsgesetz die notwendige gesetzliche Grundlage dafür geschaffen hat, daß der Zoll auf dem Postweg verbotswidrig ein- oder ausgeführte Kinderpornographie an die Staatsanwaltschaft weiterleiten kann. Ich begrüße es auch, daß die vorliegende Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses einstimmig von allen Fraktionen und Gruppen unterstützt wird. Die intensive Diskussion in den Ausschüssen hat dazu beigetragen, den strafrechtlichen Schutz noch wirksamer auszugestalten. Schon bisher drohten denjenigen, die für diese üblen Machwerke verantwortlich sind, hohe Strafen. Bei sexuellem Mißbrauch von Kindern — und um nichts anderes geht es hier — sieht das Strafgesetzbuch schon jetzt Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren vor. Ich mache hierauf aufmerksam, weil es in der Vergangenheit gelegentlich zu Mißverständnissen gekommen ist. Vor allem in den Medien war der falsche Eindruck entstanden, auch der Produzent von kinderpornographischen Videos, der Kinder vor der Kamera sexuell mißbrauchen läßt, um seine Machwerke herzustellen, könne nach geltendem Recht nur mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden. Das ist natürlich falsch. So erinnere ich daran, daß im letzten Jahr ein Produzent von Kinderpornographika in Göttingen zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde — ebenso wie die Eltern der mißbrauchten Kinder, die bei den Aufnahmen mitgewirkt hatten. Mit dem neuen Gesetz wird man nun aber auch diejenigen angemessen bestrafen können, die sich nicht unmittelbar an der sexuellen Gewalt beteiligen, die aber letztlich erst die Voraussetzungen dafür schaffen, daß diese fürchterlichen Taten begangen werden. Dabei meine ich in erster Linie diejenigen, die solche Produkte vermarkten. Wir sind uns alle einig, daß die Strafdrohung des geltenden Rechts — Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe — völlig unzulänglich ist. Sie berücksichtigt nicht, daß mit dem Vertrieb kinderpornographischer Videobänder enorme Gewinne zu erzielen sind. Nach Erkenntnissen der Polizei werden bis zu 1 200 DM für ein einziges kinderpornographisches Videoband gezahlt. Im Sinne einer wirkungsvollen Abschreckung müssen hier deutliche Freiheitsstrafen drohen. Der Täter darf sich nicht ausrechnen, eine etwaige Strafe aus der „Portokasse" bezahlen zu können, wenn er den Strafverfolgungsbehörden auffallen sollte. Außerdem muß durch die Strafdrohung deutlich werden, daß es hier um den Schutz von Kindern vor sexuellem Mißbrauch geht. Gäbe es die Vertreiber solcher Videobänder nicht, hätten wir keinen „Markt" für solche Produkte; sexuellen Mißbrauch von Kindern im Zusammenhang mit der Herstellung solcher kinderpornographischen Produktionen würde es damit nicht geben. Schon die erhöhten Strafdrohungen des Regierungsentwurfs haben diese Gesichtspunkte — insbesondere bei der gewerbs- oder bandenmäßigen Verbreitung kinderpornographischer Schriften — berücksichtigt. Die jetzt vom Rechtsausschuß vorgeschlagenen Strafdrohungen — Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren für den Grundtatbestand und Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren für die qualifizierte gewerbs- oder bandenmäßige Begehung — machen dies noch deutlicher. Ein ganz zentraler Punkt bei der effektiven Bekämpfung der Kinderpornographie ist eine wirkungsvolle Gewinnabschöpfung. Bereits in der ersten Lesung habe ich mich dafür ausgesprochen, das zwischenzeitlich durch das OrgKG neu eingeführte Institut des Erweiterten Verfalls auch zur Abschöpfung von Gewinnen aus diesem schmutzigen Geschäft einzusetzen. Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, daß der Erweiterte Verfall nun auch bei der gewerbs- oder 14066* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 bandenmäßigen Verbreitung von Kinderpornographie die Gewinnabschöpfung erleichtern soll. Ein Kernstück des Gesetzentwurfs und damit besonders wichtig ist auch die Einführung der Strafbarkeit des bloßen Besitzes und der Besitzverschaffung von Kinderpornographie. Durch diese Strafbarkeit wird auch dem Konsumenten deutlich gemacht, daß er durch seine Nachfrage nach kinderpornographischen Produkten mitverantwortlich dafür ist, daß diese produziert und zu diesem Zweck Kinder sexuell mißbraucht werden. Eine wichtige Funktion hat die Strafbarkeit des Besitzes auch deshalb, weil der Gesetzentwurf — hieran anknüpfend — nunmehr zwingend die Einziehung solcher kinderpornographischer Produkte vorschreibt. Bisher war eine Einziehung nur möglich, wenn festzustellen war, daß die Produkte noch weiterverbreitet oder zugänglich gemacht werden sollten. Hier bringt das neue Gesetz eine entscheidende Verbesserung. Doch damit ist längst nicht alles getan, was es im Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen zu tun gibt. Wir können es nicht länger zulassen, daß deutsche Touristen in ferne Länder reisen, um sich dort an einheimischen Kindern sexuell zu vergehen, in Deutschland aber nicht bestraft werden können, weil ihr Verhalten am Tatort selbst nicht mit Strafe bedroht ist. Ich habe deshalb schon im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf zur Änderung der §§ 175, 182 StGB vorgeschlagen, diesen deutlich geringeren Schutz ausländischer Kinder durch eine Ausweitung des deutschen Strafrechts zu verbessern. Ich begrüße es, daß diesem Anliegen einer besseren Bekämpfung dieses abscheulichen Kinder-Sextourismus bereits in diesem Gesetzgebungsverfahren Rechnung getragen werden kann. Dies ist aus meiner Sicht auch ein wichtiger Beitrag zur innerstaatlichen Umsetzung der UN-Kinderkonvention. Ich freue mich, daß es hier im Hause zu allen diesen Punkten einen breiten Konsens über alle Fraktionen hinweg gibt. Ich hoffe zuversichtlich, daß auch der Bundesrat das Gesetz mit möglichst breiter Mehrheit passieren läßt, so daß es schnellstmöglich in Kraft treten kann. Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, auch in anderen Bereichen weitere Maßnahmen zur verbesserten Bekämpfung der Kinderpornographie und damit des sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu ergreifen. Ich möchte hier nur an das Problem der kurzen presserechtlichen Verjährung bei der Verbreitung kinderpornographischer Produkte erinnern, das die Bundesregierung schon im letzten Jahr an die insoweit zuständigen Länder herangetragen hat. Wir müssen mit einem Bündel von Maßnahmen — auch außerhalb des Strafrechts — darangehen, Verbreitung, Besitz und Herstellung von Kinderpornographie zu verhindern. Der überfraktionelle Entschließungsantrag „Maßnahmen gegen Kinderpornographie" enthält einen Katalog wertvoller Anregungen, anhand dessen wir weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf überprüfen können und müssen. Lassen Sie mich im Lichte der gestrigen Debatte zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zum Abschluß noch eine allgemeine Erklärung abgeben. Auch gestern wurden von allen Rednerinnen und Rednern die Gewaltherrschaft, die Aggressivität und auch die Verrohung insbesondere von Kindern und Jugendlichen beklagt. Wir alle suchen nach Ursachen, die bestimmt nicht monokausal sind. Aber kann nicht eine Ursache auch die Mißhandlung, der sexuelle Mißbrauch, die Ausnutzung von Kindern und Jugendlichen sein, die diese Geschändeten aus Hilflosigkeit, wegen fehlender Liebe und Zuneigung und aus einem Mangel an Familienbindung in die Arme von Skinheads, von Vereinigungen, losen Gruppierungen von Jugendlichen treiben, die ihren Haß auf die noch Schwächeren in unserer Gesellschaft — Ausländer, Behinderte, alte Menschen — durch Brandstiftung und Anschläge zum Ausdruck bringen? Vielleicht können wir mit diesem Gesetz einen Beitrag zur Ursachenbekämpfung leisten. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht) Norbert Geis (CDU/CSU): Das Bundesverfassungsgericht genießt in der Bevölkerung hohes Ansehen. Es hat sich in mehr als 40jähriger Rechtsprechung hervorragend bewährt. Dies gilt sowohl für die Bewahrung des objektiven Verfassungsrechtes, als auch für den Schutz der Grundrechte des je einzelnen Bürgers. Immer mehr Bürger wenden sich mit einer Verfassungsbeschwerde an das höchste deutsche Gericht. Dieses Rechtsmittel ist die einzige Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, die von „jedermann„, der behauptet, durch die öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten verletzt worden zu sein, erhoben werden kann. Nicht also nur Verfassungsorgane haben das Recht, das Verfassungsgericht anzurufen, sondern jede natürliche und juristische Person kann ihren individuellen Anspruch geltend machen. Tatsächlich wenden sich auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger an das Bundesverfassungsgericht. Nicht zuletzt deswegen, weil jeder einzelne sich mit einer Beschwerde an das höchste deutsche Gericht wenden kann, genießt das Gericht solches Ansehen. Dabei ist das Verfassungsgericht nicht als eine Superrevisionsinstanz gedacht. Es geht also nicht darum, die rechtlichen und tatsächlichen Wertungen der Gerichte der Vorinstanzen zu überprüfen. Es geht vielmehr darum, dem Bürger die Möglichkeit zu geben, Grundrechtsverletzungen zu rügen, die erst durch das Verhalten der Vorinstanzen entstanden sind. Erst nach Abschluß des Rechtsweges ist also die Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht möglich. Das Bundesverfassungsgericht ist auch nicht ein zusätzlicher Petitionsausschuß neben den Petitionsausschüssen der Landtage und des Deutschen Bun- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 14067* destages. Ganz abgesehen, daß diese Ausschüsse keine unmittelbare rechtsgestaltende Macht haben, befassen sie sich mit staatlichen Akten, durch die der einzelne betroffen ist, die aber nicht ausschließlich Grundrechtsverletzungen sein müssen. Durch diesen Individualschutz des Verfassungsgerichtes wird in einem großen Umfang eine einheitliche Rechtsprechung hinsichtlich der gesamten Grundrechte gewährleistet. Außerdem dient so die Verfassungsbeschwerde auch der Wahrung, Auslegung und einheitlichen Fortbildung des gesamten Verfassungsrechtes, weil das Verfassungsgericht bei Zulassung der Beschwerde im Rahmen der Begründetheit alle verfassungsrechtlichen Aspekte überprüft. Es ist also nicht nur zentrale Aufgabe des Verfassungsgerichtes, sich mit den Verfahren zu beschäftigen, welche von Bonn oder von einer Landesregierung aus im Wege der Organklage nach Karlsruhe gebracht werden. Durch diese Doppelaufgabe aber, die Befassung mit Organklagen und die Befassung mit Beschwerden einzelner Bürger entsteht eine immer größer werdende Belastung des Verfassungsgerichtes. Dies vor allem auch deshalb, weil das Verfassungsgericht gerade mit Organklagen aus Bonn immer stärker in Anspruch genommen wird. Gerade jetzt erleben wir ja wieder, daß die Opposition sich erneut nach Karlsruhe wendet, um wegen des Einsatzes der Bundeswehr in Somalia den angeblichen Verfassungsbruch der Regierung zu rügen. Hier ist tatsächlich einmal der Hinweis notwendig, daß die Politik vornehmlich in Bonn und nicht in Karlsruhe entschieden werden sollte. Die Opposition scheint den Ort der politischen Entscheidung immer mehr nach Karlsruhe verlegen zu wollen. Dies ist kein Zeichen von Stärke und nicht geeignet, die Autorität des Parlamentes zu stärken. Aber nicht nur — wie vorgetragen — für die Politik, sondern für alle 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger steht in Karlsruhe eine Klagemauer. Die Zahl derer, die in Karlsruhe Hilfe suchen, steigt. Im Jahre 1992 waren es 4 000 Verfassungsbeschwerden. In diesem Jahr nimmt die Zahl weiter zu. Mit der Erweiterung des Rechtswegebewußtseins in den neuen Bundesländern wird es zu weiteren Steigerungen kommen. Die Verfassungsrichter beklagen diese Belastung. Insbesondere beklagen sie, daß die vorgelegten Verfassungsbeschwerden zu einem erheblichen Teil „völlig unqualifiziertes Zeug" seien, wie der Verfassungsgerichtspräsident es bezeichnet hat. Tatsächlich, so führen die Verfassungsrichter aus, tragen von 10 Verfassungsbeschwerden 9 bereits den Stempel der offensichtlichen Unbegründetheit auf der Stirn. Das heißt, nur 10 von 100 Verfassungsbeschwerden können überhaupt als ernsthaft bezeichnet werden. So war es notwendig, daß schon in der Vergangenheit Überlegungen über verschiedene Entlastungsmaßnahmen angestellt wurden. So wurden sogenannte Kammern eingerichtet, die den Senaten vorgeschaltet sind und die Möglichkeit haben, Verfassungsbeschwerden bei offensichtlicher Begründetheit stattzugeben oder sie mangels hinreichender Erfolgsaussichten durch einstimmigen Beschluß nicht zur Entscheidung anzunehmen. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird dieses System modifiziert: Eine Verfassungsbeschwerde wird dann angenommen, wenn sie grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung hat oder wenn die Durchsetzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten „angezeigt" erscheint. Mit dem Wort „angezeigt" hatten wir unsere Schwierigkeiten. Nach der gewissermaßen höchstrichterlichen Auslegung durch den Verfassungsgerichtspräsidenten bedeutet das Wort „angezeigt", daß beispielsweise die Annahme dann zu erfolgen hat, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung ein besonders schwerer Nachteil entstehen würde. Wir meinen, daß wir mit der Formulierung „angezeigt" einverstanden sein können. Sinn der Gesetzesvorlage ist es, dem Gericht einen gewissen Spielraum im Annahmeverfahren einzuräumen. Um aber Fahrlässigkeit, die auch bei dem höchsten Gericht vorkommen kann, oder gar den Verdacht der Willkür auszuschließen, müssen die Kammern durch einstimmigen Beschluß entscheiden, wenn sie beispielsweise eine Verfassungsbeschwerde ablehnen. Fehlt es an der Einstimmigkeit, so entscheidet der Senat. Hierbei bedarf es zur Annahme lediglich der Stimmen von drei Richtern des Senats. Es bleibt abzuwarten, ob bei dieser neuen Regelung nicht der Eindruck entsteht, es würden letztlich die Mitarbeiter des einzelnen Verfassungsrichters die Entscheidungen treffen. Die sogenannten Vorvoten der wissenschaftlichen Mitarbeiter werden ja in der Öffentlichkeit bereits heftig kritisiert. Jedenfalls können diese Vorvoten niemals den einzelnen Richter davon entbinden, sich eingehend mit der Verfassungsbeschwerde zu beschäftigen. Es darf in gar keinem Fall die Meinung entstehen, die Vorprüfung, ob eine Verfassungsbeschwerde angenommen oder nicht angenommen wird, werde letztlich von dem viel berühmten und deshalb auch etwas berüchtigten sogenannten Dritten Senat vorgenommen. Richtig ist, daß die sogenannte Nichtannahmegebühr oder, wie sie oft bezeichnet wurde, die Bestrafungsgebühr mit diesem Gesetz abgeschafft wird. Nicht selten hatten Bürger, deren Verfassungsbeschwerde nicht angenommen wurde, den Eindruck, daß sie aus einer unanfechtbaren Machtposition heraus abgestraft werden, weil sie es gewagt haben, das höchste deutsche Gericht anzurufen. Tatsächlich ist eine solche Bestrafungsgebühr nicht nur bei Beschwerden verhängt worden, die von vornherein offensichtlich unbegründet waren, die — wie es der Verfassungsgerichtspräsident bezeichnet hat — von vornherein für jeden erkennbar „Schrott" beinhalteten. Vielmehr kam es auch vor, daß Verfassungsbeschwerden, die umfänglich begründet und zudem mit gutachtlichen Äußerungen angesehener Strafrechtslehrer versehen waren, mit der Festsetzung einer Bestrafungsgebühr abgelehnt wurden. In solchen Fällen muß der Eindruck der Willkür entstehen. Deshalb ist es richtig, daß diese unselige Nichtannahmegebühr, die ihren Zweck zudem völlig verfehlt hat, weil ja die Verfassungsbeschwerden nach wie vor nicht zurückgehen, sondern zunehmen, mit diesem Gesetz abgeschafft wird. 14068* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 Immer wieder wird überlegt, ob angesichts der hohen Belastung des Verfassungsgerichtes es nicht richtig wäre, einen weiteren Senat einzurichten. Das Verfassungsgericht ist aber, wie bereits vorgetragen, keine Superrevisionsinstanz. Ihm obliegt die Wahrung der Verfassung. Wenn dieser Auftrag deshalb nicht mehr geleistet werden kann, weil die Arbeitsbelastung übermäßig steigt, müssen Regelungen gefunden werden, um die Belastung zu verringern, statt einen neuen Senat zu errichten. Diesem Ziel dient das vorgelegte Gesetz. Dr. Hans de With (SPD): Die Entscheidung, die der Deutsche Bundestag heute in zweiter und dritter Lesung zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht treffen muß, ist ganz sicher keine Haupt- und Staatsaktion. Es gibt auch keinen Parteienstreit. Es geht ganz einfach darum, dem Bundesverfassungsgericht einen größeren Spielraum bei der Annahme von Verfassungsbeschwerden zu gewähren. Damit soll das Gericht die Möglichkeit erhalten, die Zahl der Entscheidungen seiner Senate zu vermindern, den Verfahrensgang zu beschleunigen, kurz: sich zu entlasten. Die Verfassungsbeschwerden machen rund 95 % aller Eingänge aus. Sie haben sich von 1975 bis 1985 verdoppelt: Seitdem sind sie — von zwei Ausnahmen abgesehen — kontinuierlich weitergestiegen. Die Folge davon ist, daß das Bundesverfassungsgericht Ende 1991 insgesamt 2 188 anhängig gebliebene Verfahren vor sich herschob. Wenn dann noch bedacht wird, daß demnächst weitere Verfassungsbeschwerden aus den neuen Ländern hinzukommen, war es angezeigt, wieder einen Versuch zu unternehmen, dem Gericht zu einem rascheren Verfahrensgang zu verhelfen. Denn nicht übersehen werden darf, daß spektakuläre Vorgänge wie § 218 StGB, AWACS oder Somalia — um Kürzel zu gebrauchen — Zeit benötigen und gleichwohl eine rasche Entscheidung verlangen. Das Bundesverfassungsgericht ist eben nicht nur ein Gericht, das wie jedes andere von dem einzelnen Bürger im Sinne eines außerordentlichen Rechtsbehelfs angerufen werden kann. Es ist auch und insbesondere ein Verfassungsorgan, das wie der Bundestag Politik macht im Sinne einer allgemein gültigen, vom Volk erwarteten Rechtsetzung. Es handelt sich bei dem heutigen Versuch nicht um den ersten. Und irgendwann einmal werden wir möglicherweise weiter novellieren müssen in Richtung auf wiederum mehr Spielraum für das Gericht bei der Annahme von Verfahren. Jeder von uns weiß, daß das amerikanische Verfassungsgericht, der Supreme Court, hier völlig frei ist und deshalb mit diesen Schwierigkeiten nicht zu kämpfen hat. Bei uns gibt es nun aber einmal eine andere Rechtstradition. Und außerdem besteht unser Verfassungsgericht noch keine zweihundert Jahre. Das Verfassungsorgan Bundestag war immer hilfreich, wenn es darum ging, dem Verfassungsorgan Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit zu verschaffen, der steigenden Prozeßflut besser Herr zu werden. So ist es auch diesmal. Dabei ist gesichert, daß die Verfassungsbeschwerde als ein ,Jedermannsrecht' zum Gang nach Karlsruhe erhalten bleibt. Wir können nur hoffen, daß mit dieser Gesetzesänderung der erwartete Spielraum des Gerichts zur Beschränkung der Annahme von Verfassungsbeschwerden lange genug tragen wird. Lassen Sie mich die Gelegenheit nehmen, einen Punkt anzusprechen, der ein generelles Ärgernis praktisch aller Bürger gegenüber fast allen staatlichen Einrichtungen darstellt: die Länge und die Verständlichkeit staatlicher Entscheidungen. Ich habe gestern in der Aktuellen Stunde zu den Folgen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 218 StGB diese Problematik schon angesprochen. Mit über 200 Schreibmaschinenseiten — die abweichenden Meinungen eingeschlossen — stellt diese Entscheidung schon ein Konvolut dar. Ein Normalleser versteht sie beim mehrmaligen Lesen kaum oder gar nicht. Auch die Juristen zucken die Schulter. Die unterschiedlichen Stellungnahmen und Korrekturen von Stellungnahmen von Zeitungen und Zeitschriften, Professoren, Kommentatoren und auch Abgeordneten belegen das. Natürlich sind auch wir Abgeordneten hier nicht frei von Schuld. Manches Gesetz liest sich schwer. Und bei den jüngsten Verfassungsänderungen haben viele wegen deren Länge und Lesbarkeit die Stirn gerunzelt. Über jedem Urteil, auch dem des Bundesverfassungsgerichts, steht „Im Namen des Volkes". Das Volk muß es auch verstehen. Im übrigen müßte geprüft werden, ob nicht Rundfunk und Fernsehen im Bundesverfassungsgericht zugelassen werden sollten, wenn es sich nicht um Individualklagen handelt, also nicht einzelne Bürger betroffen sind. Vielleicht wird manche Entscheidung dann verständlicher. Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Unser sechsjähriger Sohn, der sich offenbar mit anderen politisch interessierten Altersgenossen über diese Fragen unterhält, hat mich kürzlich mit der Mitteilung überrascht, Politik sei, sich Gedanken über die Staatsgeschäfte zu machen. Diese Bemerkung, wo er sie auch herhaben mag, trifft den Kern der Sache auch in Bezug auf die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts. Das Umblättern unendlich vieler Seiten, sowohl in den Akten wie in den Kommentaren, womöglich auch noch unter Termindruck, wird die Gedanken, die wir eigentlich von diesem in unserer Verfassungslandschaft so sehr besonderen Gericht erwarten, sicher nicht hervorbringen. Zum Fassen von Gedanken, noch mehr zu ihrer Reifung, gehört tatsächlich etwas sehr Altmodisches, nämlich Muße. Dem Bundesverfassungsgericht gegenüber sind wir aus Überzeugung und aus Einsicht in diesen Zusammenhang bereit, das, was sich organisatorisch im Wege der Gesetzgebung dazu tun läßt, auch angedeihen zu lassen. Darum sind wir sehr froh, daß heute eine lang diskutierte, also einigermaßen in Muße zustande gekommene Novellierung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes hier verabschiedet werden kann. Die Belastung des Bundesverfassungsgerichts mit einer ständig größer werdenden Fülle von Beschwerden hat zu mehreren Vorschlägen, wie mindestens eine gewisse Entlastung herbeigeführt werden könne, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 14069* geführt. Ein etwas erschreckender Gedanke war es, eine Vorprüfung der eingehenden Verfassungsbeschwerden durch die neu zu schaffende Institution von Generalanwälten beim Bundesverfassungsgericht herbeizuführen. Dies hätte dann wiederum mit dafür besonders zuständigen Richtern des Bundesverfassungsgerichts abgestimmt werden und bei Nichteinigung wie bisher dem Gericht vorgelegt werden sollen. Eine solche Komplizierung und Vermehrung der Stellen für Hauptverantwortliche trägt den Stempel der Unzulänglichkeit deutlich auf der Stirn. Vermeiden wollten die Erfinder dieses Gedankens wohl in erster Linie den Geruch, das Bundesverfassungsgericht wolle von sich aus den unmittelbaren Zugang durch den Staatsbürger zum Gericht abschaffen oder reduzieren. Weil seit einer Reihe von Jahren das Vertrauensverhältnis zwischen den verschiedenen Verfassungsorganen erfreulicherweise wieder gewachsen ist, hat es darüber offizielle und noch mehr inoffizielle Unterhaltungen gegeben. Das Ergebnis liegt nun in der Weise vor, daß das Gericht selbst über die Annahme der Beschwerden unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für das Recht und die Rechtsentwicklung in unserem Lande entscheiden kann. Ähnliches wird von allen oberen Bundesgerichten für ihre Entscheidungen seit längerem begehrt. Der Unterschied liegt darin, daß alle oberen Bundesgerichte zur Fallentscheidung, führt sie im einzelnen auch zur Rechtsvereinheitlichung oder gar zu einer gewissen Rechtweiterentwicklung, nicht zur Arbeit in Konkurrenz zum Gesetzgeber, in erster Linie zur Rechtsentwicklung, was ja auch Rechtsetzung bedeutet, berufen sind. Ähnliches hat das Grundgesetz über die Rolle des Bundesverfassungsgerichts beschrieben. Hier ist nicht Fallentscheidung, sondern die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit des Handelns anderer Organe das Ziel. Das Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts und der anderen beteiligten Verfassungsorgane hat sich in einem stetigen, einem natürlichen Auf und Ab durch die Jahrzehnte hindurch entwickelt. Es ist eigentlich erstaunlich, daß bei der Vielzahl der denkbaren Konfliktmöglichkeiten nur wenige Konflikte wirklich spürbar geworden sind. Zur Zeit unterliegt die Rechtsprechung des Gerichts, soweit ich sehen kann, keiner grundsätzlichen Kritik von Aufgabe und Inhalt her. Es stellt sich vielmehr eher die Frage nach der Vereinbarkeit der Entscheidungsdichte, der Detailliertheit der Entscheidungen im Verhältnis zu der von der Verfassung gestellten Frage, ob eine Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar sei oder nicht. In diesem Zusammenhang bitte ich es nicht als respektlos anzusehen, wenn ich die Geschichte in Erinnerung rufe, nach der bei Vorlage eines Urteilsentwurfs der Landgerichtsrat von dem Landgerichtsdirektor — so hieß das früher — gefragt wurde, warum er diesmal ein so langes Urteil geschrieben habe. Er würde sonst doch so unglaublich kurze konzentrierte Urteile schreiben. Der Landgerichtsrat soll darauf erwidert haben, es täte ihm sehr leid, aber er habe wirklich zu wenig Zeit gehabt, um ein kurzes Urteil abzugeben. Wir wünschen uns für das Bundesverfassungsgericht die Muße, die zu schöpferischer Kraft für die Entscheidung in den wenigen zentralen Fragen unseres Verfassungsverständnisses führen soll. Deshalb glauben wir, mit dieser offenen und ehrlichen Lösung zur Verringerung der Arbeitslast des Gerichtes einen guten Beitrag geleistet zu haben. Detailregelungen mehr technischer Art, die das Gesetz im Einvernehmen aller Beteiligter vorsieht, wollte ich nicht besonders ansprechen. Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Eine ganze Reihe von Änderungen im vorliegenden Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes finden meine Zustimmung: so der Wegfall einer Nichtannahmegebühr und die Neuregelung der Einspruchsfrist bei Wahlprüfungsbeschwerden. Kernproblem des Entwurfs ist jedoch, wie mehrfach schon gesagt wurde, die Modifizierung des Vorprüfungsverfahrens nach verbindlichen Maßstäben. Und das sehe ich keineswegs so problemlos und positiv wie hier dargestellt. Ich habe ernste Bedenken hinsichtlich der Art und Weise, wie der Überlastung des Bundesverfassungsgerichts mittels einer veränderten Ausgestaltung der Vorprüfung begegnet werden soll. Bei der Verfassungsbeschwerde geht es um nichts Geringeres als um das entscheidende grundrechtsähnliche Recht prozessualer Natur in unserer Rechtsordnung, um einen subjektiven Rechtsbehelf von außerordentlicher Bedeutung. Schon heute haben wir jedoch den Zustand, daß die Kammern ein durch Ermessensbegriffe und unbestimmte Rechtsbegriffe fundiertes Filtersystem bilden, das die weitaus überwiegende Zahl von Verfassungsbeschwerden aussortiert. Real sind es im Durchschnitt immerhin 97 Prozent, die gar nicht erst zur inhaltlichen Entscheidung kommen. Und nur 1,3 Prozent werden positiv entschieden. In der Literatur (so Alfred Rinken im Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 1064) wird bereits im Zusammenhang mit dem geltenden Vorprüfungsverfahren von der Tendenz einer Entartung der Tätigkeit der Kammern zur unkontrollierten Dezision gesprochen. Ganz offensichtlich sollen heute gesetzgeberische Voraussetzungen geschaffen werden, um diese Tendenz zu verstärken. Damit steht die Frage, wieweit wir den Prozentsatz der im Vorprüfungsverfahren abgelehnten Verfassungsbeschwerden noch erhöhen können (auf 99 Prozent, auf 99,8 Prozent ???), ohne daß die Verfassungsbeschwerde als wichtiger subjektiver Rechtsbehelf selbst auf der Strecke bleibt. Natürlich sehe auch ich das Problem der Vereinbarkeit der Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts mit seiner objektiven und subjektiven Rechtsschutzfunktion. Aber die Lösung kann doch nicht so aussehen, daß der Funktionsfähigkeit die Dominanz zukommt und eine Vergrößerung des Bundesverfassungsgerichts von vornherein abgelehnt wird. Warum eigentlich? Hundert Millionen DM werden für die Gauck-Behörde, für die Treuhand, für die Zentralstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität ausgegeben. Nur für die 14070* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 Vergrößerung des Bundesverfassungsgerichts ist angeblich kein Geld da, obwohl sich die Zahl derjenigen, die zur Verfassungsbeschwerde berechtigt sind, mit dem 3. Oktober 1990 nun einmal um etwa 25 Prozent erhöht hat. Wenn die Fassung des vorgeschlagenen § 93 a Abs. 2 in Kraft tritt, würde die Verfassungsbeschwerde als außerordentlicher Rechtsbehelf unzweifelhaft weiter abgeschwächt. Danach wird es so sein: Verfassungsbeschwerden sind zwar begründet; sie sind auch von Bedeutung (nur nicht von grundsätzlicher Bedeutung); den Betroffenen entsteht auch im Falle ihrer Ablehnung ein schwerer Nachteil (aber eben kein besonders schwerer Nachteil), dennoch werden sie bereits im Vorprüfungsverfahren abgelehnt. Ich stimme mit der Stellungnahme des Bundesrates darin überein, daß gerade auch das Wort „besonders" in Artikel 93 a eine „unangemessen" hohe Schwelle ist, die nicht mit der Gefahr einer Überlastung gerechtfertigt werden kann. Auch die Bestimmung in § 93 d Satz 3: „Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung", ist für mich nicht annehmbar. Wie wollen sie das den Ostdeutschen erklären, die in aller Regel eine Ablehnung ihrer Verfassungsbeschwerde ohne jede Begründung erhalten und denen gleichzeitig erzählt wird, das Bundesverfassungsgericht sei die Krone des Rechtsstaates oder der Flirte aller Rechtsgenossen. Im übrigen ist es immer unbefriedigend, wenn man nur auf ein Teilproblem einer Sache — und nicht einmal auf das wichtigste — gesetzgeberisch reagiert. Weitaus gravierender als die Überlastung des Bundesverfassungsgerichts sind zwei weitere Probleme. Zum einen ist es so, daß es in Ostdeutschland eine Fülle von ungelösten Rechtsfragen mit Verfassungsrang gibt, ohne daß das Bundesverfassungsgericht erkennbar adäquat auf diese Problemlage reagiert. Im Gegenteil, hochbrisante Verfassungsbeschwerden, bei denen höchste Dringlichkeit vorliegt, aber der Rechtsweg noch nicht erschöpft ist (wie die zu dem Zusatzversorgungssystem) werden vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen. Zum anderen wächst das Bundesverfassungsgericht — ganz offensichtlich mit seiner Entscheidung zu § 218 — in eine politische Rolle hinein, die es in Gegensatz zur Parlamentssouveränität, aber auch zum Rechtsempfinden der großen Mehrheit der betroffenen Bürgerinnen bringt. Beides sind Probleme, auf die der Bundestag gegebenenfalls auch mit geeigneten gesetzgeberischen Maßnahmen reagieren sollte. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Es ist 42 Jahre her, daß der Deutsche Bundestag das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht verabschiedet hat. Carlo Schmid, damals Vizepräsident des Bundestages, begrüßte dies mit den Worten, der Bundestag habe damit „einen mächtigen Pfeiler in den Bau der Bundesrepublik eingezogen". Die heutige abschließende Beratung einer Novellierung dieses Gesetzes soll dazu beitragen, daß dieser „Pfeiler" stabil bleibt und seine Aufgabe, die freiheitliche Ordnung unseres Grundgesetzes zu schützen, weiterhin in der bisherigen Form wahrnehmen kann. Es geht um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts angesichts des außergewöhnlichen Anstiegs seiner Geschäftsbelastung, vor allem der Verfassungsbeschwerden. Ihre jährliche Zahl hat gegenüber dem Jahre 1981 um mehr als 25 % zugenommen. Dabei hat sich die Wiedervereinigung — das Hinzukommen von potentiellen Beschwerdeführern in den neuen Ländern und in Berlin — noch nicht ausgewirkt. Die Überlastung des Gerichts, insbesondere durch Verfassungsbeschwerden, hat zu der paradoxen Situation geführt, daß in offensichtlich aussichtslosen Verfahren sehr schnell, über wichtige Fragen jedoch spät entschieden wird. Die Diskussion urn eine Entlastung des Bundesverfassungsgerichts ist natürlich nicht neu; sie begann schon mit der Einführung eines Vorprüfungsverfahrens für Verfassungsbeschwerden durch das erste Änderungsgesetz von 1956. Dieses Vorprüfungsverfahren ist seither mehrfach modifiziert worden. 1985 erfuhr es eine für erfolgreiche Beschwerdeführer wichtige Ergänzung. Seither konnten viele offensichtlich begründete Verfassungsbeschwerden ohne mündliche Verhandlung durch die mit drei Richtern besetzte Kammer wesentlich schneller entschieden werden, als wenn der volle Senat mit acht Richtern hätte tätig werden müssen. Der ihnen jetzt vorliegende Gesetzentwurf enthält in seinem Schwerpunkt weitere Maßnahmen zur effektiveren Durchsetzung des Grundrechtschutzes. Er ist in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesverfassungsgericht vorbereitet worden. Dies gibt die Gewähr dafür, daß das Gericht die neuen Regelungen so anwendet, daß der damit verfolgte Zweck auch erreicht wird. Die Einführung präziser Kriterien für die Annahme von Verfassungsbeschwerden wird das Gericht in die Lage versetzen, die Vielzahl der von vornherein aussichtslosen Verfahren mit einem geringeren Zeitaufwand zu erledigen. Es kann seine Arbeit deshalb stärker auf die Auslegung und Interpretation des Verfassungsrechts konzentrieren und im Ergebnis erfolgreiche Verfassungsbeschwerden rascher als bisher entscheiden. Es wird dann in der Lage sein, den Schwerpunkt seiner Arbeit mehr auf Bereiche zu legen, in denen die Verbindlichkeit der Verfassung nicht sorgfältig genug beachtet wird oder in denen sich verfassungsrechtliche Fragen für neue Lebens- und Problembereiche stellen. Lassen Sie es mich noch einmal betonen: Das Bundesverfassungsgericht bedarf dieses Freiraums, damit es seine ihm vom Grundgesetz zugewiesene Funktion — im Bereich der dem Grundrechtschutz des Bürgers dienenden Verfassungsbeschwerden, aber auch in den anderen Verfahren — erfüllen kann. Die hohe Zahl von Verfassungsbeschwerden ist ein Spiegel des Vertrauens der Bürger in dieses Gericht als den obersten Hüter der Verfassung. Es hat die Grundrechte als bestimmende Wertordnung im Bewußtsein der Bevölkerung verankert. Diesen hohen Standard des Grundrechtsschutzes gilt es aufrechtzuerhalten. Das Bundesverfassungsgericht wird mit vollem Recht immer wieder als eine besondere Errungen- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 14071* schaft der Verfassungsentwicklung in Deutschland nach dem letzten Kriege angesehen. Es ist — darauf können wir ruhig ein wenig stolz sein — Vorbild für viele Verfassungsgerichte gewesen, die in anderen Staaten in den letzten Jahrzehnten errichtet worden sind. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht nur Hüter der Verfassung. Es hat in der Vergangenheit zunehmend auch eine wichtige Integrationsfunktion übernommen. Diese kann es aber nur dann wahrnehmen, wenn seine Tätigkeit von einem allgemeinen Konsens getragen ist. Das Grundgesetz selbst hat dem Bundesverfassungsgericht umfassende Kompetenzen zugewiesen. Macht man sich dies klar, dann gehört zu diesem allgemeinen Konsens auch das Einverständnis mit der Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, auf Antrag durchaus auch in politisch umstrittenen Fragen tätig zu werden. Ein solcher Konsens zusammen mit der Qualität seiner Rechtsprechung gibt dem Bundesverfassungsgericht seine nicht anzuzweifelnde Autorität. Dies schließt Kritik an einzelnen Entscheidungen selbstverständlich nicht aus. Die Legitimität des Gerichts als Organ im politischen Prozeß wird trotzdem gelegentlich von denen in Zweifel gezogen, die mit dem Ausgang eines konkreten Verfahrens unzufrieden sind. Das ist vielleicht jeder Gruppierung in diesem Hohen Hause zu irgendeiner Zeit so gegangen. Das Pendel neigt sich mal nach der einen und mal nach der anderen Seite. Unabhängige und hochqualifizierte Richter bieten die Gewähr dafür, daß der Pendelschlag von einer verantwortlichen und gewissenhaften Interpretation des Grundgesetzes gesteuert wird. Der vorliegende Gesetzentwurf, für dessen zügige Beratung die Bundesregierung dem Rechtsausschuß dankt, soll dazu beitragen, daß das Bundesverfassungsgericht seiner wichtigen Aufgabe im Dienst gegenüber dem Bürger und zur Bewahrung unseres Grundgesetzes weiterhin gerecht werden kann. Ich bitte Sie, ihm zuzustimmen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 14 (Große Anfrage: Lage der Frauen in den neuen Bundesländern) Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Es ist ja erst wenige Wochen her, daß wir in diesem Hause auch auf unsere Initiative hin zur Lage der Frauen in den neuen Ländern, die auf dem Lande leben, diskutiert haben. Schon damals habe ich meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Probleme heruntergespielt werden und statt einer schonungslosen Offenlegung Schönfärberei die Bestandsaufnahme der Bundesregierung durchzieht. Ähnlich geht es mir heute. Schon die Vorbemerkungen zu der Antwort auf unsere Anfrage sind eine Mischung aus Wahrheit und Verschleierung. Wahr ist, daß der Abbau gerade von Frauenarbeitsplätzen besonders dadurch begünstigt war, daß der Frauenanteil in solchen Branchen und Bereichen überproportional hoch war, die im Zuge von Umstrukturierung und Rationalisierung aus Unwirtschaftlichkeit zuallererst vernichtet wurden. Gleichzeitig ist aber auch wahr, und darüber schweigen Sie sich aus, daß Frauen gezielt aus dem Erwerbsleben verdrängt und erneut für Kindererziehung und Familienarbeit zuständig gemacht werden. Und das ist nicht allein Folge wirtschaftlicher Zwänge, sondern dahinter steckt Prinzip. Es geht dabei darum, auch in Ostdeutschland die geschlechtsspezifische Rollenzuweisung zu zementieren, als beschönigenden Nebeneffekt die Arbeitslosenstatistik zu bereinigen und Frauen zur Manövriermasse des Arbeitsmarktes zu degradieren. Eine Erwerbsarbeitsquote von über 90 % paßt nicht in das traditionelle Frauenbild der Bundesrepublik, es soll die Frauen benachteiligende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung verfestigt werden. Nur eben diesem Frauenbild will sich ein Großteil der ostdeutschen Frauen nicht unterwerfen. Nun zu den Antworten im einzelnen. Der erste Komplex behandelt die Frage der Erstausbildung junger Frauen. Aus allen uns zur Verfügung stehenden Statistiken geht unübersehbar hervor, daß geschlechtsdifferenzierende Mechanismen, wie sie schon in der DDR bestanden, unter bundesrepublikanischen Verhältnissen zu Mechanismen des Ausschlusses mutierten. Ausbildungsplätze insgesamt sind knapp, junge Frauen haben fast überall das Nachsehen. In den Fertigungsberufen klaffte zwischen Angebot und Nachfrage nur ein Ausbildungsplatzdefizit von 15 %, bei den eher frauentypischen Dienstleistungsberufen betrug es dagegen 53 %. Dies deutet doch an, daß sich bei den jungen Frauen zwar das gesellschaftlich gewünschte Rollenbild durchzusetzen beginnt, sie aber gerade dafür hinsichtlich ihrer beruflichen Ausbildungschancen massiv bestraft werden. Diese Tendenz bestätigt sich 1992, wo über 70 % der Nachfrage nach Ausbildung in Gesundheits- und Sozialberufen oder Körperpflege, Gästebetreuung, Hauswirtschafts- und Reinigungsberufen nicht befriedigt werden konnte. Die Hoffnungen der jungen Frauen auf die Dienstleistungsbereiche zu lenken, wie es die Bundesregierung tut, ist angesichts solcher Mängel völlig verfehlt. Verantwortungslos gerade auch angesichts der gestrigen Debatte ist die Tatsache, daß über ein Drittel der Jugendlichen Ostdeutschlands ohne Ausbildungsplatz bzw. arbeitslos sind, und über 50 % davon sind junge Frauen. Ihnen allen wird die Chance einer eigenen Lebensplanung vorenthalten, diese Perspektivlosigkeit befördert Ausländerfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft. Viel zu rosig ist auch die Situation der Frauen in Weiterbildungsmaßnahmen dargestellt. Hier gilt, daß Frauen nicht so sehr durch Quantität, sondern vor allem durch Qualität benachteiligt sind. Zu 90 % absolvieren Frauen Kurse zur Feststellung, Erhaltung, Erweiterung und Anpassung beruflicher Kenntnisse bzw. berufliche Orientierungskurse. Nur 10 % des Fortbildungsangebots dient der direkten beruflichen Qualifizierung. Deutlich unterrepräsentiert sind Frauen auch bei bezuschußter betrieblicher Einarbei- 14072* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 tung, ihr Anteil dort ist 1993 sogar noch gesunken. Damit hängt sicher auch zusammen, daß Frauen nach Qualifizierungsmaßnahmen seltener einen Arbeitsplatz finden. So waren Ende März 1992 knapp 80 % jener Ostdeutschen, die im 3. Quartal 1991 typische Weiterbildungsmaßnahmen erfolgreich absolviert hatten und sich Ende März 1992 noch oder schon wieder in Arbeitslosigkeit befanden, Frauen. Kein Grund zum Jubeln also. Was die Beschäftigungslage von Frauen insgesamt angeht, so haben allein die dramatischen Entwicklungen des letzten halben Jahres alle positiven Prognosen eindeutig widerlegt. Im März 1992 waren noch etwa 2,8 Millionen Frauen in regulärer Erwerbsarbeit, das bedeutet, daß gegenüber Ende 1989 bereits knapp 2 Millionen Frauen entweder ganz oder teilweise aus dem Erwerbsleben verdrängt sind. Die offiziell genannte Erwerbslosenquote für Frauen von 20,2 % entspricht nicht der Wirklichkeit, ehrlicher ist es, davon auszugehen, daß die Arbeitslosenquote ostdeutscher Frauen heute bereits bei ca. 33 % liegt. Der Hoffnung der Bundesregierung, daß der Einsatz neuer Technologien und die Einführung des EG-Binnenmarktes „Wachstumsimpulse und damit positive Beschäftigungswirkungen" auch für Frauen haben werden, fehlt jede Substanz. Erstens haben die letzten zehn Entwicklungsjahre im Westen gezeigt, daß technologische Umstrukturierungsprozesse Massenarbeitslosigkeit nicht bewältigen, und zweitens sind die im High-tech-Bereich zu erwartenden Zuwächse ausgesprochene Männerdomänen, die sich nicht im Selbstlauf für arbeitswillige Frauen öffnen werden. Da braucht es schon Konzepte, die ernsthaft beitragen, der Diskriminierung von Frauen entgegenzuwirken. Doch genau auf diesem Gebiet ist die Politik der Bundesregierung, inzwischen leider auch der Mehrheit des Bundestages, ausgesprochen kontraproduktiv. Mit der 10. Novelle des AFG ist der Zugang bzw. der Wiedereinstieg von Frauen ins Erwerbsleben erheblich erschwert. Eine Reihe von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die die besondere Förderung von Frauen zum Ziel hatten, sind damit vollständig beseitigt bzw. radikal eingeschränkt worden. Noch dramatischer für die Beschäftigtensituation von Frauen hat sich allerdings die drastische Mittelkürzung bei ABM bzw. der ABM-Stopp vom Februar 1993 ausgewirkt. Zwar hat sich der Anteil der Frauen an ABM von 41 % im März 1992 auf 46 % im März 1993 erhöht. Aber erstens entsprach auch dieser Anteil nie dem der Frauen an den Erwerbslosen, und zweitens gehen die Maßnahmen kontinuierlich zurück, so daß inzwischen nur noch jede 5. arbeitslose Frau Aussicht auf eine ABM-Stelle hat. Die gern verbreitete Zuversicht, daß durch den neuen § 249h AFG, die durch ABM-Kürzungen gerissenen Löcher gestopft werden könnten, erweist sich als ausgesprochen trügerisch, weil durch Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern und Mittelknappheit auch hier kaum etwas in Gang gesetzt wird. Völlig ausgeblendet wird bei den Antworten der Bundesregierung, daß mit den Einschränkungen der AB-Stellen nicht nur Arbeitsplätze wegfallen, sondern ganze Strukturen zerschlagen werden, die gerade für eine emanzipatorische Lebensweise von Frauen große Bedeutung haben. Beratungseinrichtungen, Selbsthilfeinitiativen, sozialen Netzwerken, kulturellen Angeboten zur besseren Bewältigung des Frauenalltags in einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaft geht die Puste aus, wenn die Kahlschlagpolitik systematisch fortgesetzt wird. Natürlich betrifft dies alles auch den ganzen Komplex der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit mit Haus-, Erziehungs-, Versorgungs- sowie Pflegearbeit. Leider müssen Frauen in Ostdeutschland feststellen, daß mit der Dauer der Einheit Strukturen, die es zur besseren Vereinbarkeit von Tätigkeiten in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen in der DDR gegeben hat, beseitigt werden. Und das hat durchaus Methode, ich habe bereits am Anfang darauf hingewiesen. Die Behauptung, es gäbe ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen in Ostdeutschland, mag oberflächlich betrachtet sogar stimmen. Eine andere Sichtweise bekommt man, wenn die veränderten Bedingungen dieser Einrichtungen mitreflektiert werden. Sie sind so teuer geworden, daß viele sie nicht mehr bezahlen können, Plätze sind abgebaut oder zentralisiert worden, und schließlich passen auch die veränderten Öffnungszeiten nicht mehr zu den Arbeitsbedingungen der Eltern. Der Rückgriff auf individuelle Lösungen ist wieder an der Tagesordnung und erschwert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie massiv. Und wenn es hier um die Lage der Frauen in den neuen Ländern geht, dann gehört dazu auch die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum § 218. Sie ist geradezu symptomatisch dafür, daß Frauen in den NBL nichts von dem erspart werden soll, was Frauen in Westdeutschland seit langem an Diskriminierung, Entmündigung und vorenthaltener Selbstbestimmung zugemutet wird. Claudia Nolte (CDU/CSU): Es ist richtig und wichtig, wenn sich der Deutsche Bundestag — wie schon wiederholt in der Vergangenheit — mit der Lage der Frauen in den neuen Bundesländern beschäftigt. Der Umstrukturierungsprozeß von der sozialistischen Kommandowirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft hat den desolaten Zustand der hoffnungslos veralteten DDR-Wirtschaft deutlich gemacht. Die wirtschaftliche Situation der ehemaligen DDR war noch schlimmer und die verdeckte Arbeitslosigkeit weit höher als befürchtet. Fast 70 % der Beschäftigten in der ehemaligen DDR arbeiteten in der Produktion. In Zukunft wird in den jungen Bundesländern mit etwa 25 % der Beschäftigten im produktiven Bereich weit mehr produziert werden als in den Zeiten Ulbrichts und Honeckers. Der notwendige Arbeitsplatzabbau hat die Frauen in besonderem Maße getroffen. Neue Arbeitsplätze im Handels- und Dienstleistungssektor wurden noch nicht in dem Ausmaß geschaffen, wie sie in der Industrie verlorengingen. Daß Frauen aber zuerst entlassen werden, liegt vor allem auch an den Strukturen in der ehemaligen DDR, die die heutigen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 14073* Fragesteller zu verantworten haben. Deshalb müssen strukturelle Veränderungen erfolgen. Die Bundesregierung ist in dieser schwierigen Situation mit gezielten Anstrengungen für die Frauen in den jungen Bundesländern ihrer Verantwortung gerecht geworden, was auch durch die Antwort der Großen Anfrage zur Lage der Frauen in den neuen Bundesländern deutlich wird. Angela Merkel hat durch ihr besonnenes und seriöses Agieren mehr für die Frauen in unserem Land erreicht als die Repräsentantinnen — ich denke da besonders an eine Ministerin aus Brandenburg —, die durch ihr lautes, schnelles und nicht enden wollendes Reden den Eindruck verfestigen, sie kämen gar nicht mehr zum Nachdenken. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bemüht sich — soweit das vom Gesetzgeber zu leisten ist — um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir machen aber nicht mit, wenn die Arbeit zu Hause diskriminiert wird. Familienarbeit ist echte Arbeit. Eine Frau kommt auf eine durchschnittliche Hausarbeitszeit von 50 Stunden in der Woche, ihr erwerbstätiger Mann dagegen auf nur 40 Arbeitsstunden im Betrieb. Ich will nicht Familienarbeit gegen außerhäusliche Erwerbsarbeit aufrechnen oder umgekehrt. Aber heute ist Familienarbeit wichtiger denn je und ihre umfassende Wertschätzung dringend geboten. Die Anerkennung von Kindererziehungs-, aber auch von Pflegezeiten im Rentenrecht sind Schritte in die richtige Richtung. Mit 950 DM netto im Monat ab Juli liegen die versicherten Rentnerinnen in den neuen Bundesländern heute bereits über der durchschnittlichen Versicherungsrente von Frauen in den alten Bundesländern. Dies liegt unter anderem daran, daß gut 97 % der Frauen eine Rente aus eigener Versicherung beziehen. 44 % erhalten zusätzlich noch eine Witwenrente, 2 % ausschließlich Witwenrente, obwohl kein eigener Rentenanspruch besteht, d. h. knapp die Hälfte der Rentnerinnen erhält durch die Einführung der Witwenrente zusätzliche Leistungen, die ihnen zu DDR-Zeiten vorenthalten wurden. Die alten Menschen, die zwei Weltkriege und zwei Diktaturen durchlitten, haben es verdient, daß ihre Renten zügig angepaßt werden. Zum 1. Juli d. J. werden die Renten erneut um gute 14 % erhöht. Es ist zu erwarten, daß auch die nächste Rentenerhöhung in den neuen Bundesländern nicht unter 10 % bleibt. Wenn mich etwas ärgert, dann der Spruch, Frauen seien die Verliererinnen der Deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit war ein Gewinn für alle Deutschen. Noch schlimmer finde ich es, wenn in diesem Zusammenhang mit dem unterschiedlichen Abtreibungsrecht argumentiert wird. Es ist falsch, wenn der Eindruck erweckt wird, alle Frauen in den jungen Bundesländern stünden zu dem DDR-Abtreibungsrecht, das die Tötung ungeborener Kinder als Mittel der Familienplanung ansah. Zu diesem Thema ist soviel Desinformation gestreut worden, daß man glauben könnte, einer sachlichen Auseinandersetzung soll aus dem Weg gegangen werden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die durch die Klage von Abgeordneten der CDU/CSU möglich wurde, wird den Interessen der Frauen in den neuen Bundesländern gerecht. Sie entspricht dem vielfachen Wunsch nach besserer Beratung und sie läßt jeden Schwangerschaftsabbruch bis zum dritten Monat straffrei. Ja, wer genug verdient, muß in Zukunft den Schwangerschaftsabbruch selbst bezahlen. Ein ambulanter Abbruch kostet zwischen 280,—DM und 300,— DM. Bei sozial Schwachen zahlt die Sozialhilfe. Die Kostendiskussion ist ein Nebenkriegsschauplatz. Den Frauen ist bewußt, daß ein Kind in ihnen heranwächst. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes und die damit verbundene Feststellung der Unverfügbarkeit des Lebens und der Würde des Menschen ist im Interesse aller in diesem Lande. Die Hetze gegen die Verfassungsrichter und das grundgesetzlich geschützte Lebensrecht ist skandalös. Heute vor 40 Jahren erhoben sich die Menschen in der gesamten ehemaligen DDR und Ostberlin, um für bessere Arbeitsbedingungen, aber insbesondere, um für die Einheit und Freiheit Deutschlands zu demonstrieren. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. Es dauerte über 37 Jahre bis der Wunsch der Menschen in beiden Teilen Deutschlands auf Einheit und Freiheit Wirklichkeit wurde. Hunderte von Frauen und Männern unterschiedlichsten Alters aus allen Schichten der Bevölkerung haben — oft unter großer Gefahr für ihr Leben — über vier Jahrzehnte hinweg deutlich gemacht, daß sie auch den linken Totalitarismus ablehnen. Sie forderten Freiheit und eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Wir werden es nicht zulassen, daß diejenigen, die die deutschen Länder östlich von Elbe und Werra heruntergewirtschaftet haben, heute diejenigen anklagen, die für den Aufbau sorgen. Es ist unverfroren, wie diejenigen, die den Karren in den Dreck zogen, heute diejenigen angreifen, die ihn hinausziehen. Obwohl die Schwierigkeiten größer waren als gedacht, hat es eine vernünftige Politik der Bundesregierung mit der Unterstützung der Menschen vermocht, daß die Lebensverhältnisse zwischen den ehemals getrennten Teilen Deutschlands sich auf hohem Niveau immer mehr angleichen und von einer Vergleichbarkeit mit den Ländern des ehemaligen Ostblocks zu Recht gar nicht mehr gesprochen wird. Die jungen Bundesländer stehen heute besser da als manche Staaten, die seit Jahrzehnten der EG angehören. Diese Entwicklung wäre ohne die Frauen nicht möglich gewesen. 40 % aller Existenzgründungen in den jungen Ländern gehen von ihnen aus. Viele Frauen haben in Politik und Verwaltung in den neuen Bundesländern an gehobenen Stellen Verantwortung übernommen. Ich denke, wenn wir über die Lage der Frauen in den neuen Bundesländern sprechen, sollten wir die Leistungen dieser Frauen nicht unerwähnt lassen. Das ist Engagement für die Zukunft Deutschlands. 14074* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 Dr. Helga Otto (SPD): Die Antwort auf die Große Anfrage der PDS/Linke Liste zur Lage der Frauen in den neuen Bundesländern ist nur ein Stück Papier, auf dem zwischen den Zeilen zu lesen ist, was mit den Frauen im Osten Deutschlands passiert ist. Aber bei zu vielen Fragen steht die Antwort: „Der Bundesregierung liegen hierüber keine Erkenntnisse vor", zum Beispiel bei der Frage, in welchem Ausmaße Frauen aus den Führungsgremien verdrängt wurden. In Wahrheit ist der Vorgang der Vereinigung für zu viele Frauen eine tragische Geschichte. Mit unendlich viel mehr Engagement und Kraftaufwand als Männer haben sie trotz guter Rahmenbedingungen den Aufstieg durch Qualifizierung geschafft. Viele Tausende haben mit Liebe und mit Sorgfalt in ihren Instituten und Fabriken gearbeitet, nicht nur weil das Geld nicht reichte, sondern auch um das Gelernte im Leben anzuwenden. Die Schließung von Instituten und Betrieben, das Ausräumen, ja die Vernichtung ihrer Arbeitsstätte und -mittel bedeutet oft das Ende ihrer Berufslaufbahn oder den Anfang einer Umschulung zur Floristin, Bürokauffrau oder Hausgehilfin, wohlwissend, daß dies nur eine rein formale Angelegenheit ist. Eine Professorin sagte auf einer Tagung in Leipzig: „Wie man früher seine Qualifizierung zielstrebig anstreben und auch durchsetzen konnte, das wußten wir, aber diesem hier sind wir ziemlich hilflos ausgeliefert" . Das ist ein trauriges Zeugnis für die Bundesregierung und eine Gesellschaft. Die relativ große Zahl alleinerziehender Frauen kommt bei ständig steigenden Mieten, Preisen in Kindereinrichtungen, Fahrpreisen und anderen Preiserhöhungen in finanzielle Nöte. Die Frauenarbeitslosigkeit in meinem Wahlkreis beträgt mitten in einer ehemaligen Industrieregion 72,5 %. Das ist eine Katastrophe! Und da wartet die Regierung immer noch auf die Wunder der Marktwirtschaft. Daß 97 % der Frauen eine Rente aus eigener Versicherung haben und durchschnittlich 30,4 Versicherungsjahre ohne Kindererziehungszeiten erarbeitet haben, ist doch ein Zeichen dafür, was Frauen alles leisten können und wollen. (Man muß sie nur lassen.) Morgen kommen die Textilarbeiterinnen nach Bonn, um nachzufragen, warum, bezogen auf den Umsatz, nur noch 4 % der Gesamttextilproduktion in den neuen Ländern stattfindet? Am härtesten betroffen sind hier wiederum die Frauen. Strukturwandel mußte sein, aber nicht ohne Kopf. Aktive Strukturpolitik Hand in Hand mit Arbeitsmarktpolitik heißt das Gebot der Stunde und das ist eindeutig Aufgabe der regierenden Parteien. Die Verdrängung erstklassiger Frauen durch zum Teil zweitklassige Männer ist auf allen Ebenen zu verzeichnen. In Sparkassen, Ämtern, Instituten werden sie schuldlos von ihren Posten vertrieben. Ihre Geduld ist nun zu Ende. Sie fordern aktive Frauenpolitik. Im neuen Gleichstellungsgesetz fordern sie die tatsächliche Gleichberechtigung sowohl im öffentlichen Dienst, in den öffentlichen Unternehmen wie in der Privatwirtschaft, paritätische Besetzung in Betriebs- und Personalräten, aber auch in Führungsgremien, Auswahlgremien und Parlamenten. Frauenbeauftragte müssen mehr Kompetenzen erhalten, von der weiblichen Belegschaft gewählt werden und eine unabhängige Stellung im Betrieb haben. Belohnung der Betriebe, die aktive Gleichstellungspolitik betreiben, ist ohne weiteres z. B. mit der Fördermittelvergabe zu verknüpfen. Die Frauen fordern ein Verbot geschlechtsspezifischer Benachteiligungen und Beweislastumkehr bei Geltendmachung der Benachteiligungen. Nur eine verbindliche Vorschrift bei der Vergabe von Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Umschulungsplätzen sowie ABM-Maßnahmen schafft die Voraussetzung, daß Frauen die Gleichberechtigung auch spüren. Wenn das Parlament die Kraft hatte, den schlichten Satz „Politisch Verfolgte genießen Asyl" aus politischen Erfordernissen der Zeit heraus zu ergänzen, dann kann es doch keine Unmöglichkeit sein, wenn die Frauen angesichts der offenbar ungenügenden Formulierung im Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" ebenfalls durch den neuen Satz „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin" ergänzen wollen, um nichts anderes zu erreichen, als gleichberechtigte Partnerinnen und Mütter ihrer Kinder in allen gesellschaftlichen Fragen ihren weiblichen Sachverstand einzubringen. Es ist auch eine Frage der Humanität und des Umdenkens in einer Gesellschaftsordnung, daß man den Frauen im Osten Deutschlands ihre Würde nicht nimmt. Darum denke ich, daß die lang ersehnte Einheit Deutschlands ein Grund ist, auch um der Würde dieser Frauen in Ostdeutschland willen das Grundgesetz im Artikel 3 zu ändern. Dr. Sigrid Semper (F.D.P.): Frauen sind durch die Umstrukturierungsprozesse besonders betroffen und stellen gegenwärtig mindestens 60 % der Arbeitslosen. In der ehemaligen DDR gehörte Erwerbstätigkeit zum Alltag der Frauen. Sie hatten einen Anteil von 48,9 % an allen Erwerbstätigen im Gegensatz zu 38 % in den alten Bundesländern. Besonders betroffen von Arbeitslosigkeit sind nun alleinerziehende Frauen und junge Mütter allgemein (u. a. durch den Wegfall von Einrichtungen der Kinderbetreuung), Akademikerinnen und Frauen über 40 Jahre. Gleichzeitig muß in den neuen Bundesländern das Familieneinkommen in noch höherem Ausmaß als im alten Gebiet der Bundesrepublik von beiden Partnern erwirtschaftet werden. In ihrem Streben nach Arbeit sind Frauen daher gegenwärtig besonders erpreßbar und bereit, auch ungünstige Arbeitsverhältnisse anzunehmen, insbesondere solche ohne soziale Sicherung. Durch die schwierige Arbeitsmarktlage drängen immer mehr Männer in bisher fast ausschließlich von Frauen belegte Berufsgruppen, wodurch die Luft für Frauen noch dünner wird. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 14075* Die Lage der ostdeutschen Frauen ist äußerst kritisch! ! ! Neben der finanziellen Notlage von Frauen tritt noch eine weitere, viel zerstörerische ein, daß Bewußtsein, nicht „gebraucht" zu werden. Ich möchte ein Beispiel nennen, das deutlich macht, wo die Defizite liegen. Ich referiere aus der Statistik des Arbeitsamtes meines Heimatwahlkreises Leipzig vom Monat Mai 1993: In Leipzig waren im Monat Mai 52.500 Menschen arbeitslos, davon 34 820 Frauen. Das entspricht einem Anteil von 66,3 %. Die Arbeitslosenquote von Frauen betrug 16,6 %. Gleichzeitig wurden 2 907 Pesonen erfolgreich vermittelt. Darunter befanden sich lediglich 1 516 Frauen. Beschämend ist auch die Situation im Hochschulbereich. Zwar sind 52,1 % aller Beschäftigten der Universität Leipzig Frauen. Unter den 200 Professoren sind jedoch nur 8 weiblichen Geschlechts. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Grund hierfür in der mangelnden Qualifikation der Frauen liegt. Überhaupt stelle ich immer wieder verwundert fest, wie gering der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Vergleich zum Gesamtbevölkerungsanteil ist. Nicht viel besser auch die Lage bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. 1992 waren es gerade mal 44,6 % aller arbeitslosen Frauen, die eine ABM-Stelle erhielten. Man braucht nicht viel Scharfsinn, um zu erkennen, wo es im argen liegt. Es ist nicht zu begreifen, warum Frauen in den ABM so deutlich hinter ihren männlichen Mitbewerbern zurückliegen müssen. Daher stellt sich für mich die Frage, wie wir das Problem lösen können. Nach meiner Auffassung müssen hier die Förderprogramme der Bundesregierung und der Lander ansetzen, Programme, die in manchen Bereichen schon Wirkung gezeigt haben. Und ganz wichtig: das persönliche Engagement jeder Frau, die eigene Aktivität. Bei den Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, sowie im Ausbildungsbereich gibt es Anreize, die eine Frauenförderung beinhalten. Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen besuchten 1992 550 500 ostdeutsche Frauen, oder anders ausgedrückt 62,0 %. Eine erfreuliche Zahl, wie ich meine. Aber bei der Arbeitsplatzfindung und -vermittlung sind Frauen wieder benachteiligt. Die Erwerbstätigkeit hat für Frauen in den neuen Bundesländern einen unverändert hohen Stellenwert. Daran hat sich auch nach der Wende nichts geändert. Die Berufsansprüche hingegen haben sich durch die Wiedervereinigung verändert. Frauen wollen heute mehr, mehr Führungskräfte stellen, mehr Einfluß haben. Die Qualifikation muß endlich über die Anstellung entscheiden und nicht das Geschlecht. Noch eine Frage bewegt mich: Wie gehen wir, Politiker, mit den Problemen der ostdeutschen Frauen um? Beispiel: 1. Frauen ehemaliger NVA-Soldaten und Offiziere und Zivilangestellter der NVA fühlen sich als Menschen 2. Klasse und sträuben sich, immer die Verfolgten der Nation zu sein, unter den Stichworten Angehörige einer fremden Armee, Altlasten, Schuldige einer 40jährigen Fehlentwicklung. 2. Dazu zählen Dinge, wie die Nichtanerkennung von Dienstjahren und die Benachteiligung im undurchsichtigen Gewirr der Rentenberechnung. 3. Wer heute z. B. noch in einer Dienstwohnung der Bundeswehr wohnt, wie viele Witwen und Alleinerziehende der NVA, kann nicht in eine kleinere Wohnung ziehen, weil er darauf kein Anrecht hat. Die Antwort der Bundesregierung zur Lage der Frauen in den neuen Bundesländern hat die Probleme deutlich gemacht. Ich bin zuversichtlich, daß wir sie langfristig mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen lösen können. Bei einem anderen Hemmnis wird der Gesetzgeber aber versagen müssen, wenn sich in unserer Einstellung nichts verändert. Auch in den ostdeutschen Familien wird die Haushaltsarbeit und Kindererziehung hauptsächlich von Frauen ausgeführt. Lediglich 1,4 % aller Männer nutzen die vom Gesetzgeber angebotene Chance eines Erziehungsurlaubes. Was nützt da aller gesetzgeberischer Wille, wenn sich in den familiären Strukturen und den Köpfen der Männer, aber auch der Frauen, nichts ändert? Aufklärungsbedarf — vom Kindergarten an! Ich kann auch nicht verhehlen, daß wir Frauen durch unser Verhalten zu dieser Entwicklung beitragen. Solange die Wirklichkeit des männlichen Denkens und weiblicher Erwartungshaltung an den Mann impliziert, daß nur ein beruflich erfolgreicher Mann etwas gilt, wird es in der Familie eine vernünftige Arbeitsteilung niemals geben. Viele Frauen in den NBL resignieren. Dem muß entgegengewirkt werden. Die Frauen in den NBL schätzen mehrheitlich ein, daß sich ihre Situation hinsichtlich Geleichberechtigung verschlechtert hat und sich noch weiter verschlechtern wird. Zitate aus der Befragung von Akademikerinnen in einer Umschulungsmaßnahme: Junge Frau, 32, verheiratet, zwei kleine Kinder: „Mit meinen zwei kleinen Kindern habe ich kaum Hoffnung einen Arbeitsplatz zu bekommen. Die Arbeitgeber befürchten den Arbeitsausfall." Frau, 36, verh., ein Kind: „Die Regelungen zum § 218 sind ein deutlicher Rückschritt. Es herrscht absolute Rechtsunsicherheit. Die Berufschancen haben sich für Frauen mit Kindern deutlich verschlechtert. Das Arbeitsamt verlangt einen ganztägigen Betreuungsnachweis zur Vermittlung in einen Vollzeitjob. Kann der nicht vorgelegt werden, ist nur Teilarbeit möglich, und Teilarbeitszeitplätze gibt es erst recht nicht." Frau, ledig, 26: „Wegen der schlechten Berufschancen habe ich Angst, Kinder zu kriegen." Christina Schenk, (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sieht man die Antwort der Bundesregierung, präziser: des Bundesministeriums für Frauen und Jugend, auf die große Anfrage der PDS zur „Lage der Frauen in den ostdeutschen Bundesländern" im Zusammenhang mit den beiden Initiativen dieses Ministeriums, die den Anspruch haben, die Chancengleichheit von Frauen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, sowohl im Arbeits- als auch im familialen Bereich, zu verbessern, erlangt man Aufschluß über die Ernsthaftigkeit, mit der die Bundesregierung sich 14076* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 für die Frauen in den ostdeutschen Bundesländern einsetzt. Ich meine zum einen das Gleichstellungsgesetz, zu dessen Wirkungslosigkeit in bezug auf das vorgegebene Ziel an dieser Stelle bereits einiges gesagt worden ist, und zum anderen die vom Bundesministerium initiierte Kampagne „Wir machen gemeinsame Sache — Gleichberechtigung gleich jetzt", eine Kampagne, die den Männern Mut machen soll, sich von traditionellem Rollenverhalten zu trennen und sich u. a. die Erfahrungswelt der Familie zu erschließen. Es muß leider konstatiert werden, daß die Bundesregierung nichts Ernsthaftes unternimmt, um die gegenwärtige Lage von Frauen in den ostdeutschen Bundesländern grundlegend zu verbessern. Die beiden genannten Initiativen sind in keiner Weise dazu geeignet, die umfassende Diskriminierung von Frauen im Erwerbsbereich abzubauen, die Realisierung ihres Anspruchs auf Erwerbsarbeit und damit auf eine eigenständige ökonomische Existenzsicherung zu ermöglichen. Kann-Bestimmungen und Appelle an Partner und Arbeitgeber als Hauptinstrumente ministerieller Gleichstellungspolitik garantieren nur eins: grünes Licht für alle diejenigen, die die bundesdeutsche Arbeitsmarktkrise vor allem durch die Herausdrängung von Frauen aus dem Arbeitsmarkt lösen wollen. Mit Kann-Bestimmungen und Appellen ist dieses Problem nicht zu lösen, und ich frage mich, was noch alles passieren muß, ehe die Regierung das begreift — oder, und der Verdacht drängt sich in zunehmendem Maße auf, das, was gegenwärtig in Ostdeutschland massenhaft mit Frauen geschieht, ist von Regierungsseite so gewollt. Zur Zeit erleben die Frauen in den ostdeutschen Bundesländern, wie mit Brachialgewalt versucht wird, ihnen eine Rolle als Hausfrau, Mutter und Dazuverdienerin zuzuweisen. Nach wie vor lehnen das die Frauen dort mehrheitlich ab. Versucht wird dies zum einen durch die Implantation des bundesdeutschen Normalarbeitsverhältnisses, dessen Lohngefüge so ausgerichtet ist, daß der Mann als Alleinverdiener und Ernährer der Familie fungiert. Die in dem Urteil von Karlsruhe formulierte grundsätzliche Rechtspflicht von Frauen, eine Schwangerschaft auszutragen, die gerade die Ostfrauen in für sie kaum faßbarer Weise auf die Rolle von Gebärmaschinen, Hausfrauen und Müttern reduziert, ordnet sich ebenfalls in diesen Zusammenhang ein. Die vorliegende Antwort der Bundesregierung und die von ihr ausgehende praktische Politik, vorneweg des Ministeriums von Frau Merkel, lassen keinerlei ernsthafte Bemühungen erkennen, um diesen frauenpolitischen Rückschritt zu bremsen. Man besitzt sogar die Stirn, das Ehegattensplitting als eine „sachgerechte Form der Besteuerung" zu bezeichnen. Das zeigt doch überdeutlich, wohin die Entwicklung gehen soll! Von Überlegungen gar, wie der Bund für ein bedarfsdeckendes Netz von Kinderbetreuungseinrichtungen in die Verantwortung genommen werden könnte, ist keine Spur zu finden. Weder die bittstellerischen Appelle an die Arbeitgeber, doch „vermehrt Frauen bei den Neueinstellungen zu berücksichtigen" noch die aufmunternden Worte an den sich korrekt marktwirtschaftlich verhaltenden Mann sind dazu geeignet, Männer und Frauen zu einer wirklich gleichberechtigten Entwicklung zu verhelfen. Sie sind völlig untauglich, den strukturellen Zwängen, die von dieser Gesellschaft ausgehen, entgegenzuwirken. Und darauf kommt es an! Männer in der DDR haben sich in erheblich umfangreicherer Weise als in der Alt-BRD an der Familienarbeit beteiligt, nicht etwa weil sie von den Frauen dazu ermutigt wurden, sondern weil die Tatsache der Vollerwerbstätigkeit von Frauen sie dazu zwang. Frauen konnten die Übernahme von Reproduktionsarbeit durch die Männer einfordern, weil sie nicht mehr existentiell von ihren Partnern abhängig waren und weil die Tatsache, daß sie zu ca. 40 % zum Familieneinkommen beitrugen, ihnen dafür auch das nötige Selbstbewußtsein gab. Entscheidend ist demzufolge die Möglichkeit für Frauen, sich über die Erwerbstätigkeit eine eigenständige Existenz zu sichern. Es ist zu verhindern, daß Frauen nur wegen ihrer Gebärfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden, daß das Geschlecht über die Chance bestimmt, einen Erwerbsarbeitsplatz zu bekommen. Da helfen keine teuren Kampagnen, sondern nur klare Vorgaben an die öffentliche und private Wirtschaft. Die Quotierung ist eine der Voraussetzungen, damit Frauen entsprechend ihrem Leistungsvermögen, zu dem u. a. ein hohes Qualifikationsniveau und umfassende Berufserfahrungen gehören, erwerbstätig sein können. Die Verknüpfung von Frauenförderung und Wirtschaftsförderung ist eine weitere. Die Situation von Frauen ändert sich auch nicht dadurch, wie es die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage schreibt, daß Frauen verstärkt Beratungsmöglichkeiten angeboten werden. Ich möchte betonen: Frauen sind keinesfalls „in besonderer Weise auf Beratung angewiesen" . Sie sind dies weder in bezug auf die Frage, ob sie eine Schwangerschaft austragen wollen oder nicht, sie sind dies auch nicht in der Frage der Wahl ihrer individuellen Lebensperspektive. Es müssen endlich klare, überschaubare und für alle verständliche rechtliche Regelungen geschaffen werden, sowohl im Arbeitsrecht als auch bei den Sozialleistungen, im Familienrecht wie auch im Steuerrecht. Frauen brauchen nicht in erster Linie Beratung, sondern klar definierte Möglichkeiten und einklagbare Rechte. Nur ein Gleichberechtigungsgesetz, das diesem Anspruch gerecht wird, verdient diesen Namen auch. Alles andere ist einzuordnen unter dem Stichwort Gleichberechtigungsverhinderungspolitik. Cornelia Yzer, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Frauen und Jugend: Frauen in den neuen Bundesländern sind von den Folgen sozialistischer Mißwirtschaft in besonderer Weise betroffen. Nachdem ihnen in der staatlich gesteuerten Planwirtschaft keine gleichberechtigte Stellung im Erwerbsleben eingeräumt wurde, sehen sie sich heute in der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 14077* Übergangsphase zur sozialen Marktwirtschaft vielfach mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Nach dem neuesten „Arbeitsmarkt-Monitor" für die neuen Bundesländer ist die Arbeitslosenquote der Frauen mit 21 % mehr als doppelt so hoch wie bei Männern mit 9 %. Dabei spielen Bildungsabschluß und Alter eine entscheidende Rolle. So liegt die Arbeitslosenquote bei Frauen mit 8./9.-KlasseAbschluß bei 37 % (Männer: 13 %) und bei Frauen mit Abitur bzw. Hochschulabschluß bei 7 %. Interessant ist, daß bei Frauen mit hohem Bildungsabschluß die Arbeitslosenquote die der Männer (7 %) nicht übersteigt. Arbeitsmarktprobleme, die für die Frauen in den neuen Bundesländern eines der gravierendsten Probleme darstellen, dürfen nicht unter den Tisch gekehrt werden. Es ist aber kontraproduktiv, Frauen pauschal in die Ecke der Verliererinnen zu drängen, indem man ein so düsteres Bild zeichnet, wie es die PDS/Linke Liste hier tut. Damit wird Pessimismus gefördert, mit dem kein Vorankommen möglich ist. Die soziale Marktwirtschaft, die auf Eigeninitiative baut, hängt in ihrem Erfolg nun einmal auch von Stimmungen ab. Der Bericht der Bundesregierung zur „Frauenerwerbstätigkeit in den neuen Bundesländern" vom März 1993, weist eindrucksvoll nach, was Bund und Länder in ihren normalen und ihren Sonderprogrammen tun, um Frauen ihren berechtigten Anspruch, erwerbstätig sein zu können, zu erfüllen. Die Palette umfaßt nicht nur Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Vorruhestand und Qualifizierungsangebote, sondern erstreckt sich auch auf die Unterstützung für Existenzgründerinnen sowie auf besondere Hilfen für Frauen im ländlichen Raum und für ältere Frauen. Die Bundesregierung hat — wie auch in der Antwort auf diese Große Anfrage — wiederholt darauf hingewiesen, daß Erwerbstätigkeit für Frauen in den neuen Bundesländern nach wie vor einen hohen Stellenwert hat, und zwar unabhängig von materiellen Notwendigkeiten. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssen auf den verschiedenen Ebenen ihren Beitrag leisten, Chancengleichheit von Männern und Frauen im Erwerbsleben herzustellen. Nach wie vor übernimmt die Arbeitsmarktpolitik neben der Wirtschaftspolitik eine wichtige Aufgabe, Frauen beim Übergang in die Marktwirtschaft zu helfen. Sie trägt dazu bei, daß es für einen breiten Rückzug von Frauen mittleren und jüngeren Alters in die stille Reserve bisher zum Glück keine Anhaltspunkte gibt. Um zu verhindern, daß Frauen ins soziale Abseits geraten, ist eine gezielte Frauenförderung jetzt besonders wichtig. Für die Arbeitsmarktpolitik ist seit 1. Januar 1993 § 2 Nr. 5 des Arbeitsförderungsgesetzes Richtschnur. Darin wird verbindlich erklärt: „Frauen sollen entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen gefördert werden." Es ist auch gelungen, Frauen in die Förderung der arbeitsplatzunabhängigen Fortbildung und Umschulung in etwa anteilmäßig einzubeziehen. Bei den arbeitsplatzbezogenen Förderungen dagegen, wie z. B. ABM, Einarbeitungszuschüsse und Anpassungsfortbildungen, nach deren Teilnahme überdurchschnittliche Beschäftigungschancen bestehen, gibt es noch besonderen Förderungsbedarf für Frauen. Ich bin der Bundesanstalt für Arbeit dafür dankbar, daß sie sich mit ihrem umfassenden Runderlaß zur besseren Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt vom April 1993 verpflichtet, nach besten Kräften auf die vorgegebene Zielsetzung hinzuarbeiten. Letztlich entscheidet aber der einzelne Betrieb, das einzelne Unternehmen, welche Arbeitsplatzchancen Frauen tatsächlich haben. Unternehmen und Arbeitnehmervertretungen sind aufgefordert, das gesetzliche Gleichbehandlungsgebot strikt zu beachten. Frauen sind genauso motiviert und leistungsbereit wie Männer. Ihr Qualifikationsniveau ist in der Regel hoch und ihre Bereitschaft, sich weiterzuqualifizieren, ist groß. Mehr Beschäftigungschancen für Frauen bedeuten daher mehr Chancen für den wirtschaftlichen Aufbau. Mädchen und junge Frauen, die einen Ausbildungsplatz suchen, brauchen ebenfalls die Akzeptanz und die Unterstützung durch die Betriebe. Die Wirtschaft hat im Rahmen des Solidarpaktes eine mehrjährige Ausbildungsstellengarantie gegeben. Die Wirtschaft muß jetzt der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen für junge Frauen in den neuen Bundesländern ihre besondere Aufmerksamkeit widmen. Wir brauchen Ausbildungsplätze in zukunftsträchtigen Berufsfeldern, also insbesondere auch im Handwerk und Mittelstand. Dabei wird es eine besondere Herausforderung sein, gerade auch junge Frauen zur Mobilität zu ermuntern, um ansonsten brachliegende Ausbildungskapazitäten zu erschließen. Auch gilt es, Frauen zur Ausbildung in frauenuntypischen Berufen zu motivieren. Die Bundesregierung nimmt sich der Ausbildungsprobleme junger Menschen in Ostdeutschland an. Sie war ein Themenschwerpunkt bei der Wirtschaftskonferenz des Bundeskanzlers in dieser Woche. Über die akute Situation und mögliche weitergehende Lösungen wird das Kabinett in allernächster Zeit beraten. BMBW, BMWi, BMA und BMFJ sind mit der Vorbereitung spätestens bis zum 1. Juli 1993 beauftragt. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sind an der Vorbereitung beteiligt. Zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation von Frauen in den neuen Bundesländern ist das stärkere Zusammenwirken aller Verantwortlichen notwendig. Frau Bundesministerin Merkel hat deshalb für den 22. Juni 1993 einen Kreis von Spitzenvertretern und -vertreterinnen aus Politik, Wirtschaft und der Frauenverbandsarbeit eingeladen. Wir wollen mit dieser Konzertierten Aktion ein Signal setzen und die Verantwortlichen auf den verschiedenen Ebenen zur verstärkten Unterstützung der Arbeitsmarktinteressen von Frauen auffordern. Vorhandene Aktivitäten müssen gebündelt werden und mehr Schubkraft bekommen. Die Belange von Frauen müssen in allen arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Gremien auf den verschiedenen Ebenen und in den verschiedenen Regionen stärker thematisiert und berücksichtigt werden. Die Arbeitslosigkeit von Frauen kann nur dann effektiv bekämpft werden, wenn ein entsprechendes Pro- 14078* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 blembewußtsein und Bereitschaft zur aktiven Unterstützung von Frauen bei allen am Arbeitsmarkt Beteiligten und in der Öffentlichkeit vorhanden ist. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Antrag: Keine Versorgungsrenten für Mitglieder der Waffen-SS) Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was uns heute morgen beschäftigt hat, war die gespaltene deutsche Geschichte. Gegenstand der jetzigen Debatte ist gemeinsame Verantwortung für Opfer einer Unmenschlichkeit, die in unser aller Namen begangen worden ist. Die in Berlin und anderswo an die Häuserwände sprühen: „Deutschland, mir graut vor Dir" , die sind zu fragen, ob sie bereits verstanden haben, daß sie selbst sich in dieses Grauen einbeziehen und es auf sich selbst mitanwenden müssen. Denn auch in ihrem Namen ist in Lettland und anderswo gemordet und entwürdigt worden. Wer auch nur einen flüchtigen Blick in die vorliegenden Dokumentationen zu den Massenmorden an Juden in Lettland geworfen hat, der wird sofort verstehen, warum BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an ihrem Antrag festhalten, auch nachdem die Bundesregierung in der Fragestunde vom 15. April 1993 durch Staatssekretär Günther ihre abweichende Position dargetan hat. Es geht um Rechtsunklarheiten und Rechtswidersprüche, die angesichts ihres historischen Kontextes auf jeden Fall bereinigt werden müssen. Niemand in der internationalen Öffentlichkeit, am allerwenigsten aber die betroffenen Opfer können verstehen, warum sie in Polen und den GUS-Staaten anders als in der Tschechischen Republik behandelt, in den Baltischen Staaten aber bisher überhaupt nicht berücksichtigt werden. Als eine schwer erträgliche Provokation muß es demgegenüber wirken, wenn lettische Legionäre der Waffen-SS Entschädigungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz erhalten. Die Erklärung der Bundesregierung, solche Leistungen würden nur denen zuteil, die Kriegsschäden im Dienst unter dem Befehl der Wehrmacht erlitten hätten, kann den skandalösen Widerspruch in dieser Rechtspraxis keinesfalls rechtfertigen, ja, noch nicht einmal mildern. Die reichlich vorhanden Unterlagen dokumentieren ganz eindeutig, daß Letten nur dann in WaffenSS-Verbände aufgenommen wurden, wenn sie sich zuvor als Kollaborateure an den Massenmordaktionen der Deutschen beteiligt hatten. Es kann unter solchen Umständen den lettischen SS-Legionären gegenüber keineswegs von einer Unschuldsvermutung ausgegangen werden. Der abweichende Rechtsstandpunkt der Bundesregierung folgt der freilich fast ungebrochen herrschenden Lehre, durch die Unterstellung unter die Deutsche Wehrmacht habe sich die Waffen-SS in einen normalen Truppenteil einer nationalen Armee verwandelt. Das ist eine Fiktion, die nicht nur im lettischen Fall an der historischen Realität scheitert. Sie steht auch im Widerspruch zum internationalen Recht, das im Urteilsspruch des Nürnberger Tribunals die SS als verbrecherische Organisation eingestuft und damit die, die ihr angehörten, allesamt unter den Verdacht der Mitschuld an Verbrechen gegen die Menschlichkeit gestellt hat. Wie lange noch will der gleiche Staat, der DDR-Rentner, die weder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben noch Mitglieder einer verbrecherischen Organisation waren noch mit der Stasi kollaboriert haben, wegen sogenannter „Systemnähe" mit Rentenkürzungen bestrafen, gleichzeitig SS-Legionäre als normale Entschädigungsberechtige, die Opfer der gleichen Legionäre aber bestenfalls als Almosenempfänger behandeln oder gar gänzlich mißachten? Volker Kauder (CDU/CSU): Am 29. März 1993 berichtete das Nachrichtenmagazin Panorama, daß lettische SS-Veteranen für ihren Dienst in der WaffenSS eine Kriegsversehrtenrente erhielten. Damit wurde der Eindruck erweckt, als ob allein die Zugehörigkeit zur Waffen-SS zu einer Kriegsversehrtenrente führe. Dies ist aber falsch. Richtig ist vielmehr, daß nach dem Bundesversorgungsgesetz eine Kriegsbeschädigtenrente gewährt werden kann, wenn während eines militärischen Dienstes eine erhebliche gesundheitliche Schädigung eingetreten ist. Eine solche gesundheitliche Schädigung kann bei einem ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS nur dann in Betracht kommen, wenn sie im Kriegseinsatz und unter dem Befehl der Wehrmacht entstanden ist. All die im Zusammenhang mit dieser Fernsehsendung in der Öffentlichkeit geäußerten Vermutungen, daß auch Gesundheitsschäden bei Dienst in speziellen SS-Verbänden, beispielsweise den SS-Totenkopfverbänden, zu einem Bezug von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz führen könnten, sind deshalb abwegig. Die Diskussion um die Funktion der Waffen-SS kommt immer wieder auf. Wir, die Nachkriegsgeneration, sind auf Dokumente und Zeugnisse von Historikern angewiesen. Danach kann die Waffen-SS nicht pauschal verurteilt werden. Es gab schlimme Greueltaten vor allem der Spezialverbände. Die Waffen-SS war aber auch als kämpfende Einheit unter Führung der Wehrmacht tätig. Und wer während diesem Dienst eine bleibende gesundheitliche Schädigung erlitten hat, soll, so der Wille des damaligen Gesetzgebers, wie jeder andere Soldat entschädigt werden. Es kommt deshalb darauf an, den Einzelfall genau zu prüfen. Denn das Bundesversorgungsgesetz sieht vor, Leistungen dann zu entziehen oder nicht zu gewähren, wenn Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit vorliegen. Hier gibt es bereits eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und den das Bundesversorgungsgesetz ausführenden Ländern. Für die Beurteilung werden Auskünfte des Berlin-Document-Center und der Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Lud- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 14079* wigsburg eingeholt. Wir werden im Rahmen der Ausschußberatungen prüfen, ob dies ausreichend ist, oder ob, wie es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern, eine weitergehende gesetzliche Regelung erforderlich ist. Wir sind uns aber einig darin, daß Verstöße gegen die Menschlichkeit und die Teilnahme an Ermordung von Juden zum Ausschluß von Leistungen führen müssen. Wichtig ist auch noch ein Hinweis zur Größenordnung: Zur Zeit werden in 129 Fällen Kriegsopferrenten nach Lettland gezahlt. Etwa die Hälfte der Empfänger sind Witwen. Der Durchschnitt der Leistungen beträgt im Einzelfall etwa 200 DM. Die in der Fernsehsendung genannte Zahl von 12 000 möglichen Antragstellern ist falsch. Vermutlich waren etwa 35 000 Letten im Dienst der Waffen-SS. Nur ein Teil von ihnen hat Kriegsschädigungen erlitten. Ein erheblicher Teil ist bereits verstorben. Gerade bei diesem sensiblen Thema ist es wichtig, nicht zu spekulieren, sondern von Fakten auszugehen. Wir werden prüfen, ob wir für die Neuanträge schärfere Bewilligungsvoraussetzungen schaffen können. Richtig ist, daß die Frage der Entschädigung der Opfer noch nicht abschließend geklärt ist. Hier gibt es Gespräche mit der lettischen Regierung, weil hier Regierungsabkommen notwendig sind. Es gibt aber bemerkenswerte private Initiativen, bei denen ich mich ausdrücklich bedanke. Wir werden auch diesen Themenkomplex in unsere Beratungen einbeziehen. Günther Heyenn (SPD): Die Abgeordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen die Angehörigen der Waffen-SS, die zur Waffen-SS nicht zwangsrekrutiert worden sind, von Ansprüchen nach dem Bundesversorgungsgesetz ausschließen. Hintergrund für diese Initiative ist ein Beitrag in der Panoramasendung vom 29. März 1993 und zahlreiche darauf basierende Presseberichte. Übereinstimmend berichten die Medien, daß derzeit 129 lettische Staatsbürger als ehemalige Angehörige der Waffen-SS Renten nach dem Bundesversorgungsgesetz beziehen. Über die Bewertung der Waffen-SS sollte eigentlich Einigkeit herzustellen sein. Die Waffen-SS, gegen Kriegsende an die 600 000 Mann stark, war eine ideologisch eingeschworene und elitäre Formation des Führers und alles andere als nur zufällig in Kriegsverbrechen und in die NS-Vernichtungsmaschinerei eingebunden. Sie war entscheidend beteiligt, wenn es galt, Hunderttausende von Juden und Kommunisten zu liquidieren. Die Waffen-SS war für die Belieferung der KZs mit Zyklon-B verantwortlich. Zwischen ihr und dem Wachpersonal in den KZs konnte ohne Bedenken das Personal getauscht werden. Deshalb: Sie, die Angehörigen der Waffen-SS, als normale Soldaten zu bezeichnen, wie Konrad Adenauer dies im August 1953 erstmals getan hat, ist falsch und hat mit der historischen Wahrheit und der Verantwortung dieser Elitegruppe für Verbrechen nichts gemein. Gleichwohl: Genau dies, die Behandlung der Mitglieder der SS als normale Zugehörige zur Wehrmacht, das ist die Praxis seit mehr als 40 Jahren in der Bundesrepublik. Dies ist aus heutiger Sicht eine Absurdität und ein Beispiel dafür, wie wir im Westen mit unserer Geschichte umgegangen sind. Aber: Mit dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN läßt sich das nicht rückgängig machen. Dieser Antrag ist sympathisch, er ist aber auch unrealistisch und er vermengt Sozial- und Strafrecht. Was aber geboten ist, das ist, mit einem damit aufs engste verknüpften Sachverhalt Schluß zu machen. Es ist ein unerträglicher Zustand, daß zwar Angehörige der Waffen-SS Rentenansprüche geltend machen können, aber deutschsprachige Juden und Verfolgte des Nationalsozialismus, die nach dem Krieg die deutsche Staatsangehörigkeit erworben oder als Kontingentflüchtlinge Aufnahme in Deutschland gefunden haben, wenn sie deswegen einen Entschädigungsanspruch ihres Heimatlandes verloren haben, leer ausgehen. Auch wenn wir aus unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit heraus und unserem Verlangen, Strafrecht und Sozialrecht nicht miteinander zu verknüpfen, keine Möglichkeit sehen, dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser Form zuzustimmen, unterstützen wir gleichwohl und mit allem Nachdruck das ebenfalls damit verfolgte Anliegen, wenigstens die Verfolgten und Opfer des Naziregimes nicht schlechterzustellen, als wir es mit den Tätern und Nazischergen tun. Meine Fraktion hat dazu in der letzten Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung einen Antrag eingebracht, daß deutschsprachige Juden aus den ehemaligen Ostgebieten, für die es bereits eine entsprechende Regelung mit dem Rentenreformgesetz 1990 gibt, ebenso wie NS-Verfolgte, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben oder als Kontingentflüchtlinge aufgenommen wurden, Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz geltend machen können. Wenn es gelange, während des Beratungsverfahrens hierüber Einigkeit herzustellen, hätte sich die Initiative der Kollegen Ullmann und anderer bereits gelohnt. Die Beratung des Antrages wird auch Gelegenheit geben, die Behandlung von Ansprüchen staatsnaher Bürger im Dritten Reich und staatsnaher Bürger in der DDR nach 1949 bzw. nach dem 3. Oktober 1990 in Ruhe und Gelassenheit zu wägen und mögliche Konsequenzen zu überlegen. Wie wichtig das Nachdenken und wie notwendig das Aufarbeiten unserer Geschichte ist, haben die Ereignisse gezeigt, die Anlaß für die gestrige Regierungserklärung des Bundeskanzlers und der sich daran anschließenden Aussprache waren. Lassen Sie mich abschließend auf die Aberkennungsgründe hinweisen, die der Gesetzgeber bei der Regelung von Ansprüchen der Opfer des Faschismus und der Kämpfer gegen den Faschismus in der DDR gefunden hat. Dies wäre unter Umständen ein Weg im Bundesversorgungsgesetz, wenn auf den Nachweis der individuellen Schuld des einzelnen abgehoben wird. Darüber nachzudenken und alles gründlich zu prüfen, dazu bietet der Antrag von Bündnis 90 auf jeden Fall Anlaß. 14080* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 163. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Juni 1993 Wolfgang Lüder (F.D.P.): Es gibt immer wieder Informationen, die so unglaublich sind, daß sie zunächst nicht geglaubt werden. Die Meldung, die Bundesrepublik Deutschland, der freiheitliche Rechtsstaat, der in Abkehr vom NS-Regime zunächst in Westdeutschland gegründet, jetzt ganz Deutschland umfaßt, zahle Pensionen an die früheren Angehörigen der Waffen-SS in Lettland, zugleich aber lehne er jegliche Zahlungen an die Opfer des NS-Terrors in Lettland ab, war eine solche, nahezu unglaubliche Meldung. Was mir die Bundesregierung dann im April auf meine dazu eingereichten Anfragen sagte, brachte mir immer noch keine Klarheit. Entnehmen konnte ich daraus nur zweierlei: 1. Zwar erhält wohl nicht jeder Lette, der Angehöriger der Waffen-SS war, Kriegsbeschädigtenrente, wenn er in seinem Einsatz gegen die von Nazi-Deutschland überfallenen Schaden erlitten hat, manche aber wohl eben doch. 2. Daß aber lettische Opfer des NS-Unrechts nichts erhalten, ist sicher. Und hier liegt der Skandal, den der vorliegende Antrag in dankenswerter Weise aufgreift. Die Bundesrepublik Deutschland steht hier auf der falschen Seite. Ich habe zwar Verständnis dafür, daß die Bundesrepublik auch jenen lettischen Bürgern, die zwangsweise von NS-Deutschland rekrutiert wurden, um in den Verbänden der Waffen-SS Krieg gegen das eigene Volk und gegen andere überfallene Völker zu führen, Kriegsbeschädigtenrente zahlt, wenn sie Schaden erlitten haben. Ich werde aber den Verdacht nicht los, daß die Prüfung, die im Einzelfall dazu notwendig ist, die auch und insbesondere einbeziehen muß, ob der Angehörige der Waffen-SS selbst persönlich einer vorwerfbaren Tat schuldig gewesen ist, nicht mit der gebotenen Sorgfalt geführt wird. Wo bleibt denn z. B. dazu die generelle Überprüfung aller Anträge anhand des Document Centers in Berlin? Der Krieg, den das Nazi-Deutschland gegen die Völker der Welt führte, war Unrecht, war völkerrechtswidriges Verbrechen. Ihm freiwillig gedient zu haben darf keine Pensionszahlungen aus demokratischer Staatskasse rechtfertigen. Deswegen können freiwillig dienende Mitglieder der Waffen-SS schon gar nicht Anspruch erheben dürfen, bei uns Renten zu erhalten. Wieweit dies im einzelnen geschieht, wird Aufgabe der Prüfung bei der Antragsberatung in den Ausschüssen sein. Aber eines ist unerträglich: Daß die Bundesrepublik Deutschland den Opfern des NS-Terrors in Lettland die Fristeneinrede entgegen hält und sagt, „Wir geben euch nichts, weil wir heute nichts mehr geben", bedeutet einen so großen Verzicht auf moralische Kategorien politischen Handelns, daß die Bundesregierung hier dringend aufgefordert ist, wie sie es mit anderen Staaten in Mittel- und Osteuropa auch getan hat, nach Wegen zu suchen, um wenigstens ein Minimum an Opferentschädigung zu gewähren. Von diesen Grundsätzen werden sich die Freien Demokraten bei der Ausschußberatung leiten lassen. Was bisher geschah: Geld für die Täter, nicht für die Opfer, ist für uns nicht akzeptabel. Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Zu einem Zeitpunkt, wo durch rechtsextreme Gewalt die Erinnerungen an Verbrechen von Gestapo, des Sicherheitsdienstes und der SS für viele in bedrückender Art und Weise wieder wach werden, lebt die Zahlung von Kriegsbeschädigtenrenten für SS-Waffen-Leute in Lettland — und wo demnächst noch? — auf. Nicht gedacht wird an die Tausende ausländische Opfer des Holocaust und der Vernichtungslager. Leer gehen auch all die aus, die gelitten haben unter der Okkupation der deutschen Wehrmacht, und die Tausende, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt waren. Sie und ihre Familienangehörigen erhalten keinen Pfennig. In Entschädigungsleistungen sind nach wie vor nicht einbezogen im Nazideutschland verfolgte Homosexuelle, Roma und Sinti, Bibelforscher und Zwangssterilisierte. Aber Leute, die sich freiwillig zur Waffen-SS meldeten und freiwillig für das verbrecherische Hitler-Regime gekämpft haben, erhalten ohne Einschränkung eine Beschädigtenrente. Gerade heute, wo wir uns bekennen müssen für mehr Demokratie, bekennen müßten gegen Gewalt und Rassismus, gegen Neofaschismus, sind sachliche Positionen gefragt. Es kann nicht darum gehen, im Sozialrecht verankerte Leistungen zu kippen. Aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der Urteile der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse müssen zu einem Ausschlußgrund im Bundesversorgungsgesetz werden. In diesem Sinne unterstützen wir das Anliegen des vorliegenden Antrags.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rita Süssmuth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Abgeordnete Mischnick.


Rede von Wolfgang Mischnick
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege Heuer, ich habe erlebt, daß 1945/46 ehemalige HJ-Führer zusammengeholt wurden, ihnen klar gesagt wurde: Wenn ihr in der FDJ mitarbeitet, seid ihr willkommen, wenn nicht, dann folgt das Lager. Dies sagt etwas anderes aus.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rita Süssmuth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert Weisskirchen.