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    Plenarprotokoll 12/149 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 149. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Siegfried Vergin 12721 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 12721 A Nachträgliche Überweisung von Gesetzentwürfen an weitere Ausschüsse . . . 12721 B Begrüßung einer Delegation der bolivianisch-deutschen Freundschaftsgruppe im bolivianischen Parlament 12790 B Tagesordnungspunkt 6: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Der Solidarpakt als Grundlage für die Sicherung des Standortes Deutschland Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler BK . . . 12722A Hans-Ulrich Klose SPD 12730D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 12736B Hans-Ulrich Klose SPD . . . . . . 12738 B Peter W. Reuschenbach SPD 12739 A Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . . . . 12741 B Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 12744 C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12746C Michael Glos CDU/CSU 12748 D Wolfgang Thierse SPD 12751D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 12752B, 12763 C Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 12752 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . 12755D, 12769B Jan Oostergetelo SPD . . . . . . . . . 12756 A Heribert Scharrenbroich CDU/CSU . . , 12757 A Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 12757 C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 12759 C Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/ CSU 12760C Rudolf Dreßler SPD . . . . . . . . . . 12762 B Hans-Eberhard Urbaniak SPD 12763A, 12772B Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 12764 A Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste . . . 12766C Michael Glos CDU/CSU 12768 C Heribert Scharrenbroich CDU/CSU . . 12769 D Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin BMBau 12770 D Petra Bläss PDS/Linke Liste . . . . . . 12772 C Dr. Walter Hitschler F.D.P. . . . . . 12773 B Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU . . . . 12774 A Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 12775 C Ortwin Lowack fraktionslos . . . . . 12777 A Tagesordnungspunkt 4: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Übereinkommen vom 23. Oktober 1991 über Kambodscha (Drucksache 12/4469) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 9 vom 6. November 1990 sowie zu dem Protokoll Nr. 10 vom II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 149. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 25. März 1992 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Drucksache 12/ 4474) c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und der Spielverordnung (Drucksache 12/4488) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. April 1992 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Albanien über den zivilen Luftverkehr (Drucksache 12/4472) e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs (Mietwohnungssicherungsgesetz) (Drucksache 12/4396) f) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Sofortmaßnahmen zur Durchsetzung friedlicher Verhandlungslösungen im ehemaligen Jugoslawien (Drucksache 12/4192) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Rücknahme des Gesetzentwurfs über den Bau der „Südumfahrung Stendal" der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde durch die Bundesregierung (Drucksache 12/4480) h) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zu dem ersten Bericht über die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (Drucksache 12/4179) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 12/4616) 12778C Tagesordnungspunkt 5: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 23. Juli 1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (Drucksachen 12/4071, 12/4537) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Oktober 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 12/4072, 12/4598, 12/ 4599) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Reichsheimstättengesetzes (Drucksachen 12/3977, 12/4565) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Jugendarbeitsschutz (Drucksachen 12/2867 Nr. 2.17, 12/3721) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zur Nachtarbeit und zur Aufkündigung des Übereinkommens 89 der Internationalen Arbeitsorganisation (Drucksachen 12/2538, 12/4380) f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1993 bei Kapitel 10 04 Titel 683 21 — Erstattungen bei der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet — (Drucksachen 12/4142, 12/4476) g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 94 zu Petitionen (Drucksache 12/4531) h) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Drucksache 12/4554) in Verbindung mit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 149. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 III Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 95 zu Petitionen (Drucksache 12/4625) 12779B Tagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Adolf Ostertag, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ablösung des Arbeitsförderungsgesetzes durch ein Arbeits- und Strukturförderungsgesetz (Drucksache 12/4294) Ottmar Schreiner SPD 12781A Julius Louven CDU/CSU 12783 B Gerda Hasselfeldt CDU/CSU 12784 B Dr. Gisela Babel F.D.P. 12786D Petra Bläss PDS/Linke Liste 12790B Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 12792A Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 12793B, 12799B, 12803 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 12793 C Günther Heyenn SPD 12793 D Adolf Ostertag SPD 12795 C Dr. Alexander Warrikoff CDU/CSU . . 12798B, 12802 B Barbara Weiler SPD 12.798D, 12804 D Renate Jäger SPD 12800 C Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 12802 A Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . . 12802 D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 12805 C Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Tarife im Güterverkehr (Tarifaufhebungsgesetz) (Drucksachen 12/3701, 12/4231, 12/4595, 12/4596) Helmut Rode (Wietzen) CDU/CSU . . . 12806 D Dr. Rolf Niese SPD 12809 C Horst Friedrich F D P 12811D Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMV 12813B Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu ihrem unter Verschluß gehaltenen Gutachten zum Ausbau von Saale- und Elbe-Staustufen Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12814 C Clemens Schwalbe CDU/CSU . . . . . 12815 B Dietmar Schütz SPD 12816 B Dr. Sigrid Hoth F D P 12817 A Renate Blank CDU/CSU 12818B Susanne Kastner SPD 12819A Dr. Klaus Röhl F.D.P. 12820A Rudolf Meinl CDU/CSU 12821A Reinhard Weis (Stendal) SPD 12821 C Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMV 12822 C Heinz-Günter Bargfrede CDU/CSU . . 12823D Dr. Margrit Wetzel SPD 12824 D Dr. Harald Kahl CDU/CSU 12825 D Tagesordnungspunkt 9: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Hanna Wolf, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Lage der Frauen- und Mädchenhäuser und gesetzgeberischer Handlungsbedarf (Drucksachen 12/2243, 12/3909) Dr. Edith Niehuis SPD . . . . . . . . . 12826 D Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . . . 12828D Dr. Sigrid Semper F D P 12829 D Petra Bläss PDS/Linke Liste 12830D Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12831C Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 12832B Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Petra Bläss und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Perspektiven für Frauen im ländlichen Raum in den neuen Bundesländern (Drucksachen 12/2360, 12/3910) Petra Bläss PDS/Linke Liste 12833 C Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . 12835 A Angelika Barbe SPD . . . . . . . . . 12835 D Lisa Peters F.D.P. 12838A Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12839 C Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 12840 C Tagesordnungspunkt 11: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Übereinkommens über die Rechte des Kindes für die Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 12/4168) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Albowitz, Dr. Gisela Babel, Angelika Barbe und weiterer Abgeordneter: Kinderbericht der Bundesregierung (Drucksache 12/4388) Dr. Sissy Geiger (Darmstadt) CDU/CSU . 12841 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . 12843 A Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. . 12845A, 12854 B IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 149. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 12846 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12847 C Klaus Riegert CDU/CSU 12848 C Gudrun Weyel SPD 12849D Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. . . . . 12850A Margot von Renesse SPD . . . 12850B, 12854 B Klaus Riegert CDU/CSU 12850 C Susanne Rahardt-Vahldieck CDU/CSU 12852B Margot von Renesse SPD . . . 12.852C, 12855 C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 12853A Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ . 12854 C Herbert Werner (Ulm) CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . 12856 A Tagesordnungspunkt 12: a) Erste Beratung des von der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes (Drucksache 12/4297) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Vera Wollenberger, Dr. Klaus-Dieter Feige, Ingrid Köppe, weiteren Abgeordneten und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsrechts (Drucksache 12/ 4348) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes (Drucksache 12/4611) 12857B Nächste Sitzung 12857 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 12858* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 (Gesetzentwürfe zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes) Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . . 12858* D Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12860* B Gertrud Dempwolf CDU/CSU 12861* D Ulrike Mascher SPD 12862* C Hans A. Engelhard F D P. 12863* A Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 12863* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 149. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 12721 149. Sitzung Bonn, den 25. März 1993 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Altherr, Walter CDU/CSU 25.3.93 Antretter, Robert SPD 25.3.93* Augustin, Anneliese CDU/CSU 25.3.93 Bartsch, Holger SPD 25.3.93 Berger, Hans SPD 25.3.93 Bindig, Rudolf SPD 25.3.93* Dr. Blank, CDU/CSU 25.3.93 Joseph-Theodor Blunck (Uetersen), SPD 25.3.93* Lieselott Böhm (Melsungen), CDU/CSU 25.3.93* Wilfried Büchler (Hof), Hans SPD 25.3.93* Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 25.3.93 Doss, Hansjörgen CDU/CSU 25.3.93 Eylmann, Horst CDU/CSU 25.3.93 Dr. Feige, Klaus-Dieter BÜNDNIS 25.3.93 90/DIE GRÜNEN Dr. Feldmann, Olaf F.D.P. 25.3.93* Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 25.3.93 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 25.3.93* Gattermann, Hans H. F.D.P. 25.3.93 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 25.3.93 Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 25.3.93 Gerster (Mainz), CDU/CSU 25.3.93 Johannes Dr. Gysi, Gregor PDS/Linke 25.3.93 Liste Haack (Extertal), SPD 25.3.93 Karl-Hermann Hasenfratz, Klaus SPD 25.3.93 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 25.3.93 Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 25.3.93 Hollerith, Josef CDU/CSU 25.3.93 Dr. Holtz, Uwe SPD 25.3.93* Ibrügger, Lothar SPD 25.3.93** Jelpke, Ulla PDS/Linke 25.3.93 Liste Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 25.3.93 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 25.3.93* Kirschner, Klaus SPD 25.3.93 Kittelmann, Peter CDU/CSU 25.3.93* Klemmer, Siegrun SPD 25.3.93 Köppe, Ingrid BÜNDNIS 25.3.93 90/DIE GRÜNEN Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 25.3.93 Karl-Hans Lenzer, Christian CDU/CSU 25.3.93* Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 25.3.93 Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 25.3.93 Lummer, Heinrich CDU/CSU 25.3.93* Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 25.3.93* Erich Marten, Günter CDU/CSU 25.3.93* Dr. Matterne, Dietmar SPD 25.3.93 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Meyer zu Bentrup, CDU/CSU 25.3.93* Reinhard Dr. Modrow, Hans PDS/Linke 25.3.93 Liste Dr. Müller, Günther CDU/CSU 25.3.93* Neumann (Gotha), SPD 25.3.93* Gerhard Oesinghaus, Günther SPD 25.3.93 Opel, Manfred SPD 25.3.93 Dr. Otto, Helga SPD 25.3.93 Paintner, Johann F.D.P. 25.3.93 Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 25.3.93 Pfuhl, Albert SPD 25.3.93 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 25.3.93* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 25.3.93* Reimann, Manfred SPD 25.3.93* Rempe, Walter SPD 25.3.93 Richter (Bremerhaven), F.D.P. 25.3.93 Manfred Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 25.3.93 Ingrid Dr. Scheer, Hermann SPD 25.3.93* Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 25.3.93 Schulte (Hameln), SPD 25.3.93* Brigitte Dr. Solms, Hermann Otto F.D.P. 25.3.93 Dr. Sperling, Dietrich SPD 25.3.93 Dr. Sprung, Rudolf CDU/CSU 25.3.93* Steiner, Heinz-Alfred SPD 25.3.93* Stübgen, Michael CDU/CSU 25.3.93 Dr. von Teichman, F.D.P. 25.3.93* Cornelia Tietjen, Günther SPD 25.3.93 Tillmann, Ferdi CDU/CSU 25.3.93 Vogel (Ennepetal), CDU/CSU 25.3.93* Friedrich Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 25.3.93 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 25.3.93 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 25.3.93 Dr. Wieczorek CDU/CSU 25.3.93 (Auerbach), Bertram Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 25.3.93 Würfel, Uta F.D.P. 25.3.93 Zierer, Benno CDU/CSU 25.3.93* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 (Gesetzentwürfe zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes) Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Dieser Bundestag hat ja bereits mehrmals bewiesen, daß er durchaus in der Lage ist, Gesetze schnell durchzupeitschen. In Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 149. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 12859' der Regel ist das der Fall, wenn die Regierungskoalition mißliebige Debatten abbrechen oder einfach vermeiden will. In einem Fall hätte ich mir allerdings gewünscht, daß wirklich etwas über Nacht — und zwar schon vor 1991 — durchgepeitscht worden wäre, nämlich die Änderung des Opferentschädigungsgesetzes mit dem Ziel, auch Menschen mit einer anderen als der deutschen Staatsangehörigkeit in die Ansprüche auf Versorgungsleistungen einzubeziehen. Durch den Gesetzentwurf der PDS/Linke Liste und den wenige Tage später eingereichten Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird diese erste Lesung überhaupt erst herbeigeführt — und das, nachdem über zwei Jahre eine Welle der Gewalt gegen ausländische Mitbürger und Mitbürgerinnen durch dieses Land tobt, die viele von ihnen zu Opfern gemacht hat, die aber von der bisherigen Regelung im OEG ausgeschlossen bleiben. Und obwohl gerade die großen Parteien unisono gerne ihre Bemühungen gegen Ausländerfeindlichkeit ins Rampenlicht zu bringen versuchen, reichte es lange Zeit zu nicht mehr als Worten. Die SPD hat jetzt endlich noch auf die Schnelle einen Entwurf nachgereicht. Und die Bundesregierung hat erst einmal nur einen Kabinettsentwurf beschlossen, der hier aber noch nicht einmal in erster Lesung mitberaten wird. Dies bedeutet wohl, daß die Opfer rassistischer Übergriffe noch länger werden warten müssen, um ihre Entschädigungsansprüche geltend machen zu können. Zu den Gesetzesentwürfen: Unser Entwurf sieht vor, die diskriminierende Regelung in § 1 Abs. 4 OEG zu streichen. Die Regelung war schon vor dieser Welle der Gewalt gegen Ausländer diskriminierend. Die Diskriminierung ist in der Öffentlichkeit erst jetzt deutlich geworden, nachdem die meisten der Opfer rassistischer Übergriffe gerade von einer Entschädigung nach dem OEG ausgeschlossen bleiben, nämlich Flüchtlinge und andere Ausländer, die aus Ländern kommen, die sich Gegenseitigkeitsabkommen angesichts ihrer wirtschaftlichen Lage gar nicht leisten können. Abgesehen davon stünde diesem Land eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber allen Menschen anderer Nationalität gut an. Hünxe ist nur ein Beispiel: Fast allen Flüchtlingen wird durch die bisherige gesetzliche Regelung die Unterstützung und Hilfeleistung entzogen, wenn ihnen durch Brandanschläge auch noch ihr letztes Hab und Gut genommen wird. Der Staat handelt bislang nach dem Motto: Ihr lebt hier auf euer eigenes Risiko. Ich bin sicher, daß es im Rahmen der Ausschußberatungen zwischen den Entwürfen von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und unserem Entwurf eine Übereinstimmung geben wird, zumal ich die im BÜNDNIS90-Antrag vorgeschlagene Änderung des Bundessozialhilfegesetzes nur nachhaltig unterstützen kann. Der Entwurf der SPD ist hingegen sichtbar schnell zusammengezimmert worden. Wenn das die knallharte Oppositionspolitik sein soll, die der Kollege Struck angekündigt hat, dann kann ich nur lachen: Sie sind hier von der Bundesregierung in einigen Punkten positiv überholt worden. Abgesehen davon, daß ich es — freundlich formuliert — seltsam finde, daß in Ihrem Entwurf eine Rückwirkung bis zum 1. Juli 1992 enthalten ist, während die Bundesregierung sich immerhin dazu durchgerungen hat, eine Rückwirkung bis zum 1. Januar 1991 zuzulassen, abgesehen davon ist einfach nicht erklärlich, warum Sie erneut bestimmte Gruppen von Menschen aus den Entschädigungsregelungen ausnehmen wollen. Ich bin der Meinung, daß ein erforderliches Grundprinzip nicht verstanden und beachtet wird, wenn in Fällen von fremdenfeindlichen Übergriffen, zu deren gesellschaftlichen Klima und Umfeld maßgeblich die Diskussion um das Asylrecht — inszeniert in Bonn — beigetragen hat, auch nur irgendein Mensch einer anderen Nationalität von Versorgungsleistungen ausgeschlossen bleibt. Warum sollen Touristen, die hier von Neonazis angegriffen werden, nicht Ansprüche geltend machen können? Sie, die hier allenthalben um das Bild Deutschlands in der Welt bangen, hätten allen Anlaß dazu, nicht wieder zu selektieren, sondern eine Regelung vorzuschlagen, die allen Opfern solcher Übergriffe eine Entschädigung ermöglicht. Ich will noch einmal Motivsuche betreiben, warum es so endlos lang dauert, bis hier eine zum Himmel schreiende Diskriminierung von Menschen anderer Nationalität abgeschafft wird. Und ich will dazu an eine Debatte erinnern, in der wir per Antrag die Einrichtung einer Stiftung für Opfer fremdenfeindlicher Übergriffe forderten. Herr Göttsching von der CDU/CSU hat damals ausgeführt, daß es nicht dazu kommen dürfe, durch eine „Art Sondergesetzgebung für Ausländer diese gegenüber anderen Bürgern unseres Landes (zu) privilegieren". Ich denke, hier finden wir ein Beispiel dafür, welche Geisteshaltung bislang jedenfalls in der Regierungskoalition eine Entschädigung der Opfer von fremdenfeindlichen Übergriffen verhinderte. Es ist schon ein starkes Stück gewesen, von der Sondergesetzgebung für Ausländer zu reden, wenn es nicht nur erstmals um eine Gleichbehandlung ausländischer Mitbürgerinnen geht, sondern wenn allgemein bekannt ist, daß die bundesdeutschen Normen zahlreiche Sondergesetze gegen Ausländer enthalten. Die schreckliche Bilanz des Terrors der letzten Jahre ist bekannt. Und bekannt ist auch — zumindest in den Menschenrechtsorganisationen, aber auch bei Organisationen wie dem Weißen Ring, daß ein beträchtlicher Teil der Opfer dieses Terrors durch die bestehende Gesetzgebung in der BRD benachteiligt sind. Der Weiße Ring mußte diesen Umstand in aller Deutlichkeit wiederholt feststellen, zuletzt in Erklärungen im Jahre 1992. Die bloße Einklagung und Forderung nach gesetzlicher Gleichbehandlung für ausländische Opfer wurde aber in der damaligen Debatte als „Sondergesetze für Ausländer" diskreditiert. Nein, Tatsache ist, daß es nach wie vor benachteiligende Sondergesetze gegen AusländerInnen in die- 12860 * Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 149. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 sem Land gibt. Und streng genommen ist dies ja auch der CDU/CSU bekannt. Das eigentliche Motiv für die Verhinderung von Gesetzen im Sinne der Gleichbehandlung für die Opfer ausländerfeindlicher Übergriffe und begleitender Maßnahmen wie die Einrichtung einer Stiftung wurde in derselben Debatte vom deutschen Kollegen Göttsching mit dankenswerter Offenheit vorgetragen: „Welches Signal setzen wir eigentlich für das Ausland, wenn wir eine solche Stiftung in der Bundesrepublik Deutschland installieren?" Das Protokoll vermerkt: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU). Und Herr Göttsching führt den Kern seines Gedankens aus: „Wir schaffen praktisch eine Instanz, die jedem vor Augen führen würde, daß Deutschland nicht einmal mehr in der Lage ist, Ausländer vor systematischen — ich betone systematischen — Übergriffen zu schützen. Das kann nicht Sinn unserer Gesetzgebung sein." Über 5 000 ausländerfeindlich motivierte Straftaten allem im Jahr 1992 zeigen, daß es eine Tatsache ist, daß dieser Staat Immigrant Innen und Flüchtlinge in der Tat nicht vor systematischen Übergriffen schützen kann, und — sieht man sich beispielsweise die Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen an — will. Natürlich muß in allererster Linie dies erreicht werden: Rassistische Übergriffe und jede Form von Diskriminierung ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger müssen verhindert werden. Und aber es muß selbstverständlich eine Entschädigung der Opfer von Übergriffen ermöglicht werden, die sowieso nie ausreichen wird, wiedergutzumachen, was ihnen angetan wurde. Wir fordern, die Gesetzentwürfe in der nächsten Sitzungswoche in den Ausschüssen zu beraten und noch Ende April zu einer Beschlußfassung in diesem Haus zu kommen. Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Leistungen auf Grund des deutschen Opferentschädigungsgesetzes erhalten zur Zeit grundsätzlich nur Deutsche sowie seit 1990 auch Bürgerinnen und Bürger aus EG-Staaten, nachdem der europäische Gerichtshof deren Einbeziehung gefordert hatte. Wenn sonstige Ausländer in Deutschland Opfer einer Gewalttat werden, können sie derartige Entschädigungsleistungen nur dann beanspruchen, wenn festgestellt ist, daß in ihrem Herkunftsland Deutschen unter gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfang entsprechende Ausgleichszahlungen zustehen. Diese sogenannte Gegenseitigkeit besteht heute nur hinsichtlich einer Handvoll Staaten: Finnland, Norwegen, Schweden, der kanadischen Provinzen Ontario und British Columbia sowie der US-amerikanischen Bundesstaaten Maryland und Ohio. Den fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten der letzten Wochen und Monate ist jedoch meines Wissens nach kein einziger Bürger aus den genannten Staaten zum Opfer gefallen, sondern eine Vielzahl von Menschen vorwiegend aus asiatischen oder afrikanischen Ländern, die schon an ihrer Hautfarbe als Ausländer erkennbar waren. Welche nicht hinnehmbaren Folgen dies für die Opferentschädigung hat, möchte ich an einigen Beispielen verdeutlichen: Keine Leistungen erhalten hiernach etwa die Hinterbliebenen — des Kurden Yusufoglu, der im Dezember 1990 in Hachenberg von Skinheads erstochen wurde; — des Afghanen, der im Februar 1991 nach dem Überfall auf seine Flüchtlingsunterkunft in Leisnig in Sachsen starb; — des Moçambikaners Gomondai, der im März 1991 in Dresden von Skinheads totgeschlagen wurde; — des Angolaners Agostinho, der im Juni 1991 in Friedrichshafen von einem DVU-Ordner erstochen wurde; — des Ghanaers Yeboah, der im Sepember 1991 nach einem Brandanschlag in Saarlouis starb; — des im Juli 1992 bei Stuttgart von vermummten Neofaschisten totgeschlagenen Jugoslawen Berisha. Keinerlei Ansprüche nach dem OEG haben auch — die Kinder des im Januar 1992 in Lampertsheim verbrannten Elternpaars aus Sri Lanka; -- die Frau des im März 1992 nahe Rostock von Neonazis erschlagenen Rumänen Christinel; — die Vietnamesin Van Thu, vor deren Augen ein Neonazi im April 1992 in Berlin-Marzahn ihren Ehemann erstach; — die Ehefrau und das kleine Kind des Angolaners Amadeu, der im November 1990 in Eberswalde erschlagen wurde. Den beiden libanesischen Kindern, die im Oktober 1991 bei einem Brandanschlag in Hünxe lebensgefährliche Verletzungen erlitten, versagte kürzlich das Landesversorgungsamt NRW die Heilbehandlungskosten, weil mit dem Libanon keine Gegenseitigkeit bestehe. Der Türke Arslan, dessen Ehefrau, Nichte und Enkelin im November vergangenen Jahres durch einen Brandanschlag in Mölln getötet wurden, erhielt zwar unmittelbar nach der Trauerfeier reichlich Gratis-Prügel von der Hamburger Polizei, jedoch keinen Anspruch etwa auf eine Hinterbliebenen-Rente. Ohne diese Aufzählung hier weiter fortsetzen zu müssen, sollte daran bereits eines deutlich geworden sein: Menschen, die hier bevorzugt Opfer fremdenfeindlicher Gewalt wurden und täglich werden, kommen gerade aus solchen Ländern, deren politische oder wirtschaftliche Verhältnisse Anlaß zur Flucht nach Deutschland gaben und in denen folglich auch die Entschädigungs-Voraussetzung der „Gegenseitigkeit" nicht erfüllt werden wird. Daher ist die geltende Fassung des Opferentschädigungsgesetzes unzureichend und muß dringend abgeändert werden. Besonders im Ausland ist der Vorwurf erhoben worden, hierzulande gediehen Neonazismus, Antisemitismus sowie Asylantenhetze, und die Polizei schaue derlei wie in Rostock tatenlos oder gar billigend zu. Wenn den Opfern solcher Gewalt nun weiterhin Entschädigungen versagt werden, wie sie jedem Deutschen zustehen, wird es Herr Kinkel künf- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 149. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 12861* tig — zum Beispiel bei dem anstehenden Besuch in Vietnam — noch schwerer haben, dem Eindruck der Ausländer-Diskriminierung allein mit beschwichtigenden Worten entgegenzutreten. Und um auch dies noch deutlich zu sagen: Aktionismus im repressiven Bereich wie die beantragten Parteiverbote und Grundrechtsverwirkungen können eine Haltung gegenüber den Opfern nicht wettmachen, die als Hartherzigkeit empfunden werden muß! Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf sieht daher vor, allen ausländischen Opfern von Gewalttaten grundsätzlich einen Anspruch auf Entschädigung zu gewähren und außerdem — insofern über den entsprechenden Antrag der PDS hinausgehend — für die Verwaltungspraxis klarzustellen, daß derartige Leistungen nicht z. B. von der Sozialhilfe gleich wieder abgezogen werden dürfen. Auch die SPD hat sich vorgestern kurz vor der heutigen Beratung noch eine Vorlage abgerungen. Hiernach sollen solche Ausländer weiterhin keine Entschädigung erhalten, die „ihren rechtmäßigen Wohnsitz" nicht in Deutschland, sondern — der Entwurfsbegründung zufolge — „ihren ständigen Wohnsitz im Ausland haben." Wenn ich das lese, muß ich die Verfasser fragen: Ist diese Wendung nur der Hast bei der Formulierung geschuldet, oder ist diese Übereinstimmung mit der neuen Linie der SPD gegenüber Asylbewerbern wirklich gewollt? Ihnen kann doch eigentlich nicht entgangen sein, meine Damen und Herren Sozialdemokraten, daß der Begriff des ständigen oder berechtigten Wohnsitzes gemeinhin davon abhängig gemacht wird, wo jemand den „Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse" hat. Diesen Lebensmittelpunkt sieht die Praxis der Ausländerbehörden bei Asylbewerbern — gleich in welchem Stadium des Verfahrens — jedoch in deren Herkunftsland mit der Folge, daß ein Anspruch nach dem OEG entfiele. Ich muß diesen Entwurf daher als eine gewollte Fehlleistung ansehen! Und die Bundesregierung? Obwohl die Justiz- und Sozialminister sowie Ausländerbeauftragten eine baldige Novellierung des OEG angemahnt haben, erklärte die Regierung vor genau vier Wochen in diesem Hause klipp und klar, sie sähe keinerlei Anlaß zu Veränderungen. Unmittelbar vor der heutigen Debatte hat das Kabinett nun doch noch einen eigenen Entwurf verabschiedet. Wir freuen uns ehrlich, Herr Blüm, daß es dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der PDS mit ihren Initiativen offenbar gelungen ist, die Regierung umzustimmen. Was den Inhalt ihrer Vorlage angeht, begrüßen wir zunächst die geplante Rückwirkung auf Schäden seit dem 1. Januar 1991. Die vorgesehene Kapitalisierung von Ansprüchen, falls der Berechtigte Deutschland verläßt, halten wir grundsätzlich für ebenso bedenkenswert wie eine mögliche Differenzierung der Leistungspalette je nach Aufenthaltsdauer. Nicht einverstanden sein können wir aber mit der Absicht, als Voraussetzung jeglicher Ansprüche (von Familienbesuchern und Härtefall-Ermessen abgesehen) einen rechtmäßigen Mindestaufenthalt in Deutschland von sechs Monaten oder eine humanitär begründete Duldung festzuschreiben. Wenn man daneben die derzeit beratenen Asylbegleitgesetze und die dort vorgesehenen drastischen Verfahrensabkürzungen z. T. auf sechs Wochen berücksichtigt, bedeutet diese Voraussetzung doch, daß sehr viele Asylbewerber keinerlei Entschädigungsansprüche hätten, wenn Sie hier Opfer einer Gewalttat werden. Stellen Sie sich doch einmal einen Skinhaed-Überfall auf eine Sammelunterkunft und die anschließende Resonanz im In- und Ausland vor! Danach werden Sie, Herr Blüm, doch die Versagung von Opferentschädigung nicht ernsthaft damit begründen wollen, die Opfer seien aus einem sicheren Drittstaat gekommen. Ebensowenig mag ich an einen Brandanschlag auf eine Rumänen-Unterkunft in Berlin oder anderswo denken: Soll den Opfern da vorgehalten werden, das Warten auf ihre Zurückschiebung sei entschädigungsrechtlich etwas anderes als eine humanitäre Duldung? Derlei Ungereimtheiten werden auch der Offentlichkeit nicht zu vermitteln sein. Und auch die Ausschlußgründe in diesem Regierungsentwurf sind nicht akzeptabel. Denn hiernach könnte z. B. Herr Arslan nach dem Möllner Brandanschlag auf seine Familie nun Entschädigung versagt werden mit dem Hinweis auf Medienberichte über seine angeblichen kriminellen Kontakte. Oder soll einem politisch aktiven Ausländer, der von Neonazis verletzt wird, wirklich entgegengehalten werden können, andere Mitglieder seiner Organisation hätten in ihrem Heimatland schon mal Gewalt angewendet? Das geht zu weit. Über all diese Fragen werden wir uns im Ausschuß noch gründlich auseinanderzusetzen haben; dabei muß die Novellierung trotzdem so rasch wie möglich zugunsten der Opfer wirksam werden. Gertrud Dempwolf (CDU/CSU): Zur Beratung liegen uns zunächst einmal zwei Gesetzentwürfe der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS/ Linke Liste vor, die sich nur in Nuancen unterscheiden und die einzig und allein durch ihre Schlichtheit bestechen. Wenn ich von Schlichtheit spreche, dann meine ich das zunächst einmal rechtstechnisch. Rechtstechnisch ist es ja immer am einfachsten, eine einschränkende Regelung zu streichen. Doch was sind die Folgen? Aber auch deshalb sage ich „Schlichtheit", weil sich offenbar keine der Initiatoren dieser einfachen Regelung über deren Inhalt und Folgen im klaren zu sein scheint. Was würden wir wirklich regeln, wenn wir einem der hier vorliegenden Gesetzentwürfe zustimmen würden? Meine Damen und Herren, wir würden, wenn es danach ginge, jedem durchreisenden Touristen, wenn er bei uns Opfer einer Gewalttat wird, Leistungen in die fernsten Winkel der Welt zahlen, ohne auch nur mit einiger Sicherheit prüfen zu können, ob überhaupt noch gesundheitliche Folgen der Schädigung bestehen oder ob der Geschädigte überhaupt noch lebt. Wir müßten Leistungen in einer Höhe exportieren, die — wie bereits der Vertreter der Bundesregierung gesagt hat — den Geschädigten nicht nur in Ländern der sogenannten Dritten Welt weit über das Einkom- 12862 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 149. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 mensniveau seines sozialen Umfelds herausheben würde. Abgesehen davon, daß ich erhebliche Zweifel habe, daß sich die Bundesrepublik so etwas angesichts der derzeitigen Haushaltssituation leisten sollte, kann ich Ihnen versichern: Eine derart schlichte „große Lösung" werden die Unionsparteien nicht mittragen können. Im übrigen: Der Export von Sozialleistungen ist ein brisantes Thema. Wir sollten uns sorgfältig vor einer Regelung hüten, die zum Dammbruch führen könnte mit unabsehbaren finanziellen Folgen für andere Sozialleistungsbereiche. Das Problem des Leistungsexports löst auch der kurzfristig nachgereichte Gesetzentwurf der SPDFraktion nicht, auch wenn hier der Personenkreis durchaus enger gefaßt wird. Wenn ich zunächst plakativ die negativen Seiten der vorliegenden Gesetzentwürfe aufgezeigt habe, dann geht dies nicht gegen das Grundanliegen der Entwürfe. Die tragischen Fälle von Hilnxe und Mölln in einer Kette von Gewalttaten und Ausschreitungen gegen Ausländer haben uns Politikern auf drastische Art und Weise gezeigt, daß wir handeln müssen, daß wir nicht nur Reden halten dürfen. Wir müssen um mehr Verständnis werben für unsere ausländischen Mitbürger, die wir zum Teil als Arbeitskräfte ins Land geholt haben und die hier oft seit Jahren leben und arbeiten und deren Kinder hier geboren sind. Wir müssen auch Verständnis wecken für diejenigen, die hier bei uns Schutz suchen vor Verfolgung in ihrer Heimat. Wir haben die Verpflichtung, auch diese Mitmenschen vor Ausschreitungen und Gewalttaten zu schützen. Deshalb müssen wir auch den Opfern eine angemessene Entschädigung zukommen lassen. Was unter angemessen zu verstehen ist, darüber läßt sich sicher streiten. Nicht angemessen ist jedoch das, was die vorgelegten Gesetzentwürfe bewirken würden, weil sie weder tatsächlich das Ausmaß der Integration noch rechtlich den Aufenthaltsstatus berücksichtigen und weil sie den ungebremsten Leistungsexport bedeuten würden. Was wir brauchen, ist eine ausgewogene Regelung, die die vorgenannten Kriterien berücksichtigt, die darüber hinaus über jeden Zweifel deutlich macht, daß nicht jeder Illegale in den Schutz des Opferentschädigungsgesetzes einbezogen wird und daß wir nicht die Opfer gewalttätiger Auseinandersetzungen versorgen müssen, die ausländische Organisationen, kriminelle oder politische, in Deutschland gegeneinander veranstalten. Die vorliegenden Gesetzentwürfe erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Der gestern im Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf zur Änderung des OEG bietet für meine Fraktion eine vernünftige und notwendige Lösung an. Noch einen wichtigen Punkt möchte ich ansprechen: Es geht um Deutsche, die im Ausland Opfer von Gewalttaten geworden sind und die von dort meist keine oder nur unzureichende Entschädigungsleistungen erhalten. Auch darüber sollten wir hier einmal ernsthaft nachdenken. Ich weiß, daß eine Lösung aus rechtssystematischen Gründen im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes nicht möglich ist. Dennoch, wir sollten diese Gelegenheit nutzen, die Bundesregierung mit Nachdruck aufzufordern, auch hier unverzüglich etwas zu tun. Ich denke dabei nicht etwa daran, daß wir jetzt diejenigen versorgen sollten, die sich in ihrem Urlaub auf gefährliche Abenteuerreisen begeben oder sich gar in den Krisengebieten dieser Welt die Kugeln um die Ohren pfeifen lassen; aber was ist mit dem normalen Touristen, der völlig schuldlos im Ausland zum Gewaltopfer wird? Zurück in der Heimat, bleibt ihm oft nur der Weg zum Sozialamt. Und besonders ärgerlich für den Betroffenen wird es dann, wenn ihm eine — durchaus mäßige — Entschädigungsleistung aus dem Ausland, die ihrem ganzen Charakter nach nur eine Art Schmerzensgeld oder eine Pauschalabfindung für schädigungsbedingte Mehraufwendungen sein kann, auf die Leistungen der Sozialhilfe angerechnet wird. Auch hier muß eine Lösung gefunden werden; das sieht auch die Bundesregierung so. Ulrike Mascher (SPD): Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits 1984 einen Antrag eingebracht, um die Gegenseitigkeitsklausel des geltenden Rechts so zu verändern, daß auch Ausländer, die Opfer von Gewalttätigkeiten waren, Entschädigungsansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz geltend machen können. Für uns war es schon 1984 sehr unbefriedigend, daß Ausländer, die hier leben, wenn sie Opfer von Gewalttaten geworden sind, keine Leistung erhalten sollen, weil mit ihren jeweiligen Herkunftsländern keine entsprechenden Abkommen bestehen. Die Bundesregierung hat 1990 in der Antwort auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion diese Position noch einmal bestätigt. Angesichts der erschreckenden Zunahme von Gewalttaten gegen Ausländer, angesichts der Tatsache, daß es nur unzureichend gelungen ist, Ausländer, die bei uns Schutz suchen vor Gewalt, zu schützen, hält es die SPD-Fraktion für dringend geboten, unabhängig von der Forderung nach gegenseitiger Leistung auch Ausländern, wenn sie Opfer von Gewalttaten werden, Entschädigungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zu eröffnen. Angesichts des finanziellen Umfangs —1990 hat die Bundesregierung den Mehraufwand auf rund 2 Milliarden DM beziffert, wobei der Anteil des Bundes rund 0,5 Millionen DM betragen sollte — will die SPD eine Regelung, die allen Ausländern, die hier leben, zugute kommen soll. Erfreulicherweise hat sich jetzt auch die Bundesregierung bewegt. Allerdings scheint mir bei einer ersten Durchsicht des Entwurfs des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung immer noch eine wenig großzügige Regelung für Ausländer, die kürzer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 149. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 12863' als drei Jahre in der Bundesrepublik leben, also vor allem für Flüchtlinge, geplant zu sein. Die Gewalttaten der vergangenen Monate haben sich ja vor allem gegen Flüchtlinge gerichtet, deshalb wollen wir gerade diese Gruppen von Opfern voll in die Leistungen des Opferentschädigungsgesetzes einbeziehen. Wir hoffen, daß auf der Grundlage unseres Entwurfs solch eine Regelung möglich wird. Hans A. Engelhard (F.D.P.): Einigkeit besteht, daß unser Opferentschädigungsgesetz heute noch eine Vielzahl von Ausländern in nicht vertretbarer Weise von Leistungen ausschließt und damit benachteiligt. Das Thema ist zu Recht wieder in die aktuelle politische Diskussion gekommen, seit der Fremdenhaß von rechtsextremistisch verblendeten Gewalttätern zu einer Fülle von Angriffen auf Ausländer führte. Auch ein wesentliches Element des Rechtsstaates ist es, sein Gewaltmonopol zunächst einmal präventiv zum Schutz der Bürger und Gäste im Lande einzusetzen. Wo der Erfolg versagt bleibt, ist es geboten, dem in seiner körperlichen Integrität verletzten Opfer mit einer Entschädigung zur Seite zu stehen. Über eine Änderung des Opferentschädigungsgesetzes wurde früher bereits intensiv nachgedacht. Ich erinnere mich lebhaft an die Erörterungen, die nach dem grauenvollen Anschlag beim Münchner Oktoberfest im Herbst 1980 stattfanden. Bei allem Verständnis und gutem Willen wird es jedoch nicht sinnvoll und möglich sein, einfach durch Streichung der Klausel über die Gegenseitigkeit Abhilfe zu schaffen. Die Bundesregierung und mit ihr die Koalitionsfraktionen haben sich erneut mit den anstehenden Fragen beschäftigt. Die Bundesregierung hat erst gestern im Kabinett einen Gesetzentwurf gebilligt. Zu den Einzelheiten wird anschließend wohl Herr Parlamentarischer Staatssekretär Günther noch Stellung nehmen. Ich beschränke mich auf die Feststellung, daß hier eine gute und abgewogene Regelung gefunden wurde, die vor allem darauf Bedacht nimmt, Ausländer, die bereits länger in der Bundesrepublik leben, verstärkt in die Regelungen des Opferentschädigungsgesetzes einzubinden. Aber bei einer besonders schweren Schädigung gehen endlich auch Touristen und kurzfristige Besucher nicht mehr leer aus. Wenn es uns bei den Beratungen gelingt, auf dieser Linie Ergebnisse zu erzielen, so haben wir dem Gedanken des Opferentschädigungsgesetzes über die Grenzen der Staatsangehörigkeit hinaus Rechnung getragen. Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Wir sind uns einig: In Zeiten, wo verblendete, ewig Gestrige mit brutaler Gewalt Ausländer angreifen, müssen ihre Opfer Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz haben. Dies ist eine Frage der moralischen Verantwortung gegenüber den Opfern und entspricht dem Grundgedanken des Opferentschädigungsgesetzes. Es ist unstrittig, daß die bisherige gesetzliche Regelung zu restriktiv ist, wenn die Mehrzahl der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer vom Leistungsanspruch ausgeschlossen bleibt. Dennoch ist die ersatzlose Streichung der Gegenseitigkeitsklausel, wie sie beide heute vorliegenden Gesetzentwürfe vorsehen, nicht akzeptabel. Sie würde über das Ziel einer angemessenen Entschädigung der Opfer hinausschießen. Mit der Streichung der Gegenseitigkeitsklausel ginge die Verpflichtung einher, Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in alle Welt zu exportieren. Die Entwicklung der gesundheitlichen Folgen und das Ausmaß der entstandenen wirtschaftlichen Nachteile für den Geschädigten, die Grundlage für die Leistungsbemessung sind, wären unter diesen Bedingungen nur noch sehr schwer nachzuvollziehen. Dementsprechend groß wäre die Versuchung, die Regelungen des Opferentschädigungsgesetzes zu mißbrauchen. Die Kritiker, die einen neuen Sozialtourismus heraufbeschwören, könnten schließlich recht bekommen. Auch der Entwurf der SPD-Fraktion trägt diesen möglichen Folgen eines Leistungsexportes nicht in ausreichendem Maße Rechnung, selbst wenn der berechtigte Personenkreis eingeschränkt ist. Unser Entwurf hält für Touristen und kurzfristige Besucher grundsätzlich am Gegenseitigkeitserfordernis fest. Wir setzen uns für eine Lösung ein, die einerseits die angemessene Entschädigung ausländischer Opfer gewalttätiger Angriffe garantiert und andererseits Mißbrauch vermeidet. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, haben wir zur Erstellung unseres Konzeptes etwas mehr Zeit benötigt. Jetzt haben wir jedoch den Gesetzentwurf dem Bundeskabinett vorgelegt. Gestern wurde er gebilligt. Damit unsere ausländischen Mitbürger Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz geltend machen können, erfaßt unser Konzept alle länger in der Bundesrepublik lebenden Ausländer. Wenn sie sich seit mindestens drei Jahren legal in der Bundesrepublik aufhalten, werden sie weitgehend dem Status eines Deutschen bzw. eines EG-Bürgers gleichstellt. Soweit sie sich noch nicht seit drei Jahren, aber rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, haben sie Anspruch auf eingeschränkte Leistungen des Opferentschädigungsgesetzes. Für Ausländer, die sich zwar legal, aber nur kurzfristig in der Bundesrepublik aufhalten, wird es beim Gegenseitigkeitserfordernis bleiben. Um jedoch besonders schwere Fälle ausgleichen zu können, ist eine Härteregelung für ausländische Touristen und Besucher vorgesehen. Das Konzept der Bundesregierung stellt damit konkret auf den Aufenthaltsstatus und das Ausmaß der 12864* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 149. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1993 Integration ab. Diese Lösung bietet klare Abgrenzungskriterien. Es wäre sicher sinnvoll, die Beratung des Regierungsentwurfes mit den weiteren Beratungen der heute vorliegenden Gesetzentwürfe zusammenzufassen. Im direkten Vergleich werden Sie dann feststellen, daß der Entwurf der Bundesregierung nicht nur ausgewogener ist, sondern in einem Punkt sogar über die heute vorliegenden Gesetzentwürfe hinausgeht: Die tragischen Fälle der jüngsten Vergangenheit, die Anlaß der heutigen Beratung sind, werden rückwirkend erfaßt. Das bedeutet: Die beiden libanesischen Mädchen aus Hünxe, die bei einem rechtsextremistischen Brandanschlag im Oktober vorletzten Jahres schwer verletzt wurden, werden entschädigt. Gleiches gilt für die Hinterbliebenen der Opfer des Brandanschlages in Mölln, durch den eine türkische Frau und zwei türkische Mädchen ihr Leben verloren. Die Bundesregierung stellt sich ihrer Verantwortung gegenüber den Opfern der Gewalt in unserem Land. Unser Konzept sorgt dafür, daß die Humanität in der Bundesrepublik Deutschland nicht Halt macht vor der Nationalität.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Sigrid Semper


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Vorhandensein dieser von meiner Vorgängerin zahlenmäßig genannten Frauenhäuser hat dazu beigetragen, daß Gewalt gegen Frauen und Kinder öffentlichgemacht wurde. Seit einigen Jahren finden auch Mädchen, die von ihren Vätern, Brüdern oder anderen männlichen Verwandten sexuell mißbraucht werden, Zuflucht in sogenannten Mädchenwohngruppen.
    Für uns Politiker aus den neuen Bundesländern ist das öffentliche Thematisieren von Gewalt gegen Frauen und Mädchen neu. Ich möchte nicht leugnen, daß in der DDR Ehefrauen und Partnerinnen unter der Gewalt von Ehemännern und Partnern zu leiden hatten. Seit der Öffnung der Grenzen sind in den neuen Bundesländern 92 Frauenhäuser gegründet worden. Ich war aber enttäuscht und betroffen, daß viele Frauenhäuser nicht namentlich genannt werden können oder der Ort nicht bekanntgemacht werden kann aus Angst, daß den Frauen doch wieder Gewalt angetan wird.
    Die Gründe, weswegen Männer ihre Ehefrauen oder Partnerinnen quälen oder sexuell mißbrauchen, sind vielfältig. Durch plötzliche Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, persönliche Unzufriedenheit, familiäre



    Dr. Sigrid Semper
    oder berufliche Schwierigkeiten können Situationen entstehen, in denen viele Männer nur noch mit Aggressivität und brachialer Gewalt reagieren.
    In den alten Bundesländern hat man sich über die Jahre an die Existenz dieser Zufluchtstätten gewöhnt. Die Gewalt gegen Frauen ist jedoch nicht geringer geworden. Es ist sicherlich richtig, daß es auch Ehemänner gibt, die Opfer ihrer gewalttätigen Ehefrauen sind. Aber zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt: Gewalt gegenüber Frauen und Kindern ist ein Merkmal unserer Gesellschaft.
    In ein Frauenhaus flüchten mißhandelte Frauen in ihrer Verzweifelung, um sich und ihre Kinder vor den lebensbedrohenden Brutalitäten in der Familie zu schützen. Dort finden sie und ihre Kinder häufig zum erstenmal seit Jahren Ruhe und Sicherheit.
    Um es deutlich zu sagen: Frauen, die mit ihren Kindern die gemeinsame Wohnung verlassen, stehen vor dem Nichts, vor einer unbekannten Zukunft. Diese Frauen sind durch die erlittenen Demütigungen und Verletzungen verängstigt und eingeschüchtert. Sie müssen mit der neuen Situation zurechtkommen, sind gezwungen, für sich und ihre Kinder die weiteren Schritte in ein anderes Leben ohne Ehemann oder Partner zu planen. Diese Frauen müssen lernen, auf eigenen Füßen zu stehen, die ganze Verantwortung für sich und ihre Kinder allein zu übernehmen. Sie brauchen dabei Unterstützung, Hilfe und ermutigenden Zuspruch, die ihnen die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses geben können.
    Die Bundesregierung hat Frauenhäuser im Rahmen ihrer Möglichkeiten als Modellprojekte finanziell gefördert und unterstützt. Damit hat sie einen wichtigen Beitrag geleistet. Jetzt stehen Länder und Kommunen in der Verantwortung.
    Es hat sich gezeigt, daß die finanzielle Unterstützung der Frauenhäuser von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich ausfällt. In den neuen Bundesländern fehlen zum größten Teil bis heute Förderrichtlinien der Länder. Es ist jedoch notwendig, daß diese Einrichtungen zum Schutz von Frauen und Kindern langfristig finanziell abgesichert sind. Dazu gehört, daß die auf zwei Jahre begrenzten ABMStellen in unbefristete Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Aber von den Kommunen und Ländern!)

    Dafür möchte ich mich einsetzen.

    (Beifall im ganzen Hause)

    In den Bundesländern ist eine fachgerechte Ausbildung der Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern zu Sozialarbeiterinnen noch nicht geregelt. Deshalb appelliere ich an die betreffenden Ministerien in den neuen Bundesländern, das Ausbildungskonzept, das der Verband der Frauenhäuser vorgelegt hat, umzusetzen. Es stellt sich aber auch die Frage, warum die Opfer von häuslicher Gewalt ihre Wohnung und ihr soziales Umfeld verlassen müssen, warum Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen werden, um dieser Gewalt zu entgehen, während die Täter unbehelligt und unbestraft in der gemeinsamen Wohnung und gewohnten Umgebung bleiben können.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das kann man wohl sagen!)

    Der amerikanische Staat Oregon z. B. verfügt über ein umfassendes Gesetzessystem, um Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen. Die Polizei ist verpflichtet, einen Ehemann zu verhaften, der seine Frau prügelt. Er wird durch eine richterliche Anordnung verpflichtet, seine Familie in Ruhe zu lassen. Kommt es zu einem Prozeß wegen Körperverletzung, ist der Staatsanwalt verpflichtet, die Ehefrau zu vertreten.
    Ich begrüße sehr, daß in den Leitlinien zur kommunalen Frauenpolitik der F.D.P. die Forderung aufgenommen worden ist, gewalttätige Männer aus der häuslichen Umgebung zu entfernen. Es ist außerdem zu überlegen, ob Frauenhäuser nicht durch eine Bannmeile zu schützen sind.
    Ziel aller Bemühungen muß sein, Gewalt gegen Frauen und Mädchen abzubauen. Es muß eine Selbstverständlichkeit für jeden werden, daß Frauen und Mädchen ein natürliches Recht auf Achtung der persönlichen Würde und Unversehrtheit der Person haben. Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, werden Frauen- und Mädchenhäuser überflüssig sein.

    (Beifall im ganzen Hause)



Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, jetzt hat das Wort unsere Frau Kollegin Petra Bläss.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während noch im Dezember 1991 Frau Ministerin Merkel erklärte, Frauenhäuser seien „unentbehrlich für mißhandelte Frauen, die sich und ihre Kinder sonst nicht in Sicherheit bringen könnten" , müssen in den letzten Wochen immer mehr Zufluchtswohnungen und Schutzräume für Frauen geschlossen werden. Obwohl die Bundesregierung seit Jahren die zunehmende Gewalt gegen Frauen und Mädchen öffentlich beklagt, entzieht sie in aller Stille durch Sparmaßnahmen bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen den Einrichtungen, die die Opfer solcher Gewalt betreuen könnten, die materielle und finanzielle Basis.
    Gerade in den neuen Bundesländern arbeiten in derartigen Einrichtungen fast ausschließlich ABMKräfte. Ein Großteil dieser Stellen läuft in diesem Jahr aus. Eine Verlängerung oder gar die Umwandlung der ABM in feste Stellen ist nicht in Sicht.
    Besonders betroffen von dieser Entwicklung sind die Mitarbeiterinnen in den autonomen Frauenhäusern. Aus der uns vorliegenden Antwort der Bundesregierung, die eher eine ministerielle Bankrotterklärung ist, geht hervor, daß die Hälfte aller Frauen- und Mädchenhäuser autonom, d. h. ohne öffentlichen Träger, selbstverständlich arbeiten und daher auf die Förderung durch Bund und Länder angewiesen sind.
    Die Bedingungen, unter denen diese Projekte seit Jahren arbeiten müssen, sagen mehr über den wirklichen Stellenwert von Frauen- und Mädchenhäusern



    Petra Bläss
    aus als die nicht signifikante Erhebung der Bundesregierung.
    Autonome Frauen- und Mädchenhäuser verstehen sich selbst als feministische Projekte, d. h., ihrem Ansatz liegt eine Gesellschaftsanalyse zugrunde, die die Strukturen, in denen wir leben, als patriarchale erkennt.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das freut die Caritas aber, wenn sie das hört!)

    Gewalt gegen Frauen und Mädchen wird als Teil der alltäglichen strukturellen Gewalt verstanden und bekämpft. Das offiziell gern zum privaten Problem der Betroffenen erklärte Thema Gewalt erhält damit seine tatsächliche politische Dimension zurück. Aus dieser Analyse ergibt sich für die Mitarbeiterinnen der Frauen- und Mädchenhäuser eine klare Parteinahme für die von Gewalt betroffenen Frauen.
    Bund und Länder gehen bei der Beurteilung der Förderfähigkeit der Frauenhäuser von einem anderen Ansatz aus. Staatliche Fördermittel werden nur selektiv und auch immer nur zeitlich begrenzt bewilligt. Während die psychosoziale Betreuung in der Regel als förderfähig eingestuft wird und Stellen für Fachfrauen bewilligt werden, muß politische und präventive Arbeit in den Selbsthilfegruppen ehrenamtlich geleistet werden. Hinzu kommt, daß die Bedingungen für die Arbeit von Frauenhäusern von Bundesland zu Bundesland verschieden sind. Einheitliche Förderkriterien, insbesondere die Finanzierung aller Personal- und Sachkosten sowie die kostenlose Unterbringung der Betroffenen, sind erforderlich, um endlich die Chancenungleichheit für die Frauen zu beenden.
    Um es auf einen Nenner zu bringen: Das Problem der Gewalt gegen Frauen und Mädchen, das ein gesamtgesellschaftliches ist, kann nicht allein durch psychologische Beratung und ohne Kosten gelöst werden. Dies wäre seiner Dimension nicht angemessen. Die immer wieder als Begründung verwendete Formel „Es ist kein Geld da" ist in Wirklichkeit kein Argument. Schließlich liegt es an den Politikerinnen und Politikern, zu entscheiden, wofür das verfügbare Geld eingesetzt wird. Und wenn die Kapazitäten für die Aufnahme von immer mehr Frauen und Kindern schwierig zu schaffen sind, wäre es angebracht, Alternativen zu suchen.
    Bisher mußten in der Regel die Opfer der Gewalt ihre gewohnte Umgebung, den Freundeskreis, die Kita oder die Schule verlassen und in Frauenhäusern für einen kürzeren oder längeren Übergangszeitraum Aufnahme suchen. Sie wurden ohne eigene Schuld in ihrer Bewegungsfreiheit und ihren Persönlichkeitsrechten entscheidend eingeschränkt, während die Täter wie gewohnt weiterlebten.
    Um diese Ungerechtigkeit zu beenden, sollten Männerhäuser eingerichtet werden. In ihnen sollten die Täter unter psychologischer Betreuung lernen, gewaltfreie Beziehungen aufzubauen. Dies wäre sicher in präventiver Hinsicht wirksamer und noch dazu billiger als die gegenwärtige Verfahrensweise.
    Ich freue mich sehr, daß hier im Haus Übereinstimmung zu diesem Punkt herrscht.
    Die Voraussetzung, um solche Alternativen zu schaffen, wäre eine Konzeption der Bundesregierung, die das Problem der Gewalt gegen Frauen in seiner ganzen Komplexität in Angriff nimmt; aber genau daran mangelt es offensichtlich.
    Ich möchte meine Unterstützung für den Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bekunden, weil er ein richtiger Schritt in die richtige Richtung ist.
    Danke.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)