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Metadaten
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  • date_rangeDatum: 25. November 1992

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    Plenarprotokoll 12/123 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 123. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 Inhalt: Tagesordnungspunkt III: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksachen 12/3000, 12/3541) Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Drucksachen 12/3504, 12/3530) Hans-Ulrich Klose SPD 10451B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 10458D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 10465 A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste 10469A Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10471 D Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler BK 10474A Ingrid Matthäus-Maier SPD 10487 C Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 10491 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 10491D Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU 10492D Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 10496C, 10503 D Rolf Schwanitz SPD 10500D, 10503 D Dietrich Austermann CDU/CSU 10504 A Rudolf Dreßler SPD 10506D Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 10510D Hinrich Kuessner SPD 10511B Karl Diller SPD 10512B Andrea Lederer PDS/Linke Liste 10512D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10515 A Ortwin Lowack fraktionslos 10517 C Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 10519B Namentliche Abstimmung 10520 B Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes (Drucksachen 12/3505, 12/3530) Ernst Waltemathe SPD 10522 D Dr. Klaus Rose CDU/CSU 10525 B Freimut Duve SPD 10526 C Dr. Sigrid Hoth F.D.P. 10528 A Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste 10529B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10530C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 10531 D Ortwin Lowack fraktionslos 10534 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD 10535 C Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) CDU/ CSU 10538 C Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung (Drucksachen 12/3514, 12/3530) in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (Drucksache 12/3527) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt III 17: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Stand der Verhandlungen mit den NATO-Entsendestreitkräften über die Schließung des Luft-Boden-Übungsplatzes „Nordhorn-Range" (Drucksachen 12/537, 12/3691) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt III 18: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Adam, Dr. Walter Franz Altherr, Hans-Dirk Bierling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Dr. Werner Hoyer, Dr. Sigrid Semper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Privatisierung der Heimbetriebsgesellschaft mbH der Bundeswehr (Drucksachen 12/1292, 12/3693) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt III 19: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der an den Haushaltsausschuß zurückverwiesenen Entschließung auf Nummer II der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1991 (Haushaltsgesetz 1991) (Drucksachen 12/100, 12/494, 12/531, 12/3758 [neu]) Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD 10542A Helmut Esters SPD 10545 C Hans-Gerd Strube CDU/CSU 10546A Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD 10546B, 10548A Karl-Ludwig Thiele F.D.P. 10548 B Jan Oostergetelo SPD 10548D Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD 10550B, 10563 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste 10551A Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10552 C Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 10554 B Jürgen Koppelin F.D.P. 10556 B Walter Kolbow SPD 10556 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 10557 C Dieter Heistermann SPD 10558 A Jürgen Koppelin F.D.P. 10559A Karl Stockhausen CDU/CSU 10561 B Rudi Walther (Zierenberg) SPD 10562 A Volker Rühe, Bundesminister BMVg 10562D Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD 10567A Walter Kolbow SPD 10567 D Dr. Werner Hoyer F.D.P. 10568A Namentliche Abstimmung 10568 C Ergebnis 10573 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Drucksachen 12/3521, 12/3530) Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern (Drucksachen 12/3506, 12/3530) in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksache 12/3526) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksachen 12/3528, 12/3530) Rudolf Purps SPD 10569 C Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD 10570 D Karl Deres CDU/CSU 10575 D Ina Albowitz F.D.P. 10578 A Erwin Marschewski CDU/CSU 10580 C Ina Albowitz F.D.P. 10582B, 10589B Günter Graf SPD 10583 B Rudolf Seiters, Bundesminister BMI 10586B Nächste Sitzung 10590 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10591* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt II 20 — Einzelplan 23, Ge- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 III schäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit —Helmut Esters SPD 10591* B Dr. Christian Neuling CDU/CSU 10593* A Werner Zywietz F.D.P. 10595* C Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste 10596* C Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10597 B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 10598* A Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 10599* D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu den Tagesordnungspunkten III 21 — Einzelplan 06, Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern —, III 22 — Einzelplan 33, Versorgung —, III 23 — Einzelplan 36, Zivile Verteidigung — Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10600* C Angela Stachowa PDS/Linke Liste 10602* B Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 10603* B Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Helmut Schäfer (Mainz) F.D.P. zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3811 10605* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 10451 123. Sitzung Bonn, den 25. November 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 25. 11. 92 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 25. 11. 92 Burchardt, Ulla SPD 25. 11. 92 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 25. 11. 92 Peter Harry Clemens, Joachim CDU/CSU 25. 11. 92 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 25. 11. 92 ** Ganseforth, Monika SPD 25. 11. 92 ** Gattermann, Hans H. F.D.P. 25. 11. 92 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 25. 11. 92 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 25. 11. 92 Gries, Ekkehard F.D.P. 25. 11. 92 Dr. Holtz, Uwe SPD 25. 11. 92 Homburger, Birgit F.D.P. 25. 11. 92 Kolbe, Regina SPD 25. 11. 92 Kubatschka, Horst SPD 25. 11. 92 ** Marx, Dorle SPD 25. 11. 92 Mischnick, Wolfgang F.D.P. 25. 11. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 25. 11. 92 ** Müller (Pleisweiler), SPD 25. 11. 92 Albrecht Niggemeier, Horst SPD 25. 11. 92 Odendahl, Doris SPD 25. 11. 92 Oesinghaus, Günther SPD 25. 11. 92 Rempe, Walter SPD 25. 11. 92 Reuter, Bernd SPD 25. 11. 92 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 25. 11. 92 Ingrid Dr. Scheer, Hermann SPD 25. 11. 92 * Scheffler, Siegfried Willy SPD 25. 11. 92 Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 25. 11. 92 Dr. Seifert, Ilja PDS/LL 25. 11. 92 Dr. Sonntag-Wolgast, SPD 25. 11. 92 Cornelie Thierse, Wolfgang SPD 25. 11. 92 Welt, Jochen SPD 25. 11. 92 Dr. Zöpel, Christoph SPD 25. 11. 92 *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt II 20 - Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit -*) Helmut Esters (SPD): In der überwiegenden Mehrheit der Entwicklungsländer sind die Lebensum*) Vgl. Seite 10569 Anlagen zum Stenographischen Bericht stände gegenwärtig schlechter als vor einem Jahrzehnt: statt Entwicklung nur Rückschritte. Und auch dort, wo reales wirtschaftliches Wachstum war - wie bei uns -, wurde krasse soziale Ungerechtigkeit noch längst nicht aus der Welt geschafft. Auch der Einzelplan 23, also der des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, liegt mit 1,7 % Steigerung im Vergleich zum Vorjahr unterhalb der Marke des Gesamthaushalts. Verglichen mit der Entwicklungshilfe von vor 10 Jahren, die damals 0,49 des Bruttosozialprodukts betrug und im Entwurf 1993 auf magere 0,34 % des BSP kommt, unterstreichen die nackten Zahlen diese Rückwärtsentwicklung. Dabei hatte sich der Deutsche Bundestag bereits noch zu sozial-liberalen Regierungszeiten - einstimmig - hinter das Ziel der Vereinten Nationen gestellt, jeweils 0,7 % des Bruttosozialproduktes für Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen. Zwar ist Geld nicht alles, aber wer wollte angesichts der notwendigen Transferleistungen in unserem eigenen Land bestreiten, daß neben rein monetärer auch technische Hilfe für strukturschwache Regionen benötigt wird. Finanziert werden muß beides. Der Bundeskanzler hatte sich noch im Juni auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio erneut auf das Ziel 0,7 % des Bruttosozialprodukts bis zum Jahre 2000 verpflichtet. Durch den eingebrachten Haushalt '93 wird das Ziel 0,7 % aus den Augen verloren, wird das Auseinanderklaffen zwischen Worten und Taten deutlich. Auch in der Entwicklungspolitik wird die Schwäche dieser Regierung deutlich, die in nahezu allen Bereichen konzeptionslos agiert, sich kurzatmig über die Runden zu retten versucht. Gerade im Bereich der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit sind jedoch langfristig angelegte Konzepte bitter nötig, um eine Aufwärtsentwicklung der Länder der Zweiten und Dritten Welt für die Eine Welt zu sichern. Armut, Umweltzerstörung, Bevölkerungsexplosion und wirtschaftliche Abhängigkeit in den Entwicklungsländern erfordern mehr, als durch diesen Haushalt von der Bundesrepublik getan wird. Folglich fordern wir Sozialdemokraten - auch in einer zugegebenermaßen gesamtpolitisch nicht einfachen Lage - eine realistische Erhöhung des Einzelplanes 23, wissend, daß dieses Geld gleichsam mehr als eine Investition für die Zukunft ist. Zwischen den armen und reichen Weltregionen klaffen Welten. Die Kluft bei den Durchschnittseinkommen nimmt zu statt ab. Die brutalen Trennlinien auf der Ost-West-Achse haben sich aufgelöst, auf der Nord-Süd-Schiene soweit verschoben, daß alte Klischees von dem Norden oder dem Süden keinen Sinn mehr ergeben. Mittlerweile bestehen Arm-ReichGefälle in allen Weltregionen, quer zu allen Himmelsrichtungen. Die globalen Umweltgefahren und die Bevölkerungsexplosion, das soziale Elend und die hoffnungslose Wirtschaftsmisere in vielen Teilen der Welt sollten den Ignoranten die Folgen fehlender Entwick- 10592* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 lungszusammenarbeit — auch im eigenen Land — bewußt machen: Der Strom von Asylbewerbern und Elendsflüchtlingen überfordert vielerorts die Menschen, löst Übergriffe von Extremisten aus, die selbst vor Mord, wie wir zu Beginn der Woche schmerzvoll erfahren mußten, nicht mehr zurückschrecken; eine Klimakatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes droht. Deshalb ist eine Steigerung des Anteils der Entwicklungshilfe am Sozialprodukt überfällig, muß eine entwicklungspolitische Offensive aus Gründen der Solidarität und Humanität eingeleitet werden. Die Bundesregierung muß daher die Entwicklung regionaler Zusammenschlüsse fördern und regionale Wirtschaftspolitik unterstützen. Das Nebeneinander wirtschaftlich nicht lebensfähiger Entwicklungsländer angesichts der Zusammenschlüsse wirtschaftlich starker Industrie- und Schwellenländer ist eine Entwicklung in die falsche Richtung. Hierdurch kommen die Entwicklungsländer in immer größere Abhängigkeit, und die Chance, sich auf eigene Füße zu stellen, wird geringer. Am Prinzip bilateraler Hilfe ist festzuhalten, wenn dies effizienter ist als multilaterale Förderung. Ein Konzept für eine regionale Entwicklungszusammenarbeit in Teilen Afrikas, Mittelamerikas, im Nahen Osten und in den südlichen Republiken der ehemaligen Sowjetunion ist überfällig. Die diesbezüglichen Bestrebungen im südlichen Afrika (SADDC) sollte die Bundesregierung aufgreifen. Die bisherige Zurückhaltung bei der Förderung regionaler, wirtschaftlicher Zusammenschlüsse im südlichen Afrika muß sich in eine entwicklungspolitische Offensive für Afrika umwandeln. Die steigende Not in Afrika erfordert eine Erhöhung der Finanzmittel, um dem Kontinent überhaupt wieder eine Chance für Entwicklung zu eröffnen. Wirtschaftspolitische Maßnahmen müssen mit friedenspolitischen Konzepten zu Abrüstung, Waffenexportkontrolle und Aufbau regionaler Sicherheitssysteme verbunden werden. Zwar lassen sich europäische Erfahrungen nicht schematisch auf andere Regionen der Welt übertragen, aber es ist kein Zweifel, daß sowohl der Helsinki-Prozeß wie die sich erweiternde Europäische Gemeinschaft viel internationales Interesse gefunden haben oder sogar als beispielgebend empfunden werden. Eine entwicklungspolitische Offensive muß mithelfen, einen grundlegenden Strukturwandel in den Entwicklungsländern zu bewirken. Dabei sollte immer wieder betont werden, daß die Hilfe für Osteuropa nicht auf Kosten der Zusammenarbeit mit den klassischen Entwicklungsländern gehen darf: Kein „entweder Zweite oder Dritte Welt", sondern ein entschiedenes Handeln für die Eine Welt. Eine auf langfristige wirtschaftliche Gesundung und Entwicklung gerichtete Strukturanpassung kann nur Erfolg haben, wenn folgende Bedingungen hergestellt werden: Erstens muß die Grundbildung und berufliche Qualifizierung breiter Bevölkerungsschichten angestrebt werden. Die Fähigkeit, sich selbst zu helfen, muß verbessert werden. Folglich müssen die Ausgaben für Bildung aufgestockt werden. Zweitens müssen die Rahmenbedingungen für eine effektivere Wirtschaft und eine rechtsstaatliche, funktionierende Verwaltung sowie eine unabhängige Justiz geschaffen werden. Drittens muß das Bevölkerungswachstum gedämpft werden; Strukturen müssen angepaßt werden, soll heißen, Programme für Armutsbekämpfung und Gesundheit, müssen aufgelegt werden. Viertens muß die Förderung von Eigenmaßnahmen beim Umweltschutz erreicht werden. Hierzu könnte ein eigener Titel im Haushalt eingerichtet werden, woraus die Länder gefördert werden sollten, die auf Eingriffe in die Natur weitgehend verzichten. Doch wie kann man hier glaubwürdig einfordern, wozu man selbst nicht bereit ist? Noch in Rio hat Bundeskanzler Kohl sein nationales CO2-Minderungsprogramm verkündet, 25-30 % weniger an Emissionen bis zum Jahre 2005 zu erreichen. Damit sollte auch das Stabilisierungsziel der EG bis zum Jahre 2000 (CO2-Emissionen auf Stand von 1990) übertroffen werden. Nach dem vorliegenden Verkehrswegeplan ist nach vorsichtigen Schätzungen eher ein Ansteigen der CO2-Emissionen um 50 % zu befürchten. Auch hier wird der Widerspruch zwischen Sonntagsreden und Alltag deutlich. Dabei wissen wir: Um den globalen Umweltkollaps zu verhindern, deren Hauptverursacher wir reichen Industriegesellschaften im Norden sind, ist schnelles Handeln erforderlich. Wir wissen, daß selbst bei sofortigem Umsteuern schlimmste Umweltzerstörungen schon heute nicht mehr zu verhindern sind. Ebenso zwingen Bevölkerungsexplosion und soziales Elend zum Handeln. Wahre Völkerwanderungen, bedingt durch die Wirtschaftsmiseren in vielen Teilen der Welt im Süden wie im Osten sollten uns bewußt machen, daß es längst keine Fragen von Herausforderungen im überkommenen Sinne mehr sind, sondern daß es sich um Fragen des Überlebens der Einen Welt handelt. Eine entscheidende Aufgabe wird deshalb darin liegen, die wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und politischen Verhältnisse so zu verändern, daß die Fluchtursachen beseitigt werden. Dazu bedarf es aber nicht nur der Maßnahmen in den Entwicklungsländern, den Ländern Osteuropas und Änderungen im Nord-Süd-Verhältnis, sondern ganz konkreter Schritte der Bundesregierung hinsichtlich gemeinsam aufeinander abgestimmter Initiativen der Industrienationen, sowie der nationalen und internationalen Hilfsorganisationen. Beim Technologietransfer sind adäquate Eigenanstrengungen zu fördern und gewachsene Handelsbeziehungen, besonders in Osteuropa, zu nutzen. Die Maßnahmen der Außen-, Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt- und Entwicklungspolitik müssen stärker aufeinander abgestimmt werden. Die Bundesregierung muß sich national wie international zu einer Politik verpflichten, die staatliches und privatwirtschaftliches Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 10593* Handeln im Sinne eines fairen Nord-Süd-, WestOst-Ausgleichs ausrichtet. In diesem Sinne Willy Brandts, der früh darauf hingewiesen und eine Friedensdividende für die Dritte Welt immer wieder eingeklagt hat, sollten Opposition und Regierung gemeinschaftlich handeln. Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit. Dr. Christian Neuling (CDU/CSU): Lassen Sie mich zu Anfang zu einem aktuellen Problem Stellung nehmen. Den Verlust, den die Entwicklungsländer aus Protektionismus und Handelsbeschränkungen erleiden, ist um ein Vielfaches höher als die weltweit geleistete Entwicklungshilfe. Alle Forderungen an die Entwicklungsländer, marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, bleiben unglaubwürdig, wenn die Industrieländer sich nicht selbst an diese Prinzipien halten. Auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse gilt die Erkenntnis, daß freie Handelsgrenzen der beste Entwicklungshelfer sind. Die aktuellen GATT-Verhandlungen, die aktive Entwicklungspolitik darstellen, müssen zügig und erfolgreich beendet werden. Seit zwei Jahren befindet sich die Welt in einer historischen Umbruchsituation. Der Wegfall des OstWest Konfliktes gibt uns die einzigartige Chance, die globalen Probleme erfolgreich anzugehen: — Stärkung und Förderung der jeweils inländischen wirtschaftlichen Wachstumskräfte, um die Armut vor Ort zu bekämpfen. Hierin liegt sicherlich die wirkungsvollste Maßnahme, um die Wanderungsbewegung zu stoppen, deren Ursache in den wenigsten Fällen die politische Verfolgung, sondern in der Regel die wirtschaftliche Not ist. — Stärkung und Förderung von politischen Reformkräften, damit die Freiheit des einzelnen sowie die Eigeninitiative und Eigenverantwortung des einzelnen gestärkt werden als Ausgangspunkt für die Entwicklung von freiheitlichen Gesellschaftssystemen, sowie — Stärkung und Förderung all der Kräfte, die sich für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen einsetzen. Jede „Mark", die erfolgreich in Entwicklungspolitik investiert wird, leistet hier einen wichtigen Beitrag bei der Lösung dieser globalen Probleme und ist somit eine lebensnotwendige Investition in unsere Zukunft. Diese generelle Vorbemerkung vorausgeschickt, möchte ich zunächst auf wichtige Eckpunkte eingehen, die die Diskussioin über den Einzelplan des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit bei der Beratung bestimmt haben: 1. Mit einer Steigerungsrate von 2,2 % (im Vergleich zum Soll-Ansatz 1992) liegt der Etat des BMZ im allemeinen Trend des Bundeshaushaltes '93 insgesamt. Seitens der Bundesregierung wie auch des Parlaments wird seit vielen Jahren die Erhöhung der ODA-Quote auf ca. 0,7 % im internationalen Vergleich gefordert. An diesem Ziel halten wir in der Koalition fest. Der eben noch eingegangene Antrag der SPD-Fraktion, die Mittel für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Haushaltsjahr 1993 noch um 2 Milliarden DM aufzustocken, ist angesichts der enormen Belastungen des Bundeshaushalts im Zusammenhang mit der Stärkung der Wachstumskräfte in den NBL kurzfristig nicht realisierbar. Deshalb ist auch die Forderung der SPD-Fraktion nach einer Steigerung der ODA-Quote auf 0,7 % des Bruttosozialprodukts in dieser Form nicht haltbar. Wir lehnen diesen Antrag deshalb ab. Ich selbst hatte und habe immer meine Skepsis gegenüber einer derartigen Meßgröße geäußert, da sie im Widerspruch steht zu einer auf strikte Konsolidierung der öffentlichen Finanzen angelegten Politik. Für die kommenden Jahre sollten wir jedoch als Ziel anstreben, daß wir uns an der durchschnittlichen ODA-Quote der Industrieländer mit 0,34 % orientieren, mit der Konsequenz, daß in der mittelfristigen Finanzplanung die Steigerung des EP 23 unter Einschluß der Hilfen für die MOE- und GUS-Staaten sich am Wachstum des nominalen BSP orientieren, d. h. in den Jahren bis 1996 um durchschnittlich ca. 4-5 % wachsen sollte. 2. Einen weiteren Schwerpunkt haben wir in diesem Jahr mit der Steigerung der Mittel zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung in Mittel- und Osteuropa gesetzt, der nunmehr mit 82 Millionen in diesem Einzelplan liegen wird. Zur Erinnerung: gemeinsam über die Fraktionen hinweg haben wir erstmals im Jahr 1990 hierfür einen Ansatz in Höhe von 10 Millionen bei den Berichterstattergesprächen eingestellt. Im Vergleich zu 1993 entspräche dies nunmehr einer Steigerung von 800 %, womit die enorm gewachsene Bedeutung dieses Bereiches in der Entwicklungspolitik deutlich zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig begrüßen wir es, daß nun endlich eine Koordinierungsstelle beim Bundeskanzleramt eingerichtet worden ist, um die Hilfe insgesamt für diesen Bereich zu koordinieren. Wir begrüßen ausdrücklich, daß die hervorragend bewährten Instrumente des BMZ im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit nun auch für diese Länder genutzt werden. 3. Das Stammkapital der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) wird um 200 Millionen auf dann 1,2 Milliarden erhöht. Hierdruch wird die DEG in die Lage versetzt, auch zusätzliche Kapitalmarktkmittel aufzunehmen und ihr Umsatzvolumen entsprechend zu erhöhen. Der DEG wird zukünftig ein wichtiger Beitrag zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung in Mittel- und Osteuropa sowie in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zufallen. Hierbei muß ein wesentlicher Schwerpunkt ihrer unternehmerischen Tätigkeit in der Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen diesen Staaten und insbesondere den Neuen Bundesländern liegen. 4. Wir haben erneut die Deckelung bei der internationalen Ernährungshilfe in der Bereinigungsrunde im Haushaltsausschuß aufgegriffen und der Bundesregierung entsprechende Verhaltensregelungen — im Rahmen einer Protokollnotiz — bei der Bereinigungsrunde im Haushaltsausschuß ins Stammbuch geschrieben. Der EP 23 ist in seiner finanziellen Ausgestaltung so eng, daß weitere Spielräume für überplanmäßige Ausgaben nicht gegeben sind. Über- 10594* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 planmäßige Ausgaben müssen gegebenenfalls dann aus dem Bundesetat insgesamt finanziert werden. 5. Die langwierige Diskussion über die Privatisierung von DEG und GTZ sind ebenfalls im Rahmen der Berichterstattergespräche sowie in ausführlicher Diskussion im Fachausschuß abschließend behandelt worden. Eine Privatisierung kommt für beide nicht in Betracht, weil eine wettbewerbsorientierte marktwirtschaftliche Ersatzlösung nicht erkennbar ist aufgrund der besonderen Aufgaben, die beide Organisationen für die Bundesrepublik Deutschland zu erfüllen haben. Bei der GTZ bleibt allerdings anzumerken, daß nunmehr zügig die Optimierung des Vorfeldes umgesetzt wird, daß insbesondere auch die Kooperationsmöglichkeiten mit den privaten Consulting-Unternehmen voll genutzt und gleichzeitig die SynergieEffekte zwischen GTZ (zuständig für die TZ) und der KfW (verantwortlich für die FZ) genutzt werden. Die Eigenständigkeit der GTZ darf allerdings nicht berührt werden. Ein weiterer Schwerpunkt während der Beratungen lag in der Diskussion über die zukünftige Bedeutung der multilateralen Entwicklungspolitik und hierbei insbesondere ihre Stellung zu der bilateralen, zur nationalen Entwicklungshilfe. Sorgenvoll betrachten wir, daß durch eine vom Parlament aus nicht zu kontrollierende Entwicklung im multilateralen Sektor die nationale Entwicklungszusammenarbeit zunehmend in einen immer enger werdenden finanziellen Rahmen gepresst wird und oftmals als „Reservekasse" oder „Notgroschen" für internationale Zusagen herhalten muß. Folgendes ist festzuhalten: 1. Die finanziellen Zuwendungen an bestimmte internationale Organisationen bzw. Fonds haben in den letzten Jahren eine überproportionale Steigerung erfahren. Gravierendstes Beispiel hierbei ist der Europäische Entwicklungsfonds, der in den letzten 10 Jahren (83/93) eine Steigerung um 110 %, von 440 Millionen auf jetzt 940 Mio erfahren hat. 2. Der multilaterale Bereich ist generell einer direkten parlamentarischen Kontrolle entzogen. Einer derartigen Entwicklung kann ein selbstbewußtes Parlament kein Interesse haben. 3. Die Effizienz von großen Organisationen — national wie international — ist in der Regel nicht besonders ausgeprägt. Gerade aber in Zeiten knappster Kassen kommt es darauf an, mit jeder eingesetzten Mark auch ein Höchstmaß an Wirkung zu erzielen. Ich fordere daher die Bundesregierung auf, folgendes sicherzustellen: 1. Der Anteil der multilateralen Entwicklungshilfe im EP 23 muß bei ca. 30 % verbleiben. 2. Falls aufgrund von Zusagen Aufstockungen für internationale Organisationen erforderlich sind, die über der allgemeinen Steigerungsrate des Einzelplanes liegen, muß der gesamte Einzelplan so angehoben werden, daß die bilaterale Hilfe in gleichem Umfang steigt. Gegebenenfalls müssen auf internationaler Ebene auch einmal die Schlüssel der Beitragsverpflichtungen entsprechend neu festgelegt bzw. zur Diskussion gestellt werden. 3. In jedem Fall ist sicherzustellen, daß die deutschen Lieferanteile den deutschen Kapitalanteilen in den einzelnen Organisationen bzw. Banken entsprechen. Ein besonders negatives Beispiel ist hierbei erneut der EEF: Deutschland ist mit 26 % der größte Geber, bei den Lieferanteilen aber nur mit 10,7 % vertreten. Im Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir als weiteren Schwerpunkt die Abstimmung von entwicklungspolitischen Zielen auf internationaler Ebene angesprochen. Wir betrachten auf internationaler Ebene eine Entwicklung, die nur scheinbar mit der Entwicklungspolitik nicht zusammenhängt. Zunehmend bilden sich in wichtigen Regionen unserer Welt größere Wirtschaftsräume und Handelsblöcke (Trend zur Regionalisierung des Welthandels), so z. B. in Afrika: SADCC, Southern African Development Coordination Conference, in Südostasien: AFTA, Regionale Freihandelszone der ASEAN-Staaten (ca. 500 Millionen), in Südamerika (insgesamt 297 Millionen Menschen): Andenpakt — Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela — und Mercuosur — Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay —, in Nordamerika (insgesamt 427 Miollionen Menschen): NAFTA ab 1994 — USA / Kanada / Mexiko. Nicht zu vergessen ist hierbei das global gesehen größte nationale Absatzgebiet nämlich China mit einer Bevölkerung von ca. 1,2 Milliarden Menschen. Ehemalige Entwicklungsländer wie z. B. Südkorea, Hongkong, Taiwan und Singapur wachsen zu vollwertigen Industrieländern heran und sind inzwischen harte Wettbewerber der „Exportnation Deutschland". Derzeitig „noch Schwellenländer" wie Thailand, Malaysia, Indonesien sowie möglicherweise in naher Zukunft auch Argentinien und Chile, werden sich bald zu sogenannten „kleinen Tigern" gemausert haben. China — wie gleichermaßen Vietnam — leiten bereits unbeirrt und sehr schnell pragmatische Wege zu einer marktwirtschaftlichen Entwicklung ein. Als „wirtschafts-politische Sphinx" in der asiatischen Region handelt Japan offensichtlich nach der Devise: „Jede Entwicklungsmark muß insbesondere die Exportbemühungen der eigenen Industrie fördern." Angesichts dieser Entwicklung sehe ich folgende Orientierungspunkte, die von der Bundesregierung zukünftig stärker zu beachten sind: 1. Die im vergangenen Jahr festgelegten verschärften Kriterien für die Vergabe von bundesdeutschen Mitteln für die Entwicklungshilfe (Einhaltung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungen, Rechtssicherheit, marktfreundliche Wirtschaftsordnung sowie Entwicklungsorientierung des staatlichen Handelns) können für einen sichtbar größeren Wirkungsgrad in der Entwicklungspolitik sorgen. Eine ständige Überprüfung der Länderquoten ist gerade auch im Hinblick auf eine politische Akzeptanz bei uns im Lande sowie angesichts der engen finanziellen Grenzen der öffentlichen Haushalte mehr als erforderlich. Zu begrüßen ist, daß der Bundesminister im Rahmen der Beratung erlärt Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 10595* hat, daß diese Vergabepraxis ihren Niederschlag bereits in der Zusammenarbeit mit einzelnen Ländern gefunden hat. So kam es zu reduzierten Ansätzen wegen mangelnder Eigenanstrengungen und mangelnder Bereitschaft zu notwendigen Strukturanpassungen z. B. in Brasilien, in der Dominikanischen Republik und in Pakistan. Umgekehrt kam es zu einer Anhebung der Quoten wegen positiver Entwicklung z. B. bei den Ländern Bolivien, Nicaragua und Sambia. Die Einhaltung bzw. Umsetzung dieser Kriterien muß konsequent fortgesetzt werden. Entwicklungshilfe kann und wird nur dann effektiv sein, wenn in den Nehmerländern selbst entsprechende Rahmenbedingungen gezielt angestrebt und auch umgesetzt werden. 2. Auf der internationalen Ebene müssen die Geberländer ihre Bemühungen eindeutig verstärken, damit die soeben erwähnten Vergabekriterien als internationaler Maßstab für Entwicklungshilfe allgemein akzeptiert und insbesondere auch von allen praktiziert werden. Folgende Arbeitsteilung wird auf Dauer nicht mehr funktionieren: Wir in Deutschland halten an den Vergabekriterien fest, da sie letztendlich die Umsetzung von Entwicklungshilfe effektiver gestalten. Ggf. reduzieren wir dann auch unsere Entwicklungshilfe auf Kernbereiche, wie z. B. die Aus- und Fortbildung, oder — um in einem Bild zu bleiben — auf die sogenannte „Software" der Entwicklungshilfe. Andere Länder wiederum, wie z. B. Japan, gehen großzügiger mit den Vergabekriterien um, da sie mehr daran interessiert sind, die eigene Industrie bei der Erschließung von Zukunftsmärkten zu unterstützen, z. B. durch die Finanzierung von Großprojekten im Verkehrsbereich; am besten dann noch finanziert über eine internationale Entwicklungsbank; um wieder im Bild zu bleiben: sie konzentrieren sich auf die sogenannte „Hardware". Eine derartige internationale Arbeitsteilung — oder etwas humorvoll ausgedrückt: „burden sharing à la Entwicklungshilfe" hat dann folgende Konsequenz: Wir bilden die Mechaniker aus, damit diese anschließend auch die Toyotas entsprechend warten können, die dann auf den von Südkorea gebauten Straßen fahren können. Eine derartige internationale Aufgabenteilung werden wir nicht weiter tolerieren. Wir müssen bei den internationalen Partnern nachhaltig um Verständnis werben, daß die globalen Probleme auch ein globales abgestimmtes Vorgehen und keine Verfolgung von Partikulärinteressen erfordern. 3. Diese Diskussion zeigt allerdings auch, daß wir in Zukunft zu einer engeren Verzahnung von Entwicklungs-, Wirtschafts- und Außenpolitik kommen müssen. Die Eigenständigkeit eines eigenen Ministeriums für die wirtschaftliche Zusammenarbeit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bestens bewährt. Dies muß auch von den anderen Ressorts so akzeptiert werden. Unterschwellige bis offene interministerielle Eifersüchteleien, die so manches Mal zutage treten, müssen angesichts der großen Probleme zukünftig vermieden werden. Es geht letztendlich um unsere Gesamtverantwortung, der man am besten durch gemeinsames Handeln national wie international gerecht wird. Werner Zywietz (F.D.P.): Die diesjährige Haushaltsdebatte findet in einer Phase konjunktureller Abschwächung statt, die nicht nur Bereitschaft zur Ausgabenbegrenzung in allen Politikbereichen verlangt, sondern in der die Bundesrepublik Deutschland insgesamt vor außergewöhnlichen Herausforderungen steht. Die gewaltigen Erblasten von über 40 Jahren sozialistischer Mißwirtschaft müssen beseitigt, der Infrastrukturausbau und die wirtschaftliche Erneuerung in den östlichen Bundesländern im Interesse einer Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zügig fortgesetzt werden. Gleichzeitig geht es um die Bewältigung der ausufernden Asyl- und Flüchtlingsproblematik und die Wahrnehmung unserer internationalen Verantwortung bei der Lösung regionaler Konflikte, zur Unterstützung des Reformprozesses in Osteuropa und der GUS sowie zur weltweiten Überwindung von Hunger und Armut. Dies erfordert Augenmaß und eine Politik, die klare Prioritäten setzt. Erste Priorität muß in dieser Situation der Bewältigung unserer Aufgaben auf nationaler Ebene zukommen. Damit schaffen wir gleichzeitig die nötigen Voraussetzungen, um in Zukunft noch größere Leistungen im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen erbringen zu können. Der Etat des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit für das Haushaltsjahr 1993 ist ein Beleg dafür, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen zu ihrer Verantwortung stehen, durch eine qualitativ und quantitativ verbesserte Entwicklungszusammenarbeit zur Lösung globaler Umwelt- und Entwicklungsprobleme beizutragen. In einer Zeit größter finanzpolitischer Herausforderungen ist das Ausgabevolumen dieses Etats nicht etwa gesunken, wie es von Pessimisten und Kritikern bereits vorausgesagt wurde, sondern weiter erhöht worden. Mit einem Plafond von 8,457 Milliarden DM steigt der Einzelplan 23 gegenüber dem Vorjahr um 2,2 %. Damit werden die finanziellen Voraussetzungen für eine Fortsetzung unserer langfristig angelegten Entwicklungszusammenarbeit geschaffen. So wichtig eine weitere Erhöhung der Mittel für eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit auch ist, ohne strukturelle Reformen und Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer selbst werden alle Bemühungen der Unterstützung von außen vergeblich sein. Die Nord-Süd-Beziehungen sind heute duch das gemeinsame Bekenntnis zu Marktwirtschaft und guter Regierungsführung geprägt. Eigenanstrengungen und marktwirtschaftliche Reformen in einer Reihe von Entwicklungsländern zeigen erste Erfolge. Wirtschaftliche Fortschritte konnten inzwischen vor allem asiatische und lateinamerikanische Länder erzielen. Der dort festzustellende Anstieg der Direktinvestitionen und der starke Rückfluß von Fluchtkapital sind ein deutliches Indiz dafür, daß die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Mobilisierung privaten Kapitals, wirtschaftliche Gesundung und die Überwindung der Verschuldungsprobleme unverzichtbar sind. Funktionierende Märkte und Freiräume für private unternehmerische Initiative sind damit der entscheidende Ansatzpunkt auch für die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den Entwicklungsländern. Auf diese Weise wird zugleich ein nachhaltiger Beitrag zur Armutsbekämpfung geleistet. Das Konzept der deutschen Entwick- 10596* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 lungszusammenarbeit mißt der Schaffung solcher Rahmenbedingungen, der Privatinitiative und der Förderung eines privaten Unternehmertums große Bedeutung bei. Im Haushalt 1993 sehen die entsprechenden Ausgabetitel hierfür deutliche Steigerungen vor. Ein besonderes Signal für den Ausbau der privatwirtschaftlichen Zusammenarbeit wurde mit der im Zuge der parlamentarischen Beratungen vorgenommenen Bereitstellung einer Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 200 Millionen DM für die Kapitalerhöhung der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG) gesetzt. Hierdurch wird nicht nur eine Förderung von Vorhaben im privaten Sektor ausgeweitet, sondern auch die Grundlage für eine zusätzliche Mobilisierung privaten Kapitals geschaffen. Die Übernahme globaler Verantwortung darf sich allerdings nicht nur auf eine qualitativ und quantitativ verbesserte Entwicklungszusammenarbeit beschränken. Durch eine verantwortungsbewußte und glaubwürdige eigene Wirtschafts- und Finanzpolitik müssen die Industriestaaten gleichzeitig ihrer Mitverantwortung für stabile weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen gerecht werden. Die konsequente Fortsetzung der auf wirtschaftliches Wachstum und finanzpolitische Stabilität gerichteten Politik dieser Regierungskoalition verdient daher auch unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten nachdrückliche Unterstützung. Angesichts der vor uns liegenden enormen Herausforderungen bedeutet dies weitere Einsparungen in allen öffentlichen Haushalten, Subventionsabbau und eine Lohnpolitik, die den Prozeß der Strukturanpassung und der Schaffung von günstigen Bedingungen für Investitionen, Wachstum und Beschäftigung nicht behindert. Das heißt allerdings auch, daß nunmehr die Chancen für einen erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Verhandlungsrunde des GATT entschlossen genutzt werden müssen. Der inzwischen mit den USA im Agrarbereich erzielte Kompromiß ist akzeptabel und vernünftig. Damit ist der Weg freigeworden für eine Gesamteinigung im Rahmen der GATT-Verhandlungen. Der in greifbare Nähe gerückte Erfolg der Uruguay-Runde darf nicht durch Partikularinteressen gefährdet werden. Ein solcher Erfolg wäre ein wichtiger Wachstumsimpuls in einer Phase geschwächter weltwirtschaftlicher Entwicklung und liegt in unserem ureigenen Interesse. Er ist aber auch von besonderer Bedeutung für die Entwicklungsländer. Fortschritte bei der weltweiten Handelsliberalisierung und ein verbesserter Marktzugang bedeuten für die Entwicklungsländer Deviseneinnahmen und ermöglichen ihnen, industrielle Produkte und Dienstleistungen anderer Welthandelspartner zu kaufen. Eine weitere Liberalisierung des Welthandels fördert nicht nur die Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft, sondern schafft zugleich auch günstige Voraussetzungen für die Effizienz und Wirksamkeit unserer Entwicklungszusammenarbeit. Freier Welthandel und umfassende wirtschaftliche Zusammenarbeit müssen zu den tragenden Säulen globaler Entwicklungspartnerschaft gemacht werden. Aufgabe der Entwicklungspolitik ist es, ihren Beitrag zu einer solchen Strategie der Zukunftssicherung zu leisten. Der Aufbau demokratischer und marktwirtschaftlicher Strukturen, die Bekämpfung der Armut und ihrer Ursachen sowie die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen müssen daher zentrale Ziele künftiger Entwicklungszusammenarbeit sein. Ich begrüße, daß die Bundesregierung diesen Erfordernissen Rechnung trägt und die wichtigsten Handlungsfelder des beim Rio-Gipfel verabschiedeten Aktionsprogramms „Agenda 21" zu Schwerpunkten deutscher Entwicklungszusammenarbeit gemacht hat. Zu dieser konsequenten und sachgerechten Politik gibt es keine Alternative. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion stimmt dem heute zur Beratung vorliegenden Einzelplan 23 zu. Wir erwarten, daß die dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit für das Haushaltsjahr 1993 bereitgestellten Mittel und Verpflichtungsermächtigungen zur Lösung der anstehenden entwicklungspolitischen Aufgaben eingesetzt werden. Hierbei haben Sie, Herr Minister Spranger, und die Mitarbeiter Ihres Hauses unsere volle Unterstützung. Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): In der ersten Lesung des Haushaltsgesetzes am 9. September habe ich den Entwurf des Einzelplanes 23 als quantitativ und qualitativ unzureichend und nicht den Erfordernissen der Zeit angemessen bezeichnet. Heute sprechen wir über einen qualitativ unwesentlich veränderten und um 62 Millionen DM gekürzten Etat. An meiner Einschätzung und daraus folgenden Ablehnung des vorliegenden Haushaltsplanes des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat sich verständlicherweise nichts geändert. Was während der ersten Lesung des Haushaltes von Herrn Minister Spranger noch als leiser Zweifel angedeutet wurde, ist inzwischen auch mit den raffiniertesten Rechentricks nicht mehr zu verschleiern: Die Mittelausstattung des BMZ wird mit den gewachsenen und weiter wachsenden Herausforderungen nicht Schritt halten können. Die Reaktion des Hauses Spranger ist symptomatisch: Der Minister selbst tritt die Flucht nach vorn an und verteidigt (wider besseres Wissen?) das Ergebnis der Haushaltsberatungen als das Optimum dessen, was heute möglich war. Noch einen Schritt weiter geht Frau Geiger mit ihrem Versuch, dieses blamable Ergebnis der Haushaltsberatungen zu beschönigen. Ich frage mich wirklich, welchen Nutzen es hat, über eine Anrechnung der Aufwendung für Asylbewerber in der Bundesrepublik auf die Entwicklungshilfe für die Herkunftsländer auch nur laut nachzudenken. Es ist in der letzten Zeit schon zu viel und unverantwortlich in der Asylfrage argumentiert und propagiert worden. Muß da auch die Menschenrechtsbeauftragte des BMZ ihr Scherflein beitragen, indem sie durch unzulässige, aber eingängige Zahlenspielereien deutsches Selbstwertgefühl steigert frei nach dem Motto: Seht her, was wir leisten? Den Opfern der nach wie vor und auch perspektivisch ungerechten Weltwirtschaftsordnung nützt das herzlich wenig. Um Mißdeutungen vorzubeugen: Schwerpunkt unserer Kritik und Ablehnung des vorliegenden Haushaltsentwurfes ist nicht vorrangig die Quantität Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 10597* der bereitzustellenden Mittel, auch nicht die Tatsache, daß das zu kurze Hemd jetzt kaum noch bis unter die Achseln reicht. Wir kritisieren in erster Linie die Disproportionen innerhalb des Gesamthaushaltes, in dem Entwicklungszusammenarbeit marginalisiert und neben Wirtschafts- und Außenpolitik zur Bedeutungslosigleit verdammt wird. Oder, mit anderen Worten, was Herr Minister Spranger mühsam aufbaut, reißen Herr Möllemann und Herr Kinkel in der Regel wieder ein. Die Weigerung, bei Hermes-Bürgschaften auch entwicklungspolitische Kriterien anzulegen, illustriert diesen Vorgang anschaulich. Welchen Wert haben Vergabekriterien, Schwerpunktverschiebungen innerhalb des Entwicklungsressorts, wie sie von Herrn Minister Spranger im September in seiner Nachfrage an den Kollegen Hauchler nahezu erbittert aufgezählt wurden, wenn es nur ausreichend gewichtiger wirtschaftlicher oder geostrategischer Gründe bedarf, um sie vom Tisch zu kehren? Es ist, als ob es Rio nie gegeben hätte. Außer Beteuerungen, Versprechen und großen Gesten geschieht nichts, was die brennenden globalen Probleme einer Lösung auch nur näherbringt. 0,37 Prozent des Bruttosozialproduktes für eine immer größer werdende Gruppe von Entwicklungsländern, davon ein beträchtlicher Anteil für Großprojekte und Großabnehmer — es ist wirklich zum Verzweifeln. Solange der Teufelskreis von Abhängigkeit, Verschuldung, Armut, Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung nicht durch radikale Entschuldung und gleichzeitige Umgestaltung der weltwirtschaftlichen Strukturen nachhaltig durchbrochen wird, kann von einer Bewältigung der existentiellen Probleme der Einen Welt keine Rede sein. Im Entwurf des Gesamthaushaltes deutet nichts darauf hin, daß die Bundesregierung verstanden hätte, wie ernst die Lage bereits ist. In unser aller Interesse bleibt zu hoffen, daß sich in der Kosten-Nutzen-Rechnung der verantwortlichen Politiker die von ihnen praktizierte Schadensbegrenzung bald als wirtschaftlich unvorteilhaft erweist. Auf den gesunden Menschenverstand und die Einsicht in die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen in Nord und Süd wage ich bald nicht mehr zu hoffen. Dem Entschließungsantrag der SPD zur Steigerung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des BSP bis zum Jahr 2000 stimme ich zu. Zwar ist das Problem der bundesdeutschen Entwicklungspolitik nicht nur die Quantität der bereitgestellten Mittel, aber eine Steigerung des BMZ-Haushaltes um 2 Milliarden im Jahre 1993 wäre zumindest ein Signal, daß die Bundesregierung die Zeichen der Zeit erkannt hat. Konrad Weiß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bereits der Entwurf des Einzelplans 23 signalisierte schwerwiegende Kürzungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, die, bei allem Verständnis für die angespannte Haushaltslage, für Entwicklungspolitiker kaum zu akzeptieren waren. Die jetzt zur Debatte stehenden Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses sind erst recht kritikwürdig. Er stößt nicht nur eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern vor den Kopf, denen Bundesminister Spranger in seiner Rede zur ersten Lesung des Haushalts ausdrücklich für „ihren großen Einsatz, sich mit viel Idealismus und Zuversicht für die Bekämpfung des Elends in der Welt einzusetzen" dankt, sondern auch die Mitglieder des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit müssen sich düpiert fühlen. Die Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses lassen jedenfalls nicht den Schluß zu, daß die Kompetenz und der Sachverstand des für die Entwicklungspolitik zuständigen Ausschusses in irgendeiner Weise an entscheidender Stelle berücksichtigt worden sind. Vorgeschlagene Titelerhöhungen wurden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, abgelehnt, oder aber die finanziellen Mittel der betreffenden Titel wurden sogar noch gekürzt. Damit werden entwicklungspolitische Beschlüsse des Fachausschusses über Bord geworfen. Der Frauenförderung in der Entwicklungszusammenarbeit wird nach unserer Auffassung nach wie vor zu wenig Beachtung geschenkt. Eine Erhöhung für den Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen ließ sich, trotz Unterstützung von einigen Kolleginnen und Kollegen der Koalition, nicht durchsetzen. Die Konferenz in Rio hat erneut und nachdrücklich deutlich gemacht, daß für eine weltweite umweltverträgliche und soziale Entwicklung eine Umgestaltung der Lebensverhältnisse auch im Norden notwendig ist. Die Signale, die hierfür von diesem Haushalt ausgehen, sind nicht deutlich genug. Die zunehmende Ausländerfeindlichkeit in Deutschland und die Ausschreitungen gegen Ausländer haben die besondere Bedeutung einer entwicklungspolitischen Öffentlichkeitsarbeit dringend deutlich gemacht. Deshalb ist gerade die Kürzung des Titels „Förderung der entwicklungspolitischen Bildung" um 1,5 Millionen unverständlich und nicht zu akzeptieren. Der Zusammenhang ist doch deutlich: Immer häufiger wird zur Rechtfertigung des „Stiefkindes" Entwicklungspolitik die Fluchtursachenbekämpfung herangezogen. Ich frage mich, was soll Entwicklungspolitik eigentlich anderes sein. Jede Entwicklungspolitik sollte nach meinem Verständnis zu einer Verbesserung in dem betreffenden Land führen und damit helfen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Die Förderung der deutschen Wirtschaft kann immer nur ein Nebenprodukt, nie aber Hauptzweck sein. Ich denke, daß alle Entwicklungspolitiker dieses Hohen Hauses sich darin einig sind. Deshalb ist mir nicht verständlich, weshalb die vom Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorgeschlagene Ergänzung zum Titel 68606 „Förderung von Ernährungssicherungsprogrammen in Entwicklungsländern" nicht aufgenommen wurde. Sie fordert, daß die notwendige Nahrungsmittelhilfe vorrangig durch den Kauf von Überschußangeboten anderer Entwicklungsländer ermöglicht werden soll. Insgesamt wird der ohnehin knappe Etat für die Entwicklungszusammenarbeit nochmals um ca. 98 Millionen gekürzt. Allein der Titel der Finanziellen 10598* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 Zusammenarbeit wird um 75 Millionen gekürzt. Die Mittel für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Ländern Mittel- und Osteuropas und in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten werden um fast 12 Millionen gekürzt. Nach unserer Auffassung spart in diesem Falle die Bundesregierung am verkehrten Objekt. Einsparungen in der Entwicklungszusammenarbeit führen immer zu Spätfolgekosten, die um ein Vielfaches höher sind. Mehrausgaben sind für eine Reihe von Titeln insgesamt in einer Höhe von ca. 35 Millionen geplant. Nur ein Bruchteil dieser Erhöhungen basiert auf Empfehlungen des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der entwicklungspolitische Sachverstand der Haushälter läßt sich noch an anderer Stelle bezweifeln. So werden die Einnahmen aus Zinsen und Tilgungen von Darlehen der bilateralen Finanziellen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern um insgesamt 88 Millionen erhöht. Zwischen Entwurf und Beschlußempfehlung zum Haushalt liegen ein paar Monate. Ich glaube nicht, daß sich in dieser Zeit die internationale Weltwirtschaftslage so verbessert hat, daß ein derartiger hoher Anstieg der Einnahmen — bei den Zinsen sind es 25 % — zu erwarten ist, es sei denn, schon die erste Schätzung war unseriös. Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Trotz der schwierigen Finanzlage wird der Haushalt des BMZ auch 1993 gesteigert. Dies unterstreicht den hohen Stellenwert der Entwicklungspolitik in der politischen Zielsetzung der Bundesregierung. Den Mitgliedern des Haushaltsausschusses — insbesondere den Berichterstattern — und den Kollegen des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die sich für diese Steigerung eingesetzt haben, möchte ich meinen herzlichen Dank für die großartige Arbeit aussprechen. Ich werte das Ergebnis der Haushaltsberatungen auch als eine erneute Zustimmung zu unserer entwicklungspolitischen Gesamtkonzeption. Diese Gesamtkonzeption — beruhend auf transparenten Vergabekriterien, einer Konzentration der Zusammenarbeit auf Schwerpunktsektoren und spezifischen Länderkonzepten — hat national und international breite Zustimmung gefunden. Aber auch die Erwartungen an uns sind gestiegen. Vom geeinten Deutschland wird die Übernahme von mehr Verantwortung in der Welt gefordert. Gleichzeitig kommen neue Herausforderungen auf uns zu. Die Beseitigung der Hinterlassenschaft des Kommunismus im ehemaligen Ostblock fordert auch die Entwicklungspolitik. Die Zahl unserer Partnerländer ist durch den Zusammenbruch des Sowjetimperiums gestiegen, ebenso wie der Problemdruck durch Armut, Umweltzerstörung und Naturkatastrophen. Wir müssen uns diesen neuen Herausforderungen stellen. Deshalb bin ich froh über den — wenn auch bescheidenen — Zuwachs unserer Haushaltsmittel, vor allem aber über wichtige strukturelle Verbesserungen, die in den Beratungen erreicht wurden. Dazu zählt insbesondere die Erhöhung des Stammkapitals der „Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft " (DEG) für zusätzliche Aufgaben beim Aufbau der Wirtschaft in Mittel- und Osteuropa und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Die Staaten im Osten brauchen die marktwirtschaftlichen Erfahrungen der DEG bei der Transformation ihrer Wirtschaften. Die Förderung der Privatwirtschaft als wesentlicher Bestandteil deutscher Entwicklungspolitik erhält damit zusätzliches Gewicht. Ludwig Erhards Modell einer „sozialen Marktwirtschaft" ist gerade in Osteuropa zum Leitbild geworden. Dieses Leitbild schafft die Basis für westliches Kapital und entsandte Experten. Neben der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit hat die multilaterale Kooperation wachsende Bedeutung. Für globale Aufgaben sind multilaterale Institutionen besser geeignet. Maßnahmen des Klimaschutzes, der Meeresverschmutzung und zur Bekämpfung von AIDS können sinnvoll nur weltweit angegangen werden und überfordern auch die Leistungsfähigkeit einzelner Geber. Bei der Bevölkerungspolitik, bei Strukturanpassungsprogrammen und bei der Bewältigung der Schuldenkrise ist multilaterale Zusammenarbeit ebenfalls unverzichtbar. Die gezielten Aufstockungen im multilateralen Bereich, die uns erlauben, die Ergebnisse der Rio-Konferenz im Rahmen des finanziell Möglichen umzusetzen, sind deshalb zu begrüßen. Umgekehrt gilt aber auch: Multilaterale Entwicklungshilfe darf nicht unbegrenzt zu Lasten unserer bilateralen Zusammenarbeit ausgeweitet werden. Ich werde deshalb darauf achten, die gegenwärtige Relation zwischen bilateralen und multilateralen Ausgaben zu halten. Auch in der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit müssen Effizienz und Wirksamkeit im Vordergrund stehen. So wie wir mit der Einführung unserer Vergabekriterien eine Qualitätssteigerung unserer bilateralen Hilfe eingeleitet haben, müssen wir auch international einen höheren Effizienzstandard erreichen. Wir werden daher die strikte Anwendung unserer — von der EG-Kommission weitgehend übernommenen — Vergabekriterien fordern und überprüfen. Die parlamentarischen Beratungen zum Haushalt 1993 haben die wichtige Stellung des BMZ bei den Hilfen für Mittel- und Osteuropa und die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten erneut bekräftigt. Dies ist um so wichtiger, als die OECD gerade fünf asiatische GUS-Staaten (Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgistan) offiziell als Entwicklungsländer anerkannt hat. Weitere GUS- und MOE-Länder werden bald folgen. Die Ausweisung der bilateralen Beratungsmaßnahmen in einem eigenen Titel stellt sicher, daß diese Hilfen zusätzlich und nicht auf Kosten der klassischen Entwicklungsländer erfolgen. An diesem Grundsatz, über den es einen breiten Konsens in diesem Hause gibt, will ich konsequent festhalten. Meine Damen und Herren, bei all diesen positiven Entwicklungen im Einzelplan 23 läßt sich nicht verhehlen, daß die Steigerungsrate hinter dem zurück- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 10599 * bleibt, was eigentlich erforderlich wäre und auch international von uns erwartet wird. Der Zuwachs ist gemessen an den neuen Aufgaben und an der gestiegenen Anzahl der Entwicklungsländer gering. Doch um nicht mißverstanden zu werden, sage ich: Mir geht es dabei nicht um ein schlichtes Ressortinteresse. Mein Anliegen ist es, daß Deutschland seine Verpflichtungen gegenüber den Partnern in der Welt erfüllen kann und angesichts der Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, auch erfüllen muß. Genauso wie wir die innere Einheit Deutschlands ohne finanzielle Opfer nicht vollenden können, müssen wir unserer gewachsenen Verantwortung für Frieden und Humanität in der Welt durch eine Steigerung der Hilfe für die ärmeren Lander gerecht werden. Natürlich ist die beschränkte Steigerung des BMZ-Haushalts eine Folge der Beseitigung der verheerenden sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Erblasten des kommunistischen Systems der ehemaligen DDR. Aber der massenhafte Zustrom von Asylbewerbern, von Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen ist eine vielleicht letzte Mahnung, bei der Bewältigung unserer inneren Probleme den weltweiten Teufelskreis von Unterentwicklung, Armut, Flüchtlingsströmen und Umweltzerstörung nicht aus dem Auge zu verlieren. Diese Probleme wachsen ständig. Dazu kommen die zusätzlichen Aufgaben in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und in Osteuropa. Entwicklungszusammenarbeit ist deshalb auch eine Investition in unsere eigene Zukunft. Wenn die Probleme in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa nicht vor Ort gelöst werden, dann werden wir sie bald innerhalb unserer Grenzen haben. Und dann wird ihre Lösung um vieles teurer, von den psychologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen in unserem Land ganz zu schweigen. Nichts verdeutlicht diese Zwangsläufigkeit klarer als das Asylthema. Wieviel sinnvoller könnten die Milliarden, die wir in Deutschland für Wirtschaftsflüchtlinge ausgeben, zur Bekämpfung der Fluchtursachen eingesetzt werden! Wieviel könnte gespart werden, wenn Flüchtlinge in ihren Heimatländern blieben und ihre Kraft und Fähigkeiten zum Aufbau ihres Landes einsetzen würden! Entwicklungszusammenarbeit verringert Fluchtursachen, sie kann jedoch nicht — das möchte ich noch einmal ausdrücklich klarstellen — das ausbügeln, was innenpolitisch zu regeln ist: Dem Massenmißbrauch des Asylrechts endlich einen Riegel vorschieben. Nach 10jähriger Diskussion und steigenden Asylbewerberzahlen hat ja offenbar auch die SPD einen Handlungsbedarf erkannt. Entwicklungspolitik greift unsere eigenen Zukunftsinteressen auf — daher darf sie bei finanziellen Einsparungen nicht pauschal gekürzt werden! Dies gilt auch für scheinbar Nebensächliches: Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wird den Herausforderungen nur gerecht werden können, wenn sich das Mißverhältnis zwischen den ständig zunehmenden Aufgaben und der administrativen Ausstattung des Ministeriums nicht noch weiter verschärft. Die ehemalige DDR hat uns Projekte in etlichen früheren „sozialistischen Bruderländern" hinterlassen. Der Zerfall der Sowjetunion und die Entwicklung auf dem Balkan haben voraussichtlich das Entstehen von über einem Dutzend neuer Entwicklungsländer zur Folge. Wir haben schon jetzt weit über 100 Partnerländer in der Welt. Die Rio-Konferenz hat verdeutlicht, welche neuen sektoralen Anforderungen auf uns zukommen. Mit diesem Aufgabenzuwachs hat die Personalentwicklung im BMZ alles andere als Schritt gehalten. Ich bin jedoch dankbar, daß der Haushaltsausschuß dieses Problem auf gegriffen hat und bin zuversichtlich, daß bald auch Lösungen gefunden werden. Meine Damen und Herren, die weltpolitischen Umwälzungen in den letzten drei Jahren haben dramatische Entwicklungen ausgelöst. Wir dürfen uns bei aller Konzentration auf die Auswirkungen in unserem Land nicht davor verschließen, daß in vielen Entwicklungsländern und jetzt auch im Osten Elend und Not herrschen. Wir dürfen die Relationen nicht aus den Augen verlieren: Während bei uns um Erhalt oder Ausbau des Wohlstandes gestritten wird, geht es in Afrika und weiten Teilen Asiens um Leben oder Tod. Diese Erkenntnis verpflichtet uns, unsere Entwicklungszusammenarbeit weiter zu verbessern, trotz oder gerade auch wegen der schwierigen Finanzlage. Es kann nicht sein, daß ein kleiner Teil der Menschheit immer besser lebt und der Großteil immer schlechter. Je konsequenter wir diese Erkenntnis in praktisches Handeln umsetzen, desto sicherer wird die Zukunft für alle auf diesem Planeten sein. Ich werde nicht nachlassen, dafür einzutreten und hoffe auf die Unterstützung dieses Hauses. Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Der Einzelplan 23 legt die Heuchelei in der Politik dieser Bundesregierung offen. Da wird die Asyldebatte vom Zaun gebrochen. Eine Welle rassistischer Gewaltkriminalität entwickelt sich, weil die alte/neue deutsche Rechte mit pogromartigen Ausschreitungen reagiert. Die Bundesregierung antwortet, in dem sie den Opfern, Flüchtlingen aus der „Dritten Welt" und aus Ost- und Südosteuropa, die Schuld anheftet. Wenn es dagegen um die Bekämpfung der Fluchtursachen geht, zieht die Bundesregierung sich zurück. Nicht nur, daß die reiche Bundesrepublik noch nie die UN-Norm von 0,7 % des Bruttosozialprodukts erfüllt hat. Die derzeitige Bundesregierung kürzt die viel zu geringe Entwicklungshilfe im Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit noch weiter. Schon im Haushalt für 1992 sank die Entwicklungshilfe real ab, in diesem Haushalt für 1993 sinkt sie real noch weiter. Die UN-Norm wird sogar nur noch zur Hälfte erfüllt. Das ist ein politischer Skandal aller erster Ordnung. Ich habe daher in einem Gruppenantragsentwurf vorgeschlagen, den Entwicklungshilfeetat durch Umlenkung von Mitteln aus dem Rüstungsetat auf die Höhe der UN-Norm aufzustocken. Das Echo war außerordentlich gering. Aber wir bleiben am Ball und werden Ihnen für die nächste Haushaltsrunde erneut 10600* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 einen entsprechenden Antrag mit entsprechend veränderten Zahlen unterbreiten. Doch die direkte Entwicklungshilfe ist wichtig, ihre erhebliche Ausweitung unerläßlich, sie kann jedoch bei weitem nicht die Probleme der „Dritten Welt" lösen. Notwendig sind vielmehr viel umfassendere Lösungen, wie der Schuldenerlaß und die nachhaltige Verbesserung der terms of trade zugunsten der Entwicklungsländer. Doch auch hier sperrt sich bekanntlich die Bundesregierung. Ich möchte aber noch einen Schritt weitergehen und aufzeigen, daß selbst der Schuldenerlaß und die Gewährleistung „gerechter" oder äquivalenter Preise, z. B. durch Rohstoffabkommen und ähnliches, die Probleme der zunehmenden Disparität zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden nicht zu lösen vermögen. In dem Maße, wie sich unsere Wirtschaftsstruktur immer stärker auf moderne, kapitalintensiv erzeugte High-Tech-Produkte hin entwickelt, müssen die Länder der Dritten Welt immer mehr von ihrer Arbeitsproduktivität und ihren natürlichen Reichtümern — verbunden auch mit eskalierenden ökologischen Schäden — beim Tausch gegen unsere High-TechProdukte liefern. Mit den Preisen für diese HighTech-Produkte und dabei wieder gerade für die zur Behauptung in der Weltmarktkonkurrenz notwendigen Investitionsgüter müssen die Entwicklungsländer nämlich Zinsen, Abschreibungen, Wagnisse und anderes auf das riesige und gerade mit neuen Technologien bei uns rasant weiter wachsende industrielle und sonstige Anlagevermögen zahlen. Diese Zinsen tauchen in keiner Verschuldungsstatistik auf. Sie fallen auch an, wenn die Entwicklungsländer, ohne Kredite aufzunehmen, zahlen können. Mit anderen Worten: Nach einem Schuldenerlaß und auch bei Schaffung gerechter Austauschrelationen auf dem Weltmarkt werden die Entwicklungsländer durch diese verdeckten Zinszahlungen in eine neue Verschuldenskrise getrieben. Die Lösung der Probleme der Entwicklungsländer, die Beseitigung eines Großteils der Ursachen für die Flucht von Menschen aus dem armen Süden in den reichen Norden sind sehr viel komplizierter. Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung muß auch eine in weiten Bereichen alternative Weltwirtschaftsordnung sein, die auch die Entwicklung angepaßter Technologien und angepaßter Infrastrukturen zur Lieferung an die „Dritte Welt" umfaßt. Dieser mit geradezu mathematischer Präzision verfolgbare Zusammenhang wird in der Entwicklungshilfe dieser Bundesregierung überhaupt nicht berücksichtigt, vermutlich gar nicht gesehen. Die Entwicklungspolitik dieser Bundesregierung verstärkt die Zwangsläufigkeit zunehmender Disparität zu Lasten der Entwicklungsländer sogar mit vielen Maßnahmen noch zusätzlich. Nur eine wirklich alternative Entwicklungspolitik, die wesentliche Strukturkonstanten der modernen kapitalistischen Produktionsweise, darunter gerade auch die ökologisch destruktiven Strukturkonstanten dieser Produktionsweise in Frage stellt, kann Lösungen für den Nord-Süd-Konflikt beisteuern. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu den Tagesordnungspunkten III 21 — Einzelplan 06, Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern —, III 22 — Einzelplan 33, Versorgung —, III 23 — Einzelplan 36, Zivile Verteidigung — *) Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir wissen nicht, ob der vorgesehene Haushalt Makulatur sein wird, bevor die darin anvisierten Zielsetzungen realisiert werden. Denn schon wird ein Nachtragshaushalt vorbereitet, der alles wieder in Frage stellen soll. Aber was noch wichtiger ist: wenn wir uns die brennenden innenpolitischen Probleme der heutigen Zeit ansehen, frage ich mich, welchen Beitrag eigentlich Bundesregierung und Bundestag dazu mit dem jetzt zur Verabschiedung anstehenden Haushalt leisten wollen. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Großzügig bekommt der Bundesgrenzschutz seine erste im letzten Haushalt um 30 % erhöhte Ausstattung nun mit der Rekordhöhe von über 2 Milliarden DM garantiert. Ich frage mich, wie man das beim Wegfall der innereuropäischen Grenzen auf Dauer rechtfertigen will. Und warum werden die beim BKA umfangreich aufgebauten Potentiale zur Bekämpfung des Linksterrorismus nicht endlich abgebaut, wo doch klar ist, daß dieses Phänomen in der Bundesrepublik der Vergangenheit angehört? Sollten wir nicht statt dessen fordern, daß der wissenschaftliche Apparat des BKA sich vermehrt etwa um den Einfluß rechtsextremistischer Einflüsse und Beteiligung an Gewaltakten aus dem Ausland kümmert, wie es seine Aufgabe wäre? Oder daß der wissenschaftliche Apparat sich vermehrt um die gesellschaftlich-politische Prävention des Rechtsextremismus kümmert, so wie er sich etwa um das Thema sexuelle Gewalttaten gekümmert hat? Oder scheut etwa die Bundesregierung erwartbare Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung, die ihr die eigenen Sünden um die Ohren hauen könnten? Unverantwortlich finde ich es auch, wenn entgegen allen Ankündigungen über notwendige Sparmaßnahmen im Haushalt der Geheimdienste z. B. die Sachkosten des Bundesamtes für den Verfassungsschutz nicht etwa drastisch gesenkt werden, sondern noch immer stolze 232,816 Millionen DM betragen, von den Personalkosten einmal ganz zu schweigen. Dies korrespondiert mit den im Haushalt des Bundeskanzlers vorgesehenen Erhöhungen der sächlichen Verwaltungskosten für den Bundesnachrichtendienst auf die Rekordhöhe von 242,1 Millionen DM. Hierzu paßt es, daß der Verfassungsschutz für sogenannte Maßnahmen der politischen Bildung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus eine Etaterhöhung zugeschanzt bekommt, während der Etat für entsprechende Maßnahmen der Bundeszentrale für politische Bildung eingefroren oder gekürzt werden soll. Mickrige 400 000 DM wird die Bundeszentrale z. B. für Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus und anderer Vorurteile bekommen! Ich sage das angesichts der Tatsache, daß der Verfassungsschutz in den letzten Jahren bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus vollkommen versagt hat. Wer wie wir der *) Vgl. Seite 10575D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 10601* Auffassung ist, daß die Geheimdienste nachweislich eher Schaden anrichten als nutzen, kann den Etatposten für die Nachrichtendienste, die mittlerweile mit Personalkostenanteil die Milliardengrenze weit überschritten haben, unmöglich zustimmen. Fast 60 Millionen DM ist der Bundesregierung auch der Jahresetat des umstrittenen Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik wert, dessen Mitarbeiter sich überwiegend aus den Nachrichtendiensten rekrutieren. Umfassend sind wir bereits bei den letzten Haushaltsberatungen auf die nach unserer Auffassung völlig überflüssigen Mittelzuweisungen im Rahmen des Einzelplanes 36 für zivile Verteidigungsmaßnahmen eingegangen. Hier hat es zwar Mittelumschichtungen und geringfügige Kürzungen gegeben, im Kern aber hat sich nichts geändert. Auch die weitere Privilegierung des Technischen Hilfswerkes ist unerträglich. Wofür brauchen wir in Mitteleuropa nach Überwindung des Ost-West-Gegensatzes weiterhin einen zivilen Bunkerbau oder den Neubau von Lagern des technischen Hilfswerkes? Wir sagen: Katastrophenschutz ja, aber zivilmilitärische Ausgaben für den Verteidigungsfall nein! Hier unterstütze ich auch den Streichungsantrag der PDS zu diesem Haushaltsansatz. Noch lange nicht ausgelotet sind umfangreiche Sparpotentiale, die sich seit den Zeiten des Revanchismus umfangreicher sogenannter Kulturförderung erfreuen können, etwa die Bismarck-Stiftung und politisch recht zweifelhafte Maßnahmen der Vertriebenenverbände, die weniger etwas mit Kultur als mit großdeutschen Phantasien zu tun haben. Es wird also viel Geld für zweifelhafte Aktivitäten ausgegeben, während dort, wo es notwendig ist, unverantwortlich gespart wird. Es ist das Elend dieser Politik, daß sie mit ordnungspolitischen Maßnahmen und Zugriffen der Sicherheitsbehörden das versucht wettzumachen, was sie wirtschaftspolitisch, sozialpolitisch und jugendpolitisch nicht nur versäumt hat, sondern geradezu anrichtet. Wenn 90 % aller Jugendclubs und ähnlicher Einrichtungen in Ostdeutschland, die vormals bestanden, nunmehr geschlossen sind, wenn das Jahresbudget des Ministeriums für Frauen und Jugend noch gerade 5,5 % des Budgets des Verteidigungshaushaltes ausmacht, wenn die Arbeitsförderungsmaßnahmen nach dem AFG so drastisch gekürzt werden wie in der AFG-Novelle, wen wundern da noch die Anstiege des Drogenkonsums, der Kleinkriminalität, der Gewalt unter Jugendlichen und — leider auch — die Suche nach Sündenböcken für diese Misere? Und diese Sündenböcke werden dann auch noch nach ideologischer Steilvorlage der Bundesregierung bei Asylbewerbern, hier lebenden Ausländern oder Minderheiten gesucht. Wichtiger scheint es Koalition und Bundesregierung wohl zu sein, 16 Millionen DM im Zusammenhang mit der sogenannten „Rückführung" von Flüchtlingen etwa nach Rumänien bereitzustellen — eine überaus bedenkliche Aktion! Das Kernproblem der Innen- und Rechtspolitik dieser Regierung und der Koalitionsfraktionen ist für mich aber nicht, wofür mit diesem Haushalt insgesamt Geld ausgegeben wird oder nicht, sondern welche politischen Probleme vernachlässigt oder umgekehrt geradezu geschaffen und dramatisiert werden. Hier ist als herausragende Frage der Umgang mit der Asylproblematik zu nennen. Mehr als einmal haben wir die Mitverantwortung der Politik als Biedermann und Brandstifter angeklagt, leider vergeblich. Völkische und ethnische Argumente werden instrumentalisiert, um wahltaktische Vorteile zu erlangen. Die Debatte um das Grundrecht auf Asyl, die eine Lösung der Probleme auch nicht ansatzweise erkennen läßt, hat in verantwortungsloser Weise davon abgelenkt, daß es urn die rationale Behandlung von Problemen geht. Vertuscht werden sollen mit dem öffentlichen Zulassen von Sündenböcken jahrelange Versäumnisse der Bundesregierung etwa im Bereich der Wohnungspolitik, als wäre es die Schuld von Asylbewerbern oder Aussiedlern, daß die Bundesregierung im sozialen Wohnungsbau einen Kahlschlag angerichtet hat. Der Rechtsextremismus ist, außer für den gar nicht so kompetenten Verfassungsschutz, eigentlich gar kein wirkliches Thema für diese Regierung, sondern nur, wenn er zu strafrechtlich zu ahndenden Gewaltakten führt, und insbesondere, wenn sich diese gegen die Staatsmacht selbst richten oder wenn dies zum „Ansehensverlust im Ausland" führt. Wäre es wirklich ein Thema, würde man sich mehr um die Opfer und den Opferschutz kümmern. Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate, d. h. die Angriffe, Überfälle und Mordanschläge auf Flüchtlinge und Einwanderer, sowie die Form der politischen Instrumentalisierung dieses Themas weisen auf eine neue Dimension der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland hin. Die These von einer zunehmenden „Überfremdung" und der Bundesrepublik als Magnet für alle Flüchtlinge dieser Welt wird wider alle Realitäten verbreitet. Tatsächlich finden zur Zeit aber mehr als 90 % der Flüchtlinge in den Ländern der Dritten Welt Aufnahme, dagegen nur etwa 10 % in den ungleich wohlhabenderen Ländern Nordamerikas und Europas. Dies ist eine beschämende Bilanz. Eine ganz konkrete Forderung möchte ich hier an diese Bundesregierung richten. Die vietnamesischen Vertragsarbeiter der ehemaligen DDR haben nach unserer Kenntnis umfangreiche Repressalien zu erwarten, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren. Gewähren Sie diesen Menschen ein Bleiberecht in der Bundesrepublik, um sie vor drohenden Verletzungen ihrer Menschenrechte zu schützen! Zur „inneren Sicherheit": Die Furcht vor zunehmender Kriminalität, die mit den realen Verhältnissen kaum übereinstimmt und oft aus existenzieller Verunsicherung geboren ist, darf nicht durch unverantwortliche Kampagnen weiter geschürt werden. Lückenlose Sicherheit vor Kriminalität kann es nicht geben, und größerer Schutz ist häufig nur um den Preis der Einschränkung von Freiheitsrechten zu haben. Die Balance beider Anliegen muß in einem sachlichen Diskurs entschieden werden. Angesichts begrenzter finanzieller Ressourcen zur Kriminalitätsbekämpfung muß eine Konzentration der Kräfte auf 10602* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 Abwehr von bzw. Schutz vor besonders sozialschädlichen Delikten erfolgen. Ich nenne hier nur die rechtsextremen Terrorakte. Umgekehrt bedarf es aber vor allem einer Streichung bzw. Herabstufung überkommener und verzichtbarer Straftatbestände. Ich führe nur ein zentrales Aufgabengebiet an: Sie wissen nur zu gut, daß die repressive Drogenpolitik, der die Bundesregierung anhängt, ihr Scheitern umfassend unter Beweis gestellt hat. Weder hat sie zum Rückgang des Drogenkonsums noch der Drogentoten geführt. In den USA hat der Kongreß dieser Politik unlängst eine katastrophale Bilanz attestiert. Der überwiegende Teil unserer Drogenkriminalität besteht in der Besorgung kleiner Mengen für den Eigenbedarf, ansonsten in der Beschaffungskriminalität durch Autoaufbrüche und Kleindiebstahl, um das Geld für Drogen zusammenzubekommen. Aus diesem Teufelskreis staatlicher Kriminalitätsproduktion. müssen Regierung und Koalition endlich ausbrechen. Ein erster, aber grundlegender Schritt wäre die Legalisierung weicher Drogen. Innere Sicherheit ohne Polizeistaat: Im Rahmen ihrer Zuständigkeiten soll die Bundesregierung dazu beitragen, die Voraussetzungen besonders bei ostdeutschen Strafverfolgungsbehörden/Polizei zum Schutz vor Alltagskriminalität zu verbessern, z. B. durch Überlassung von Ausstattung und durch fachliche Beratung. Das, was in letzter Zeit als Notwendigkeit zusätzlicher Gesetze öffentlichkeitswirksam verkauft wurde, wird das Gegenteil von dem hervorrufen: nicht nur bei fremdenfeindlichen oder neonazistischen Straftaten brauchen wir im Rahmen weniger neue Gesetze als die Bereitschaft, die bestehenden konsequent anzuwenden. Was nützen neue Gesetze, wenn die Polizei auch schon bei den bestehenden untätig zuguckt, wegguckt, zu spät am Tatort erscheint oder vor Gewalttätern flüchtet? Entschieden werden wir etwa die Erweiterung des Landfriedensbruchparagraphen bekämpfen, wie dies Regierung und Koalition off en-sichtlich baldigst durchziehen wollen. Nicht Einschränkungen der Grundrechte und des Demonstrationsrechts sind gefragt, sondern ihre Garantie und Ergänzung durch demokratische Beteiligungsrechte und, um es noch einmal zu sagen, ein effizienter Einsatz der Polizei dort, wo es notwendig ist zum Schutz potentieller Opfer. Der vorgelegte Haushaltsentwurf zeigt: Weiterhin wird der Ausbau eines zweifelhaften Modells der „inneren Sicherheit" betrieben. Verbaut wird damit zugleich die Alternative der sozialen Sicherheit, deren Fehlen eben erst die Ursachen für zunehmende Kriminalität und rechtsextremistisches Gedankengut z. B. unter Jugendlichen mitherbeiführt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnt diesen Haushalt ab. Angela Stachowa (PDS/Linke Liste): Die Behandlung des Einzelplanes des BMI provoziert geradezu, ein Wort zu den schrecklichen Ereignissen von Mölln und überhaupt zu den anwachsenden Ausschreitungen der vergangenen Wochen und Monate zu sagen. Es klingt beinahe wie Ironie des Schicksals, daß in den Bereich des BMI nicht nur der Kampf gegen Kriminalität, der Einsatz für die Achtung der Würde des Menschen gehören, sondern auch Fragen von Kunst und Kultur, und damit eigentlich auch die Sorge um einen kulturvollen Umgang miteinander. Die Verarmung einer Gesellschaft läßt sich nicht nur in Geld ausdrücken; sie beginnt im gesellschaftlichen Maßstab — zu Beginn oft nahezu unbemerkt — dort, wo Kultur, kulturelle Identität verloren gehen und Vandalismus an die Stelle von kulturvollem Umgang tritt. Wir sind leider gegenwärtig Zeugen eines gewaltigen Kulturverlustes, wenn solche Aktionen wie in Rostock oder Mölln oder anderswo unsere tagtäglichen Nachrichten bestimmen. Die gegenwärtig laufende Haushaltsdebatte verdeutlicht sehr drastisch, daß für das geeinte, größer gewordene Deutschland Sparen angesagt ist, aber es unsäglich viele Meinungen darüber gibt, wie und wo gespart werden soll. Kulturförderung ist zwar Ländersache, nur scheint nicht immer allen bewußt zu sein, daß mit dem Einigungsvertrag und seinem Artikel 35 der Bund Verpflichtungen eingegangen ist, die weit über das vorherige Engagement in Sachen Kunst und Kultur hinausgehen. Die Verpflichtung, alles zu tun, damit die kulturelle Substanz in den neuen Bundesländern keinen Schaden nimmt und die kulturelle Infrastruktur gefördert wird, muß schon heute als mißlungen verbucht werden. Zu viel Bewahrenswertes ist inzwischen verloren gegangen. Ich glaube, es ist nicht übertrieben, wenn einige vom Massensterben kultureller Einrichtungen sprechen. Zwei Drittel von 7 322 befragten Bürgermeistern im Osten Deutschlands schätzen das kulturelle Angebot als schlechter im Vergleich zur Zeit vor der Wende ein. Sie alle beklagen den Verlust von Jugendzentren, Kinos, Bibliotheken. Unvollständige Statistiken sagen aus, daß 40 % aller Freizeiteinrichtungen und 50 % aller Kinos in den vergangenen Jahren geschlossen wurden. Durch die Kultursparprogramme in den neuen Bundesländern droht der Zusammenbruch jahrhundertealter Kulturszenen, warnen die Theater-Intendanten der Stadt Dresden. Es ist doch wohl offensichtlich geworden, daß sich die führenden Politiker dieses Landes geirrt haben, was den Zeitraum der tatsächlichen Vereinigung betrifft. Wer diesen Irrtum zugibt, der muß auch die Vorstellungen über die Kulturförderung revidieren. Wenn Björn Engholm nach seinem Treffen mit Bundeskanzler Kohl am Montagabend im Fernsehen von „Dramatik" in der Entwicklung im Osten Deutschlands spricht, so hatte er dabei sicher nicht die Kultur im Sinn, hat aber damit die Ursachen auch für kulturelle Schwierigkeiten indirekt benannt. Experten schätzen ein, daß die Finanzkraft der neuen Bundesländer 1995 erst 30 % vergleichbarer westdeutscher Gemeinden betragen werde. Woher sollen diese denn das Geld nehmen, um überhaupt etwas für die Kultur zu tun? Es geht also meines Erachtens nicht nur darum, die Kulturförderung seitens des Bundes auch weit über das Jahr 1993 fortzusetzen, worin ich mir sicher mit vielen Kolleginnen und Kollegen einig bin, sondern schon für 1993 so zu sichern, daß weitere irreparable Schäden im Kulturbereich der neuen Bundesländer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 10603* vermieden werden. Deshalb ist für mich die Aussage in der Drucksache 12/3591 — Bericht des Haushaltsausschusses — auf Seite 20, wonach die haushaltsrechtlichen Bedingungen geschaffen wurden, „um die einigungsbedingte Kulturförderung des Bundes in den neuen Bundesländern etwa in der vorjährigen Höhe weiterzuführen", zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber eben nur ein halbherziger, der keinesfalls den Anforderungen entspricht. Dies bedeutet zwar eine Korrektur des ursprünglichen Planes, die Hilfe des Bundes auf 310 Millionen DM zurückzufahren, wird aber dennoch viele Schlösser, Theater, Museen, Künstler und Künstlergruppen nicht vor dem Ruin bewahren helfen. In Anbetracht der steigenden Kosten im Osten Deutschlands für Löhne, Mieten für Ateliers und andere Objekte, Unterhalt von Einrichtungen, im Verwaltungsbereich, praktisch für alles, was auch Kunst und Kultur betrifft, sind weitere eklatante Einbrüche in Qualität und Quantität in allen Bereichen der Kulturszene bereits vorprogrammiert. Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf wird die Kultur im Osten Deutschlands nicht gefördert, sondem maximal deren Nachlaß verwaltet. Dem kann ich so nicht zustimmen. Aber da ich auch die finanziellen Nöte dieses Haushaltes verstehe, erlaube ich mir den Gedanken zu unterbreiten, ob der in der DDR bewährte „Kulturgroschen" als Mittel zur Unterstützung von Kunst und Kultur nicht auch in der heutigen Zeit im geeinten Deutschland eine kulturfördernde Rolle spielen könnte. Dieses Geld könnte auch genutzt werden, um Freizeiteinrichtungen wieder erstehen zu lassen, die Jugendlichen helfen zu verstehen, daß Sinn und Inhalt des Lebens nicht im Randalieren auf der Straße, in Rassenhaß und Asylantenverfolgung besteht. Ursula Jelpke (PDS/Linke Liste): Allein in den letzten Tagen wurden fünf Menschen von Neofaschisten umgebracht. Die Brutalität der Taten ist erschrekkend. Es muß aber festgestellt werden, daß sich das, was sich in Mölln ereignet hat, in zig hundert Fällen genauso hätte ereignen können. Die mörderische Absicht der Neofaschisten war bei all den zig hundert Brandanschlägen vorhanden und erkennbar. Zum Glück hat hier der Zufall in vielen Fällen das Schlimmste verhindert. Nur wenige Stunden danach sprach der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz Werthebach von einer neuen Qualität fremdenfeindlicher Gewalt, dies angesichts der Tatsache, daß es bereits 17 Tote in diesem Jahr gibt, die aus rassistischen Motiven getötet worden sind. Erschreckend ist aber auch die Kaltschnäuzigkeit eines CSU-Politikers wie Huber, der nur wenige Tage nach diesen schrecklichen Ereignissen sich in das Frühstücksfernsehen setzt, und erneut damit Stimmung macht, daß dieses Land es nicht aushält, wenn Jahr für Jahr 500 000 Asylsuchende in dieses Land kommen. Huber weiß natürlich genau, daß in keinem einzigen Jahr 500 000 Asylsuchende in dieses Land gekommen sind. Er weiß auch ganz genau, daß er hier gezielt die Stimmung in diesem Land mit solchen Äußerungen anheizt. Ja, und er weiß, daß er den Brandgeruch, der durch dieses Land weht, dazu nutzt, seine politischen Ziele durchzusetzen. Aber Huber ist nicht der einzige. Man kann ihn nicht einmal als besonderen Scharfmacher bezeichnen. Er steht eher für den Durchschnittstypus christdemokratischer Politiker. Nicht umsonst muß der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Bubis, heute wiederholt in der Presse feststellen, daß die „Diskussion um die Änderung des Asylartikels im Grundgesetz die Straftäter ermuntert habe". Man muß länger darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn heute selbst der BKA-Präsident Zachert in der Zeitung „Polizei" 11/92 schreibt: „Besonders auffällig ist der quantitative Anstieg von Straftaten in den alten Bundesländern im 4. Quartal 1991. Als Auslöser dürften die Asyldebatte im Deutschen Bundestag, die Verlegung von Asylbewerbern aus Hoyerswerda und der Jahrestag der Deutschen Einheit anzusehen sein." BKA-Präsident Zachert unterstreicht damit die Kritik, die von Menschenrechtsorganisationen und Zeitungen immer wieder vorgetragen worden sind. Die politische Mitverantwortung der Bundesregierung an diesem neofaschistischen Terror und auch der Unwille von Seiten staatlicher Stellen, mit diesem Terror aufzuräumen, wird im Inland und Ausland immer besorgter zur Kenntnis genommen. Nimmt man nur einige Schlagzeilen von heute: „Antideutsche Stimmung in Griechenland" (FAZ), „Bestürzung und Ratlosigkeit in Brüssel" (FAZ), „Israels Parlament verurteilt rassistische Gewalt" (FAZ), Italien: „Der häßliche Deutsche heißt jetzt Nazi-Skin" (Kölner Stadtanzeiger), „Die Nazis steckten drei Türken in Brand! " (Hürriyet). Die Unlust, neofaschistische Straftäter zu verfolgen, oder, wie in Rostock geschehen, die Polizei vor den anrückenden Neofaschisten zurückzuziehen, hat dazu geführt, daß ausländische Mitbürger oder Juden und Roma und Sinti immer mehr den „Glauben und die Hoffnung verloren haben", daß die Bundesregierung „einen wirksamen Schutz gegen den Rechtsextremismus und seine antisemitischen Gewalttäter bieten könnte", wie es Ralph Giordano in einem Brief an den Bundeskanzler ausgedrückt hat. Daß der CDU-Generalsekretär Hintze und der Kanzleramtschef Bohl diese Kritik, aber auch die Ängste und Befürchtungen Giordanos als „unerträglich" bezeichnen, zeigt, wie arrogant und unsensibel mit der Kritik eines jüdischen Schriftstellers — einem der Überlebenden des Holocaust — umgegangen wird. Es muß hier ganz klar festgestellt werden: Einen derartigen neofaschistischen Terror gegen Flüchtlinge und Immigrantinnen, wie wir ihn derzeit in der BRD erleben, hat die Weimarer Republik nicht gekannt. Er gibt in der Tat zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß. Hinzu kommt, daß Bohl in einer Pressemitteilung „mit aller Entschiedenheit und großer Empörung" Giordanos Kritik zurückweist und die Kritik Giordanos damit widerlegen will, daß u. a. der Generalbundesanwalt im Falle der Möllner Anschläge das Verfahren an sich gezogen hat. Ja, Herr Bohl, das ist es ja gerade. Nach einer Steigerung der ausländerfeindlichen Straftaten im Jahre 1991 um 1 200 Prozent, nach allein 1 900 fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten in diesem Jahr, da hat der Generalbundesanwalt in einem Fall die Ermittlungen an sich gezogen. 10604* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 Und wer die Begründung hören mußte, wieso der Generalbundesanwalt von Stahl erst jetzt die Ermittlungen übernommen hat, der weiß, warum Ralph Giordano dem Kanzler geschrieben hat. Von Stahl begründete seine bisherige Tatenlosigkeit in Sachen neofaschistischer Terror im „heute Journal" wie folgt: „ ... Der Generalbundesanwalt kann nicht nur in Fällen ermitteln, wo es sich um eine terroristische Vereinigung handelt, sondern auch dann, wenn die Einzeltat bestimmt und geeignet ist, die Sicherheit der Bundesrepublik zu gefährden, und von besonderer Bedeutung ist. Drei Tote, mehrere Verletzte, zweimal schwere Brandstiftung und das Verhalten nach der Tat — zwei Telefonanrufe, die kurz hintereinander gekommen sind und wo die anonymen Anrufer sich mit „Heil Hitler" verabschiedet haben — lassen im Ansatz erkennen, daß es sich hier möglicherweise um neonazistische Organisationen, sprich verfassungsfeindliche Organisationen handelt oder ein verfassungsfeindlicher Hintergrund zu vermuten ist. (...) Bisher hat es sich immer — sofern die Fälle aufgeklärt werden konnten — gezeigt, daß es sich im wesentlichen um Einzeltäter, Jugendliche oder Leute gehandelt hat, die sich kurzfristig zusammengefunden haben. Außerdem hat es auch noch nicht drei Tote auf einmal gegeben. Also die besondere Bedeutung des Falles und der Hintergrund waren nicht so, daß ich meine Kompetenz angenommen habe ... " So also sieht der Wille des Generalbundesanwalts aus, gegen die Gewalt von rechts vorzugehen. Unter drei Toten wird er offenbar nicht tätig, folgt man seinem zynischen Kommentar. Und den verfassungsfeindlichen Hintergrund, wenn Personen gegen Flüchtlinge und Immigrantinnen vorgehen, erkennt er nur, wenn sie sich mit „Heil Hitler" melden. Nimmt man den Generalbundesanwalt ernst, und so ist ja auch die Praxis, dann steht schon vor der polizeilichen Ermittlungstätigkeit fest, daß jeder Brandanschlag auf eine Unterkunft von Flüchtlingen und Immigrantinnen keinen verfassungsfeindlichen Hintergrund hat. Ich will hier auch noch auf einen kleinen Ausschnitt dieser Verantwortung der Bundesregierung verweisen. Da muß der Wehrbeauftragte darauf hinweisen, daß allein 24 Bundeswehrangehörige an den rassistischen Straftaten beteiligt sind. Es mag da ein direkter Zusammenhang bestehen, daß in der BundeswehrZeitung „Information für die Truppe" rassistische Artikel abgedruckt werden. So u. a. von Clemens Range über „Perspektiven einer neuen Einwanderung", das im wesentlichen auf dem Buch „Invasion der Armen" basiert, geschrieben vom Berliner REP-Vorsitzenden (IFDT, 3/92). Diese Zustände drücken sich auch im Haushalt aus. Während alle verantwortlichen Politiker mit den angeblichen hohen Kosten für die Unterbringung und Sozialhilfe für Flüchtlinge in Deutschland Stimmung machen, muß man feststellen, dies kostet 1991 vier Milliarden DM. Der niedersächsische Minister Trittin hat in einer Landtagsdebatte angeführt, daß nach Berechnungen der Zeitschrift „Publik-Forum" der Bundesbürger und die Bundesbürgerin 1991 für die Flüchtlinge 52 DM aufzubringen hatte. Der gleiche Bundesbürger hatte aber im selben Jahr 43 DM allein zur Begleichung des Schuldendienstes für die atomare Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf gezahlt. Für die geplanten Massenabschiebungen rumänischer Flüchtlinge wurden in aller Eile 4,7 Millionen DM allein für die Flugbegleitung durch den BGS in den Innenhaushalt aufgenommen. Die Durchführung des Abkommens wird mit über 8,5 Millionen DM veranschlagt. Der BGS erhält allein 180 Millionen DM mehr in diesem Jahr. Andererseits hat man für antifaschistische Aufklärung gerade 7 Millionen DM im Haushalt des BMI vorgesehen, diese Gelder sind aber noch gesperrt. Die bundesdeutsche Industrie gibt allein für die Werbung in diesem Jahr 45 Milliarden DM aus. Allein von jeder Mark einen Pfennig wären 450 Millionen Deutsche Mark für eine antirassistische Aufklärung. Nach dem Pogrom von Rostock hat es die Bundesregierung kategorisch abgelehnt, eine Aufklärungsbroschüre über die Lage der Roma und Sinti in Osteuropa zu erstellen und zu verteilen. Zur gleichen Zeit aber produzierte das Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien eine volksverhetzende „Studie" über die Roma und Sinti, in denen es heißt: „Gelegentliche Ausschreitungen gegen Zigeuner wurden durch vorhergehende delinquente Handlungen der Zigeuner selbst provoziert". Dieses Institut erhält 8,5 Millionen DM. Auch die Vertriebenenverbände und der Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) erhalten wieder zig Millionen DM, Gruppierungen, die in erster Linie eine Völkerverständigung hintertreiben und die von Rechtsextremisten durchsetzt sind. Gerade der VDA, der für seine Arbeit in diesem Geiste mit 120 Millionen aus dem Bundeshaushalt bedient worden ist, fiel vor allem dem Bundesrechnungshof auf, weil hier Steuergelder versickerten. Der „Spiegel" 35/92 berichtet, daß aus dem BMI 1990 die Anweisung erging, „ohne das normalerweise schriftliche Antragsverfahren" dem VDA 34,6 Millionen DM zu bewilligen. Daß dies so problemlos ging, mag daran liegen, daß 1989 neben einigen Rechtsextremisten auch der Parlamentarische Staatssekretär im BMI, Waffenschmidt, in den Vorstand des VDA gewählt worden ist. Mit diesem Haushalt werden die rassistischen Strukturen in dieser Gesellschaft gefestigt. Den Reden über das Entsetzen nach den Morden vom Wochenende folgen keine Taten, die eine Umkehr in der Asyl- und Flüchtlingspolitik auch nur andeuten. Kein Fünkchen von Nachdenklichkeit und Selbstkritik ist zu spüren. Angesagt wäre jetzt eine sofortige Beendigung der Asyldiskussion, ein unbedingtes Ernstnehmen der Warnungen aus dem In- und Ausland über den Zusammenhang zwischen der Asyldiskussion und den Anschlägen. Die Forderungen der Immigrantinnenorganisationen, der Organisationen der Roma und Sinti, des Zentralrates der Juden müssen nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch geprüft werden. Wir fordern einen Bericht einer unabhängigen internationalen Kommission, die diesen Zusammenhang untersuchen soll. Schluß mit der Asyldiskussion! Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. November 1992 10605* Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Helmut Schäfer (Mainz) (F.D.P.) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3811 Bei der namentlichen Abstimmung am Mittwoch, 25. November abends, unterlief mir ein Fehler. Meine Absicht war es, den Änderungsantrag der SPD über „den Jäger 90" abzulehnen. Fälschlicherweise habe ich die blaue Stimmkarte benutzt. *) Ich bitte, das im Protokoll zu berücksichtigen. *) Vgl. Seite 10573 C
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dietrich Austermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der junge Kollege Schwanitz, dem ich für seinen Vortrag Respekt zolle, hat dazu aufgefordert, zur Wahrheit zurückzukehren. Man hat bei Darstellungen gerade aus den neuen Bundesländern gelegentlich den Eindruck, als gäbe es die Bereitschaft, zur alten Idylle zurückzukehren, und als wäre der Zustand, den wir 1989 und 1990 vorgefunden haben, ideal gewesen. Ich möchte dem entgegenhalten, Herr Kollege Schwanitz, daß auch im Kreis der ostdeutschen Gewerkschafter die Situation anders beschrieben wird, als Sie das sagen. Man wünscht sich manchmal, daß es die Gelegenheit gäbe, einen Ausschnitt eines der sogenannten hervorragenden Industriebetriebe unter eine Käseglocke zu stellen und ihn sich nach drei oder fünf Jahren noch einmal anzusehen.
    In Ost-Berlin trafen sich Betriebsräte von ostdeutschen Unternehmen und haben versucht, über gemeinsame Maßnahmen zu entscheiden. Dabei wurde auch das Thema Treuhand angesprochen — die Kritik haben Sie heute wiederholt —: „Selbst wenn es einen ,Kontrollrat' gäbe, in dem auch Arbeitnehmer die Entscheidungen der Treuhand mit zu begutachten hätten, könnten sie sich Sachzwängen nicht entziehen", betonte der DGB-Kreisvorsitzende aus Rostock. Zum Schluß heißt es, „mit den Anforderungen an Produktivität, Kostensenkung, Preis- und Marktfähigkeiten seien die ostdeutschen Betriebe überfordert." Wenn die Situation so ist, daß es die Marktfähigkeit noch nicht gibt, dann ist klar, wo unterstützt werden muß und weshalb es heute Schwierigkeiten gibt.
    Wir sind angetreten, um heute in der Haushaltsdebatte und insbesondere in der Diskussion über den Einzelplan 04, der auch eine Bilanz des in zehn Jahren Geleisteten darstellt, entschlossen den Blick nach vorne zu richten. Es war richtig, daß der Bundeskanzler darauf hingewiesen hat: Die letzten zehn Jahre waren zumindest für den alten Teil der Bundesrepublik gute Jahre. Sie waren erfolgreiche Jahre. Das kann man an vielen Daten festmachen, angefangen vom Faktum des längsten Aufschwungs der Nachkriegszeit über ein inzwischen verdoppeltes Bruttosozialprodukt bis zum verdoppelten Geldvermögen privater Haushalte.
    Schauen wir uns einmal die Relation zwischen dem Bruttosozialprodukt in der Bundesrepublik insgesamt und dem in den neuen Bundesländern an. Das Bruttosozialprodukt in den neuen Bundesländern beträgt 195 Milliarden DM. Die Zuschüsse des Bundes, also die Transferleistungen in die neuen Bundesländer, werden im nächsten Jahr allein bei 110 Milliarden DM liegen. Mehr als 50 % Zuschüsse sind also nötig, um dieses Bruttosozialprodukt zu ermöglichen.
    Ich glaube, es ist richtig, darauf hinzuweisen, daß wir in den letzten Jahren die Ausgaben im Sozialbereich gewaltig gesteigert haben. Nach mir spricht der Kollege Dreßler. Er wird versuchen, ein anderes, ein schwarzes Bild zu malen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ein rotes!)

    — Ein rot-schwarzes Bild. — In der Tat sieht es so aus, daß die Sozialausgaben von 1982 mit 528 Milliarden DM auf 900 Milliarden DM in diesem Jahr angestiegen sind. Höhere Leistungen für Familien und Alleinerziehende waren fällig und sind auch gezahlt worden.
    Oder sehen wir uns die Renten an. Die Entwicklung der Renten im Osten ist ein deutliches Beispiel für die positive Entwicklung. 1989 gab es 16,7 Milliarden Ost-Mark für die Rentner. Im mächsten Jahr werden es 53,5 Milliarden West-Mark sein. Das spricht eine deutliche Sprache.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben in den alten Bundesländern zehn gute Jahre hinter uns. Wir sammeln jetzt alle Kräfte für gute Jahre in ganz Deutschland. Mit dieser Situationsbeschreibung sollen nicht die Schwierigkeiten, die da sind, vernebelt werden. Aber die neuen Aufgaben können natürlich nur von denen bewältigt werden, die in der Vergangenheit gezeigt haben, daß sie die alten lösen können, und die sich dafür qualifiziert haben.
    Die neuen Aufgaben will ich kurz beschreiben. Sie liegen vor allem in einer weiteren Verstärkung des Wiederaufbautempos in den neuen Bundesländern. Das ist es, was die Bürger dort erwarten. Dazu leistet der Haushalt 1993 einen wichtigen Beitrag.
    Sie liegen in einem tatkräftigen Vorgehen gegen Asylmißbrauch und gewalttätige Kriminalität, für mehr innere Sicherheit. Sie liegen in einer antizyklischen Reaktion auf die weltweite Konjunkturflaute, die in Deutschland erst später wirksam geworden ist, d. h. auch in der Herstellung der Konkurrenzfähigkeit — ein ganz wichtiger Punkt — für die unsere Bürger auch bereit sind — das hört man bei allen Gesprächen —, Opfer zu erbringen. Die Herstellung der Konkurrenzfähigkeit der Bundesrepublik insgesamt ist eine wichtige Voraussetzung für eine positive Gestaltung der Zukunft.
    Meine Damen und Herren, ich glaube auch, daß wir eine Neuaufteilung der föderalen Lasten im Länderfinanzausgleich brauchen. Sparen hat natürlich beim Abbau der Neuverschuldung Vorrang, aber alle sind gefordert. Um diese Aufgaben zu meistern, muß jeder seinen Beitrag leisten, Regierung, Opposition, Bund, Länder und Gemeinden.



    Dietrich Austermann
    Es kann nicht so sein wie im Frühjahr 1992. Da haben wir alle miteinander zusammengesessen und Beschlüsse gefaßt, einen wesentlichen Schritt zum Aufbau in den neuen Bundesländern zu tun; und dann mußten wir gegen den Widerstand der SPD im Vermittlungsausschuß, mit Hilfe von Herrn Stolpe, gegen Widerstand auch der Mehrheit im Bundesrat, bis an die Grenze des Machbaren den Bund belasten, um der dortigen Mehrheit Zugeständnisse für die neuen Bundesländer abzutrotzen. Dies war die Situation im Frühjahr 1992. Jeder glaubte, die wesentlichen Schritte seien geleistet, aber offensichtlich immer gegen den Widerstand der SPD.
    Das Zögern der SPD in Sachen Asyl kostet die deutschen Steuerzahler in diesem Jahr etwa 5 Milliarden DM. Wenn wir die Entscheidung, die wir jetzt miteinander herbeiführen wollen, schon vor einem Jahr gehabt hätten, wären wir ein ganzes Stück weiter und hätten vor allem, was ja interessant ist, bei den Sozialhilfekosten die Landeshaushalte wesentlich entlastet.
    Diese Milliarden fehlen in den neuen Bundesländern; diese fünf Milliarden pro Jahr fehlen der Entwicklungshilfe, fehlen der Dritten Welt. Wer darüber jammert, daß dort die Mittel fehlen, sollte nach den Ursachen suchen.
    Meine Damen und Herren, die SPD ist eine Schnecke,

    (Helmut Esters [SPD]: Was?)

    — ja, lieber Helmut Esters —, eine Schnecke, die zunächst immer die falschen Positionen vertritt und dann hinterherkriecht. Dafür gibt es eine Legion von Beispielen, vom Thema EG über NATO, Wiedervereinigung, Hilfen für die Bundesländer, Asyl, Blauhelme, Adriaeinsatz, innere Sicherheit. Immer erst hinterher, ein oder zwei Jahre später ist man bereit, die Lösung mitzutragen.
    Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Bedauerlicherweise war ja der Bundesrat heute den ganzen Tag über nicht vertreten.

    (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Doch, ein Senator und auch ein Pressesprecher der bayerischen Regierung waren da!)

    — Ich meine Mitglieder der Regierungen. Ich hätte sonst gern dem Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein vorgehalten, daß er sich im schleswig-holsteinischen Landtag zu einem Asylkompromiß bereitgefunden hat — gemeinsam unterzeichnet mit der dortigen Opposition, der CDU —, aber nicht in der Lage war, diesen Kompromiß auf dem Bundesparteitag seiner Partei durchzusetzen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! Kaum zu fassen!)

    Ich sage auch: Nicht jeder Kompromiß ist ein Ergebnis. Wenn jetzt Kompromisse ausgehandelt werden, die keine Spuren hinterlassen, wird das demokratische System insgesamt in Gefahr geraten.

    (Zuruf von der SPD: Wie ist es denn mit der Koalition?)

    — Sie haben doch die Entschließung am 15. Oktober hier mitbekommen.
    Die SPD zögert bei der Frage der Eingrenzung der Sozialleistungen für Asylbewerber.
    Wie sieht es in Sachen innere Sicherheit aus? Auch hier ein Beispiel aus Schleswig-Holstein. Am 10. November legt die dortige Opposition, die CDU, ein Konzept für die Änderung der Rechtsgrundlagen vor. Der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein — übrigens früher ein Datenschützer — lehnt dies ab, weil er die Sorge hat, wir würden uns in einen autoritären Staat verwandeln. Dies zeigt doch, wo die Probleme sind. Ich sage als Abgeordneter ganz klar: Ich erwarte auch von der F.D.P., von der Justizministerin, daß sie innerhalb des nächsten halben Jahres eine Bilanz dessen vorlegt, was notwendig ist, um Rechtsvorschriften zur Herstellung der inneren Sicherheit zu ändern. Es hat keinen Zweck, daß wir darüber miteinander laut nach draußen diskutieren, aber die Ergebnisse dann nicht auch in Regierungshandeln umgesetzt werden.
    Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Situation ist in den letzten Wochen und Monaten eindeutig verbessert worden. Wir haben die Leistungen für die neuen Bundesländer verstärkt, aber wir müssen auch in einem Bereich, der wenig finanzielle Anstrengungen erfordert, Wesentliches ändern. Dies ist nicht nur, wie heute mehrfach gesagt wurde, Aufgabe der Politik. Ich stelle mit Bedauern fest, daß aus Schulgesetzen einzelner Bundesländer inzwischen der Erziehungsauftrag verbannt worden ist. Ich stelle fest, daß man dort mehr von Selbstverwirklichung und antiautoritär redet. Der liberale Strafvollzug geht inzwischen so weit, daß Gerichte nicht mehr in der Lage sind, Untersuchungshäftlinge für die Dauer von mehr als einem halben Jahr in Gewahrsam zu halten. Man mußte in Hamburg — das gilt sicher auch für andere Bundesländer — mehrere Schwerstverbrecher entlassen, weil Fristen verstrichen waren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das gilt aber nicht für Bayern!)

    Auch dies ist ein Gebiet, auf dem gehandelt werden muß. Ich stelle fest, daß man rechtswidrige Maßnahmen, wie Hausbesetzungen, nach wie vor duldet. Ich stelle fest, daß in der Medienlandschaft Tabubruch und Gewaltverbreitung nach wie vor eine wichtige Rolle spielen. Wenn dann im letzten Jahr in Schleswig-Holstein aus dem Schulgesetz die Möglichkeit gestrichen worden ist, einen Schüler, der sich schlecht benimmt, zu tadeln, zeigt das, daß viele auf dem falschen Weg sind.
    Spätestens nach den Morden von Mölln will der Bürger Taten sehen, und ich frage alle: Leistet jeder seinen Beitrag, Maßnahmen vorbeugender Art auch gegen kriminelle Gewalttäter von rechts und links zu ergreifen? Wenn dies nicht geschieht, können wir die volle Anwendung der Härte des Gesetzes fordern; wenn die Richter aber nicht dazu bereit oder nicht in der Lage sind, sind wir kein Stückchen weiter.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich weniges zum Thema Finanzen sagen. Wenn heute über die hohe Neuverschuldung gesprochen wird, die im übrigen ja unter der „normalen" des Jahres 1982 liegt, wird allerdings verkannt, durch welche Ausgabenblöcke die Neuverschuldung bedingt wird, welche sie



    Dietrich Austermann
    umfaßt. Von den 150 Milliarden DM Neuverschuldung aller öffentlichen Hände — Bund, Länder und Gemeinden — sind etwa 120 Milliarden DM „einigungsbedingt", vom Fonds Deutsche Einheit über den Kreditrahmen der Treuhandanstalt bis zur Förderung der Ostgemeinden. Von den neuen Schulden sind also 120 Milliarden DM einigungsbedingt. Ohne die von uns herbeigesehnte Wiedervereinigung hätte der Bund in diesem Jahr keine neuen Schulden machen müssen. Wer die notwendige Neuverschuldung kritisiert, sollte sein Verhältnis zur Wiedervereinigung überprüfen!
    Meine Damen und Herren, unsere Position ist ganz klar. Die Neuverschuldung wird weiter zurückgeführt, und wir erwarten, daß im föderalen System jeder dafür seinen Teil übernimmt.
    Der Kern der bundesstaatlichen Verfassung ist die Finanzverfassung. Die Haushaltswirtschaft von Bund, Ländern und Gemeinden ist im Grundgesetz klar definiert. Der Bund ist für die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verantwortlich. Seine Grundsätze gelten für Bund und Länder gemeinsam. Es kann nicht sein, daß einzelne Länder, alte Bundesländer und die SPD in Bonn die hohe Verschuldung beklagen, dann durch die alten Bundesländer ziehen und ständig neue Forderungen erheben. Der SPD-Vorsitzende hat in seinem Bundesland zu seinem Landeshaushalt erklärt: Die Forderungen aus Bonn machen Schleswig-Holstein zu einem Schwellenland. Man muß sich das einmal vorstellen!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht zu fassen!)

    Ich glaube also, daß manch einer der Regierungschefs in den alten Bundesländern auf den Teppich zurückkehren muß. Wenn die Forderung erhoben wird, es müsse mehr gespart werden, so sage ich ganz bewußt: Das ist richtig, und wir sparen längst noch nicht in allen Bereichen der öffentlichen Hand.
    Wir haben im Haushaltsausschuß einen wesentlichen Beitrag geleistet. Wir haben bei den Fraktionen und den Parteistiftungen angefangen. Ich gebe zu, daß manch einer wie ich davon überzeugt ist, in der Regierung, im Parlament, in den einzelnen Haushalten des Bundes, der Länder und der Gemeinden könne noch mehr gespart werden. Ich glaube, kein einziger Empfang, keine öffentliche Darstellung ist in der letzten Zeit ausgefallen. Wenn ich dann allerdings lese, daß die Stadt Hannover von der Stadt Magdeburg Kredite aufnimmt, um ihre laufenden Ausgaben zu decken, dann ist das ein Beispiel in viele Richtungen. Es kann doch nicht richtig sein, daß wir in den alten Bundesländern zum soundsovielten Male das Pflaster in der Fußgängerzone der Stadt X aufnehmen und mit neuen Farben gestalten und in den neuen Bundesländern, die Investitionen nicht vorankommen oder nicht die Möglichkeit besteht, sie umzusetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Unser nächster Schritt nach dem Sparen auf allen Ebenen muß die Verantwortung jedes einzelnen für die ihm zugewiesenen Aufgaben sein. Das gilt für die Tarifparteien, die nicht länger vom sozialen Kahlschlag reden sollten, jedenfalls nicht, solange die ÖTV mit polnischen Billigarbeitern ihre neue Verwaltung in Stuttgart errichtet,

    (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/ CSU])

    aber trotzdem 50 Millionen Defizit hat. Dies gilt auch für die Medien, die nicht nur Depression und Pessimismus verbreiten sollten. Dies gilt auch für die Banken und die Zinspolitik.
    Zum Abschluß möchte ich kurz etwas zu Graf Lambsdorff und seiner Grafik sagen. Graf Lambsdorff, die erfolreichen Bemühungen zur Einsparung sind geeignet, die Konjunktur wieder stärker zu beleben. Dies bestätigt auch die neue Steuerschätzung, die den Ländern im alten Bundesgebiet immerhin für das nächste Jahr eine Einnahmesteigerung von 5,7 % bringt. Dabei ist schon die steuerliche Entlastung beim Grundfreibetrag, bei Lohn- und Einkommensteuer von gut 2 Milliarden DM berücksichtigt. Der Bund zieht damit Konsequenzen aus dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts für Geringstverdiener.
    Es zeichnet sich ab, daß die Finanzpolitik durch ihre restriktive Handhabung zu einer Beruhigung des Preisniveaus, einer gemäßigten Lohnrunde und damit zu einer Geldpolitik führt, die Optionen für Zinssenkungen öffnet. Wir haben es also in der Hand, mit dem richtigen Signal zur Haushaltspolitik auch für eine Option für Zinssenkungen und für eine Belebung der Wirtschaft zu sorgen. Wenn wir in den letzten zehn Jahren vieles gemacht haben, dann war vor allem richtig, daß wir deutlich darauf hingewiesen haben, daß uns nicht Miesmacherei und Pessimismus voranbringen, sondern Optimismus und das schnelle Realisieren und Anerkennen dessen, was wir für richtig gehalten haben. Deshalb wird diese Wirtschaftspolitik auch Erfolge haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nein, meine Damen und Herren, eine Alternative zu dieser Politik gibt es weder in konzeptioneller noch in personeller Hinsicht durch die SPD. Mit dem Haushalt 1993 richten wir den Blick entschlossen nach vorn und sind bereit zu tun, was der Bürger von uns erwartet. Wenn alle ihre Arbeit tun, geht es unter einer CDU-geführten Bundesregierung in weitere gute Jahre.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Rudolf Dreßler das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach mehr als fünf Stunden Debatte über den Einzelplan 04, den Haushalt des Bundeskanzlers, die Politik des Bundeskanzlers, bleiben Fragen über Fragen. Ich stelle fest, daß es der CDU/CSU nicht einmal mehr auffällt, daß sich ihr Bundeskanzler unentwegt Fragen stellt — hingegen auf Antworten, die geboten wären, weitgehend verzichtet.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr macht beides!)




    Rudolf Dreßler
    Ich frage Sie: Sehen Sie eigentlich nicht oder wollen Sie nicht sehen, daß diese Zeit eben Antworten verlangt, daß Ihrer Regierung nach zweijähriger Amtszeit so viele Frage vorliegen, die einer Beantwortung bedürfen, daß das Aufwerfen weiterer Fragen durch den, der Antworten zu geben hat, ein unübersehbares Zeichen von Ratlosigkeit, ja von Schwäche ist? Ich will mich entgegen meiner Absicht vier Bemerkungen aus der Rede des Bundeskanzlers zuwenden.
    Ich beginne mit dem Rentenexperten Helmut Kohl. Er trägt heute morgen dem Deutschen Bundestag Daten über den Altersaufbau vor, die Grundlage für das Parlament 1988 waren, ein Rentenreformgesetz zu verabschieden. Es wirft die Frage auf: Will er diesen Konsens nun aufkündigen, oder wollte er diesen Konsens heute morgen bekräftigen?

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das ist doch absurd!)

    Ich wende mich zweitens dem Maschinenlaufzeitexperten Helmut Kohl zu. Er besucht einen Betrieb in Schwerin, läßt sich Geschichten erzählen und findet diese spannend genug, sie dem Parlament zu berichten. Das gipfelt dann heute morgen in der Forderung, auch in Westdeutschland flexiblere Maschinenlaufzeiten einzuführen.

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja, Gott sei Dank!)

    Ich frage: Kann es möglich sein, daß einem Bundeskanzler das Höchstmaß an bestehender flexibler Maschinenlaufzeit und Arbeitszeit, zwischen Betriebsräten, Unternehmensleitungen und Gewerkschaften in den letzten Jahren verabschiedet, wirklich unbekannt ist? — Es scheint so.
    Das dritte Beispiel — der Lebensarbeitszeitexperte Helmut Kohl. Er philosophiert über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, und ich frage mich: Kann es einem Bundeskanzler wirklich entgangen sein, daß vor knapp elf Monaten

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das hat er ja gesagt!)

    dazu ein Gesetz in Kraft getreten ist, das diesen Themenkomplex hinreichend beantwortet?
    Das vierte Beispiel ist der Arbeitsförderungsgesetzexperte Helmut Kohl.

    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wir sind doch nicht beim Frühschoppen!)

    Er trägt dem Parlament heute vor, das Konzept seiner Politik sei: Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Entfernt, frage ich mich, das hilfreiche Umfeld des Bundeskanzlers die Arbeitslosenstatistik aus den Drucksachen und Zeitungsausschnitten, die ihm eigentlich vorgelegt werden sollten?
    Vor wenigen Tagen hat Ihre Bundesregierung, Herr Kohl, Milliardenbeträge aus dem Arbeitsförderungsgesetz gestrichen. „ 150 000 Arbeitslose mehr als untere Grenze" ist die Antwort der Experten. Manche sagen sogar: 200 000 bis 250 000 Arbeitslose mehr.

    (Julius Louven [CDU/CSU]: Wie rechnen Sie das denn?)

    Sie nennen das „Arbeit statt Arbeitslosigkeit".
    Es kann Ihnen, Herr Kohl, doch nicht entgangen sein, daß Sie und Ihre Regierung noch vor wenigen Tagen keine 25 Millionen DM zur Erlangung des Hauptschulabschlusses zur Verfügung stellen wollten, sich aber gleichzeitig innerhalb dieser Haushaltsdebatte ca. 500 Millionen DM für die Werbung Ihrer eigenen Bundesregierung genehmigen wollen. Das paßt einfach nicht zusammen.
    Hinzu kommen die Unterhaltungsebenen innerhalb der Koalition. Der Bundesfinanzminister erklärt öffentlich, er habe keinen finanzpolitisch kompetenten Gesprächspartner bei der F.D.P. gefunden. Herr Möllemann nennt das „ungeheuerlich" . Es bleibt offen, was er denn nun mit „ungeheuerlich" meint.
    Wir lesen, daß Fraktionschef Hermann Otto Solms von der F.D.P. ankündigt, es könne noch vor Weihnachten ein Nachtragshaushalt im Bundestag eingebracht werden. Unsereiner fragt sich, über was wir hier eigentlich diskutieren, reden und abstimmen sollen.
    Wir lesen in der Zeitung, daß Herr Schäuble seinen Stellvertreter Geißler und den Abgeordneten Pflüger der CDU als unerträglich in ihren Aussagen zum Asyl bewertet.
    Wir lesen in der Zeitung, daß der Generalsekretär der CDU — was immer er auch mit der Regierung im einzelnen zu tun haben mag — öffentlich ankündigt, diese würde einen Nachtragshaushalt bis Mai kommenden Jahres vorlegen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dreßler macht den Pausenfüller!)

    Wir lesen gleichzeitig in der Zeitung — ich zitiere —: Es waren außer Geißler und Pflüger Rita Süssmuth und Angela Merkel. Sie berichteten, sie hätten, während sie sprachen, in der CDU/CSU-Fraktion Pogromstimmung gespürt. Sie würden das ohne Groll sagen, hätten sie doch ihrerseits erkannt, daß die Abgeordneten der CDU/CSU verstört, erschreckt und eingeschüchtert von der aufgebrachten Stimmung in ihren Wahlkreisen und Kreisverbänden nach Bonn gekommen seien.

    (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Sie sollten wirklich nicht alles glauben, was in der Zeitung steht!)

    Vergleichbares habe sich vorher nie ereignet.
    Der CSU-Vorsitzende in Bayern im Bezirk Niederbayern, Alfred Dick, erklärt die Steuerpolitik der Bundesregierung als Verschaukelungs- und Täuschungspolitik. Das CSU-Organ „Bayernkurier" wirft der Schwesterpartei CDU vor, sie schrecke die Wähler ab.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Hört! Hört!)

    Herr Geißler sieht in der CDU eine schwere Glaubwürdigkeitskrise, und Herr Stoiber nennt Herrn Kinkel ein Sicherheitsrisiko.



    Rudolf Dreßler
    Meine Damen und Herren, unter diesen gesammtelten Prämissen glaube ich, feststellen zu dürfen,

    (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Fleißige Mitarbeiter! — Eduard Oswald [CDU/CSU]: Große Materialsammlung!)

    daß man den in zunehmendem Maße in der Publizistik Vergleiche anstellenden Journalisten, die den Zustand der Koalition zwischen SPD und F.D.P. aus dem Jahre 1982, als sie zu Ende ging, also ihrer Endphase, heranziehen

    (Zuruf des Abg. Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU])

    und damit Verwandtschaftsbeziehungen zum heutigen Zustand der Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. aufwerfen, antworten muß: Man muß sich schützend vor die damals Beteiligten von Helmut Schmidt bis Hans-Dietrich Genscher stellen. Man muß sie vor derartig ehrenrührigen Vergleichen in Schutz nehmen. Das, was damals 1982 in der Koalition passierte, war im Verhältnis zu dem, was bei Ihnen heute los ist, geradezu ein freundschaftlich zugewandtes Liebesverhältnis.
    Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie großsprecherisch Ziele verkündet. Diese Ziele sind zu einem Zerrbild verkommen. Sie haben sie in ihr Gegenteil verkehrt. Sie haben auch heute wieder in dieser Debatte deutlich gemacht, daß Sie handlungsunfähig sind, daß Sie nicht in der Lage sind, dem deutschen Parlament mit dieser Haushaltsdebatte Problemlösungen aufzuzeigen. Der heute zur Beratung anstehende Bundeshaushalt widerspricht in allen seinen Aussagen den Geboten einer geordneten Finanzpolitik. Er verkehrt die Verpflichtung zur Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit ins Gegenteil. Er widerspricht den elementaren Regeln einer ehrlichen politischen Bilanz. Er vermittelt weder politische Orientierung noch ökonomische Perspektive.
    Dieser Haushalt, meine Damen und Herren, ist schlicht ein Dokument der politischen Wirrnis, ein Zeugnis regierungsamtlichen Unvermögens. Er ist eine traurige Bestätigung des schlechten Rufes, den die Bundesregierung derzeit hat.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Julius Louven [CDU/CSU]: Nicht mal die SPD hört zu!)

    Die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. geht nun in ihr elftes Amtsjahr. Die natürlichen Verschleißerscheinungen, denen ein solches Bündnis naturgemäß unterworfen ist, haben sich bei dieser Regierung mittlerweile auch für Oppositionspolitiker beängstigend gesteigert — und das angesichts politischer Herausforderungen, die in der deutschen Nachkriegsgeschichte ohne Beispiel sind.
    Die oberste Aufgabe jeder Politik, gleiche Lebensverhältnisse im geeinten Deutschland zu schaffen und den Aufbau der ostdeutschen Bundesländer zu beginnen, ist heute ebenso ungelöst wie am 3. Oktober 1990.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich stelle nach der Rede des Bundeskanzlers fest:
    Mittel und Wege zur Überwindung der wirtschaftlichen Rezession, die auch unsere Volkswirtschaft
    erreicht hat, sind nicht erkennbar. Einen stabilisierenden Beitrag Deutschlands zur Neuordnung der in Bewegung geratenen politischen Landschaft Europas konnten wir aus der Rede des Bundeskanzlers nicht erkennen. Der innere Zusammenhalt unseres Volkes ist bedroht, noch bevor er nach der deutschen Vereinigung überhaupt gefunden wurde. Man kommt zu dem Ergebnis, daß Deutschland ziemlich führungslos in immer größere Zerreißproben schlittert, und die politische Philosophie, die die Grundlage für das heutige Regierungsbündnis von Anfang an bildete, hat auf beängstigend konsequente Weise jene Situation heraufbeschworen, in der sich unser Land derzeit befindet. Unser Volk wird die Geister nicht mehr los, die diese Regierung gerufen hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist das für eine niveaulose Rede!)

    Denn der desolate innere Zustand, in dem sich unsere Gesellschaft und mit ihr die ganze Republik befindet, hat seine Ursache nur vordergründig in aktuellem politischen Versagen oder Unvermögen. Er ist vielmehr auch in der von dieser Regierung bei ihrem Amtsantritt eingeleiteten schleichenden Umwertung der gesellschaftspolitischen Grundlagen begründet. Zehn Jahre dieser Bundesregierung haben in der Tat tiefgreifende Spuren hinterlassen, vor allem in den Köpfen. Der kaum verdeckte Appell, immer wieder geäußert, an den wirtschaftspolitischen und wirtschaftlichen Egoismus des Einzelnen hat ein Bewußtsein geschaffen, dessen Folgen wir heute tragen müssen. Zehn Jahre Politik ohne identitätsstiftende Signale zur gesellschaftlichen Zusammengehörigkeit, zehn Jahre Politik, in denen gesellschaftliche Solidarität fast als etwas Verunglimpfenswertes dargestellt wurde, lassen sich nicht durch ein paar hohle Phrasen zur nationalen Einigkeit, wie sie immer wieder verkündet werden, überwinden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn das alles ernst gemeint ist, dann müßten vielmehr Taten diese Worte untermauern und politisches Vorbild vorgelebt werden. Beides ist bei dieser Regierung nicht zu sehen. Jetzt in einer Zeit, in der nichts mehr gefordert ist als Zusammenstehen und Solidarität, nichts mehr als eine gerechte Verteilung der Lasten, die gemeinsam zu schultern wären, wird die Politik dieser Regierung von ihren eigenen ideologischen Verirrungen und ihren Fehlern eingeholt.
    Da hieß es und heißt es immer wieder: Leistung muß sich wieder lohnen — seit 1982. Früher nannte man das: Freie Bahn dem Tüchtigen. Beide Parolen hören sich gut an; aber beide Parolen sind politisch unhaltbar. Die eine ist wertlos, wenn nicht gar diskriminierend, weil sie eine Antwort darauf verweigert, wie die weniger Tüchtigen in die Gesellschaft einbezogen werden, damit auch sie sich ihr zugehörig fühlen, und die andere Parole ist zynisch, weil sie kaum verhüllt Leistung einseitig an ökonomischen Kategorien mißt und zudem diejenigen ausgrenzt, die leisten wollen, aber nicht können oder dürfen, etwa weil sie keinen Arbeitsplatz haben.
    Dies sind gesellschaftspolitisch vergiftende Parolen. Eine Politik, die sich wie die der Bundesregierung seit nunmehr zehn Jahren solche Parolen zu eigen macht,



    Rudolf Dreßler
    sie gleichsam inhaliert, organisiert nicht den gesellschaftlichen Ausgleich, sondern den Verteilungskampf, organisiert die Ellenbogengesellschaft.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will hinzufügen: Eine solche Politik zerstört einen jener Grundwerte, ohne die keine gerechte Gesellschaft existieren kann, nämlich das, was die Angelsachsen unübersetzbar mit dem Wort „compassion" bezeichnen. Gemeint ist jene Fähigkeit der Menschen, füreinander dazusein und mitzufühlen. Ich will nichts idealisieren; aber ohne eine Grundausstattung an „compassion" ist eine humane Gesellschaft nicht denkbar.

    (Beifall bei der SPD)

    Füreinander einzustehen bedeutet nun einmal mehr, als füreinander im Notfall zu zahlen. Was könnte das deutlicher unter Beweis stellen, als der bisher reichlich mißratene Prozeß der gesellschaftspolitischen Vereinigung von West- und Ostdeutschen?
    Im übrigen: „Leistung muß sich wieder lohnen" heißt doch auch, sie vorwiegend nach dem persönlichen ökonomischen Erfolg zu werten, gesellschaftspolitisch wertvolle Arbeit, die sich eben nicht in ökonomischen Kategorien fassen läßt, zu diskriminieren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!)

    Das ist, höflich gesagt, Ausdruck geistiger Anspruchslosigkeit.

    (Beifall bei der SPD) Ihre Zwischenrufe bestätigen das.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil, nichts wird bestätigt!)

    Deshalb will ich hinzufügen: Eine Politik, die sich daran orientiert, zeugt von intellektueller Tristesse, jedenfalls nicht von geistig-moralischer Führung oder gar Erneuerung, die die Deutschen seit 1982 angeblich beglücken sollen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist das die Alternative, was Sie sagen?)

    Manche, meine Damen und Herren, behaupten, die Deutschen seien ein Volk der Dichter und Denker.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU) Ich weiß nicht, ob diese Behauptung stimmt.


    (Zuruf von der SPD: Für das Volk ja!)

    Daß mittlerweile, meine Damen und Herren, Herr Möllemann Stellvertreter des Bundeskanzlers geworden ist, kann diese Behauptung auch nicht erhärten.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Politik insgesamt hat in den zehn Jahren der Amtszeit dieser Regierung das Vertrauen vieler Menschen verloren, das, so fürchte ich, so schnell auch nicht wieder zurückgewonnen werden kann. Eine der Ursachen für den Vertrauensverlust liegt in der Art und Weise, wie diese Regierung, vor allem aber der Bundeskanzler, Macht ausübt, die ihm von den Menschen anvertraut wurde. Herr Bundeskanzler, wenn Macht auch für sie kein Selbstzweck ist, frage ich
    mich, warum Sie sich so verhalten, als sei sie es doch. Nichts gegen ein gesundes Verhältnis zur Macht! Sie ist auch in der Demokratie unverzichtbar; aber die Menschen stößt es ab, wenn sie nicht zum Zwecke der Lösung ihrer Probleme eingesetzt wird, sondern um der Sicherung des Wahlerfolges Ihrer Partei willen.

    (Beifall bei der SPD)

    Gerade die letzte Methode hat diese Regierung fast perfektioniert. Da war die Wählertäuschung über notwendige Steuererhöhung vor der Bundestagswahl nur ein trauriger Höhepunkt. Ich denke, es ist hinzuzufügen: Wer langfristig in Wahlen erfolgreich sein will, sollte eher die Losung beherzigen: Wahlerfolg nur durch Problemlösung. Dieser Koalition wird diese Erfahrung 1994 ziemlich sicher zuteil werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben die Entscheidungen der Regierung in einem Ausmaß auf Ihre Person konzentriert, daß man das ganze Verfahren als eine Art demokratischen Absolutismus bezeichnen könnte. Bemerkenswerterweise gilt hingegen: Diese Regierung ist dennoch ohne Führung. Das zeigt, Führung, auch in der Demokratie ein unerläßliches Prinzip, braucht mehr als Entscheidungen, sie braucht Überzeugungskraft. Herr Bundeskanzler, nach meiner Wahrnehmung können Sie nicht mehr überzeugen. Die Menschen glauben Ihnen nicht mehr viel, weil Sie sie zu oft getäuscht haben, und die Menschen wissen: Dieser Bundeskanzler war mit Versprechungen schnell bei der Hand, aber ebenso schnell dabei, sich über sie hinwegzusetzen. Das alles sind denkbar schlechte Voraussetzungen für zielgerichtetes Regieren in einer schwierigen Zeit.
    Aber es ist nicht nur die gesellschaftspolitische Philosophie dieser Regierung, die in die Irre führt; es sind nicht nur die grundlegenden Rahmenbedingungen für das Regierungshandwerk, die nicht stimmen. Die Koalitionsparteien sind in sich tief zerstritten. Es kann ja kein Zufall sein, wenn ein Abgeordneter der F.D.P. den bayerischen Innenminister einen Extremisten im öffentlichen Dienst nennt, und es kann auch kein Zufall sein, wenn der Bundesfinanzminister dem Wirtschaftsminister die Kompetenz abspricht, und das alles in einer Regierung.
    Meine Damen und Herren, ich frage mich: Glauben Sie ernsthaft, Sie könnten in einem solchen Zustand der Öffentlichkeit noch Geschlossenheit vorgaukeln? Wissen Sie eigentlich vor lauter Beschäftigung mit sich selbst und mit eigenen Krisen noch, was eigentlich in Deutschland vor sich geht?

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Ich will das noch in einigen Punkten zusammenfassen. Wir registrieren Firmenzusammenbrüche zuhauf in den ostdeutschen Ländern — heute an Problemvorschlag: Nichts! Wir registrieren dramatische Einbrüche in der westdeutschen Konjunktur — in der Rede des Bundeskanzlers keine Antwort!

    (Zuruf von der SPD: Haben wir auch nicht erwartet!)

    Wir registrieren drohende Kurzarbeit bei den Konzernen der Automobilindustrie als schrilles Warn-



    Rudolf Dreßler
    signal — in der Rede des Bundeskanzlers keine Antwort!

    (Zuruf von der F.D.P.: Wo waren Sie eigentlich heute morgen?)

    Wir registrieren steigende Massenarbeitslosigkeit — keine Stellungnahme! Wir registrieren einen dramatischen Ansehensverlust Deutschlands in der Welt — kein Konzept, um dem zu begegnen! Ständig mehr Menschen fragen sich, wohin diese Republik treibt, oder sollte man sagen: diese Regierung sie treiben läßt.
    Statt mit den Krisen im Lande beschäftigt sich diese Regierung mit den von ihr selbst verursachten Krisen im eigenen Haus.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will hinzufügen: Nach parlamentarischem Verständnis haben Sie die Pflicht, Deutschland zu regieren und vor Schaden zu bewahren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir schon!)

    Ich registriere, daß Sie in Wirklichkeit die Dinge treiben lassen und in Ihrer eigenen Handlungsunfähigkeit zu ersticken drohen. Wo wirken Sie denn eigentlich noch aktiv gestaltend? Im Sommer haben Sie sich zum drittenmal in Fortsetzung über die Pflegeversicherung geeinigt — ein dringendes soziales Problem, das gelöst werden muß. Bis heute hat diese Regierung es nicht fertiggebracht, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Seit über einem Jahr liegt ein Gesetzentwurf der SPD im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Die Koalition verweigert sich trotz mehrfacher Aufforderung einer parlamentarischen Gemeinschaftsinitiative. Ich frage: Soll man das denn politische Gestaltung nennen?

    (Beifall bei der SPD)

    Seit langer Zeit fordert nicht nur die SPD, endlich den Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" bei der Eigentumsregelung im Osten Deutschlands umzukehren, um ein gewichtiges Investitionshindernis zu beseitigen. Die Koalition stellt sich taub, obwohl erkennbar ist, daß diese Umkehrung zwingend vorgenommen werden müßte. Soll das etwa politische Gestaltung sein?
    Seit langer Zeit erweist sich ein klarer gesetzlicher Sanierungsauftrag für die Treuhandanstalt als dringlich. Es geschieht nichts. Die Bundesregierung rührt sich nicht. Nennt man das etwa politische Gestaltung?
    Das drohende Verkehrschaos auf Deutschlands Straßen, ständig steigende Wohnungsnot in Ost und West, Verschärfung der ökologischen Krise, anhaltende Ungerechtigkeit in der Besteuerung von Familien — in keinem dieser gewichtigen Problemfelder ist die Regierung mit Lösungsvorschlägen an Deck, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen. Sie haben den Menschen mehr als einmal die Unwahrheit gesagt. Glauben Sie wirklich, wenn Sie zur Zeit nichts sagen, sei das die Alternative dazu?
    Sagen Sie doch endlich die Wahrheit! Sagen Sie den Menschen, wie es um Deutschland steht! Nennen Sie die Probleme, unterbreiten Sie ihre Lösungsvorschläge! Sie haben die Mehrheit in diesem Hause nicht erhalten, um sich in stürmischen Zeiten auf Grund zu legen oder sich in den eigenen Widersprüchen zu verfangen.
    Deshalb sagt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion: Unser Land braucht endlich einen neuen Anfang.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir brauchen erstens einen Kassensturz, um zu einer geordneten Finanzpolitik zurückkehren zu können.
    Wir brauchen zweitens eine wirtschaftspolitische Bilanz, um endlich realistische Perspektiven für den Aufbau im Osten gewinnen zu können. Die Menschen dort brauchen Licht am Ende des Tunnels.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir brauchen drittens einen entschlossenen, einen starken Rechtsstaat, der nicht auf einem Auge blind ist, sondern die gewalttätigen Sumpfblüten von rechts

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und links!)

    ebenso entschlossen in die Schranken weist, wie er die Terroristen von links in die Schranken gewiesen hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir brauchen viertens gerade in schwierigen Zeiten eine Sicherung des Sozialstaates. Statt weiteren willkürlichen Abbau benötigen wir einen qualitativen Umbau.
    Wir brauchen fünftens eine Arbeitsmarktpolitik mit Perspektive, die endlich die Qualifizierung der Menschen finanziert statt deren Arbeitslosigkeit.
    Sechstens brauchen wir einen neuen Staat für eine Politik des sozialen Wohnungsbaus. Jeder muß sein Recht auf eine menschenwürdige und bezahlbare Wohnung auch verwirklichen können.
    Wir brauchen letztlich auch einen neuen Anlauf in der Umweltpolitik, der der fortschreitenden Vernichtung der Umwelt wirklich Einhalt gebietet.
    Vor allem aber, meine Damen und Herren, brauchen wir die Wiederherstellung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen in der Politik wie in der Gesellschaft. Sie sind das Fundament, auf dem Deutschland zusammenfinden kann. Nur dann wird es gelingen, die Herausforderungen zu bestehen. Eine Regierung, die dazu nicht die Kraft hat, die diesem grundlegenden Auftrag im Wege steht, müßte eigentlich ihr Mandat an ihren Auftraggeber zurückgeben, denn die Wohlfahrt des Landes hat allemal Vorrang.

    (Beifall bei der SPD)