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    Plenarprotokoll 12/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 Inhalt: Verurteilung des Brandanschlags auf zwei Mehrfamilienhäuser in Mölln, dem eine türkische Frau und zwei türkische Mädchen zum Opfer fielen . . . . . 10323A Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Heinrich Lummer 10323B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 10323 C Zur Geschäftsordnung: Rudi Walther (Zierenberg) SPD , . . . , 10323 D Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU . . . 10326C Ina Albowitz F.D.P. . . . . . . . . . . . 10327 B Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 10327 D Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . 10328 A Tagesordnungspunkt HI: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksachen 12/3000, 12/3541) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 12/3501, 12/3530) 10328D Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 12/3502, 12/3530) 10329A Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 12/3503, 12/ 3530) 10329A Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen (Drucksachen 12/3508, 12/3530) in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksache 12/3525) in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksache 12/3529) in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksachen 12/ 3520, 12/3530) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 10330B Rudi Walther (Zierenberg) SPD . . . . 10330D, 10354A, 10365C, 10369A, 10372C, 10382A Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . . . 10337D Jochen Borchert CDU/CSU . . . , . . , 10345 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 10345D Helmut Esters SPD 10347 D Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . 10348B, 10364 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 10350A Hans Koschnick SPD 10351B Michael Glos CDU/CSU . . . . . 10354 D Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . 10355 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . , , . , . . . 10357 A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 Joachim Poß SPD 10359A Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . 10361A Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 10362B Carl-Ludwig Thiele F D P 10367 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 10369B, 10380B Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 10369C Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 10371C Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 10374 C Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . . . 10377 C Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD . . . 10378A Helmut Esters SPD 10380A Dr. Gero Pfennig CDU/CSU . . . . . . 10381 B Ortwin Lowack fraktionslos 10383 C Dr. Ulrich Briefs fraktionslos . . . . . 10384 C Tagesordnungspunkt I: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Drucksache 12/3628) 10386B b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze (Drucksache 12/3630) . . . . . . . 10386 C c) Beratung des Antrags der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Internationale Initiative zur Rettung bedrohter Menschenleben (Drucksache 12/3660) 10386C d) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Internationale Initiative zur Rettung bedrohter Menschenleben (Drucksache 12/3700) . . . 10386C e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Dr. Ingomar Hauchler, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Europäische Entwicklungszusammenarbeit (Drucksache 12/3647) 10386C f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Ilja Seifert und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Erarbeitung eines ökologischen integrierten Gesamtverkehrskonzeptes für die Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 12/3736) 10386D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen an das Gemeinschaftsrecht sowie zur Änderung anderer Gesetze (Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz) (Drucksache 12/3773) 10386D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zollrechtsänderungsgesetzes (Drucksache 12/3734) . . . . . . . . . . 10387 A Tagesordnungspunkt II: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes (Drucksachen 12/3566, 12/3741, 12/3756) . . . . 10387A c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Mai 1992 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Regelung bestimmter Vermögensansprüche (Drucksachen 12/3379, 12/3539, 12/3640, 12/3644) . . . 10387B d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Fischwirtschaftsgesetzes (Drucksachen 12/3378, 12/3638) . . . . . . . . . . . . . 10387 C e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Walter Kolbow, Hans Gottfried Bernrath, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wehrtechnische Zusammenarbeit mit Israel (Drucksachen 12/2494, 12/3793) 10387 C f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt), Brigitte Adler, Gerd Andres und weiterer Abgeordneter: Zuckerrübentransport auf die Schiene (Drucksachen 12/2772, 12/3567) 10387D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/73/EWG über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Geflügelfleisch (Drucksachen 12/2257 Nr. 3.34, 12/ 3637) 10387D h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Lebensmittelhygiene (Drucksachen 12/2257 Nr. 3.59, 12/3639) . . . . 10388 A i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Fünfundzwanzigste Verordnung zur Anderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 12/3143, 12/ 3652) . . . . . . . . . • . . . . . 10388 A j) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 616 31 — Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit (Drucksachen 12/3354, 12/3655) . . . . . . . . . . . . . 10388 A k) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02 Titel apl. 652 12 — Beseitigung von Folgen der Dürreschäden in Nord- und Ostdeutschland im Jahre 1992 (Drucksachen 12/3360, 12/3663) 10388B 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD: KSZE-Parlamentarierversammlung (Drucksachen 12/2893, 12/3672 [neu]) 10388B m) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Vierundzwanzigste Verordnung zur Anderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 12/3125, 12/3749) 10388B n) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 80 zu Petitionen (Drucksache 12/3708) . . . . . . . . . 10388 C Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (Drucksachen 12/3511, 12/3530) Karl Diller SPD 10389 D Hans-Gerd Strube CDU/CSU . . . . . 10393 B Dr. Gisela Babel F.D.P. . . . . . . . . 10395B Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10396D Petra Bläss PDS/Linke Liste 10397 D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos . . . . . 10399 B Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 10400 A Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit (Drucksachen 12/3515, 12/3530) Uta Titze SPD 10403 A Arnulf Kriedner CDU/CSU 10406 C Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 10407 D Arnulf Kriedner CDU/CSU . . . . . 10408A Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin BMG 10409C Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . 10409D Einzelplan 17 Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend (Drucksachen 12/3517, 12/3530) Dr. Konstanze Wegner SPD 10412A Susanne Jaffke CDU/CSU 10415A Uta Würfel F.D.P . . . . . . . . . . . . 10416 D Petra Bläss PDS/Linke Liste . . . . . . 10418B Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10419A Einzelplan 18 Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Senioren (Drucksachen 12/3518, 12/3530) Dr. Konstanze Wegner SPD 10422 A Irmgard Karwatzki CDU/CSU 10423 C Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. . . . . . 10426A Dr. Peter Struck SPD 10426 D Arne Fuhrmann SPD . . . . . . . . . 10427 C Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10429C Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft (Drucksachen 12/3524, 12/3530) Hinrich Kuessner SPD 10432 C Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 10435B IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 Ernst Kastning SPD 10437 D Carl-Ludwig Thiele F D P 10438 C Dr. Peter Struck SPD 10439 C Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 10440A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . 10441 C Berichtigung 10441 Anlage 1 Liste der entschúldigten Abgeordneten . 10443* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 2 —Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Helmut Esters SPD . . . . . . . . . . . 10443* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt III 9 — Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit — Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10444' D Dr. Dieter Thomae F.D.P. 10445* C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 10 — Einzelplan 17 Geschättsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend — Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10446* D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 12 — Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 10448* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 10323 122. Sitzung Bonn, den 24. November 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 120. Sitzung, Seite III, rechte Spalte, 19. Zeile von unten: Statt „Dr. Marliese Dobbertien F.D.P." ist „Dr. Marliese Dobberthien SPD" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 24. 11. 92 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 24. 11. 92 * Wilfried Büttner (Ingolstadt), SPD 24. 11. 92 Hans Burchardt, Ulla SPD 24. 11. 92 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 24. 11. 92 Peter Harry Eymer, Anke CDU/CSU 24. 11. 92 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 24. 11. 92 ** Ganseforth, Monika SPD 24. 11. 92 ** Gattermann, Hans H. F.D.P. 24. 11. 92 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 24. 11. 92 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 24. 11. 92 Gries, Ekkehard F.D.P. 24. 11. 92 Dr. Holtz, Uwe SPD 24. 11. 92 Homburger, Birgit F.D.P. 24. 11. 92 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 24. 11. 92 Kolbe, Regina SPD 24. 11. 92 Kubatschka, Horst SPD 24. 11. 92 ** Marx, Dorle SPD 24. 11. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 24. 11. 92 ** Müller (Pleisweiler), SPD 24. 11. 92 Albrecht Odendahl, Doris SPD 24. 11. 92 Oesinghaus, Günther SPD 24. 11. 92 Oostergetelo, Jan SPD 24. 11. 92 Dr. Pfaff, Martin SPD 24. 11. 92 Rempe, Walter SPD 24. 11. 92 Reuter, Bernd SPD 24. 11. 92 Dr. Röhl, Klaus F.D.P. 24. 11. 92 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 24. 11. 92 Ingrid Schaich-Walch, Gudrun SPD 24. 11. 92 Dr. Scheer, Hermann SPD 24. 11. 92 * Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 24. 11. 92 Andreas Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 24. 11. 92 Dr. Schwaetzer, Irmgard F.D.P. 24. 11. 92 Dr. Seifert, Ilja PDS/LL 24. 11. 92 Dr. Sopart, Hans-Joachim CDU/CSU 24. 11. 92 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 24. 11. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 2 - Einzelplan 02 Deutscher Bundestag -*) Helmut Esters (SPD): Wie in den vergangenen Jahren ist die große Mehrzahl der Ansätze des Einzelplans 02 zwischen den Fraktionen unstreitig. Dieses Einvernehmen betrifft jedoch - erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - nicht die Festlegung der Höhe der Fraktionszuschüsse, die nach dem Willen der Koalitionsfraktionen um 10 Millionen DM reduziert werden. Die Kürzung in dieser Höhe geschieht gegen die Stimmen der Fraktion der SPD, weil der abrupten und überraschenden Absenkung der Zuschüsse nicht die Idee des sachlich gerechtfertigten Sparens, sondern möglicherweise die Absicht der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zugrundeliegt, die Fraktion der SPD in ihren Oppositionsmöglichkeiten zu schwächen und in ihrem Recht auf Chancengleichheit zu verletzen. Die Arbeit der Fraktionen liegt nicht nur im Interesse ihrer jeweiligen Mitglieder, sondern auch dem des Bundestages als Ganzem, so die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Fraktionen wirken an der Erfüllung der Aufgaben des Parlamentes mit, indem sie politische Positionen zu handlungs-, verständigungs- und entscheidungsfähigen Einheiten zusammenfassen und die parlamentarische Arbeit dadurch koordinieren, daß sie die „Arbeitsteilung unter ihren Mitgliedern organisieren, gemeinsam Initiativen vorbereiten und aufeinander abstimmen sowie eine umfassende Information ihrer Mitglieder unterstützen" (BVerfGE 80, 188, 231). Auf diese Weise schaffen die Fraktionen als notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens (BVerfGE 10, 4, 14) und als ständige Gliederungen des Parlaments (BVerfGE 80, 188, 231) die entscheidenden Voraussetzungen dafür, daß der Deutsche Bundestag handlungs- und entscheidungsfähig, also in der Lage ist, seine Gesetzgebungs-, Kontroll- und Wahlfunktion zu erfüllen. Die Tätigkeit der Fraktionen steht daher auch im staatlichen Interesse, für dessen Wahrnehmung die Fraktionen indes - nicht anders als andere Arbeitseinheiten - organisatorischer, administrativer und wissenschaftlicher Zuarbeit und sachlicher Ressourcen bedürfen, die finanziert werden müssen. Im Hinblick hierauf hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach festgestellt, daß den Fraktionen die für die Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben notwendigen Mittel zu gewähren sind (BVerfGE 20, 56, 104, 62, 194, 202; 80, 188, 231): Die Festlegung der Fraktionszuschüsse und ihrer Höhe steht wegen dieser verfassungsrechtlichen Zusammenhänge daher auch nicht zur beliebigen Disposition der Mehrheitsfraktionen, sondern ist an den sachlichen Erfordernissen der Arbeit der Fraktionen zu orientieren. Die Entscheidung der Mehrheit verstößt gegen diese Grundsätze: Die Absenkung der Fraktionszuschüsse geschah - jedenfalls für die Fraktion der SPD - überraschend und unerwartet. Der Kürzung *) Vgl. Seite 10329 A 10444 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 ging keine sachliche Analyse voraus, ob und in welchem Umfang Einsparpotentiale vorhanden sind und so realisiert werden können, daß die Aufgabenerfüllung der Fraktionen nicht Schaden nimmt. Die abrupte Senkung der Zuschüsse wird mithin nicht an den sachlichen Erfordernissen der Fraktionsarbeit orientiert. Vielmehr werden die Oppositionsfraktion und die Gruppen ohne zeitlichen Vorlauf vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie haben die Kürzung sachgerecht vorzubereiten. Die auf die SPD-Fraktion entfallene Kürzung der Zuschüsse um 10 v. H., also um 3,6 Mio. DM, vertieft einseitig zu ihren Lasten das ohnehin bestehende Ungleichgewicht zwischen Opposition einerseits sowie Koalitionsfraktionen und Bundesregierung andererseits. Die Fraktion der SPD setzt, wie den von ihr seit Jahren veröffentlichten Wirtschaftsplänen zu entnehmen ist, den ganz überwiegenden Teil — nämlich derzeit 75 v. H. — des ihr zur Verfügung stehenden Zuschusses für das ihr zuarbeitende Personal ein. Gleichwohl nimmt sich die zahlenmäßige Größe ihrer Fraktionsverwaltung vergleichsweise bescheiden aus. Denn während der Bundesregierung ca. 22 000 Beamtinnen und Beamte der Bundesministerien zuarbeiten, ihr ferner der Sachverstand aus den zahlreichen Beiräten zur Verfügung steht, beschäftigt die Fraktion der SPD lediglich 299 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Personalbestand der Verwaltung der SPDBundestagsfraktion erreicht damit nicht einmal die Anzahl derjenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den Stäben der Bundesminister, der Parlamentarischen Staatssekretäre und der beamteten Staatssekretäre tätig sind. Denn die Kürzung des Zuschusses um 10 v. H. bedeutet für die Fraktion der SPD, daß sie in entsprechendem Umfang Personal abbauen und Sachaufgaben reduzieren muß. Ein vergleichbares Opfer haben die Koalitionsfraktionen ihrer Bundesregierung nicht zugemutet. Hier galt eine Reduzierung des Personals der Bundesministerien nur um 1 v. H. als gerade noch vertretbar. Die Kürzung der Fraktionszuschüsse verschiebt indes nicht nur die Gewichte im Verhältnis zur Bundesregierung, sondern auch innerhalb des Parlamentes zu Lasten der Opposition: Denn den Koalitionsfraktionen stehen — anders als der SPD-Fraktion — nicht nur ihre Fraktions-Verwaltungen zur Verfügung; sie können vielmehr im Bedarfsfall auch auf die Zuarbeit der Ministerien zurückgreifen. Die Fraktion der SPD wendet sich nicht gegen Einsparungen — auch bei den Fraktionszuschüssen. Sie war und ist bereit, Kürzungen mitzutragen. Sie ist indes nicht mit unvorbereiteten Streichungen einverstanden, die nicht an der Aufgabenerfüllung der Fraktionen orientiert sind und die auf die ohnehin ungleichgewichtigen parlamentarischen Strukturen keine Rücksicht nehmen. Eine sachlich orientierte Reform des Systems der Fraktionszuschüsse hält sie dagegen für dringend notwendig — auch mit dem Ziel der Einsparung. Zu einer solchen Reform besteht aller Anlaß, weil das bestehende Zuschußsystem die Fraktionen ungleich behandelt. So stehen im Jahre 1993 der Fraktion der CDU/CSU 40,23 Millionen DM, der SPD 35,2 Millionen DM, der F.D.P. 14,55 Millionen DM zur Verfügung, den Gruppen PDS/Linke Liste 4,8 Millionen DM und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4,0 Millionen DM. Legt man diese Beträge auf die Anzahl der jeweiligen Fraktions-/Gruppen-Mitglieder (CDU/ CSU 318; SPD 239; F.D.P. 79; PDS/Linke Liste 15; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8 Abg.), um, so ergibt sich, daß der Bundeshaushalt 1993 die Arbeit eines Abgeordneten der Fraktion der CDU/CSU mit 132 000 DM, der Fraktion der SPD mit 146 000 DM, der Fraktion der F.D.P. mit 184 000 DM, der Gruppe PDS/Linke Liste mit 320 000 DM und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit 500 000 DM jährlich bemißt: Je kleiner die Fraktion/Gruppe, desto deutlicher wird sie von der geltenden Finanzierung bevorzugt. Der Unterschied zwischen der für die CDU/CSU und der SPD maßgebenden Meßzahl ist auf Grund des Oppositionszuschlages gerechtfertigt, der gewährt wird, um den geschilderten unterschiedlichen Arbeitsmöglichkeiten von Regierungs- und Oppositionsfraktionen jedenfalls ansatzweise Rechnung zu tragen. Es ist zu hoffen, daß die jeweiligen Koalitionsfraktionen in Zukunft, auch wenn es um Einsparungen geht, in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Opposition sachorientierte Reformvorschläge besprechen, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt III 9 — Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit —*) Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den letzten Wochen haben alle Beteiligten — zum Teil sehr leidenschaftlich — das aktuelle Gesundheitsstrukturgesetz in seinen Einzelheiten diskutiert. Nicht nur von dieser Stelle aus habe auch ich wiederholt unsere Kritik am vorliegenden Entwurf der Großen Gesundheitspolitischen Koalition aus Regierung und SPD vorgebracht. Ich will die heutige Gelegenheit nutzen, Ihnen noch einmal eine gesundheitspolitische Perspektive zu entwickeln, die offensichtlich völlig von der Mehrheitsmeinung dieses Hauses abweicht. Aber Wiederholungen können ja gelegentlich Lernprozesse fördern. Lassen Sie mich dazu die grundsätzliche Frage stellen, was denn die zentralen Aufgaben der Gesundheitspolitik sein sollten. Bisher ist sie dahingehend beantwortet worden, daß Gesundheitspolitik in erster Linie dafür zu sorgen hat, die öffentliche Hand von Verantwortung und Kosten zu entlasten. Als Aufgabe der Gesundheitspolitik wurde und wird es offenbar auch angesehen, vor allem die Pharmaindustrie und *) Vgl. Seiten 10402 D, 10407 D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 10445* die medizinisch-technische Industrie zu bedienen. Gesundheitspolitik war und ist so angelegt, daß sie den privaten Krankenkassen nützt. Daß die Antworten auf die Frage nach dem Sinn und dem Inhalt von Gesundheitspolitik bislang so beantwortet worden sind, wie ich das eben benannt habe, macht auch ein Blick in den jüngst von Regierungskoalition und der SPD vorgelegten Gesetzentwurf zur Gesundheits-Strukturreform deutlich. Unsere Auffassung unterscheidet sich von dem darin praktizierten Ansatz erheblich: Vorrangige Aufgabe einer humanen Gesundheitspolitik muß die Verbesserung der Lebensqualität aller Menschen sein. Hier stellt sich die Frage nach dem Gesundheitsbegriff. Die Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit nicht schlicht als Abwesenheit von Krankheit, sondern — unter anderem — als einen Zustand des völligen geistigen und körperlichen, insbesondere auch des sozialen Wohlbefindens. Ein so gefaßter Begriff von Gesundheit wird unter den realen Lebensbedingungen in unserer Gesellschaft zur Utopie. Ich möchte Sie z. B. an die direkten Opfer des zunehmenden Individualverkehrs erinnern und auch an die steigende Zahl schwerer und schwerster Allergien, die durch wachsende Umweltbelastungen hervorgerufen werden. Zu dieser Bilanz gehört auch die ungeheure Zahl derjenigen, die unter dem Druck der Leistungsgesellschaft ihre Gesundheit, ja sogar ihr Leben einbüßen. Die seit Jahren kontinuierlich steigende Tendenz zur Frühverrentung belegt — neben ihrer primären Funktionalisierung zum Zwecke einer gezielten Verdrängung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsprozeß — ebenfalls den hohen Grad der Abnutzung des Produktionsfaktors Mensch. Diese Abnutzung ist keineswegs eine rein physische, sondern vor allem auch eine psychische. Speziell dieser Aspekt wurde von den Bürgerinnen und Bürgern Ostdeutschlands mit großer Sensibilität schon bald nach dem Beitritt als äußerst bedrohlich erlebt. Nicht zuletzt auf Grund der kollektiven Mitverantwortung verbietet es sich, das Verursacherprinzip in Gestalt einer fiktiven Indivivalschuld in der gesetzlichen Krankenversicherung zu etablieren. Genau dies geschieht z. B. im Falle der neugeregelten Krankenversicherung der Rentner oder bei den nach Pakkungsgröße bzw. nach dem Preis gestaffelten Arzneimittelzuzahlungen. Von Gesundheitspolitik darf, ja muß erwartet werden, daß sie die tatsächlichen gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Menschen wahrnimmt und ihren Maßnahmen zu Grunde legt. Die Gesundheitspolitik, wie sie sich im aktuellen Gesundheitsstrukturgesetz manifestiert, scheint diesen Realitätsbezug zum Leben der Betroffenen verloren zu haben. Was das besonders Fatale ist: Diese Gesundheitsreform bemüht sich nicht um eine zukunftsweisende qualitative Überprüfung und Verbesserung des Gesundheitswesens, sondern sie hat a priori nur ein Ziel: der öffentlichen Hand weitestgehende Entlastung zu verschaffen. Das Problem sind eben nicht die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherungen oder steigende Krankenkassenbeiträge — das wahre Problem sind die maroden Staatsfinanzen. Diese Bundesregierung ist offensichtlich willens, die von ihr selbst durch Ignoranz und Inkompetenz ruinierten Staatsfinanzen durch drastische Einschnitte im sozialen Bereich bruchstückhaft zu flicken. Auch die Gesundheits-Strukturreform fügt sich nahtlos in dieses Szenario der sozialen Demontage ein. Das Gesundheitsstrukturgesetz ist ebenso wenig sozial ausgewogen, wie es die übrigen Versuche zur Haushaltskonsolidierung, z. B. die kürzlich verabschiedete 10. AFG-Novelle, sind. Es handelt sich um ein gesundheitspolitisch völlig kontraproduktives Spargesetz, mit dem sich der Gesundheitsminister zum willfährigen Erfüllungsgehilfen eines inkompetenten Finanzministers gemacht hat. Der Haushalt für die Gesundheitspolitik bildet keine Ausnahme. Wir lehnen ihn daher ab. Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Wenn in diesen Tagen über Gesundheitspolitik diskutiert wird, dann geht es in erster Linie um das Gesundheitsstrukturgesetz; es geht um Ausgaben und Einnahmen und um die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Qualitative Aspekte kommen in dieser Diskussion zu kurz. Elf Milliarden DM Einsparungen lassen sich schließlich auch nicht lautlos realisieren. Und trotzdem: Wir können über die Versorgungsstrukturen, über die Finanzierungsprobleme der GKV und über die Fehlsteuerungsmechanismen reden, soviel wir wollen. Das alles bleibt unzureichend, wenn es nicht gelingt, die Gesundheitsvorsorge bzw. die Krankheitsvermeidung stärker in die Köpfe der Menschen zu bringen. Sicherlich gibt es natürliche Anfälligkeiten für Krankheiten, andere sind Folgen von Fehlverhalten und Selbstschädigung: So bringen die Folgen des Rauchens nicht nur millionenfach Leid, sie kosten die Solidargemeinschaft auch Milliarden. Genauso die Folgen von Alkohol- und Medikamentenmißbrauch und falscher Ernährung. Im großen Maße sind aber Krankheiten verhaltensbedingt. Im Mittelpunkt einer qualitativ ausgerichteten Gesundheitspolitik muß deshalb die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit für die Gesundheit und muß die Aufklärung über die gesundheitlichen Gefahren des Fehlverhaltens stehen. Diese qualitative Gesundheitspolitik hat, wie der Einzelplan 15 zeigt, einen hohen Stellenwert. Genauso wichtig ist aber, daß das Heilen nicht nur finanziert wird, sondern daß die medizinischen Möglichkeiten optimal den Kranken helfen. Dabei haben die Modellprogramme, die mit diesem Haushalt gefördert werden, eine große Bedeutung. Daß Gesundheitspolitik eben nicht nur Reparaturbetrieb ist, das wird bei der Durchleuchtung des Einzelplanes 15 deutlich. Ein wichtiger Schwerpunkt sind die Modellprogramme zur Verbesserung der Versorgung chronisch Kranker und Krebskranker. Gefördert wird die Entwicklung in allen Bereichen, in der Prävention, in der Diagnostik, in der Therapie, in der Nachsorge und Rehabilitation. Neben den Krebserkrankungen stehen vor allem die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Herz-/Kreislauferkrankungen und Stoffwechselkrankheiten im Mittelpunkt. In den Jah- 10446' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 ren 1993 bis 1995 wird der Aufbau von 20 regionalen Rheumazentren gefördert. Zur besseren Versorgung von Krebskranken werden weitere Tumorzentren und Häuser mit onkologischen Schwerpunkten in den neuen Bundesländern auf- und ausgebaut. Hier ist wegen der ganz anderen Ausgangslage besondere Unterstützung notwendig. Es geht nicht nur um die Ausstattung dieser Zentren mit modernen Geräten. Auch die fachübergreifende Zusammenarbeit und damit die Bündelung des medizinischen Wissens wird unterstützt. Inzwischen ist auch der Aufbau einer bundesweiten Knochenmark- Fremdspenderdatei ein gutes Stück vorangekommen. Mit Bundesmitteln wird der Aufbau eines Zentralregisters in Ulm gefördert. Für die Gewinnung von freiwilligen Spendern werden der Deutschen Knochenmarkspender-Datei in Tübingen Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt. Zugleich werden die Voraussetzungen für die Errichtung einer bundesweiten Stiftung für Knochenmark-Transplantationen erarbeitet. In diese Stiftung sollen dann das Zentralregister und die Deutsche Knochenmarkspender-Datei integriert werden. Sobald das Gesundheitsstrukturreformgesetz verabschiedet ist, und wir uns von dem Verhandlungs- und Gesetzgebungsmarathon erholt haben, kündige ich schon heute für meine Fraktion an, daß wir uns an eine umfassende Organisationsreform des Bundesgesundheitsamtes machen werden. Mit 2 000 Beschäftigten ist das BGA zu einem nur noch schwer steuerbaren Tanker geworden. Trotz massiver Stellenausweitungen in den letzten Jahren hören die Klagen über den Zulassungsstau bei Arzneimitteln nicht auf. Das Gutachten, das wir 1990 zur Feststellung der Effizienz des Arzneimittelinstituts in Auftrag gegeben haben, liegt vor. Wir haben darüber bereits im Gesundheitsausschuß beraten. Es ist eindeutig: Bei der Arzneimittelzulassung gibt es Defizite, die durch Änderungen in der Organisationsstruktur behoben werden könnten. Die Effizienz der Entscheidungsabläufe muß verbessert werden. Wunder können von solchen Maßnahmen natürlich nicht erwartet werden. Das Dilemma besteht darin, daß einerseits die pharmazeutischen Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen eine schnelle Bearbeitung ihres Antrages verlangen. Mit gutem Grund hat daher der Gesetzgeber die Sieben-Monats-Frist in das AMG geschrieben. Andererseits verpflichtet die Arzneimittelsicherheit zu einer gründlichen Prüfung der eingereichten Unterlagen. Eine Abspeckung des Prüfumfanges könnte sich als gefährlicher Bumerang erweisen. Wie gesagt, das BGA-Personal ist bereits mehrfach aufgestockt worden. Ich sehe in dieser Situation nur einen sinnvollen Ausweg: Die Prüfung der eingereichten Unterlagen sollte vom BGA an externe Experten vergeben werden. Die letztliche Entscheidung muß natürlich von der Behörde getroffen werden. Aber der Entscheidungsprozeß könnte wesentlich verkürzt werden, zumal wenn sich das BGA unabhängiger Sachverständiger bei der Prüfung bedienen würde. Die Finanzierung einer solchen Verlagerung an Externe ist sicherlich schwierig — immerhin haben die Unternehmen einen Rechtsanspruch darauf, daß das Amt innerhalb der gesetzlichen Frist zu den gesetzlichen Gebühren die Prüfung durchführt. Dennoch haben mir die Gespräche, die ich hierzu geführt habe, gezeigt, daß bei den Unternehmen durchaus eine Bereitschaft bestünde, bei einer Prüfung der eingereichten Unterlagen durch Externe, die zu einer spürbaren Beschleunigung des Zulassungsprozesses führt, die entstehenden Kosten zu tragen. Eine solche Reform der Arzneimittelzulassung muß schnellstmöglich in Angriff genommen werden. Jedes Arzneimittel, das verzögert auf den Markt kommt, verhindert mehr Wettbewerb und bedeutet natürlich, daß der medizinische Fortschritt und Innovationen länger als notwendig den Patienten vorenthalten bleiben. Eine Verlängerung der Bearbeitungsfrist von jetzt sieben Monaten als Antwort auf die Probleme, das wäre der falsche Weg, das wäre die Kapitulation vor der Bürokratie. Die knappen finanziellen Mittel, die eine weitere Ausweitung des Personals nicht zulassen, sind immer auch eine Chance für eine ordnungspolitische Neubesinnung und für die Rückführung von Staatsaufgaben auf das Notwendigste. Das gilt nicht nur für das Arzneimittelinstitut. Mit zwei Prozent ist der Zuwachs der Mittel für das Bundesgesundheitsministerium eng begrenzt. Die Aufgaben dürften dagegen im weitaus stärkeren Maße wachsen. Dazu wird die binnenmarktsbedingte Harmonisierung auf dem Gesundheits- und Verbrauchersektor genauso beitragen wie neue Aufgaben, die sich aus dem Vollzug des Gesundheitsstrukturgesetzes ergeben. Deshalb haben wir uns bei letztem so vehement dafür eingesetzt, daß nur das Allernötigste dem Staat übertragen wird, ansonsten die Selbstverwaltung Vorrang hat. Unbeschadet dessen gewähren wir Freien Demokraten aber schon heute dem Gesundheitsminister Ablaß, wenn er angesichts der Fülle der neuen Aufgaben beim Haushaltsvollzug Prioritäten setzt. Ich hoffe allerdings, daß das nicht zu Lasten der guten Informationsarbeit geht, die das Haus in den vergangenen Monaten begleitend zum Gesundheitsstrukturgesetz geleistet hat. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 10 — Einzelplan 17, Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend -*) Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um Frauenpolitik ist es in der Bundesrepublik Deutschland schlecht bestellt, nicht nur deswegen, weil es vielen Frauen objektiv schlecht geht, sondern auch, weil ein großer Teil derer, die Frauenpolitik einst auf ihre Fahnen geschrieben haben, diese nur vorgeben aber nicht praktizieren, bzw. immer mehr *) Vgl. Seite 10419 A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 10447' und immer öfter von ihr abrücken — damit meine ich nicht nur die Regierung. Die Meldung, daß die Losung des DGBs zum 1. Mai „Frau geht vor", zurückgezogen worden ist, weil sie dem obersten Herrn der IG-Metall, Steinkühler, nicht paßte, ist kein Witz, sondern ernst gemeint, und es wäre schlimm, wenn Frauen in großen Massen trotzdem zur Mai-Demo gehen würden, als wäre nichts geschehen. Bei den GRÜNEN, die vormals auch in diesem Hause die Vorreiterrinnenrolle in Sachen feministischer Politik eingenommen haben, sieht es kaum besser aus. Wie zu hören ist, will man es dort mit der Frauenquotierung im Zuge der Vereinigung mit der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht mehr ganz so ernst nehmen. An den grünen Frauen im Lande, fernab von Bonn, scheint der Coup ihrer Parteifreunde unbemerkt vorbeizugehen. Ein hörbarer Widerstand läßt jedenfalls bisher auf sich warten. In anderen Parteien sieht es nicht besser aus. Wenn es Ansätze feministischer Frauenpolitik überhaupt gibt, kommt davon kaum etwas nach außen. Die einzige Hoffnung, die ich habe, ist die, daß Frauen sich das nicht mehr lange mit ansehen, sondern das böse Spiel, das mit ihnen und auf ihre Kosten betrieben wird endlich durchschauen. Die Frauen, die wie ich im Unabhängigen Frauenverband organisiert sind, werden der nächsten Mai-Demo des DGB jedenfalls fernbleiben. Wir reden zwar hier, heute und zu dieser Stunde über den Haushalt des Bundesfrauenministeriums. ln Wirklichkeit gibt es hier in Bonn aber gar kein Frauenministerium, sondern höchstens ein Frauenbeschwichtigungsministerium. Alle paar Wochen kommt die medienbegabte Ministerin mit einer neuen, vermeintlich frauenfreundlichen, frauenunterstützenden Parole heraus. Sie will die Vergewaltigung in der Ehe verbieten, redet permanent von Gleichstellung oder von dem, was sie dafür hält, erweckt Hoffnungen und spendet trügerischen Trost. Nur, heraus kommt dabei — zumindest bis jetzt — für die Frauen rein gar nichts. Die Bundesfrauenministerin macht keine Frauenpolitik. Das kann sie auch gar nicht als Alibifrau an des Kanzlers Seite. Würde sie Frauenpolitik machen, wäre sie vom Kanzler längst entlassen worden. So sieht das aus. Die Arbeitslosigkeit der Frauen im Osten wird von Woche zu Woche größer. Im Westen ist es nicht etwa besser. Dort ist die Frauenerwerbslosigkeit nur weniger sichtbar, weil den Herren das, was sie im Osten vorhaben, im Westen schon gelungen ist — nämlich die Frauen an Heim und Herd zu verbannen und ihnen höchstens noch einen „Zuverdienst" zu gönnen über ungeschützte Teilzeit, Kapovaz oder sonstige, für Unternehmer sehr günstige, für Frauen äußerst ungünstige Bedingungen. In dem zusammenfassenden Bericht der vom Bundeskabinett eingesetzten Arbeitsgruppen „Aufbauhilfe neue Bundesländer" lese ich, daß Frauen künftig entsprechend ihrem Anteil an der Erwerbslosigkeit an AB-Maßnahmen beteiligt werden sollen. Das wäre wirklich begrüßenswert, wenn man da nicht gleichzeitig dabei wäre, die Mittel für ABM bis zum Gehtnichtmehr zu kürzen. Daß von dem kläglichen Rest Frauen dann den ihnen zustehenden Anteil bekommen sollen, klingt dann nur noch hämisch und stimmt bitter. Allein in Thüringen zittern 22 Frauenberatungsstellen, die überaus stark frequentiert werden, um ihr Bestehen, da sie alle von ABM-Stellen existieren, die Ende dieses Jahres ablaufen. Der vermeintliche Sieg des Kapitalismus geht einher mit einem Sieg des Patriarchats. Es sind nicht allein wirtschaftliche Gründe, die zur Vernichtung der Frauenerwerbsplätze im Osten führen, es ist die Ideologie dieser Bundesregierung, die dazu führt, teils absichtlich und planvoll, teils weil in den eigendynamischen Prozessen, die konstitutiv für die Marktwirtschaft sind, nicht gegengesteuert wird. Eine Erwerbsquote von 90 % im Osten wäre ein Beispiel gewesen für die Frauen im Westen. Sie wäre dazu geeignet gewesen, die sog. „Erwerbsneigung" von westdeutschen Frauen und damit ihr Streben nach Emanzipation weiter zu fördern. Das durfte nicht passieren. Deswegen werden die frauenpolitischen Errungenschaften im Osten — die wohlgemerkt weit davon entfernt waren, als vollendet oder befriedigend zu gelten — systematisch kaputt gemacht, wozu dem Kanzler die Alibifrau an seiner Seite durchaus unentbehrlich zu sein scheint. Frauen müssen schließlich nicht nur wegen der verlorengehenden Erwerbsarbeit, sondern auch wegen der geschlossenen Kindertagesstätten und wegen der drohenden Ausdehnung des § 218 in den Osten beschwichtigt werden. Das Recht auf einen Kindergartenplatz für jedes Kind, das in der DDR selbstverständlich war, hier aber erst mit der Novellierung des Abtreibungsrechtes als soziale Begleitmaßnahme eingeführt werden sollte — entpuppt sich als Augenwischerei. 600 000 Plätze fehlen allein im Westen. Bund und Länder schieben sich gegenseitig die Verantwortung und die Kosten dafür zu. In Wirklichkeit besteht weder da noch dort Interesse an diesem Projekt, und zwar deswegen, weil sowohl in den Ländern als auch auf Bundesebene Politik nicht von Frauen, sondern von Männern gemacht wird, die ganz offensichtlich am Patriarchat hängen und offensichtlich nicht wollen, daß sich irgend etwas an den gesellschaftlichen Verhältnissen hier ändert. Die Politik in Bund und Ländern sähe sofort anders aus, wenn sowohl hier im Bundestag und in den Länderparlamenten als auch in den Regierungen 50 Prozent Frauen säßen. Daß Frauen sich allerdings mit noch so vielen schönen Worten nicht beschwichtigen lassen, zeigt der Haushalt der Bundesfamilienministerin: Knapp eine Milliarde Mark wurde als Folge des Geburtenrückganges an Kindergeld, Kindergeldzuschlag und Erziehungsgeld eingespart. „Unfreiwillig", wie Frau Rönsch einräumen muß. In diesem Bereich wird die Bundesregierung noch mehr Einsparungen zu verzeichnen haben, wenn sie so weitermacht wie bisher. Nicht zu heiraten und keine Kinder zu bekommen, die vom Patriarchat zugedachte Beschränkung der Frau auf Reproduktionstätigkeit zu verweigern, das ist eine konsequente 10448' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 und schlüssige Antwort auf das Desaster, das die Politik der Bundesregierung angerichtet hat, und das ist auch eine vernünftige Antwort auf die Fessel und die ökonomische Abhängigkeit, die Frauen durch den Artikel 6 GG — Ehe — zugemutet wird. Machen Sie sich nichts vor: auch im Westen gibt es Geburtenrückgang, auch im Westen wird weniger geheiratet — das Frauenbeschwichtigungsministerium und das Ministerium zur Rettung der patriarchalen Kleinfamilie werden daran wenig ändern. Frauen werden erst wieder Lust dazu kriegen, Kinder zu bekommen, wenn ihre ökonomische Eigenständigkeit gesichert ist, wenn Vaterschaft für männliche Karrieren eine gleich starke Bedeutung bekommt wie Mutterschaft für die Karriere von Frauen. Frauenpolitik hieße, Frau Ministerin, beispielsweise das zu bewirken. Frauenpolitik wäre auch, Arbeitszeitverkürzung einzufordern, anstatt unwidersprochen zuzusehen, wie Finanz- und Arbeitsminister den Arbeitnehmerlnnen in Deutschland einen Feiertag nach dem anderen klauen wollen, was nichts anderes heißt, als die Arbeitszeit zu verlängern. Welche Logik hat es denn bitte schön, in Zeiten der Arbeitslosigkeit die Arbeitszeit zu verlängern? Sie muß im Gegenteil für jede Einzelperson ganz erheblich gekürzt werden: Erstens damit Arbeit für alle da ist, für alle Frauen und für alle Männer, die Erwerbsarbeit wollen, und zweitens um den Kindern der Industriegesellschaft ihre Väter zurückzugeben. Frauenpolitik wäre, eine Wirtschaftspolitik einzufordern, die die Unterstützung von Unternehmen davon abhängig macht, ob sie Frauenerwerbsarbeitsplätze schaffen. Frauenpolitik wäre, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Väter dazu verpflichtet, einen Kindertagesstättenplatz nachzuweisen, wenn sie mehr als 19 Stunden erwerbstätig sein wollen. Was meinen Sie, wie schnell die Betriebskindergärten dann wie Pilze aus dem Boden schießen würden! Eine Ministerin, die Frauenpolitik machen will, muß dazu bereit sein, sich mit dem Rest der Regierung anzulegen, ebenso wie Frauen, die für eine Veränderung eintreten, dazu bereit sein müssen, sich mit dem Patriarchat anzulegen. Im übrigen bin ich der Meinung, daß auch die Jugendpolitik in diesem Lande anders aussehen würde, wenn die Schaltstellen der Macht zu 50 Prozent mit Frauen besetzt wären. In Westdeutschland war die Offene Jugendarbeit schon immer ein Stiefkind der Politik. Wie sollte es auch anders sein: Dieser Staat gibt 50,8 Milliarden Mark fürs Militär und nur 2,83 Milliarden für Frauen- und Jugendpolitik aus. Der Bereich Frauen und Jugend ist der Bundesregierung also nur ca. 5,5 Prozent soviel wert wie das Militär. Ca. 90 Prozent aller Jugendclubs, die es in der DDR früher gab, sind geschlossen, und zwar ohne daß ein Ersatz dafür geschaffen wurde. Nichtkommerzielle Angebote fehlen außerhalb von Großstädten völlig, was früher anders war. Wenn jetzt über Maßnahmen gerätselt wird, wie der Rechtsradikalismus bekämpft werden kann, dann erzähle mir doch bitte niemand, daß die Jugendpolitik, die Offene Jugendarbeit und die Summe der Gelder, die dafür ausgegeben wird, in dieser Frage keine Rolle spielen. Wenn die Jugendarbeit so vernachlässigt wird, wie das im Westen und im Osten jetzt der Fall ist, wenn der Militärhaushalt, den Sie Verteidigungshaushalt nennen, diesem Staat 20 mal mehr wert ist als die Erziehung der Jugend zu humanen Werten, zur Achtung vor anderen und Fremden, zur Freundlichkeit und zur Nächstenliebe, dann braucht sich bei gleichzeitig betriebener Hetze gegen Flüchtlinge und Asylsuchende — einer Hetze, an der sich Frau Rönsch mit der Forderung nach Kürzung der Sozialhilfe ganz erheblich beteiligt hat — doch niemand zu wundern, wenn manche deutsche Jugendliche sich neuerdings Springerstiefel anziehen, nicht als Modegag, sondern um Andersdenke oder Fremde damit totzutrampeln. Dann frage ich mich allerdings, was an diesem Staat — so er nicht ernsthaft und tiefgreifend was unternimmt, um das zu verhindern — noch verteidigenswert ist. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 12 — Einzelplan 31, Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft —*) Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Ich will in der Kürze meiner Zeit nicht über das Spiegelbild reden, sondern über das Original. Denn der nichtzustimmungsfähige Haushalt Bildung und Wissenschaft ist nichts anderes als das Spiegelbild einer ablehnungsbedürftigen Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Man muß schon bis zur Picht'schen „Bildungskatastrophe", also an die 30 Jahre, zurückgehen, wenn man ein ähnliches Niveau an bildungs- und wissenschaftspolitischen Negativschlagzeilen vorfinden will, wie es die gegenwärtige Bundesregierung mitproduziert. „Das macht dich echt fertig" titelt der „Spiegel" im Ergebnis seiner jüngsten Recherche zur Hochschulpolitik. Mit „Lehrstelle im Osten wie Fünfer im Lotto" oder „Dürfte Ortleb in Rostock Professor sein?" könnte man fortfahren. Im krassen Gegensatz zu dieser veröffentlichten und wohl auch öffentlichen Meinung steht das bildungs- und wissenschaftspolitische Eigenlob der Bundesregierung und der hier und in den meisten ostdeutschen Ländern regierenden Parteien. Dieses Eigenlob ziert auch die nach immerhin neun Monaten gegebene Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage unserer Abgeordnetengruppe zur Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Die zwischen Krise und *) Vgl. Seite 10440 A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 10449* Katastrophe schwankende Lage im Osten und die, zumindest im Hochschulbereich, kritische Situation im Westen wird entweder beschönigt, verdrängt oder in die Verantwortung der Länder, namentlich der ostdeutschen abgeschoben. Ansonsten legt man sich in die vom Bundeskanzler unter dem Titel „Bildung für den Standort Deutschland" vorgeschriebene wirtschaftsliberale Rechtskurve, das heißt, man produziert Mosaiksteinchen für eine streng marktwirtschaftliche Reform des Hochschul- und Wissenschaftssystems bei gleichzeitiger Abschottung dieses Systems gegen irgendwelche Europäisierungen. Im selben Atemzug, in dem sich die Bundesregierung für die ostdeutsche Bildungsmisere als nicht zuständig erklärt, verweist sie nicht ohne Stolz darauf, daß sie ja strukturelle Voraussetzungen für die Anpassung der ostdeutschen an die westdeutsche Bildungs- und Wissenschaftslandschaft geschaffen habe und dafür, was sie so vornehm „personelle Erneuerung" nennt. Aber gerade der Versuch, ostdeutsche Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte und deren Ergebnis durch das schlagartige Aufdrücken westdeutscher Strukturen und Gepflogenheiten, durch massenhafte Verteufelung und Vertreibung des ostdeutschen Personals ungeschehen machen und quasi über Nacht westdeutsche Landschaften erblühen lassen zu wollen, ist gründlich gescheitert. Gelungen ist die Verwandlung einer grundlegend erneuerungsbedürftigen Bildungs- und Wissenschaftslandschaft DDR von Ende '89 in eine beträchtlich entvölkerte Ruinenlandschaft Ost Ende 1992. Wie man stolz darauf sein kann, daran maßgeblich mitgewirkt zu haben, verstehe ich nicht. Der Haushalt Bildung und Wissenschaft ist die Fortsetzung des öffentlich gewordenen bildungs- und wissenschaftspolitischen Trauerspiels der Bundesregierung hinter geschlossenem Vorhang. Das geht soweit, daß in vielen Fällen nicht die Einheit, sondern neue Mauern finanziert werden. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn sich die Bundesregierung weiterhin mit 50 % bis zu einem Betrag von 12 000,— DM pro Ausbildungsplatz und Jahr an der Aufrechterhaltung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebotes im Ruhrgebiet beteiligt und gleichzeitig selbst die klägliche und auf Kleinbetriebe beschränkte 5 000,—Mark Förderung für den Osten streicht? Oder soll man es einheitsstiftend finden, wenn aus dem Hochschulerneuerungsprogramm Ost unter dem Stichwort „personelle Erneuerung" vorrangig der Transfer von häufig zweit- und drittklassigem Hochschulpersonal aus dem Westen finanziert wird, während gleichzeitig ostdeutsches Personal, darunter auch internationale Spitzenkräfte, gnadenlos abgewickelt wird? Ich erinnere nur an den „Fall" Prof. Klinkmann.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Konstanze Wegner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde meinen Beitrag kurz fassen. Ich beginne mit einem Zitat: Wie man es auch dreht und wendet, die Familien zahlen weit mehr an den Fiskus, als sie bekommen. Die Vorstellung eines familienfreundlichen Steuersystems ist also so grundfalsch wie weitverbreitet. — So äußerte sich nicht etwa ein linker Sozialdemokrat, sondern Dr. Jürgen Borchert in seinem Plädoyer für die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisation vor dem Bundesverfassungsgericht im Februar dieses Jahres.

    (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Der kann ja kluge Sachen sagen, der Borchert!)

    Dieses Zitat ist leider auch nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts immer noch aktuell. Auch der bestehende Familienlastenausgleich ist aus unserer Sicht immer noch sozial ungerecht, kompliziert und außerordentlich schwer zu durchschauen.
    Die Alternativen der Sozialdemokraten sind bekannt. Ich brauche sie hier nicht aufzuzählen. Auch nach dem Spruch des Verfassungsgerichts geht es zunächst lediglich um die Herstellung von Steuergerechtigkeit. Mit einer Entlastung der Familien hat das noch nichts zu tun. Um einen echten Lastenausgleich zugunsten von Familien und Alleinerziehenden zu bekommen, werden wir auf Dauer nicht darum herumkommen, kinderlose gut verdienende Ehepaare stärker zur Kasse zu bitten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Uta Würfel [F.D.P.]: Das glaube ich allerdings auch!)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Familienbegriff hat sich gewandelt. Im Mittelpunkt kann deshalb nicht mehr ausschließlich die ganz normale Familie stehen, auf die sich Frau Ministerin Rönsch immer bezieht.

    (Uta Würfel [F.D.P.]: Was ist schon normal!)

    Die Politik muß auch die Alleinerziehenden und die Tatsache berücksichtigen, daß heute rund 30 % aller Lebensgemeinschaften ohne Trauschein bestehen.

    (Herbert Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Leider!)

    Leider wird die eigentliche Familienarbeit weiterhin ausschließlich von Frauen geleistet. Das Erziehungsgeld, so nützlich es auch ist, hat dieses Rollenverhalten nicht ändern können. Im Gegenteil: Es hat es sogar stabilisiert:

    (Zuruf von der SPD: Genau!)

    Im Ministerium wird sehr viel Geld für Informationskampagnen ausgegeben. Vielleicht könnte man einmal eine Kampagne starten die den deutschen Mann dazu motiviert, seinen Teil der Familienarbeit zu übernehmen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Hilfreicher, aber sicherlich schwerer finanzierbar als Kampagnen wäre eine Umwandlung des Erziehungsgeldes in eine Geldleistung, die wirklich Lohnersatzfunktion hätte. Hilfreich wäre auch — da knüpfe ich an das an, was Ministerin Merkel gesagt hat — ein breites Angebot an Teilzeitplätzen für Männer, und zwar auch und gerade in der Wirtschaft, nicht nur im öffentlichen Dienst.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Berichterstattergespräche haben in vielen Punkten Übereinstimmung gebracht. So wurde einvernehmlich die vorgesehene Kürzung für die Betreuung von Aussiedlern und Flüchtlingen gemildert. Das Netz, das die Wohlfahrtsverbände aufgebaut haben, kann man nicht beliebig ausdünnen; dann würde es reißen. Es wäre auch absolut widersinnig, das zu tun; denn zumindest die Flüchtlingszahlen steigen drastisch an.
    Der Ideologietitel des Ministeriums, das sogenannten Informationsprogramm „Zukunft der Familie",

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist das?)

    enthält, wie immer, durchaus sinnvolle Projekte und Werbevorhaben der Regierung in einem bunten Durcheinander. Wir bitten darum, daß künftig bei diesem Titel Forschung und Öffentlichkeitsarbeit getrennt ausgewiesen werden.

    (Zuruf von der SPD: Jawohl!)

    Unser Antrag, 6,5 Millionen DM von diesem Programm zugunsten der Sanierung von Familienferienstätten und der Einrichtungen des Müttergenesungswerks, und zwar vornehmlich in den neuen Bundesländern, umzuschichten, wurde leider abgelehnt.

    (Zurufe von der SPD: Hört! Hört! — Typisch! )

    Zweifellos brauchen wir eine neue Altenpolitik, und zwar inhaltlich und organisatorisch. Die alten und älteren Menschen sind nämlich dabei, die größte Gruppe der Gesellschaft zu werden. Deshalb gebietet es die gesellschaftliche Notwendigkeit und auch das persönliche Interesse — denn jeder von uns hofft, unter annehmbaren Umständen alt werden zu können —, sich mit dieser Thematik intensiver zu beschäftigen und sie nicht zu verdrängen.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uta Würfel [F.D.P.])

    Auch der Altersbegriff hat sich gewandelt. Das Alter kann heute drei bis vier Jahrzehnte dauern, also länger als die Zeit des eigentlichen Arbeitslebens. Dementsprechend verstehen wir unter den Alten heute Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und mit ganz unterschiedlichen Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Deshalb müssen auch die „jungen" Alten verstärkt Möglichkeiten zur Weiterbildung und zur praktischen Beteiligung erhalten, und ihre fachliche Qualifikation sollte genutzt werden, wie es z. B. im Senioren-ExpertenService, den es hier in Bonn gibt, bereits in vorbildlicher Weise geschieht.
    Daneben sind die Schaffung altengerechter Wohnungen, die Behebung des Pflegenotstandes und die



    Dr. Konstanze Wegner
    Verabschiedung der Pflegeversicherung überfällige Aufgaben, die längst gelöst sein könnten;

    (Beifall bei der SPD) dies an die Adresse der Koalition.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Das hätten Sie schon 1980 lösen können!)

    Nach wie vor gibt es Tabuzonen auch in der Altenpolitik. Ich erinnere nur an die Frage: Kümmern wir uns und wie gehen wir um mit den fast 350 000 ausländischen Rentnerinnen und Rentnern, die in unserer Gesellschaft leben? Ich erinnere auch an die Frage eines humanen Sterbens. Damit meine ich nicht Typen wie Herrn Atrott usw., sondern es geht um die Frage, wie man Sterbende auf ihrem letzten Weg begleiten kann.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uta Würfel [F.D.P.])

    Das Kernstück der Altenpolitik der Regierung ist der sogenannte Altenplan. Auch hier ist es wie beim Familienprogramm: Es geht Vernünftiges und Nebulöses durcheinander. Die Einrichtung der Seniorenbüros ist sicherlich eine gute Idee. Aber für mich — ich würde mich freuen, wenn auch die Ministerin mir zuhörte — stellt sich die Frage, ob die Kommunen zu einer Anschlußfinanzierung bereit sein werden,

    (Zuruf von der SPD: In der Lage sind!) wenn die Modellvorhaben auslaufen.

    Der Anspruch des Ministeriums, eine internationale Seniorenpolitik in die Wege zu leiten, die — ich zitiere — „die Völkerverständigung fördert, den Frieden sichert und Aussöhnung mit den Völkern Osteuropas bringen soll", erscheint mir dagegen etwas hoch gegriffen

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Leicht übertrieben!)

    und läßt eher auf die Planung eines umfangreichen Reiseprogramms schließen.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja! — Uta Würfel [F.D.P.]: Nur darum geht es!)

    Vernünftig klingt dagegen der Vorschlag, einen Austausch von Fachkräften der Altenhilfe und der Altenarbeit durchzuführen.
    Das Ministerium plant eine Weiterentwicklung des Sozialhilferechts mit dem Ziel, den Grundsatz der Prävention in der Sozialhilfe künftig stärker zu betonen. Das ist sicherlich nützlich. Aber letztlich kann Armut nicht wegberaten werden, sondern sie hat ganz konkrete Ursachen, die z. B. in der Caritas-Studie exemplarisch dargestellt worden sind.
    Insgesamt wünschen wir uns in diesem Haushalt weniger Öffentlichkeitsarbeit und mehr Konzentration auf die erwähnten dringlichen Aufgaben.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uta Würfel [F.D.P.])

    Dazu zum Abschluß ein Beispiel: Am Hauptbahnhof
    meiner Heimatstadt Mannheim grüßt mich zur Zeit
    bei jeder Abfahrt und Ankunft ein schönes überlebensgroßes Farbfoto von Frau Ministerin Rönsch.

    (Zurufe von der SPD: Was?!)

    Sie lächelt von einer Plakatwand herab, und sie informiert dort über den Sachverhalt, daß Senioren das Leben kennen. — Ich glaube, das Geld für diese Kampagne könnte man sparen.

    (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

    Man sollte es statt dessen in Investitionen für die Altenheime in den neuen Ländern stecken. Da wäre es sehr viel besser angewandt.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uta Würfel [F.D.P.])



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Irmgard Karwatzki.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Irmgard Karwatzki


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Wegner, es ist so, und es bleibt so — das ist das Ritual dieses Hauses —, daß die jeweilige Opposition die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung immer kritisiert.

    (Zuruf von der SPD: Nur ist es berechtigt!)

    Das soll auch ruhig so bleiben. Von daher gehe ich natürlich davon aus, daß es sehr gut war, daß wir gerade den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit so gestaltet haben, wie wir ihn gestaltet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, trotz angespannter Haushaltslage, in der Einsparungen notwendig sind, ist es den Berichterstatterkolleginnen und -kollegen gelungen, dafür zu sorgen, daß der Einzelplan 18 nicht nur zum Opfer finanzieller Kürzungen wurde, sondern daß auch wichtige Aufstockungen erfolgten. Ich darf dazu auf das verweisen, was die Kollegin Wegner eben ausgeführt hat.
    Nach wie vor ist der Haushalt der Bundesministerin für Familie und Senioren der viertgrößte Einzeletat des Bundes. Daran wird deutlich, daß auch in finanzpolitisch angespannten Zeiten die Förderung der Familie für die Bundesregierung höchste Priorität hat.

    (Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

    — Das mögen Sie ja sagen.

    (Zuruf von der SPD: Alles im Waigelschen Würgegriff!)

    Ich begründe das jetzt. Hören Sie bitte zu! Dann können Sie etwas dazu anmerken.
    Die Familie hat Anspruch auf eine ausreichende Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Aufgaben.

    (Zuruf von der SPD: Genau das ist nicht gegeben!)

    — Ich würde erst zuhören! — Die Bundesregierung fördert durch ihre Maßnahmen die Lebensbedingungen — —

    (Weitere Zurufe von der SPD)




    Irmgard Karwatzki
    — Ich höre immer zu, wenn Vertreter der Opposition reden. Das können alle Kollegen bestätigen. Ich applaudiere dann auch, wenn es erforderlich ist. Damit das nun klar ist!

    (Beifall im ganzen Hause)

    Die Bundesregierung fördert durch ihre Maßnahmen die Lebensbedingungen der Familie in ihrer selbst gewählten Form des Zusammenlebens. In den vergangenen Jahren sind in der Familienpolitik durch den Ausbau bestehender und durch die Einführung neuer Instrumente erhebliche Leistungsverbesserungen erzielt und neue Akzente und Schwerpunkte gesetzt worden. Wir haben Rahmenbedingungen geschaffen, mit deren Unterstützung Menschen ihre Lebensvorstellungen in Ehe, Familie und mit Kindern verwirklichen können.
    Die größte sozialpolitische Errungenschaft der 80er Jahre war die Einführung des Erziehungsgeldes, verbunden mit einem Erziehungsurlaub und einer Garantie der Rückkehr an den Arbeitsplatz. — Jetzt müssen Sie applaudieren!

    (Beifall im ganzen Hause)

    Hierfür wurde die Erziehungsleistung von Müttern und Vätern, die sich vorrangig ihren Kindern widmen, auch finanziell stärker anerkannt, und das gewährleistet gleichzeitig, daß Eltern mehr Zeit für die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder haben.

    (Zuruf von der SPD: Die Mütter!)

    Inzwischen hat der Deutsche Bundestag weitere Verbesserungen des Erziehungsgeldgesetzes beschlossen. So beträgt seit dem 1. Januar 1992 der Erziehungsurlaub, den Mütter und Väter in Anspruch nehmen können, volle drei Jahre. Ab 1. Januar 1993 wird das Erziehungsgeld ein halbes Jahr länger, das heißt zwei Jahre lang, gezahlt. Das Erziehungsgeld ist 1993 mit 7,4 Milliarden DM veranschlagt.
    Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sind nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre eine wichtige Hilfe für junge Familien. Auch Sie müssen bestätigen — Statistiken belegen es —, daß 96,5 % der Eltern nach der Geburt ihres Kindes das ihnen zustehende Erziehungsgeld in Anspruch nehmen und daß sich 96 % der berufstätigen Mütter und Väter für den Erziehungsurlaub entscheiden.
    Mit gutem Gewissen und großer Freude kann ich sagen, daß das 1986 von der Bundesregierung eingeführte Bundeserziehungsgeldgesetz ein großer familienpolitischer Erfolg ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die wirtschaftliche Situation junger Eltern könnte nachhaltig verbessert werden, wenn alle Bundesländer im Anschluß an das Bundeserziehungsgeld ein Landeserziehungsgeld zahlen würden. Solche Landesleistungen gibt es bislang nur in Bayern, in Berlin, in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz ab dem dritten Kind und nun — darüber freue ich mich sehr — ab 1993 auch in Sachsen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Zum 1. Januar 1992 sind im Bundeserziehungsgeldgesetz die Bedingungen für die Inanspruchnahme durch die Väter verbessert worden. Ein Wechsel mit der Mutter bei der Kindererziehung ist jetzt bis zu dreimal anstatt, wie bisher, nur einmal möglich. Dadurch hat die Frau die Möglichkeit, am Arbeits- und Erwerbsleben, wenn sie es wünscht, teilzunehmen, wie es auch umgekehrt möglich ist, daß sich der erwerbstätige Mann an der Familientätigkeit aktiv beteiligt.

    (Zuruf von der SPD)

    — Ich weiß das, liebe Kollegin; ich habe Ihren Zwischenruf auch gehört. Ich wünsche mir ja auch, daß mehr Väter von den Möglichkeiten des Gesetzes Gebrauch machen und das Geld in Anspruch nehmen. Aber wir können sie nicht hinprügeln. Wir können nur alle gemeinsam reden mit dem Ziel, daß möglichst viele Männer das Gesetz auch in Anspruch nehmen.
    Die angespannte Haushaltslage des Bundes ließ in der ersten Häfte der Legislaturperiode nur Verbesserungen zu, die auf Grund der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich geboten sind. So haben wir ab dem 1. Januar 1992 das Kindergeld für das erste Kind von 50 DM auf 70 DM erhöht, den Kindergeldzuschlag von vorher 48 DM auf 65 DM erhöht und den Kinderfreibetrag — das müssen wir uns immer wieder in Erinnerung rufen — für alle Kinder von 3 024 DM auf 4 104 DM angehoben.
    Gleichwohl wissen wir, daß beim Familienlastenausgleich über die Verbesserungen der vergangenen Jahre hinaus folgende Vorstellungen verwirklicht werden müssen:
    Erstens. Volle steuerliche Freistellung des Existenzminimums von Kindern, wie es das Bundesverfassungsgerichts in seinen Entscheidungen von Mai und Juni 1990 gefordert hat. Die zu berücksichtigende Höhe ist regelmäßig der jeweiligen Entwicklung anzupassen.
    Zweitens. Bedarfsgerechter Ausbau des Kindergeldes. Das Kindergeld muß künftig bei Familien um so höher sein, je geringer das Einkommen der Familie und je größer die Zahl der Kinder in der Familie ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Bei Besserverdienenden machen, so meine ich, hohe Steuerfreibeträge wegen der Steuerprogression Kindergeldzahlungen eigentlich überflüssig. Darüber muß hier im Hause neu miteinander geredet werden.
    Mit finanziellen Entlastungen allein sind jedoch noch nicht alle Hindernisse für Familien aus dem Weg geräumt. Was wir brauchen, sind mehr Angebote, wie sie eben sowohl von der Kollegin Merkel als auch von der Kollegin Wegner genannt worden sind: Angebote, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern, die Eltern bei der Kindererziehung oder Personen bei der Pflege von älteren Angehörigen unterstützen, die Möglichkeiten des beruflichen Wiedereinstiegs nach Erziehungszeiten und familienfreundliche Arbeitszeiten bieten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)




    Irmgard Karwatzki
    Generell, meine Damen und Herren, brauchen wir ein kinderfreundlicheres Klima. Halten wir uns immer vor Augen, daß Kinderlärm Zukunftsmusik ist!

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

    Die Zukunftsgestaltung der älteren Mitbürger gehört ebenfalls zu den politischen Themen in unserem Land, die wir nicht vernachlässigen dürfen. Die Politik für ältere Menschen wird in den kommenden Jahren immer mehr an Gewicht gewinnen. Sie wird ein Drittel unserer Bevölkerung betreffen. Bereits 1991 hat Bundeskanzler Helmut Kohl auf diese politische Herausforderung reagiert und ein Ministerium für Familie und Senioren geschaffen, das sich eigens um die Belange älterer Menschen kümmert.
    Unsere Altenpolitik fördert die gesellschaftliche Teilhabe der älteren Generation. Einen Meilenstein haben wir mit dem Bundesaltenplan gesetzt, den wir 1992 in Anlehnung an den Bundesjugendplan entwikkelt haben. Er ist ein Förderinstrument, mit dem Impulse zur Weiterentwicklung der Hilfe und Arbeit für ältere Mitbürger gegeben werden. Er ist damit ein wesentliches innovatives Element der Bundespolitik für ältere Menschen.
    Seine Schwerpunkte sind erstens die Förderung der Selbständigkeit und der gesellschaftlichen Beteiligung älterer Menschen, zweitens die Unterstützung hilfe- und pflegebedürftiger älterer Menschen beim Erhalt ihrer Selbständigkeit, drittens die Angleichung der Lebensverhältnisse im geeinten Deutschland und viertens — liebe Kollegin Wegner, auch wenn Sie es kritisieren — der Ausbau der internationalen Seniorenpolitik. Wie Sie wissen, ist der Reiseetat in diesem Hause ja sehr gering. Die reisen nicht zuviel. Dafür haben wir schon gesorgt.

    (Zurufe von der SPD)

    — Nicht nur da, auch woanders.
    Die hier angesprochenen Schwerpunkte können nur schrittweise auf- und ausgebaut werden. Im ersten Jahr, nämlich 1992, haben wir für den Bundesaltenplan Mittel in Höhe von 5 Millionen DM bereitgestellt. In den Folgejahren sind Aufstockungen auf 10 Millionen DM in 1993, auf 12 Millionen DM in 1994 und auf 15 Millionen DM in 1995 vorgesehen.
    Die meisten älteren Mitbürger verbringen ihren Lebensabend in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung. Sie wollen selbständig leben. Die Altenpolitik hat die Aufgabe, die Bedingungen für ein eigenständiges Leben im Alter mit zu schaffen.
    An einer solchen Politik, die das Selbständigkeitsstreben älterer Menschen fördert und unterstützt, sind viele Kräfte beteiligt: der Bund, die Länder, die Gemeinden, aber vor allem viele freie Träger. Nicht zuletzt sind die vielen Selbsthilfegruppen zu erwähnen, in denen sich alte Menschen zusammenfinden, um ihre Wünsche und Forderungen zu formulieren und der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Es gibt z. B. in vielen Städten Seniorenvertretungen, in denen ältere Mitbürger Einfluß auf kommunale Entscheidungen
    — ganz im Sinne ihrer Interessen — zu gewinnen trachten. Überall ist das Streben erkennbar, der Passivität und Isolierung im Alter entgegenzuwirken und
    durch tatkräftiges Hineinwirken in die Gesellschaft die Integration der älteren Menschen in eben diese Gesellschaft zu fördern.
    Wenn wir zum einen die Aktivitäten der Senioren unterstützen, dürfen wir aber auch diejenigen nicht vergessen, die unserer Hilfe und Betreuung bedürfen und die pflegebedürftig sind. Sie brauchen besonders unsere Solidarität.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Eine der letzten großen sozialpolitischen Herausforderungen der Bundesregierung ist daher die Absicherung gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit. Mit der Einführung der Pflegeversicherung wird die gesamte Bevölkerung — bis auf wenige Ausnahmen — pflichtversichert sein. Neben der Renten-, der Kranken-, der Arbeitslosen- und der Unfallversicherung wird die Pflegeversicherung die fünfte Säule im System der gesetzlichen sozialen Sicherung sein. Organisatorisch, meine Damen und Herren, soll sie unter dem Dach der gesetzlichen Krankenversicherung angesiedelt sein.
    Der nach langen und sehr kontrovers geführten Auseinandersetzungen gefundene Weg ist sozial ausgewogen. Meines Erachtens ist er dauerhaft finanzierbar, stellt die Versicherten nicht vor unzumutbare Mehrbelastungen und schließt niemanden aus, auch die bereits heute Pflegebedürftigen nicht.

    (Zuruf von der SPD: Alles viel zu spät!)

    — Herr Kollege, wenn Sie rufen, es sei zu spät, dann muß ich sagen: Das hätten Sie ja schon alles schaffen können! — Aber da gehörten Sie dem Haus noch nicht an. Insofern war das nicht möglich.
    Nach wie vor werden die meisten pflegebedürftigen Menschen zu Hause von Familienangehörigen, insbesondere von Frauen, gepflegt. Diese Pflegepersonen verzichten auf eigene Berufstätigkeit, auf eigenes Einkommen und auf Rente.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Um diese Nachteile zu mildern, müssen wir die soziale Absicherung der Pflegepersonen durch deren Aufnahme in die Renten- und Unfallversicherung verbessern.

    (Beifall der Abg. Uta Wüfel [F.D.P.] — Zurufe von der SPD: Wann?)

    — Schreien Sie doch nicht immer „Wann"! Machen Sie mit! Denken Sie mit uns, und dann wollen wir weitermachen!

    (Beifall bei der CDU/CSU — Rudolf Bindig [SPD]: Unser Gesetzentwurf steht zur Abstimmung!)

    Um spätere Einbußen bei der Altersrente auszugleichen, werden durch die Rentenstrukturreform 1992 erstmals in der Rentengeschichte Zeiten der Pflegetätigkeiten ebenso wie Zeiten der Kindererziehung auf die Rente angerechnet.
    Auch das Angebot an professionellen Diensten zur Entlastung der Pflegenden muß qualitativ und quantitativ weiterentwickelt werden. Zu diesem Zweck ist es dringend geboten, ein bundeseinheitliches Alten-



    Irmgard Karwatzki
    pflegegesetz, das sich derzeit noch in parlamentarischer Beratung befindet, zu schaffen, wenn der Mangel an Fachkräften in der Altenpflege nicht noch größer werden soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zum Schluß möchte ich ein Wort des Dankes sagen, insbesondere der freien Wohlfahrtspflege, die eine der wichtigsten Aufgaben in unserem Staat leistet, was viel zuwenig gewürdigt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

    Zum zweiten möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses — nicht nur bei den für den Einzelplan 18 zuständigen Kollegen, sondern bei vielen anderen auch; bei einem nicht, der hat hier immer dazwischengerufen — herzlich für das gute Miteinander bedanken. Auch den Beamten des Ministeriums möchte ich für die sympathische Zusammenarbeit herzlich danken; sie haben es verdient.
    Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)