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    Plenarprotokoll 12/122 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 122. Sitzung Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 Inhalt: Verurteilung des Brandanschlags auf zwei Mehrfamilienhäuser in Mölln, dem eine türkische Frau und zwei türkische Mädchen zum Opfer fielen . . . . . 10323A Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Heinrich Lummer 10323B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 10323 C Zur Geschäftsordnung: Rudi Walther (Zierenberg) SPD , . . . , 10323 D Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU . . . 10326C Ina Albowitz F.D.P. . . . . . . . . . . . 10327 B Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 10327 D Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . 10328 A Tagesordnungspunkt HI: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksachen 12/3000, 12/3541) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 12/3501, 12/3530) 10328D Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 12/3502, 12/3530) 10329A Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 12/3503, 12/ 3530) 10329A Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen (Drucksachen 12/3508, 12/3530) in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksache 12/3525) in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksache 12/3529) in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksachen 12/ 3520, 12/3530) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 10330B Rudi Walther (Zierenberg) SPD . . . . 10330D, 10354A, 10365C, 10369A, 10372C, 10382A Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . . . 10337D Jochen Borchert CDU/CSU . . . , . . , 10345 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 10345D Helmut Esters SPD 10347 D Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . 10348B, 10364 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 10350A Hans Koschnick SPD 10351B Michael Glos CDU/CSU . . . . . 10354 D Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . 10355 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . , , . , . . . 10357 A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 Joachim Poß SPD 10359A Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . 10361A Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 10362B Carl-Ludwig Thiele F D P 10367 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 10369B, 10380B Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 10369C Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 10371C Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 10374 C Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . . . 10377 C Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD . . . 10378A Helmut Esters SPD 10380A Dr. Gero Pfennig CDU/CSU . . . . . . 10381 B Ortwin Lowack fraktionslos 10383 C Dr. Ulrich Briefs fraktionslos . . . . . 10384 C Tagesordnungspunkt I: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Drucksache 12/3628) 10386B b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze (Drucksache 12/3630) . . . . . . . 10386 C c) Beratung des Antrags der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Internationale Initiative zur Rettung bedrohter Menschenleben (Drucksache 12/3660) 10386C d) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Internationale Initiative zur Rettung bedrohter Menschenleben (Drucksache 12/3700) . . . 10386C e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Dr. Ingomar Hauchler, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Europäische Entwicklungszusammenarbeit (Drucksache 12/3647) 10386C f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Ilja Seifert und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Erarbeitung eines ökologischen integrierten Gesamtverkehrskonzeptes für die Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 12/3736) 10386D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen an das Gemeinschaftsrecht sowie zur Änderung anderer Gesetze (Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz) (Drucksache 12/3773) 10386D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zollrechtsänderungsgesetzes (Drucksache 12/3734) . . . . . . . . . . 10387 A Tagesordnungspunkt II: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes (Drucksachen 12/3566, 12/3741, 12/3756) . . . . 10387A c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Mai 1992 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Regelung bestimmter Vermögensansprüche (Drucksachen 12/3379, 12/3539, 12/3640, 12/3644) . . . 10387B d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Fischwirtschaftsgesetzes (Drucksachen 12/3378, 12/3638) . . . . . . . . . . . . . 10387 C e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Walter Kolbow, Hans Gottfried Bernrath, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wehrtechnische Zusammenarbeit mit Israel (Drucksachen 12/2494, 12/3793) 10387 C f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt), Brigitte Adler, Gerd Andres und weiterer Abgeordneter: Zuckerrübentransport auf die Schiene (Drucksachen 12/2772, 12/3567) 10387D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/73/EWG über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Geflügelfleisch (Drucksachen 12/2257 Nr. 3.34, 12/ 3637) 10387D h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Lebensmittelhygiene (Drucksachen 12/2257 Nr. 3.59, 12/3639) . . . . 10388 A i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Fünfundzwanzigste Verordnung zur Anderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 12/3143, 12/ 3652) . . . . . . . . . • . . . . . 10388 A j) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 616 31 — Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit (Drucksachen 12/3354, 12/3655) . . . . . . . . . . . . . 10388 A k) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02 Titel apl. 652 12 — Beseitigung von Folgen der Dürreschäden in Nord- und Ostdeutschland im Jahre 1992 (Drucksachen 12/3360, 12/3663) 10388B 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD: KSZE-Parlamentarierversammlung (Drucksachen 12/2893, 12/3672 [neu]) 10388B m) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Vierundzwanzigste Verordnung zur Anderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 12/3125, 12/3749) 10388B n) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 80 zu Petitionen (Drucksache 12/3708) . . . . . . . . . 10388 C Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (Drucksachen 12/3511, 12/3530) Karl Diller SPD 10389 D Hans-Gerd Strube CDU/CSU . . . . . 10393 B Dr. Gisela Babel F.D.P. . . . . . . . . 10395B Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10396D Petra Bläss PDS/Linke Liste 10397 D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos . . . . . 10399 B Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 10400 A Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit (Drucksachen 12/3515, 12/3530) Uta Titze SPD 10403 A Arnulf Kriedner CDU/CSU 10406 C Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 10407 D Arnulf Kriedner CDU/CSU . . . . . 10408A Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin BMG 10409C Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . 10409D Einzelplan 17 Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend (Drucksachen 12/3517, 12/3530) Dr. Konstanze Wegner SPD 10412A Susanne Jaffke CDU/CSU 10415A Uta Würfel F.D.P . . . . . . . . . . . . 10416 D Petra Bläss PDS/Linke Liste . . . . . . 10418B Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10419A Einzelplan 18 Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Senioren (Drucksachen 12/3518, 12/3530) Dr. Konstanze Wegner SPD 10422 A Irmgard Karwatzki CDU/CSU 10423 C Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. . . . . . 10426A Dr. Peter Struck SPD 10426 D Arne Fuhrmann SPD . . . . . . . . . 10427 C Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS . . . . . . . . . . . . . . . . . 10429C Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft (Drucksachen 12/3524, 12/3530) Hinrich Kuessner SPD 10432 C Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 10435B IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 Ernst Kastning SPD 10437 D Carl-Ludwig Thiele F D P 10438 C Dr. Peter Struck SPD 10439 C Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 10440A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . 10441 C Berichtigung 10441 Anlage 1 Liste der entschúldigten Abgeordneten . 10443* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 2 —Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Helmut Esters SPD . . . . . . . . . . . 10443* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt III 9 — Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit — Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10444' D Dr. Dieter Thomae F.D.P. 10445* C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 10 — Einzelplan 17 Geschättsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend — Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10446* D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 12 — Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 10448* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 10323 122. Sitzung Bonn, den 24. November 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 120. Sitzung, Seite III, rechte Spalte, 19. Zeile von unten: Statt „Dr. Marliese Dobbertien F.D.P." ist „Dr. Marliese Dobberthien SPD" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 24. 11. 92 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 24. 11. 92 * Wilfried Büttner (Ingolstadt), SPD 24. 11. 92 Hans Burchardt, Ulla SPD 24. 11. 92 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 24. 11. 92 Peter Harry Eymer, Anke CDU/CSU 24. 11. 92 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 24. 11. 92 ** Ganseforth, Monika SPD 24. 11. 92 ** Gattermann, Hans H. F.D.P. 24. 11. 92 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 24. 11. 92 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 24. 11. 92 Gries, Ekkehard F.D.P. 24. 11. 92 Dr. Holtz, Uwe SPD 24. 11. 92 Homburger, Birgit F.D.P. 24. 11. 92 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 24. 11. 92 Kolbe, Regina SPD 24. 11. 92 Kubatschka, Horst SPD 24. 11. 92 ** Marx, Dorle SPD 24. 11. 92 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 24. 11. 92 ** Müller (Pleisweiler), SPD 24. 11. 92 Albrecht Odendahl, Doris SPD 24. 11. 92 Oesinghaus, Günther SPD 24. 11. 92 Oostergetelo, Jan SPD 24. 11. 92 Dr. Pfaff, Martin SPD 24. 11. 92 Rempe, Walter SPD 24. 11. 92 Reuter, Bernd SPD 24. 11. 92 Dr. Röhl, Klaus F.D.P. 24. 11. 92 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 24. 11. 92 Ingrid Schaich-Walch, Gudrun SPD 24. 11. 92 Dr. Scheer, Hermann SPD 24. 11. 92 * Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 24. 11. 92 Andreas Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 24. 11. 92 Dr. Schwaetzer, Irmgard F.D.P. 24. 11. 92 Dr. Seifert, Ilja PDS/LL 24. 11. 92 Dr. Sopart, Hans-Joachim CDU/CSU 24. 11. 92 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 24. 11. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 2 - Einzelplan 02 Deutscher Bundestag -*) Helmut Esters (SPD): Wie in den vergangenen Jahren ist die große Mehrzahl der Ansätze des Einzelplans 02 zwischen den Fraktionen unstreitig. Dieses Einvernehmen betrifft jedoch - erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - nicht die Festlegung der Höhe der Fraktionszuschüsse, die nach dem Willen der Koalitionsfraktionen um 10 Millionen DM reduziert werden. Die Kürzung in dieser Höhe geschieht gegen die Stimmen der Fraktion der SPD, weil der abrupten und überraschenden Absenkung der Zuschüsse nicht die Idee des sachlich gerechtfertigten Sparens, sondern möglicherweise die Absicht der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zugrundeliegt, die Fraktion der SPD in ihren Oppositionsmöglichkeiten zu schwächen und in ihrem Recht auf Chancengleichheit zu verletzen. Die Arbeit der Fraktionen liegt nicht nur im Interesse ihrer jeweiligen Mitglieder, sondern auch dem des Bundestages als Ganzem, so die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Fraktionen wirken an der Erfüllung der Aufgaben des Parlamentes mit, indem sie politische Positionen zu handlungs-, verständigungs- und entscheidungsfähigen Einheiten zusammenfassen und die parlamentarische Arbeit dadurch koordinieren, daß sie die „Arbeitsteilung unter ihren Mitgliedern organisieren, gemeinsam Initiativen vorbereiten und aufeinander abstimmen sowie eine umfassende Information ihrer Mitglieder unterstützen" (BVerfGE 80, 188, 231). Auf diese Weise schaffen die Fraktionen als notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens (BVerfGE 10, 4, 14) und als ständige Gliederungen des Parlaments (BVerfGE 80, 188, 231) die entscheidenden Voraussetzungen dafür, daß der Deutsche Bundestag handlungs- und entscheidungsfähig, also in der Lage ist, seine Gesetzgebungs-, Kontroll- und Wahlfunktion zu erfüllen. Die Tätigkeit der Fraktionen steht daher auch im staatlichen Interesse, für dessen Wahrnehmung die Fraktionen indes - nicht anders als andere Arbeitseinheiten - organisatorischer, administrativer und wissenschaftlicher Zuarbeit und sachlicher Ressourcen bedürfen, die finanziert werden müssen. Im Hinblick hierauf hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach festgestellt, daß den Fraktionen die für die Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben notwendigen Mittel zu gewähren sind (BVerfGE 20, 56, 104, 62, 194, 202; 80, 188, 231): Die Festlegung der Fraktionszuschüsse und ihrer Höhe steht wegen dieser verfassungsrechtlichen Zusammenhänge daher auch nicht zur beliebigen Disposition der Mehrheitsfraktionen, sondern ist an den sachlichen Erfordernissen der Arbeit der Fraktionen zu orientieren. Die Entscheidung der Mehrheit verstößt gegen diese Grundsätze: Die Absenkung der Fraktionszuschüsse geschah - jedenfalls für die Fraktion der SPD - überraschend und unerwartet. Der Kürzung *) Vgl. Seite 10329 A 10444 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 ging keine sachliche Analyse voraus, ob und in welchem Umfang Einsparpotentiale vorhanden sind und so realisiert werden können, daß die Aufgabenerfüllung der Fraktionen nicht Schaden nimmt. Die abrupte Senkung der Zuschüsse wird mithin nicht an den sachlichen Erfordernissen der Fraktionsarbeit orientiert. Vielmehr werden die Oppositionsfraktion und die Gruppen ohne zeitlichen Vorlauf vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie haben die Kürzung sachgerecht vorzubereiten. Die auf die SPD-Fraktion entfallene Kürzung der Zuschüsse um 10 v. H., also um 3,6 Mio. DM, vertieft einseitig zu ihren Lasten das ohnehin bestehende Ungleichgewicht zwischen Opposition einerseits sowie Koalitionsfraktionen und Bundesregierung andererseits. Die Fraktion der SPD setzt, wie den von ihr seit Jahren veröffentlichten Wirtschaftsplänen zu entnehmen ist, den ganz überwiegenden Teil — nämlich derzeit 75 v. H. — des ihr zur Verfügung stehenden Zuschusses für das ihr zuarbeitende Personal ein. Gleichwohl nimmt sich die zahlenmäßige Größe ihrer Fraktionsverwaltung vergleichsweise bescheiden aus. Denn während der Bundesregierung ca. 22 000 Beamtinnen und Beamte der Bundesministerien zuarbeiten, ihr ferner der Sachverstand aus den zahlreichen Beiräten zur Verfügung steht, beschäftigt die Fraktion der SPD lediglich 299 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Personalbestand der Verwaltung der SPDBundestagsfraktion erreicht damit nicht einmal die Anzahl derjenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den Stäben der Bundesminister, der Parlamentarischen Staatssekretäre und der beamteten Staatssekretäre tätig sind. Denn die Kürzung des Zuschusses um 10 v. H. bedeutet für die Fraktion der SPD, daß sie in entsprechendem Umfang Personal abbauen und Sachaufgaben reduzieren muß. Ein vergleichbares Opfer haben die Koalitionsfraktionen ihrer Bundesregierung nicht zugemutet. Hier galt eine Reduzierung des Personals der Bundesministerien nur um 1 v. H. als gerade noch vertretbar. Die Kürzung der Fraktionszuschüsse verschiebt indes nicht nur die Gewichte im Verhältnis zur Bundesregierung, sondern auch innerhalb des Parlamentes zu Lasten der Opposition: Denn den Koalitionsfraktionen stehen — anders als der SPD-Fraktion — nicht nur ihre Fraktions-Verwaltungen zur Verfügung; sie können vielmehr im Bedarfsfall auch auf die Zuarbeit der Ministerien zurückgreifen. Die Fraktion der SPD wendet sich nicht gegen Einsparungen — auch bei den Fraktionszuschüssen. Sie war und ist bereit, Kürzungen mitzutragen. Sie ist indes nicht mit unvorbereiteten Streichungen einverstanden, die nicht an der Aufgabenerfüllung der Fraktionen orientiert sind und die auf die ohnehin ungleichgewichtigen parlamentarischen Strukturen keine Rücksicht nehmen. Eine sachlich orientierte Reform des Systems der Fraktionszuschüsse hält sie dagegen für dringend notwendig — auch mit dem Ziel der Einsparung. Zu einer solchen Reform besteht aller Anlaß, weil das bestehende Zuschußsystem die Fraktionen ungleich behandelt. So stehen im Jahre 1993 der Fraktion der CDU/CSU 40,23 Millionen DM, der SPD 35,2 Millionen DM, der F.D.P. 14,55 Millionen DM zur Verfügung, den Gruppen PDS/Linke Liste 4,8 Millionen DM und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4,0 Millionen DM. Legt man diese Beträge auf die Anzahl der jeweiligen Fraktions-/Gruppen-Mitglieder (CDU/ CSU 318; SPD 239; F.D.P. 79; PDS/Linke Liste 15; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8 Abg.), um, so ergibt sich, daß der Bundeshaushalt 1993 die Arbeit eines Abgeordneten der Fraktion der CDU/CSU mit 132 000 DM, der Fraktion der SPD mit 146 000 DM, der Fraktion der F.D.P. mit 184 000 DM, der Gruppe PDS/Linke Liste mit 320 000 DM und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit 500 000 DM jährlich bemißt: Je kleiner die Fraktion/Gruppe, desto deutlicher wird sie von der geltenden Finanzierung bevorzugt. Der Unterschied zwischen der für die CDU/CSU und der SPD maßgebenden Meßzahl ist auf Grund des Oppositionszuschlages gerechtfertigt, der gewährt wird, um den geschilderten unterschiedlichen Arbeitsmöglichkeiten von Regierungs- und Oppositionsfraktionen jedenfalls ansatzweise Rechnung zu tragen. Es ist zu hoffen, daß die jeweiligen Koalitionsfraktionen in Zukunft, auch wenn es um Einsparungen geht, in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Opposition sachorientierte Reformvorschläge besprechen, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt III 9 — Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit —*) Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den letzten Wochen haben alle Beteiligten — zum Teil sehr leidenschaftlich — das aktuelle Gesundheitsstrukturgesetz in seinen Einzelheiten diskutiert. Nicht nur von dieser Stelle aus habe auch ich wiederholt unsere Kritik am vorliegenden Entwurf der Großen Gesundheitspolitischen Koalition aus Regierung und SPD vorgebracht. Ich will die heutige Gelegenheit nutzen, Ihnen noch einmal eine gesundheitspolitische Perspektive zu entwickeln, die offensichtlich völlig von der Mehrheitsmeinung dieses Hauses abweicht. Aber Wiederholungen können ja gelegentlich Lernprozesse fördern. Lassen Sie mich dazu die grundsätzliche Frage stellen, was denn die zentralen Aufgaben der Gesundheitspolitik sein sollten. Bisher ist sie dahingehend beantwortet worden, daß Gesundheitspolitik in erster Linie dafür zu sorgen hat, die öffentliche Hand von Verantwortung und Kosten zu entlasten. Als Aufgabe der Gesundheitspolitik wurde und wird es offenbar auch angesehen, vor allem die Pharmaindustrie und *) Vgl. Seiten 10402 D, 10407 D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 10445* die medizinisch-technische Industrie zu bedienen. Gesundheitspolitik war und ist so angelegt, daß sie den privaten Krankenkassen nützt. Daß die Antworten auf die Frage nach dem Sinn und dem Inhalt von Gesundheitspolitik bislang so beantwortet worden sind, wie ich das eben benannt habe, macht auch ein Blick in den jüngst von Regierungskoalition und der SPD vorgelegten Gesetzentwurf zur Gesundheits-Strukturreform deutlich. Unsere Auffassung unterscheidet sich von dem darin praktizierten Ansatz erheblich: Vorrangige Aufgabe einer humanen Gesundheitspolitik muß die Verbesserung der Lebensqualität aller Menschen sein. Hier stellt sich die Frage nach dem Gesundheitsbegriff. Die Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit nicht schlicht als Abwesenheit von Krankheit, sondern — unter anderem — als einen Zustand des völligen geistigen und körperlichen, insbesondere auch des sozialen Wohlbefindens. Ein so gefaßter Begriff von Gesundheit wird unter den realen Lebensbedingungen in unserer Gesellschaft zur Utopie. Ich möchte Sie z. B. an die direkten Opfer des zunehmenden Individualverkehrs erinnern und auch an die steigende Zahl schwerer und schwerster Allergien, die durch wachsende Umweltbelastungen hervorgerufen werden. Zu dieser Bilanz gehört auch die ungeheure Zahl derjenigen, die unter dem Druck der Leistungsgesellschaft ihre Gesundheit, ja sogar ihr Leben einbüßen. Die seit Jahren kontinuierlich steigende Tendenz zur Frühverrentung belegt — neben ihrer primären Funktionalisierung zum Zwecke einer gezielten Verdrängung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsprozeß — ebenfalls den hohen Grad der Abnutzung des Produktionsfaktors Mensch. Diese Abnutzung ist keineswegs eine rein physische, sondern vor allem auch eine psychische. Speziell dieser Aspekt wurde von den Bürgerinnen und Bürgern Ostdeutschlands mit großer Sensibilität schon bald nach dem Beitritt als äußerst bedrohlich erlebt. Nicht zuletzt auf Grund der kollektiven Mitverantwortung verbietet es sich, das Verursacherprinzip in Gestalt einer fiktiven Indivivalschuld in der gesetzlichen Krankenversicherung zu etablieren. Genau dies geschieht z. B. im Falle der neugeregelten Krankenversicherung der Rentner oder bei den nach Pakkungsgröße bzw. nach dem Preis gestaffelten Arzneimittelzuzahlungen. Von Gesundheitspolitik darf, ja muß erwartet werden, daß sie die tatsächlichen gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Menschen wahrnimmt und ihren Maßnahmen zu Grunde legt. Die Gesundheitspolitik, wie sie sich im aktuellen Gesundheitsstrukturgesetz manifestiert, scheint diesen Realitätsbezug zum Leben der Betroffenen verloren zu haben. Was das besonders Fatale ist: Diese Gesundheitsreform bemüht sich nicht um eine zukunftsweisende qualitative Überprüfung und Verbesserung des Gesundheitswesens, sondern sie hat a priori nur ein Ziel: der öffentlichen Hand weitestgehende Entlastung zu verschaffen. Das Problem sind eben nicht die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherungen oder steigende Krankenkassenbeiträge — das wahre Problem sind die maroden Staatsfinanzen. Diese Bundesregierung ist offensichtlich willens, die von ihr selbst durch Ignoranz und Inkompetenz ruinierten Staatsfinanzen durch drastische Einschnitte im sozialen Bereich bruchstückhaft zu flicken. Auch die Gesundheits-Strukturreform fügt sich nahtlos in dieses Szenario der sozialen Demontage ein. Das Gesundheitsstrukturgesetz ist ebenso wenig sozial ausgewogen, wie es die übrigen Versuche zur Haushaltskonsolidierung, z. B. die kürzlich verabschiedete 10. AFG-Novelle, sind. Es handelt sich um ein gesundheitspolitisch völlig kontraproduktives Spargesetz, mit dem sich der Gesundheitsminister zum willfährigen Erfüllungsgehilfen eines inkompetenten Finanzministers gemacht hat. Der Haushalt für die Gesundheitspolitik bildet keine Ausnahme. Wir lehnen ihn daher ab. Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Wenn in diesen Tagen über Gesundheitspolitik diskutiert wird, dann geht es in erster Linie um das Gesundheitsstrukturgesetz; es geht um Ausgaben und Einnahmen und um die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Qualitative Aspekte kommen in dieser Diskussion zu kurz. Elf Milliarden DM Einsparungen lassen sich schließlich auch nicht lautlos realisieren. Und trotzdem: Wir können über die Versorgungsstrukturen, über die Finanzierungsprobleme der GKV und über die Fehlsteuerungsmechanismen reden, soviel wir wollen. Das alles bleibt unzureichend, wenn es nicht gelingt, die Gesundheitsvorsorge bzw. die Krankheitsvermeidung stärker in die Köpfe der Menschen zu bringen. Sicherlich gibt es natürliche Anfälligkeiten für Krankheiten, andere sind Folgen von Fehlverhalten und Selbstschädigung: So bringen die Folgen des Rauchens nicht nur millionenfach Leid, sie kosten die Solidargemeinschaft auch Milliarden. Genauso die Folgen von Alkohol- und Medikamentenmißbrauch und falscher Ernährung. Im großen Maße sind aber Krankheiten verhaltensbedingt. Im Mittelpunkt einer qualitativ ausgerichteten Gesundheitspolitik muß deshalb die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit für die Gesundheit und muß die Aufklärung über die gesundheitlichen Gefahren des Fehlverhaltens stehen. Diese qualitative Gesundheitspolitik hat, wie der Einzelplan 15 zeigt, einen hohen Stellenwert. Genauso wichtig ist aber, daß das Heilen nicht nur finanziert wird, sondern daß die medizinischen Möglichkeiten optimal den Kranken helfen. Dabei haben die Modellprogramme, die mit diesem Haushalt gefördert werden, eine große Bedeutung. Daß Gesundheitspolitik eben nicht nur Reparaturbetrieb ist, das wird bei der Durchleuchtung des Einzelplanes 15 deutlich. Ein wichtiger Schwerpunkt sind die Modellprogramme zur Verbesserung der Versorgung chronisch Kranker und Krebskranker. Gefördert wird die Entwicklung in allen Bereichen, in der Prävention, in der Diagnostik, in der Therapie, in der Nachsorge und Rehabilitation. Neben den Krebserkrankungen stehen vor allem die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Herz-/Kreislauferkrankungen und Stoffwechselkrankheiten im Mittelpunkt. In den Jah- 10446' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 ren 1993 bis 1995 wird der Aufbau von 20 regionalen Rheumazentren gefördert. Zur besseren Versorgung von Krebskranken werden weitere Tumorzentren und Häuser mit onkologischen Schwerpunkten in den neuen Bundesländern auf- und ausgebaut. Hier ist wegen der ganz anderen Ausgangslage besondere Unterstützung notwendig. Es geht nicht nur um die Ausstattung dieser Zentren mit modernen Geräten. Auch die fachübergreifende Zusammenarbeit und damit die Bündelung des medizinischen Wissens wird unterstützt. Inzwischen ist auch der Aufbau einer bundesweiten Knochenmark- Fremdspenderdatei ein gutes Stück vorangekommen. Mit Bundesmitteln wird der Aufbau eines Zentralregisters in Ulm gefördert. Für die Gewinnung von freiwilligen Spendern werden der Deutschen Knochenmarkspender-Datei in Tübingen Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt. Zugleich werden die Voraussetzungen für die Errichtung einer bundesweiten Stiftung für Knochenmark-Transplantationen erarbeitet. In diese Stiftung sollen dann das Zentralregister und die Deutsche Knochenmarkspender-Datei integriert werden. Sobald das Gesundheitsstrukturreformgesetz verabschiedet ist, und wir uns von dem Verhandlungs- und Gesetzgebungsmarathon erholt haben, kündige ich schon heute für meine Fraktion an, daß wir uns an eine umfassende Organisationsreform des Bundesgesundheitsamtes machen werden. Mit 2 000 Beschäftigten ist das BGA zu einem nur noch schwer steuerbaren Tanker geworden. Trotz massiver Stellenausweitungen in den letzten Jahren hören die Klagen über den Zulassungsstau bei Arzneimitteln nicht auf. Das Gutachten, das wir 1990 zur Feststellung der Effizienz des Arzneimittelinstituts in Auftrag gegeben haben, liegt vor. Wir haben darüber bereits im Gesundheitsausschuß beraten. Es ist eindeutig: Bei der Arzneimittelzulassung gibt es Defizite, die durch Änderungen in der Organisationsstruktur behoben werden könnten. Die Effizienz der Entscheidungsabläufe muß verbessert werden. Wunder können von solchen Maßnahmen natürlich nicht erwartet werden. Das Dilemma besteht darin, daß einerseits die pharmazeutischen Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen eine schnelle Bearbeitung ihres Antrages verlangen. Mit gutem Grund hat daher der Gesetzgeber die Sieben-Monats-Frist in das AMG geschrieben. Andererseits verpflichtet die Arzneimittelsicherheit zu einer gründlichen Prüfung der eingereichten Unterlagen. Eine Abspeckung des Prüfumfanges könnte sich als gefährlicher Bumerang erweisen. Wie gesagt, das BGA-Personal ist bereits mehrfach aufgestockt worden. Ich sehe in dieser Situation nur einen sinnvollen Ausweg: Die Prüfung der eingereichten Unterlagen sollte vom BGA an externe Experten vergeben werden. Die letztliche Entscheidung muß natürlich von der Behörde getroffen werden. Aber der Entscheidungsprozeß könnte wesentlich verkürzt werden, zumal wenn sich das BGA unabhängiger Sachverständiger bei der Prüfung bedienen würde. Die Finanzierung einer solchen Verlagerung an Externe ist sicherlich schwierig — immerhin haben die Unternehmen einen Rechtsanspruch darauf, daß das Amt innerhalb der gesetzlichen Frist zu den gesetzlichen Gebühren die Prüfung durchführt. Dennoch haben mir die Gespräche, die ich hierzu geführt habe, gezeigt, daß bei den Unternehmen durchaus eine Bereitschaft bestünde, bei einer Prüfung der eingereichten Unterlagen durch Externe, die zu einer spürbaren Beschleunigung des Zulassungsprozesses führt, die entstehenden Kosten zu tragen. Eine solche Reform der Arzneimittelzulassung muß schnellstmöglich in Angriff genommen werden. Jedes Arzneimittel, das verzögert auf den Markt kommt, verhindert mehr Wettbewerb und bedeutet natürlich, daß der medizinische Fortschritt und Innovationen länger als notwendig den Patienten vorenthalten bleiben. Eine Verlängerung der Bearbeitungsfrist von jetzt sieben Monaten als Antwort auf die Probleme, das wäre der falsche Weg, das wäre die Kapitulation vor der Bürokratie. Die knappen finanziellen Mittel, die eine weitere Ausweitung des Personals nicht zulassen, sind immer auch eine Chance für eine ordnungspolitische Neubesinnung und für die Rückführung von Staatsaufgaben auf das Notwendigste. Das gilt nicht nur für das Arzneimittelinstitut. Mit zwei Prozent ist der Zuwachs der Mittel für das Bundesgesundheitsministerium eng begrenzt. Die Aufgaben dürften dagegen im weitaus stärkeren Maße wachsen. Dazu wird die binnenmarktsbedingte Harmonisierung auf dem Gesundheits- und Verbrauchersektor genauso beitragen wie neue Aufgaben, die sich aus dem Vollzug des Gesundheitsstrukturgesetzes ergeben. Deshalb haben wir uns bei letztem so vehement dafür eingesetzt, daß nur das Allernötigste dem Staat übertragen wird, ansonsten die Selbstverwaltung Vorrang hat. Unbeschadet dessen gewähren wir Freien Demokraten aber schon heute dem Gesundheitsminister Ablaß, wenn er angesichts der Fülle der neuen Aufgaben beim Haushaltsvollzug Prioritäten setzt. Ich hoffe allerdings, daß das nicht zu Lasten der guten Informationsarbeit geht, die das Haus in den vergangenen Monaten begleitend zum Gesundheitsstrukturgesetz geleistet hat. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 10 — Einzelplan 17, Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend -*) Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um Frauenpolitik ist es in der Bundesrepublik Deutschland schlecht bestellt, nicht nur deswegen, weil es vielen Frauen objektiv schlecht geht, sondern auch, weil ein großer Teil derer, die Frauenpolitik einst auf ihre Fahnen geschrieben haben, diese nur vorgeben aber nicht praktizieren, bzw. immer mehr *) Vgl. Seite 10419 A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 10447' und immer öfter von ihr abrücken — damit meine ich nicht nur die Regierung. Die Meldung, daß die Losung des DGBs zum 1. Mai „Frau geht vor", zurückgezogen worden ist, weil sie dem obersten Herrn der IG-Metall, Steinkühler, nicht paßte, ist kein Witz, sondern ernst gemeint, und es wäre schlimm, wenn Frauen in großen Massen trotzdem zur Mai-Demo gehen würden, als wäre nichts geschehen. Bei den GRÜNEN, die vormals auch in diesem Hause die Vorreiterrinnenrolle in Sachen feministischer Politik eingenommen haben, sieht es kaum besser aus. Wie zu hören ist, will man es dort mit der Frauenquotierung im Zuge der Vereinigung mit der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht mehr ganz so ernst nehmen. An den grünen Frauen im Lande, fernab von Bonn, scheint der Coup ihrer Parteifreunde unbemerkt vorbeizugehen. Ein hörbarer Widerstand läßt jedenfalls bisher auf sich warten. In anderen Parteien sieht es nicht besser aus. Wenn es Ansätze feministischer Frauenpolitik überhaupt gibt, kommt davon kaum etwas nach außen. Die einzige Hoffnung, die ich habe, ist die, daß Frauen sich das nicht mehr lange mit ansehen, sondern das böse Spiel, das mit ihnen und auf ihre Kosten betrieben wird endlich durchschauen. Die Frauen, die wie ich im Unabhängigen Frauenverband organisiert sind, werden der nächsten Mai-Demo des DGB jedenfalls fernbleiben. Wir reden zwar hier, heute und zu dieser Stunde über den Haushalt des Bundesfrauenministeriums. ln Wirklichkeit gibt es hier in Bonn aber gar kein Frauenministerium, sondern höchstens ein Frauenbeschwichtigungsministerium. Alle paar Wochen kommt die medienbegabte Ministerin mit einer neuen, vermeintlich frauenfreundlichen, frauenunterstützenden Parole heraus. Sie will die Vergewaltigung in der Ehe verbieten, redet permanent von Gleichstellung oder von dem, was sie dafür hält, erweckt Hoffnungen und spendet trügerischen Trost. Nur, heraus kommt dabei — zumindest bis jetzt — für die Frauen rein gar nichts. Die Bundesfrauenministerin macht keine Frauenpolitik. Das kann sie auch gar nicht als Alibifrau an des Kanzlers Seite. Würde sie Frauenpolitik machen, wäre sie vom Kanzler längst entlassen worden. So sieht das aus. Die Arbeitslosigkeit der Frauen im Osten wird von Woche zu Woche größer. Im Westen ist es nicht etwa besser. Dort ist die Frauenerwerbslosigkeit nur weniger sichtbar, weil den Herren das, was sie im Osten vorhaben, im Westen schon gelungen ist — nämlich die Frauen an Heim und Herd zu verbannen und ihnen höchstens noch einen „Zuverdienst" zu gönnen über ungeschützte Teilzeit, Kapovaz oder sonstige, für Unternehmer sehr günstige, für Frauen äußerst ungünstige Bedingungen. In dem zusammenfassenden Bericht der vom Bundeskabinett eingesetzten Arbeitsgruppen „Aufbauhilfe neue Bundesländer" lese ich, daß Frauen künftig entsprechend ihrem Anteil an der Erwerbslosigkeit an AB-Maßnahmen beteiligt werden sollen. Das wäre wirklich begrüßenswert, wenn man da nicht gleichzeitig dabei wäre, die Mittel für ABM bis zum Gehtnichtmehr zu kürzen. Daß von dem kläglichen Rest Frauen dann den ihnen zustehenden Anteil bekommen sollen, klingt dann nur noch hämisch und stimmt bitter. Allein in Thüringen zittern 22 Frauenberatungsstellen, die überaus stark frequentiert werden, um ihr Bestehen, da sie alle von ABM-Stellen existieren, die Ende dieses Jahres ablaufen. Der vermeintliche Sieg des Kapitalismus geht einher mit einem Sieg des Patriarchats. Es sind nicht allein wirtschaftliche Gründe, die zur Vernichtung der Frauenerwerbsplätze im Osten führen, es ist die Ideologie dieser Bundesregierung, die dazu führt, teils absichtlich und planvoll, teils weil in den eigendynamischen Prozessen, die konstitutiv für die Marktwirtschaft sind, nicht gegengesteuert wird. Eine Erwerbsquote von 90 % im Osten wäre ein Beispiel gewesen für die Frauen im Westen. Sie wäre dazu geeignet gewesen, die sog. „Erwerbsneigung" von westdeutschen Frauen und damit ihr Streben nach Emanzipation weiter zu fördern. Das durfte nicht passieren. Deswegen werden die frauenpolitischen Errungenschaften im Osten — die wohlgemerkt weit davon entfernt waren, als vollendet oder befriedigend zu gelten — systematisch kaputt gemacht, wozu dem Kanzler die Alibifrau an seiner Seite durchaus unentbehrlich zu sein scheint. Frauen müssen schließlich nicht nur wegen der verlorengehenden Erwerbsarbeit, sondern auch wegen der geschlossenen Kindertagesstätten und wegen der drohenden Ausdehnung des § 218 in den Osten beschwichtigt werden. Das Recht auf einen Kindergartenplatz für jedes Kind, das in der DDR selbstverständlich war, hier aber erst mit der Novellierung des Abtreibungsrechtes als soziale Begleitmaßnahme eingeführt werden sollte — entpuppt sich als Augenwischerei. 600 000 Plätze fehlen allein im Westen. Bund und Länder schieben sich gegenseitig die Verantwortung und die Kosten dafür zu. In Wirklichkeit besteht weder da noch dort Interesse an diesem Projekt, und zwar deswegen, weil sowohl in den Ländern als auch auf Bundesebene Politik nicht von Frauen, sondern von Männern gemacht wird, die ganz offensichtlich am Patriarchat hängen und offensichtlich nicht wollen, daß sich irgend etwas an den gesellschaftlichen Verhältnissen hier ändert. Die Politik in Bund und Ländern sähe sofort anders aus, wenn sowohl hier im Bundestag und in den Länderparlamenten als auch in den Regierungen 50 Prozent Frauen säßen. Daß Frauen sich allerdings mit noch so vielen schönen Worten nicht beschwichtigen lassen, zeigt der Haushalt der Bundesfamilienministerin: Knapp eine Milliarde Mark wurde als Folge des Geburtenrückganges an Kindergeld, Kindergeldzuschlag und Erziehungsgeld eingespart. „Unfreiwillig", wie Frau Rönsch einräumen muß. In diesem Bereich wird die Bundesregierung noch mehr Einsparungen zu verzeichnen haben, wenn sie so weitermacht wie bisher. Nicht zu heiraten und keine Kinder zu bekommen, die vom Patriarchat zugedachte Beschränkung der Frau auf Reproduktionstätigkeit zu verweigern, das ist eine konsequente 10448' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 und schlüssige Antwort auf das Desaster, das die Politik der Bundesregierung angerichtet hat, und das ist auch eine vernünftige Antwort auf die Fessel und die ökonomische Abhängigkeit, die Frauen durch den Artikel 6 GG — Ehe — zugemutet wird. Machen Sie sich nichts vor: auch im Westen gibt es Geburtenrückgang, auch im Westen wird weniger geheiratet — das Frauenbeschwichtigungsministerium und das Ministerium zur Rettung der patriarchalen Kleinfamilie werden daran wenig ändern. Frauen werden erst wieder Lust dazu kriegen, Kinder zu bekommen, wenn ihre ökonomische Eigenständigkeit gesichert ist, wenn Vaterschaft für männliche Karrieren eine gleich starke Bedeutung bekommt wie Mutterschaft für die Karriere von Frauen. Frauenpolitik hieße, Frau Ministerin, beispielsweise das zu bewirken. Frauenpolitik wäre auch, Arbeitszeitverkürzung einzufordern, anstatt unwidersprochen zuzusehen, wie Finanz- und Arbeitsminister den Arbeitnehmerlnnen in Deutschland einen Feiertag nach dem anderen klauen wollen, was nichts anderes heißt, als die Arbeitszeit zu verlängern. Welche Logik hat es denn bitte schön, in Zeiten der Arbeitslosigkeit die Arbeitszeit zu verlängern? Sie muß im Gegenteil für jede Einzelperson ganz erheblich gekürzt werden: Erstens damit Arbeit für alle da ist, für alle Frauen und für alle Männer, die Erwerbsarbeit wollen, und zweitens um den Kindern der Industriegesellschaft ihre Väter zurückzugeben. Frauenpolitik wäre, eine Wirtschaftspolitik einzufordern, die die Unterstützung von Unternehmen davon abhängig macht, ob sie Frauenerwerbsarbeitsplätze schaffen. Frauenpolitik wäre, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Väter dazu verpflichtet, einen Kindertagesstättenplatz nachzuweisen, wenn sie mehr als 19 Stunden erwerbstätig sein wollen. Was meinen Sie, wie schnell die Betriebskindergärten dann wie Pilze aus dem Boden schießen würden! Eine Ministerin, die Frauenpolitik machen will, muß dazu bereit sein, sich mit dem Rest der Regierung anzulegen, ebenso wie Frauen, die für eine Veränderung eintreten, dazu bereit sein müssen, sich mit dem Patriarchat anzulegen. Im übrigen bin ich der Meinung, daß auch die Jugendpolitik in diesem Lande anders aussehen würde, wenn die Schaltstellen der Macht zu 50 Prozent mit Frauen besetzt wären. In Westdeutschland war die Offene Jugendarbeit schon immer ein Stiefkind der Politik. Wie sollte es auch anders sein: Dieser Staat gibt 50,8 Milliarden Mark fürs Militär und nur 2,83 Milliarden für Frauen- und Jugendpolitik aus. Der Bereich Frauen und Jugend ist der Bundesregierung also nur ca. 5,5 Prozent soviel wert wie das Militär. Ca. 90 Prozent aller Jugendclubs, die es in der DDR früher gab, sind geschlossen, und zwar ohne daß ein Ersatz dafür geschaffen wurde. Nichtkommerzielle Angebote fehlen außerhalb von Großstädten völlig, was früher anders war. Wenn jetzt über Maßnahmen gerätselt wird, wie der Rechtsradikalismus bekämpft werden kann, dann erzähle mir doch bitte niemand, daß die Jugendpolitik, die Offene Jugendarbeit und die Summe der Gelder, die dafür ausgegeben wird, in dieser Frage keine Rolle spielen. Wenn die Jugendarbeit so vernachlässigt wird, wie das im Westen und im Osten jetzt der Fall ist, wenn der Militärhaushalt, den Sie Verteidigungshaushalt nennen, diesem Staat 20 mal mehr wert ist als die Erziehung der Jugend zu humanen Werten, zur Achtung vor anderen und Fremden, zur Freundlichkeit und zur Nächstenliebe, dann braucht sich bei gleichzeitig betriebener Hetze gegen Flüchtlinge und Asylsuchende — einer Hetze, an der sich Frau Rönsch mit der Forderung nach Kürzung der Sozialhilfe ganz erheblich beteiligt hat — doch niemand zu wundern, wenn manche deutsche Jugendliche sich neuerdings Springerstiefel anziehen, nicht als Modegag, sondern um Andersdenke oder Fremde damit totzutrampeln. Dann frage ich mich allerdings, was an diesem Staat — so er nicht ernsthaft und tiefgreifend was unternimmt, um das zu verhindern — noch verteidigenswert ist. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt III 12 — Einzelplan 31, Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft —*) Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Ich will in der Kürze meiner Zeit nicht über das Spiegelbild reden, sondern über das Original. Denn der nichtzustimmungsfähige Haushalt Bildung und Wissenschaft ist nichts anderes als das Spiegelbild einer ablehnungsbedürftigen Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Man muß schon bis zur Picht'schen „Bildungskatastrophe", also an die 30 Jahre, zurückgehen, wenn man ein ähnliches Niveau an bildungs- und wissenschaftspolitischen Negativschlagzeilen vorfinden will, wie es die gegenwärtige Bundesregierung mitproduziert. „Das macht dich echt fertig" titelt der „Spiegel" im Ergebnis seiner jüngsten Recherche zur Hochschulpolitik. Mit „Lehrstelle im Osten wie Fünfer im Lotto" oder „Dürfte Ortleb in Rostock Professor sein?" könnte man fortfahren. Im krassen Gegensatz zu dieser veröffentlichten und wohl auch öffentlichen Meinung steht das bildungs- und wissenschaftspolitische Eigenlob der Bundesregierung und der hier und in den meisten ostdeutschen Ländern regierenden Parteien. Dieses Eigenlob ziert auch die nach immerhin neun Monaten gegebene Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage unserer Abgeordnetengruppe zur Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Die zwischen Krise und *) Vgl. Seite 10440 A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 24. November 1992 10449* Katastrophe schwankende Lage im Osten und die, zumindest im Hochschulbereich, kritische Situation im Westen wird entweder beschönigt, verdrängt oder in die Verantwortung der Länder, namentlich der ostdeutschen abgeschoben. Ansonsten legt man sich in die vom Bundeskanzler unter dem Titel „Bildung für den Standort Deutschland" vorgeschriebene wirtschaftsliberale Rechtskurve, das heißt, man produziert Mosaiksteinchen für eine streng marktwirtschaftliche Reform des Hochschul- und Wissenschaftssystems bei gleichzeitiger Abschottung dieses Systems gegen irgendwelche Europäisierungen. Im selben Atemzug, in dem sich die Bundesregierung für die ostdeutsche Bildungsmisere als nicht zuständig erklärt, verweist sie nicht ohne Stolz darauf, daß sie ja strukturelle Voraussetzungen für die Anpassung der ostdeutschen an die westdeutsche Bildungs- und Wissenschaftslandschaft geschaffen habe und dafür, was sie so vornehm „personelle Erneuerung" nennt. Aber gerade der Versuch, ostdeutsche Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte und deren Ergebnis durch das schlagartige Aufdrücken westdeutscher Strukturen und Gepflogenheiten, durch massenhafte Verteufelung und Vertreibung des ostdeutschen Personals ungeschehen machen und quasi über Nacht westdeutsche Landschaften erblühen lassen zu wollen, ist gründlich gescheitert. Gelungen ist die Verwandlung einer grundlegend erneuerungsbedürftigen Bildungs- und Wissenschaftslandschaft DDR von Ende '89 in eine beträchtlich entvölkerte Ruinenlandschaft Ost Ende 1992. Wie man stolz darauf sein kann, daran maßgeblich mitgewirkt zu haben, verstehe ich nicht. Der Haushalt Bildung und Wissenschaft ist die Fortsetzung des öffentlich gewordenen bildungs- und wissenschaftspolitischen Trauerspiels der Bundesregierung hinter geschlossenem Vorhang. Das geht soweit, daß in vielen Fällen nicht die Einheit, sondern neue Mauern finanziert werden. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn sich die Bundesregierung weiterhin mit 50 % bis zu einem Betrag von 12 000,— DM pro Ausbildungsplatz und Jahr an der Aufrechterhaltung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebotes im Ruhrgebiet beteiligt und gleichzeitig selbst die klägliche und auf Kleinbetriebe beschränkte 5 000,—Mark Förderung für den Osten streicht? Oder soll man es einheitsstiftend finden, wenn aus dem Hochschulerneuerungsprogramm Ost unter dem Stichwort „personelle Erneuerung" vorrangig der Transfer von häufig zweit- und drittklassigem Hochschulpersonal aus dem Westen finanziert wird, während gleichzeitig ostdeutsches Personal, darunter auch internationale Spitzenkräfte, gnadenlos abgewickelt wird? Ich erinnere nur an den „Fall" Prof. Klinkmann.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident, das Urteil steht mir nicht zu, aber ich nehme es nicht zurück.

    (Große Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Helmut Schmidt sagte wörtlich:
    Einige haben bemängelt, daß in diesem Pakt nicht genug getan werde zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich sage denen, dies ist leider wahr. Wer mehr tun will, muß in die Geld- und Sozialleistungen tiefer hineinschneiden, als es in dem Kompromißpaket von mir vorgeschlagen ist.
    Es heißt an einer anderen Stelle:
    Denn wer mehr für die beschäftigungswirksamen Ausgaben des Staates tun will, muß noch viel tiefer, als hier vorgeschlagen, in die Sozialleistungen reinschneiden.
    Soweit Helmut Schmidt.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Übrigens: Als ich dies im Wahlkampf 1987 als Zitat von Helmut Schmidt verbreitet habe, hat es ein Journalist einer Regionalzeitung als Zitat von mir gebracht. Das hat dazu geführt, daß der damalige Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, den ich persönlich schätze,

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Nicht so arg!)

    dies aufgegriffen und im Wahlkampf als Hauptpunkt gegen mich und die CDU und CSU verwandt hat. Erst auf dem Gerichtsweg — das hat längere Zeit gedauert — mußte ich die SPD davon überzeugen, daß es sich um ein Zitat ihres eigenen Bundeskanzlers handelte. Das tut jetzt nichts zur Sache, aber auch solche Dinge sollen nicht in Vergessenheit geraten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Reden Sie zur Sache! — Joachim Poß [SPD]: Es ist ja Ihre Stärke, nicht zur Sache zu reden!)

    — Das ist genau zur Sache.
    Wozu es der sozialliberalen Bundesregierung unter Helmut Schmidt an Kraft fehlte, können wir nun gemeinsam erreichen.
    Das von mir vorgeschlagene gemeinsame Konsolidierungsprogramm aller öffentlichen Haushalte soll helfen, die Defizite zu begrenzen und unsere großen Zukunftsaufgaben zu lösen. Wir werden noch in diesen Tagen die Gespräche mit Ländern und Gemeinden zur Vorbereitung der gemeinsamen Sparanstrengungen aufnehmen.

    (Joachim Poß [SPD]: Stimmen Sie sich doch erst einmal mit Möllemann ab!)

    Ich habe die Vertreter der Länder und Gemeinden am letzten Donnerstag aufgefordert, ihre Vorschläge für ein solches Programm vorzulegen. Wir werden aber auch selber konkrete Initiativen in die Verhandlungen einbringen.
    Wenn wir im Anschluß an die Konsolidierungsmaßnahmen der jüngsten Vergangenheit noch zusätzliche Einsparungen erzielen wollen, müssen wir ohne Tabus alle staatlichen Leistungen, Finanzhilfen und Steuervergünstigungen in unsere Prüfungen mit einbeziehen. Niemand wird sich auf Besitzstände berufen dürfen.
    Ansatzpunkte des gemeinsamen Konsolidierungsprogrammes sind in erster Linie: Begrenzung der Personalausgaben, Überprüfung aller gesetzlichen Leistungen, Senkung gesetzlicher Ausgabeverpflichtungen auf Grund von Bundesgesetzen und Verständigung über eine bundesweite Absenkung von Ausstattungsstandards bei öffentlichen Einrichtungen. Dazu gehört auch der Abbau weiterer Steuervergünstigungen,

    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Meine Damen und Herren, wir haben immer wieder durch Eckwertbeschlüsse, durch die normale Finanzplanung des Bundes und durch die Konsolidierungsvereinbarungen im Finanzplanungsrat die mittelfristige Linie unserer Finanzpolitik beschrieben. Unsere Entscheidungen entsprachen dem jeweiligen Erkenntnisstand und haben zu positiven Ergebnissen geführt.
    Seit 1990 hat es nicht an finanziellen Mitteln für den Aufbau im Osten gefehlt. Wir haben die Hilfe für die jungen Bundesländer laufend an die nicht vorhersehbare Verschlechterung der Produktions- und Absatzbedingungen der Betriebe angepaßt. Ich erinnere nur an das Zweijahresprojekt Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, die jetzt noch einmal verbesserten Hermes-Hilfen und vieles mehr.
    Wir haben schließlich auch die Finanzierungsentscheidungen in der richtigen Reihenfolge getroffen. Die unverzichtbare Anhebung der Kreditfinanzierung wurde unmittelbar durch drastische Einsparungen und Umschichtungen im Bundeshaushalt von bisher 60 Milliarden DM begrenzt. Steuererhöhungen waren und bleiben entsprechend dem Votum des Sachverständigenrats die Ultima ratio unter den Finanzierungsalternativen. Sie wären, meine Damen und Herren, im übrigen, wie der frühere Finanz- und Wirtschaftsminister Karl Schiller in einem Interview kürzlich feststellte, im Augenblick Gift für die Konjunktur.
    Die nationalen und internationalen Institutionen haben immer wieder bestätigt: Der Bund ist mit seiner Konsolidierungspolitik seit 1990 auf dem richtigen Weg.
    Die OECD schreibt in ihrem letzten Deutschland-Bericht: Für die Bundesregierung findet dieser Wille, nämlich zur nachhaltigen Konsolidierung seinen ausdrücklichen Niederschlag im letzten mittelfristigen Finanzplan, der den Ausgabenanstieg beim Bund auf 2,5 % jährlich begrenzt.
    Der Internationale Währungsfonds spricht in seinem letzten Bericht von einem festen Deckel auf dem Ausgabenwachstum.
    Die Bundesbank schreibt in ihrem Monatsbericht vom September 1992: Der am 1. Juli 1992 von der Bundesregierung beschlossene Entwurf des Bundeshaushaltsplans 1993 ist von dieser Zielsetzung, nämlich der mittelfristigen Haushaltskonsolidierung, geprägt.
    Wenn wir jetzt mit dem föderalen Konsolidierungsprogramm, durch die Aufnahme der Gespräche über die Finanzierung der sozialistischen Erblast und durch die Vorbereitung des Länderfinanzausgleichs, durch die Regelung der Wohnungsbauschulden in Ostdeutschland und durch die Finanzierung der Bahnreform Aufgaben konkret in Angriff nehmen, die zum Teil erst ab 1995 zu bewältigen sind, dann stellen wir erneut unsere Bereitschaft zur langfristigen Verantwortung und Planung unter Beweis.
    Meine Damen und Herren, wie soll man denn sonst Finanzplanung und Finanzpolitik machen, als daß wir zweieinhalb Jahre vor dem 1. Januar 1995 bereits darangehen, möglichst schnell und bald Klarheit über den Finanzausgleich, über die Tragung der Erblast und natürlich über die gemeinsamen Einsparungen zu erreichen? Wir wollen das, weil wir das 1994 nicht mehr lösen können und weil auch 1993 sehr früh Klarheit bei Investoren, bei Beteiligten, bei Ländern und Gemeinden herrschen soll. Nur, früher als zweieinhalb Jahre zuvor die Dinge anzugehen, kann man Finanzpolitik und Finanzplanung nicht in Angriff nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zu den noch ungeklärten Finanzierungsfragen gehört auch das Thema der Wohnungsbauschulden in den jungen Bundesländern. Sogenannte großzügige Lösungen, etwa die Übernahme der kompletten Wohnungsbauschulden auf den Bund, würden den Bund unzumutbar belasten und auch zu marktwirtschaftlich falschen Entscheidungen führen. Man muß hier schon sehen, daß Wohnungsbau grundsätzlich eine Angelegenheit der Länder ist. Wir sind jedoch bereit, zu einer begrenzten Entlastung der ostdeutschen Wohnungswirtschaft beizutragen. Nach unserem Konzept sollen die Wohnungsbauschulden, die über 350 DM/m2 hinausgehen, auf einen besonderen Fonds übertragen werden. Die Zinsausgaben dieses Fonds sind vom Bund und den jungen Bundesländern zu tragen. Die Tilgung des Fonds kann schrittweise durch die Unternehmen über die Veräußerung von Wohnungen erfolgen. Für die bei den Kommunen und Genossenschaften verbleibenden Wohnungsbauschulden ist eine Zinshilfe von Bund, Ländern und Gemeinden in Höhe von je einem Drittel vorgesehen, die degressiv entsprechend den steigenden Mieteinnahmen ausgestaltet werden soll und 1997 ausläuft.
    Wir werden schließlich auch die Finanzierung der deutschen Bahnen auf eine dauerhafte Grundlage stellen. Dazu gehört auch ein schon kurzfristig wirksames Konsolidierungskonzept zur Begrenzung der laufenden Kosten. Auf mittlere Sicht ergibt sich aus den bisherigen Strukturproblemen der Bahn ein Finanzierungsbedarf in zweistelliger Milliardenhöhe. Diese Summe ist durch zusätzliche Beiträge aus dem Verkehrsbereich zu decken.
    Meine Damen und Herren, es darf auch in Zukunft nicht zur Gewohnheit werden, alle ungelösten Probleme und Aufgaben beim Bund anzulasten. Der Bund trägt jetzt schon den ganz überwiegenden Teil der Wiedervereinigungslasten. Aber die Vollendung der deutschen Einheit ist die Aufgabe aller. Deshalb ist es richtig, wenn wir von den Ländern und Gemeinden im Westen künftig einen höheren Beitrag im Finanzausgleich fordern.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Es war und ist richtig, wenn auch die Sozialversicherungen einen Teil der wirtschaftlichen Anpassungslasten im Osten tragen und nicht alles über die allgemeinen Steuern finanziert wird. Ebenso notwendig ist die Investitionsbereitschaft der Betriebe und die Einwilligung der Tarifpartner in eine Lohn- und Gehaltsentwicklung, die den wirtschaftlichen Bedingungen in Ost- und Westdeutschland entspricht.
    Meine Damen und Herren, wer sich einmal die Mühe macht, sowohl die ausländische Boulevard-Presse als auch die feingesponnenen Analysen der internationalen Finanzexperten durchzusehen, stellt



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    eine merkwürdige und für uns durchaus beängstigende Gemeinsamkeit fest: Uns Deutschen wird zunehmend die Befähigung abgesprochen, durch Fleiß, Initiative und nationale Gemeinsamkeit unsere Aufgaben zu lösen. So entsteht ein Zerrbild eines satten, mürrischen und bewegungsunfähigen Deutschlands, das unter der Last der Wiedervereinigung nahezu erdrückt wird.

    (Zuruf von der SPD: Ausländerhaß!)

    — Auch das gehört dazu. Jeder Tag, an dem wir uns weiterhin in unnützen Verteilungsstreitereien zermürben, wird diesen Eindruck verstärken.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Wer will noch in einem Land investieren, in dem die Deutschen anscheinend nicht mehr bereit sind, zuzupacken und ihre eigene Zukunft zu gestalten?
    Darum muß an die Stelle einer überflüssigen Umverteilungsdiskussion jetzt wieder, wie in den 80er Jahren, eine überzeugende Wachstums- und Beschäftigungsstrategie treten, und das gilt gleichermaßen für den Osten wie für den Westen Deutschlands.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die betriebsbezogenen Verbesserungen im Rahmen des Steueränderungsgesetzes 1992, die in wenigen Wochen wirksam werden, und das als Referentenentwurf vorliegende Standortsicherungsgesetz unterstreichen unsere Entschlossenheit, mehr Wachstum über die aktuelle Konjunkturschwäche hinweg zu verwirklichen. Der Sachverständigenrat, der in seinem jüngsten Gutachten die Bedeutung der Standortsicherung für das weitere Wirtschaftswachstum herausgestellt hat, begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich das von mir vorgelegte Konzept zur Unternehmensteuerreform als ein wichtiges Signal.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber sonst kritisiert er Sie tüchtig!)

    — Ach, wissen Sie, bei Matthäus Kap. 7 Vers 1 steht: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!

    (Heiterkeit)

    Frau Matthäus, Sie sollten beim Evangelisten Matthäus nachsehen, bevor Sie solche Zwischenrufe machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    — Ich wußte gar nicht, daß man Sie durch ein Bibelzitat so treffen kann.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Durch die Konzeption des Standortsicherungsgesetzes haben wir den SPD-geführten Ländern alle Türen für eine Zustimmung im Bundesrat eröffnet. Durch die Beschränkung der Einkommensteuersenkung auf gewerbliche Einkünfte ist die gesamte vorsorglich in Stellung gebrachte Sozialneidkritik der Opposition gegenstandslos geworden.

    (Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

    In einem Interview mit der „Bonner Rundschau" vom 2. Juli 1992 haben Sie, Frau Matthäus-Maier, noch griffig, aber falsch formuliert: „Der Handwerker zahlt die Steuersenkungen für Heino." Davon kann keine Rede sein; denn die Wirtschaft finanziert ihre Steuersenkung durch Umschichtungen im Steuersystem selbst.
    Wir werden auch andere wichtige Wachstumsinitiativen, z. B. die Modernisierung des Finanzplatzes Deutschland oder die Privatisierung im Westen, weiter voranbringen. In wenigen Tagen werden wir den Vertrag von Maastricht im Bundestag abschließend beraten und damit die Voraussetzung für zusätzliche Wachstumschancen weit über das Jahr 1993 hinaus erheblich verbessern. Bei den GATT-Verhandlungen haben wir jetzt einen Durchbruch erreicht, dem auch unsere EG-Partner zustimmen sollten.

    (Zurufe von der SPD)

    — Deutschland, das kann ich Ihnen sagen, hat zu dem, was bisher erreicht wurde, einen ganz entscheidenden Beitrag geleistet, insbesondere dieser Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Noch ist Deutschland im internationalen Vergleich der Wirtschafts- und Finanzdaten nicht zurückgefallen. Wer fahrlässig über den angeblich bevorstehenden — ich sage es in Anführungszeichen — Staatsbankrott im wiedervereinigten Deutschland spekuliert

    (Zuruf von der SPD: Wer spricht von Staatsbankrott?)

    und bewußt eine Desinformationskampagne betreibt, der sollte sich einmal die internationalen Vergleichstabellen ansehen.

    (Zurufe von der SPD)

    Schlechter als Deutschland liegen 15 andere bedeutende Industrienationen aus dem Kreis der OECD-Staaten. Meine Damen und Herren, das ist die Realität.
    Unser Staatsdefizit liegt mit 3 % des Bruttosozialprodukts deutlich unter dem Durchschnitt der EG-Staaten. Dort sind es zur Zeit 5,5 %. Bei der Zinsquote, dem Verhältnis von Zinsausgaben zu Gesamtausgaben der Staaten, schneiden von 12 EG-Ländern 8 schlechter ab als das wiedervereinigte Deutschland. Wir gehören zu den wenigen EG-Staaten, die schon in diesem Jahr die Stabilitätskriterien des Maastrichter Vertrages für den Beitritt zur Währungsunion erfüllt hätten.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die erfüllen Sie nicht!)

    Meine Damen und Herren, das sind die Realitäten, mit denen wir uns sehen lassen können und die Sie mit Ihrer hemmungslosen Kritik nicht in Zweifel ziehen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das letzte Jahrzehnt des zweiten Jahrtausends gehört der Freiheit, der Selbstbestimmung, dem wirtschaftlichen Wettbewerb und hoffentlich auch bald dem Frieden. Die kommunistische Ideologie hat sich in nichts aufgelöst.

    (Zuruf von der SPD: Ihre auch!)




    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    — Wir hatten im Gegensatz zu Ihnen nie eine Ideologie.

    (Widerspruch bei der SPD)

    — Nein, wir haben Prinzipien und klare Grundsätze. Sie mußten Ihre Ideologie über Bord werfen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    das erste Mal in Godesberg, und jetzt ist der letzte Rest an Sozialismus geistig auch noch verblichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Angesichts dieses globalen Rahmens, angesichts des eklatanten Scheiterns aller kommunistischen und sozialistischen Machbarkeitsträume kann es für uns nur einen Weg zur Vollendung der Einheit geben: Wir müssen konsequent auf marktwirtschaftliche Instrumente setzen, die Angebotsbedingungen in ganz Deutschland nachhaltig verbessern und den staatlichen Umverteilungsanspruch, wie in den 80er Jahren, erneut, auch unter den Vorzeichen der Einheit, in Grenzen halten und anschließend zurückführen.
    Ordnungspolitische Grundvorstellungen sind allerdings für uns niemals ein Vorwand, die wirklichen Bedürfnisse der Menschen zurückzuweisen. Das Zerrbild von der angeblich menschenfeindlichen Wettbewerbsordnung hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun; denn nur auf der ökonomischen Basis unserer erfolgreichen sozialen Marktwirtschaft sind die Milliardeninvestitionen auch in sanierungsfähige Treuhandbetriebe und die dreistelligen Einkommenstransfers in die jungen Bundesländer finanzierbar.
    Wir haben die Aufgabe, aus dem Geschenk der Einheit den Vorteil für die Menschen zu gewinnen. Wir können uns dabei nicht auf ein günstiges Schicksal oder auf andere verlassen; wir selbst sind es, die über unsere Zukunft entscheiden.

    (Franz Müntefering [SPD]: Auf Sie können wir uns nicht verlassen!)

    — Auf mich können Sie sich verlassen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das glaubt Ihnen aber keiner!)

    Ich werde mich auch weiterhin mit ganzer Kraft für diese Aufgabe einsetzen.

    (Zurufe von der SPD)

    — Der Kollege Struck hat ja verlangt, daß ein Aufsichtsrat darüber bestimmt, wer an der Spitze eines Unternehmens ist. Es ist ihm offenbar entgangen, daß die Manager im Sommer eine Umfrage gestartet haben zu der Frage, wen sie als Finanzminister haben möchten. Ich wollte es eigentlich nicht zitieren. Jedenfalls ist es mit 80 % zu 9 % zu Ihren Ungunsten ausgegangen. Das ist die Antwort der Manager und des Aufsichtsrates in Deutschland auf diese Fragen.

    (Zurufe von der SPD)

    — Ich sage das nur auf Ihre Zwischenrufe hin. Ich sage das aber auch deshalb, weil ich nicht annehme, daß Frau Matthäus-Maier das Ergebnis dieser Untersuchung hier bringen wird. Ich glaube aber, es ist wichtig, dies in die Debatte hier einzubringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der SPD)

    Ich bringe jetzt noch ein Zitat, bei dem Sie nicht schreien sollten; denn es handelt sich bei dem Autoren um einen Kollegen von Ihnen. — Sofort ist Ruhe.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Der frühere Bundesfinanzminister Dr. Hans Apel hat mir vor wenigen Wochen einen Brief geschrieben.

    (Unruhe bei der SPD)

    Darin heißt es wörtlich:
    Die Vorbereitung
    — einer finanzpolitischen Vorlesung in Rostock —
    hat mir erneut vor Augen geführt, daß Sie in der Reihe der bundesdeutschen Finanzminister das schwierigste Amt haben. Es ist erstaunlich, wie einfach es sich Ihre Kritiker immer wieder machen.
    Er hat Sie, Frau Matthäus-Maier, nicht erwähnt;

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    aber gemeint hat er Sie, aber sicherlich nicht nur Sie. — Ich bedanke mich bei dem Kollegen Apel für diese Fairneß im Umgang mit Politikern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn alle mitziehen, haben wir allen Grund zu Optimismus; denn wir haben schon sehr viel in die Einheit investiert. Allein die öffentlichen Transfers in den Jahren 1991 bis 1993 belaufen sich auf 350 Milliarden DM. Zugunsten der jungen Bundesländer haben wir das größte regionale Förderprogramm aufgelegt, das jemals realisiert wurde.
    Meine Damen und Herren, der heute zur Beratung vorliegende Bundeshaushalt 1993 ist ein Schritt in die Zukunft.

    (Joachim Poß [SPD]: Der falsche!)

    Wer diesem Haushalt zustimmt, handelt im Interesse der Deutschen in Ost und in West.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Feststellung: Die Redezeitanlage hier ist in Ordnung; nur hatte der Bundesfinanzminister — was sein gutes Recht ist — nicht angegeben, wie lange er reden wird. Es waren knapp 40 Minuten.
Nun hat als nächster zu einer etwa gleich langen Redezeit das Wort unser Kollege Helmut Wieczorek (Duisburg).
Zuvor möchte ich aber noch eine Bemerkung zu dem Ablauf der heutigen Sitzung machen: Es ist vorgesehen, daß wir die gesamte Tagesordnung abwickeln, so daß es etwa 0.00 Uhr bis 1.00 Uhr heute nacht werden wird.
Nun hat das Wort unser Kollege Helmut Wieczorek. — Bitte sehr.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Wieczorek


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben ja eben eine teilweise sehr vergnügliche halbe



    Helmut Wieczorek (Duisburg)

    Stunde gehabt. Der Bundesfinanzminister hat keinen Kalauer ausgelassen.

    (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Da kennen Sie ihn aber schlecht; der hat noch einiges auf Lager!)

    — Er hat munter mit uns geplaudert. — Herr Bundesfinanzminister, in der Zeit zwischen Ihrer ausgefallenen Rede heute morgen und jetzt ist der Schuldenstand um 100 Millionen DM größer geworden. Und da stellen Sie sich hierhin und plaudern mit uns, als ob es hier darum ginge, in Bayern eine Festzeltveranstaltung zu machen!

    (Beifall bei der SPD — Eduard Oswald [CDU/ CSU]: Da waren Sie aber noch nie in einem bayerischen Festzelt! Kommen Sie mal zu einer solchen Veranstaltung! Wir laden Sie zu einer CSU-Versammlung im Festzelt ein! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    In einer ganz typischen Art und Weise arbeitet er hier mit Halbwahrheiten. Und eine dieser Halbwahrheiten ist unser Kollege Rudi Walther gerade fast zum Opfer gefallen. Aber ich habe das Zitat hier, das von ihm stammt. Auf die Frage, wie er den Haushalt betrachte, hat er gesagt: Katastrophal, aber nicht hoffnungslos. Sie müssen das ganze Zitat nehmen, Herr Finanzminister. Er hat Ihnen einiges ins Stammbuch geschrieben. Er hat nur die Frage beantwortet, ob der Haushalt Makulatur ist. Ich hätte darauf geantwortet: Ja. — Aber da der Herr Walther noch staatstragender ist als ich,

    (Heiterkeit)

    hat er Ihnen eine Chance geben wollen, Ihre verfehlte Politik zu korrigieren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber schwach!)

    Herr Minister, Sie haben das nicht getan, sondern Sie haben weiterhin von Ankündigungen gelebt und haben uns hier weiterhin erzählen wollen, daß alles besser wird.
    Sie haben jetzt gerade eine lange Rechtfertigungsrede gehalten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Müssen wir jetzt wieder lachen?)

    — Bei mir haben Sie nichts zu lachen. Bei mir bekommen Sie die Wahrheit gesagt. Zu lachen gibt es beim Haushalt nichts.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer hier lacht, der lacht über seine verfehlte Politik, Herr Kollege.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Rechtfertigungsrede, die hier vom Finanzminister gehalten wurde, hat nicht in einem einzigen Punkt Klarheit gebracht, wie Sie die gewaltigen Konsolidierungsanstrengungen der öffentlichen Haushalte und den Wiederaufbau Ostdeutschlands bewältigen wollen.
    Was Sie hier als Ansatzpunkte einer gemeinsamen Konsolidierungspolitik auflisten, das sind doch nur Platitüden: Begrenzung der Personalausgaben, Überprüfung gesetzlicher Leistungen, Überprüfung des Standards — was auch immer das sein mag; wahrscheinlich der Standard unserer Anlage im neuen
    Plenarsaal —, Abbau von Steuervergünstigungen. — Jawohl, Herr Finanzminister: Das muß sein;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na also!)

    aber Ihre Aufgabe ist es zu sagen, wo, wie und in welchem Umfang, und dazu gibt es bisher nichts als Worthülsen.

    (Beifall bei der SPD)

    Oder nehmen wir das Stichwort der Bahnreform, meine Damen und Herren. Da sagen Sie doch allen Ernstes: Es muß kurzfristig etwas geschehen. — Ja, mein Gott, darüber beraten Sie doch seit einem halben Jahr! Für die Zinsen der Bahnschulden klafft in Ihrer Finanzplanung ein Loch von 13 Milliarden DM. Da kann sich der Finanzminister doch nicht immer nur an die Klagemauer stellen, sondern da muß er endlich etwas tun. Er ist doch nicht nur ein Verwalter, sondern ein Gestalter.
    Was die Verbesserung der Wachstumskräfte angeht: Das Standortsicherungsgesetz war doch ein Schuß in den Ofen. Wer kräftigt investiert, wird bestraft; wer wenig investiert, kommt besser weg. — Dieses Gesetz wird doch nur als taktisches Manöver erklärbar, um nämlich die Senkung der Steuern auf Unternehmensgewinne politisch durchzusetzen.
    Herr Waigel, sie haben den früheren Bundeskanzler Schmidt zitiert. Aber mit Zitaten ist das so eine Sache. Ich zitiere auch:
    In den Lebensfragen der Nation — dazu gehören hoher Beschäftigungsstand oder Vollbeschäftigung — lassen wir uns an Sachkunde, an Erfahrung, an Wirklichkeitsorientierung und an Zielorientierung von niemand in diesem Hause übertreffen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hört, hört!)

    Der das gesagt hat, würde sich heute im Grabe umdrehen, wenn er das von seinem Nachfolger hören müßte. Das war nämlich Franz Josef Strauß. An diesem Zitat von ihm sollten Sie sich ein Beispiel nehmen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist da die Pointe gewesen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, die Koalition hat die Beratung dieses Haushalts hier erzwungen. Wir wissen alle, daß er bereits heute Makulatur ist. Der Finanzminister hat eben angekündigt, daß er einen Nachtrag bringen wird. Herr Kollege, einen Nachtrag bringt man dann, wenn man etwas nachzutragen hat,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Aber wir sind dabei, etwas vorzutragen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie tragen schlecht vor!)

    Das heißt: Er hätte damit kommen müssen, uns hier
    schlicht und einfach eine Erklärung dazu zu geben,



    Helmut Wieczorek (Duisburg)

    was er jetzt eigentlich machen will. Genau das hat er nicht getan.

    (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Aber als Vortragender sollten Sie nicht so nachtragend sein!)

    Was sich in diesem Verhalten zeigt, ist aber etwas, was mir viel mehr Sorge macht, Herr Bötsch: Ihre permanente Bereitschaft zur verfassungsrechtlichen Grenzbegehung oder sogar zur verfassungsrechtlichen Grenzbeschreitung. Bei Ihnen haben im Zweifel taktische Momente der Machtausübung einen höheren Stellenwert als verfassungsrechtliche Normen. Sie begeben sich lieber ins Zwielicht, und deshalb reißt bei dieser Bundesregierung die Kette der verfassungsrechtlichen Zurechtweisungen auch nicht ab: beispielsweise bei den Urteilen zur verfassungswidrigen Zwangsanleihe, zur verfassungswidrigen Besteuerung der Kapitalerträge, zur verfassungswidrigen Besteuerung des Existenzminimums und zur verfassungswidrigen Kürzung der Arbeitslosenhilfe. Im Bereich des staatspolitisch bedeutsamen Föderalismus wurden Ihre Finanzausgleichsgesetze 1987 und 1992 ganz oder teilweise für verfassungswidrig erklärt.
    Ihre haushaltspolitische Grenzbeschreitung hat jüngst der Rechnungshof aufgezeigt. Er hat Ihnen gesagt, Herr Waigel: Sie sollen doch — ich zitiere — bei Ihrer Haushaltswirtschaft verhindern, daß sich ein stetig wachsender Schuldensockel bildet, der schließlich die Fähigkeit des Staatshaushalts, auf Probleme der Gegenwart und Zukunft zu reagieren, in Frage stellt. — Dieses Urteil erging 1989, vor der Explosion der Staatsschulden.
    Heute haben wir das Finanzchaos. Wie sähe das Urteil heute wohl aus?
    Meine Damen und Herren, Sie höhlen den Art. 115 des Grundgesetzes aus, weil Sie die Schattenhaushalte aus den verfassungsmäßigen Grenzen der Kreditaufnahme herausnehmen. Damit wollen Sie dem Konsolidierungsdruck auf den Bundeshaushalt ausweichen. Diese Regelung ist für Vermögen wie die Post gemacht, nicht aber für reine Schuldentöpfe wie den Kreditabwicklungsfonds oder den Fonds Deutsche Einheit.
    Fazit: Die verfassungsrechtlichen Koordinaten Ihrer Politik sind aus dem Lot geraten.

    (Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

    Die Regierung liegt im Dauerkonflikt mit dem Grundgesetz, und die SPD-Fraktion ist nicht bereit, der Aushöhlung des parlamentarischen Budgetrechts zuzusehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ziehen wir heute Bilanz: Diese Bundesregierung ist finanzpolitisch am Ende.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Das vorliegende Fragment eines Haushalts ist gekennzeichnet von Ignoranz gegenüber zentralen gesellschaftlichen Problemen — wie Aufbau Ost oder Wohnungsbaupolitik — und von völliger Perspektivlosigkeit für die Zukunft. Nichts an durchgreifendem
    Sparwillen! Nichts an zupackender Solidarität mit den Menschen im Osten!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Vorschläge!)

    Nichts mit ökonomischem Sachverstand! Nichts mit ausgleichender Gerechtigkeit!
    Meine Damen und Herren, Sie stecken in einer ausweglosen Schuldenfalle. Ihre politische Kraft reicht nicht mehr, sich daraus zu befreien. Ihr hektischer Aktivismus der letzten Wochen und Tage zeugt von Panik.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Ihre Vorschläge erzeugen nur noch Zorn und Frustration.
    Meine Damen und Herren, Ihre Streichliste im Umfang von rund 3 Milliarden DM kurz vor Toresschluß war ein hilfloser Kehraus über alle Ministerien. Ein konzeptionelles Gerüst für eine durchgreifende Sparpolitik ist nicht im Ansatz erkennbar.

    (Beifall bei der SPD)

    Da steht der Abbau Ost neben dem Abbau West. Da werden die Mittel für die Sanierung von Wismut um rund 150 Millionen DM gekürzt — ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die in dieser schwer geschädigten Region leben und arbeiten. Diese Entscheidung ist fiskalischer Selbstbetrug, ist strukturpolitisch kontraproduktiv und arbeitsmarktpolitisch unakzeptabel. Eine Region mit 40 % Arbeitslosigkeit wird so zum Beispiel der Politik.
    Da wird bei erwartetem Nullwachstum im Westen ein investiver Ausgabenahmen für Städtebauförderung in Höhe von 380 Millionen DM gekürzt. Das Wort „Subventionsabbau" wird aber schon gar nicht mehr in den Mund genommen; auch bei der Rede des Bundesfinanzministers jetzt kam es nicht vor.
    Die durchgreifenden Kürzungen im Verteidigungshaushalt, meine Damen und Herren, bleiben außen vor.
    Sie waren noch nicht einmal zu einem symbolischen Zeichen des Sparwillens in eigener Sache bereit. Nicht auf einen einzigen Staatssekretär in Ihrem aufgeblasenen Regierungsapparat wollen Sie verzichten.

    (Beifall bei der SPD — Ingrid MatthäusMaier [SPD]: Schlimm, schlimm!)

    Wie wollen Sie, Herr Bundeskanzler, vom Bürger Verzicht fordern, wenn Ihnen mehr als eine halbe Million DM für Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda wichtiger ist als entsprechende Mittel für die drängenden Probleme des Städte- und Wohnungsbaus?

    (Beifall bei der SPD)

    Die Koalition hat nicht einmal die Kraft, Einsparungen im Volumen von 5 Milliarden DM zu benennen, nur 1 % der Bundesausgaben konkret zu kürzen. Sie mußten wieder zu einer globalen Minderausgabe Zuflucht nehmen, der größten Blamage, die sich ein Parlament der Regierung gegenüber erlauben kann.

    (Zuruf des Abg. Dr. Albert Probst [CDU/ CSU])




    Helmut Wieczorek (Duisburg)

    Da kann ich nur feststellen: Diese Koalition packt es nicht mehr, und die Regierung ist unfähig, die Dinge in Ordnung zu bringen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Meine Damen und Herren, die Bürger dieses Landes haben längst begriffen, daß wir mit Ihrer Politik des „Weiter so" die Zukunft verspielen, daß Sie auf diesem Wege alles gefährden, was wir im Westen erreicht haben, und alles behindern, was wir für den Aufbau Ost für erforderlich halten. Sie, Herr Bundesfinanzminister, versuchen, die Handlungsunfähigkeit dieser Regierung hinter hektischem Aktionismus und Zahlenspielereien zu verbergen.

    (Zuruf des Bundesministers Dr. Theodor Waigel)

    Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Das ist nicht nur zu kurz gesprungen; da wurde noch nicht einmal gehüpft.
    Was, Herr Finanzminister, von Ihren Umschichtungen im Volumen von 8 Milliarden DM zugunsten Ostdeutschlands kommt denn den Menschen wirklich zugute? Untersuchen wir es doch mal!

    (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jetzt kommt es!)

    — Sie wissen es doch nicht! Hören Sie gut zu! Sie können lernen. Da werden vor allem alte Rechnungen und Schecks ohne Deckung ausgestellt.

    (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Na so was!)

    Was haben denn — meine Damen und Herren, das müssen Sie doch selbst zugeben — die erhöhte Inanspruchnahme für Bürgschaften auf Grund der faktischen Zahlungsunfähigkeit der GUS-Staaten um 2 Milliarden DM oder die Aufstockung der Zinszahlungen für den Kreditabwicklungsfonds um 1,5 Milliarden DM mit dem Aufbau Ost zu tun?

    (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Eine ganze Menge!)

    Dafür kann sich doch niemand etwas kaufen. Da werden doch nur alte Wechsel fällig.

    (Beifall bei der SPD) Das ist doch kein Signal.

    Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie wollen die Verkehrsinvestitionen der ostdeutschen Gemeinden um 1 Milliarde DM stärken. Da haben Sie unsere Unterstützung. Aber weshalb geben Sie denn kein Beispiel und schichten 1 Milliarde DM aus den Straßenbaumitteln des Bundesverkehrswegeplans um? Weshalb wollen Sie sich aus den Taschen der westdeutschen Gemeinden bedienen? Damit stellen Sie sich in Widerspruch zu einem zwischen Bund und Ländern mühsam erreichten Vermittlungsergebnis zum Steueränderungsgesetz 1992, kaum daß die Tinte trocken ist.
    Fazit: So geht es nicht: trickreiche Buchungen, die verschleiern sollen, daß für den realen Aufbau Ost nichts Wirksames mehr gelingt.

    (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das machen Unternehmen vor dem Bankrott immer!)

    Sie vertrösten auf den Nachtragshaushalt — Herr Kollege Nils Diederich —, der soll es dann wirklich bringen. Ich frage mich nur: Was soll denn da drinstehen? Etwa das, was uns der Finanzminister heute mittag hier erzählt hat? Lassen Sie uns doch die einzelnen Dinge durchgehen, die er uns gerade vor Augen geführt hat.
    Bleiben wir einmal bei der Investitionszulage. Sie soll für gezielte Sektoren auf 20 % erhöht werden. Sehr gut, sage ich, endlich schwenkt die Bundesregierung auf eine seit anderthalb Jahren erhobene SPDForderung ein. Weshalb erst jetzt? Viele Menschen in Ostdeutschland hätten vor Arbeitslosigkeit bewahrt werden können. Aber, Herr Finanzminister, einen Nachtrag brauchen Sie dafür nicht, denn alle Kosten, die da kommen, fallen eigentlich erst 1994 an.

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Was erzählen Sie denn da?)

    — Sie müssen zuhören, dann wissen Sie auch, was ich erzähle!

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sie reden Unsinn!)

    — Herr Kollege, was Unsinn ist: Ich habe von Ihnen heute zwei Reden gehört, das war mehr Blödsinn als alles andere.

    (Beifall bei der SPD)