Rede von
Dr.
Gregor
Gysi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An sich könnte man in Anbetracht der Zahlen hier im Hause etwas lockerer reden, wenn das Thema nicht so ernst wäre. Das Thema ist leider sehr ernst, und ich finde es schon ein bißchen erschreckend, daß sich der Deutsche Bundestag im letzten Tagesordnungspunkt am Freitag, vorher wissend, daß da natürlich kaum noch jemand hier ist und wir fast allein unter uns sein werden,
mit einer so wichtigen Frage beschäftigt. Außerdem bestand ja sogar die Absicht, nicht einmal eine Aussprache darüber zu führen.
Wir haben vor einem Jahr, nach den ungeheuerlichen Ausschreitungen von Hoyerswerda, beantragt, in der gesamten Bundesrepublik Deutschland eine Kampagne durchzuführen, die sozusagen aus den Erfahrungen der Anti-Aids-Kampagne schöpft, ohne etwa gleich zu sein. Damals haben sich Bundestag und Bundesregierung entschlossen, in einer wirklich breiten Kampagne die Menschen einfach aufzuklären, ihnen Ängste zu nehmen und Schutzmaßnahmen zu empfehlen. Ich glaube, das hat durchaus Wirkung erzielt.
Nun bin ich mir darüber im klaren, daß man Neonazitum, Rechtsextremismus, Gewalttaten und Rassismus und entsprechende Ausschreitungen nicht allein mit einer Aufklärungskampagne wirksam bekämpfen kann. Das ist völlig klar. Aber es wäre ein wichtiges Element, und es würde vor allem, wenn es im Auftrag der Bundesregierung geschehen und diese die finanziellen Mittel dafür bereitstellen würde, bedeuten, daß das Legitimationsgefühl abgebaut wird, das bei vielen Täterinnen und Tätern vorhanden ist, die meinen, daß sie sich eigentlich auf einer Woge bewegen, die durchaus partiell Zustimmung findet. Es würde ganz deutlich werden: Hier geschieht etwas, was gegen den Willen des Bundestages und der Bundesregierung ist. Wir könnten auch einen Beitrag leisten, Vorurteile abzubauen. Vorurteile sind massenhaft vorhanden, und sie sind sehr kompliziert abzubauen. Ich sage immer: Eine Kernspaltung ist leichter als der Abbau eines Vorurteils.
In der Aufklärungsarbeit muß man Qualität anbieten; sie muß breit angelegt sein. Wir müssen dazu übergehen, die Vorzüge einer multikulturellen Gesellschaft zu erörtern. Wir müssen erklären, wie dieses Deutschland sich in der Geschichte entwickelt hat, wenn wir nur die Zeit vom Mittelalter an nehmen. Wir müssen erklären, welche große Bedeutung die Zuwanderung der Hugenotten für die Entwicklung Deutschlands hatte, welche große Bedeutung die Zuwanderung der osteuropäischen Juden für die Entwicklung Deutschlands hatte, d. h. welche Vorteile dieses Land dadurch hatte, daß es sich eigentlich schon seit Jahrhunderten multikulturell zu organisieren begann.
Es gab dann ab 1933 einen furchtbaren Tiefschlag in dieser Richtung. Das ist klar. Wir dürfen jetzt nicht zulassen, daß wieder eine solche Stimmung entsteht,
die nicht nur nationalistisch ist, sondern zudem auch für die Entwicklung der Kultur dieses Landes ganz großen Schaden nach sich ziehen wird, wenn nämlich Ausländerinnen und Ausländer nicht mehr zu uns kommen, weil sie vor dieser Bundesrepublik Deutschland Angst haben. Und machen wir uns nichts vor, diese Angst ist schon ziemlich verbreitet, und zwar auf Grund der Bilder, die über dieses Deutschland durch die Welt gehen, und sie ist ja auch nicht unbegründet. Ich kann Ihnen aus eigenem Erleben und aus Gesprächen sagen, daß inzwischen auch israelische Bürgerinnen und Bürger wieder Angst haben, neue Angst haben, nicht nur die alte, nach Deutschland zu kommen.
Hier ist eine ganz breite Kampagne notwendig, in der wir die Vorzüge dieser multikulturellen Gesellschaft deutlich machen. Wir müssen zeigen, weshalb wir uns ganz entschieden gegen Rassismus wenden, welche Gefahren damit verbunden sind, welche Vorurteile dahinterstecken, daß man soziale Probleme lösen kann, aber mit Sicherheit nicht auf Kosten der Schwächsten in dieser Gesellschaft. Wir müssen deutlich machen, daß wir, auch wenn es keine einzige Ausländerin und keinen einzigen Ausländer in diesem Land gäbe, das Wohnungsproblem immer noch nicht gelöst hätten, auch nicht die Frage der Arbeitslosigkeit. Hier werden Angriffe in einer Richtung gestartet, die zumindest hinsichtlich der zum Teil dahinterstehenden sozialen Ursachen völlig falsch ist und keine Lösung bringt.
Das aber läßt sich nicht durch eine Bundestagsdebatte machen. Hier bedarf es einer breiten Aufklärung. Deswegen sage ich Ihnen mit aller Entschiedenheit: Daß es ein Jahr gedauert hat, bis über diesen Antrag überhaupt im Ausschuß beraten wurde, ist in Anbetracht der Entwicklung, die es in Deutschland gab, bereits eine Schande.
Dieser Antrag soll jetzt abgelehnt werden, und ein völlig verschwommener, verwaschener Antrag soll dagegengesetzt werden, der die Bundesregierung überhaupt nicht bindet, der uns von diesem Anliegen weit entfernt. Eine massenhafte Kampagne wird es dann nicht geben, die wenigstens in Ansätzen der Anti-Aids-Kampagne gleichwertig wäre. Das bedeutet, daß das Problem des Rassismus in Deutschland — zumindest fahrlässig — wahnsinnig unterschätzt wird, wenn es nicht sogar einige gibt, die ganz zufrieden sind, daß die Entwicklung so läuft, wie sie läuft. Davor möchte ich hier mit aller Entschiedenheit warnen.
Danke.