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    Plenarprotokoll 12/108 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 108. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. September 1992 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Aktuelle Entwicklung in der Europapolitik Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . . 9217B Björn Engholm, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . . . . . . . . 9221 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. . . . . . . 9224 C Peter Conradi SPD . . . . . . . . . . 9225 D Peter Kittelmann CDU/CSU . . . . . . . 9226 B Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . . 9228A Ingrid Matthäus-Maier SPD. . . . 9228B, 9242 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 9230 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . . 9232 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 9235 A Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . . 9236B Dr. Theodor Waigel CDU/CSU . 9236 C Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . 9238 C Dr. Thomas Goppel, Staatsminister des Frei- staates Bayern . . . . . . . . . . . . 9240 C Dr. Norbert Wieczorek SPD . . . . . . . 9242 D Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 9244 D Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . 9246 B Dr. Walter Hitschler F.D.P. . . . . . 9247 B Michael Stübgen CDU/CSU 9248 B Ortwin Lowack fraktionslos . . . . . . 9250B Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerd Andres, Dr. Ulrich Böhme (Unna), Hans Büttner (Ingolstadt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schaffung eines Arbeitsschutzgesetzbuches (Drucksache 12/2412) Manfred Reimann SPD 9251 B Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . 9254 A Petra Bläss PDS/Linke Liste . . . . . . 9255 C Dr. Gisela Babel F.D.P. . . . . . . . . 9257 A Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 9258 C Ottmar Schreiner SPD 9261 B Dr. Alexander Warrikoff CDU/CSU . . 9263 C Ottmar Schreiner SPD . . . . . . . 9265 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Antifaschistische und antirassistische Aufklärungskampagne (Drucksachen 12/1193, 12/3268, 12/3292) Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 9266 A Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI , 9267 A Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 9267 D Uwe Lambinus SPD 9268 C Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 9269 A Wolfgang Lüder F.D.P. 9269 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . 9270 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 9271* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. September 1992 9217 108. Sitzung Bonn, den 25. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 25. 09. 92 Andres, Gerd SPD 25. 09. 92 Antretter, Robert SPD 25. 09. 92* Bayha, Richard CDU/CSU 25. 09. 92 Blank, Renate CDU/CSU 25. 09. 92 Bleser, Peter CDU/CSU 25. 09. 92 Brandt, Willy SPD 25. 09. 92 Bredehorn, Günther F.D.P. 25. 09. 92 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. von Büllow, Andreas SPD 25. 09. 92 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 25. 09. 92 Herta Deß, Albert CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Eckardt, Peter SPD 25. 09. 92 Eichhorn, Maria CDU/CSU 25. 09. 92 Eimer (Fürth), Norbert F.D.P. 25. 09. 92 Eylmann, Horst CDU/CSU 25. 09. 92 Formanski, Norbert SPD 25. 09. 92 Gallus, Georg F.D.P. 25. 09. 92 Gattermann, Hans H. F.D.P. 25. 09. 92 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. von Geldern, CDU/CSU 25. 09. 92 Wolfgang Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 25. 09. 92 Grochtmann, Elisabeth CDU/CSU 25. 09. 92 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 25. 09. 92 Großmann, Achim SPD 25. 09. 92 Harries, Klaus CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 25. 09. 92 Hauser CDU/CSU 25.09.92 (Rednitzhembach), Hansgeorg Hollerith, Josef CDU/CSU 25. 09. 92 Ibrügger, Lothar SPD 25. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 25. 09. 92 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 25. 09. 92 Kampeter, Steffen CDU/CSU 25. 09. 92 Keller, Peter CDU/CSU 25. 09. 92 Klein (München), Hans CDU/CSU 25. 09. 92 Kolbe, Regina SPD 25. 09. 92 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 25. 09. 92 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 25. 09. 92 Leidinger, Robert SPD 25. 09. 92 Lennartz, Klaus SPD 25. 09. 92 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 25. 09. 92 Elke Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 25. 09. 92 Klaus W. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lühr, Uwe F.D.P. 25. 09. 92 Magin, Theo CDU/CSU 25. 09. 92 Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Mescke, Hedda CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Modrow, Hans PDS/LL 25. 09. 92 Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 25. 09. 92 Neumann (Gotha), SPD 25. 09. 92 Gerhard Oesinghaus, Günther SPD 25. 09. 92 Oostergetelo, Jan SPD 25. 09. 92 Ostertag, Adolf SPD 25. 09. 92 Paintner, Johann F.D.P. 25. 09. 92 Peters, Lisa F.D.P. 25. 09. 92 Pfeffermann, Gerhard O. CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 25. 09. 92 Raidel, Hans CDU/CSU 25. 09. 92 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 25. 09. 92* Rempe, Walter SPD 25. 09. 92 Rennebach, Renate SPD 25. 09. 92 Reuschenbach, Peter W. SPD 25. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 25. 09. 92 Helmut Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 25. 09. 92 Scheu, Gerhard CDU/CSU 25. 09. 92 Schmalz, Ulrich CDU/CSU 25. 09. 92 Schmalz-Jacobsen, F.D.P. 25. 09. 92 Cornelia Schmidt (Nürnberg), SPD 25. 09. 92 Renate Dr. Schmude, Jürgen SPD 25. 09. 92 Dr. Schneider CDU/CSU 25. 09. 92 (Nürnberg), Oscar Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 25. 09. 92 Andreas Dr. Soell, Hartmut SPD 25. 09. 92** Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 25. 09. 92 Terborg, Margitta SPD 25. 09. 92 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 25. 09. 92 Titze, Uta SPD 25. 09. 92 Dr. Voigt (Northeim), CDU/CSU 25. 09. 92 Hans-Peter Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 25. 09. 92 Weis (Stendal), Reinhard SPD 25. 09. 92 Weißgerber, Gunter SPD 25. 09. 92 Welt, Jochen SPD 25. 09. 92 Wissmann, Matthias CDU/CSU 25. 09. 92 Wohlleben, Verena SPD 25. 09. 92 Ingeburg Zierer, Benno CDU/CSU 25. 09. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Horst Günther


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnnen und Kollegen! Arbeitsschutz sollte das gemeinsame Anliegen aller sein, die Verantwortung für die Gesundheit der arbeitenden Menschen tragen. Ich gehe davon aus, daß wir uns da alle einig sind. Eine wirksame Prävention muß vor der Heilbehandlung, vor der Rehabilitation und natürlich vor der Entschädigung stehen.
    Frau Kollegin Bläss, lassen Sie mich schon hier sagen: Ich bin froh, daß die 16 bis 17 Millionen Menschen in der ehemaligen DDR endlich einen vernünftigen Arbeitsschutz genießen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das, was in der ehemaligen DDR in Gesetzen, Verordnungen oder Büchern stand, war das eine, die grausame Wirklichkeit war das andere. Das hat nun endlich ein Ende!

    (Konrad Gilges [SPD]: Das gibt es auch bei uns! Schauen Sie sich doch einmal an, was in den Sozialgerichten los ist!)

    — Kollege Gilges, ich würde die Situation in unseren Betrieben nicht mit den katastrophalen Zuständen vergleichen, die dort geherrscht haben.

    (Konrad Gilges [SPD]: Das hat doch keiner getan!)

    — Sie erweckten aber soeben den Eindruck. Im übrigen werden unsere Vorschläge auch dem Auftrag des Einigungsvertrages gerecht werden.
    Versäumnisse bei der Prävention schaden nicht nur den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie führen auch — Kollege Reimann, da sind wir uns völlig einig — zu Folgekosten in Milliardenhöhe in den sozialen Sicherungssystemen, einschließlich der Krankenversicherung. Fehlzeiten, Krankheitskosten, Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten und Produktionsausfälle — das wären die Folgen mangelhaften Arbeitsschutzes.
    Wir müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen hierfür neu gestalten. Deshalb muß diese Legislaturperiode auch eine Legislaturperiode des Arbeitsschutzes werden.
    Wir haben in Deutschland ein hohes Niveau im Arbeitsschutz; das ist wohl unbestritten. Unsere technischen Anlagen zählen zu den sichersten der Welt. Unser System genießt im Ausland hohes Ansehen, und deutsche Hilfe im Auf- und Ausbau eigener Arbeitsschutzsysteme wird ständig in Anspruch genommen. Wie hätte sonst die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle in den letzten zehn Jahren um 40 % und



    Parl. Staatssekretär Horst Günther
    seit 1970 um 63 % sowie die Zahl der schweren Arbeitsunfälle ohne Todesfolge seit 1970 um 45 % zurückgehen können?
    Auch in den letzten Jahren hat es bei unseren Bemühungen keinen Stillstand gegeben. Es gab, Kollege Reimann, keinen Dornröschenschlaf!
    1986 ist die Gefahrstoffverordnung grundlegend erneuert und seitdem mehrfach angepaßt worden. Wir haben uns in diesem Rahmen dafür eingesetzt, die Verwendung von Asbest immer weiter einzuschränken. Wir wollen ein europaweites Verbot, auch gegen den Willen einiger EG-Mitgliedstaaten.
    Wir haben 1990 das Chemikaliengesetz novelliert mit dem Ziel, Chemikalien am Arbeitsplatz intensiver als bisher auf gefährliche Eigenschaften prüfen zu können.
    Wir haben Vorschläge zur Einbeziehung von Klein-und Mittelbetrieben in die Betreuung durch Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit erarbeitet.
    Wir haben die Arbeitsschutzforschung durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und im Rahmen des Forschungsprogramms „Arbeit und Technik" kontinuierlich gefördert.
    Im Rahmen der deutschen Einigung haben wir die Bundesanstalt für Arbeitsmedizin in Berlin errichtet.
    Bei der Einführung des westdeutschen Arbeitsschutzsystems in den neuen Bundesländern ist sehr gute Aufbauarbeit geleistet worden. Hier möchte ich besonders den Arbeitsschutzbehörden der Bundesländer und den Berufsgenossenschaften noch einmal ein herzliches Wort des Dankes sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben durch Förderung von Modellmaßnahmen in den neuen Ländern Anstöße gegeben und Beratungshilfen geleistet, 1992 mit über 20 Millionen DM.
    In Dortmund entsteht die Deutsche ArbeitsschutzAusstellung, ein wichtiges Projekt, um das Thema „Arbeitsschutz" im Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit fester zu verankern. Das ist ganz wichtig. Darin sind wir uns sicherlich einig.
    Die Fortschritte im Arbeitsschutz sind aber nicht nur durch die Arbeit der staatlichen Stellen und der Selbstverwaltung zustande gekommen. Ich habe hier besonders den zahlreichen Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie vielen Wissenschaftlern zu danken, die — zumeist ehrenamtlich — in zahlreichen Ausschüssen mitgewirkt haben und diese Arbeit sicherlich auch fortsetzen werden. Ich denke z. B. an die Fachausschüsse der Berufsgenossenschaften, den Gefahrstoffausschuß, die Ausschüsse für überwachungsbedürftige Anlagen und den Ausschuß für technische Arbeitsmittel, aber auch an die Beiräte bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin. Dort wird gute Arbeit geleistet.
    Meine Damen und Herren, der Arbeitsschutz hat sich in den letzten Jahren zu einem Bereich entwikkelt, der wie kein anderer sozialpolitischer Bereich von Europa beeinflußt wird. Die Bundesregierung hat
    hieran maßgeblich mitgewirkt. Deutschland hat während seiner EG-Präsidentschaft Anfang 1988 die soziale Dimension der europäischen Einigung ins Zentrum der politischen Diskussion gebracht; Kollege Fuchtel hat soeben schon darauf hingeweisen. Ich will noch hinzufügen: Unter Leitung von Bundeskanzler Helmut Kohl hat die Verwirklichung der sozialen Dimension des Europäischen Binnenmarktes an Konturen gewonnen. Dementsprechend haben die Staats- und Regierungschefs auf dem Straßburger Gipfel 1989 die „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer", also die Europäische Sozialcharta, angenommen.
    Damit das Anliegen des Arbeitsschutzes europaweit Unterstützung findet, haben die Arbeits- und Sozialminister das Jahr 1992 zum „Europäischen Jahr für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz" erklärt. In vielen Aufklärungskampagnen und -veranstaltungen arbeitet auch die Bundesregierung daran mit, den Arbeitsschutz verstärkt ins Bewußtsein der Bürger unseres Landes zu bringen.
    Mittlerweile liegt ein ganzes Bündel von europäischen Richtlinien zum Arbeitsschutz vor. Kernstück ist die sogenannte Rahmenrichtlinie zum betrieblichen Arbeitsschutz. Diese Richtlinie ist von Deutschland maßgeblich mitgestaltet worden. Sie geht von einem modernen Arbeitsschutzbegriff aus. Arbeitsschutz ist heute mehr als Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten; Arbeitsschutz umfaßt alle Maßnahmen zur Abwehr arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren und zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit.
    Darüber hinaus gibt es bislang neun Einzelrichtlinien zu speziellen Sachgebieten. Ich nenne z. B. nur die Richtlinie über Bildschirmarbeitsplätze.
    Auch national bedarf unser Arbeitsschutzrecht der Neuordnung. Die Regelungen sind teilweise zersplittert, wie im betrieblichen Arbeitsschutz, und teilweise veraltet, wie die Arbeitszeitordnung aus dem Jahre 1938. Darüber sind wir uns im Grundsatz völlig einig.

    (Wolfgang Roth [SPD]: Sie haben zehn Jahre Zeit gehabt!)

    — Davor gab es auch noch 13 Jahre, Kollege Roth.
    Nach Verabschiedung der wesentlichen EG-Richtlinien haben wir ein Konzept für die Neuordnung entwickelt. Es wird in Form von Thesenpapieren schon seit dem letzten Jahr mit den Sozialpartnern, den Fachkreisen, den Bundesländern und den Berufsgenossenschaften fach- und sachgerecht und eingehend erörtert. Dieses Konzept enthält drei Bausteine: die Novelle zum Gerätesicherheitsgesetz, eine Neuordnung des Arbeitszeitrechts und ein Gesetz über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit.
    Der erste Baustein betrifft die Neuregelung der technischen Sicherheit von Geräten, Maschinen und Anlagen. Die entsprechende Novelle zum Gerätesicherheitsgesetz ist vom Deutschen Bundestag schon verabschiedet und steht im Gesetzblatt. Wir haben damit in diesem Bereich die notwendigen Voraussetzungen für den Europäischen Binnenmarkt geschaffen.



    Parl. Staatssekretär Horst Günther
    Die Novelle bringt eine stärkere Einbeziehung des Handels in die Verantwortung für die Abgabe sicherer Geräte. Sie verbessert Eingriffsmöglichkeiten der Gewerbeaufsichtsbehörden, wenn sie unsichere Geräte antreffen, und enthält eine Neuregelung des Prüfwesens.
    Der zweite Baustein ist ein modernes Arbeitszeitgesetz. Den Referentenentwurf hat der Minister in der letzten Woche vorgestellt.
    Die Modernisierung und Flexibilisierung der Arbeitszeitordnung aus dem Jahre 1938 ist in der Tat schon seit langem überfällig. Mit dem neuen Arbeitszeitgesetz wollen wir neue Weg gehen.
    Der Staat legt den gesundheitlich notwendigen Rahmen fest; die Tarifpartner füllen diesen Rahmen aus. Das bedeutet konkret ein Ja zu mehr Flexibilität und Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit, aber ein Nein zur Sonntagsarbeit. In der Vergangenheit haben wir den Sonntag als gemeinsamen Ruhetag der Arbeitnehmer erfolgreich verteidigt. 82,2 % aller Beschäftigten in den alten Bundesländern müssen an Sonn- und Feiertagen nie arbeiten, 9,1 % nur gelegentlich. Wir meinen, daran sollte sich auch nichts ändern.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

    Ich begrüße es, daß auch in der europäischen Arbeitszeitrichtlinie der Sonntag im Prinzip als wöchentlicher Ruhetag vorgesehen ist. Daran haben wir maßgeblich mitgewirkt.
    Unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen die Probleme der Nachtarbeit. Nicht Nachtarbeitsverbote für bestimmte Personengruppen sind der richtige Weg, sondern besondere Schutzvorschriften für alle, die Nachtarbeit leisten. Hierbei werden wir auch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Nachtarbeit Rechnung tragen.
    Ich kenne, wenn auch nicht ganz vollständig, seit gestern einige Vorschläge, die, glaube ich, die sozialdemokratische Fraktion vorgelegt hat. Dazu will ich nur grundsätzlich sagen: Überreglementierung lohnt sich auch in diesem Falle sicherlich nicht und wird nicht immer von Vorteil sein. Ich lese da z. B., daß nachts leichte Mahlzeiten angeboten werden sollen. Das ist eine Überreglementierung, die man nicht in ein Gesetz hineinschreiben sollte. Wofür haben wir die Tarifpartner, wofür haben wir das Betriebsverfassungs- und das Personalvertretungsgesetz?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der dritte Baustein bei der Neuordnung des Arbeitsschutzes ist ein Gesetzentwurf über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, den wir in Kürze vorstellen werden. Mit diesem Gesetz betreten wir in der Gestaltung des Arbeitsschutzrechts in dreierlei Hinsicht Neuland:
    Erstens werden die grundlegenden Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern für den Arbeitsschutz im Betrieb umfassend gesetzlich geregelt. Diese Regelungen werden über den klassischen Arbeitsschutzbegriff hinausgehen und Aspekte der Humanisierung der Arbeit mit einbeziehen. Der Gesetzentwurf wird alle Maßnahmen umfassen, die
    dazu beitragen, Leben und Gesundheit der arbeitenden Menschen zu schützen, ihre Arbeitskraft zu erhalten und die Arbeit menschengerechter zu gestalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    § 120a der Gewerbeordnung wird dann nach 100 Jahren ausgedient haben. Damit wird auch die dort enthaltene Einschränkung entfallen, daß der Arbeitgeber den Gesundheitsschutz nur so weit zu gewährleisten hat, „wie es die Natur des Betriebes gestattet". — Das freut Sie besonders, Kollege Reimann; Sie haben das soeben auch angesprochen.
    Künftig soll es zu den grundlegenden Pflichten des Arbeitgebers gehören, die Gefahrensituation in seinem Betrieb zu ermitteln und zu bewerten, für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Aspekte der Arbeit zu sorgen, den Arbeitsschutz schon in der Planungsphase mit einzubeziehen, Arbeitsplätze und Arbeitsverfahren menschengerecht zu gestalten und bei technischen Maßnahmen den aktuellen Stand der Technik, also nicht nur die allgemein anerkannten Regeln der Technik, zu berücksichtigen.
    Hinzu kommen Rechte, sich mit Vorschlägen zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes an den Arbeitgeber und bei Verletzung von Arbeitsschutzpflichten an die Behörden zu wenden. Um eine Schutzvorschrift zu nennen: Die Beschäftigten dürfen dadurch keine Nachteile erleiden.
    Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf wird auch klarstellen, daß Arbeitnehmer im Falle einer Arbeitseinstellung bei erheblicher und unmittelbarer Gefahr nicht benachteiligt werden dürfen.
    Zweitens werden die Arbeitsschutzregelungen grundsätzlich einheitlich für alle abhängig Beschäftigten gelten, also für Arbeiter, Angestellte und Beamte gleichermaßen. Damit werden wir in der Bundesrepublik Deutschland erstmals ein einheitliches Recht im betrieblichen Arbeitsschutz für Wirtschaft und Verwaltung haben.
    Drittens. Wir wollen den Auftrag der Unfallversicherungsträger auch auf die Verhütung arbeitsbedingter Erkrankungen ausdehnen. Bisher haben sie eine Zuständigkeit nur für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Konkrete Fortschritte sind also geplant.
    Mit dieser Neuordnung werden wir den Arbeitsschutz in Deutschland ein großes Stück nach vorne bringen. Mir sind konkrete Fortschritte für die Arbeitnehmer wichtiger als eine lange Diskussion über die Schaffung eines Arbeitsschutzgesetzbuches. Wenn wir erst die Probleme ausdiskutieren, die mit der Festlegung des Inhalts eines Arbeitsschutzgesetzbuches verbunden sind, werden wir die dringend notwendige Neuordnung verzögern und auch die Umsetzungsfristen für EG-Richtlinien weit überschreiten. Diese Diskussion sollten wir im Anschluß an die jetzt notwendigen Gesetzesvorhaben führen. Mit der von mir vorgeschlagenen Neugestaltung ist für die Zukunft überhaupt nichts verbaut.
    Ein besonderes Kennzeichen des Arbeitsschutzes in Deutschland ist das duale System mit seiner einer-



    Parl. Staatssekretär Horst Günther
    seits staatlichen und andererseits selbstverwalteten Ausprägung. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Ich denke, es muß auch in Zukunft erhalten werden. Das heißt auch, daß die Berufsgenossenschaften weiterhin die Möglichkeit haben müssen, branchenspezifische Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen, mit denen sie staatliche Regelungen konkretisieren bzw. darüber hinausgehende Anforderungen stellen können.
    Eine parallele Rechtsetzung durch staatliche und Unfallverhütungsvorschriften sollte allerdings unterbleiben. Die Berufsgenossenschaften sollen vielmehr auch die Einhaltung des staatlichen Rechts überwachen können. Dafür brauchen wir beim Vollzug eine noch bessere Koordinierung der Überwachungstätigkeit beider Aufsichtsdienste. Es geht um eine funktionierende Kooperation. Ich setze darauf, daß die Beteiligten hierfür vernünftige Lösungen finden werden.
    Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein guter Arbeitsschutz besteht nicht nur in Rechtsvorschriften; alle am Arbeitsleben Beteiligten müssen mitmachen. Jeder gute Unternehmer weiß: Sein wertvollstes Kapital sind die Leistungsfähigkeit, die Motivation, die Kreaktivität und natürlich auch die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Schlagwort „Arbeit macht krank" — ich habe das soeben schon einmal in anderer Form gehört, Frau Bläss — darf keine Gültigkeit haben. Ich appelliere deshalb an die Betriebe: Bauen Sie einen wirksamen Arbeitsschutz auf! Wer gesunde Unternehmen haben möchte, muß für gesunde Mitarbeiter sorgen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, jetzt erteile ich unserem Kollegen Ottmar Schreiner das Wort.

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    Rede von Ottmar Schreiner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie ernst der Bundesarbeitsminister das Thema „Verbesserung des Arbeitsschutzes" nimmt, kann man schon daran ablesen, daß er hier heute gar nicht da ist. Das ist ein erstaunlicher Vorgang. Er hat zwar jeden Tag Zeit, ein neues „sozialpolitisches Ferkel durchs Dorf zu jagen": Abschaffung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Abschaffung der Entgeltzahlung bei Feiertagen, Streichung von Feiertagen — als nächster Vorschlag fehlt nur noch die Zusammenlegung von Weihnachten und Ostern. Es ist ja erstaunlich, wie weit die Phantasiewelt des Arbeitsministers reicht —, aber hier, bei einer so entscheidenden Debatte, ist Fehlanzeige.

    (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Er wurde hervorragend durch seinen Staatssekretär vertreten!)

    Wenn Sie die Schlagzeilen der Boulevardpresse darüber verfolgen, was der Blüm alles plant und alles vorhat, dann müßten Sie annehmen, er hätte sie nicht mehr alle.
    So Ludger Reuber, Pressesprecher von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, am Freitag vor Journalisten.

    (Lachen bei der SPD — Horst Günther [Duisburg] [CDU/CSU]: Das sind alles Falschmeldungen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Die Verwirrung scheint auf dieser Seite des Hauses komplett zu sein.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Schade ist, daß die Führung des Ministeriums das Thema nicht angemessen ernst nimmt. Täte sie dies, wäre sie aus vielen Kompensationsnöten in der Pflegesicherung heraus.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will versuchen, Ihnen dies zu belegen.
    Das Thema „Arbeitsschutz" führt in Deutschland ein öffentliches Schattendasein. Die interessierte Fachwelt beklagt immer wieder, der Schutz der Arbeitsumwelt habe in der Bundesrepublik keine politische Lobby. Tatsächlich weist der Arbeitsschutz dramatisch schlechtere Schutzmaßstäbe für den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auf als der allgemeine Gesundheitsschutz der Bevölkerung. Die Folgen sind verheerend und von beträchtlichem Umfang. Von dem, was von den Koalitionsrednern ständig vorgetragen wurde, kann angesichts der Fakten und der Zahlen überhaupt keine Rede sein.
    Ich will einige wenige Beispiele herausgreifen.
    Kollege Reimann hat in seinem Vortrag bereits darauf hingewiesen, daß ein Drittel der deutschen Arbeitnehmerschaft vor Erreichen der Altersgrenze berufsunfähig wird, ein weiteres Drittel vorher stirbt und nur ein restliches Drittel das Rentenalter arbeitend und einigermaßen gesund erreicht. Es ist erschreckend genug, daß Lebenserwartung und gesundheitlicher Zustand in hohem Maße von der Schichten- und Berufszugehörigkeit des Menschen abhängig sind. Wir sind auf diesem Gebiet tatsächlich eine Zweiklassengesellschaft.
    Im Endbericht der Enquete-Kommission „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung" der 11. Wahlperiode des Deutschen Bundestages heißt es dazu einmütig — ich zitiere —:
    Personen in der unteren sozialen Schicht geben etwa doppelt so häufig einen schlechten Gesundheitszustand an wie Personen in der obersten sozialen Schicht. Es deutet nichts darauf hin, daß dieses Ergebnis auf eine höhere Klagsamkeit der Betroffenen zurückzuführen ist.
    Und weiter:
    In der Arbeitswelt befinden sich im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern umfassende Studien über den Zusammenhang von Arbeitsbelastungen und Gesundheitszustand erst im Anfangsstadium, die Gesundheitsberichterstattung ist wenig entwickelt und kaum institutionalisiert . . .
    Dann kommt man zu der Schlußfolgerung:
    Die Gesundheitsprobleme sind schichtabhängig unterschiedlich verteilt.



    Ottmar Schreiner
    Wie Sie es allein schon vor diesem Hintergrund wagen können, an der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bei Arbeitnehmern zu rütteln, ist geradezu abenteuerlich.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dieser Kritik ist es völlig unbegreiflich, daß ausgerechnet das Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Arbeit und Technik" des Bundesforschungsministeriums, in dem auch das Bundesarbeitsministerium „seine Füße" hat und das gerade der Humanisierung des Arbeitslebens dienen soll, in 1993 und den Folgejahren weiter drastisch reduziert werden soll. So soll z. B. im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes die sogenannte Wirkungsforschung, d. h. Forschungen zur Wirkung von Arbeitsmaterialien und Arbeitsstoffen, zur Arbeitsverdichtung usw. hinsichtlich Belastungen, Krankheiten bzw. gesundheitlichen Gefährdungen, ganz gestrichen werden. Ohne Kenntnis dieser Zusammenhänge aber ist präventiver Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht möglich.
    Erklären Sie mir nicht, daß die Bundesregierung dabei ist, ihre Bemühungen im Bereich des Arbeitsschutzes zu intensivieren, wenn die praktischen Schritte genau auf das jeweilige Gegenteil abzielen!
    Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen: Tatsache ist auch, daß zwischen den zugelassenen Grenzbelastungswerten für Gefahrstoffe innerhalb und außerhalb der Betriebe gewaltige Unterschiede bestehen. So beträgt z. B. der Grenzwert für Asbestbelastungen außerhalb der Betriebe 400 Fasern/cm3 innerhalb des Betriebes beläuft sich der gleiche Wert auf 250 000 Fasern/cm3 liegt also um ein Vielfaches höher.
    Den Arbeitnehmern und ihrer Gesundheit nützt auch der beste Umweltschutz nichts, wenn in manchen Bereichen der Arbeitsumwelt steinzeitähnliche Verhältnisse herrschen. Das Ziel eines verbesserten Arbeitsschutzes ist klar: menschengerechte Arbeitsgestaltung.
    Die Forderung nach wirksamen Präventionsmaßnahmen hat ein weiteres Ziel, nämlich die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Nach Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz erreichte das Ausfallvolumen des Produktionsfaktors Arbeit infolge von krankheits- und unfallbedingten Fehltagen allein im Jahr 1990 eine Höhe von knapp 90 Milliarden DM. Das ist, ganz nebenbei bemerkt, mehr als das Dreifache dessen, was die Pflegeversicherung kosten würde, wobei die „Reparaturkosten am Menschen" bei Krankheit und Unfällen nicht eingerechnet sind. Vermutlich wäre der Betrag dann um ein Wesentliches höher anzusetzen.
    Wenn Sie also ernsthaft Kompensationsfelder zur Finanzierung der Pflege suchen: Hier bietet sich ein Feld — im Interesse der Menschen und im Interesse der Verbesserung der Arbeitsproduktivität — geradezu an.
    Zwischen Ökonomie und Gesundheitspolitik wird häufig ein Spannungsverhältnis gesehen. Gesundheit und Wohlbefinden aber machen Produktivitätsreserven frei und zahlen sich mittelfristig auch für die
    Unternehmungen aus. Das ist sogar übereinstimmender Erkenntnisstand in der Europäischen Gemeinschaft. Selbst Großbritannien wirkt an der Festsetzung von höheren EG-Normen zum Arbeitsschutz aktiv mit.
    Wir Sozialdemokraten beteiligen uns sehr gerne an der Diskussion über die ökonomisch-sozialen Bedingungen des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
    Der betriebliche Krankenstand ist ohne Zweifel yolks- und betriebswirtschaftlich ein ganz erheblicher Kostenfaktor; ich habe die Zahlen soeben genannt. Auf der anderen Seite ist der Krankenstand beeinflußbar und damit auch veränderbar.
    Betrachtet man die Arbeitsunfähigkeit etwas näher, so zeigt sich, daß Ihre Strategie, Pflegeversicherung durch Wiedereinführung von Karenztagen im Krankheitsfall, auch aus nachfolgenden Gründen völlig abwegig ist und den noch einzuführenden Straftatbestand der versuchten Vollksverdummung erfüllt.
    Die Kurzzeitarbeitsunfähigkeiten bis zu einer Woche machen lediglich ca. 7 % bis 10 % des Tagesvolumens der Arbeitsunfähigkeiten aus. Bei ein bis drei Tagen Abwesenheit sind es bei den Betriebskrankenkassen gerade noch 1,5 % und bei den Ortskrankenkassen ca. 3 % des Krankenstandsvolumens.
    Das heißt im Klartext: Selbst wenn unterstellt würde, daß die von Ihnen erfundenen Blaumacher — noch einmal: 1,5 % bzw. 3 % des Krankenstandsvolumens — hier zu finden wären, so wäre dennoch völlig klar, daß damit der betriebliche Krankenstand nicht im geringsten erklärt werden könnte. Ganz im Gegenteil: Betriebsbezogene Untersuchungen zum Arbeitsunfähigkeitsgeschehen haben zu der Erkenntnis geführt, daß insbesondere typische Belastungskonstellationen am Arbeitsplatz und in betrieblichen Arbeitsbereichen mit spezifischen Erkrankungen verbunden sind.
    Meine Damen und Herren, allein diese wenigen Zahlen zeigen, daß Sie mit der von Ihnen angezettelten Karenztagedebatte hoffnungslos hinter dem Mond sind. Mir ist schleierhaft, aus welchen sachlichen Gründen die Fortsetzung dieser Diskussion noch Sinn macht. Ich nehme an, daß nach mir noch einer dieser Koalitionsfreaks reden wird. Er müßte mir einmal erklären, wie die Fortsetzung dieser Debatte angesichts der Zahlen, die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und den betroffenen Kassen veröffentlicht werden, inhaltlich begründet wird.

    (Zuruf von der SPD: Das können die nicht!)

    Das Gebot der Stunde heißt Prävention, wirksamerer Arbeitsschutz, nicht die Bestrafung von Kranken.
    Der Arbeitsschutz kann und muß ein zentraler Hebel werden, die Gesundheit der Arbeitnehmer zu erhalten und zu fördern und gleichzeitig einen erheblichen Beitrag zur Förderung der betrieblichen Produktivität zu leisten. Wir wollen den Standort Deutschland stärken. Wir wollen vor allem und gleichzeitig eine humane Arbeitsgestaltung für und mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
    Meine Damen und Herren, gerade wir Sozialpolitiker wissen, daß die hohe Abgabenlast — Steuern und Sozialversicherungsbeiträge — die Arbeitnehmer in



    Ottmar Schreiner
    besonderem Maße bedrückt. Alle Vorschläge der Koalitionsfraktionen zur Finanzierung der Pflegeversicherung laufen auf eine zusätzliche und zudem völlig einseitige Belastung der Arbeitnehmerschaft hinaus.

    (Beifall bei der SPD)

    Dabei müßte auch Ihnen bekannt sein, daß das Ausweichen in Schwarzarbeit und legale, nicht von der Sozialversicherung erfaßte Tätigkeiten um so attraktiver wird, je stärker der Ertrag aus regulärer Erwerbsarbeit geschmälert wird.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das ist wahr!)

    Wir wissen als Sozialdemokraten gleichermaßen, daß die Höhe der Lohnnebenkosten die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe beeinflußt. Die Sozialversicherung der Bundesrepublik rutscht vor allem durch die hohen Kosten der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland in die roten Zahlen. Ohne diese Folgelast der Vereinigung wäre nach Sicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ausreichener finanzieller Spielraum vorhanden, um die Einführung einer Pflegeversicherung sogar ohne zusätzliche Belastung der Beitragszahler zu verkraften. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis schlägt das Institut vor, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wieder zu senken und statt dessen die Kosten der ostdeutschen Arbeitslosigkeit anders zu finanzieren.
    Wir Sozialdemokraten haben immer wieder die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe gefordert, um die sozialen Lasten gerechter zu verteilen.

    (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

    Noch viel sinnvoller aber wäre es, die Arbeitslosigkeit, vor allen Dingen in Ostdeutschland, entschiedener zu bekämpfen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Auch dazu haben wir dem Parlament zahllose Vorschläge unterbreitet.
    Meine Damen und Herren, zum Schluß: Das Grundgesetz des Arbeitsschutzes, nämlich die deutsche Gewerbeordnung, stammt aus dem Jahre 1869. Im Gegensatz dazu hat der Umweltschutz ein modernes, wenn auch in manchen Fragen nicht ausreichendes Grundgesetz, nämlich das Bundesimmissionsschutzgesetz, das in den späten 70er Jahren verabschiedet worden ist. Dies bedeutet, daß im Bereich des Arbeitsschutzes mit mittelalterlichen Instrumenten gegen moderne, neuzeitliche Gefahren gearbeitet wird. Das ist die Lage.
    Wir fordern Sie mit großem Nachdruck auf, das europäische Jahr des Arbeitsschutzes gemeinsam mit uns für eine durchgreifende Modernisierung und Verbesserung des Arbeitsschutzes zu nutzen.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)