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ID1210802100

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    Plenarprotokoll 12/108 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 108. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. September 1992 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Aktuelle Entwicklung in der Europapolitik Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . . 9217B Björn Engholm, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . . . . . . . . 9221 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. . . . . . . 9224 C Peter Conradi SPD . . . . . . . . . . 9225 D Peter Kittelmann CDU/CSU . . . . . . . 9226 B Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . . 9228A Ingrid Matthäus-Maier SPD. . . . 9228B, 9242 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 9230 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . . 9232 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 9235 A Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . . 9236B Dr. Theodor Waigel CDU/CSU . 9236 C Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . 9238 C Dr. Thomas Goppel, Staatsminister des Frei- staates Bayern . . . . . . . . . . . . 9240 C Dr. Norbert Wieczorek SPD . . . . . . . 9242 D Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 9244 D Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . 9246 B Dr. Walter Hitschler F.D.P. . . . . . 9247 B Michael Stübgen CDU/CSU 9248 B Ortwin Lowack fraktionslos . . . . . . 9250B Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerd Andres, Dr. Ulrich Böhme (Unna), Hans Büttner (Ingolstadt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schaffung eines Arbeitsschutzgesetzbuches (Drucksache 12/2412) Manfred Reimann SPD 9251 B Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . 9254 A Petra Bläss PDS/Linke Liste . . . . . . 9255 C Dr. Gisela Babel F.D.P. . . . . . . . . 9257 A Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 9258 C Ottmar Schreiner SPD 9261 B Dr. Alexander Warrikoff CDU/CSU . . 9263 C Ottmar Schreiner SPD . . . . . . . 9265 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Antifaschistische und antirassistische Aufklärungskampagne (Drucksachen 12/1193, 12/3268, 12/3292) Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 9266 A Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI , 9267 A Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 9267 D Uwe Lambinus SPD 9268 C Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 9269 A Wolfgang Lüder F.D.P. 9269 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . 9270 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 9271* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. September 1992 9217 108. Sitzung Bonn, den 25. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 25. 09. 92 Andres, Gerd SPD 25. 09. 92 Antretter, Robert SPD 25. 09. 92* Bayha, Richard CDU/CSU 25. 09. 92 Blank, Renate CDU/CSU 25. 09. 92 Bleser, Peter CDU/CSU 25. 09. 92 Brandt, Willy SPD 25. 09. 92 Bredehorn, Günther F.D.P. 25. 09. 92 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. von Büllow, Andreas SPD 25. 09. 92 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 25. 09. 92 Herta Deß, Albert CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Eckardt, Peter SPD 25. 09. 92 Eichhorn, Maria CDU/CSU 25. 09. 92 Eimer (Fürth), Norbert F.D.P. 25. 09. 92 Eylmann, Horst CDU/CSU 25. 09. 92 Formanski, Norbert SPD 25. 09. 92 Gallus, Georg F.D.P. 25. 09. 92 Gattermann, Hans H. F.D.P. 25. 09. 92 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. von Geldern, CDU/CSU 25. 09. 92 Wolfgang Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 25. 09. 92 Grochtmann, Elisabeth CDU/CSU 25. 09. 92 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 25. 09. 92 Großmann, Achim SPD 25. 09. 92 Harries, Klaus CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 25. 09. 92 Hauser CDU/CSU 25.09.92 (Rednitzhembach), Hansgeorg Hollerith, Josef CDU/CSU 25. 09. 92 Ibrügger, Lothar SPD 25. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 25. 09. 92 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 25. 09. 92 Kampeter, Steffen CDU/CSU 25. 09. 92 Keller, Peter CDU/CSU 25. 09. 92 Klein (München), Hans CDU/CSU 25. 09. 92 Kolbe, Regina SPD 25. 09. 92 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 25. 09. 92 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 25. 09. 92 Leidinger, Robert SPD 25. 09. 92 Lennartz, Klaus SPD 25. 09. 92 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 25. 09. 92 Elke Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 25. 09. 92 Klaus W. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lühr, Uwe F.D.P. 25. 09. 92 Magin, Theo CDU/CSU 25. 09. 92 Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Mescke, Hedda CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Modrow, Hans PDS/LL 25. 09. 92 Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 25. 09. 92 Neumann (Gotha), SPD 25. 09. 92 Gerhard Oesinghaus, Günther SPD 25. 09. 92 Oostergetelo, Jan SPD 25. 09. 92 Ostertag, Adolf SPD 25. 09. 92 Paintner, Johann F.D.P. 25. 09. 92 Peters, Lisa F.D.P. 25. 09. 92 Pfeffermann, Gerhard O. CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 25. 09. 92 Raidel, Hans CDU/CSU 25. 09. 92 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 25. 09. 92* Rempe, Walter SPD 25. 09. 92 Rennebach, Renate SPD 25. 09. 92 Reuschenbach, Peter W. SPD 25. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 25. 09. 92 Helmut Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 25. 09. 92 Scheu, Gerhard CDU/CSU 25. 09. 92 Schmalz, Ulrich CDU/CSU 25. 09. 92 Schmalz-Jacobsen, F.D.P. 25. 09. 92 Cornelia Schmidt (Nürnberg), SPD 25. 09. 92 Renate Dr. Schmude, Jürgen SPD 25. 09. 92 Dr. Schneider CDU/CSU 25. 09. 92 (Nürnberg), Oscar Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 25. 09. 92 Andreas Dr. Soell, Hartmut SPD 25. 09. 92** Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 25. 09. 92 Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 25. 09. 92 Terborg, Margitta SPD 25. 09. 92 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 25. 09. 92 Titze, Uta SPD 25. 09. 92 Dr. Voigt (Northeim), CDU/CSU 25. 09. 92 Hans-Peter Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 25. 09. 92 Weis (Stendal), Reinhard SPD 25. 09. 92 Weißgerber, Gunter SPD 25. 09. 92 Welt, Jochen SPD 25. 09. 92 Wissmann, Matthias CDU/CSU 25. 09. 92 Wohlleben, Verena SPD 25. 09. 92 Ingeburg Zierer, Benno CDU/CSU 25. 09. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gregor Gysi


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Ich bedanke mich deshalb für die Frage, weil sie es mir ermöglicht, gleich auf das Problem einzugehen, daß es nämlich ein, wie ich meine, unsägliches Nein von rechts gibt, aber ein positives Nein von links. Ich will versuchen, das zu begründen.

    (Lachen bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Sie sitzen in einem Boot!)

    — Hören Sie doch erst einmal zu.

    (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Gysi und Schönhuber! — Zurufe von der SPD: Ganz schwach! — Schwächer als schwach!)

    Sehen Sie, das Nein von rechts versucht, an Instinkte der Menschen zu appellieren und Angst vor der Aufgabe nationaler Souveränität zu schüren, d. h. ist nationalistischer Natur, und zwar von Grund auf.

    (Zuruf von der SPD: Das kommunistische nicht?)

    Ich füge hinzu, daß es insofern nicht richtig ist, wenn der Bundeskanzler hier heute erklärt, daß die Nationalstaaten überhaupt nicht beeinträchtigt sind und daß sich an der Nationalstaatlichkeit nichts verändern wird. Das heißt, nicht die Wahrheit zu sagen, und das heißt, die Auseinandersetzung, die auf diesem Gebiet unbedingt geführt werden muß, nicht zu führen. Denn natürlich wird es schrittweise einen Abbau von Nationalstaatlichkeit geben. Das ist in Anbetracht der ökologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung auch richtig und wichtig. Dazu muß man sich deutlich bekennen.
    Ich füge weiter hinzu, daß von uns aus ein klares Ja zu Europa kommt. Aber ein klares Ja zu Europa bedeutet kein Ja zu Maastricht; denn Maastricht ist der falsche Weg. Das ergibt sich aus mehreren Gründen. Wir lehnen den Vertrag wegen grundlegender Unzulänglichkeiten ab. Sie betreffen sowohl die Art seines Zustandekommens als auch den Inhalt. In diesem Europa könnte eine soziale, ökologische und nicht militärische Europäische Gemeinschaft, die ihrer internationalen Verantwortung mit zivilen Mitteln gerecht wird, dabei insbesondere die ost- und südosteuropäischen Staaten einbezieht und sich den Problemen der sogenannten Dritten Welt nicht verschließt, eine bedeutende Rolle spielen.
    Ich finde es verheerend, wenn der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hier erklärt, daß eine Gemeinschaft von Wladiwostok bis zum Kap der Guten Hoffnung weder denkbar noch wünschenswert ist.

    (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Das Kap der Guten Hoffnung ist aber woanders! Es ist mehr im Süden!)

    Wenn wir nicht anfangen, wirklich planetar zu denken, werden wir die globalen Probleme dieser Erde



    Dr. Gregor Gysi
    nicht lösen können und damit die Zivilisation gefährden.
    Wir sind für eine europäische Einigung, akzeptieren aber die Ansätze von Maastricht nicht. Ich will das begründen. Wir akzeptieren erstens nicht, daß der Maastrichter Vertrag einen Integrationstyp erneut festschreibt und vertiefen soll, der ausschließlich die währungspolitische Vergemeinschaftung zum Ziel hat. Schon 1970 hatte der sogenannte Werner-Plan einen Stufenplan zur Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion enthalten, damals aber eine gleichgewichtige Vergemeinschaftung der Währungs- und Wirtschaftspolitik angestrebt. Selbst der Delors-Plan aus dem Jahre 1989 betonte noch diese Notwendigkeit und forderte dazu auf, parallel die Strukturpolitik und den Finanztransfer in entwicklungsschwache Regionen zu verstärken.
    Das mit Maastricht vorgelegte Integrationskonzept wird nun ausschließlich auf einen währungspolitischen Kern beschränkt, dem sich alle anderen Politikbereiche unterzuordnen haben. Eine aktive Strukturpolitik wird völlig vernachlässigt. Damit ist absehbar, daß Binnenmarkt und Währungsunion die regionalen Gefälle erheblich vertiefen und mit Sicherheit sogar geographisch verschieben werden. Das jetzige Integrationsprojekt reduziert sich letzten Endes auf einige wenige Kernländer, die sich — um welchen Preis auch immer — durch eine stabile Geldwertentwicklung auszeichnen.
    Damit ist Blockbildung verbunden. Damit ist Abschottung gegenüber Osteuropa verbunden. Damit ist auch Abschottung gegenüber der sogenannten Dritten Welt vorgezeichnet. Das wird hier ja auch gesagt. Es kommt hinzu, daß es die Vormachtstellung der starken Staaten eindeutig unterstreicht. Das sehen Sie bereits am Umgang mit dem Nein von Dänemark. In Maastricht ist zwingend vereinbart, daß alle Staaten den Vertrag zu ratifizieren haben; sonst kann er nicht in Kraft treten. Jetzt gibt es ein Nein von Dänemark, und nun interessiert es die anderen Staaten schon nicht mehr, daß es dieses Nein gibt. Sie machen das Ganze trotzdem. Das heißt, sie verletzen den eigenen Vertrag, eben weil Dänemark aus ihrer Sicht nicht so wichtig ist, da es ein kleinerer Staat ist.
    Ich glaube auch, daß aus dem Vertrag von Maastricht ein bißchen das Plagiat der deutschen Einigung hervorsticht. Ich finde, das ist eher ein schlechtes Beispiel und sollte nicht europäisch nachgeahmt werden.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Auch hier soll nämlich überhastet zusammengenagelt werden, was man in der neuen Weltordnung beansprucht oder was gegen Ansprüche anderer — seien sie nun berechtigt oder nicht — abgeschottet werden soll.

    (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Also, vernagelt sind Sie!)

    Es ist schon hochinteressant, daß der Bundeskanzler im wesentlichen eine Abwehrbegründung gegeben hat: Maastricht gegen Verbrechen, Maastricht gegen
    Asylbewerber. Aber das Wofür ist überhaupt nicht deutlich geworden.
    Besonders bedauerlich sind auch die Versäumnisse in der Agrarpolitik; denn es wird weiterhin ein Weg beschritten, der davon ausgeht, daß Agrarflächen stillgelegt werden und daß man den Abbau von Überschüssen finanziert — und das in einer Welt, in der Millionen Menschen hungern oder verhungern. Es gibt eben auch in diesem Vertrag keinen einzigen Schritt, der hier etwa eine Lösung anpeilen würde.
    Ferner wurde der Vertrag hinter verschlossenen Türen auf völlig undemokratische Art und Weise zusammengezimmert. Weder die Parlamente der Mitgliedstaaten, geschweige denn die Völker wurden beteiligt. In Dänemark, Irland und Frankreich fanden immerhin Volksentscheide bzw. Volksbefragungen statt. Koalition und SPD lehnen — wenn ich das heute richtig verstanden habe — gemeinsam einen Volksentscheid hier in der Bundesrepublik Deutschland ab. Ich frage mich, weshalb in einer Frage, die für die Lebensverhältnisse der Menschen in den künftigen Jahren und Jahrzehnten von so ausschlaggebender Bedeutung ist, die Menschen eigentlich nicht beteiligt werden sollen. Art. 20 des Grundgesetzes sieht Abstimmungen durch das Volk vor. Es ist nicht wahr, daß die Verfassung geändert werden muß. Es müßte nur ein Ausführungsgesetz beschlossen werden.

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Ach, reden Sie doch nicht so einen Stuß, Herr Gysi! Das ist doch Stuß!)

    Wir werden einen Entwurf einbringen.
    Ich füge hinzu, daß ich die Begründung des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein wenig überzeugend finde, die lautet: Wenn schon, dann soll der erste Volksentscheid der über die Verfassung sein. Das ist doch wohl kein inhaltliches Argument gegen einen Volksentscheid über die Maastrichter Verträge. Ich frage mich: Wer fürchtet hier eigentlich die Bevölkerung?

    (Dr. Heribert Blens [CDU/CSU]: Herr Gysi, Sie haben keine Ahnung von der Verfassung! — Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Vom Volk schon gar nicht!)

    — Ich bin den Menschen zumindest teilweise sehr viel näher als Sie. Das hat seine Ursache darin,

    (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Daß Sie ein typischer Arbeiterführer sind!)

    daß ich wesentlich mehr durchs Land fahre.
    Das Undemokratische an den Maastrichter Verträgen besteht noch in einem weiteren Element — da werden Sie mir vielleicht zustimmen —,

    (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Mal sehen!)

    nämlich darin, daß Befugnisse und Macht von den nationalen Parlamenten verlagert werden, was ich nicht kritisieren würde, wenn die Befugnisse auf das Europäische Parlament verlagert werden würden. Sie werden aber auf die Kommission und auf den EG-Ministerrat verlagert. Das ist eine Verlagerung von



    Dr. Gregor Gysi
    der Legislative auf die Exekutive und damit an sich schon undemokratisch.

    (Karl Lamers [CDU/CSU]: Die werden auch ihr Recht bekommen!)

    In diesem Zusammenhang werden auch noch Befugnisse der Lander auf die Bundesregierung und die EG-Kommission verlagert.

    (Karl Lamers [CDU/CSU]: Umgekehrt! Sie sind nicht ganz up to date, Herr Kollege!)

    Das ist ein weiterer undemokratischer Akt; denn wir leben in einer Zeit, in der wir in erster Linie die Macht und die Machtbefugnisse so weit wie möglich dezentralisieren sollten — das hat der Bundeskanzler heute auch gesagt; aber er hat das Gegenteil davon in Maastricht vereinbart — und die Zentrale mit den Aufgaben betrauen sollten, die sie unbedingt wahrnehmen muß, aber nicht mit anderen. Andernfalls wird das Nein zu Europa tatsächlich in eine Gegnerschaft umgemünzt. Das ist genau der falsche Weg.
    Ich füge schließlich hinzu, daß ich glaube, daß gerade dann, wenn Nationalstaatlichkeit abgebaut wird, die Stärkung der Regionen von besonderer Bedeutung ist. Auch das ist versäumt worden. Das gilt für Städte und Gemeinden gleichermaßen. Da hilft auch das Subsidiaritätsprinzip und anderes nicht, um diese Grundrichtung etwa aufzuheben.
    Allerdings gibt es eine Ausnahme, und die finde ich schon interessant: Das Subsidiaritätsprinzip wird gerade bei der Ökologie angewandt, d. h. gerade auf dem Gebiet, wo es ganz klar ist, daß eine kleine Region große Schwierigkeiten hat, einen Betrieb zu schließen, der umweltpolitisch nicht vertretbar ist. Dort wird die Verantwortung auf die Region gelenkt und damit festgelegt, daß in der Ökologie wenig passieren wird.
    Wir kritisieren auch die sicherheitspolitische Grundlage des Maastrichter Vertrages, und zwar deshalb, weil hier der militärische Einsatz durch eine eurpopaweite Armee geplant ist, in der die Bundesrepublik die führende Rolle spielen soll. Ich sage, die EG kann die Probleme nur lösen, wenn sie friedenstiftend ist, und nicht, wenn sie sich militärisch stärkt, und schon gar nicht, wenn die Bundesrepublik Deutschland daran beteiligt wird.
    Noch verheerender ist, daß versucht wird, das Flüchtlingsproblem durch Mauern und auch durch Polizei und Militär zu lösen. Ich glaube, das ist der falsche Weg. Was wir brauchen, ist eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung, die das Elend und den Hunger in der sogenannten Dritten Welt beseitigt und die sozialen Probleme in Osteuropa lösen hilft.
    Wir dürfen nicht vergessen — und das scheint mir von besonderer Bedeutung zu sein —, daß die globalen Probleme nicht nur ökologischer, sondern auch sozialer Natur sind und gemeinsam angegangen werden müssen. Deshalb sage ich Ihnen: Der gravierendste Grund für unsere Ablehnung und für unsere Forderung nach Volksentscheid ist die Tatsache, daß die Europäische Sozialunion auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden ist. Damit wird ein beispielloser Sozialabbau verbunden sein; denn mit dem Argument, den Wirtschaftsstandort Deutschland
    attraktiver zu gestalten, werden permanent die Forderungen zunehmen, Sozialleistungen abzubauen und Rechte der Gewerkschaften einzuschränken. Diese Art von demagogischer Argumentation erleben wir ja nun schon seit Wochen und Monaten. Das ist auch ein Ergebnis von Maastricht.
    Ich füge abschließend hinzu, daß der Versuch, über Maastricht auch den Kündigungsschutz abzubauen, Lohnabschlüsse unterhalb der Tarifabschlüsse zu ermöglichen, die Arbeitszeit zu verlängern und Arbeitsschutzrechte, die in der DDR schon sehr weit entwickelt waren, wieder auf einen europäischen Minimalstandard zu reduzieren, die Konflikte schüren muß. Wer so handelt, diskreditiert die Idee von Europa, statt sie zu stärken. Daraus ergibt sich unser Nein zu Maastricht.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste und des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat nun der Abgeordnete Gerd Poppe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gerd Poppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ergebnis des Referendums in Frankreich hat zwar die Furcht, das große Projekt eines vereinigten Europa könne bei negativem Ausgang auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt sein, für den Augenblick gemindert; andererseits aber führt uns das französische Ja ebenso eindringlich wie das dänische Nein die mangelnde Akzeptanz durch die EG-Bevölkerung vor Augen. Auf solch dünnem Eis läßt sich kein festes Fundament für das europäische Haus bauen.
    Wenn wir das ganze Europa der Völker und nicht nur ein Europa der zwölf Regierungen meinen, müssen wir uns die Frage stellen, ob es tatsächlich so entstehen kann, wie es der Maastrichter Vertrag vorzeichnet, und ob das Einverständnis der Hälfte der Bürgerinnen und Bürger des halben Europa dafür eine ausreichende Grundlage bildet. Und wir müssen uns fragen, welche Nachbesserungen notwendig, in welchem Zeitraum und auf welchem Weg sie jeweils möglich sind und wie dieser Weg einsichtiger und die Schritte für die Bevölkerung nachvollziehbarer werden können. Am letzten Sonntag konnte Erleichterung aufkommen, Begeisterung kaum, am ehesten Nachdenklichkeit angesichts der Überlegung, wie wohl die Deutschen abgestimmt hätten, wären sie an Stelle der Franzosen zu den Wahlurnen gerufen worden.
    Sie, meine Damen und Herren, werden sich keine Illusionen darüber machen: Das Ergebnis in der Bundesrepublik wäre vermutlich dem französischen recht nahegekommen. In den ostdeutschen Bundesländern wäre — so ist zu befürchten — auf Grund der bedrükkenden Gemengelage von berechtigten und unbegründeten Ängsten, die auf die voreiligen Versprechungen der letzten zwei Jahre und die daraus folgende Ungeduld angesichts der tatsächlichen Probleme zurückzuführen sind, die Ablehnung wohl noch deutlicher ausgefallen als in den Umfrageergebnissen für die alten Bundesländer.



    Gerd Poppe
    Es gibt viele Gründe, die Maastrichter Beschlüsse zu kritisieren, keineswegs nur von ganz links oder ganz rechts, was immer man von diesen Kategorien halten mag. Ein Nein muß keineswegs gleichbedeutend sein mit einem Nein zu Europa. Es gibt ebenso viele Argumente für eine Zustimmung trotz aller Defizite, wie sehr oft gesagt wird. Auffällig ist doch, daß bei den bisherigen Abstimmungen oftmals Gründe für die Zustimmung oder Ablehnung ausschlaggebend waren, die mit der Vision eines geeinten Europa nur bedingt zu tun haben.
    Der Bundeskanzler hat heute diejenigen genannt, die in Frankreich mit Ja gestimmt haben. Wo wurde denn nun mit Nein gestimmt? In jenen Departements, in denen die ländliche Bevölkerung sich um ihre Zukunft sorgt, und in jenen, in denen die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. In Dänemark kam das Nein u. a. durch die Befürchtung zustande, soziale Standards besonders für Frauen und Umweltstandards kämen ins Wanken.
    Eine der ersten Verpflichtungen einer gemeinsamen europäischen Politik müßte demnach sein, auf solche berechtigten Sorgen stärker einzugehen, vor allem durch Verbesserung der sozial-, struktur- und regionalpolitischen Regelungen des Vertragswerkes. Das ist um so mehr von Bedeutung, als diese ungelösten Probleme den wiedererstarkten nationalistischen Strömungen und der dumpfen Ausländerfeindlichkeit, die uns in letzter Zeit so stark beschäftigt, weiteren Auftrieb geben, was die Entwicklung zu einem friedlichen und demokratischen Europa aufs höchste gefährdet.
    Solange die ärmeren und sozial verunsicherten EG-Europäer aus dem Zusammenwachsen für sich keine neuen Perspektiven ableiten, werden sie unzufrieden bleiben mit den Unternehmungen zur Rettung von Maastricht aus wirtschaftlich motivierten, für die Betroffenen aber undurchsichtigen Zwecken. Da werden auch keine Werbekampagnen helfen, keine Postwurfsendungen der Bundesregierung, die deren Vorstellungen von der europäischen Zukunft unter dem schönstmöglichen Blickwinkel von Ansichtskarten wiedergeben. Ein unreflektiertes „Weiter so!" wird den Bürgerinnen und Bürgern ihre Sorgen und Ängste nicht nehmen, sondern eher ihre Skepsis erhöhen.
    Die anhaltenden Währungsturbulenzen, meine Damen und Herren, tragen das Ihre zur Verunsicherung bei. Es ist anzunehmen, daß sie nicht durch Maastricht verursacht sind; aber was soll die Bevölkerung davon halten, wenn sich Befürworter und Gegner der Währungsunion durch den Währungscrash gleichermaßen bestätigt sehen? Wie anders als zweifelnd sollen sie reagieren, wenn das Phantombild einer scheinbaren Währungsstabilität über Nacht verschwindet und den Befürwortern des unverminderten Tempos dann keine andere Lösung zur Einhaltung des Fahrplanes einfällt, als nur noch den kleineren Teil der Passagiere mitzunehmen? Wenn Maastricht die sogenannte kleine Währungsunion als Übergangslösung auch nicht ausschließt, so ist diese doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt die denkbar unglücklichste Werbung für Europa.
    Anstatt die aktuellen Schwierigkeiten mit Zweckoptimismus und hilflosen Spekulationen zu überspielen, sollten Bundesregierung und Bundestag sich über eine veränderte Vorgehensweise verständigen, die innerhalb eines vertretbaren Zeitraums zu mehr Transparenz, zur Beseitigung der entscheidenden Defizite des Vertragswerks und demzufolge zu größerer Akzeptanz bei der Bevölkerung führen soll. Dreierlei scheint uns dafür erforderlich: erstens eine Atempause, eine Denkpause, eine Verlangsamung der Gangart auf dem Wege zur Europäischen Union; und das ist keineswegs so etwas wie Stillstand, wie der Bundeskanzler meinte. Seit den jüngsten Entscheidungen der dänischen und der britischen Regierung gibt es keinen so großen Zeitdruck mehr für eine Ratifizierung der Maastrichter Verträge im Deutschen Bundestag. Die gerade erst in Gang gekommene Debatte darf nicht durch eine überhastete parlamentarische Entscheidung wieder blockiert werden. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, sich mit den elf Partnern der EG auf einen neuen Zeitplan für den weiteren Ablauf zu verständigen.
    Zweitens. Auch in der Bundesrepublik Deutschland muß die Zustimmung zu einer Europäischen Union durch das Votum des Volkes abgedeckt werden. Mir sind die Bedenken gegen eine Volksabstimmung wohlbekannt und durchaus verständlich, vor allem das Argument, daß durch eine auf Ja oder Nein zu Maastricht verkürzte Fragestellung der auf Europa bezogene Wille des Volkes nicht zum Ausdruck kommen kann und eher die Freisetzung europafeindlicher nationalistischer Emotionen zu befürchten wäre. Wenn wir diese Gefahr erkennen, dann können wir ihr auch begegnen, indem wir die vorgeschlagene Atempause im Sinne der schon erwähnten Beseitigung der bisherigen Defizite und der Klärung der dazu erforderlichen Schritte und Zeiträume nutzen.
    Für eine Entscheidung von solcher Tragweite, die zum Teil jetzt schon Verfassungsrang besitzt und letztendlich auf die Zustimmung zu einer europäischen Verfassung hinauslaufen muß, reicht auch eine überzeugende parlamentarische Mehrheit nicht aus. Dies gilt erst recht angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse.
    Wer die Forderung nach einem Referendum als unverantwortlich bezeichnet — das wird uns gegenüber hin und wieder getan —, hat meines Erachtens nicht nur seine demokratischen Grundsätze — sprich: die Umsetzung des Willens seiner Wähler — dem reinen Pragmatismus der Macht unterworfen, sondern auch bereits vor den populistischen Gegenströmungen kapituliert.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Im übrigen würde ein überhastetes Durchziehen der Verträge die Diskussionen auf Stammtischniveau nicht beenden und die populistischen Argumente der Europagegner nicht schwächen; vielmehr gäbe es ihnen neue Nahrung.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Aber das ist Zweierlei! — Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Listel)

    — Wir wünschen ein Referendum vielleicht aus anderen Motiven als Sie, Herr Gysi, der Sie damit gleich den Wunsch nach einer Ablehnung des Vertragswerkes verbinden. Wir wünschen uns, daß das Vertrags-



    Gerd Poppe
    werk verbessert wird und daß ein größeres Verständnis für den Weg nach Europa erreicht wird. Dazu, meinen wir, sind diese Atempause und diese Diskussion, die letztendlich zu einem Referendum führt, notwendig.
    Wir wünschen das Referendum auch nicht heute und nicht in wenigen Wochen, sondern wir legen Ihnen heute einen Antrag vor, nach dem es am Ende einer öffentlichen Debatte steht, durch die allein die erforderliche Akzeptanz der europäischen Einheit zu erreichen ist.
    Drittens. Der Vertrag muß — da hilft ja nun alles nichts — wirklich verbessert oder, wenn Sie so wollen, nachgebessert werden. Einige Probleme habe ich schon angedeutet. Ich möchte mich jetzt auf ganz wenige weitere Beispiele beschränken, da wir ja in Kürze Gelegenheit haben, das Thema weiterzudiskutieren.
    Erwähnen möchte ich wenigstens folgende Punkte: Die Kompetenzen der Organe der Gemeinschaft und das Subsidiaritätsprinzip müssen präziser bestimmt werden. Die Menschen müssen wissen, über welche Bereiche europäisch, über welche national und über welche regional entschieden wird und von wem die Entscheidungen kontrolliert werden. Das Dickicht der verschiedenen, von der Unterrichtung bis zur parlamentarischen Mehrheitsfindung gestaffelten Verfahren über das Zusammenwirken von Kommission und Europäischem Parlament soll gelichtet werden.
    Das Europäische Parlament sollte mehr Entscheidungsbefugnisse in den Bereichen gemeinsamer Sozial- und Umweltpolitik erhalten. Der Ministerrat sollte öffentlich tagen, nachdem zuvor Debatten der nationalen Parlamente über die Absichten der jeweiligen Regierungen stattgefunden haben. Die sozialen Rechte müssen auf einem hohen Niveau verankert werden, wobei sich kein Staat ausschließen darf.
    Sicher muß auch für eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ein gemeinsames Konzept entwickelt werden, dies aber nicht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern verbunden mit der Durchsetzung der unveräußerlichen Menschenrechte.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Schließlich will ich zum wiederholten und wahrscheinlich nicht zum letzten Male die Unterbelichtung der politischen Union erwähnen. Die Entwicklung seit 1989 muß endlich berücksichtigt und eine klare Perspektive für die Erweiterung auf Gesamteuropa gefunden werden. Dazu gehört ein Konzept der abgestuften Integration für Osteuropa.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Engholm, wir haben überhaupt nicht von Wladiwostok gesprochen; aber wir sprechen sehr wohl beispielsweise von Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat er auch gesagt!)

    Die Klärung dieser nur beispielhaft erwähnten Fragen bedarf wie die der vielen anderen nicht nur weiterer Regierungsverhandlungen, sondern eines
    intensiven öffentlichen Diskurses. Wer diesen nicht wünscht, braucht mit einer breiten Zustimmung der Bevölkerung nicht zu rechnen.
    Ich danke für die Aufmerksamkeit.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)