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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/104 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 104. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. September 1992 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksache 12/3000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksache 12/3100) Wolfgang Thierse SPD 8847 B Dr. Günther Krause (Börgerende) CDU/CSU 8849 D Wolfgang Thierse SPD 8850 A Ingrid Matthäus-Maier SPD . 8850C, 8854 C Wolfgang Roth SPD 8852 B Uwe Lühr F D P. 8856B Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste . . . . . . . . . . . . . 8859 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8861 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 8861C Dr. Günther Krause (Börgerende) CDU/ CSU 8862 B Jürgen W. Möllemann, Bundesminister BMWi 8864A, 8888B Wolfgang Roth SPD , . . 8868 B Jürgen W. Möllemann F.D.P. 8870B Michael Glos CDU/CSU 8872A Dr. Klaus Zeh, Minister des Landes Thüringen 8875 A Norbert Otto (Erfurt) CDU/CSU . 8876 A Ursula Schmidt (Aachen) SPD 8877 A Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup CDU/ CSU 8877 D Johannes Nitsch CDU/CSU . . . . . . 8879 B Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8879 D Kurt J. Rossmanith CDU/CSU 8881 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 8883B, 8887 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 8887 A Anke Fuchs (Köln) SPD (Erklärung nach § 30 GO) 8888 A Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 8888B Marion Caspers-Merk SPD 8892 A Dr. Sigrid Hoth F.D.P. . . . . . . . . 8893D Klaus Lennartz SPD 8895C, 8898 B Dr. Klaus W. Lippolt (Offenbach) CDU/ CSU 8897 D Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . 8898C, 8935 A Dr. Klaus Töpfer CDU/CSU 8899 D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 8901 A Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 8903A, 8932 C Ulrich Junghanns CDU/CSU , . . . . . 8903 D Horst Sielaff SPD . . . . . . . . . . 8905D Georg Gallus F D P 8907 A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1992 Jan Oostergetelo SPD . . 8907B, 8909 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU 8907 D Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 8908 D Horst Sielaff SPD . . . . . . . . . 8909C Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminister BMFT . . . . . . . . . . . . . . . 8910 A Siegmar Mosdorf SPD 8911B Josef Vosen SPD 8912 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 8914A Josef Vosen SPD 8916A, 8928 A,B Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F.D.P. 8916C Achim Großmann SPD 8917D, 8925 B Dieter Pützhofen CDU/CSU 8920 D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . 8922 D Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 8924 A Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 8925 C Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin BMBau 8925 D Albrecht Müller (Pleisweiler) SPD . . . 8928 D Wilfried Bohlsen CDU/CSU 8930 C Ernst Waltemathe SPD . . . . 8931C, 8932 D Werner Zywietz F.D.P. 8934 A Manfred Kolbe CDU/CSU 8935 C Albrecht Müller (Pleisweiler) SPD . . 8935 D Elke Ferner SPD 8937 C Manfred Kolbe CDU/CSU 8939 B Dr. Christian Schwarz-Schilling, Bundesminister BMPT . . . . . . . . . . . . . 8940 D Peter Paterna SPD 8942 C Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 8943 B Anke Fuchs (Köln) SPD . . . . . . . . 8946A Ursula Männle CDU/CSU 8949 B Dr. Edith Niehuis SPD . . . . . . . . 8951 B Maria Michalk CDU/CSU 8953 B Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . 8954 C Petra Bläss PDS/Linke Liste 8955 D Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8957 C Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ . . . . . . . . . . . . . . . . 8959B Marianne Birthler, Ministerin des Landes Brandenburg 8962 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 8964 C Ottmar Schreiner SPD 8967 C Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 8969 C Dr. Gisela Babel F.D.P. 8972 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . . 8974 D Anke Fuchs (Köln) SPD 8975 A Renate Jäger SPD 8976 C Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . . 8977 D Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 8979 B Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 8980 B Doris Odendahl SPD 8981 B Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. . 8983 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. (Erklärung nach § 32 GO) . . . . . . . . . 8984 A Nächste Sitzung 8984 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8985* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1992 8847 104. Sitzung Bonn, den 10. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 10. 09. 92**** Antretter, Robert SPD 10. 09. 92* Berger, Johann Anton SPD 10. 09. 92 Dr. Blank, CDU/CSU 10. 09. 92*** Joseph-Theodor Böhm (Melsungen), CDU/CSU 10. 09. 92* Wilfried Brandt, Willy SPD 10. 09. 92 Clemens, Joachim CDU/CSU 10. 09. 92 Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 10. 09. 92 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 10. 09. 92**** Friedrich, Horst F.D.P. 10. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 10. 09. 92**** Gattermann, Hans H. F.D.P. 10. 09. 92 Göttsching, Martin CDU/CSU 10. 09. 92 Haschke CDU/CSU 10. 09. 92 (Großhennersdorf), Gottfried Hinsken, Ernst CDU/CSU 10. 09. 92 Hollerith, Josef CDU/CSU 10. 09. 92 Dr. Holtz, Uwe SPD 10. 09. 92**** Jaunich, Horst SPD 10. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 10. 09. 92 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 10. 09. 92 Elke Lummer, Heinrich CDU/CSU 10. 09. 92* Dr. Müller, Günther CDU/CSU 10. 09. 92**** Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Oesinghaus, Günther SPD 10. 09. 92 Opel, Manfred SPD 10. 09. 92*** Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 10. 09. 92 Dr. Pinger, Winfried CDU/CSU 10. 09. 92 Pofalla, Ronald CDU/CSU 10. 09. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 10. 09. 92** Reddemann, Gerhard CDU/CSU 10. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 10. 09. 92 Rempe, Walter SPD 10. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 10. 09. 92*** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 10. 09. 92 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 10. 09. 92**** Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 10. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 10. 09. 92*** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 10. 09. 92 Sehn, Marita F.D.P. 10. 09. 92 Dr. Stercken, Hans CDU/CSU 10. 09. 92**** Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 10. 09. 92 Weyel, Gudrun SPD 10. 09. 92**** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 10. 09. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung **** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hannelore Rönsch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr dankbar, daß ich zu Beginn der Beratungen meines Haushaltes reden darf, weil mir dies heute die Gelegenheit gibt, einmal einige grundsätzliche Ausführungen zu machen und nicht nur erwidern zu müssen auf die Beiträge der Kolleginnen und Kollegen in der Haushaltsdebatte.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Zeiten knapper Haushaltskassen und großer Herausforderungen ist es durchaus verständlich, wenn darüber diskutiert wird, ob wir unser soziales Netz inzwischen an der einen oder anderen Stelle vielleicht nicht schon zu feinmaschig geknüpft haben.
    Als Bundesministerin für Familie und Senioren trage ich für vier wesentliche Säulen unserer sozialen Ordnung Verantwortung, die ganz erhebliche Lasten tragen.
    Da ist zunächst und vor allem die Familie. Sie ist die von den meisten Menschen bevorzugte Lebensform, und sie erbringt unentbehrliche und durch andere nicht ersetzbare Leistungen. Der Markt indessen honoriert diese Leistungen nicht. Gerade hier muß die staatliche Gemeinschaft einen Ausgleich schaffen, sonst geraten Familien gegenüber Kinderlosen ins Hintertreffen: beim Lebensstandard, am Arbeitsmarkt und bei der Altersversorgung.
    Unsere Solidarität mit den älteren Menschen ist in anderer Weise gefordert. Die Rente ist Lebenslohn für Arbeitsleistung. Aber auch jenseits des Erwerbsalters wollen Senioren am gesellschaftlichen Leben teilhaben, sie wollen integriert bleiben. Materielle Absicherung und gesundheitliche Versorgung sind wichtig. Dazu gehört neben der finanziellen Sicherung vor allem auch die Qualität und ein ausreichendes Angebot an Pflegeleistungen. Nicht weniger wichtig ist älteren Menschen aber auch das Gefühl, mit ihren Fähigkeiten gebraucht, mit ihrer Lebenserfahrung gefragt und mit ihren Vorstellungen ernstgenommen zu werden. Hier brauchen wir neue politische Konzepte für die Integration der Älteren und für das Zusammenleben der Generationen.
    Das Bundessozialhilfegesetz ist einer der wichtigsten Bausteine unserer Sozialstaatsverfassung. Sozialhilfe ist Ausdruck unserer Solidarität mit jenen Menschen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht selbst helfen können. Sozialhilfe verhindert, daß Menschen in Armut abgleiten, und stellt nicht nur die materielle Existenzgrundlage sicher, sondern ermöglicht auch die Teilhabe am sozio-kulturellen Leben. Gleichwohl muß es unser vorrangiges Ziel sein, Bedürftigkeit vorzubeugen, anstatt sie zu verwalten.
    Die Förderung der Verbände der freien Wohlfahrtspflege schließlich trägt dazu bei, daß soziale Dienste und Einrichtungen in unserem Land unabhängig vom Staat in pluraler Trägerschaft angeboten und ausgebaut werden können. Wie sonst nur noch die Vereine in unserer Freizeitkultur sind die Verbände der freien Wohlfahrtspflege in der Lage, das ehrenamtliche Engagement von Millionen unserer Mitbürger zu mobilisieren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Die Bedeutung dieser vier großen Aufgaben ist unübersehbar, gerade wenn es unser fester Wille ist, im wiedervereinigten Deutschland einheitliche Lebensverhältnisse zu schaffen. Ich halte es für ausgesprochen notwendig, in der Familien- wie in der Seniorenpolitik, bei der Weiterentwicklung des BSHG und bei der Zusammenarbeit mit der freien Wohlfahrtspflege die Erfahrungen, die Sichtweisen und Erwartungen der Menschen in den fünf neuen Bundesländern besonders aufmerksam aufzunehmen und zu berücksichtigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Unsere Politik muß den Familien in den neuen Bundesländern den Rücken stärken, sie muß auf ihre Bedürfnisse eingehen, und sie muß Antworten geben auf Fragen, die dort gestellt werden. Zu Recht erwarten gerade die älteren Menschen gerade auch in den neuen Bundesländern, voll- und gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben des vereinten Deutschland teilhaben zu können, und ich denke, gerade diese Generation, ganz besonders diejenigen Menschen, die in den Altenheimen und Altenpflegeeinrichtun-



    Bundesministerin Hannelore Rönsch
    gen leben, haben es verdient, daß wir so schnell wie möglich die ungeheuer bedrückenden Lebensumstände, in denen sie existieren und teilweise — man muß das Wort gebrauchen — vegetieren müssen, zu andern.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ganz wichtig!)

    Wir sind alle aufgerufen, auch Maßstäbe zu setzen und die Folgen des über 40jährigen SED-Unrechtsregimes rasch zu beseitigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Handeln Sie doch!)

    — Aber selbstverständlich! Wir sind doch die ganze Zeit dabei. Ich würde mir wirklich wünschen, Herr Kollege,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Brandenburg macht am wenigsten!)

    daß Sie der Sozialpolitik einmal größere Aufmerksamkeit widmen könnten, gerade der Seniorenpolitik, dann wäre Ihnen nicht entgangen, daß wir an dieser Stelle schon ganz Erhebliches getan haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie müßten doch wissen, was in 40 Jahren DDR-Diktatur gerade mit den alten Menschen, die nicht mehr im Berufsleben standen, gemacht wurde, wie sie verwahrt wurden, wenn sie den Lohn für die Arbeitsleistung ihres Lebens haben wollten — ich würde Ihnen wirklich empfehlen, sich das einmal vor Ort anzusehen,

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Da haben Sie ja recht!)

    ich bin ganz, ganz sicher, daß dann Ihr Engagement vielleicht auch etwas stärker werden würde.
    Aber lassen Sie mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, auf die Sozialpolitik und auch auf die Sozialhilfe zurückkommen! Auch und gerade den alten Menschen in den neuen Bundesländern müssen wir deutlich machen, daß auf Sozialhilfe ein Rechtsanspruch besteht,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

    damit sie nicht Scham empfinden, wenn sie die Sozialhilfeämter in Anspruch nehmen, wenn sie Hilfe benötigen. Die Sozialhilfe muß einen neuen, anerkannten Stellenwert erhalten. Die sozialen Dienste und Einrichtungen müssen in freier und pluraler Trägerschaft angeboten werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch richtig!)

    Es könnte zur Versachlichung auch mancher akademisch geführten Diskussion beitragen, wenn Eiferer ihre Ansichten und Forderungen auch einmal an den Erfahrungen der Menschen in den neuen Bundesländern prüfen würden.
    Ich habe diesen Satz hingeschrieben, als ich noch nicht wußte, daß Ihr Zwischenruf kommen würde. Aber er paßt an dieser Stelle haargenau. Ich bitte Sie, sich wirklich vor Ort einmal mit dem Schicksal der älteren Menschen auseinanderzusetzen. Meine Bitte richtet sich natürlich ganz besonders an die Kolleginnen und Kollegen auf der ganz linken Seite, denn sie haben über 40 Jahre miterfahren und miterlebt, was mit diesen alten Menschen gemacht wurde, ohne einzugreifen und ohne etwas zu unternehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die SED-Schuld! — Zuruf von der PDS/Linke Liste: Da müßte man schon differenzieren!)

    Es mag sein, meine sehr geehrten Damen und Herren zur linken Seite dieses Hauses, daß Sie wesentlich mehr Erfahrungen haben, weil Sie vielleicht dichter am System gewesen sind. Wir haben die Tiefe der Schwierigkeiten nicht erkennen können. Ich bin in den vergangenen 30 Jahren in jedem Jahr in der ehemaligen DDR gewesen; ich habe die Zustände der Heime, in denen alte Menschen, in denen behinderte Menschen zusammen untergebracht wurden, vor der Maueröffnung nicht erfahren und erleben können.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, allein in der kurzen Zeitspanne dieses Jahres ist zum Thema Ehe und Familie höchst Widersprüchliches in die Öffentlichkeit getragen worden. Da gab es etwa vor fast genau drei Wochen eine von allen Medien ausführlich behandelte Aktion mit dem Ziel, gleichgeschlechtliche Partnerschaften amtlich mit Trauschein als Ehe anzuerkennen. Andere wiederum vertreten den Standpunkt, die Ehe sei überhaupt ein auslaufendes Modell ohne Zukunft. Und es ist für mich teilweise ausgesprochen interessant gewesen, daß es oft dieselben Personengruppen waren, die sich einerseits mit Vehemenz für die gleichgeschlechtliche Ehe eingesetzt haben, andererseits aber immer noch von der Ehe als einer überholten Institution gesprochen haben. Das materielle Privileg der Ehe lasse sich nicht mehr rechtfertigen, so wird manchmal behauptet, und alle Lebensgemeinschaften müßten rechtlich und auch materiell gleichgestellt sein. Aus einer dritten Ecke werden daraufhin Zweifel an der Gerechtigkeit und der Sinnhaftigkeit von Familienpolitik ganz generell geäußert. All diese Skeptiker erheben sich nicht nur über das von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung gewählte Lebensmodell, nein, sie verkennen auch die vielfältigen und erheblichen Entlastungsfunktionen, die Ehe und Familie gegenüber der Gesamtgesellschaft wahrnehmen.
    Ich vertrete ja nun hier den viertgrößten Einzelhaushalt, und ich sage es immer wieder gerne, weil dieser Haushalt deutlich macht, welchen Stellenwert gerade diese Bundesregierung der Familienpolitik und den Zuwendungen für die Familie beimißt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich denke, daß wir uns darin einig sind, daß mit Erziehungsgeld, mit Kindergeld, mit Erziehungsurlaub, mit Unterhaltsvorschuß, Familienberatung usw. den Bedürfnissen der Familien auch entsprechend Rechnung getragen wird.
    Ich möchte zu den Leistungen noch hinzurechnen, was beim Bundesfinanzminister ressortiert, nämlich die Ausbildungsfreibeträge, das Ehegattensplitting und die Kinderfreibeträge. Ich erwähne dies einmal, weil es vielen gar nicht so gegenwärtig ist und weil sich in vielen Durchschnittsfamilien angesichts der von mir eingangs genannten Botschaften natürlich oft die berechtigte Frage stellt: Sollen die Institutionen
    Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 104. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 10. September 1992 8945
    Bundesministerin Hannelore Rönsch
    Ehe und Familie in Zweifel gezogen werden? Soll ihre Förderung eingeschränkt oder vielleicht sogar abgeschafft werden? Oder geht es manchmal einfach nur darum, den Kreis der Berechtigten ganz unabhängig davon zu erweitern, ob sie bereit sind, auch die rechtlichen und materiellen Bindungen und Verpflichtungen zu übernehmen?
    Ich denke, wir dürfen nicht zulassen, daß vor allem Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehende von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir müssen durchsetzen, daß der Staat, daß Wirtschaft und Gesellschaft mehr als bisher Rücksicht auf die Familien nehmen, auf ihre Bindungen, auch auf ihre Belastungen und auf ihre Verletzlichkeit. Bei manchen habe ich den Eindruck, Familie ist für sie ein politisch wichtiges Thema erst dann, wenn sie in Not geraten ist und wenn sie scheitert, wenn es in Überforderungssituationen zu Fehlverhalten bis hin zur Gewalt gekommen ist. Selbstverständlich muß sich Familienpolitik auch gerade um diese Familien kümmern.
    Im Mittelpunkt der Familienpolitik sollte aber die ganz normale Familie stehen, weil sie Lebensmittelpunkt und Lebensziel der allermeisten Menschen in unserem Land ist.
    Ich hätte gerne noch mehr Zeit, um grundsätzlich mit Ihnen zu diskutieren, denn ich denke, wir sollten uns gerade auch hier im Plenum darüber unterhalten, daß wir nicht nur Politik für Randgruppen machen, sondern auch für die Menschen, die sich tatsächlich Ehe und Familie als Lebensziel gesetzt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Schaffung des Ministeriums für Familien und Senioren hat Bundeskanzler Helmut Kohl 1991 Signale gesetzt, die dem Altersaufbau, der Demographie Rechnung tragen. Und ich denke, daß wir mit der Arbeit in diesem Ministerium der Bedeutung einer aktiven, zukunftsgestaltenden Seniorenpolitik auch entgegenkommen. Ich halte nichts von den düsteren Szenarien angeblicher Alterslast, Szenarien, die z. B. bei Kongressen der SPD von einer erdrückenden Mehrheit der über 60jährigen zu Beginn des nächsten Jahrhunderts ausgehen.
    Ich denke, wir brauchen Strukturveränderungen in unserer Gesellschaft, und wir müssen alles dazu tun, daß der Generationenvertrag weiterhin eingehalten wird, aber auch daß sich die Generationen nicht auseinanderdividieren lassen. Wir müssen an die Bereicherung denken, die durch das entsteht, was alte Menschen mit in die Gesellschaft einbringen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben deshalb einen Bundesaltenplan entwikkelt, und dieser Bundesaltenplan hat gerade bei den älteren Menschen großen Zuspruch erfahren.

    (Lachen bei der SPD)

    Ich wundere mich über Ihre Freude darüber; denn auch aus Ihren Reihen haben sehr, sehr viele Kollegen
    Briefe geschrieben und um die Einrichtung von Seniorenbüros gebeten, die in diesem Bundesaltenplan auch vorgesehen sind. Es war mir ganz klar: Sie wollen auch in Ihren Reihen die Seniorenbüros.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wie viele haben Sie denn?)

    — Frau Fuchs, darüber werden wir uns noch ausführlich unterhalten. Mir läuft die Zeit weg, und ich hatte vor, noch so viel Grundsätzliches zu sagen. Doch möchte ich noch einmal kurz auf die Seniorenbüros eingehen.
    Das zeigt mir, daß Sie alle — Sie wissen hoffentlich, daß Bundesministerien nur modellhaft fördern können — aufgerufen sind, in Ihren Kommunen diese Arbeit für die Senioren zu leisten, diese Seniorenbüros einzurichten. Die Bundesregierung und mein Ministerium können dies nur modellhaft tun. Und wir werden an vielen weiteren Stellen in der Bundesrepublik Seniorenbüros einrichten, so wie es im Rahmen unserer Modellförderung möglich ist.
    Ein seit Jahren aufgestauter Reformdruck macht eine Weiterentwicklung des Sozialhilferechts erforderlich. Ein Referentenentwurf unseres Ministeriums zur Reform des Sozialhilferechts wird zur Zeit innerhalb der Bundesregierung beraten. Ihm liegen Leitvorstellungen zugrunde, die von der Fachwelt nahezu einhellig als problemangemessen begrüßt worden sind. Wesentliches Ziel der Novelle ist, daß wir die Grundsätze der Prävention in der Sozialhilfe künftig noch stärker betonen als bisher.
    Wir wollen zum anderen unbestreitbare Defizite in der Sozialhilfepolitik abbauen und gleichzeitig die besonderen Verhältnisse in den neuen Bundesländern berücksichtigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bin mir bewußt, daß neben der Position der Leistungsberechtigten auch die der Leistungserbringer berücksichtigt werden muß. Ich bin allerdings nicht bereit, angesichts der Defizite in der Sozialhilfepolitik lediglich eine Einsparungsnovelle vorzulegen, so wie es von manchen Kommunen und einzelnen Bundesländern gefordert wird, die einseitig den Interessen der Leistungserbringer entsprechen würde. Wir haben ohnehin schon auf eine Reihe sehr erwägenswerter Veränderungen, die bei den Anhörungen vorgebracht worden sind, verzichtet, um den Entwurf nicht zu überfrachten.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zu einem Haushalt, der in ganz besonderem Maße dazu beitragen kann, Solidarität erfahrbar zu machen, Solidarität mit Familien, die unsere Zukunft sichern, Solidarität mit der älteren Generation, die geschaffen hat, worauf wir aufbauen, und Solidarität mit den Schwächeren in unserer Gesellschaft, die sich selbst nicht helfen können.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Renate Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich habe versäumt, Ihnen mitzuteilen, daß wir jetzt die Haushalte Familie und Sozialpolitik beraten; das haben Sie aber



Vizepräsidentin Renate Schmidt
festgestellt. Jetzt hat dazu die Kollegin Anke Fuchs das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Anke Fuchs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Frau Rönsch geben mir doch Anlaß, das zu tun, was ich mir eh vorgenommen hatte. Ich hatte gedacht, die Rede ist so spannend, daß ich alles umwerfen muß. Aber sie hat im Grunde so geredet, wie ich gedacht habe. Deshalb kann ich dabei bleiben, daß ich in dieser verbundenen Debatte versuche, Bilanz zu ziehen.
    Wir haben hier drei Tage Haushaltsberatungen hinter uns. Ich habe ziemlich viel zugehört, angefangen bei der Rede des Herrn Finanzministers. Ich möchte eigentlich eine politische Bilanz zu ziehen versuchen und komme dann auch noch auf das, was Frau Rönsch gesagt hat. Am Ende der Haushaltsdebatte - so zeichnet es sich heute ab — weiß die Öffentlichkeit eigentlich immer noch nicht, wie es um die Staatsfinanzen steht, sie kann es sich aber denken. Wir, die Opposition, haben es von Ihnen, nämlich der Bundesregierung, nicht erfahren.
    Wir denken, daß Sie hier ein Stück aufführen, das den Titel trägt: „Denn sie wissen nicht, was sie tun", und am Ende kommen Steuererhöhungen heraus, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    „Sie wissen nicht, was sie tun" war, wie viele sich erinnern, ein Kassenschlager im Kino in den 50er Jahren. Heute bezeichnet dieser Slogan die leeren Kassen des Haushalts 1993. Sie bieten keine Perspektive für die Zukunft, auch, Frau Rönsch, keine über den Tag hinausgehenden, wegweisenden Entscheidungen. Und mir ist dabei klargeworden, meine Damen und Herren: Ihr Problem sind nicht nur die leeren Kassen, Ihr Problem ist, daß Sie über 10 Jahre hinweg allmählich den Anschluß an die gesellschaftliche Wirklichkeit verloren haben.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Die Koalition wird getragen von drei Parteien, die alle in der Vergangenheit leben. „Mit uns zurück in die 50er Jahre! " — Das ist das heimliche Motto, die Perspektive von CDU und CSU. Und wenn ich mir die sozialpolitischen Vorschläge der F.D.P. anhöre, dann erscheinen vor meinem geistigen Auge unwillkürlich Dampfmaschinen, Industriebosse im Bratenrock, und ich befinde mich unversehens im 19. Jahrhundert.

    (Beifall bei der SPD)

    Gemeinsam hat die Koalition eine Haltung, die sich mit dem Wort umschreiben läßt: Das Ich und Mich, das Mir und Mein regiert in dieser Welt allein.
    Diese Haltung fällt jetzt auf Sie zurück. Sie erleben jetzt, daß Sie Opfer Ihres Weltbildes werden. Sie haben Wasser gepredigt und Wein getrunken und einer Politik der sozialen Kälte und der Ellenbogengesellschaft den Weg gewiesen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es hat Sie schon in den 80er Jahren nicht gestört, daß
    der soziale Konsens zu bröckeln anfing; Stichworte:
    Zweidrittelgesellschaft und Armut. Eine Mehrheit hatte Sie ja gewählt. Für die anderen haben Sie sich nicht verantwortlich gefühlt. Jetzt wundern Sie sich alle miteinander, daß immer mehr Menschen im Lande nur zu bereit sind, ihre Ellenbogen auch zu benutzen, meine Damen und Herren. Wahr ist doch — das ist diese Woche nochmals klargeworden; das hat alles auch etwas mit dem Haushalt von Frau Rönsch zu tun —, daß falsche Weichenstellungen im Osten und eine Wirtschaftspolitik, die diesen Namen nicht verdient hat, den Aufschwung in den fünf neuen Ländern verhindert haben.

    (Irmgard Karwatzki [CDU/CSU]: Frau Fuchs, das glauben Sie selbst nicht!)

    Sie haben Fehler gemacht, en détail und en gros. Im Detail war es falsch, in der Eigentumsfrage das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" durchzusetzen. Nehmen Sie das endlich zurück, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Es war falsch, der Treuhand nicht den Auftrag zu geben, eine aktive Industriepolitik zu betreiben. Ändern Sie das endlich, meine Damen und Herren! Es war falsch, keine Infrastrukturprogramme zum Aufbau der Kommunen in Ostdeutschland aufzulegen. Tun Sie endlich etwas, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der SPD)

    Es war falsch, die Menschen in Arbeitslosigkeit zu schicken, statt Arbeit zu organisieren. Sie haben im Westen nichts gegen 2 Millionen Arbeitslose in der Hochkonjunktur getan. Sie tun jetzt in Ostdeutschland ebenfalls nichts. Wollen Sie eigentlich nicht, oder können Sie nicht? Ich glaube, beides. Es paßt nicht in Ihren ideologischen Kram, daß der Staat auf dem Arbeitsmarkt eingreift. Weil es Ihnen nicht paßt, haben Sie es auch nie gelernt. So einfach ist das.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Nur für Sie!)

    Das wird auch aus einer Nebenbemerkung des Finanzministers von vorgestern klar. Er sagte — das müssen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen —: Für 1993 gibt es keinen Bundeszuschuß mehr für die Bundesanstalt für Arbeit. Was heißt das eigentlich?

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Soziale Kälte!)

    Damit sagen Sie klipp und klar: Die Bundesregierung entläßt sich selbst aus der Verantwortung für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der SPD —Arne Fuhrmann [SPD]: Das ist ein Skandal!)

    Die Beitragszahler, also Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sollen in Zukunft allein die Arbeitslosigkeit ausbaden. Folgt man Ihnen, sind sie auch selbst schuld an ihrer Malaise. Denn die einen investieren zu wenig im Osten und werden von Ihnen beschimpft, die anderen feiern ständig krank. So muß eben Strafe her,



    Anke Fuchs (Köln)

    und die heißt in diesem Fall: keine Zuschüsse mehr für die Bundesanstalt für Arbeit.

    (Norbert Eimer [Fürth] [F.D.P.]: Kann es sein, daß Sie ein falsches Manuskript haben?)

    Wie mühsam haben wir miteinander die Instrumente der Arbeitsförderung aufgebaut! Sie bauen sie jetzt aus vordergründigen fiskalischen Gründen ab. Ich sage deswegen: Sie nehmen Arbeitslosigkeit im Westen wie im Osten in Kauf. Das zeigt auch die Kürzung der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die im Haushalt des Bundesarbeitsministers jetzt vorgenommen werden muß.
    Damit springe ich gleich zu Frau Rönsch. Sie hat in diesen Tagen gesagt: Oh, wie schrecklich ist das doch mit der Armut; aber so schlimm ist es gar nicht. Was nicht sein darf, das kann nicht sein. Dann wollte sie die Ursachen der Armut bekämpfen. Ich sage Ihnen: Die Hauptursache für Armut besteht darin, daß Menschen nicht die Chance haben, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, und deswegen auf einen anderen Weg gewiesen werden.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    In diesem Zusammenhang ist es besonders verhängnisvoll, daß bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht geklotzt, sondern wieder gekleckert wird, daß Sie aus fiskalischen Gründen eine Rückführung der Mittel vornehmen müssen und uns sagen: Im nächsten Jahr zieht sich die Bundesregierung aus der Finanzierung der Arbeitslosigkeit zurück. Ich halte das für sehr schlimm. Die Folge wird steigende Armut sein. Die können wir dann auch durch die beste Sozialhilfe nicht auffangen.

    (Beifall bei der SPD)

    Dann hat er nochmals ein paar hunderttausend Menschen in die Arbeitslosigkeit geschickt, der Herr Bundesfinanzminister.

    (Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Verwechseln Sie doch nicht Ursache und Wirkung! Das wissen Sie doch!)

    Denn er lehnt es immer noch ab, der Treuhand den Auftrag zu geben, in wichtigen Branchen zu investieren, statt zu privatisieren. Sie begreifen nicht, Herr Kollege, worin der wirtschaftliche Erfolg im Westen gelegen hat: nicht im Treibenlassen, nicht im Nichts tun, sondern darin, daß wir Strukturveränderung ökonomisch und sozial über Jahre hinweg begleitet haben. Husch, husch, wie der Bundeskanzler es versprochen hat, geht es natürlich nicht. Aber unsere guten Erfahrungen aus dem Westen sollten wir im Osten anwenden. Es ist erbärmlich, daß Sie sich dazu immer noch nicht durchringen können.

    (Beifall bei der SPD)

    Es muß aufhören, daß Sie alles treiben lassen und daß man nicht weiß, welches Ressort zuständig ist: das von Herrn Blüm, das von Frau Merkel oder das von Frau Rönsch, was aber ohnehin keinen Unterschied macht.
    Die gleiche Phantasielosigkeit merke ich, wenn ich zu einem Thema komme, von dem Sie im Grunde auch glauben, die Mehrheit außen vor lassen zu können.
    Das ist die Pflegeversicherung. Der Bundesfinanzminister hat dieses Thema im Zusammenhang mit der Entlastung der Kommunen erwähnt, Herr Kollege Blüm. Sonst hat er darüber kein Wort verloren. Er hat ganz stolz gesagt, ab 1996 würden die Kommunen wegen der Pflegeversicherung entlastet. Da frage ich: Wo denn? Wie denn? Was denn? Wann kommt denn die Pflegeversicherung? Was ist bis 1996? Bis sie kommt, spielt die Bundesregierung die Pflegebedürftigen gegen die Arbeitnehmer aus:

    (Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Was haben Sie denn getan, als Sie im Amt waren?)

    Die einen sollen auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder auf Urlaub verzichten oder sich „irgend etwas Komisches" anrechnen lassen — jeder weiß: das rechnet sich gar nicht —, damit die anderen, nämlich die älteren Pflegebedürftigen, endlich menschenwürdig versorgt werden können. Ich sage ganz ruhig: Wer in diesem Land ernsthaft will, daß jemand Überstunden macht, weil er krank ist, der ist nicht ganz bei Trost.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Das ist ein Zurück in die sozialpolitische Steinzeit. Ötzi, der Mann aus dem Gletschereis, war dagegen ein Ausbund an Modernität.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich komme zu dem Schluß: In dieser Regierung sitzt eine Partei, die nichts anderes tut, als die Anliegen der Satten und Wohlhabenden dieser Gesellschaft zu vertreten. Die brauchen im Alter aber keine Pflegeversicherung. Und weil man das als Partei so unverfroren nicht sagen darf, hantiert man mit Begriffen wie Eigenverantwortlichkeit oder Individualismus. Diese Begriffe benutzen Sie als Keule gegen die Wünsche der übergroßen Mehrheit. Sie behaupten — wie Sie das schon immer getan haben —, daß sich die Menschen mit sozialer Absicherung nicht frei entfalten könnten. Es geht Ihnen um das Gegenteil. Aber: Nicht für die Mehrheit der Menschen ist der Sozialstaat eine Bedrohung, meine Damen und Herren von der F.D.P., sondern für eine kleine Minderheit, die um die Bewahrung von Besitzständen und Privilegien kämpft. Das ist Ihre Politik.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auch Frau Rönsch lebt mit ihren familienpolitischen Vorstellungen in den 50ern. Sie weiß nicht, was sie tut.

    (Walter Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Sie wissen nicht, was Sie sagen! So ein Quatsch!)

    Frau Rönsch sagt: Wir wollen eine ordentliche Familie. Wir brauchen eine normale Familie. — Ich habe mich gefragt: Was ist das? Sind Sie erschreckt, daß in den fünf neuen Ländern so viele Frauen ihre Kinder allein erziehen? Sind Sie erschreckt, weil dort 86 % der Frauen erwerbstätig waren und es auch bleiben wollen? Die beste Politik für die Frauen in den fünf



    Anke Fuchs (Köln)

    neuen Ländern wäre, zu verhindern, daß sie aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt werden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich habe den Verdacht, mit Ihrem Gerede von der „ordentlichen Familie" möchten Sie erreichen, daß die Frauen im Osten denselben Fehler machen wie die Frauen im Westen, nämlich den, daß sie sich mit einer geringen Erwerbsbeteiligung abgefunden haben und sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer wieder an den Herd zurückversetzen lassen. Das verstehen Sie unter „ordentlicher Familie": jedem Mann und jeder Frau seinen bzw. ihren vom lieben Gott zugewiesenen Platz. Man mag es gar nicht fassen, wie tief das in den Köpfen steckt — auch bei Ihnen, Frau Kollegin —, eine Mischung aus Ideologie und Berechnung.
    Ihre geistigen Vorväter, meine Damen und Herren von der Koalition, haben das Wahlrecht der Frauen bis aufs Messer bekämpft. An manche Debatte zum Ehe- und Familienrecht, in der dieses Gedankengut artikuliert wurde, erinnere ich mich. Noch heute müssen wir Frauen zäh Stück für Stück den gleichberechtigten Zugang zum Erwerbsleben erkämpfen. Es kommt mir so vor, als ob Frau Rönsch ihre Politik mehr als Aufstellen von Benimmregeln denn als Formulieren politischer Ziele versteht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie habe ich wenig gehört. So ein bißchen klingt bei Ihnen an, Sie möchten es eigentlich ganz gern so haben, wie es früher war. Da haben die Frauen gefragt: Wie kriege ich einen Mann? Einen Mann heiraten, der die Frau mit starkem Arm durchs Leben führt, das war das Ideal.

    (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Sie müssen ein tiefes Trauma haben, Frau Kollegin!)

    Ich sage Ihnen noch einmal: Das gab es nur einmal, das kommt nie wieder, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun zu der Frage, die meine Kollegin Matthäus-Maier angesprochen hat — auch da weiß ich wieder nicht so genau, wer bei Ihnen dafür zuständig ist —: Wie ist es eigentlich — das muß auch die Kolleginnen von der F.D.P. interessieren — mit den sozialen Begleitmaßnahmen zum § 218?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Frau Fuchs, dem Freistaat Sachsen ist viel erspart geblieben!)

    Ich habe — auch nicht von den Kolleginnen und Kollegen in den Ausschüssen, bei denen ich mich informiert habe — nirgendwo gehört, daß die Frage der sozialen Hilfe und der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Etat für 1993 ihren Niederschlag gefunden hätten. Wo bleibt denn da die Hilfe, die wir
    mit der Änderung des § 218 angemahnt haben, meine Damen und Herren?

    (Norbert Eimer [Fürth] [F.D.P.]: Das Haushaltsrecht sollten Sie wenigstens kennen! So ein Schmarren!)

    Dann hat Frau Rönsch sehr viel zum Kindergeld gesagt. Frau Rönsch, da müssen Sie noch ein bißchen mit uns nachdenken.
    Für Sie, Frau Rönsch — das klingt bei Ihnen an —, heißt Familie wirklich Ehe plus Kinder. Wir alle wissen, daß dies nicht mehr ausschließlich das ist, was unter Familie zu verstehen ist. Also muß man doch, wenn man sich den Aufwand für Ehegattensplitting und Kindergeld ansieht, fragen: Wie kann ich das, ohne mehr Geld ausgeben zu müssen, ordentlich verteilen? Auf Dauer muß es doch so sein, daß wir nicht die Tatsache der Eheschließung steuerlich begünstigen, sondern mit der Begünstigung beim Kindergeld anfangen, und zwar für jeden gleich, 250 DM ab erstem Kind. Das sind unsere Forderungen seit langem. Dazu hätte ich gern ein Wort von Ihnen, Frau Ministerin, gehört.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU)

    — Ja, Sie belassen es bei Ihrer geistigen Welt aus den 50er Jahren. 30 Milliarden DM Aufwand für Ehegattensplitting, unabhängig von der Frage, ob ein Kind vorhanden ist oder nicht, Kindergeld je nachdem, wieviel verdient wird, nach dem Motto, je mehr ich verdiene, desto mehr Kindergeld bekomme ich, das ist sozial ungerecht, das ist nicht emanzipatorisch. Deswegen sage ich zu Recht: Sie leben in der Geisteswelt von gestern und haben die Realitäten von heute nicht begriffen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Wir werden, Frau Ministerin, demnächst Gelegenheit haben, uns sehr ausführlich mit dem Thema älterwerdende Generation zu beschäftigen. Was da von Ihnen kam, war noch ein bißchen dünne.

    (Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Das, was von Ihnen kam, war noch dünner!)

    Deswegen wollen wir auch eine Enquete-Kommission, von der ich hoffe, daß es in ihr kein parteipolitisches Geplänkel gibt. Ich sage es immer so: Meine Tochter wird im Jahre 2030 60 Jahre alt. Ich möchte gern, daß sie in eine Gesellschaft hineinwächst, in der das Altwerden und das Mit-Alten-Leben selbstverständlicher sind als heute. Insofern haben wir, glaube ich, gemeinsam eine große Aufgabe vor uns, nicht nur was Geld anlangt, sondern auch was diese Enquete-Kommission anlangt. Ich freue mich, wenn wir das miteinander machen.
    Zu dem, was Sie hier von Ihrem Bundesaltenplan erzählt haben: Es ist klar, so schöne Broschüren hat man gern. Einen Altenplan, wo man schauen kann, was man vor Ort daraus machen kann, hat man gern.



    Anke Fuchs (Köln)

    Und dann kommen Ihre Seniorenbüros, die Sie sogar in einer Riesenanzeige propagiert haben. Dafür haben sich ganz viele Leute gemeldet und gesagt: Auch wir wollen mitmachen. — Sie haben gerade 16 Büros hinbekommen, dann war das Geld alle. Und die sind auch nur für drei Jahre installiert. Damit, meine Damen und Herren, schaffen Sie kein Vertrauen. Damit machen Sie eine eigentlich gute Sache kaputt. Das zeigt mir, daß Sie zu kurz gesprungen sind, als Sie behaupteten, Sie hätten schon ein Projekt oder ein Modell, das zukunftsträchtig sei.

    (Beifall bei der SPD)

    In der Haushaltsdebatte vor einem Jahr, meine Damen und Herren, habe ich behauptet, diese Regierung interessiere sich nicht mehr für das Land, und dieses Land interessiere sich nicht mehr für seine Regierung. Sie haben mir damals Polemik vorgeworfen. Aber heute stellt sich heraus: Meine Behauptung war eine Untertreibung.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Die Wirklichkeit heute ist: Dieses Land hat keine Regierung mehr, weil diese Regierung kein Land mehr sieht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Sie bezahlen für zehn Jahre Durchwursteln und mogeln sich an den Problemen vorbei. Das ist der tiefere Grund für Ihr Scheitern, spätestens bei den nächsten Bundestagswahlen. Davon bin ich überzeugt.

    (Beifall bei der SPD — Irmgard Karwatzki [CDU/CSU]: Das werden wir sehen!)

    Wir sind nicht betriebsblind. Deswegen konzediere ich Ihnen gern: Sorgenfreies Regieren gibt es in dieser Zeit des Zusammenwachsens Deutschlands nicht. Wir unterstützen Sie deshalb in vielen praktischen Fragen. Aber meine feste Überzeugung ist, daß der Vertrauensverlust in diese Regierung mit den leeren Kassen nur vordergründig zu tun hat. Er hat damit zu tun, daß bei Ihnen geistige Leere herrscht.

    (Norbert Eimer [Fürth] [F.D.P.]: Und bei Ihnen geistige Verwirrung!)

    Und das ist ziemlich verhängnisvoll. Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)