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    Plenarprotokoll 12/104 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 104. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. September 1992 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1993 (Haushaltsgesetz 1993) (Drucksache 12/3000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksache 12/3100) Wolfgang Thierse SPD 8847 B Dr. Günther Krause (Börgerende) CDU/CSU 8849 D Wolfgang Thierse SPD 8850 A Ingrid Matthäus-Maier SPD . 8850C, 8854 C Wolfgang Roth SPD 8852 B Uwe Lühr F D P. 8856B Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste . . . . . . . . . . . . . 8859 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8861 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 8861C Dr. Günther Krause (Börgerende) CDU/ CSU 8862 B Jürgen W. Möllemann, Bundesminister BMWi 8864A, 8888B Wolfgang Roth SPD , . . 8868 B Jürgen W. Möllemann F.D.P. 8870B Michael Glos CDU/CSU 8872A Dr. Klaus Zeh, Minister des Landes Thüringen 8875 A Norbert Otto (Erfurt) CDU/CSU . 8876 A Ursula Schmidt (Aachen) SPD 8877 A Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup CDU/ CSU 8877 D Johannes Nitsch CDU/CSU . . . . . . 8879 B Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8879 D Kurt J. Rossmanith CDU/CSU 8881 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 8883B, 8887 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 8887 A Anke Fuchs (Köln) SPD (Erklärung nach § 30 GO) 8888 A Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 8888B Marion Caspers-Merk SPD 8892 A Dr. Sigrid Hoth F.D.P. . . . . . . . . 8893D Klaus Lennartz SPD 8895C, 8898 B Dr. Klaus W. Lippolt (Offenbach) CDU/ CSU 8897 D Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . 8898C, 8935 A Dr. Klaus Töpfer CDU/CSU 8899 D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 8901 A Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 8903A, 8932 C Ulrich Junghanns CDU/CSU , . . . . . 8903 D Horst Sielaff SPD . . . . . . . . . . 8905D Georg Gallus F D P 8907 A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1992 Jan Oostergetelo SPD . . 8907B, 8909 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU 8907 D Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 8908 D Horst Sielaff SPD . . . . . . . . . 8909C Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminister BMFT . . . . . . . . . . . . . . . 8910 A Siegmar Mosdorf SPD 8911B Josef Vosen SPD 8912 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 8914A Josef Vosen SPD 8916A, 8928 A,B Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F.D.P. 8916C Achim Großmann SPD 8917D, 8925 B Dieter Pützhofen CDU/CSU 8920 D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . 8922 D Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 8924 A Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 8925 C Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin BMBau 8925 D Albrecht Müller (Pleisweiler) SPD . . . 8928 D Wilfried Bohlsen CDU/CSU 8930 C Ernst Waltemathe SPD . . . . 8931C, 8932 D Werner Zywietz F.D.P. 8934 A Manfred Kolbe CDU/CSU 8935 C Albrecht Müller (Pleisweiler) SPD . . 8935 D Elke Ferner SPD 8937 C Manfred Kolbe CDU/CSU 8939 B Dr. Christian Schwarz-Schilling, Bundesminister BMPT . . . . . . . . . . . . . 8940 D Peter Paterna SPD 8942 C Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 8943 B Anke Fuchs (Köln) SPD . . . . . . . . 8946A Ursula Männle CDU/CSU 8949 B Dr. Edith Niehuis SPD . . . . . . . . 8951 B Maria Michalk CDU/CSU 8953 B Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . 8954 C Petra Bläss PDS/Linke Liste 8955 D Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8957 C Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ . . . . . . . . . . . . . . . . 8959B Marianne Birthler, Ministerin des Landes Brandenburg 8962 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 8964 C Ottmar Schreiner SPD 8967 C Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 8969 C Dr. Gisela Babel F.D.P. 8972 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . . 8974 D Anke Fuchs (Köln) SPD 8975 A Renate Jäger SPD 8976 C Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . . 8977 D Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 8979 B Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister BMBW 8980 B Doris Odendahl SPD 8981 B Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. . 8983 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. (Erklärung nach § 32 GO) . . . . . . . . . 8984 A Nächste Sitzung 8984 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 8985* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. September 1992 8847 104. Sitzung Bonn, den 10. September 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 10. 09. 92**** Antretter, Robert SPD 10. 09. 92* Berger, Johann Anton SPD 10. 09. 92 Dr. Blank, CDU/CSU 10. 09. 92*** Joseph-Theodor Böhm (Melsungen), CDU/CSU 10. 09. 92* Wilfried Brandt, Willy SPD 10. 09. 92 Clemens, Joachim CDU/CSU 10. 09. 92 Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 10. 09. 92 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 10. 09. 92**** Friedrich, Horst F.D.P. 10. 09. 92 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 10. 09. 92**** Gattermann, Hans H. F.D.P. 10. 09. 92 Göttsching, Martin CDU/CSU 10. 09. 92 Haschke CDU/CSU 10. 09. 92 (Großhennersdorf), Gottfried Hinsken, Ernst CDU/CSU 10. 09. 92 Hollerith, Josef CDU/CSU 10. 09. 92 Dr. Holtz, Uwe SPD 10. 09. 92**** Jaunich, Horst SPD 10. 09. 92 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 10. 09. 92 Dr. Leonhard-Schmid, SPD 10. 09. 92 Elke Lummer, Heinrich CDU/CSU 10. 09. 92* Dr. Müller, Günther CDU/CSU 10. 09. 92**** Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Oesinghaus, Günther SPD 10. 09. 92 Opel, Manfred SPD 10. 09. 92*** Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 10. 09. 92 Dr. Pinger, Winfried CDU/CSU 10. 09. 92 Pofalla, Ronald CDU/CSU 10. 09. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 10. 09. 92** Reddemann, Gerhard CDU/CSU 10. 09. 92* Regenspurger, Otto CDU/CSU 10. 09. 92 Rempe, Walter SPD 10. 09. 92 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 10. 09. 92*** Helmut Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 10. 09. 92 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 10. 09. 92**** Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 10. 09. 92 Schulte (Hameln), SPD 10. 09. 92*** Brigitte Schuster, Hans F.D.P. 10. 09. 92 Sehn, Marita F.D.P. 10. 09. 92 Dr. Stercken, Hans CDU/CSU 10. 09. 92**** Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 10. 09. 92 Weyel, Gudrun SPD 10. 09. 92**** Dr. Wieczorek, Norbert SPD 10. 09. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung **** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ulrich Briefs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS/LL)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS/LL)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Beitrag geht zu den Bereichen Wirtschaftspolitik, Umwelt-, Forschungs- und Technologiepolitik. Ich habe ihn an diese Stelle gerückt,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hier schadet es am wenigsten!)

    weil ich denke, dem Umweltschutz muß Priorität gehören.

    (Franz Müntefering [SPD]: Zur Sache!)

    Als erstes möchte ich etwas zur Charakterisierung der Bundesregierung sagen. Ich denke, diese Bundesregierung ist geradezu so etwas wie ein Syndikat von Serientätern gegen die Umwelt; unter einem Kanzler, der eine einzige umweltpolitische Lücke ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was sind Sie denn?)

    Zur Umweltpolitik dieser Bundesregierung, vor allem aber auch zugleich — das muß man im Zusammenhang sehen — zur Wirtschafts- und zur Forschungs- und Technologiepolitik, ist zu sagen: Es fehlen dieser Bundesregierung die Konzepte, um zügig und wirksam gegen die ökonomische und soziale Auseinanderentwicklung, gegen die Umweltzerstörung und gegen die technologische Inzucht des hochmodernen Metropolenlandes Deutschland mit seiner kapitalistischen Marktwirtschaft anzugehen.

    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das hat er abends im Dunkeln aufgeschrieben!)

    Dazu wären ebenso wie zur Behebung der Misere im Osten

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Er läuft schon rot an!)

    industriepolitische Konzepte notwendig. Dazu wären regional- und branchenstrukturpolitische Konzepte notwendig. Dazu wären politische Vorgaben, Absprachen, positive und negative Sanktionen und vieles andere mehr als Ergänzung zu den marktwirtschaftlichen Prozessen notwendig.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie das übersetzen?)

    Marktwirtschaft bedeutet eben nicht nur bestmögliche Abtastung von Bedarf und Bedürfnissen — sehr oft allerdings auch von künstlich geschaffenen Bedürfnissen. Fast 2 % des Bruttosozialprodukts werden z. B. allein für eine zum Teil schwachsinnige Werbung ausgegeben. 2 % des Bruttosozialprodukts bedeuten aber auch 2 % der Umweltbelastungen. Auch das ist Marktwirtschaft. Das wird hier auf der rechten Seite immer vergessen.
    Über 5 Milliarden DM werden in Deutschland im Jahr für Tierfutter ausgegeben. Zugleich, so „Der Spiegel", gibt es in wachsender Zahl Arme in diesem reichen Land, die mit Hundenahrung ihren Proteinbedarf decken müssen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Halten Sie auch ein Tier?)

    Auch das ist Marktwirtschaft.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ein Herz für Läuse!)

    Dennoch, trotz dieser und anderer wichtigerer, viel wichtigerer Entartungen der Marktwirtschaft: Es gibt keinen so wirksamen Koordinationsmechanismus für Nachfrage und Angebot wie sie. Die Marktwirtschaft ist aber auch zugleich der Rahmen für die weitere schrankenlose Ausdehnung der Produktion und damit für die weiter eskalierende Umweltzerstörung. Die Marktwirtschaft droht immer das Prinzip umzudrehen. Nicht der Bedarf schafft die Produktion, sondern die Produktion schafft sich zunehmend den Bedarf. Die Zersiedelung des Landes, der drohende Verkehrsinfarkt, die automobile Gesellschaft, der die letzten Naturreservate bedrohende auswuchernde Tourismus, die fade, geschmacklose industriell produzierte und vor allem verpackte Nahrung mit dem vielen Müllanfall und vieles andere mehr sind Ergebnisse einer unökologisch und unsozial vor sich hinwuchernden Marktwirtschaft. Dem müssen — nochmals: als Ergänzung, nicht als Ersatz für die Marktwirtschaft — industriepolitische Konzepte mit ökologischer und sozialer Prägung entgegengesetzt werden.
    Sie müssen nach einer entsprechenden Umweltverträglichkeitsprüfung und Technologiefolgenabschätzung andere als auf schrankenloses Wachstum gerichtete Prozesse in den Betrieben erlauben. Diese Konzepte müssen pragmatisch, in demokratischer Abstimmung, z. B. nach dem Muster der Runden Tische in der verblichenen DDR, erarbeitet werden. Mit ökologischen, sozialen, regionalpolitischen und anderen Auflagen, mit positiven Sanktionen wie Subventionen und Prämien, mit negativen Sanktionen bis hin z. B. zur Untersagung giftiger Produktionen, mit Mitteln der Moral Suasion, des Appells an die Verantwortung der Verantwortlichen und mit anderen Mitteln muß nach dem Verursacherprinzip das unternehmerische Investitionsverhalten — das ist die entscheidende Variable — verändert werden. Die Erweiterung der bisherigen sozialen Mitbestimmung zur vollen sozialen, zur ökologischen, zur technologischen und zur wirtschaftlichen Mitbestimmung gehört untrennbar dazu.
    Sage niemand, die Marktwirtschaft vertrüge das nicht! Die Marktwirtschaft ist in der Lage, wenn bestimmte Grundlagen fest gegeben sind, innerhalb von sehr unterschiedlichen Konstellationen von Rahmenbedingungen zu funktionieren. Es mag sein, daß bei bestimmten etwas restriktiveren Auflagen aus Umwelt- oder sozialen Gründen die Dynamik des weiteren Wachstums etwas eingeschränkt wird, die Prozesse etwas langsamer ablaufen. Angesichts der katastrophalen Umweltentwicklung, aber auch angesichts der ungeheuer hochgepushten Produktivität mit ihrer Hetze und ihrem Druck in den Betrieben ist das aber auch durchaus vertretbar.



    Dr. Ulrich Briefs
    Und um gleich einer Panikmache vorzubeugen: Weniger Wachstum, bessere Umwelt, gesündere Nahrung, weniger soziale Ausgrenzung bedeuten auf diesem Wege nicht Verarmung oder Verelendung, sondern, wenn man nur die ökonomischen Effekte betrachtet, ein langsameres Noch-reicher-Werden. Auch der Weltmarkt bestraft die durchaus nicht, die etwas später kommen oder sozialer oder ökologischer verfahren als die Konkurrenz. Die Arbeitszeitverkürzungen der letzten Jahre z. B. haben in keiner Weise
    — in keiner Weise — die Weltmarktposition der Bundesrepublik auch nur etwas beeinträchtigt.
    Im übrigen sind Deutschland und Japan — das darf nicht vergessen werden — die großen Parasiten des internationalen Handels. Sie exportieren in jedem Jahr in erheblichem Umfang — Deutschland allein ca. 4 % — Arbeitslosigkeit.
    Ein besonderes Problem stellt in diesem Zusammenhang die Herausbildung eines High-Tech-Produktionskomplexes mit immer höherem Tempo und Leistungsdruck und entsprechenden Belastungen dar. Er ist das Ergebnis systematischer energiepolitischer Inzucht, bei der mit riesigen Beträgen Technologien und Industrien gefördert werden, die vor allem für andere ähnlich geartete Technologien und Industriezweige produzieren bzw. von diesen beliefert werden — das läuft irgendwie so in sich ab. Die Raumfahrt, die Förderung der Hochpräzisionsmaschinerie, große Teile der Informations- und Kommunikationstechnologien, neue Werkstoffe verdanken ihr Entstehen vor allem diesem Zusammenhang. Sinnvolle Produkte für die Verbraucher/Verbraucherinnen sind meist nur ein Abfallprodukt. Dieser HighTech-Sektor entfernt sich zunehmend vom wirklichen Bedarf der Menschen in der Gesellschaft, insbesondere auch vom ökologischen Bedarf.
    In diesem Sektor zu arbeiten, in den entsprechenden Ballungsgebieten zu wohnen, an den entsprechenden Kommunikations- und Verkehrsformen
    — natürlich auch den Einkommen — teilzuhaben ist immer mehr kleinen Eliten vorbehalten, die die Gesellschaft spalten und die mit ihrer kalten, elitären, technologischen Sichtweise auch eine politische Gefahr sein können. Das NS-System hat sich vor allem auch auf die damalige technische Führungsschicht stützen können. Nicht jede Modernisierung bedeutet eben Fortschritt. Die NS-Zeit war eine Zeit ausgesprochener betrieblicher und technischer Modernisierung
    — mit, wie wir wissen, furchtbaren Folgen für ZigMillionen von Menschen. Auch das spricht für eine politische, soziale und ökologische Kontrolle des wirtschaftlichen und technischen Wandels. Die Konzentration auf High-Tech-Produktion bedeutet nicht nur, daß die Belastungen durch Stäube, Gase, Dämpfe, Flüssigkeiten an den Arbeitsplätzen steigen; sie bedeutet z. B. auch die weitere Entfaltung der Giftmüllproduktion.
    Eine besondere Gefahr stellen die Bio- und Gentechniken dar. Sie führen gefährliche Elemente der Manipulation von Strukturen der lebendigen Materie in die wirtschaftliche und industrielle Praxis ein. Wenn das allein dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen bleibt, werden womöglich tatsächlich Geister gerufen, die nicht mehr zurückzuholen sind.
    In ähnlicher Weise — damit haben wir unsere negativen Erfahrungen bereits gemacht — beruht die Atomtechnik auf der Möglichkeit, die feinsten Strukturen der toten Materie zu manipulieren — mit unabsehbaren Risiken für das Leben auf diesem Planeten überhaupt.
    In ähnlicher Weise ergeben die Informations- und Kommunikationstechniken Möglichkeiten der Manipulation der Kommunikationsbeziehungen in der Gesellschaft. Diese Möglichkeit ist übrigens eine zwangsläufige Folge des technischen Prinzips der Computertechnik.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie sollten abschalten, was Sie gerade beschimpfen!)

    Deshalb ist nicht weniger, sondern mehr Datenschutz, d. h. mehr Persönlichkeitsschutz, z. B. im ISDN-System der Zukunft notwendig.
    Die Informatisierung der Gesellschaft und die neuen Techniken machen auch nicht weniger, sondern mehr Demokratie notwendig. Sie bringen sie allerdings nicht von sich aus, wie die gescheiterte produktivistische Variante des Sozialismus u. a. in der früheren DDR glauben machen wollte. Demokratie muß auch in Auseinandersetzung mit den neuen Techniken und mit den auf ihrer Grundlage entstehenden Technostrukturen in den Betrieben und in der Gesellschaft erkämpft werden.
    Vor diesem Hintergrund ist insbesondere auch die Entwicklung im Bereich der Deutschen Bundespost kritisch zu sehen. Eine Privatisierung, wie sie jetzt anvisiert wird, wird dazu führen, daß dringend notwendige Kontrollmöglichkeiten der weiteren Informatisierung aufgegeben werden. Ich glaube, daß die Alternative, die jetzt insbesondere von der Arbeitsgruppe Post der SPD in die Diskussion gebracht worden ist, eine wesentlich bessere Lösung darstellt.
    Ich komme zum Schluß. Es gibt trotz aller gegenteiligen Lippenbekenntnisse bei Ihnen hier, bei Marktwirtschaftlern wie Ihnen, zahlreiche ideologische Barrieren. Formelherunterbeterei und marktwirtschaftliche Folklore helfen nicht weiter. Naive Behauptungen wie die von Herrn Glos heute morgen, daß die Löhne und Gehälter inzwischen der Hauptkostenblock sind, sind für die moderne Industrie längst widerlegt.

    (Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein [CDU/CSU]: Das ist aber so!)

    — Dann kennen Sie die Zahlen nicht. Die Fixkosten, darunter vor allem die kapital- und technologieeinsatzbedingten Fixkosten, sind heute das Hauptproblem der Betriebe. Sie sollten sich mal ein bißchen industrielle Kostenrechnung aneignen.
    Schließen wir nicht die Augen vor der zwangsläufig mit einer weiterhin ungezügelten Marktwirtschaft verbundenen Umweltzerstörung! Schließen wir nicht die Augen vor der sozialen Ausgrenzung und Deklassierung, der Verarmung und Verelendung, die mit der Marktwirtschaft auch verbunden ist!


Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Dr. Dagmar Enkelmann hat zunächst das Wort.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Dagmar Enkelmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich hätte mir sehr gewünscht, daß die Beratung der Haushalte Verkehr und Umwelt zusammengepackt worden wäre, weil ich glaube, daß dann die Chance bestanden hätte, die unmittelbare Verflechtung beider Haushalte und ihre Abhängigkeiten deutlicher zu machen. Ich glaube ohnehin, daß das Problem dieser Haushaltsberatung vor allem darin besteht, daß es hier ein stures Töpfchendenken gibt. Das heißt, es wird nur von einem Topf in den anderen gedacht, aber nicht darüber nachgedacht, wie man möglicherweise sinnvoll bestimmte Mittel umverteilen kann, z. B. aus dem Verkehrshaushalt in den Umwelthaushalt.
    Meine Damen und Herren, angesichts der immer offenkundiger werdenden Leitlinie der Bundesregierung „Umweltpolitik wird nur dann realisiert, wenn es der Industrie nützt!" wundert es uns nicht, daß der Haushaltsansatz 1993 des Ministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit — wobei das Schwergewicht, wie es scheint, auf dem letztgenannten Ressort liegt — um 3,5 % niedriger ist als 1992. 47,4 Millionen DM sollen in diesem vor allem für die Zukunft der Erde, unserer Kinder und Enkelkinder so wichtigen Bereich gesellschaftlicher Entwicklung im kommenden Jahr eingespart werden.
    Die vollmundigen Ankündigungen einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes bis zum Jahre 2005 werden von Umweltexperten und -expertinnen immer mehr in Zweifel gezogen, auf der ersten Verkehrsanhörung der Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre ebenso wie in einer im Auftrag des Bundesumweltamtes in Heidelberg erstellten Studie. Die Ergebnisse der letzteren haben Sie, Herr Kollege Töpfer, sicher nicht ohne Grund zuerst den CDU-Fachausschüssen vorgestellt, belegt sie doch ohne Wenn und Aber, daß bei Fortsetzung der bisherigen Politik — und daran läßt der Haushalt 1993 keinen Zweifel — der CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich bis zum Jahre 2005 nicht um 25 % gesenkt, sondern um bis zu 50 % ansteigen wird. Auch der Dachverband Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke ließ in der vorigen Woche ausrichten, mehr als 12 % CO2-Reduzierung sei bis zum Jahre 2005 nicht möglich. Prompt kam ein Bleichlautendes Echo aus dem Umweltministerium.
    Angesichts dieser Groteske frage ich mich, wer denn nun eigentlich die Regierung in diesem Staat ist und wessen Interesse sie vertritt. Sollte etwa der Satz von Tucholsky doch stimmen, der da heißt: „Sie glaubten, sie wären an der Macht; dabei waren sie nur an der Regierung. "?
    Was wir brauchen, sind keine Sonderabschreibungen oder Investitionszulagen für die großen Energiekonzerne dieses Landes, die ihr verschwenderisches, CO2-speiendes und atommüllproduzierendes Energiesystem auf den Osten Deutschlands und darüber hinaus übertragen wollen, sondern gezielte finanzielle Hilfen für den flächendeckenden Aufbau einer umweltfreundlichen, sozialverträglichen und ressourcenschonenden Energieversorgung in kommunaler Hand. Wir brauchen konkrete Förderung von Energieeffizenzsteigerung, Energieeinsparung und Nutzung von regenerativen Energiequellen mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt. Die Ausgaben für erneuerbare Energien und rationelle Energieversorgung betragen gerade einmal 268,5 Millionen DM, ein Fünftel weniger als im Haushalt 1992. Mehr als die zehnfache Summe, über 2,5 Milliarden DM, sind dagegen allein im Riesenhuber-Etat für Atomenergieforschung und -förderung veranschlagt,

    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Lesen müßte man können!)

    über 272 Millionen DM dann noch in Herrn Töpfers Haushalt für 1993. — Ich zähle einfach einmal zusammen.

    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Aber falsch!)

    Hinzu kommen die Projektkosten für die geplanten Endlager Gorleben und Schacht Konrad sowie die Betriebskosten für Morsleben. Die 46,1 Millionen DM für Naturschutz, die zudem um 16,8 Millionen DM gegenüber 1992 gekürzt werden, fallen da kaum noch auf. Diese Kürzung trifft vor allem die Naturschutzgroßprojekte empfindlich, bei denen 20 % der Mittel gestrichen werden.
    Ich wollte eigentlich noch einiges zu FCKW sagen. Ich nehme aber an, daß wir im Umweltausschuß noch dazu kommen werden. Ich hätte mir, Herr Minister Töpfer, vor allen Dingen einige klare Worte zum umweltfreundlichen Kühlschrank, also zum FCKW- und FKW-freien Kühlschrank aus dem dkk Scharfenstein, gewünscht, ebenso wie ich Ihnen Durchsetzungsvermögen im Interesse Ihres Etats und im Sinne einer realen ökologischen Umgestaltung der bundesdeutschen Gesellschaft wünsche. Ich befürchte allerdings, Sie werden sich gegen den Verkehrsrowdy Herrn Krause nicht durchsetzen können.

    (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Na, na, na!)

    Ehrlicher wäre es dann für Sie, sich von dieser Regierung zu verabschieden.
    Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD)