Rede von
Wolfgang
Lüder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Heuer, zum Dialog können wir nur kommen, wenn wir nicht abstreiten, was in und an der DDR kriminell war.
Dies müssen wir vorausschicken.
Ich gehöre nicht zu denen, die zwischen den Kleinen und den Großen werten. Das, was strafrechtsverdächtig ist, muß untersucht werden. Das ist ein umfassender Bereich. Es ist deswegen schwierig, weil es viele waren, weil es Verantwortliche waren, weil es Große und Kleine gab und weil es nach der Wende Regierungen gab, die das eine oder andere Aktenstück dem Licht der Welt entzogen haben, was die Kriminalitätsbekämpfung sicherlich nicht erleichtert.
Wenn wir von Regierungskriminalität der DDR sprechen, so meinen wir das ernst. Ob wir immer von Vereinigungskriminalität sprechen sollten oder ob es da nicht mehr um die Wirtschaftskriminalität der alten und der neuen Seilschaften, losgelöst von der Vereinigung, geht, bitte ich einmal zu überlegen. Das sind hier kriminelle Wirtschaftshandlungen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen uns klarmachen und der Bevölkerung deutlich sagen, daß wir hier nicht nur die kleinen Mauerschützen meinen, sondern daß wir auch die Großen ansprechen.
Ich möchte nicht in Vergessenheit geraten lassen, daß in der Untersuchungshaftanstalt Moabit nicht nur Kleine sitzen, sondern auch der frühere Ministerpräsident Stoph und auch der Stasi-Minister Mielke sitzen, der auch heute abend mein Mitleid nicht verdient, nachdem er die Medikamentenbehandlung eingestellt hat; ich weiß nicht, zu welchem Behuf er das tut.
5788 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Wolfgang Lüder
Wenn wir vielleicht noch am Wochende damit rechnen müssen, daß die chilenische Botschafter-Gastfreundschaft in Moskau ihr Ende findet und Herr Honecker nach Moabit kommt, so hat auch er Anspruch auf ein faires Verfahren. Aber wir haben Anspruch darauf, daß seine Delikte, die die Staatsanwaltschaft ihm vorwirft und die das Gericht ihm nachzuweisen hat, geahndet werden, in welchem Alter er immer ist.
Ich sage im Hinblick auf die morgige „Bild" -Zeitung, die berichtet, Gorbatschow und Jelzin hätten so viele Briefe bekommen, dem armen Honecker sollte doch Asyl gewährt werden: Ich finde es wirklich blamabel für die „Bild"-Zeitung, daß sie jetzt auch noch ein menschliches Mitgefühl hier entwickelt, wo es darum geht, der Kriminalitätsbekämpfung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Meine Damen und Herren, wir haben heute zwei Anträge zur Beratung. Wir haben den Antrag der SPD, wo es um § 5 des Bundeskriminalamtsgesetzes geht, und wir haben den umfassenden Antrag der Koalitionsfraktionen, der in vier Punkten eine politische Aussage macht.
Wir werden beide Anträge in der Ausschußberatung sicherlich weiter vertiefen müssen.
Wir sind uns einig, daß die Bekämpfung dieser Kriminalität eine nationale Aufgabe ist. Daher lag es zu Anfang sicherlich nahe, daß die SPD den Antrag in der Fassung eingereicht hat, in der er heute hier zur Debatte steht. Aber hilft dies wirklich? Ist § 5 Abs. 3 des Bundeskriminalamtsgesetzes wirklich auf diesen Fall zugeschnitten?
Es geht doch nicht um bundesweite Fahndung. Es geht doch nicht um bundesweite Kriminalitätsbekämpfung. Es geht um nationale Verantwortung für Kriminalitätsbekämpfung eines Unrechtsregimes in einem Teil Deutschlands, und es geht nicht um eine bundesweite Aktion, die bundesweit bekämpft werden soll.
An diesen Bereich hatten auch die Verfasser des BKA-Gesetzes nie gedacht.
Meine Damen und Herren, ich will nicht ausschließen, daß wir am Ende des Weges vielleicht in die Nähe des SPD-Antrags kommen.
Es ist vom Kollegen Gerster schon angesprochen worden: Wir brauchen die Hilfe der Länder; denn die Kriminalpolizeien der Länder haben die ausgebildeten Leute. Was hilft es uns, wenn wir jetzt eine Entscheidung für neue Stellen beim BKA treffen, wenn wir über den Nachtragshaushalt Stellen bewilligen, die wir dann zur Ausschreibung bringen, aber keine
Fachleute dafür bekommen, um die Kriminalität zu bekämpfen? In den Ländern haben wir sie, und diese müssen eingesetzt werden. Wir wollen nicht nur die Versprechungen der Länder haben, sondern wir wollen Taten sehen.
Die Länder sind hier wirklich gefordert; denn wenn sie — aus guten Gründen — Wert darauf legen, daß Kriminalitätsbekämpfung sowohl im polizeilichen Bereich als auch im Justizbereich Ländersache ist, dann müssen sie hier zeigen, daß sie einem Land solidarisch zu Hilfe kommen, das objektiv sicherlich überfordert ist. Erstens mußte der vorhandene West-Berliner Apparat auf den gesamten Berliner Bereich ausgedehnt werden. Zweitens kommen diese Aufgaben umfassend hinzu.
Aber ich sage auch dies: Wir werden nicht dauerhaft zusehen können, ob die Länder etwas tun. Da müssen wir dem Gedanken, der hier mit dem Stichwort Ludwigsburg um rissen ist, nahetreten. Wir müssen als Bund handeln, wenn wir sehen, daß wir hier nicht zum Erfolg kommen. Nur, das Bejammern der Untätigkeit der Länder hilft nichts. Wir müssen dann einen Weg gehen, wie er für Ludwigsburg geschaffen wurde; hier kann er analog angesetzt werden.
Nur wenn das nicht gehen sollte, müßten wir noch einmal über den § 5 nachdenken. Aber die Schritte davor, nämlich an die Länder zu appellieren und den Ländern das abzufordern, was ihre Pflicht ist, und gegebenenfalls ein Ludwigsburg zu schaffen, um diesen Bereich aufzuarbeiten, halte ich für dringend notwendig und auch um der Effizienz willen für geboten.