Rede von
Gerd
Wartenberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das, was die gute Frau Schwaetzer den Berlinern erzählen wollte, war trotz alledem unqualifiziert und dumm. Denn wenn es richtig wäre, ist nicht zu verstehen, daß in den anderen Ballungsgebieten, in denen die Berliner Mietregelung nicht gilt, der Wohnungsmarkt ebensowenig ausgeglichen ist.
Wie sieht es denn in Hamburg, in München, in Frankfurt aus, wo es die Begrenzung nicht gibt? Die Ursachen für die Enge auf dem Wohnungsmarkt und die steigenden Mieten können doch wohl nicht in dieser isolierten mietpreisdämpfenden Regelung, in Berlin liegen. Das ist doch das Absurdeste, das man sich vorstellen kann.
Meine Damen und Herren, es lassen sich zwei Ursachen feststellen: Seit 1983 ist in keinem Staat der EG der Wohnungsbau auf einem so geringen Niveau gelaufen wie in der Bundesrepublik Deutschland. Selbst Frau Thatcher hat bei geringerer Einwohnerzahl in Großbritannien mehr Wohnungen gebaut als die christlich-liberale Koalition. Frau Thatcher gilt ja selbst hier nicht als besonders sozial. Politisch ist hier offensichtlich etwas völlig falsch gelaufen.
Interessant ist, daß in keinem anderen Bundesland so viele Wohnungen — bezogen auf die Einwohnerzahl — gebaut worden sind wie in West-Berlin und jetzt in Gesamt-Berlin. Denn die Koalition dieses Senats hat vor, in diesen vier Jahren 100 000 Wohnungen zu bauen.
Das fällt dem Senat außerordentlich schwer; damit sind auch Ihre Zielvorstellungen, Angebot über verstärkten Neubau zu schaffen, was ich prinzipiell für richtig halte, die aber durch die Eigentumsordnung — darauf hat schon die Kollegin Lucyga hingewiesen — im Umland begrenzt sind, in Frage gestellt. Wenn 80 % der Grundstücke mit Restitutionsansprüchen belastet sind, können weder Einfamilienhäuser noch die von Ihnen geforderten Neubausiedlungen außerhalb oder am Stadtrand gebaut werden. Da besteht doch wohl ein innerer Zusammenhang.
In dieser Situation — eigentlich gibt es keinen Ausweg — hat die augenblickliche Verlängerung der Mietpreisbindung ihren Sinn, und zwar nicht auf Dauer, sondern weil wir eine einmalige Situation haben, wie wir sie uns Gott sei Dank nicht träumen konnten, als wir das Gesetz das letzte Mal geändert haben.
Die Menschen strömen in die Stadt; das ist positiv. Es soll gebaut werden; im Augenblick stehen aber keine Grundstücke zur Verfügung, obwohl der Senat eine außerordentlich hohe Förderung für den Woh-
5 780 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Gerd Wartenberg
nungsbau angesetzt hat, mit keinem anderen Bundesland vergleichbar.
Meine Damen und Herren, unter diesem Spezialaspekt, im Januar nächsten Jahres in Berlin die Mieten bei Neuvermietung freizugeben, ist es das falsche Signal, selbst wenn man die wohnungswirtschaftliche Bedeutung unterschiedlich einschätzen kann. In der Situation, in der wir uns im Augenblick befinden, müßte eine Dämpfung der Mieten eigentlich das normale Signal sein. Da ist dieses — ich sage es einmal so — kleine Instrument. Es geht hier ja nicht um etwas Besonders, um etwas, das die Mieten in Berlin in einem großen Maße reguliert. Es ist in Wirklichkeit eigentlich nur ein Palliativ; selbst dieses Palliativ, das eine mehr psychologische Bedeutung hat, wollen Sie abschaffen.
Das ist deswegen gefährlich, weil die Folge davon ist, daß ein Jahr später die Mietpreisbindung auslaufen soll; das ist der eigentliche Kernpunkt der Übergangsregelung. Dies ist ja nur der erste Schritt. In dieser Situation ist das sozial nicht vertretbar.
Aber bei der Bundesbauministerin und — ich muß auch sagen — bei der Philosophie, die einige Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU hier vorgetragen haben, ist das nicht verwunderlich.
Meine Damen und Herren, es war gar nicht mehr komisch, daß Sie meinten, das sei alles nur ein grandioser Irrtum der SPD oder der Opposition hier. Alle Bundesländer haben diesem Gesetz zugestimmt. Sind die denn nun alle bekloppt, haben nur Sie Hanseln hier die Weisheit gepachtet?
Was ist denn das für eine Arroganz!
Ist es denn nicht so, daß das Abgeordnetenhaus von Berlin insgesamt diesem Gesetzentwurf zugestimmt hat? War es nicht einmal große Tradition dieses Hauses, daß wir, wenn das Berliner Abgeordnetenhaus mit einem gemeinsamen Beschluß in Mietfragen den Bundestag befaßt hat, in Verhandlungen eingetreten sind, um auf der Grundlage dieses gemeinsamen Vorschlages eine Regelung für Berlin zu finden?
Das hat Tradition. Herr Dr. Möller, wir selbst haben in den vergangenen Jahren darüber verhandelt. Wie Sie wissen, sind wir immer wieder zu erträglichen Ergebnissen, zu Kompromissen gekommen.
Ich finde es sehr bedauerlich, daß Sie sich in der jetzigen Zeit so verhalten, in einer Zeit, die so schwierig ist für eine Stadt, die mit ganz neuen Problemen fertigwerden muß und auch fertigwerden wird, weil die Chancen größer sind als die Nachteile — ich glaube, das muß man optimistisch sagen — , die durch die Entwicklung entstehen. Denn es würde den Menschen helfen, wenn wenigstens dieser kleine Schritt gemacht würde, nämlich bei Neuvermietung die Kappungsgrenze bestehen zu lassen. Und Sie wissen: Selbst die geringe Fluktuation von 3 000 bis 5 000 Wohnungen — die im Augenblick natürlich deswegen gering ist, weil angesichts dieses engen Wohnungsmarkts niemand ausziehen will — führt natürlich dazu, daß das Niveau des Mietenspiegels durch die Regelung der Vergleichsmiete in zwei Jahren erheblich angehoben wird. Und das ist der gesamte Sinn der Aufhebung dieser dämpfenden Maßnahme.
Meine Damen und Herren, ich bin ein bißchen traurig darüber, daß eine vernünftige Regelung, die nicht irgendwem, sondern unglaublich vielen Menschen dient, hier so schnodderig und auch mit formal so unsinnigen wohnungswirtschaftlichen Argumenten abgetan wird. Wir wissen, daß die Wohnungswirtschaft ein wirklich komplizierter gesellschaftlicher Bereich ist. Wir wissen weiter, daß diese Regierung es im Augenblick — einerseits wegen des geringen Wohnungsbaus in den letzten Jahren, andererseits aber auch wegen anderer Ursachen: hohe Zinsen etc. — offensichtlich nicht schafft, ein angemessenes Angebot an Wohnraum in den Ballungsgebieten zu schaffen, daß die Mieten überall aus dem Ruder laufen, daß überall keine Wohnungen zu finden sind.
Deswegen — um nicht nur für Berlin zu sprechen — : Es wäre schön gewesen, wenn wir uns an Hand der Berliner Problematik darauf hätten verständigen können, wie wir für die Ballungsgebiete der Bundesrepublik Deutschland endlich eine Mietenpolitik einleiten können, die der Notlage angemessen ist.
Recht herzlichen Dank.