Rede von
Dr.
Freiherr
Wolfgang
von
Stetten
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Über der Debatte könnte stehen: „Sturm im Wasserglas" oder „Märchen von der Mücke und dem Elefanten", wenn man die Ausführungen der Opposition hört.
Sie haben dem Kollegen Raidel nicht zugehört. Es handelt sich schlichtweg darum, daß die Befristung des § 3 des Gesetzes im Land Berlin planmäßig — ich betone: planmäßig! — am 31. Dezember 1991 ausläuft und damit ein kleiner Schritt zur Normalisierung des Wohnungsmarkts in Berlin getan wird.
Es gilt weiterhin bis Ende 1994, daß die Mieten in einem Zeitraum von drei Jahren nur um 15 % steigen können, im Gegensatz zu 30 % in der alten Bundesrepublik. Nur bei Neuvermietung von frei werdenden Altbauwohnungen kann von neuen Mietern höhere Miete genommen werden, die bis maximal 20 % über der Vergleichsmiete liegt. Betroffen ist daher nur ein kleiner Prozentsatz; wir hörten es schon: 2 % von etwa 1 Million Wohnungen. Die Mieten können im Durchschnitt höchstens bis auf 8 oder 9 DM pro Quadratmeter steigen. Das ist keineswegs zu hoch. Wem sie sozial nicht zuzumuten sind, meine Damen und Herren, für den werden sie durch Mietbeihilfe auf das sozial erträgliche Maß reduziert. Über 1 Million Mietbeihilfen, das nennen wir Soziale Marktwirtschaft.
Von den Sozialdemokraten wird von gigantischer Wohnraumnot gesprochen, von einer verfehlten Baupolitik usw. Meine Damen und Herren, in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland mit gezählten 400 000 leeren Wohnungen, den hinzukommenden leeren Wohnungen in den neuen Bundesländern und den nicht gezählten, zu Hobbyräumen umgewidmeten früheren Wohnungen — zusammen ungefähr 700 000 Wohnungen — kann man nicht von Wohnraumnot sprechen, sondern nur von fehlgenutzten Wohnungen und Wohnraum. Jedem Bürger in der Bundesrepublik Deutschland stehen immerhin 36 qm Wohnraum zur Verfügung. Das ist mit die höchste Wohnfläche in der Welt.
Es ist also kein Mangelproblem, zumindest nicht so, wie Sie sagen, sondern ein Verteilungsproblem, und wir sollten nach den Ursachen fragen.
Insbesondere in Ballungsgebieten und Universitätsstädten gibt es in der Tat Hunderttausende von Wohnungssuchenden. Aber wo sind sie denn, die früheren Wirtinnen, die eine Studentenbude untervermieteten? Das will man sich nicht mehr zumuten. Und schon drängen die Studenten auf den Wohnungsmarkt, zusammen mit den unverheirateten 20- bis 25jährigen erfolgreichen männlichen und weiblichen Angestell-
5778 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
ten, die verständlicherweise aus dem Elternhaus streben und eine Wohnung suchen.
So sind in einer Stadt wie Frankfurt bereits 50 % der Wohnungen mit Singles belegt, also mit einer Person pro Wohnung. Wenn Sie die 2 Millionen Neubürger in drei Jahren, Hunderttausende von Asylbewerbern berücksichtigen, wird klar, daß wir hier eine außerordentliche Nachfrage haben, die nicht voraussehbar war.
Ich darf nur am Rande, meine Damen und Herren, an die Tausende von leerstehenden Wohnungen der Neuen Heimat erinnern und an den Schock und den Skandal, die quasi über Nacht den Wohnungsbau allgemein stoppten. Das ist doch nicht zu vergessen.
Wer in einem Zwei- oder Dreifamilienhaus unangenehme oder randalierende Mieter erst nach jahrelangen zermürbenden oder teuren Prozessen, in denen er sich oft von der Gesellschaft und der Justiz im Stich gelassen fühlte, herausbekommen hat, vermietet eben nicht mehr, weil er das bei dem heutigen Wohlstand nicht mehr nötig hat.
Ein soziales Mietrecht — durch angebliche soziale Handhabung der Räumungsschutzfristen und der rigorosen Wiedereinweisungspraxis durch die Gemeinden — wird so leider zum Bumerang, meine Damen und Herren. Wenn wir glauben, das Mietrecht nicht ändern zu können, müssen wir mindestens die Reste der Wohnungszwangswirtschaft beenden, um Investoren für Wohnungen Mut zu machen.
Es wird nichts investiert, wenn das Kapital nicht zurückkommt. Das gilt insbesondere auch bei Altbauten und vor allem in Berlin, wo ganze Straßenzüge durch ihren Zustand der. Mangel an Mieteinnahmen erkennen lassen.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß die Probleme nicht leicht zu lösen sind, aber wir müssen von sozialistischen Ideen der Zwangsraumbewirtschaftung wegkommen, deren Ergebnisse uns tagtäglich in den neuen Ländern mit dem trostlosen Zustand der Häuser vor Augen geführt wird.
Unerträglich und fast widersinnig, meine Damen und Herren von der PDS, ist es, uns praktizierte Verletzung von Menschenrechten wegen der Wohnraumnot vorzuwerfen, nachdem Sie mit Ihrer Partei — auf Grund von 40 Jahren real existierendem Sozialismus — den Wohnungsscherbenhaufen in der ehemaligen DDR zu verantworten haben.
Es ist schon eine Dreistigkeit, wenn sie in dieser Debatte das Recht auf Wohnung als grundlegendes Menschenrecht fordern, nachdem Sie eben diese Menschenrechte 40 Jahre lang mit Füßen getreten haben.
Wir haben Wohnungen geschaffen. Sie haben sie kaputtgemacht. Ihre Vorschläge zur Behebung der Wohnungsnot stammen anscheinend immer noch aus der vorhandenen sozialistischen Gruselkiste der SED, deren Nachfolger Sie sind. Ich glaube nicht daran, daß Sie zur Marktwirtschaft finden.
— Ich sage Ihnen das nur, damit Sie nicht in diese Kiste greifen.
Meine Damen und Herren, Berlin ist auch keine Insel mehr und bedarf deshalb auch keiner Sonderbehandlung mehr. Es sollte sich kein Berliner über den erhöhten Zustrom und damit über die Beliebtheit Berlins beklagen.
Meine Damen und Herren Kollegen aus Berlin, die Hauptstadt wurde Ihnen nicht aufgedrängt. Sie haben sich heftig und mit Erfolg darum beworben, und das ist gut so. Die auch daraus resultierenden Schwierigkeiten wollen wir — das haben wir unter Beweis gestellt — gemeinsam lösen, aber nicht mit Methoden der Zwangsraumbewirtschaftung,
sondern mit gezielten Förderungen von Wohnungsbau im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft. Auch Berlin muß auf den Boden der Normalität zurückkehren.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung, da ich noch eine Minute Redezeit habe. Die kommunalen Wohnungen in den neuen Ländern, die mit Altschulden belastet sind, sind übermorgen ohne Schulden, wenn sie verkauft werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus einer Gemeinde: Da waren die Wohnungen mit 18 000 DM im Durchschnitt belastet. Sie sollten für 20 000 DM verkauft werden.
Das Ergebnis wäre: Erstens. Die Gemeinde hat keine Schulden mehr.
Zweitens. Der Mieter hat Eigentum. Drittens. Es wird investiert.
Das ist das, was ich Soziale Marktwirtschaft nenne, und so schaffen wir Eigentum und Wohnungen, und so beenden wir die Wohnraumnot.
Danke schön.