Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Teile der Rede, die Bundesminister
Töpfer gerade gehalten hat, kann man unterstützen; man muß allerdings fragen, ob er eigentlich unter Gedächtnisschwund leidet.
Wir hatten 1989, Herr Töpfer, als SPD unser eigenes Konzept für eine ökologische Besteuerung in der gesamten Wirtschaft, insbesondere die Energiebesteuerung, bei einer gleichzeitigen Entlastung der Arbeitnehmereinkommen und anderen Haushaltsentlastungen vorgestellt. Dafür sind wir von der Bundesregierung im Bundestagswahlkampf schwer beschimpft worden. Heute schlägt die EG-Kommission exakt dieses vor, und da fordert die Bundesregierung von uns Unterstützung, obwohl wir das schon vor zwei Jahren gefordert haben, als Sie uns noch dafür beschimpft haben.
Ich kann Ihnen hier nur sagen: Wir als Opposition werden den Ansatz der EG-Kommission, was die Steuerpolitik angeht, mittragen. Wir diskutieren darüber, ob die 50 : 50-Regelung richtig ist, wir hätten aus verschiedenen Gründen lieber einen höheren Energieanteil; darauf komme ich noch zurück. Ich glaube aber, es wäre gut gewesen, wenn Sie diese Erkenntnis schon vor zwei Jahren mit uns geteilt hätten.
Das gleiche gilt übrigens auch, Herr Töpfer, für die von Ihnen angesprochene Deckungsgleichheit des Regierungskonzepts mit dem Konzept der EG-Kommission, was die Steuern und Abgaben angeht. Aus Ihrem Haus kenne ich nur die Vorschläge, die Sie hier auch öffentlich verbreitet haben, über eine wirkungsgradbezogene CO2-Abgabe. Davon ist im EG-Konzept überhaupt nicht mehr die Rede, sondern dort ist von einer allgemeinen Energie- und CO2-Steuer die Rede. Sie und Herr Möllemann haben sich auch öffentlich über diese Frage gekloppt wie die Kesselflikker; und nun tun Sie so, als hätten Sie in diesem Bereich große Harmonie.
Ich will jetzt zu meinem eigentlichen Thema kommen. Ich stehe hier für unsere Fraktion, um noch einmal ein paar Punkte anzusprechen, die aus meiner Sicht bislang etwas im Nebulösen gelegen haben. Wenn Herr Seesing, Herr Möllemann oder andere im Bereich der Energiepolitik von Europa gesprochen haben, war das nicht immer klar faßbar.
Ich glaube, wir brauchen im Bereich der europäischen Energiepolitik etwas ähnliches, wie es die BildZeitung letzte Woche gemacht hat. Sie hat eine Überschrift gemacht: „Die D-Mark wird abgeschafft" ; ich glaube, die Bild-Zeitung müßte die Überschrift machen: „Die Grundlagen für eine nationale Energiepolitik werden durch die EG-Kommission abgeschafft" , denn das ist das, was im Augenblick in Brüssel geplant wird. Sie wissen es, und Sie verschweigen es. Obwohl Sie es wissen, schreiben Sie nur einige allgemeine Bemerkungen auf vier oder fünf Seiten in Ihrem Energiebericht, ohne auf das zentrale Anliegen einzugehen, das im Augenblick in Brüssel geplant wird.
5740 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Dr. Fritz Gautier
Was plant die EG-Kommission? Die EG-Kommission plant seit zwei Jahren eine Deregulierung im Bereich der leitungsgebundenen Energien; dies macht sie unter dem Stichwort ,,Wettbewerb". Die EG-Kommission sagt, und sie hat das am 29. Oktober im Energieministerrat ausgeführt: Jeder in Europa soll seinen Energiebedarf frei überall einkaufen können; das nennt die EG-Kommission „third party access" —Zugang Dritter zum Netz. Das heißt, daß ein Industrieunternehmen, das in Deutschland angesiedelt ist, beschließen kann, seinen Strom oder sein Gas in Frankreich einzukaufen. Um dies zu bewerkstelligen, sagt die Kommission: Dafür müssen die Unternehmen entflochten werden, und zwar im Bereich von Produktion, Transport und Verteilung, damit man die Durchleitungsgebühren richtig berechnen kann. Die Begründung dafür ist, daß es große Strompreisunterschiede zwischen den verschiedensten Energieländern, z. B. zwischen Frankreich und Deutschland sowie anderen Ländern, gibt.
Das alles hat der EG-Kommissar, Cardoso e Cunha, Portugiese, im Energieministerrat, am 29. Oktober vorgetragen. Und die Bundesregierung schreibt in einem Bericht an den Wirtschaftsausschuß — aus Ihrem Hause, Herr Möllemann — ganz deutlich: Alle Ratsmitglieder begrüßen die Absicht von Kommissar Cardoso, die Gespräche im Rahmen individueller Konsultationen zu vertiefen. — Also, am 29. Oktober wurde gesagt, man solle das Ganze vertiefen. Das steht auch auf Seite 101 Ihres Energieberichts.
Wie sieht nun diese Vertiefung in der Praxis aus? — Das sieht in der Praxis — damit das nicht alles so nebulös ist — wie folgt aus: Da meldet sich der zuständige Kommissar, Cardoso e Cunha, bei der Bundesregierung für den 5. Dezember, also für letzten Donnerstag, an, um mit der Bundesregierung — ich glaube, in der Person des Staatssekretärs von Würzen — über dieses Thema weiter zu reden. Danach, so denkt man, würden die weiter diskutieren, die Gespräche auswerten usw. — Denkste Puppe, so ist das alles nicht. Mit Datum vom 5. Dezember veröffentlicht die EG-Kommission ihren Richtlinienentwurf,
ganz konkret ausformuliert in 29 Artikeln, fix und fertig. Das, was hier gemacht wird, ist alles nur ein Scheingeschäft. Zur selben Zeit, als Cardoso e Cunha in Bonn war, haben die Leute in Brüssel schon alles fertiggestellt, und zwar mit weitreichenden Konsequenzen.
Von Ihnen, Herr Möllemann, wird das hier alles so nebulös dargestellt. Die Vorschläge — sie liegen alle auf dem Tisch: für Strom, für Gas — werden angekündigt, ohne daß Sie ein Wort dazu sagen.
Was ist nun eigentlich der Grund dafür, daß man dies diskutieren müßte, daß die Grundlagen unserer Energiepolitik damit auf den Kopf gestellt werden? Ich will das an ein, zwei Beispielen darstellen.
Im Gasbereich sagt die EG-Kommission: Durch die Deregulierung der Märkte im Gasbereich wollen wir den Gas-zu-Gaspreis-Wettbewerb. Dazu brauchen wir die Durchleitung und die Deregulierung. Unser bislang gemeinsamer Ansatz war aber ein völlig anderer, nämlich der, daß wir die Gasbeschaffung — das wurde von mehreren Vorrednern angesprochen — mit Hinweis auf die UdSSR unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Versorgungssicherheit vornehmen müssen und daß wir aus diesem Grunde dafür sorgen müssen, daß wir langfristige Gasbeschaffungsverträge in Form der sogenannten Take-or-Pay-Verträge mit entsprechenden Preisbildungsmechanismen haben, die sich an den sogenannten anlegbaren Preis — sprich: an vergleichbare Energieträger im Wärmemarkt wie 01 oder Fernwärme — anlehnen. Dies alles ist bei der Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages im Oktober noch einmal bestätigt worden.
Aber nein, die Bundesregierung sagt gar nichts dazu, akzeptiert, daß die Kommission diese Grundlagen unserer eigenen Preisbildung im Gasbereich und der langfristigen Versorgungssicherheit mit Gas unter der Überschrift „Mehr Wettbewerb im Bereich der leitungsgebundenen Energie" mir nichts, dir nichts vom Tisch fegen will. Das kann doch nicht wahr sein!