Rede von
Holger
Bartsch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Wenn man, wie im Papier des Ankündigungsministers Möllemann geschehen, der Braunkohle von vornherein nur bei der Verstromung in Großkraftwerken eine Chance einräumt und den Wärmemarkt gleichsam automatisch anderen Energieträgern zuweist, gibt man alle weiteren Einsatzmöglichkeiten der Braunkohle — z. B. in regionalen Blockkraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung unter Einsatz von Wirbelschichtfeuerung und anderer moderner Technologien — von vornherein auf.
Es drängt sich auch der Verdacht auf, daß damit der vorhandene hohe Anteil Fernwärme in den neuen Bundesländern, der bisher ebenfalls überwiegend auf dem Einsatz von Braunkohle beruht, systematisch zurückgefahren werden soll. Das geht natürlich gegen die Braunkohle, ob man das wahrhaben will oder nicht.
Es erhebt sich auch die Frage, wieviel Braunkohle denn nun wirklich verstromt werden soll. In dem ersten Entwurf des Energiekonzepts war noch von 4 000 MW Neubau die Rede, jetzt sind es nur noch 3 000 MW, und gleichzeitig wurde die langfristig erwartete Förderquote von zunächst 120 bis 150 Millionen t auf nur mehr 120 Millionen t reduziert. Ich sehe darin eine schleichende Auszehrung. Es drängt sich schon die Frage auf, was angesichts der nun avisierten Neuinvestitionen der einst so hochgelobte Stromvertrag eigentlich noch für die Braunkohle bringt.
Meine Damen und Herren, wenn man über die Rolle der ostdeutschen Braunkohle im gesamtdeutschen Energiekonzept spricht, bewegt man sich in einem vielfältigen Spannungsfeld. Es umfaßt neben der energiepolitischen und ökologischen auch eine soziale Dimension; das darf man einfach nicht vergessen.
Lassen Sie mich zunächst noch etwas zur ökologischen Dimension sagen. Neben der CO2-Problematik, zu der hier schon sehr viel gesagt wurde, gibt es den Bereich der ökologischen Altlasten, die die Braunkohle in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier hinterlassen hat. Ein gigantisches Rekultivierungsprogramm liegt hier vor uns, das, ganz nebenbei gesagt, auch ein immenses Arbeitsvolumen beinhaltet.
Was bietet uns das Papier dazu an? Zwar wird die Notwendigkeit anerkannt, die Altlastenfrage dringend zu lösen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Braunkohle herzustellen. Doch das wird in die Zuständigkeit der Treuhandanstalt und der Länder verwiesen, und damit ist das Problem gelöst. Dazu kann ich nur sagen: Das Problem erkannt und dann entschlossen verdrängt.
Diese Aufgabe den finanziell ohnehin nicht gerade üppig ausgestatteten neuen Ländern zuzuweisen ist schon ein starkes Stück. Es ist doch nicht zu leugnen, daß die Braunkohlenregionen durch den Raubbau, der in der DDR betrieben wurde, in überdurchschnittlichem Maße gebeutelt wurden. Sie haben einen Anspruch auf Wiedergutmachung durch den Rechtsnachfolger des untergegangenen Staates, und das ist nun einmal der Bund. Deshalb muß endlich ein klares Finanzierungskonzept auf den Tisch, damit die Länder auf dieser Basis Aufträge vergeben können, die der Bergbau selbst übernehmen kann, weil er über das Know-how, die Maschinen und die Technik verfügt.
Damit könnten auf Jahre hinaus für einen Teil der freizusetzenden Arbeitskräfte neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist eine Aufgabe, die angesichts der sozialen Dimension höchste Priorität besitzen muß.
Hier soll mir keiner sagen, das liefe ja mit den GroßABM schon an. So gut und wichtig diese sind, so können sie doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Hier gibt es Brot und Arbeit auf Jahre. Dies zu finanzieren kommt auf Dauer schließlich billiger als die Finanzierung von Langzeitarbeitslosigkeit.
Damit bin ich bei der sozialen Dimension, die wohl das komplizierteste Problem beinhaltet. Das Papier aus dem Hause Möllemann belegt dies mit klaren Zahlen. Ich gebe sie hier wörtlich wieder; sie sprechen für sich:
Die Braunkohleindustrie beschäftigte Ende 1990 doch insgesamt rd. 107 000 Menschen, konzentriert in den Räumen Halle/Leipzig und Cottbus/ Senftenberg/Hoyerswerda. Bis zum Ende diesen Jahres wird die Beschäftigtenzahl auf ca. 75 000 zurückgehen.
32 000 Menschen wurden und werden also bis zum Jahresende oder, weil man den Akt der Kündigung auf Januar verschiebt, zu Beginn des Jahres 1992 freigesetzt. Zwar wurden die Freisetzungen bisher durch die zur Zeit noch geltenden Regelungen zur Kurzarbeit und zum Altersübergangsgeld weitgehend abgefangen, und für rund 10 000 Arbeitsplätze AB-Maßnahmen geschaffen; aber auch das ist schließlich nur begrenzt. Die Sonderregelungen bei der Kurzarbeit sind zur Zeit jedenfalls noch nicht verlängert. Beim Altersübergangsgeld soll es ja besser aussehen. Aber irgendwann laufen sie aus. Das Instrument ABM ist, wie der berühmtberüchtigte Erlaß des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit zeigt, weitgehend ausgereizt. Die Freisetzungen aber werden weitergehen, meine Damen und Herren.
Wie das ganz praktisch läuft, will ich am Beispiel der Region Lauchhammer darstellen, einer Industrieregion im Süden Brandenburgs mit rund 30 000 Einwohnern, die vor allem von der Braunkohle lebt.
Am 30. Juni 1990 standen dort noch rund 15 000 Menschen in Lohn und Brot. 1992 werden aus heutiger Sicht noch ganze 4 000 übrigbleiben, und auch diese sind bisher keineswegs gesichert. Es ist also durchaus keine Schwarzmalerei, wenn man eine Arbeitslosenquote von über 60 % für das nächste Jahr in dieser Region voraussieht.
Während wir hier über die Energiepolitik im vereinten Deutschland debattieren, versuchen in Lauchhammer die Kollegen, die Kommunalpolitiker, mit einem Notstandskomitee die Öffenlichkeit auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. Wie ich zu meiner großen Freude gestern erfahren habe, nimmt sich die
5736 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Holger Bartsch
Brandenburger Landesregierung dieses Problems auch sehr engagiert an. Doch Lauchhammer ist nur ein besonders akutes Beispiel. Weitere werden folgen.
Die im Konzept der Bundesregierung avisierte Senkung der Förderung unter 120 Millionen t im Jahr wird mit einem Abbau auf 25 000 Arbeitsplätze verbunden sein. Das heißt: In den nächsten Jahren werden in den ostdeutschen Braunkohlerevieren weitere rund 50 000 Arbeitsplätze abgebaut.
Um es ganz klar zu sagen: Der auch von mir nicht bestrittene notwendige Umstrukturierungsprozeß in den ostdeutschen Braunkohlerevieren, der sich in Westdeutschland im Bereich der Steinkohle über mehr als ein Jahrzehnt erstreckte, muß bei uns im Osten im Hau-Ruck-Verfahren innerhalb von drei bis vier Jahren bewältigt werden, eine Aufgabe von dramatischer Dimension. Sie ist nur zu bewältigen, wenn es gelingt, wie von der SPD gefordert, „den Prozeß der Absenkung der Fördermengen durch flankierende Maßnahmen der Bundesregierung zur ökologischen Umstrukturierung der betroffenen Region zu begleiten" .
Das sogenannte energiepolitische Konzept der Bundesregierung gefährdet die Rolle der ostdeutschen Braunkohle im gesamtdeutschen Energiemix in erheblichem Maße, es gefährdet die Arbeitsplätze und weist völlig unzureichende Lösungen für die Begleitung des unausweichlichen Strukturwandels auf. Es ist deshalb auch aus der Sicht der ostdeutschen Braunkohle nicht konsensfähig.
Da Sie, Herr Minister, ja einmal Lehrer waren — ein überaus ehrenwerter Beruf, wie ich glaube — , drängt sich mir als Abschlußurteil nur auf: Thema verfehlt!
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.