Rede von
Volker
Jung
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Ich darf Ihnen zunächst recht herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag gratulieren und Ihnen alles Gute wünschen.
5728 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Volker Jung
Bundeswirtschaftsminister Möllemann hat sinngemäß ausgeführt, daß es bei der Energiepolitik nicht um eine bloße Aneinanderreihung von Einzelpolitiken gehen kann, daß es auf die Zusammenschau ankommt, daß es um eine Optimierungsaufgabe geht, daß es also hier um eine Strategie geht.
Ich stimme dem zu und muß gerade deswegen sagen: Das energiepolitische Gesamtkonzept, wie Sie es anspruchsvoll nennen, ist in jeder Hinsicht ein Armutszeugnis, umweltpolitisch und energiepolitisch. Mit diesem Konzept verabschiedet sich die Bundesregierung von den Zielen, die sie vor einem Jahr selber formuliert hat, nämlich unsere Energieversorgung so umzustrukturieren, daß sie einen wirksamen Beitrag zur Ressourcenschonung und zum Umweltschutz, insbesondere zum Schutz des Klimas, leistet.
Im Grunde läßt sich die Botschaft, die dieses Konzept vermitteln soll, in fünf knappen Sätzen zusammenfassen.
Der erste Satz: Der Markt wird es schon richten. Er wird auf wundersame Weise Energiesparen und Klimaschutz voranbringen. Staatliches Handeln ist nicht angesagt; es stört dabei nur.
Zweiter Satz: Energiesparen und Klimaschutz gibt -es entgegen allen Erfahrungen zum Nulltarif.
Dritter Satz: Versorgungssicherheit ist, wenn sich dieses Problem überhaupt stellt, keine öffentliche Aufgabe mehr; sie wird besser den nationalen und internationalen Energiekonzernen überlassen.
Vierter Satz: Eine ökologische Reform unseres Steuersystems ist nur auf europäischer Ebene möglich. — Damit hat der Umweltminister nicht nur einen Kotau vor dem Wirtschaftsminister gemacht, damit wird die Reform auch auf die lange Bank geschoben.
Fünfter Satz: Statt Energiesparen mit ordnungs-
und finanzpolitischen Maßnahmen durchzusetzen, soll die Kernenergie ausgebaut werden. Hier soll also der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben werden, die Klimagefahren sollen durch eine weitere Anhäufung nuklearer Risiken bekämpft werden.
Für diese fünf Sätze, meine Damen und Herren, haben Sie über ein Jahr gebraucht und 120 Seiten beschrieben. Ich meine, sie sind das Papier nicht wert. Damit desavouieren Sie Ihre eigenen Vertreter in der Enquetekommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre". Bei allen Meinungsverschiedenheiten — z. B. bei der Nutzung der Kernenergie oder bei dem Switch des Energiemixes von CO2-intensiven zu CO2-ärmeren Energieträgern — bestand über alle Parteien hinweg Einigkeit darin — so nachzulesen im Dritten Zwischenbericht — , daß der Energieeinsparung und der rationelleren Energienutzung sowie der Förderung und Markteinführung erneuerbarer Energien absolute Priorität zukommt. Herr Lippold, das werden Sie bestätigen können.
Davon ist in dem Energiekonzept der Bundesregierung aber keine Rede mehr. Sie haben in den letzten Jahren nicht nur alle einschlägigen Förderprogramme auslaufen lassen, z. B. das Programm zur Förderung der Fernwärme und zum Bau von Heizkraftwerken, der Finanzminister hat auch die zaghaften Förderungsmaßnahmen, die in dem Entwurf des Wirtschaftsministers ursprünglich drinstanden, schließlich herausgestrichen. Daher ist die vor einem Jahr beschlossene Selbstverpflichtung der Bundesregierung, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25 bis 30 abzusenken, schon heute Makulatur.
Herr Töpfer möchte das noch nicht wahrhaben. Indirekt hat es der Bundeswirtschaftsminister zugegeben. Das Prognos-Gutachten, das zur Erarbeitung des Energiekonzeptes herangezogen wurde, prognostiziert nämlich, daß bei einem 50 %igen Zuwachs des Bruttosozialprodukts bis zum Jahre 2010 der Energieverbrauch und damit auch die CO2-Emissionen allenfalls stagnieren werden. Dabei wird bereits unterstellt, daß das Energiepreisniveau um 50 % steigt, massive öffentliche Hilfen zur Energieeinsparung gegeben und die Energiesteuern um 15 % angehoben werden.
Das heißt doch im Klartext: Wenn die Bundesregierung untätig bleibt, dann fällt die Prognose nicht schwer, daß der Energieverbrauch weiter ansteigen wird. Und wenn die Bundesregierung bei den leitungsgebundenen Energien auf eine Deregulierung auf nationaler wie auf europäischer Ebene setzt — und das ist in dem Energiekonzept die einzige substantielle Aussage zum Energierecht — , dann verkennt sie nicht nur die ökologische Dimension des Problems, sondern setzt ihre Hoffnung auf eine Verringerung der Energiekosten und -preise. Das würde aber mit Sicherheit zu einem Mehrverbrauch an Energie führen, die Schadstoffbelastung vergrößern und unsere ohnehin schon hohe Importabhängigkeit noch weiter erhöhen.
Heute sind wir zu über 50 % von Energieimporten abhängig. Diese Abhängigkeit wird ohnehin steigen, weil es die Bundesregierung zuläßt, daß die einzigen heimischen Energiequellen — die Stein- und Braunkohle — weiter eingeschränkt werden, die Steinkohle, die der Wirtschaftsminister zu einer dramatischen Anpassung gezwungen hat und für die noch keine Finanzierungsregelung in Sicht ist,
und auch die Braunkohle, die er mit den Stromverträgen aus seiner Verfügung entlassen hat.
Verschwiegen werden die Versorgungsrisiken bei osteuropäischen, insbesondere russischen Energieimporten. Kein Mensch weiß heute, wie lange wir noch auf sichere Lieferungen von Öl und Gas aus der zerfallenden Sowjetunion rechnen können. Kein Mensch weiß auch, welchem Preisdiktat der OPEC-Länder wir in Zukunft ausgesetzt sein werden. Alle Lehren aus zwei Ölpreiskrisen scheinen vergessen zu sein, als die Energiemehrkosten in Milliardenhöhe zu Konjunktureinbrüchen geführt haben.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991 5729
Volker Jung
Dazu paßt es lückenlos, bei der Anhebung der Energiesteuern auf die schleppende Willensbildung in der Europäischen Gemeinschaft zu setzen und zugleich darauf zu drängen, daß die CO2-Komponente noch größeres Gewicht erhält. Das schwächt die Wettbewerbsposition der fossilen Energieträger, der Steinkohle, die ohnehin geschützt werden muß, und der Braunkohle, die ohne zusätzliche Belastung an sich wettbewerbsfähig wäre, und das stärkt die Wettbewerbsposition der Kernenergie.
Bei diesem Szenario können Sie in Ihr Energiekonzept ganz zurückhaltend hineinschreiben, daß die Option für einen Ausbau der Kernenergie offengehalten wird, und auf der anderen Seite eine Energiekommission einsetzen, die von einem bekannten Sozialdemokraten geleitet wird. Sie spekulieren doch offensichtlich darauf, daß uns die vertane Zeit und der wachsende Problemdruck bei der strittigen Frage der Kernenergienutzung schon in die Knie zwingen werden. Ich sage Ihnen dazu: Dieses Szenario wird nicht aufgehen.
Eine Renaissance der Kernenergie wird es nicht geben, jedenfalls nicht mit unserer Hilfe
und auch nicht mit Hilfe der Energiewirtschaft, die gegen unseren Widerstand und gegen den Widerstand der Bevölkerung kein Kernkraftwerk mehr bauen wird.
Meine Damen und Herren, wir haben unsere Alternativen auf den Tisch gelegt und werden sie Schritt für Schritt konkretisieren:
Mit dem Entwurf eines neuen Energiegesetzes legen wir einen ökologisch ausgerichteten Ordnungsrahmen für die zukünftige Energieversorgung in ganz Deutschland vor. Die Diskussion über die Reform des Energiewirtschaftsgesetzes ist so alt wie die Bundesrepublik, aber bislang hat die Energiewirtschaft jede einschneidende Veränderung zu verhindern gewußt. Auch jetzt will der Wirtschaftsminister diese Reform nicht anpacken. Er wartet vielmehr auf die Übernahme der ordnungspolitischen Kompetenz im Energiesektor durch die EG-Kommission.
Unser Ansatz, mit diesem neuen Ordnungsrahmen die Umwelt zu schützen, die Energieressourcen zu schonen, erneuerbare Energien zu fördern und die externen Kosten der Energieversorgung zum Maßstab zukünftiger Energieversorgungsstrukturen zu machen, hat durchaus Zukunft. Die SPD hat die jahrelangen Forderungen der Umweltminister des Bundes und der Länder aufgegriffen und einen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt. Ich erinnere an die Beschlüsse der Umweltministerkonferenz aus dem Jahre 1987, die 1988 auch von der Wirtschaftsministerkonferenz aufgegriffen wurden. In der letzten Legislaturperiode haben die Regierungsparteien im Wirtschaftsausschuß eine intensive Beratung dieses Gesetzentwurfs zugesagt. Wir nehmen diese Zusage ernst und hoffen, daß wir die Bundesregierung gemeinsam davon überzeugen können, ihre Novellierungsabsichten in die richtige Richtung zu lenken.
Wir wollen den Umweltschutz stärken und den Kommunen größere Handlungsspielräume bei der Gestaltung der Energieversorgung einräumen. Wir sprechen uns nicht für eine Rekommunalisierung als Prinzip aus, sondern wollen eine Ausschöpfung der energiepolitischen Möglichkeiten, die die Gemeinden im Rahmen ihrer Daseinsvorsorge wahrnehmen können. Dies ist insbesondere in den neuen Bundesländern sehr wichtig, wo die Stromverträge die Gemeinden faktisch von einer Beteiligung an der Energieversorgung ausschließen.
Wir wollen bei der Stromeinspeisung auch die Wärme-Kraft-Kopplung berücksichtigen, damit sie zusätzliche Marktanteile gewinnen kann. Die WärmeKraft-Kopplung ist die ökologisch verträglichste Energieversorgung, die aus Klimaschutzgründen und zur Schonung der Ressourcen massiv ausgebaut werden muß. Wir wollen die Konzessionsabgaben für die Gemeinden erhalten, diese aber verpflichten, einen Teil davon für Energieeinsparmaßnahmen zu verwenden. Dazu wollen wir alle zukünftigen Energieanlagen einer öffentlichen Genehmigung und Aufsicht unterwerfen, um die ökologische Reform möglich zu machen.
Meine Damen und Herren, Sie haben alle diese Vorschläge abgelehnt. Jetzt hat die Europäische Kommission im Grundsatz unser Steuerkonzept aufgegriffen. Wir unterstützen ihren Ansatz, europaweit mit einem 15 %igen Aufschlag auf den Energieverbrauch zu beginnen und diesen Aufschlag bis zum Jahre 2000 schrittweise auf 50 % anzuheben. Gleichzeitig muß allerdings der Faktor Arbeit entlastet, d. h. die Lohn- und Einkommensteuer abgesenkt werden.
Der bestmögliche Effekt zur Energieeinsparung und damit zum Klimaschutz wäre, diese Energiesteuer am Energiegehalt festzumachen und nicht mit einer CO2-Komponente zu versehen. Denn dies würde nicht nur der Kernenergie, sondern auch dem Gas, dem ohnehin knappsten Energierohstoff, Wettbewerbsvorteile bringen und unsere einheimischen Energieträger massiv belasten.
Wir haben seit Jahren öffentliche Förderprogramme für die Energieeinsparung in Gebäuden, zur Förderung der Wärme-Kraft-Kopplung und zum Ausbau der Fernwärme gefordert. Wir werden in Kürze ein umfassendes Programm zur Energieeinsparung, rationelleren Energieverwendung und Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung mit Fernwärme vorlegen.
Wir haben seit Jahren auch ein Programm zur Förderung erneuerbarer Energien gefordert. Dieses Programm muß unverzüglich vorgelegt werden. Die technischen Potentiale für mindestens eine Verfünffachung des bisherigen Anteils dieser Energie sind nämlich vorhanden, aber sie sind — das ist schon gesagt worden — lange noch nicht wirtschaftlich.
Es ist heute klar, daß wir es nur mit öffentlichen Hilfen schaffen werden, den Anteil erneuerbarer Energien zu erhöhen. Es kommt aber darauf an, die Energiewende frühzeitig einzuleiten, um diese Energieträger in Zukunft zu einem wesentlichen Faktor unserer Energieversorgung zu machen.
Meine Damen und Herren, diese Instrumente, ordnungspolitisch und finanzpolitisch zusammen be-
5730 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Volker Jung
trachtet, bilden unser Konzept für eine ökologisch verträgliche Energieversorgung, die diesen Namen auch verdient.
Auch die EG-Kommission betont bei ihrem Energiesteuervorschlag, daß nur ein Mix aus Ordnungsrecht, Anhebung der Energiesteuern und öffentlichen Fördermaßnahmen einen Ausweg aus der gegenwärtigen ökologischen Krise bedeutet.
Die SPD hat mit diesem Maßnahmenkatalog eine Vorreiterrolle übernommen. Sie müssen sich jetzt anschließen. Sie müssen sich den konkreten Herausforderungen stellen, sonst werden Sie es nicht schaffen, die überfällige Reform unserer Energieversorgung herbeizuführen. Diese ist aber im Interesse der Natur, der Stabilisierung des Klimas und der Sicherung der Lebensgrundlagen künftiger Generationen unerläßlich.
Schönen Dank.