Rede von
Dr.
Konrad
Elmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte zu vermuten gewagt, daß es eine jugendpolitische Debatte erlauben könnte, an einer Stelle mal ein wenig über die Stränge zu schlagen; aber dieser Hinweis wird akzeptiert.
— Ich habe auch nicht von mir, sondern von der jugendpolitischen Debatte hier gesprochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Jugend ist das besonders wertvolle Gut eines jeden Landes. Insofern ist Ihr Ministerium, Frau Merkel, von besonderer Bedeutung, ganz abgesehen von der Bedeutung der Frauenpolitik. Beide Bereiche verlangen, mit besonderer Kompetenz und mit Fingerspitzengefühl an die Arbeit heranzugehen; denn die Jugend ist in besonderer Weise ein Kind der Freiheit, das sich nur in Freiheit gut entwickeln kann, das jede Steuerung von außen schwer verträgt. Das hat vor allen Dingen die SED hart zu spüren bekommen. Solche Steuerungen und Versuche direkter Beeinflussung sind meistens kontraproduktiv.
Es ist wie bei einer Pflanze: Man darf da nicht schieben und drücken wollen — das verbiegt —, sondern man muß selber wachsen lassen. Man kann nur das Umfeld drumherum bearbeiten und günstige Rahmenbedingungen schaffen.
Meine Frage ist nun diese, wenn wir hier nur so weniges im Umfeld tun können: Ist dieses wenige denn wirklich getan worden?
Sicher, auf dem Gebiet der beruflichen Bildung ist in den neuen Bundesländern einiges passiert. Wir werden abwarten müssen, ob das nur eine formale Integration war oder ob die Jugendlichen am Ende wirklich eine berufliche Perspektive bekommen. Wie wir nach letzten Umfragen wissen, sitzen 80 % der Jugendlichen auf gepackten Koffern für den Fall, daß sie keine berufliche Perspektive erhalten werden, so daß der Überalterung Ostdeutschlands noch nicht endgültig gewehrt ist.
Noch wichtiger aber scheint mir im Bereich der Jugendpolitik zu sein, den Jugendlichen eine sinnvolle freizeitliche Existenz zu ermöglichen, also Räume zu schaffen, in denen sie sich selbst entfalten können, in denen herrschaftsfreier Dialog und entsprechende Sinngebungen möglich werden.
Ist dafür wirklich genug getan worden, wenn etwa die Hälfte aller Jugendklubs zwei Jahre nach der Wende nicht mehr existieren? Welch große Zerstörung soziokultureller Handlungsräume ist hier unter den Augen der Regierung passiert!
— Parteihochschulen soll man auch zumachen, aber nicht die Jugendklubs.
— Das frage ich mich auch.
— Liebe Genossinen und Genossen, laßt mich auch einmal zu Worte kommen!
— Sie werden hier doch einmal einen Witz verstehen.
— Ist uns nicht mehr unangenehm.
Freie Träger warten immer noch auf Planungssicherheit, um kontinuierlich Strukturen aufbauen zu können und nicht nur medienwirksamen Projekten hinterherjagen zu müssen.
Ich frage: Was ist aus den Kinder- und Jugenderholungszentren, den zentralen früheren Pionierlagern geworden, wenn, wie ich hörte, etwa die Hälfte von ihnen nicht mehr für Jugendarbeit und ähnliches zur Verfügung stehen und im Haushalt 1992 keine Mittel für Überbrückungsangelegenheiten und Überführung in sinnvolle weitere jugendpolitische Verwendung zu finden sind?
— „Kein Bedarf", das ist eine interessante Antwort der CDU, die wir zu Protokoll nehmen.
Viele Jugendklubs sind auch daran zugrunde gegangen, daß Restitutionsansprüche bestanden. Auch hier zeigt sich wieder, wie verheerend es war, daß sich die Regierung nicht zu dem Grundsatz „Entschädigung vor Rückgabe" durchringen konnte.
Es geht aber nicht nur darum, Räume zur Verfügung zu stellen, sondern man muß auch — freilich in sehr vorsichtiger Weise — dafür sorgen, daß in diesen Räumen ein Geist herrscht, der Positives bewirkt, weil sonst diese leeren Räume durch Rattenfänger, durch radikale Prediger von Nationalismus und Fremdenhaß, gefüllt werden, die dafür plädieren, daß die Jugendlichen ihre Freiheit an der Garderobe abgeben.
— Das ist hier heute nicht das Thema.
Wichtig ist, wie gesagt, daß hier nicht zuviel getan wird, daß wir nicht unsererseits mit einer neuen Ideologie daherkommen, sondern daß da Menschen, Ju-
5702 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Dr. Konrad Elmer
gendarbeiter sind, denen es gelingt, demokratische Werte in Freiheit zu vermitteln, die die Jugendlichen nicht drängen, sondern nach dem Motto Hölderlins locken: „Komm, Freund, ins Offene." Die anwesenden Damen werden verzeihen, daß Hölderlin noch in einer männlichen Sprachumgebung lebte; die Freundinnen sind natürlich mit eingeladen.
Schließlich ist es besonders wichtig, daß in der Jugendarbeit eine den Jugendlichen angemessene Sprache gesprochen wird, daß die Jugendmitarbeiter Zugang zu der ostdeutschen Befindlichkeit haben, sich dort zu Hause fühlen. Hier ist nun in der Tat jener Sender, dessen Plakette ich hier nicht an der Weste tragen darf, „DT 64", eine unentbehrliche Hilfe, die wir über die Zeiten retten sollten.
— „DT 64", Herr Kollege.