Rede von
Claudia
Nolte
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn im Deutschen Bundestag eine jugendpolitische Debatte geführt wird, erwartet man vielleicht, daß berichtet wird, was für die Jugendhilfe, die Jugendarbeit oder für die Jugendverbände geleistet wurde. Den Leistungen stellt man dann die Forderungen entgegen. Und tatsächlich: Es gibt eine ganze Reihe von sinnvollen Vorschlägen, was jugendpolitisch zusätzlich getan werden könnte.
5684 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Claudia Nolte
Doch ob eine Regierung Politik für die Jugend macht, kann doch nicht allein daran gemessen werden, wie hoch die finanziellen Mittel sind, die eingesetzt werden. Da wurde von der jetzigen Bundesregierung übrigens einiges getan: Über 200 Millionen DM stellt der Bund 1992 für den Jugendetat zur Verfügung; davon allein 50 Millionen DM zusätzlich für die fünf neuen Bundesländer.
Es kann ebenfalls nicht daran gemessen werden, ob wir ein eigenständiges Jugendministerium haben. Das haben wir — und mit Angela Merkel eine hervorragende Ministerin.
Ich begrüße es ausdrücklich, daß Angela Merkel in der kommenden Woche zur stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden gewählt wird.
Die anderen reden davon, jungen Menschen und Frauen eine Chance zu geben; die CDU tut es.
Schließlich kann Jugendpolitik nicht nur daran gemessen werden, wieviel die führenden Politiker über die Jugend sprechen. Entscheidend ist doch, daß in allen Bereichen eine Politik formuliert und umgesetzt wird, die der jungen Generation ihre Chancen läßt.
Noch nie in der deutschen Geschichte hatten Jugendliche eine so gute Ausgangsposition, wie wir sie haben. Materiell geht es uns so gut wie nie zuvor. Seit über 40 Jahren leben wir Deutschen in Frieden, und seit zwei Jahren sind alle Deutschen frei. Uns stehen Perspektiven offen, von denen unsere Eltern und Großeltern nicht einmal zu träumen wagten, Perspektiven, die meine ostdeutschen Altersgenossen und ich vor zwei Jahren für nicht möglich gehalten haben.
Europa wächst zusammen vom Atlantik bis zum Ural. Der große EG-Binnenmarkt ab 1993 bietet gerade für junge Menschen zusätzliche Perspektiven.
Jung sein heute, das heißt, die vielfältigen Möglichkeiten, die sich uns heute bieten, nutzen.
Zu Unrecht wird uns Jugendlichen Anspruchsdenken nachgesagt. Als Bewohnerin der ehemaligen DDR weiß ich, wie belastend es sein kann, wenn der Staat sich zu sehr um die Jugendlichen kümmert. Man wollte es uns so leicht wie möglich machen und uns alle Lasten abnehmen: die Erziehung, die Suche nach einer Lehrstelle bzw. nach einem Studienplatz, ja selbst die eigene Meinung.
Natürlich geschah das nicht ganz umsonst: Man erwartete Zustimmung zur Partei und Treue zum Staat. Schlecht war das für diejenigen, die auf die Vollversorgung gern verzichtet hätten und selber denken wollten.
Ich kann Ihnen versichern: Wir wollen keine Vollversorgung; was wir wollen, sind Bewährungsfelder.
Vor 30 Jahren unterzeichnete der amerikanische Präsident John F. Kennedy den Gesetzentwurf für das Peace Corps. Über 130 000 junge Amerikaner haben seither in Ländern der Dritten Welt ihren freiwilligen Dienst geleistet. Mit dem Peace Corps sollen die Bedürfnisse des Gastlandes getroffen und ein gegenseitiges, besseres Verständnis geschaffen werden. Die Peace-Corps-Entwicklungshelfer sind unter anderem tätig in der Erziehung, in der Landwirtschaft, in der Gesundheitsversorgung, in der Energieberatung und in der Hilfe für die Entwicklung kleinerer Unternehmen.
Mir ist bekannt, daß die Idee des Peace Corps nicht unumstritten ist. Aber ich bin dafür, daß wir auch die positiven Erfahrungen zur Kenntnis nehmen, die man in den Vereinigten Staaten mit dem Peace Corps gemacht hat. Junge deutsche Peace-Corps-Leute würden in den Entwicklungsländern ein Gesicht Deutschlands zeigen, wie es keine offizielle deutsche Diplomatie vermag.
Bewährungsfelder gibt es aber auch vor Ort. Vieles, was jugendpolitisch getan werden kann, liegt im Verantwortungsbereich der Kommunen. Eine Inititative, die mich da besonders begeistert hat, ist die Errichtung von Jugendgemeinderäten. Denn Interesse an Politik schafft man am besten dadurch, daß der junge Mensch an ihr beteiligt wird und sie aktiv mitgestalten kann.
Seit 1985 gibt es in der Stadt Weingarten solch einen Jugendgemeinderat. Schüler aller Weingartener Schulen von der 7. bis zur 10. Klasse gestalten durch ihre Anregungen und Ideen die Kommunalpolitik mit. Wie im sogenannten großen politischen Leben gliedert sich der Jugendgemeinderat in Fraktionen. Sicher, die Beschlüsse des Jugendgemeinderates sind nicht bindend, aber dennoch haben sie durchaus Gewicht bei Entscheidungen in der Kommunalpolitik.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben diese jugendpolitische Debatte u. a. beantragt, um die Schwierigkeiten und Aufgaben, vor denen junge Menschen, ja die ganz Gesellschaft heute stehen, offen anzusprechen. Was ist notwendig, damit unser Vaterland, die Bundesrepublik Deutschland, zukunftsfähig bleibt und uns unsere Chancen läßt?
Ich habe erfahren, wie wichtig es ist, in einer intakten Familie aufwachsen zu können. Ich behaupte: Eine gute Familienpolitik ist auch eine gute Jugendpolitik.
Der junge Mensch bedarf der Geborgenheit in der Familie, um den Herausforderungen, die ihn erwarten, gewachsen zu sein. Der Zustand unserer Familien ist ein Spiegelbild für den Zustand unserer Gesellschaft. Die Wärme, die junge Menschen in der Familie erfahren, ist ausschlaggebend für das, was sie dann selber in die Gesellschaft einbringen können. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Bedingungen zu schaffen, die der heutigen Familien-Situation gerecht werden. Besondere Anstrengungen müssen deshalb unternommen werden, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Partner zu gewährleisten.
Die Empfindungen von Jugendlichen sind Seismographen für das, was gesellschaftlich auf den Nägeln
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991 5685
Claudia Nolte
brennt. Bei Jugendlichen stehen ökologische Themen an erster Stelle. Entscheidend für unsere Glaubwürdigkeit ist, was wir Politiker für den Umweltschutz bewegen.
Um ein Beispiel zu nennen: Wie gehen wir mit dem Müllproblem um? Die Entsorgung des Hausmülls und der gewerblichen Abfälle ist eine riesige Aufgabe. Man sagte mir, für die nächsten zehn Jahre sei die Entsorgung gesichert. Aber wir müssen uns jetzt etwas einfallen lassen, damit im nächsten Jahrzehnt Lösungen vorhanden sind.
Geradezu katastrophal ist die Entsorgung des Sondermülls. Sondermüll wird überwiegend deponiert. Die endgültige Entsorgung wird in die Zukunft verschoben. Es ist aber unsere Aufgabe, heute Lösungen zu suchen. Wir dürfen unser Müllproblem nicht bei der nächsten Generation abladen.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist unbestritten, daß wir populär sind, wenn wir viel verteilen können. Auch mir fällt vieles ein, womit man die Menschen — und gerade die jungen beglücken könnte. Man sagt ja, wer keine Wünsche mehr hat, sei krank. Aber, wer muß denn letztlich bezahlen, was wir heute an Wohltaten alles beschließen? Wollen wir auf Kosten unserer Kinder und Enkel leben?
In diesem Jahr nahmen Bund, Länder und Gemeinden Kredite von insgesamt 156 Milliarden DM auf. Ich weiß, daß die Länder und noch mehr der Bund finanzielle Mittel für den Aufbau der fünf neuen Bundesländer benötigen. Aber das verpflichtet uns noch viel mehr zu einer strengen Haushaltsführung.
Hohe Staatsausgaben belasten in erster Linie den sogenannten kleinen Mann. Ein Durchschnittsverdiener muß heute schon an die 50 % seines Bruttoverdienstes für Steuern, Sozialversicherung etc. abführen. Das motiviert nicht gerade zur Leistung.
Wir erleben eine Kostenexplosion insbesondere im Gesundheitswesen. Von 1960 bis 1991 stiegen die Löhne um mehr als das 5fache. Im Gesundheitswesen stiegen im selben Zeitraum die Kosten auf über das 14fache. Auch bei der Diskussion über die Pflegeversicherung dürfen wir die Belastungen für zukünftige Generationen nicht außer acht lassen.
Der eigenverantwortlich Handelnde, der Solidarität nicht nur so auslegt, daß er von der Gesellschaft fordert, sondern Solidarität auch in dem sieht, womit er die Gesellschaft nicht belastet, darf nicht den Eindruck gewinnen, er sei letztlich der Dumme.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Feststellung: Die heutigen jungen Menschen sehen sich nicht als No-future-Generation. Sie wollen mitgestalten, und wir sollten sie beteiligen. Wohlstand und Freiheit bringen nicht zwangsläufig Glück und Zufriedenheit mit sich. Den oft anzutreffenden Sinnmangel möchte ich als die neueste Armut bezeichnen. Eine Gesellschaft der vielen Güter ohne den Maßstab des Guten muß notwendigerweise auf die Dauer langweilig werden. Mit den jungen Menschen von heute wollen wir,
auf Bewährtem aufbauend, die Politik der Erneuerung umsetzen.
Danke schön.