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    Plenarprotokoll 12/41 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 41. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Inhalt: Begrüßung des Präsidenten der Nationalversammlung der Republik Ungarn und einer Delegation sowie Hinweis auf die Enthüllung einer Gedenktafel am Reichstagsgebäude 3355 A Erweiterung der Tagesordnung 3355 C Vertagung der von der PDS/Linke Liste beantragten Aktuellen Stunde 3355 D Tagesordnungspunkt 4: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Juni 1988 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen einschließlich schweren Unglücksfällen (Drucksache 12/758) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz — StUG) (Drucksache 12/1093) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Mai 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Bangladesch zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (Drucksache 12/756) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. Oktober 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indonesien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 12/757) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. November 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Neuseeland über den Luftverkehr (Drucksache 12/938) f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. September 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Argentinischen Republik über den Luftverkehr (Drucksache 12/759) g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. April 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Venezuela über den Luftverkehr (Drucksache 12/1057) h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. April 1989 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zur Ergänzung des Abkommens vom 7. Juli II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 1955 über den Luftverkehr (Drucksache 12/1058) i) Erste Beratung des von der Bundesrepublik eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Mai 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beendigung der Tätigkeit der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut (Drucksache 12/939) j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Eichgesetzes (Drucksache 12/746) k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung der Auf gaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den Bundesgrenzschutz (Drucksache 12/1091) 1) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 17. Juni 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit (Drucksache 12/1131) m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 14. November 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze (Drucksache 12/1132) n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze (Drucksache 12/1134) o) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Maßnahmen gegen Israel-Boykott-Verpflichtungen deutscher Firmen bei Verträgen mit Drittländern (Drucksache 12/554) p) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Moratorium für Rüstungsexporte in den Nahen und Mittleren Osten (Drucksache 12/744) q) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Keine weiteren israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten (Drucksache 12/824) r) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Bericht zu Stand und Perspektiven der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 12/825) s) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1990 — Einzelplan 20 — (Drucksache 12/893 [neu]) t) Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen: Einwilligung in die Veräußerung eines Grundstücks in Berlin gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung (Drucksache 12/1008) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Ausgleich von Auswirkungen besonderer Schadensereignisse in der Forstwirtschaft (Forstschäden-Ausgleichsgesetz) (Drucksache 12/1056) 3355 D Tagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses zu den gegen die Gültigkeit der Wahl zum 12. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen (Drucksache 12/1002) Horst Eylmann CDU/CSU 3358 A Johannes Singer SPD 3358 C Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 1990 (Drucksachen 12/230, 12/1073) Alfred Biehle, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 3359 C Paul Breuer CDU/CSU 3361 A Dieter Heistermann SPD 3362 C Jürgen Koppelin FDP 3364 B Vera Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE 3365 D Günther Friedrich Nolting FDP . . . 3366 B Claire Marienfeld CDU/CSU 3367 A Walter Kolbow SPD 3368 B Paul Breuer CDU/CSU 3368 C Heinz-Alfred Steiner SPD 3368 D Günther Friedrich Nolting FDP . . . 3369 D Dr. Gerhard Stoltenberg, Bundesminister BMVg 3370 D Walter Kolbow SPD 3371D, 3373 A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 III Tagesordnungspunkt 7: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Roth, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Manfred Opel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ausgleich der Folgen von Abrüstung, Truppenreduzierungen und Standortauflösungen in strukturschwachen Regionen (Drucksache 12/882) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Achim Großmann, Norbert Formanski, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbilligte Abgabe von Grundstücken sowie von Wohnungen aus Bundesbesitz für den sozialen Wohnungsbau und für andere gemeinnützige Zwecke (Drucksache 12/884) Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . 3373 D Ernst Hinsken CDU/CSU 3375 B Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 3377 C Dr. Walter Hitschler FDP 3378 D Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär BMWi 3380 B Brigitte Schulte (Hameln) SPD 3381 D Jürgen Koppelin FDP 3382B, C Elke Wülfing CDU/CSU 3383 D Ernst Schwanhold SPD 3385 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . 3386A, 3387B Günther Friedrich Nolting FDP . . . 3386 B Günther Friedrich Nolting FDP 3388 A Ernst Schwanhold SPD 3388 C Walter Kolbow SPD 3388D, 3389 A Dieter Heistermann SPD 3389 C Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 3390 D Otto Reschke SPD 3391 B Hans-Wilhelm Pesch CDU/CSU 3393 D Karl Diller SPD 3394 A Dr. Walter Hitschler FDP 3394 B Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär BMBau 3395 D Otto Reschke SPD 3396 A Tagesordnungspunkt 8: Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. Dezember 1989 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Ungarn über den Luftverkehr (Drucksache 12/341) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (Drucksache 12/789) b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 19 zu Petitionen (Rechtsstellung der Dienstpflichtigen — Entlassungsgeld) (Drucksache 12/685) c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 24 zu Petitionen (Einkommensteuer) (Drucksache 12/810) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zur Unterrichtung durch die Bundesregierung: Verringerung der Schuldenlast der AKP-Staaten gegenüber der Gemeinschaft — Mitteilung der Kommission an den Rat — Ratsdok. Nr. 4345/91 — (Drucksachen 12/187 Nr. 2.2, 12/311 [Berichtigung], 12/1113) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Einhundertvierzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — (Drucksachen 12/623, 12/1157) 3397 C Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung): Fragestunde — Drucksache 12/1141 vom 13. September 1991 — Vollstreckungshilfevertrag mit dem Königreich Thailand; Betreuung der deutschen Inhaftierten in thailändischen Gefängnissen MdlAnfr 12,13 Jürgen Koppelin FDP Antw StMin Helmut Schäfer AA . 3398C, 3399 A ZusFr Jürgen Koppelin FDP . . . 3398D, 3399 A ZusFr Dr. Hans de With SPD 3399 C Kontrollmöglichkeiten der internationalen Atombehörde (IAEO) im Irak MdlAnfr 15 Klaus Harries CDU/CSU Antw StMin Helmut Schäfer AA 3399 D ZusFr Klaus Harries CDU/CSU 3400 A Hilfe für die Bevölkerung der sowjetischen Republiken bei einer drohenden Hungersnot im Winter; Bedingungen für die Gewährung finanzieller und wirtschaftlicher Hilfe MdlAnfr 16, 17 Gernot Erler SPD Antw StMin Helmut Schäfer AA . 3400B, 3401B ZusFr Gernot Erler SPD . . . . 3400D, 3401B ZusFr Eike Ebert SPD 3401 D IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Intervention gegen die weitere Versteigerung enteigneten sudetendeutschen Immobilienbesitzes durch CSFR-Behörden, insbesondere in Karlsbad MdlAnfr 18 Eike Ebert SPD Antw StMin Helmut Schäfer AA 3402 A ZusFr Eike Ebert SPD 3402 B ZusFr Gernot Erler SPD 3402 C Gespräche von Bundesaußenminister Genscher über die Auslieferung von Erich Honecker bei seinem jüngsten Besuch in Moskau MdlAnfr 20, 21 Dr. Hans de With SPD Antw StMin Helmut Schäfer AA . 3402D, 3403 B ZusFr Dr. Hans de With SPD . . 3402D, 3403 B ZusFr Gernot Erler SPD 3403 C Ausstattung von Bundestag und Bundesbehörden mit Öko-Lampen MdlAnfr 64 Jutta Müller (Völklingen) SPD Antw PStSekr Bernd Schmidbauer BMU . 3403 D ZusFr Jutta Müller (Völklingen) SPD . . . 3404 B Ausklammerung der Beanstandungen der Trinkwasserqualität in den neuen Bundesländern im von Bundesumweltminister Dr. Töpfer vorgelegten Bericht „Sofortprogramm Trinkwasser 1990" ; Bereitstellung der Mittel zur Untersuchung und Sanierung der Trinkwasseraufbereitungs- und versorgungsanlagen MdlAnfr 65, 66 Susanne Kastner SPD Antw PStSekr Bernd Schmidbauer BMU . 3404 C, 3405 A ZusFr Susanne Kastner SPD . . . 3404D, 3405 C Änderung der vom Bundesnachrichtendienst (BND) dem Bundeskanzleramt vorgeschlagenen Antwort auf die Schriftliche Anfrage 1 in Drucksache 11/6737 betr. Unterstützung des ehemaligen DDR-Staatssekretärs Dr. Schalck-Golodkowski bei dessen Flucht aus der DDR durch den BND MdlAnfr 67, 68 Peter Conradi SPD Antw StMin Dr. Lutz G. Stavenhagen BK . 3406C, 3408 C ZusFr Peter Conradi SPD . . . . 3406D, 3408 C ZusFr Friedhelm Julius Beucher SPD 3407A, 3409 B ZusFr Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE 3407 C, 3409 C ZusFr Horst Peter (Kassel) SPD 3407 C ZusFr Wolfgang Roth SPD . . . 3407D, 3409 B ZusFr Dorle Marx SPD 3408 A Information der „beteiligten Stellen" über die „Gesamtdarstellung der BND-Behandlung der Schalck-Golodkowski-Angelegenheit einschließlich der Frage der Personaldokumente"; personelle Konsequenzen aus der falschen Unterrichtung des Bundeskanzleramtes MdlAnfr 69 Horst Peter (Kassel) SPD Antw StMin Dr. Lutz G. Stavenhagen BK . 3409D Tagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 13 zu Petitionen (Abfallbeseitigung) (Drucksache 12/381) . 3409D Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 23 zu Petitionen (Verkehrstarife) (Drucksache 12/809) . . . 3410A Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992 — StÄndG 1992) (Drucksache 12/1108) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 3410 C Ingrid Matthäus-Maier SPD . . 3411A, 3414 D Dr. Norbert Wieczorek SPD 3417 A Wilfried Seibel CDU/CSU 3419B Hans H. Gattermann FDP 3421 C Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 3425 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 3426 C Dr. Theodor Waigel CDU/CSU . . . 3427 C Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste . . . 3429 B Hans H. Gattermann FDP 3431 A Eike Ebert SPD 3434 B Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . . 3435 C Gunnar Uldall CDU/CSU 3437 B Dr. Peter Struck SPD 3437 C Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste 3439 B Hermann Rind FDP 3440 C Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste . . . 3440 D Michael Habermann SPD 3442 C Peter Harald Rauen CDU/CSU 3445 B Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (FGO-Änderungsgesetz) (Drucksache 12/1061) . 3446D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 V Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 8. Oktober 1990 über die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe (Drucksache 12/869) 3447 A Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Transparenz über Reisen des Deutschen Bundestages gegenüber den Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen (Drucksache 12/612 [neu]) Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 3447 C Wolfgang Lüder FDP 3448 A Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Gruppe PDS/ Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rechtsgleichstellung von Homosexualität und Heterosexualität im Strafrecht (Sexualgleichstellungsgesetz) (Drucksache 12/850) Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . . 3448 D Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Gruppe der PDS/Linke Liste Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Stasi-Unterlagen) (Drucksache 12/881) 3450 C Vizepräsidentin Renate Schmidt 3450 B Nächste Sitzung 3450 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3451*A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (Sammelübersicht 13 zu Petitionen — Abfallbeseitigung —) Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 3451*D Horst Peter (Kassel) SPD 3454 B Birgit Hamburger FDP 3454' D Jutta Braband PDS/Linke Liste 3456* A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Sammelübersicht 23 zu Petitionen — Verkehrstarife —) Jürgen Augustinowitz CDU/CSU 3456*D Horst Peter (Kassel) SPD 3457' B Horst Friedrich FDP 3457' D Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 3458* C Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär BMV 3459* A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 11 (Steueränderungsgesetz 1992) Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3459*C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze) Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . . 3461*D Dr. Franz-Hermann Kappes CDU/CSU . . 3463* A Dr. Hans de With SPD 3463' D Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 3464* C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Entwurf eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 8. Oktober 1990 über die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe) Dr. Norbert Rieder CDU/CSU 3465* C Dietmar Schütz SPD 3466' C Reinhard Weis (Stendal) SPD 3467*D Dr. Jürgen Starnick FDP 3469*A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 3470*A Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 3471*A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 14 (Antrag betr. Transparenz über Reisen des Deutschen Bundestages gegenüber den Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen) Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 3471*C Gudrun Weyel SPD 3472*B Wolfgang Lüder FDP 3473* A Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 3473* C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Sexualgleichstellungsgesetz) Horst Eylmann CDU/CSU 3474*B Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 3474* D Jörg van Essen FDP 3475' C Christina Schenk Bündnis 90/GRÜNE . 3476*C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . 3477* A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 16 (Einsetzung eines Untersuchungsausschusses) VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 3478* A Rolf Schwanitz SPD 3479' A Dr. Jürgen Schmieder FDP 3479* D Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 3480*C Ursula Jelpke PDS/Linke Liste 3481* D Anlage 10 Neugestaltung der Politik gegenüber Zaire MdlAnfr 14 — Drs 12/1141 — Ortwin Lowack fraktionslos SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . . 3483* C Anlage 11 Revisionsvorschläge der Bundesregierung an die verbündeten Streitkräfte zum NATOTruppenstatut und zum Zusatzabkommen MdlAnfr 19 — Drs 12/1141 — Ludwig Stiegler SPD SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . . 3483 D Anlage 12 Einführung des Katalysators für dieselbetriebene Pkw und Lkw MdlAnfr 61 — Drs 12/1141 — Klaus Harries CDU/CSU SchrAntw PStSekr Bernd Schmidbauer BMU 3484* A Anlage 13 Einsatz von Altöl und nicht handelsüblichen Brennstoffen in Zementwerken MdlAnfr 62, 63 — Drs 12/1141 — Dr. Peter Paziorek CDU/CSU SchrAntw PStSekr Bernd Schmidbauer BMU 3484* D Anlage 14 Information der „beteiligten Stellen" über die „Gesamtdarstellung der BND-Behandlung der Schalck-Golodkowski-Angelegenheit einschließlich der Frage der Personaldokumente" ; personelle Konsequenzen aus der falschen Unterrichtung des Bundeskanzleramtes MdlAnfr 70 — Drs 12/1141 — Horst Peter (Kassel) SPD SchrAntw StMin Dr. Lutz G. Stavenhagen BK 3484*D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3355 41. Sitzung Bonn, den 19. September 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 9 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 19. 09. 91 * Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 19. 09. 91 Bindig, Rudolf SPD 19. 09. 91* Blunck, Lieselott SPD 19. 09. 91 ' Böhm (Melsungen), CDU/CSU 19. 09. 91* Wilfried Börnsen (Ritterhude), SPD 19. 09. 91 Arne Brandt, Willy SPD 19. 09. 91 Dr. Brecht, Eberhard SPD 19. 09. 91* Büchler (Hof), Hans SPD 19. 09. 91* Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 19. 09. 91* Bulmahn, Edelgard SPD 19. 09. 91 Buwitt, Dankward CDU/CSU 19. 09. 91* Daubertshäuser, Klaus SPD 19. 09. 91 Ehlers, Wolfgang CDU/CSU 19. 09. 91 Dr. Ehmke (Bonn), Horst SPD 19. 09. 91 Dr. Feige, Klaus-Dieter Bündnis 19. 09. 91 90/GRÜNE Feilcke, Jochen CDU/CSU 19. 09. 91* Dr. Feldmann, Olaf FDP 19. 09. 91* Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 19. 09. 91* Gansel, Norbert SPD 19. 09. 91 Gibtner, Horst CDU/CSU 19. 09. 91* Großmann, Achim SPD 19. 09. 91 Günther (Plauen), FDP 19. 09. 91 Joachim Dr. Gysi, Gregor PDS 19. 09. 91 Haack (Extertal), SPD 19. 09. 91 Karl-Hermann Heise, Manfred Harald CDU/CSU 19. 09. 91 Heinrich Hilsberg, Stephan SPD 19. 09. 91 Dr. Holtz, Uwe SPD 19. 09. 91* Iwersen, Gabriele SPD 19. 09. 91 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 19. 09. 91* Kittelmann, Peter CDU/CSU 19. 09. 91* Koltzsch, Rolf SPD 19. 09. 91 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 19. 09. 91 Krause (Dessau), CDU/CSU 19. 09. 91 Wolfgang Kubicki, Wolfgang FDP 19. 09. 91 Lenzer, Christian CDU/CSU 19. 09. 91 ' Dr. Leonhard-Schmid, SPD 19. 09. 91 Elke Lintner, Eduard CDU/CSU 19. 09. 91 Lühr, Uwe FDP 19. 09. 91 Lummer, Heinrich CDU/CSU 19. 09. 91 Dr. Luther, Michael CDU/CSU 19. 09. 91 Männle, Ursula CDU/CSU 19. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 19. 09. 91* Mascher, Ulrike SPD 19. 09. 91* Dr. Meyer zu Bentrup, CDU/CSU 19. 09. 91* Reinhard Abgeordneter) entschuldigt t einschließlich Michels, Meinolf CDU/CSU 19. 09. 91* Dr. Möller, Franz CDU/CSU 19. 09. 91 Molnar, Thomas CDU/CSU 19. 09. 91 Mosdorf, Siegmar SPD 19. 09. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 19. 09. 91 * Nitsch, Johannes CDU/CSU 19. 09. 91 Nolte, Claudia CDU/CSU 19. 09. 91 Opel, Manfred SPD 19. 09. 91** Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 19. 09. 91* Pfuhl, Albert SPD 19. 09. 91 * Dr. Pohler, Hermann CDU/CSU 19. 09. 91 Priebus, Rosemarie CDU/CSU 19. 09. 91 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 19. 09. 91 * Reddemann, Gerhard CDU/CSU 19. 09. 91* Reimann, Manfred SPD 19. 09. 91* Rempe, Walter SPD 19. 09. 91 von Renesse, Margot SPD 19. 09. 91 Sauer (Salzgitter), Helmut CDU/CSU 19. 09. 91 Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 19. 09. 91 von Schmude, Michael CDU/CSU 19. 09. 91* Dr. Schulte (Schwäbisch CDU/CSU 19. 09. 91 Gmünd), Dieter Sielaff, Horst SPD 19. 09. 91 Skowron, Werner H. CDU/CSU 19. 09. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 19. 09. 91* Dr. Sperling, Dietrich SPD 19. 09. 91 Dr. Frhr. von Stetten, CDU/CSU 19. 09. 91 Wolfgang Dr. von Teichman und FDP 19. 09. 91 * Logischen, Cornelie Terborg, Margitta SPD 19. 09. 91* Vogel (Ennepetal), CDU/CSU 19. 09. 91* Friedrich Vosen, Josef SPD 19. 09. 91 Wiechatzek, Gabriele CDU/CSU 19. 09. 91 Zierer, Benno CDU/CSU 19. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (Sammelübersicht 13 zu Petitionen Abfallbeseitigung -) Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Technik und Industrie dienen dem Menschen, aber ihre Entfaltung verbindet sich auch mit bedrohlichen Nebenwirkungen. Die globalen Umweltgefahren zeigen uns die Ambivalenz des Fortschritts, das Janusgesicht der Technik. Die Bürger spüren die schleichende Umweltzerstörung. Es ist gut, wenn sie sich in Initiativen zusam- 3452' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 menschließen, um die Politiker zu zwingen, sich mit den Umweltproblemen zu beschäftigen. Bürger aus Kassel lenken unsere Aufmerksamkeit auf einen Teil der Bedrohung, den lawinenartig ansteigenden Hausmüll. Seit den 50er Jahren hat sich der Umfang des Hausmülls verfünffacht. Er beträgt in der Bundesrepublik zur Zeit etwa 14 Millionen Tonnen im Jahr. Ein Blick in unsere Mülltonne genügt, um die Ursache des Müllberges auszumachen: Verpackungen aller Art. Etwa die Hälfte des Umfangs unseres Hausmülls besteht aus Kartons, Flaschen, Dosen, Kunststoffbeuteln, Styropor-Füllseln usw. 1960 wurden bei uns 1,8 Millionen Tonnen Verpakkungen hergestellt, 1970 waren es bereits 10 Millionen. Marketingstrategien führten zu einer Funktionsänderung von Verpackungen: von der Schutzaufgabe zum Werbeträger. 1990 erzielte die Verpackungsindustrie einen Jahresumsatz von 48 Milliarden DM. Mit jeder Verpackung steigen der Energieverbrauch und die Umweltbelastung. Mit der Energie, die z. B. für die Herstellung von Kunststoff-Joghurtbechern in Deutschland jährlich verbraucht wird, könnten etwa 10 000 Einfamilienhäuser ein Jahr lang beheizt werden. Der gesamte EG-Müllberg beträgt eine Milliarde Tonnen im Jahr. Ein Viertel davon kommt aus Deutschland. Viele Deponien sind randvoll oder werden es in zwei oder drei Jahren sein. Die Bürger wehren sich gegen neue Müllhalden, oft auch gegen die Müllverbrennung. Der Müllexport ist heute ebenfalls keine Lösung mehr. Werden wir also am Müll erstikken? Es sieht fast so aus. Im Jahr 2030 werden 10 Milliarden Menschen auf der Welt leben. Fast alle wünschen sich einen ähnlichen Lebensstandard, wie ihn die Bewohner des reichen Nordens und Westens unserer Erde kennen. Würden sie pro Kopf so viel Müll produzieren wie heute ein Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, so würde das jährlich 400 Milliarden Tonnen festen Abfall bedeuten, ausreichend, um das Saarland mehr als 60 Meter tief zu begraben. Es gibt deshalb eine große strategische Aufgabe: Wir müssen das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch abkoppeln. Wir brauchen eine Mülldiät — durch Abfallvermeidung, Abfallverwertung und ordnungsgemäße Abfallentsorgung. Was die Verwirklichung dieser Zielsetzung angeht, so ist die Bundesrepublik Deutschland weltweit Spitzenreiter. Die Umweltminister Walter Wallmann und — noch mehr — Klaus Töpfer haben innerhalb weniger Jahre einen Rechtsrahmen geschaffen, der trotz des anhaltenden Wirtschaftswachstums schon in wenigen Jahren zu einer deutlichen Entschärfung des Müllproblems führen wird. Frances Cairncross von der britischen Zeitschrift „The Economist" führt dazu aus: „Andere europäische Länder rennen hinter Deutschland her. " In der Tat: Qualität und Tempo der rechtlichen Umsetzung der Koalitionsvereinbarungen zum Thema Abfall sind beeindruckend. Es entsteht ein völlig neuer Ordnungsrahmen für unsere Wirtschaft, wir sind auf dem besten Weg zu einer ökosozialen Marktwirtschaft. Die Bürgerinitiative verweist auf § 14 des Abfallgesetzes, der die Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen zur Durchsetzung der Grundforderungen Abfallvermeidung, Abfallverwertung und ordnungsgemäße Abfallentsorgung ermächtigt. Er verpflichtet die Bundesregierung jedoch auch, der Wirtschaft die Möglichkeit zu geben, vor dem Erlaß von Verordnungen die wesentlichen Ziele der Mülldiät freiwillig zu erreichen. Die erste Verordnung auf der Grundlage des Abfallgesetzes ist die Altölverordnung, die am 1. November 1987 in Kraft trat. Sie trägt entscheidend dazu bei, daß Altöle nicht mehr in den Hausmüll gelangen oder mit Abfällen aus Industrie und Gewerbe vermischt werden. In keinem anderen EG-Staat gibt es eine vergleichbare Regelung. Am 1. Januar 1990 trat ferner eine Verordnung der Bundesregierung zur Rücknahme und Verwertung gebrauchter halogenierter Lösemittel in Kraft. Damit wurde die Praxis beendet, diese Stoffe auf See zu verbrennen. Am 21. Juni 1991 trat die Verpackungsordnung in Kraft, die das wesentliche Anliegen der Bürgerinitiative aus Kassel nach meiner Überzeugung berücksichtigt. Industrie und Handel wird die Rücknahme und Wiederverwendung bzw. stoffliche Verwertung von Verpackungen als Pflicht auferlegt. Der Verbraucher hat das Recht, Verpackungen dem Laden zurückzugeben. Ab 1. Dezember 1991 müssen Industrie und Handel Transportverpackungen zurücknehmen, ab 1. April 1992 Umverpackungen und ab 1. Januar 1993 Verkaufsverpackungen. Diese müssen im Laden oder in dessen unmittelbarer Nähe zurückgenommen werden, um anschließend einer Verwertung zugeführt zu werden. Als zusätzlichen Anreiz für den Verbraucher, Verpackungen wirklich zurückzugeben, wird ebenfalls ab dem 1. Januar 1993 zusätzlich ein Pflichtpfand von 50 Pfennig für Wasch- und Reinigungsmittel- und für alle Einweg-Getränkeverpakkungen erhoben. Ein generelles Verbot von Einwegflaschen wäre nicht EG-vertragsgemäß, da durch ein solches Verbot ausländische Anbieter benachteiligt würden, indem diesen ein unmittelbares Handelshemmnis aufgezwungen würde. Der Einweg ist auch ohne Verbot ein Weg, dessen Ende in Sicht ist. Statt „ex und hopp" nun „ex und stop". Es ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung in erster Linie nicht mit Verboten und Geboten ihre Umweltziele verfolgt, sondern mit Anreizen bzw. finanziellen Zusatzbelastungen. Dadurch wird ein Steuerungseffekt ausgeübt, der der Wirtschaft die Möglichkeit zur Anpassung vor allem durch die Entwicklung neuer Produkte, Produktionsverfahren und Entsorgungstechniken gibt. Die Verpackungsverordnung gibt der Wirtschaft die Möglichkeit, durch verbraucherfreundliche Erfassungssysteme die Rücknahme-und Pfandpflicht am Laden zu ersetzen. Allerdings muß gewährleistet sein, daß die Zielsetzung der Verpackungsverordnung auch wirklich erfüllt wird. Deshalb hat die Bundesregierung festgelegt, daß ab 1. Januar 1993 bis zum 30. Juni 1995 jährlich mindestens 50 % aller Verpackungen durch ein solches System Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3453 erfaßt werden müssen. Danach beträgt die Quote mindestens 80 %, und zwar nicht mehr auf die Verpakkungsmenge insgesamt, sondern auf jeden einzelnen Rohstoff bezogen. Ab 1. Juli 1995 müssen bestimmte Sortierungsquoten erreicht werden: Für Glas, Weißblech und Aluminium betragen sie 90 %, für die übrigen Verpackungen jeweils 80 %. Alle aussortierten Wertstoffe müssen stofflich verwertet werden. Die Verbrennung von Verpackungswertstoffen wird ausgeschlossen. Ferner ist festgelegt, daß der Mehrweganteil bei Getränkeverpackungen nicht unter den heutigen Anteil von 72 % sinken darf. Um diese Anforderungen zu erreichen, muß die Wirtschaft große Anstrengungen auf sich nehmen. Von Flensburg bis Passau müssen Holsysteme organisiert werden oder flächendeckend Sammelcontainer aufgestellt werden. Über 400 Firmen haben sich zum „Dualen System Deutschland (DSD) " zusammengeschlossen, um dieses gewaltige Verfahren zu organisieren. Ihr Ziel ist es, einen „Meilenstein in der Geschichte unserer Industriegesellschaft" zu setzen. Sie will „Abfallvermeidung ohne Verarmung der Sortimentsvielfalt, ohne Gängelung der Verbraucher, ohne Diskriminierung von kleinen und mittleren Handelsunternehmen und ohne Einrichtung von Handelsbarrieren im europäischen Markt" organisieren. Die Teilnehmer am dualen System erhalten das Privileg, ihre Verpackungen mit einem grünen Punkt zu kennzeichnen. Damit wird dem Verbraucher signalisiert, welche Produkte von welchen Unternehmen sich an dem umweltfreundlichen dualen System beteiligen. Wer nicht mitmacht, den kann der Verbraucher bestrafen. Er läßt die Ware im Regal liegen. Die Einwohner von Potsdam werden die Pioniere beim Einstieg in die Verwertungsgesellschaft sein. Hier sollen erste Erfahrungen mit dem Recyclingsystem gesammelt werden. Insgesamt werden für die Stadt 300 Stationen mit je 5 und 300 Kilogramm fassenden Containern für Glas und Papier sowie für Metall, Kunststoff und Verbundstoffe bereitstehen. Wir werden ein Volk von Vorsortierern und Sammlern. Den Rahmen für freiwillige Vereinbarungen zu setzen und damit der Wirtschaft Spielräume für eigene Entscheidungen und branchengerechte Anpassung zu ermöglichen hat die Politik der Koalition auch in anderen Bereichen geprägt. Am 9. September 1989 kam es zu einer freiwilligen Selbstbindung der Batterie-Industrie und des Handels zur Reduzierung des Quecksilbergehalts in Batterien sowie zur Zurücknahme und Verwertung schadstoffhaltiger Batterien. Diese Vereinbarung bewirkte eine drastische Verringerung der Schwermetallgehalte bereits an der „Quelle" und hat wegen der Rückgabemöglichkeit bereits jetzt zu einer deutlichen Senkung des Quecksilbereintrags in den Hausmüll geführt. Es gibt weitere ähnliche Vereinbarungen, z. B. zwischen dem Bundesumweltminister und dem Verband der chemischen Industrie vom 30. Mai 1990. Darin haben sich die FCKW-Hersteller verpflichtet, die bei der Entsorgung von Kühlschränken und Klimageräten anfallende FCKW-haltige Kältehöhle zurückzunehmen, aufzuarbeiten oder einer ordnungsgemäßen Entsorgung zuzuführen. Für die nahe Zukunft sind weitere Verordnungen geplant. Wir alle sollten Bundesminister Töpfer bei seinem Vorhaben unterstützen, die Rücknahmepflicht für Altautos anzustreben. Sie ist als Teil einer neuen Produktverantwortung von großer Bedeutung. Die Produktion von Gütern, ihre Verteilung, ihr Ge- und Verbrauch sowie die stoffliche Verwertung oder umweltverträgliche Entsorgung sind als geschlossenes System zu verstehen. Wir müssen lernen, vom Abfall her zu denken, also bereits beim Produzieren ans Entsorgen zu denken. Volkswagen ist das erste deutsche Unternehmen, das jetzt freiwillig angekündigt hat, Altautos zurückzunehmen. Auch die Berufung des Umweltexperten Professor Steger in den Vorstand von VW zeigt den Bewußtseinswandel in unserer Wirtschaft. Immer mehr Unternehmen erkennen, daß sie sich Marktvorteile verschaffen können, wenn sie umweltbewußt handeln. In immer mehr Unternehmen werden heute bereits bei der Planung eines Produktes Vermeidungs- und Verwertungsaspekte berücksichtigt, wird nach Möglichkeiten zur Energieeinsparung gesucht und wird der Schadstoffausstoß reduziert. Ökobilanzen und Stoffkreisläufe setzen sich durch. Solch ökologisches Verantwortungsbewußtsein zu fördern und verantwortungsloses Handeln gegenüber der Umwelt zu erschweren — darin liegt ein besserer Weg als in der Verbotsmethode. Ökologie kann letztlich nur mit Hilfe der Ökonomie wirklich durchgesetzt werden. Wir brauchen die große Kraft und Phantasie von Wirtschaft und Technik, um die Umweltgefahren unserer Zeit zu bannen. Ich unterstütze deshalb die Bundesregierung nachhaltig bei ihrem Vorhaben, durch eine Abfallabgabe im Rahmen eines Abfallabgabengesetzes weitere Anreize zur Abfallvermeidung zu schaffen und Eigeninitiative und Innovationskraft der Wirtschaft zu stärken. Die von der Koalition geplante Abfallabgabe ist zugleich umweltfreundlich und wirtschaftsverträglich. Sie dient nicht dazu, dem Staat eine neue Einnahmequelle zu erschließen, sondern fließt den Bundesländern zur Förderung von Vermeidungs- und Verwertungsstrategien sowie der Altlastensanierung zu. Der Einwand, daß die Konkurrenzfähigkeit deutscher Produkte auf dem Weltmarkt unter zusätzlichen Belastungen nicht leiden dürfe, ist ernst zu nehmen. Es ist deshalb darauf hinzuwirken, daß die weitgehenden deutschen Bestimmungen in ganz Europa und schließlich in der ganzen industrialisierten Welt schrittweise zur Anwendung gebracht werden. In einer Übergangszeit mag es gewisse Nachteile für die Wirtschaft geben. Auf mittlere und erst recht auf lange Sicht wird sich aber aus unserer konsequenten Umweltrahmenpolitik ein Wettbewerbsvorteil entwikkeln. Unsere Unternehmen werden durch den Rahmen gezwungen, Energie zu sparen und neue Technologien zu entwickeln. Damit werden sie schon bald an der Spitze stehen, umweltfreundliche Technologien werden überall auf der Welt verlangt, ein riesiger Exportmarkt. Bereits heute sind durch den Umweltschutz Millionen neuer Arbeitsplätze entstanden, z. B. in den Vereinigten Staaten arbeiten heute bereits mehr Menschen in der Wiederverwertung als im Kohlebergbau. Hanskarl Willms vom BDE — Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft — hat darauf hingewiesen, daß allein in der Entsorgungsindustrie heute 1000 Unternehmen mit 100 000 Beschäftigten arbeiten, die etwa 14 Milliarden DM im 3454 * Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 laufenden Jahr erwirtschaften. Mit seiner Verpakkungsverordnung habe Klaus Töpfer eine „Investitionslawine" losgetreten. Allein für die Aufbereitung der gebrauchten Verpackungen aus Aluminium müßten 5 neue Anlagen errichtet werden. Diejenigen Unternehmer sind gut beraten, die die neuen großen Märkte für Umwelttechnologien frühzeitig erkennen und Konsequenzen daraus ziehen. Man kann immer argumentieren, all diese Anstrengungen und Erfolge reichten noch nicht. Aber es ist leichter, über Umweltschutz zu reden und großartige Forderungen aufzustellen, als sie in der Praxis durchzusetzen. Daß es auch andere Parteien damit nicht immer leicht haben, beweist ein Flugblatt der Arbeitsgemeinschaft Giftmüll im „Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e. V. ". Dort wird der Entwurf des niedersächsischen Abf allgesetzes scharf kritisiert und festgestellt: „Die beabsichtigte Novellierung des Abfallgesetzes des Bundes geht weit über den von der Koalition SPD/Die Grünen in Niedersachsen vorgelegten Entwurf hinaus." Ein besseres Kompliment für ihre Mülldiät-Politik von unverdächtiger Seite kann sich die CDU/CSU- und FDP-geführte Regierung nicht vorstellen! Im Jahr 2000 soll in Hannover die Weltausstellung unter dem Motto „Mensch, Natur, Technik" stattfinden. Sie soll zeigen, wie Natur und Technik, wie Ökologie und Ökonomie versöhnt werden können. Sie könnte als Kristallisationspunkt für das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft im internationalen Maßstab dienen. Umweltschutz gegen Technik und Wirtschaft zu betreiben, dieser Versuch wird scheitern. Es geht um wirtschaftsverträglichen Umweltschutz, denn nur der ist bei seiner Konkretisierung wirklich mehrheitsfähig. Horst Peter (Kassel) (SPD): Den Petenten, rund 250 Bürgerinnen und Bürgern aus Kassel, die sich bei der Vermeidung von Abfällen selbst engagieren, geht es darum, zur Verringerung des Abfallaufkommens Maßnahmen nach § 14 Abfallgesetz anzuregen, insbesondere die Abfallmenge durch Verbote, beispielsweise von Einwegpackungen, schon beim Hersteller zu verringern. Die SPD-Fraktion macht sich das Anliegen der Petenten zu eigen und fordert den Deutschen Bundestag auf, die Petition zur Berücksichtigung an die Bundesregierung zu überweisen. Wir tun das deshalb, weil nach unserer Auffassung — auch nach den Verbesserungen durch den Bundesrat — die Verordnung über die Vermeidung von Verpackungsabfällen mit dem Konzept einer Dualen Abfallwirtschaft den Erfordernissen der Abfallvermeidung nicht gerecht wird. Wir bleiben dabei: Da über die Hälfte des Hausmülls und ein beträchtlicher Teil des Gewerbemülls bereits aus Verpackungsmaterialien bestehen, muß das Ziel sein, überflüssige Verpackungen gar nicht mehr auf den Markt zu bringen. Deshalb fordern wir im Einklang mit den Petenten: — Verbot überflüssiger Verpackungen, insbesondere aus Kunststoff; — Erhebung einer Einwegabgabe — soweit Verbote nicht möglich sind — , um die Einwegflasche oder -dose gegenüber dem Mehrwegbehälter zu verteuern; — klare Kennzeichnungsvorschriften zur Information des Verbrauchers; — flächendeckenden Ausbau vorhandener Recyclingsysteme; — Verbot schadstoffhaltiger Verpackungsmaterialien, beispielsweise aus PVC. Demgegenüber ist das Duale System ein teurer Umweg und spart keine einzige Verpackung ein. Die Ursachen liegen auf der Hand: — Es erzeugt keinen Vermeidungsdruck. — Es begünstigt die Einwegbehälter, insbesondere im Getränkebereich, weil im Gegensatz zur Mehrwegflasche kein Pfand dafür bezahlt werden muß. — Es wird dazu führen, daß das Mehrwegsystem weiter schrumpft, statt gestärkt zu werden. — Es wiegt den Verbraucher in der Illusion, er verhalte sich beim Kauf von Waren mit dem grünen Punkt umweltfreundlich, während er in Wahrheit die Abfallberge stabilisiert oder sogar noch erhöht. — Es erfordert ein doppeltes Entsorgungssystem: Neben dem kommunalen Mülleimer müßte in Zukunft noch der Industriemülleimer stehen. — Es bringt bestehende kommunale Bringsysteme wie Containersammelanlagen in Gefahr. — Die Entsorgungswege des Dualen Systems sind nicht kontrollierbar: Was wird wirklich verwertet, was wandert in die Verbrennung, was wird exportiert und zu welchem Zweck? — Erste Erfahrungen mit dem Dualen System bestätigen diese Befürchtungen. Die Verpackungsverordnung vom 12. Juni 1991 gerät im Zusammenwirken mit der Dualen Abfallwirtschaft zur Mogelpackung. So bleibt die Petition der Bürgerinnen und Bürger aus Kassel weiter aktuell und wird durch die vielfältige Kritik aus Verbraucher- und Umweltverbänden, aus Ländern und Gemeinden gestützt. Insbesondere sei auf die vielfältige Kritik aus den neuen Bundesländern hingewiesen, wo durch das Sero-System ein entwickeltes Bewußtsein für die Problematik der Abfallvermeidung und -verwertung entstanden ist. So wurde der Arbeitsgruppe Petitionen während einer Delegationsreise nach Halle in dieser Woche eindrucksvoll vermittelt, wie kontraproduktiv sich die gegenwärtige Linie des Bundesumweltministers für Gemeinden auswirkt, die Abfallvermeidung und -verwertung zum Herzstück ihres Abfallkonzeptes machen wollen. Deshalb bitte ich Sie nochmals, unseren Berücksichtigungsantrag anzunehmen. Birgit Homburger (FDP): Die Petition der Bürgerinnen und Bürger aus Kassel an den Bundestag, die wir heute zu besprechen haben, fordert Verbote — z. B. von Einwegverpackungen —, die zur Vermeidung von Verpackungsmüll schon beim Hersteller beitra- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3455* gen sollen. Die Petenten fordern den Bundestag und die Bundesregierung auf, in ihrem Sinne auf der Grundlage des § 14 des Abfallgesetzes zu handeln. In der Tat bietet der § 14 des Abfallgesetzes eine Palette von Handlungsmöglichkeiten, wobei Verbote nur eine Möglichkeit unter vielen darstellen. Die entsprechende Stelle des § 14 Abs. 1 Ñr. 4 lautet: Die Bundesregierung wird ermächtigt, ... zu bestimmen, daß bestimmte Erzeugnisse nur in bestimmter Beschaffenheit, für bestimmte Verwendungen, bei denen eine ordnungsgemäße Entsorgung der anfallenden Abfälle gewährleistet ist, oder überhaupt nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn bei ihrer Entsorgung die Freisetzung schädlicher Stoffe nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verhindert werden könnte. An der notwendigen Reduzierung des heutigen Abfallaufkommens besteht kein Zweifel, da der Deponieraum in der BRD nach derzeitigem Kenntnisstand noch etwa zwei bis fünf Jahre ausreicht. Am Hausmüllaufkommen von jährlich 14 Millionen Tonnen — 1987: 20 Millionen Tonnen — sind die Verpackungen mit einem Mengenanteil von 28 % und volumenmäßig zur Hälfte beteiligt. Im Bereich der Abfallwirtschaft ist die zu entsorgende Hausmüllmenge u. a. nur durch eine umweltverträglichere Gestaltung und Handhabung der Verpackung zu senken. Primär von Bedeutung ist die Vermeidung von Verpackungsabfällen. In diesem Ziel sieht die FDP sich mit den Petenten einig. Darüber hinaus kommen der verwertungsgerechten Gestaltung und der Wiederverwertbarkeit große Bedeutung zu. Schon lange hat die FDP in ihrem ökologischen Programm festgelegt, daß die Zielhierarchie „Vermeidung bis zu einem Mindestmaß, umweltfreundliche stoffliche Verwertung als Rohstoff- und Energieeinsparungsmöglichkeit sowie Emissionsreduzierung gegenüber der thermischen Verwertung" klar definiert sein muß. Für diese Legislaturperiode ist aufgrund der Erfahrungen, besonders mit § 14 des Abfallgesetzes, seit der letzten Novellierung des Abfallgesetzes 1986 eine umfassende Novellierung vorgesehen. Schwerpunkt dieses Gesetzgebungsvorhabens ist u. a., ein vorrangiges Vermeidungsgebot zur Rückführung des Verpackungsübermaßes und zur Stabilisierung und Entwicklung von Mehrwegsystemen sowie eine Rückgabe- und Pfandpflicht und ein Verbot besonders problematischer Stoffe und Produkte festzulegen. Die FDP begrüßt die Verpackungsverordnung des BMU und die von der Wirtschaft eingeleiteten Maßnahmen zur Einführung privater Entsorgungssysteme. Die Verpackungsverordnung sieht vor, daß auf Seiten der Anbieter zur Vermeidung und Verringerung des heutigen Verpackungsaufkommens u. a. folgende Maßnahmen zu treffen sind, die von der FDP schon lange gefordert wurden: erstens, Volumen- und Gewichtsbeschränkungen auf das zur Vermarktung notwendige Maß; zweitens, Verpackungen müssen so gestaltet sein, daß sie wiederbefüllt werden können; drittens, Garantie der stofflichen Wiederverwertung. Darüberhinaus fordert die FDP: erstens, umweltgefährdende Produkte schrittweise aus dem Verkehr zu ziehen; zweites, nur Verpackungen auf den Markt zu bringen, die mehrfach wiederverwendbar sind; drittens, Produkte von vornherein aus gleichen Stoffen herzustellen; viertens, Verpackungen und Verbrauchsgüter nach Art der Verwendbarkeit zu kennzeichnen; fünftens, Konzeptionen zur Wiederverwertung (Mehrwegsystem) zu unterstützen. Der zeitliche Rahmen der neuen Verpackungsverordnung sieht folgendermaßen aus: Erstens. Ab dem 1. Dezember 1991 müssen Erzeuger und Vertreiber Transportverpackungen zurücknehmen und verwerten. Zweitens. Ab dem 1. April 1992 hat der Käufer das Recht, Umverpackungen im Laden zu lassen. Drittens. Ab dem 1. Januar 1993 muß der Handel Verkaufsverpackungen zurücknehmen und verwerten. Viertens. Ab dem 1. Januar 1993 wird ein Pflichtpfand von 0,50 DM bei Getränkeeinwegverpackungen, Verpackungen für Wasch- und Reinigungsmittel und Verpackungen für Dispersionsfarben eingeführt. Die Rücknahme- und Pfandpflichten der neuen Verordnung führten schon im Vorfeld der Verhandlungen zu heftigen Protesten, besonders des Einzelhandels. Deshalb haben sich bereits im vergangenen Jahr Teile der deutschen Wirtschaft zu der Dualen System Deutschland GmbH (DSD) zusammengeschlossen, um über die Errichtung eines zweiten Abfallsystems die für den Einzelhandel unangenehmen Folgen zu vermeiden. Auf der Basis von privatwirtschaftlicher Organisation sollen die in den Umlauf gebrachten Verpackungen vollständig abgenommen und dem Recycling zugeführt werden. Die Verordnung sieht die Einhaltung bestimmter Sortierungsquoten als Bedingung der Alternativlösung vor: Erfassung von 50 % aller Verpackungen bis zum 30. Juni 1995 und die Erfassung von 80 % jedes Rohstoffs — Glas, Papier, Metalle, Kunststoffe — ab dem 1. Januar 1995. Es ist traurig, daß die Unternehmen erst dann bereit waren, sich umweltgerechter zu verhalten, als der Umweltminister mit der Einführung einer Verpakkungsverordnung drohte. Trotz des Angebots der DSD GmbH ist die Verpackungsverordnung gleichwohl notwendig. Sie gibt die Mindestbedingungen vor, wenn das System der Unternehmen, die Duale Abfallwirtschaft, nicht so, wie erhofft, funktionieren sollte. Wir müssen weiterhin die Entwicklung des Dualen Systems abwarten und kritisch begleiten. Allerdings erhofft sich die FDP erhebliche Lenkungswirkung hinsichtlich der Vermeidung von Verpackungsabfällen davon, daß die Produzenten nun selber die Entsorgung des Verpackungsabfalls übernehmen müssen, wodurch ihnen erhebliche Kosten entstehen. Sie werden gezwungen, darüber nachzudenken, ob nicht durch Weglassen überflüssiger Ver- 3456* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 packung bzw. entsprechender umweltfreundlicher Gestaltung diese Kosten verhindert werden können. Weitere Möglichkeiten zur Abfallverringerung in bezug auf Verpackungen bietet das neue Abfallabgabengesetz. Dabei sollen primär die Verursacher von Abfällen zur Verantwortung gezogen werden. Die Kosten der Abfallentsorgung sind unmittelbar vom Abfallerzeuger selber zu tragen. Von der Abfallabgabe werden auch im Bereich des Hausmülls vermeidungsund verwertungsfördernde Lenkungseffekte erhofft. Ziel der FDP ist es, eine Reduzierung des Müllaufkommens und gleichzeitig eine Reduzierung der Schadstoffhaltigkeit zu erreichen. Die FDP ist der Meinung, daß das Ziel über marktwirtschaftliche Steuerungsinstrumente besser erreicht werden kann als über Verbote. Denn das geforderte generelle Verbot der Einwegverpackung bedeutet einen zusätzlichen Eingriff in bestehende wirtschaftliche Strukturen und führt auf lange Sicht beim Verbraucher nicht zum gewünschten umweltbewußten Handeln, während unser Modell in der Lage ist, auch Umdenkprozesse zu fördern. Jutta Braband (PDS/Linke Liste): Vernünftige Abfallpolitik läßt sich auf einen kurzen Nenner bringen: Müll vermeiden und verwerten — statt vergraben und verbrennen. Angesichts der ungeheuren Müllflut und des immer knapper werdenden Deponieraums ist also der Müllvermeidung höchste Priorität einzuräumen. In der vorliegenden Petition werden Bundestag und Bundesregierung aufgefordert, hierzu geeignete gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen. Dem kann sich die PDS/Linke Liste im Bundestag nur anschließen. Es muß jedoch besonders betont werden, daß Müllvermeidung schon beim Herstellen von Produkten anfangen muß. Die Bundesregierung feiert die am 8. Mai 1991 im Kabinett beschlossene Verpackungsverordnung und das daraus resultierende sogenannte duale System bereits als Erfolg. Doch in Richtung Müllvermeidung ist nichts geschehen — im Gegenteil: Durch den „Grünen Punkt" erhält die Getränkedose — und sie ist wohl das eindringlichste Symbol der Wegwerfgesellschaft — vermeintlich ökologische Weihen. Da nutzen die vollmundigen Appelle Töpfers auf der „Entsorga" wenig. Es bleibt wohl dabei, daß in der Verpackungswirtschaft jährlich 100 000 Tonnen Aluminium eingesetzt werden — und das bei einem Aufwand von 14 000 Kilowattstunden Energie, die zur Herstellung einer Tonne Primäraluminium nötig sind. Lassen Sie mich zur Kritik des dualen Systems noch drei kompetente Stimmen zitieren: Erstens. Hubert Weinzierl, der Vorsitzende des BUND: Das DSD ist der letzte Versuch der Verpackungsindustrie, die Ex- und -hopp-Kultur ins nächste Jahrtausend zu retten. Zweitens. Das Ökoinstitut Darmstadt: DSD ist lediglich die Umlenkung der Abfallströme von der öffentlichen Deponierung und Verbrennung in private Anlagen der Industrie. Umweltbeeinträchtigungen werden nicht vermindert. Drittens schließlich das Ökoinstitut Freiburg: Die Zustimmung der Wirtschaft wurde erkauft mit zahlreichen Zugeständnissen, die die Verpakkungsverordnung als stumpfes, inadäquates, ja sogar kontraproduktives Mittel erscheinen lassen. Dem ist nichts hinzuzufügen. Was wir brauchen, ist nicht fragwürdiges Recycling, sondern der konsequente Aufbau und die konsequente Förderung von Mehrwegsystemen. Hier können wir uns den Forderungen des Bundesverbandes „Das bessere Müllkonzept" nur anschließen: Festlegung von Mehrwegquoten, Verbot gefährlicher Verpackungen wie PVC, Einführung einer Verpackungsabgabe, die sich auf Produktion, Produktionsverfahren und Produktionsabfälle bezieht. Und schließlich: Setzen wir bei Produktion und beim Verbrauch auf langlebige, reparaturfreundliche und wiederverwertbare Produkte. Abfall darf nicht zum reinen Wirtschaftsgut werden — der beste Müll ist der, der gar nicht erst entsteht. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Sammelübersicht 23 zu Petitionen — Verkehrstarife —) Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Die mit über 100 000 Unterschriften unterstützte Sammeleingabe des Verkehrsclubs der Bundesrepublik Deutschland zur Einführung eines Halbpreis-Passes bei der Deutschen Bundesbahn halte ich grundsätzlich für ein überlegenswertes Anliegen. Angesichts der einschneidend veränderten verkehrspolitischen Situation in Deutschland und in Anbetracht des enorm gewachsenen und weiterhin anwachsenden Verkehrs ist eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene dringend erforderlich. Daher sollten wir für alle Überlegungen offen sein, die die Attraktivität der umweltfreundlichen Bahn steigern könnten. Die Zusammenlegung der Deutschen Bundesbahn mit der Deutschen Reichsbahn gibt eine gute Gelegenheit zur grundlegenden Umgestaltung des Tarifsystems. Die Umstellung des Tarifsystems muß dabei auf die Wünsche der Kunden eingehen, aber natürlich auch die finanzielle Machbarkeit berücksichtigen. Im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages haben ja bereits entsprechende, umfassende Beratungen stattgefunden. Der Einführung eines Halbpreis-Passes könnte bei der Veränderung des Tarifsystems eine besondere Bedeutung zukommen. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß diese Vergünstigungen je nach Ausgestaltung zu teilweise erheblichen Mindereinnah- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3457* men bei der Deutschen Bundesbahn führen würden. Es ist zwar bei der Einführung eines solchen Angebotes mit einem entsprechenden Mehrverkehr und damit mit zusätzlichen Einnahmen zu rechnen, diese können jedoch die entstehenden Mindereinnahmen nicht kompensieren. Der Bundesminister für Verkehr verweist in diesem Zusammenhang auf eine Untersuchung, die die Deutsche Bundesbahn zur Bewertung des Vorschlages der Petentin in Auftrag gegeben hatte. Danach sei bei einem Kaufpreis von DM 100 mit Ertragsverlusten zwischen 96 Millionen und 159 Millionen DM, bei einem Paßpreis von 200 DM mit 26 Millionen bis 40 Millionen DM zu rechnen. Diese Mindereinnahmen müßten durch Ausgleichszahlungen des Bundes an die Deutsche Bundesbahn kompensiert werden. Im Bundeshaushalt ist aber kein Spielraum für ausgabenerhöhende Entscheidungen. Es muß in allen Politikbereichen akzeptiert werden, daß die wirtschaftliche Stabilität unseres Landes in den nächsten Jahren nur durch eine strikte Ausgabendisziplin bewahrt werden kann. Trotzdem gibt es im Verkehrshaushalt erfreuliche Tendenzen, den Verkehrsträger Bahn in Zukunft deutlicher als bisher finanziell zu fördern. In einem Gesamtkonzept zur Sanierung der Deutschen Bundesbahn könnten Anregungen zur tariflichen Neuorientierung — wie die des Verkehrsclubs der Bundesrepublik Deutschland — aufgegriffen und durch gesetzgeberische Initiativen unterstützt werden. Die Eingabe den Fraktionen zur Kenntnis zu geben, ermöglicht es, das Anliegen auch in eine breitere politische Diskussion einzubringen. In den verschiedenen Arbeitskreisen und -gruppen der Fraktionen besteht dann die Möglichkeit, zu prüfen, inwieweit die Vorschläge in ein umfassendes Bahngesamtkonzept, das auch die Forderungen des Umwelt- und Naturschutzes einschließt, aufgenommen werden könnten. Ich meine, wir sollten entsprechend verfahren. Horst Peter (Kassel) (SPD): Der Verkehrsclub der Bundesrepublik Deutschland verfolgt mit der eingereichten Sammelpetition das Ziel einer Einführung des sogenannten Halbpreispaß-Angebots bei der Deutschen Bundesbahn. Der Halbpreispaß sollte so gestaltet sein, daß er alle Altersstufen erfaßt und der Maximalpreis 200, — DM beträgt. Damit können alle Fahrkarten ein Jahr lang zum halben Preis gekauft werden. Mitfahrer zahlen die Hälfte, sind sie im Besitz eines Halbpreispasses ein Viertel des Normalpreises. Innerhalb des Bundesgebietes gilt ein Maximalpreis für Rückfahrkarten mit Halbpreispaß von 90, — DM. Für Monatskarten im Nahverkehr beträgt der Maximalpreis mit Halbpreispaß 50, — DM. Die Halbpreispässe, die Mitfahrerermäßigungen und die Höchstpreise gelten an allen Tagen, in allen Zügen und für alle Entfernungen. Die Petenten verweisen auf das bestehende Schweizer Modell und dessen Erfolge. Sie haben in Bonn in einer Anhörung zu ihrer Petition der Öffentlichkeit und damit auch allen Abgeordneten die Chance zu umfassender Information gegeben. Um so mehr ist zu bedauern, daß die Regierungsfraktionen im Ausschuß nicht bereit waren, in eine ernsthafte Auseinandersetzung über den Vorschlag einzutreten. Angesichts der direkten und indirekten Förderung des Individualverkehrs durch den Bund ist die Verweigerung der Bürgschaft für Einnahmeausfälle durch den Bund als negative Programmaussage gegen den umweltfreundlichen Schienenverkehr zu werten, was angesichts der Struktur der gegenwärtigen Verkehrspolitik und der begrenzten Sicht des Verkehrsministers nicht überrascht. Daß der Ansatz des Verkehrsclubs der Bundesrepublik Deutschland auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stößt, zeigt allein die Tatsache, daß mehr als 100 000 Bürgerinnen und Bürger die Petition mit ihrer Unterschrift unterstützt haben. Wir wollen mit unserem Antrag, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, erreichen, daß die Bundesregierung in ihrer in der letzten Legislaturperiode gegenüber dem Abgeordneten Kretkowski zum Ausdruck gebrachten Bitte, von der Deutschen Bundesbahn ein Paßmodell für jedermann entwickeln zu lassen, das sowohl marktfähig sei als auch den kapazitätsmäßigen Möglichkeiten gerecht werde (Antwort des Staatssekretärs Dr. Knittel vom 21. November 1989, Drucksache 11/5824), bestärkt wird. Besonders begrüße ich in diesem Zusammenhang, daß die Länder Hessen und Niedersachsen die Einführung eines Halbpreispasses bei der Bahn angestoßen haben und damit bei der Deutschen Bundesbahn durchaus auf Interesse gestoßen sein sollen. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag auf Berücksichtigung zuzustimmen. Horst Friedrich (FDP): Es ist eine glückliche Termingestaltung, daß unsere heutige Debatte einen Tag nach einer Sitzung des Verkehrsausschusses erfolgt, in welcher der neue Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Bahnen, also der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn, Heinz Dürr, einen Bericht über die gegenwärtige Lage und die künftige Entwicklung der Bahn gegeben hat. Ich will hier nicht alle Einzelheiten der Diskussion wiedergeben, möchte allerdings zur Information kurz einige Highlights darstellen. Die wirtschaftliche Entwicklung der DB (für die Deutsche Reichsbahn liegen gesicherte Zahlen noch nicht vor, zumindest keine vergleichbaren) im Jahre 1991 ist weiterhin durch die schlechte Ertragskraft des Unternehmens gekennzeichnet. Durch steigende Leistungen im Personen- und Güterverkehr werden zwar Mehrerlöse in Höhe von ca. 300 Millionen DM erwartet, diese werden aber um ca. 600 Millionen DM durch den Anstieg der betrieblichen Aufwendungen übertroffen. Da zusätzlich auch der Zinsaufwand um rund 300 Millionen DM zunehmen wird, ist mit einem gegenüber dem Jahr 1990 um rund 900 Millionen DM schlechteren Jahresergebnis von voraussichtlich rund 6 Milliarden DM zu rechnen, das allerdings durch einen einmaligen außerordentlichen Ertrag von 420 3458* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Millionen auf rund 5,5 Milliarden DM gemildert wird. Um es zu vereinfachen: Der tägliche Verlust der Bahn (Deutsche Bundesbahn) beträgt derzeit 20 Millionen DM. — Sie haben richtig gehört: täglich! Zur Beseitigung dieser Mißstände unterhalten wir uns in diesen Tagen — auch das ist kein Geheimnis — über die Möglichkeiten einer durchgreifenden, wirkungsvollen großen Bahnstrukturreform. Vor diesem Hintergrund ist der Antrag des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) dahin gehend zu untersuchen, ob er und gegebenenfalls wie er dazu beitragen kann, das wirtschaftliche Ergebnis der Bahn zu verbessern, nicht, dieses durch die vorgeschlagenen Maßnahmen weiter zu verschlechtern. Selbst der VCD unterstellt in seinem Antrag, daß ein Halbpreispaß mit limitierter Preisobergrenze (90 DM bei Paßinhabern in ganz Deutschland — unabhängig von der Entfernung, 180 DM bei Nichtpaßinhabern) nicht dazu führt, daß mehr Ertrag in die Kassen der Bundesbahn fließt. Angesichts dieser Tatsache fordert auch der VCD — weil er die Maßnahme politisch ja dann nicht umsetzen muß — eine Ausgleichspflicht des Bundes, insbesondere durch Einführung neuer Verkehrsabgaben bzw. eine weitere Erhöhung der Mineralölsteuer. Beides ist im Interesse sowohl des Steuerzahlers als auch im Hinblick auf die Wettbewerbsbedingungen des gemeinsamen europäischen Marktes eine schwere Hypothek, die von der FDP in dieser Form nicht mitgetragen werden kann. Hinzu kommt, daß selbst im vom VCD zitierten Modelland, der Schweiz, sich das Betriebsergebnis der Schweizer Bundesbahnen trotz Ertragssteigerung von 13 % verschlechtert hat. Daß das Modell Schweiz wegen der unterschiedlichen Größe der Schweiz und der anderen Struktur der Bahnen und der Märkte in der Schweiz nicht auf das Gebiet von Deutschland übertragen werden kann, macht die ganze Sache nicht einfacher. Wenn vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten Wirtschaftssituation der Bahn eine vom Bundesminister für Verkehr in Auftrag gegebene Untersuchung ergibt, daß die Deutsche Bundesbahn bei der Bewertung des Vorschlags des VCD bei einem Paß-preis von 100 DM mit Ertragsverlusten zwischen 96 und 159 Millionen DM zu rechnen hat und bei einem doppelten Paßpreis noch mit Verlusten von 26 bis 40 Millionen DM, dann ist ein wirtschaftlich abgesichertes und somit kommerziell vertretbares Paßmodell mit einer Ermäßigung von 50 To nicht zu realisieren. Die Zahlen verdeutlichen andererseits auch, daß eine Politik, die ausschließlich über den Preis Steigerungen der Beförderungszahlen zu erzielen versucht, nicht geeignet ist, die eigentliche Problemlösung der Bahn zu sein. Was wir brauchen — und das hat die FDP seit 1983 oft genug und hinlänglich gefordert — , ist eine Strukturreform der Bahn an Haupt und Gliedern, und zwar in dieser Legislaturperiode. Es muß gelingen, den unseligen Zielkonflikt zwischen der Behördenstrukturvorgabe des Grundgesetzes mit der allgemeinen Beförderungspflicht und dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Bahngesetz aufzulösen; denn dieser Spagat führt die Bahn immer mehr in rote Zahlen. Wir brauchen weiterhin eine völlige Neugestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs in der Richtung, daß sowohl die Verantwortung als auch die Finanzmittel auf Kommunen und/oder Länder verlagert werden; der ÖPNV führt vernetzt und vertaktet den Nahverkehr an die Haltepunkte des Fernverkehrs heran. Im Fernverkehr — sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr — kommen die eigentlichen Stärken des Verkehrsträgers Bahn voll zur Geltung. Diese Leistung muß einen Preis haben, und der darf kein Dumpingpreis sein. Aus diesem Grund lehnt die FDP den Vorschlag des VCD ab, weil er nur tendenziell auf eine Verbilligung des Fahrpreises abzielt, was konsequenterweise zur weiteren Verschlechterung der Ertragssituation der Bahn führen muß. Die FDP setzt sich allerdings nach wie vor dafür ein, die Strukturreform der Bahn zum Erfolg zu führen, damit der umweltfreundliche Verkehrsträger Bahn auch tatsächlich den ihm zustehenden Anteil im Modal Split der Verkehrsträger erhält. Dazu gehört dann sicher auch ein Nachdenken über die Tarifgestaltung innerhalb der Bahnverkehre. Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Fast vier Jahre sind seit dem Eingang der Petition im Petitionsausschuß bis zur heutigen Abstimmung im Deutschen Bundestag vergangen. Sicherlich ein Indiz für die Kompliziertheit der Materie und ein Indiz dafür, daß es sich die Mitglieder des Ausschusses nicht leichtgemacht haben. Enttäuschend für die immerhin 108 000 Bürgerinnen und Bürger, die die Petition unterschrieben haben, bleibt dennoch das Resultat, das jedoch ohne eine grundlegende Neuorientierung in der Verkehrspolitik zwangsläufig so lauten mußte. Grundlage für die Betrachtung im Bundesministerium für Verkehr, und das zeigt gerade der Umgang mit dieser Petition, ist leider nach wie vor ein unkomplexes altes Denken. Dabei wird deutlich: Die alleinige Orientierung auf den Markt löst höchstens punktuelle Probleme. Vertraut man den Marktkräften aber die gesamtgesellschaftliche Verantwortung an, erschöpfen sich ihre kreativen Möglichkeiten, werden sie zu Destruktivmitteln, die die Umweltzerstörung beschleunigen und dringende gesellschaftliche Veränderungen be- oder gar verhindern. Der Nenner, auf den Minister Krause alles bringt, heißt noch immer: „Das rechnet sich nicht." Meinen Sie nicht, Herr Minister, daß es sich, gemessen an gesellschaftlichen Maßstäben und am Maßstab „Zukunft der Menschheit", vielleicht auch rechnen würde, wenn alle Faktoren — Umwelt, Ressourcen, Folgekosten inbegriffen — berücksichtigt würden? Wir fordern die Bundesregierung daher auf, endlich ein gesellschaftliches Gesamtkonzept zu erarbeiten, das einen radikalen Bruch mit alten Herangehensweisen in der Verkehrspolitik ermöglicht und den heutigen Erfordernissen Rechnung trägt. Wir fordern deutlich spürbare Anstrengungen für den Ausbau des öf- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3459* fentlichen Personennah- und -fernverkehrs. Seit 1960 vergrößerte sich das Autobahnnetz in der Bundesrepublik um 30 %. Im gleichen Zeitraum aber mußte die Bundesbahn 25 % ihrer Strecken für den Personenverkehr stillegen. Eine progressive Verkehrspolitik, Herr Krause, setzt meines Erachtens eine deutliche Umverteilung der Finanzmittel in Ihrem Haushaltsbereich voraus. Das würde auch die Bedingungen dafür schaffen, über die Subventionierung der Fahrpreise dazu beizutragen, daß das Fahren mit der Bahn erschwinglich ist und einen Anreiz darstellt, das Auto stehenzulassen. Hätte man mir die Petition vorgelegt, ich hätte sie ebenso unterschrieben. Die Gruppe PDS/Linke Liste unterstützt daher auch den Änderungsantrag der SPD-Fraktion. Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Die Deutsche Bundesbahn muß bei ihrer Preisgestaltung selbständig wie ein Wirtschaftsunternehmen handeln. Die Einführung eines generellen Halbpreispaß-Angebotes muß sich deshalb den Marktbedingungen stellen. Alle bisher von der DB durchgeführten Modellrechnungen haben nicht zu einem Paßmodell geführt, das marktfähig und finanzierbar wäre. Vielmehr setzt die Deutsche Bundesbahn zur Steigerung ihrer Attraktivität auf eine Vielzahl von differenzierten Angeboten, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bahnbenutzer entgegenzukommen. So werden für den Fernverkehr erheblich ermäßigte Tarife angeboten; im Nahverkehr hat die Deutsche Bundesbahn ihre Preisangebote auf einzelne Zielgruppen ausgerichtet. Beispielhaft möchte ich hier nur den Spar- oder Super-Sparpreis für den Fernverkehr, den Familienpaß und die Jahreskarte oder die übertragbare Monatskarte für Pendler anführen. Angebote zu entwickeln, Service zu verbessern etc. ist Aufgabe der DB und der DR. Die Aufgabe des Bundes, des Bundestages und der Bundesregierung ist es, der Bahn bei der wohl bedeutendsten Herausforderung der 90er Jahre für die Verkehrspolitik — der umweltgerechten Bewältigung der in ganz Europa stark anwachsenden Verkehrsströme — eine besondere Rolle einzuräumen. Lassen Sie mich dies an drei Beispielen verdeutlichen: Erstens. Entwicklung des Verkehrshaushaltes: Der Schwerpunkt des Haushaltsplanes 1992 und der Finanzplanung bis 1995 liegt eindeutig bei der Schiene. Der Haushaltsanteil der beiden Bahnen liegt bei über 50 %. Investitionen haben Vorrang: 72 % der für die Schiene veranschlagten Mittel sind Investitionen. Zweitens. „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" : Die „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" spielen für das Zusammenwachsen der Bevölkerungs- und Wirtschaftsschwerpunkte im Osten und Westen des 40 Jahre lang künstlich geteilten Deutschland eine entscheidende Rolle. Sie haben zugleich große Bedeutung für die Integration der osteuropäischen Nachbarn in das vereinte Europa. Mit neun von insgesamt siebzehn Projekten und einem Investitionsvolumen von rund 29 Milliarden DM hat hier die Schiene eindeutig den Vorrang vor der Straße mit 7 Projekten und einem Investitionsvolumen von rund 23 Milliarden DM. Drittens. Strukturreform der Bahn: Eine attraktive Bahn braucht aber vor allem eine neue und bessere Struktur. Eine Bahn, die sich dem Wettbewerb stellen soll, muß eine unternehmerische Bahn sein. Die Zeit zum Handeln drängt, denn ohne grundlegende Reform von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn kumuliert der Finanzbedarf beider Bahnen auf über 400 Milliarden DM bis zum Jahr 2000. Schnellstmöglich werden wir nach Vorlage des Berichts der Bahnkommission den Reformvorschlag erarbeiten und einen breiten politischen Konsens anstreben. Die Überführung in privatwirtschaftliche Organisationsformen und die dafür erforderliche Grundgesetzänderung ist ein möglicher Weg und sollte nicht von vornherein tabuisiert werden. Die eigentliche Stärke der Bahn gegenüber den anderen Verkehrsträgern ist die schnelle, sichere und zuverlässige Überwindung großer Distanzen. Die deutsche Verkehrspolitik wird mit dem Netzausbau und der Strukturreform der Bahn ihren Beitrag dazu leisten, daß die Bahn die Stärke in ganz Europa ausspielen kann. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 11 (Steueränderungsgesetz 1992) Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Die Bundesregierung läßt auch diesmal die Gelegenheit nicht aus, ihre wirtschafts- und finanzpolitische Konzeptionslosigkeit mit wohlklingenden Worten zu kaschieren. Das vorliegende Paket wird als Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze bezeichnet. Tatsächlich verdeckt das Etikett nur, daß die Regierung mit ihrem finanzpolitischen Latein am Ende ist. Bekanntlich ist sie schon im Koalitionsvertrag, Anfang des Jahres, von den Wahlversprechungen abgerückt, mit denen sie im letzten Jahr Wählerinnen und Wähler getäuscht hatte. Deswegen vertrauen immer weniger Menschen dieser Regierung. Kaum jemand nimmt ihr noch ab, daß sie die Probleme, die sie ja zu einem beträchtlichen Teil mit verursacht hat, lösen kann. Selbst aus den Reihen der Koalition wächst die Kritik am finanzpolitischen Kurs. Leider blieb mit der Vorlage zum Haushaltsgesetz 1992 die Stunde der Wahrheit aus. Statt dessen hörten die Bürgerinnen und Bürger aus dem Munde des Finanzministers beruhigende Worte. Aber was soll weiße Salbe und Zahlenakrobatik? Wem hilft es, wenn die tatsächlichen Belastungen der kommenden Jahre verschleiert werden? In der Rechnung fehlen gewichtige Posten, die schon heute in ihren Auswirkungen absehbar sind. 3460' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Ich nenne nur die Ausgleichs- und Entschädigungsregelungen für die Enteignungen in den neuen Bundesländern, die Altlasten im Umweltbereich, die Ausfälle bei den staatlichen Exportbürgschaften und die absehbare Finanzlücke bei der Bundesanstalt für Arbeit. Auch die Hilfen für die Sowjetunion oder die einzelnen Republiken werden noch einmal hohe Finanzbeträge erforderlich machen. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat bereits Alarm geschlagen: Die Neuverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden sowie der Sondervermögen ergibt in diesem Jahr einen Betrag von mindestens 160 Milliarden DM. Es braucht nicht viel Phantasie, sich auszumalen, mit welchen Maßnahmen diese Regierung — falls sie dann überhaupt noch im Amt ist — die fiskalischen Belastungen auffangen wird. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 16 % ist ja bereits von einigen vorlauten Koalitionsvertretern in Aussicht gestellt worden. Im Hinblick auf die Haushaltsrisiken ist die Vorlage zum Steueränderungsgesetz 1992 ein weiterer Beleg für Realitätsferne. Nach den verhängnisvollen Fehleinschätzungen der vergangenen Monate, die zum berechtigten Vorwurf der Steuerlüge führten, gibt es für den Finanzminister nur noch wenige Möglichkeiten. Der angekündigte Subventionsabbau erweist sich als klägliche Zahlenmanipulation, die nur das Ziel hatte, den ehrgeizigen Wirtschaftsminister nicht völlig bloßzustellen. Im vorliegenden Gesetzentwurf werden sogar die wenigen Ansätze zum Subventionsabbau noch einmal verwässert. An Niederlagen und Kummer gewöhnt, wechselt die Bundesregierung ihre ursprüngliche Erfolgsstrategie und optiert nun für massive Steuererhöhungen. Der Entwurf zum Steueränderungsgesetz setzt die einschneidenden Steuererhöhungen fort, die schon in diesem Jahr zu einer steuerlichen Mehrbelastung von etwa 31 Milliarden DM führen werden. Mit einer erhöhten Mehrwertsteuer ab 1993 um 1 %, wie es im Entwurf vorgesehen ist, werden die Zusatzbelastungen nach den Berechnungen des Bundes der Steuerzahler sogar eine Größenordnung von mehr als 50 Milliarden DM erreichen. Wir haben schon im Jahre 1990 darauf verwiesen, daß der Finanzbedarf für den wirtschaftlichen Aufbau im Osten auch im Westen außerordentliche Anstrengungen erforderlich machen würde. Allerdings sollte der Finanzminister die Ausgaben für die neuen Bundesländer richtig darstellen. Von den einigungsbedingten Ausgaben, die auf 109 Milliarden DM veranschlagt sind, wird nur knapp die Hälfte den neuen Ländern zugute kommen. Auch hier ist Ehrlichkeit gefragt. Meine Damen und Herren, man kann über die Unternehmensbesteuerung diskutieren. Was Sie allerdings hier vorlegen, ist schon in ökonomischer Hinsicht mehr als zweifelhaft. Sie verstoßen gegen Ihre eigene Logik: Die vorgeschlagene Streichung von Gewerbekapitalsteuer und Vermögensteuer reduziert die relativen Vorteile, die der Wirtschaft in den neuen Bundesländern im Steueränderungsgesetz 1991 eingeräumt wurden. Hinzu kommt: Der wirtschaftliche Effekt der Steueränderungen erregt sogar koalitionsintern Zweifel. So hat sich die Landesregierung von Baden-Württemberg bereits gegen die Pläne der Bundesregierung ausgesprochen. Sie bestreitet zu Recht, daß die vorgeschlagenen Steuersenkungen den mittelständischen Unternehmen zugute kommen. Es ist ein „besonders mittelstandsfreundliches Konzept", behauptet der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Grünewald. Die beabsichtigten Steuermaßnahmen, vor allem die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, schlagen jedoch vornehmlich bei größeren Unternehmen zu Buche, während kleine Unternehmen davon kaum etwas haben. Auch CDU-Mittelstandspolitiker der Regierungsparteien haben dies längst erkannt. Es wird Zeit, daß die Regierung Konsequenzen daraus zieht. Eine Bemerkung zu den finanzpolitischen Wirkungen für die Gebietskörperschaften — ich hatte bereits bei der Debatte zum Steueränderungsgesetz 1991 darauf verwiesen — : Die finanzielle Substanz von Ländern und Gemeinden wird weiter ausgehöhlt. Die Stellungnahme des Deutschen Städtetages bleibt aktuell. Gerade die strukturschwachen Gemeinden werden durch die Beseitigung der Gewerbekapitalsteuer erneut schlechter gestellt. Das Wagnis, diese — in ihrer ökonomischen Wirkung dubiosen — Unternehmersteuersenkungen mit einer Anhebung der Mehrwertsteuer zu verknüpfen, kann ich nur als frivol bezeichnen. Womit begründen Sie die Dreistigkeit, daß nach den massiven Steuererhöhungen der letzten Monate nun auch noch die Steuersenkungen für Unternehmen durch die Steuerzahler finanziert werden sollen? Die soziale Asymmetrie dieser Steuerpolitik ist so offensichtlich, daß in Ihren eigenen Reihen auf Verzicht des Steuerpaketes gedrängt wird. Ich kann Heiner Geißler in dieser Hinsicht nur zustimmen. Eine Mehrwertsteuererhöhung würde die ohnehin schon stark belasteten Durchschnittseinkommen besonders treffen. Das Prinzip der Bundesregierung aber lautet: Umverteilung zu Lasten der kleinen und mittleren Einkommen. Die Steuersenkungen für Unternehmen sind keinesfalls aufkommensneutral gestaltet worden — übrigens im Gegensatz zur Behauptung des Finanzministers. Den Entlastungen von ca. 7 Milliarden DM bei den ertragsunabhängigen Steuern stehen als echte Gegenfinanzierung lediglich 1,6 Milliarden DM gegenüber. Es bleibt damit eine Finanzierungslücke von über 5 Milliarden DM. Somit sind die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen der Steuerpolitik der Bundesregierung nicht anders zu beurteilen als vor einem halben Jahr. Mit der Mehrwertsteuererhöhung kommen allerdings neue Risiken hinzu. Eine Anhebung wird einen neuen Preisschub auslösen. Die jüngsten Warnungen der Deutschen Bundesbank an den Finanzminister besagen eindeutig: Die Reduzierung der Neuverschuldung muß vor allem über eine Begrenzung des Ausgabenanstiegs erfolgen. Die Finanzpolitik steht in vollem Widerspruch zu den besonderen Schwierigkeiten und Herausforderungen, denen sich die Wirtschaft in den neuen Bun- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3461* desländern gegenübersieht. Auf Grund der geringeren Konkurrenzfähigkeit wird es vielen ostdeutschen Betrieben noch schwerer fallen, sich im Wettbewerb zu behaupten. Außerdem entwerten diese Maßnahmen jene speziellen Steuerentlastungen, die gerade für die neuen Bundesländer beschlossen worden sind. Der Wirrwarr an Fördermaßnahmen für die neuen Bundesländer wird auch im Steueränderungsgesetz nicht aufgehoben. Besonders nachteilig ist: Das Steuerpaket der Bundesregierung hat in ökologischer Hinsicht nichts zu bieten. Die Steuersenkungen für Unternehmen lösen keine Anreize für Umweltinvestitionen aus. Eine Unternehmensteuerreform, die diesen Namen tatsächlich verdient, ist aber daran zu messen, ob sie umweltfreundliches Investieren und Wirtschaften begünstigt. Die angestrebte — recht zahme — Besteuerung von Motorbooten kann über die umweltpolitische Schief-lage der Steuerpolitik nicht hinwegtäuschen. Nach wie vor besteht Bedarf an einer ökologisch wirksamen Steuerpolitik. Doch was tut die Regierung? Mit rein fiskalisch orientierten Maßnahmen verbaut sie zunehmend die Chancen für umweltpolitisch orientierte Steuern. Bereits die Erhöhung der Mineralölsteuer war ein falsches Signal. Im Entwurf zum Steueränderungsgesetz 1992 dominieren nach wie vor die fiskalischen Motive. Ziel ist für 1994 eine Haushaltsentlastung von 4,2 Milliarden DM (1995: 8,0 Milliarden). Es zeigt sich deutlich, daß der schon bisher nur vorgetäuschte Subventionsabbau und der Abbau von ökonomisch nicht zu rechtfertigenden Steuervergünstigungen kaum stattfinden. Denn die Besitzstände der strategischen Wählergruppen der Regierungsparteien werden natürlich nicht angetastet. Aus dem Steueränderungsgesetz werden von den Lobbyisten wieder Stück für Stück Steuervergünstigungen und Finanzhilfen herausgebrochen. Es strotzt vor Halbheiten. Ein Beispiel ist die Besteuerung der sogenannten Policen-Darlehen. Die eigentlich vorgesehene Regelung wurde abgeschwächt. Andere Subventionskürzungen tauchen erst gar nicht auf: Abbau der Mineralölsteuerbefreiung für die Luftfahrt, für die Binnenschiffahrt. Selbstverständlich fehlt der Subventionsabbau bei der Landwirtschaft. Wann wird die seit Jahren übliche Praxis, mit Steuertricks Subventionen in Anspruch zu nehmen, endlich unterbunden? Offenbar liegt der Regierung nicht an einer sozial ausgewogenen Finanzierung der Staatsausgaben. Nach wie vor gibt es Einsparmöglichkeiten im Verteidigungsetat. Zusammen mit einem Verzicht auf die Entlastungen bei der Gewerbe- und Vermögensteuer ergäbe das ein Finanzvolumen, das die vorgesehene Erhöhung der Mehrwertsteuer entbehrlich macht. Wenn Einnahmeverbesserungen wirklich unerläßlich werden, dann doch nicht über eine Mehrwertsteuererhöhung, sondern durch die Verlängerung des bis 1992 befristeten Solidaritätsbeitrages, auch durch eine Arbeitsmarktabgabe von Beamten und Selbständigen, damit die Solidarität wieder ins Lot kommt. Die finanzpolitische Strategie der Regierungsparteien ist einfach: dort nehmen, wo die Wählerbasis den geringsten Schaden nimmt. Deshalb blieb der Bundesregierung auch nur eine relevante Größe übrig, nachdem der Finanzminister sich bei der Einkommensteuer (Solidaritätsgesetz) zunächst nicht mehr bedienen kann. Doch wie gesagt, die Einnahmeverbesserung über die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist sozial unausgewogen. Sie trifft die ohnehin schon belasteten Durchschnittshaushalte besonders stark. Daran ändern auch die familienpolitischen Verbesserungen nichts. Noch ist die steuerliche Freistellung des Existenzminimums von Kindern keineswegs gewährleistet. Ich fasse zusammen: Das vorliegende Steuerpaket dient kaum dem wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Bundesländern. Es vertieft dagegen die sozialen Gegensätze und verschärft durch unnütze Ausgaben die Haushaltslage. Es ist kein Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze. Wir fragen an dieser Stelle: Wo bleibt die Intervention des Wirtschaftsministers, der doch sein ganzes Amt in die Waagschale geworfen hat, um die ökonomisch ineffizienten Steuerbegünstigungen und Subventionen zu reduzieren? Dies ist ihm nicht gelungen. Das vorliegende Flickwerk bestätigt das nachdrücklich. Wenn Herr Möllemann glaubwürdig bleiben möchte, dann ist es an der Zeit, seine Ankündigung wahrzumachen und zurückzutreten. Ich bin gespannt, was das Wort des Ministers wert ist. Zum Abschluß ein Wort zur SPD. Sie haben die Ablehnung der Mehrwertsteuer zur verbindlichen Parteiposition erklärt. Gut so. Anders sieht es auf Länderebene aus: Eine Mehrwertsteueranhebung wird dort offensichtlich nicht einhellig abgelehnt. Zu befürchten ist, daß die geplante Umlenkung der Strukturhilfe-Mittel in die Verhandlungen einbezogen wird. Es fehlt eine klare finanzpolitische Linie. Die konzeptionelle Vorstellung der Fraktion wird auf Länderebene angesichts anderer Interessenlagen ad absurdum geführt. Und wir fragen uns schon heute, was der Bundesfinanzminister den SPD-geführten Ländern anbieten wird, um ihnen die Zustimmung zur Mehrwertsteuererhöhung im Vermittlungsausschuß abzukaufen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und ande- rer Gesetze) Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister der Justiz: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung der Finanzgerichtsordnung ist die derzeit mögliche verfahrensrechtliche Antwort auf die schwierige Situation in der Finanzgerichtsbarkeit: Die Finanzgerichte gehen in der Verfahrensflut unter. Der Bürger muß viel zu lange — oft mehrere Jahre, manchmal sogar über ein Jahrzehnt — auf eine gerichtliche Entscheidung warten. Das ist für einen Rechtsstaat unerträglich und im Grunde genommen Verweigerung des Rechtsschutzes. 3462* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Als Kernpunkt schlägt der vorliegende Entwurf vor, die beiden für die Finanzgerichtsbarkeit geltenden und mehrfach verlängerten Entlastungsgesetze, das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs, das Ende dieses Jahres ausläuft, und das Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit, das Ende kommenden Jahres ausläuft, im wesentlichen in Dauerrecht zu übernehmen. Darüber hinaus faßt der Entwurf weitere, insgesamt konsensfähige prozeßrechtliche Vorschläge zur Straffung, Vereinfachung und Beschleunigung finanzgerichtlicher Verfahren zusammen. Ich will keinen Zweifel daran lassen, daß der Entwurf, rechtspolitisch gesehen, auch Verzicht bedeutet: Der Abschied von der Streitwertrevision ist, insbesondere aus der Sicht der steuerberatenden Berufe, eine bittere Pille. Die Zweistufigkeit der Finanzgerichtsbarkeit, die wir in der augenblicklich sehr angespannten Situation auch nicht in eine Dreistufigkeit umwandeln können, war bei Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung vor allem mit dem Argument begründet worden, infolge der geringen Streitwertgrenze für Revisionen — damals 1 000 DM — könnten alle Verfahren von gewissem Gewicht zum Bundesfinanzhof kommen. Über eine 1 000 DM-Grenze redet natürlich niemand. Aber schon bei einer Streitwertgrenze von ca. 60 000 DM für Revisionen müßten wir wohl davon ausgehen, daß sich die Zahl der vom Bundesfinanzhof zu entscheidenden Revisionen in etwa verdoppeln würde. Das könnte der ohnehin überlastete Bundesfinanzhof nicht verkraften. Auch die endgültige Abschaffung des Begründungszwangs bei der Beschlußverwerfung von Revisionen — was natürlich nicht heißt, daß nicht begründet werden darf — verursacht Unbehagen. Aber: Wir haben keine andere Wahl. Die Geschäftslage in der Finanzgerichtsbarkeit und speziell auch beim Bundesfinanzhof und die zusätzlichen Aufgaben durch den Aufbau der Justiz in den neuen fünf Ländern lassen keinen Handlungsspielraum. Die gestiegene Belastung soll mit ein paar Zahlen verdeutlicht werden: Die Eingänge bei den Finanzgerichten sind von 1970 bis jetzt um fast 400 % gestiegen, beim Bundesfinanzhof im gleichen Zeitraum um etwa 50 %. Die Erledigungen pro Richter konnten von durchschnittlich 64 im Jahre 1970 auf 123,5 im vergangenen Jahr gesteigert, also fast verdoppelt werden; zum Teil sicher ein Erfolg des durch die Entlastungsmaßnahmen des Gesetzgebers gestrafften Verfahrensrechts, zum Teil aber sicher auch das Ergebnis eines starken und erfreulichen Engagements der Richter. Die Ursachen für die ständig steigende Inanspruchnahme der Finanzgerichte mögen zum Teil in dem gestiegenen Rechtsschutzbewußtsein der Bürger und zum Teil in der Verbesserung der Steuerberatung liegen. Beides sind Entwicklungen, die im Grunde begrüßenswert sind. Als wichtige Ursache wird — sicher nicht zu Unrecht — das komplizierte und zum Teil schwer überschaubare materielle Steuerrecht genannt. Viele Steuervorschriften sind nur noch für Experten verständlich und werden zudem häufig geändert. Natürlich sind Bund und Länder gemeinsam gefordert, hier abzuhelfen — aber diese Forderung wird seit Jahren regelmäßig erhoben, und ich fürchte, darauf wird man nicht warten können. Wir sollten das andererseits auch nicht überbewerten: 64 000 Eingänge bei den Finanzgerichten sind im Vergleich zu den Eingangszahlen von 1970 viel. Bei 2,5 Millionen Einsprüchen, dem mehr als 20-fachen an rechtsmittelfähigen Finanzverwaltungsakten, ca. 50 000 Angehörigen der steuerberatenden Berufe und etwa der gleichen Zahl von Rechtsanwälten, nimmt sich die Zahl von 64 000 Eingängen doch eher bescheiden aus. Ich denke jedenfalls nicht, daß wir mit einem Rückgang der Eingänge bei den Finanzgerichten in nächster Zeit rechnen können. Die Zahl der Einsprüche gegen Steuerbescheide, aber auch die Einspruchsentscheidungen der Finanzämter ist in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem Grundfreibetrag und zu den Kinderfreibetägen zu einer Flut von Einsprüchen geführt. Die Flutwelle wird noch zusätzlich auf die Finanzgerichtsbarkeit zukommen, zum Teil ist sie schon angekommen. Ich möchte vor der Illusion warnen, daß wir mit den Mitteln des Verfahrensrechts allein die Belastung der Finanzgerichtsbarkeit bei eventuell noch steigenden Eingängen nachhaltig reduzieren können. Wir werden uns fragen müssen, ob wir bei den Gerichten nicht Binnenreserven mobilisieren können. Eine Studie der WIBERA-Wirtschaftsberatung AG, die im Frühjahr dieses Jahres fertiggestellt worden ist, hat erhebliche Defizite im Bereich der Gerichtsorganisation festgestellt. Eine von dem Betriebswirtschaftlichen Insitut für Organisation und Automation der Universität Köln im Auftrag von Nordrhein-Westfalen durchgeführte Arbeitsablaufuntersuchung ist auch zu dem Ergebnis gekommen, daß im richterlichen Bereich noch „Luft" ist. Hier sind die Länder gefordert. Ein wirksamer Beitrag zur Verbesserung der Rechtsschutzsituation kann nach meiner Überzeugung auch durch eine Verbesserung der außergerichtlichen Streitbeilegung bei den Finanzämtern geleistet werden. Die vom BMF veranlaßten rechtstatsächlichen Untersuchungen deuten darauf hin, daß der im Bundesfinanzministerium vorbereitete Referentenentwurf zur Verbesserung des Rechtsbehelfsverfahrens nach der Abgabenordnung noch in diesem Jahr im Kabinett verabschiedet werden kann. Nochmals zurück zu der FGO-Novelle, und zwar zum Einzelrichter, der von manchem als eine Art „Allheilmittel" zur Verkürzung gerichtlicher Verfahren angesehen wird. Der Bundesrat hat vorgeschlagen, die Finanzgerichtsordnung um eine Vorschrift zu ergänzen, nach der der Senat die Sache auf den Einzelrichter überträgt, wenn sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und nicht von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung ist. Dieser Vorschlag, der auch in dem Bundesratsentwurf eines Rechtspflegeentlastungsgesetzes enthalten ist, trägt im Grundsatz der zutreffenden Einschätzung Rechnung, daß es auch in der Finanzgerichtsbarkeit eine Reihe von Verfahren gibt, die ebenso gut und darüber hinaus auch schneller vom Einzelrichter erledigt werden können. Wenn die Bundesregierung gegenüber diesem Vorschlag Vorbehalte anmeldet, und das tut sie in ihrer Gegenäußerung, dann vor allem aus Gründen der Praktikabilität: Nach dem Bundes- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3463* ratsvorschlag muß sich zunächst der gesamte Senat des Finanzgerichts mit dem Verfahren befassen und bewerten, ob die Sache einfach, schwer oder grundsätzlicher Art ist. Dies bedeutet: verfahrensrechtlicher Mehraufwand, der einen möglichen Entlastungs- und Beschleunigungseffekt aufwiegen kann. Wenn der Einzelrichter zu einem späteren Zeitpunkt die Sache wieder auf den Senat übertragen muß, weil sich ergeben hat, daß sie besonders schwierig oder grundsätzlich ist, führt das zu einem weiteren Verfahrensaufwand. Darüber hinaus muß die Gefahr gesehen werden, daß die Rechtsprechung innerhalb der einzelnen Senate der Finanzgerichte auseinanderläuft, womit zugleich der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Be-. steuerung und der einheitlichen Rechtsanwendung innerhalb des Bundesgebietes gefährdet wäre. Im übrigen würde der ohnehin überlastete Bundesfinanzhof noch mehr belastet. Das vom Bundesrat vorgeschlagene Einzelrichtersystem ist deshalb unter dem Aspekt angemessener Rechtsschutzgewährung äußerst problematisch. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme abschließend den Deutschen Bundestag gebeten, den Gesetzentwurf vordringlich zu beraten und zu verabschieden. Ich teile diese Einschätzung und schließe mich der Bitte des Bundesrats an. Dr. Franz-Hermann Kappes (CDU/CSU): Die Novellierung eines Gerichtsverfahrensgesetzes wie der Finanzgerichtsordnung ist natürlich zunächst einmal keine sehr spannende Sache, sondern ein eher trockenes Thema, das vordergründig die wenigsten Bürger interessiert. Dennoch: Die Menschen draußen im Lande werden sehr einverstanden sein, wenn sie hören oder lesen, daß hier ein weiterer Versuch der Vereinfachung und Beschleunigung von gerichtlichen Verfahren unternommen wird. Jedermann in Deutschland weiß, und jedenfalls haben es viele leidvoll ertragen müssen, daß gerichtliche Verfahren bei uns oft viel zu lange dauern. Und Kenner wissen, daß dies derzeit in besonderem Maße für die Finanzgerichte gilt. Das hat natürlich seine Gründe, meine Damen und Herren, und zwar zunächst einmal gewissermaßen vorgerichtliche, die uns nachdenklich stimmen müssen. In der uns vorliegenden Gesetzesbegründung sind hierzu eindrucksvolle Zahlen genannt: Nach ca. 1,58 Millionen Einsprüchen bei den Finanzämtern im Jahre 1987 waren es nur zwei Jahre später bereits ca. 2,14 Millionen solcher Rechtsbehelfe — ein enormer Anstieg also! Was sind die Gründe hierfür, woran liegt das? Sind die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes ganz einfach noch mündiger geworden oder auch weniger ängstlich, wenn es darum geht, vom Staat Gerechtigkeit einzufordern? Das wäre dann nur positiv. Oder sind es nicht mindestens ebenso die unglaubliche Kompliziertheit unseres Steuersystems — vornehm zurückhaltend, der Ministerialbürokratie angemessen, heißt es an einer Stelle der Gesetzesbegründung: „Das Verständnis der Steuervorschriften erschließt sich oft nicht leicht" — und zudem viel zu häufig Unklarheiten, eine unklare Sprache, die wir als Gesetzgeber selbst zu vertreten haben? Vom letzteren bin ich nach meinen persönlichen Erfahrungen als Rechtsanwalt nur leider allzu überzeugt. Ist es denn nicht tatsächlich so, daß wir viel zu häufig Unklares — freilich oft in unguter Eile — bewußt in Kauf nehmen und allenfalls für die späteren Entscheidungen der Judikative noch etwas in die Gesetzesbegründung hineinschreiben? Ich könnte dazu eine ganze Reihe von Beispielen anführen. Nun, dessenungeachtet ist es aus der Sicht meiner Fraktion sehr zu begrüßen, daß das derzeitige Nebeneinander der Finanzgerichtsordnung und zweier Entlastungsgesetze beendet werden soll und uns in der Gesetzesvorlage der Bundesregierung eine Reihe weiterer Vorschläge zur Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren unterbreitet werden. Im einzelnen werden wir das in den Ausschüssen erörtern, aber im Grundsatz können wir, wie ich meine, durchaus schon jetzt unsere Zustimmung ankündigen. Ebenso, meine Damen und Herren, bin ich der Überzeugung, daß wir nicht zögern dürfen, außer diesen Verfahrenshemmnissen auch den anderen Ursachen des Arbeitsstaus bei den Finanzgerichten energisch nachzugehen. Dabei denke ich auch etwa an die häufigen Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die naturgemäß die Betroffenen verunsichern, also zu Rechtsunsicherheit und zu entsprechenden Folgewirkungen führen müssen. Die Wartefristen bei den Finanzgerichten dürfen in dem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland nicht faktisch einer Rechtsverweigerung gleichkommen. Es bleibt deshalb unsere Aufgabe, auf jedwede Weise auch in Zukunft die Verkürzung der Verfahren zu betreiben. Dies ist keine einmalige Aufgabe, sondern muß uns auch in Zukunft beschäftigen. In diesem Sinne stimmen wir einer Überweisung der Vorlage in die Ausschüsse zu. Dr. Hans de With (SPD): Vor keinem Richter muß der rechtssuchende Bürger länger warten als vor dem der Finanzgerichtsbarkeit, obwohl dieser Gerichtszweig als einziger nur zwei Instanzen kennt. Wer im Schnitt in der ersten Instanz zwei Jahre und acht Monate und im Revisionsverfahren gar drei Jahre und zwei Monate auf die Gerichtsentscheidung warten muß — und das sind leider nur Durchschnittszahlen, es kann also auch länger dauern — , sagt sich nicht nur: Spätes Recht ist halbes Recht. Ihn wird das Gefühl der Rechtsverweigerung beschleichen. Es kommt hinzu, daß bis vor dem Gang zum Finanzgericht bereits eine nicht geringe Zeit für das Verfahren bei den Finanzbehörden verflossen ist. Die Rechtsprechung des Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg ist zwar gemeinhin nur dem Juristen bekannt, aber wir sollten nicht verschweigen, daß dort auch schon die Bundesrepublik wegen zu langer Verfahrensdauer vor Gerichten gerügt worden ist. Diese mißliche Situation kennen wir nicht erst seit heute. Wir haben die Richterplanstellen beim Bundesfinanzhof jeweils ohne Zögern aufgestockt. Die Länder haben ihren Part zur Vermehrung der Richter bei den Finanzgerichten geleistet. In jeder Haushaltsberatung im Rechtsausschuß ist der Bundesminister der 3464* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Justiz — wer auch immer er war — seit Jahren mit Fragen nach der Verfahrensdauer in der Finanzgerichtsbarkeit gequält worden. Zwei Beschleunigungsnovellen haben wir hinter uns. Sie sind allerdings befristet. Sie laufen am 31. Dezember 1991 bzw. am 31. Dezember 1992 aus. Schon deswegen ist bei der Behandlung dieser Vorlage Eile geboten. Bundesrat und Bundesregierung — so in der Drucksache nachzulesen — mahnen Eile an. Auch wir Sozialdemokraten dringen mit Nachdruck auf Beschleunigung. Mit uns kann die Änderungsnovelle sehr rasch verwirklicht werden. Nur, sie wäre wahrscheinlich schon verabschiedet worden, hätte die Bundesregierung ihre Vorlage nicht erst am 24. Mai dieses Jahres eingebracht. Sie hat ohnehin ihren entsprechenden Gesetzentwurf vom 27. Mai 1988 beinahe unverändert abschreiben können. Im wesentlichen soll durch diese Vorlage das bisher in den beiden erwähnten Beschleunigungsgesetzen enthaltene befristete Recht Dauerrecht werden. Hinzu kommen einige weitere Vorschriften. Es geht jetzt um sieben Kernmaßnahmen, sechs auf Vorschlag der Bundesregierung und eine auf Vorschlag des Bundesrates. Nämlich um die Neuregelung des Revisionsrechts in Form der Zulassungsrevision, Fristsetzung für bestimmte Prozeßhandlungen, Vereinfachung der Beiladung in Massenverfahren, Erweiterung der Befugnisse des vorbereitenden Richters, Einführung eines Gerichtsbescheides, erleichterte Zurückverweisung der Streitsache an die Finanzbehörden und Einführung des Einzelrichters. Alle diese Vorschläge stoßen bei uns grundsätzlich auf positive Zustimmung. Sorgfältig prüfen müssen wir aber noch einmal die Auswirkungen der Zulassungsrevision, die Regelung der Vertretung vor dem Bundesfinanzhof und die Folgen der Einführung des Einzelrichters. Bei der Ausgestaltung der Revision als bloße Zulassungsrevision auf Dauer ist genau zu fragen, welche Bedeutung dies für die Korrektur fehlerhafter Entscheidungen im Einzelfall hat. Denn die bloße Zulassungsrevision bedeutet nichts anderes, als daß mit dem Vehikel der Einzelfallkorrektur generelle Rechtsfortbildung betrieben wird, ohne daß die Einzelfallgerechtigkeit im Vordergrund steht. Freilich weiß auch jedermann um die Bedenken der Streitwertrevision. Die vorgeschlagene Vertretungsregelung vor dem Bundesfinanzhof sollte noch einmal unter dem Licht der Tatsache geprüft werden, daß noch immer rund 30 % aller Revisionen unzulässig sind, also nicht die erforderliche juristische Form durch den Revisionsführer erhalten haben. Beim Bundesgerichtshof ist das anders. Daß der Einzelrichter im Finanzgerichtswesen umstritten ist — vor allem bei den Finanzrichtern selber —, ist bekannt. Trotzdem sollte der hier vorgelegte Länderentwurf völlig unvoreingenommen geprüft werden. Haben wir diese Hürden genommen und erreichen wir, daß das Änderungsgesetz sehr rasch im Bundesgesetzblatt nachzulesen sein wird — rasche Hilfe ist doppelte Hilfe — , so darf gleichwohl keiner derer die Hände in den Schoß legen, die weitere Chancen der Beschleunigung in der Finanzgerichtsbarkeit in der Hand haben. Da sind auch die Richter als Rechtsgestalter zu nennen. Auch der Bundesfinanzhof sollte nicht ohne Not — was die Bundesregierung mit Recht bemerkt — seine Rechtsprechung ändern oder auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hoffen. Bundesregierung und Bundestag — hier müssen wir uns selbst auf die Schulter klopfen — können jedoch von der Kritik nicht ausgenommen werden. Wir sind uns alle einig, daß die allzu häufigen Änderungen von Steuergesetzen und deren für den Normalbürger nicht immer nachzuvollziehende Bedeutung Mitursache für viele Rechtsmittel sind. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die vom Bundesminister der Finanzen noch nicht umgesetzten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Kinderfreibeträgen und damit zu den nicht besteuerungsfähigen Grundfreibeträgen. Als Hausaufgabe bleibt weiter, wie das Vorverfahren verkürzt werden kann. Alles in allem: Das Steuerschiff muß wieder flott werden. Zu viele Kursänderungen und eine zu alte Takelage haben es gefährlich ins Schlingern gebracht. Dr. Wolfgang Ullmann (Bündnis 90/GRÜNE): Beschleunigung — das war zeitweise die oberste Losung der deutschen Wiedervereinigungspolitik, nämlich solange es dabei uni Wahltermine ging. Als die Verfassungsfrage am Horizont auftauchte, griff eine auffallende Gemächlichkeit um sich. Hartnäckig freilich hält sich die Devise ,,Beschleunigung" in der Gesetzgebung. Der Verkehrsminister beschleunigt, die Landesjustizminister beschleunigen, und nun soll sogar die lange Bank des Bundesfinanzhofs beschleunigt abgeräumt werden. Wer wollte etwas gegen so gute Vorsätze einwenden, wenn — ja, wenn nur klar wäre, was da eigentlich beschleunigt wird. Ich will es ohne Umschweife sagen: Es sind die Rechte betroffener Bürger und Bürgerinnen, denen es beschleunigt an den Kragen gehen soll. Wir werden die hier zu thematisierende Grundfrage demokratischer Rechtspraxis ausführlich zu diskutieren haben im Zusammenhang mit dem von den Landesjustizministern favorisierten und von den Anwaltsverbänden attaktierten, in Vorbereitung befindlichen Verfahrensbeschleunigungsgesetz. Aber da der vorliegende Gesetzesentwurf zur Änderung der Finanzgerichtsordnung dem gleichen, auch in jenen anderen oben erwähnten Gesetzesinitiativen dominierenden Argumentationsmuster folgt, will ich schon jetzt die Frage aufwerfen, welchem Kurs die Rechtspolitik der Regierung eigentlich folgt. Für einen Bewohner der Ostländer ist es besonders ärgerlich, daß der Abbau von Betroffenenrechten immer wieder mit den Zwängen beim Neuaufbau der Justiz in den östlichen Ländern gerechtfertigt werden soll. Das Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung zeigt demgegenüber, daß es sich mit diesen angeblichen Zwängen völlig anders verhält. Ist dieser Entwurf noch nichts anderes als der derzeitige Stand einer gesetzgeberischen Auseinandersetzung mit einer Rechtsprechungsmisere, deren Ausmaß seit langem als besorgniserregend gilt. Es ist die Verfahrensflut in Steuersachen, der zu begegnen schon das Ge- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3465* setz vom 8. 7. 1975, ein Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs, gedacht war. Daß dieses Ziel jedenfalls bestenfalls teilweise erreicht wurde, zeigt die Novellierung dieses Gesetzes am 22. 12. 1989. Daß das Parlament nun abermals in der gleichen Sache tätig werden muß, ist gewiß durch die Tatsache verursacht, daß die Geltung des 1989er Gesetzes am 31. 12. 1991 endet, aber nicht weniger Ausdruck der nicht beseitigten Überlastung der Finanz- und Verwaltungsgerichte. Welche Abhilfen schlägt die Bundesregierung vor? Neu jedenfalls wird man die vorgeschlagenen Regelungen kaum nennen können. Handelt es sich doch im wesentlichen darum, die vorgenommenen Novellierungen in die Finanzgerichtsordnung zu integrieren und per Artikelgesetz die Folgeänderungen im Gerichtskostengesetz, in der Gebührenordnung für Rechtsanwälte sowie in der Abgabenordnung und dem Steuerberatungsgesetz vorzunehmen. Das alles könnte man als einen legislativen Routinevorgang betrachten, wenn nicht fast alle vorgeschlagenen Lösungen die Position des Rechtsuchenden drastisch verschlechterten. Das gilt insbesondere durch die Festlegungen über Entscheidung per Gerichtsbescheid, durch Neuformulierung der §§ 79 a und 90 FGO, die Beweismittel- und Ermittlungszurückweisung in § 79b und ganz besonders durch die einschneidende Beschränkung der Revision in § 115 Abs. 2 Nr. 1. Am ehesten könnte man den Gerichtsbescheid als klägerfreundliche Verfahrensverkürzung verteidigen. Aber angesichts der mit der Stellung des Vorsitzenden gegebenen Verfahrensdominanz wird auch die in § 90 a vorgesehene Revision nicht mehr viel an der mit dem Gerichtsbescheid geschaffenen Lage ändern, zumal da auch die mündliche Verhandlung laut § 90a Abs. 4 unter restriktive Bedingungen gestellt ist. Vollends klägerfeindlich ist die Bestimmung in § 79b Abs. 3 Nr. 1, die die Zulassung von weiteren Beweismitteln der freien Überzeugung des Gerichtes überläßt. In noch krasserer Form geschieht das in § 115 Abs. 2, Nr. 1, wonach Revision nur für Rechtssachen grundsätzlicher Bedeutung möglich sein soll. Wenn der Gesetzgeber doch wenigstens verriete, wer über diese grundsätzliche Bedeutung befindet und für wen die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung sein soll. Die alte Streitwertrevision ließ wenigstens noch einen klaren Bezug zum Kläger erkennen. Jetzt zeigt sich in dieser Bestimmung nur der Grundfehler, der dieser ganzen Rechtspolitik zugrunde liegt: die auftauchenden Schwierigkeiten so lösen zu wollen, daß die geübte Praxis wie bisher fortfahren kann — wenn es sein muß, auf Kosten des Klägers. Denn nur als offenen Zynismus kann man den Satz der Begründung bezeichnen: wenn man nach einer einzigen Tatsacheninstanz nur eine Grundsatzrevision vorsehe, dann beeinträchtige dies den Rechtsschutz nicht unzumutbar. Doch unzumutbar für eine demokratische Öffentlichkeit dürfte es jedenfalls sein, daß eine Beeinträchtigung des Rechtsschutzes ganz offen zugegeben wird. Über deren Ausmaß soll aber jedenfalls allein die Gesetzgebung zu befinden haben. Will die Bundesregierung nicht endlich einmal anfangen, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob die Überlast von finanzgerichtlichen Verfahren etwas mit dem Chaos ihrer Steuergesetzgebung zu tun hat? Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Entwurf eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 8. Oktober 1990 über die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe) Dr. Norbert Rieder (CDU/CSU): Ich will Ihnen ganz kurz einige nüchterne Fakten aus einem wissenschaftlichen Bericht vorlesen. Ich zitiere: Hohe Ammoniumkonzentrationen führen in der warmen Jahreszeit regelmäßig zum Absinken des Sauerstoffgehaltes im Wasser bis nahe an den Nullwert. Dadurch treten häufig Fischsterben ein. In den Sedimenten des Flusses reichern sich Schwermetalle und organische Chlorverbindungen besonders stark an. Das Baggergut, das zur Erhaltung der Schiffbarkeit in den Häfen ausgebaggert werden muß, ist hochkontaminiert. Der Gehalt an Quecksilber und organischen Chlorverbindungen in Aalen und anderen Fischen ist so hoch, daß sie nicht mehr vermarktet werden können und vom auch gelegentlichen Genuß abgeraten werden muß. Die starke Verschmutzung wirkt sich auf die Belastung der Nordsee nicht unerheblich aus. Meine Damen und Herren, Sie können nun raten, welcher deutsche Schicksalsfluß so charakterisiert wird oder wurde. Ich will es Ihnen sagen: Für den einen, den Rhein, galt das eben Gesagte vor 20 Jahren, für die Elbe gilt es leider heute noch. Denn während für den Rhein die internationale Kommission zum Schutze des Rheins seit 1950 zuerst mit zaghaften Schritten, dann seit 1963 etwas schneller und schließlich seit knapp 20 Jahren verstärkt dafür sorgt, daß sich die Wasserqualität des Rheins kontinuierlich bessert, ist bei der Elbe nichts geschehen; und das, obwohl die naturräumlichen Gegebenheiten der Elbe — ähnlich wie beim Rhein — nicht nur Trinkwassernutzung, sondern auch die Nutzung für aktive Freizeitbetätigung und natürlich auch die Erhaltung als wichtige ökologische Ausgleichsfläche geradezu herausf ordern. Nun, wir wissen alle, daß es bis vor kurzem nicht möglich war, mit dem früheren Regime in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone oder in der Tschechoslowakei zu einem wie auch immer gearteten Abkommen zu gelangen. Wir wissen aber auch, daß die Masse der Verschmutzung gerade aus diesem Bereich kam, während auf dem Gebiet der alten Bundesländer die Einleitungen drastisch heruntergegangen sind. Die Menschenverachtung des sogenannten sozialisti- 3466* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 schen Systemes hat sich ja auch in der Umweltpolitik gezeigt. Um so erfreulicher ist es, daß bereits am 8. Oktober 1990 unser Umweltminister Töpfer für die Bundesrepublik Deutschland mit der CSFR und der EG eine Vereinbarung über eine Internationale Kommission zum Schutz der Elbe getroffen hat, der wir nun durch das entsprechende Gesetz zum Leben verhelfen wollen. Dieses Gesetz und die dadurch mögliche Schaffung einer solchen Kommission sind die unabdingbare Voraussetzung, um eine tiefgreifende und vor allem grenzüberschreitende Verbesserung des Zustandes der Elbe zu erreichen. Ich muß bekennen, daß ich noch nie einem Gesetz so ohne Bedenken zugestimmt habe, wie ich diesem zustimmen werde, wird es uns nun doch die Möglichkeit geben — und jetzt komme ich auf das Beispiel Rhein zurück — , all das, was wir — zum Teil nach lästigen Verzögerungen, zum Teil nach Irrwegen, etwa beim Bau von Staustufen am Oberrhein, deren Weiterbau gerade noch rechtzeitig durch eine bessere Lösung, die Geschiebezugabe, ersetzt wurde, zum Teil aber auch nach leidvollen Erfahrungen, etwa beim Sandozunfall, auf den wir nicht ausreichend vorbereitet waren — beim Rhein erreicht haben, auf die Elbe anzuwenden. Zum großen Teil lassen sich nämlich die Grundgedanken, die in den verschiedenen Übereinkommen für den Rhein getroffen wurden, ohne weiteres für die Elbe übernehmen, zum Teil wurde das sogar schon begonnen oder teilweise verwirklicht, so etwa beim Meßprogramm Elbe, das sogar noch eine wesentlich höhere Datendichte und mehr Informationen als am Rhein bringt. Nun, irgendwo muß sich ja der technische Fortschritt auswirken. Das gilt aber auch für den Warn- und Alarmplan, das Chemieabkommen und nicht zuletzt für das jüngste Kind, das Aktionsprogramm Rhein, das in seinen wesentlichen Punkten unter dem Eindruck des Sandozunfalles verabschiedet wurde und bis zum Jahr 2000 den Rhein endgültig zu einem Gewässer machen wird, das nicht nur verkehrstechnischen Anforderungen, sondern bei einer Wasserqualität, die ohne Probleme die Aufbereitung zu Trinkwasser gestattet, hohen Freizeitwert mit hoher ökologischer Wertigkeit verbindet. Meine Damen und Herren, all diese Rheinprogramme, auch die Punkte daraus, die am Rhein zwar beschlossen, aber noch nicht umgesetzt wurden, sind nun gebündelt mit allen Erfahrungen, die man bisher am Rhein und an anderen Flüssen weltweit gesammelt hat, in dieses internationale Abkommen zum Schutz der Elbe eingearbeitet worden. Ich bin deshalb sicher, daß wir zum Ende dieses Jahrhunderts ähnliche Erfolgsmeldungen — oder vielleicht sogar noch bessere — lesen können wie heute vom Rhein. Ja, ich bis sogar überzeugt davon, daß es dann niemand mehr als besondere Nachricht betrachtet, sondern als selbstverständlich, wenn er etwa folgendes liest: „Während im Jahr 1991 in der Elbe nur noch etwa 50 Tierarten, die meisten davon Kleinlebewesen, nachzuweisen waren, lassen sich heute wieder fast alle Arten finden, die vor 100 Jahren für die Elbe typisch waren. " Ich denke, dies alles ist nicht nur ein Erfolg der Politik, die zur deutschen Wiedervereinigung geführt hat, sondern ist auch und gerade ein Erfolg der konsequenten und im wahrsten Sinne des Wortes überzeugenden Umweltpolitik dieser Regierung und besonders unseres Umweltministers Klaus Töpfer, der sich auch bei der Aushandlung dieses Vertrages bleibendes Verdienst erworben hat. Dietmar Schütz (SPD): Als wir Mitglieder des Umweltausschusses in der vorigen Legislaturperiode zum ersten Mal im Frühjahr 1990 die damalige DDR besuchten, bekamen wir bei Bitterfeld und Wolffen einen schockierend sensitiven Eindruck von den Schmutzfrachten, die die Elbe auszuhalten hatte. Sowohl die chemische Fabrik Bitterfeld als auch die fotochemische Fabrik Wolffen leiteten ihre Chemiefrachten unbehandelt über einen Kanal in die Mulde, einen Nebenfluß der Elbe. Der Fluß war unterhalb dieser Einleitung mausetot. Wenn auch auf Grund der zahlreichen Produktionsstillegungen und Produktionsdrosselungen bereits ein deutlicher Rückgang der Schadstofffrachten in der Elbe beobachtet wurde, gehört diese doch immer noch zu den am stärksten verschmutzten Flüssen Europas. Wir begrüßen deshalb alle, daß der erste internationale Vertrag, den das vereinte Deutschland geschlossen hat, ein Vertrag über die internationale Kommission zum Schutz der Elbe war. Die nächsten Aufgaben dieser Kommission, vor allem ein Aktionsprogramm zur Reduzierung der Schadstofffrachten aus allen Einleitungen und ein Meß- und Untersuchungsprogramm für die Elbe durchzuführen, werden sicherlich von uns allen unterstützt. Wenngleich die in der Vereinbarung genannten Ziele einer Elbsanierung, nämlich Trinkwasser aus Uferfiltraten zu gewinnen, ein möglichst naturnahes Ökosystem mit einer gesunden Artenvielfalt zu erreichen und die Nordseebelastung aus der Elbe zu verringern, aus heutiger Sicht noch in weiter Ferne liegen, müssen wir dennoch bereits jetzt die Voraussetzungen für ihre Realisierung schaffen. Der Neubau — und die Nachrüstungen von Kläranlagen in den Industriebetrieben und in den Kommunen an der Elbe und ihren Nebenflüssen ist der entscheidende Ansatz zur Sanierung der Wassergüte. Der hierfür erforderliche finanzielle Kraftakt ist bisher nur in Umrissen erkennbar. Die Bundesregierung hat schon in ihre ersten Pilotprojekte zur Umweltsanierung Kläranlagen einbezogen, z. B. in Bitterfeld/Wolffen, deren Notwendigkeit jedem, der vor Ort Augen und Nase aufmacht, plausibel wird. Die Haushaltsanierungsansätze von 1991 und 1992 sind angesichts der durch die IfU geschätzten über 200 Milliarden Sanierungskosten allein im Gewässerbereich natürlich immer nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ich sage dies nicht, um die Bundesregierung zu kritisieren, sondern um uns die Dimensionen der Aufgaben vor Augen zu halten. Trotz Zuständigkeiten der Kommunen — aber auch der Länder — im Kläranlagenbau, muß angesichts der Größe der Aufgabe der Bund die entscheidende Anfangsfinanzierung übernehmen. Wir brauchen auch Finanzierungsprogramme zur Elbsanierung. Allerdings müssen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3467 von Anfang an mindestens die Länder bei der detaillierten Aufgaben- und Prioritätenformulierung in den Arbeitsgruppen der Kommission vertreten sein. Ich bedaure deshalb, daß der einstimmig angenommene Antrag des Bundesrates, durch einen Zusatzartikel 1 a eine Ländervertretung in der Arbeitsgemeinschaft zur Reinhaltung der Elbe sicherzustellen, von der Bundesregierung zurückgewiesen wurde. Diese riesige Aufgabe der Elbsanierung ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden. Sie muß deshalb von allen Beteiligten gemeinsam angepackt werden. Eine Beteiligung der Länder in der Delegation der Bundesrepublik Deutschland ist in diesem Zusammenhang unbedingt erforderlich. Wir wollen deshalb erreichen, daß der Vertrag in diesem Punkt noch nachgebessert wird. Ich bin optimistisch, daß das Ökosystem Elbe, was die Gewässergüte angeht, trotz oder wegen des Streits in der Finanzierung in absehbarer Zeit so deutlich verbessert sein wird, daß früher vorhandene höhere Arten in der Elbe wieder heimisch werden. Allerdings habe ich Zweifel, ob das gleichrangig zur Gewässergüte formulierte Ziel, ein möglichst naturnahes Ökosystem mit einer gesunden Artenvielfalt zu erreichen und zu erhalten — bei Abwägung der mir bekannten Gefährdungspotentiale — , realisierbar ist. Diese Skepsis habe ich wegen der nach und nach bekanntgewordenen Pläne zu Fragen der Elbschiffahrt, die nach Art. 1 Abs. 4 ausdrücklich von der Vereinbarung ausgenommen ist. Die Elbe hat in ihrem Mittellauf ihren alten Charakter behalten, der nicht durch eine massive Kanalisierung, Flußbettvertiefung und Stauhaltung gestört wird. Auwaldreste, wechselfeuchte Gründlandflächen und zahlreiche Stillgewässer sind auf die periodischen Überschwemmungen durch die Elbe angewiesen. Diese Flächen haben auch eine unersetzliche Auffangfunktion für die großen Zugvögelschwärme von Kranichen, Wildgänsen und Schwänen. Die ökologische Bedeutung zwischen Lauenburg und Schnackenburg wird durch den Naturpark Mecklenburgisches Elbtal und weiter oben durch den Nationalpark Sächsische Schweiz ergänzt und verstärkt. Heute schon ist die Elbe ein großer Natur- und Erholungsraum für die Menschen. Die Schiffahrt auf der Elbe findet noch nicht mit den genormten Europaschiffen mit über 2,5 m garantiertem Tiefgang statt, sondern mit wesentlich flacher gehenden Schiffen. Schiffahrtstechnisch sind in Deutschland drei Elbabschnitte unterschiedlich zu diskutieren. Den unteren Elbabschnitt von der Nordsee bis Hamburg will ich hier nicht diskutieren; auch nicht den Abschnitt von Hamburg bis zum Mittellandkanal, der über den Elbeseitenkanal erreicht werden kann. Ein Elbausbau durch den Naturpark ist deshalb überflüssig und auf jeden Fall nicht akzeptabel. Kritisch für die Frage der Bewahrung eines intakten Ökosystems in der Elbflußlandschaft ist die beginnende Diskussion zur Verbesserung der Schiffbarkeit ab Magdeburg elbeaufwärts. In den „Verkehrsprojekten Deutsche Einheit" ist die Erweiterung des östlichen Mittellandkanals sowie des Elbe-Havel-Kanals vorgesehen, die bei Heinrichsberg/Magdeburg die Elbe queren und von Wasserstandsschwankungen unabhängig sein soll. Ich halte nur eine Lösung für akzeptabel, die einen möglichst geringen Eingriff in die Elbe nach sich zieht. Dies ist jedenfalls nicht der Bau einer Staustufe, sondern eher die Führung in einem Trog über die Elbe. Die weiteren Überlegungen der Binnenschiffahrt, auch etwa die Elbstrecken oberhalb Magdeburgs durch eine Stauregelung — man spricht von 17 Staustufen — oder durch eine Nachregulierung — dies ist wohl eine Ausbaggerung — für Schiffe passierbar zu gestalten, müssen aus Gründen der Ökologie mit äußerster Skepsis betrachtet werden. Wir müssen — wie etwa die Franzosen, die bei ihrer Loire-Diskussion auf einen Ausbau verzichtet haben, auch die Chancen begreifen, die intakte Naturräume wie das Elbegebiet in unserer industrialisierten Umwelt bieten. Die Anbindung des sächsischen Industrieraumes an die anderen Gebiete Deutschlands kann auch über einen leistungsfähig ausgebauten Schienenweg geschehen. Obwohl ich auch aus ökologischen Gründen mit der Forderung nach einer stärkeren Verlagerung der Massenverkehre auf das Binnenschiff sympathisiere, muß doch in der Regel geprüft werden, für welche Strecken dies im Einzelfall sinnvoll ist. Der Vergleich des Energieaufwandes zwischen Eisenbahn (11 SKE/tkm) und des Binnenschiffes (23 SKE/tkm) (zum Vergleich: Straße 85 SKE/tkm) zeigt, daß Eisenbahn und Binnenschiff in der Frage, was den ökologisch und ökonomisch vernünftigsten Transport angeht, sehr nahe beieinander sind. Deshalb kann nicht jedesmal die Entscheidung für das Binnenschiff fallen. Diese Diskussion muß aus ökologischer Sicht mit größer Aufmerksamkeit geführt werden. Die Chance der Einheit, die hoffentlich bald zu ähnlichen Umweltstandards in den neuen Ländern führt, darf nicht auch gleichzeitig das „Nebengeschenk der Trennung" , nämlich die ökologischen Nischen im Grenzgebiet — hier also der Elbauen — gefährden. Wir wollen beides bewahren. Die Elbe soll sauberer und artenreicher werden. Darüber hinaus soll sie uns aber auch in ihrer noch ziemlich unverbauten Gestalt mit Auwäldern, Feuchtflächen und Biberkolonien erhalten bleiben. Dafür lassen sie uns gemeinsam kämpfen. Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Es ist zweifellos ein positives Ergebnis, daß sich die Europäische Gemeinschaft die Tschechoslowakische Förderative Republik und die Bundesrepublik Deutschland zu einer internationalen Zusammenarbeit und Kooperation bei der so dringend erforderlichen Sanierung der Elbe verpflichten. Nur auf einem solchen international abgestimmten Weg ist mittelfristig eine spürbare Verbesserung der Elbe, ihrer Zu- und Nebenflüsse und schließlich auch der Nordsee zu erreichen. Im Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der vorliegenden Vereinbarung wird in diesem Zusammenhang vom Erreichen eines möglichst naturnahen Systems und einer gesunden Artenvielfalt gesprochen. Wir müssen fordern, daß dies nicht auf den Bereich des Wassers und der auf und in ihm lebenden Arten begrenzt wird. Die Gefahr einer solchen Einschränkung sehen wir deshalb, weil im Abs. 4 des Art. 1 die Probleme der 3468* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Schiffahrt aus der Zuständigkeit der Kommission zum Schutz der Elbe ausdrücklich ausgenommen werden. Worin wir die Gefahren sehen, möchte ich kurz in einer Beschreibung des Naturraumes Elbe darlegen. Einerseits ist die Elbe katastrophal mit industriellen und kommunalen Belastungen verschmutzt, man kann auch sagen: vergiftet. Andererseits hat sie, wenn man den Blick vom Wasser löst, ein anderes Gesicht. Ich kann das persönlich bewerten, nicht nur weil ich an der Elbe geboren und aufgewachsen bin, sondern auch weil mein Wahlkreis, die Altmark, im Osten von rund 80 km Flußlänge der Elbe begrenzt wird. Beginnend an der Böhmischen Pforte und dem Durchbruch des Nationalparks Elbsandsteingebirge, über das malerische Elbtal bei Dresden, die weiten unbefestigten Überflutungsräume im Mittellauf mit Vogelschutzgebieten, wiedererstarkten Biberpopulationen, Flußauelandschaften und die ausgedehnten Feuchtgebiete an der Grenze zum Land Niedersachsen finden wir entlang des Elbverlaufs in den Bundesländern Sachsen und Sachsen-Anhalt Flußlandschaften, wie sie in der alten Bundesrepublik im Zug des Ausbaus der Bundeswasserstraßen vernichtet wurden. Wir reden heute über ein notwendiges Gesetz zum Schutz der Elbe, das aber den Aspekt des Naturschutzes für noch vorhandene Potentiale naturnaher Landschaften nicht ausdrücklich beachtet. Heute erlebe ich in den Ländern Sachsen und Sachsen-Anhalt elbauf und elbab eine Vielzahl von Veranstaltungen, die sich mit dem Ausbau der Elbe zu einer Wasserstraße, also für erheblich größere Schiffseinheiten als bisher möglich, einsetzen. Als Beispiel möchte ich aus der Tagesordnung einer Veranstaltung zu diesem Thema auf dem sogenannten Europaschiff am 25. September 1991 in Magdeburg zitieren: „Das Ladungspotential der Elbe in Gegenwart und Zukunft" , „Die Häfen der Elbe und ihre Marktchancen", „Der Ausbau der Elbe — ein gesamteuropäisches Anliegen", „Der Ausbau der Elbe aus technischer Sicht", „Die ökologischen Risiken des technischen Ausbaues der Elbe", „Der Ausbau der Elbe in ihrem oberen Lauf", „Die Elbe im Verkehrswegeplan der Bundesrepublik" . Diese Themen geben eindeutig die beabsichtigte Entwicklung wieder. Ein Blick auf die Referenten zeigt mir auch deutlich, wo die Defizite bei den Betrachtungen liegen: Mit Ausnahme des Referenten für den einzigen umweltpolitisch orientierten Redebeitrag, Herrn Dr. Dörfler — übrigens der Ausschußvorsitzende im Umweltausschuß der letzten Volkskammer der DDR — , der jetzt freiberuflich tätig ist und hier nur eine Alibirolle spielen kann, sind alle anderen Referenten in verantwortlichen Positionen von Industrieverbänden oder der Landes- und Bezirksregierung. Da ist kritisch anzufragen, warum wohl von den Verantwortlichen im Lande nicht mit gleicher Deutlichkeit wie die gewünschten Leistungsanforderungen an die Elbe die Belange des Naturschutzes im Elbraum beschrieben werden. Dies überläßt man von Anfang an einem Außenseiter. Für die geplanten größeren Schiffseinheiten ist die Fahrrinne natürlich zu flach. Es stören die wechselnden Wasserstände und vor allem der Domfelsen in Magdeburg. Für all das gibt es bekanntlich technisch machbare Lösungsmöglichkeiten: Man kann die Fahrrinne ausbaggern und den Fluß mit möglicherweise 17 Staustufen so kanalisieren, daß der Domfelsen kein Hindernis mehr ist und der Wasserstand von den Jahreszeiten unabhängig wird. Aber man greift tief in den Wasserhaushalt des Elbumlandes ein, weil sich nicht nur die Strömungsverhältnisse im Oberflächenwasser der Elbe ändern, sondern auch die Grundwasserverhältnisse im Elbumland. Mit welchem Ergebnis für Feuchtgebiete und Auenwälder und deren Tierwelt? Staustufen, ob mit oder ohne Eindeichung, zerstören den noch erhaltenen Landschaftscharakter, weil sie mit der Verhinderung des Wechselspiels von Überflutung und Trockenlegung die spezifischen Lebensbedingungen für eine ganz spezialisierte Tier- und Pflanzenwelt beseitigen. Staustufen beeinträchtigen bekanntermaßen auch den Sauerstoffgehalt von Fließgewässern negativ, wodurch die Selbstreinigungskraft des Flusses verschlechtert wird. Hier bahnt sich die Wiederholung tragischer Fehler der Vergangenheit an. Das schlimme daran ist aber, das man die Fehler heute kennt und beschreiben kann. Und man könnte sie natürlich auch vermeiden. Viele der großen Umweltprobleme, national und international, sind dadurch begründet, daß wir mit unserem ingenieurtechnischen Wissen und Können gegen die Natur oder die Schöpfung gehandelt haben und handeln. Mit Sicherheit ist der niedrige Wasserstand in unseren Flüssen auch damit in Zusammenhang zu bringen. Ein Anstau der Elbe zur Ermöglichung eines maximalen Schiffsverkehrs versucht, mit dem Umweltschaden Wassermangel in der Art umzugehen, daß wieder gegen die Natur gehandelt wird. Wir behandeln hier nicht den Bundesverkehrswegeplan. Deshalb möchte ich meine Ausführungen nicht in der Art weiterführen. Aber trotzdem noch eine Betrachtung dazu: Wir müssen, wenn wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen Beitrag zur Sanierung der Elbe leisten wollen, auch die Probleme der Elbschiffahrt in diesen Vorsatz einbeziehen. Dieses Gesetz gibt es nicht her. Die nächste Behandlung des Themas wird wohl tatsächlich erst mit der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans möglich sein. Ich will für meine Fraktion nicht zum Ausdruck bringen, daß wir gegen eine Nutzung der Elbe als leistungsfähige Bundeswasserstraße sind. Jeder weiß, daß der Transport auf dem Wasserweg nicht nur unter energetischen Gesichtspunkten zu den umweltverträglichsten Transportvarianten zählt. Eine leistungsfähige Wasserstraße ist auch ein Standortfaktor, den wir für norddeutsche, mitteldeutsche und sächsische Industrieregionen nutzen wollen. Die Art und Weise und den Umfang des Ausbaus wollen wir aber in seiner Wechselwirkung zu den anderen Verkehrsträgern, unter Beachtung des tatsächlichen Bedarfs bzw. einer realistischen Bedarfsentwicklung und vor allem unter Bewahrung des Gesamtbilds des Ökosystems Elbe entscheiden. Deshalb fordere ich die Bundesregierung und hier speziell die Bundesminister für Umwelt und Verkehr Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3469* auf, das Defizit des heute vorliegenden Gesetzentwurfs, nämlich die Ausklammerung des Schiffsverkehrs, zum Thema einer besonderen Umweltstudie zur Bewertung der Forderungen zu machen, die zur Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes aus den Ländern Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen kommen werden. Auf keinen Fall darf der Ausbau der Bundeswasserstraße Elbe nach den Regeln des sogenannten Beschleunigungsgesetzes erfolgen, daß wir gestern zum erstenmal im Umweltausschuß behandelt haben und das die Durchführung von Raumordnungsverfahren und damit die Umweltverträglichkeitsprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung dem Ermessen der Länder überläßt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Dr. Jürgen Starnick (FDP): Auch die Fraktion der FDP begrüßt den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Einrichtung einer Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe. Bereits vor dem Fall der Mauer hat meine Fraktion wiederholt die Bundesregierung ermutigt und gedrängt, mit den Anrainerstaaten der Elbe, insbesondere mit der Tschechoslowakai und damals noch mit der DDR, das Gespräch über eine Elbeschutzkonvention zu führen. Thorsten Wolfgramm hat dieses von dieser Stelle mehrfach angemahnt. Heute beraten wir über einen konkreten Anfang. Wir können dies tun, weil die politischen Veränderungen in Osteuropa eine bilaterale Vereinbarung unter Einbeziehung der Europäischen Gemeinschaft möglich gemacht haben. Ich bezeichne das, was uns vorliegt bewußt als Anfang, weil der Schwerpunkt der Vereinbarung zunächst darauf liegt, den Zustand der Elbe genauer zu erfassen und zu beschreiben. Dies ist notwendig, um das Problembewußtsein dafür zu stärken, welche Schäden in der Elbe und damit auch in der Nordsee bereits eingetreten sind und wie dringlich die Maßnahmen zum Schutz der Elbe sind. Allerdings können wir in der Phase des Erfassens nicht lange verharren. Der mit diesem Gesetz eingerichteten Kommission muß es sehr schnell gelingen, ihrer Aufgabe gerecht zu werden und Maßnahmen zur Verringerung von Emissionen nach dem Stand der Technik vorzuschlagen. Die Bundesregierung ist aufgerufen, der Kommission rasch wirksame Maßnahmen zu unterbreiten. Keinesfalls darf die Einrichtung dieser Kommission als Ausflucht dafür dienen, daß beim Gewässerschutz in unserem Einzugsbereich der Elbe die Gangart verlangsamt wird. Wir selbst, nicht die Tschechen, müssen die Vorreiter in dem Bemühen sein, die Aufbereitungen von kommunalen und industriellen Abwässern in diesem Bereich zu verbessern. Ich sage dies, weil ich inzwischen ein gewisses Mißbehagen empfinde über das Zuständigkeitsgeraufe in und zwischen den Kommunen über die Organisation der Abwasseraufbereitung in den neuen Bundesländern. Wenn dieses dann noch damit verbunden ist, daß die Kommunen für sich in Anspruch nehmen, die Abwasserproblematik aus eigener Kraft und allein aus öffentlichen Mitteln zu bewerkstelligen, dann darf meine Befürchtung berechtigt sein, daß wir über das Thema „Schutz der Elbe " in diesem Hause noch viele Jahre debattieren werden. Die Treuhandanstalt hat den Investitionsbedarf für die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung in den kommenden Jahren bis zur Jahrtausendwende in den östlichen Ländern auf bis zu 150 Milliarden DM geschätzt. In Anbetracht dieser Summe sind die dringend notwendigen Maßnahmen nur zu schaffen, wenn sich die Kommunen bei der Finanzierung der Errichtung und dem Betrieb von Trinkwasserver- und Abwasserentsorgungsanlagen privatwirtschaftlicher Möglichkeiten bedienen. Allein und aus eigener Kraft lösen die Kommunen das Problem nicht mit der geforderten Dringlichkeit, weil — bei ihnen in der Verwaltung nicht die notwendige Planungskapazität und das Know-how in ausreichendem Maße vorhanden sind, — die Trägerschaften für die Wasserwirtschaft und ihre personelle Infrastruktur erst geschaffen werden müssen und — die notwendigen Investitionsmaßnahmen von öffentlichen Zuschüssen abhängig gemacht werden. Die öffentlichen Haushalte in den neuen Bundesländern werden aber über lange Zeit begrenzt und diese zu harten Prioritätenentscheidungen gezwungen sein, bei denen bedauerlicherweise Umweltschutzinvestitionen nicht immer vorrangig gesehen werden. Ich möchte den Bundesumweltminister ausdrücklich darin unterstützen — wie im Mai gemeinsam mit der Treuhandanstalt begonnen — , fortzufahren, die neuen Länder zu ermutigen, private Finanzierungsmöglichkeiten in der Wasserwirtschaft auszuschöpfen und neue Wege bei der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft bei der Neuordnung der Wasserwirtschaft zu beschreiten. Er selbst sollte hierfür finanzielle Anreize schaffen. Wenn die Elbe nicht zu einem umweltpolitischen Dauerbrenner werden soll, dann müssen die Vorteile privatwirtschaftlicher Organisationsform genutzt werden, die darin bestehen, daß private Investoren ihre Investitionen gerade nicht davon abhängig machen, daß etwaige Finanzmittel der Kommunen oder der Länder zur Verfügung stehen. Das noch über viele Jahre magere Steueraufkommen in den östlichen Bundesländern wird nur ausreichen, die laufenden öffentlichen Aufgaben — also die konsumtiven Ausgaben — zu decken. Die Zuflüsse für Investitionshaushalte aus gemeindlichen Steuern, aus Gebührenhaushalten und den anteiligen Finanzzuweisungen aus Steueraufkommen werden allenfalls den Grundbedarf abdecken. Vor allem dürfen die neuen Bundesländer bei der Erarbeitung ihrer Kommunalverfassungen nicht den gleichen Fehler begehen wie viele alte Bundesländer, die Wasserver- und Entsorgung nur als eine öffentliche Aufgabe zu betrachten und privatwirtschaftliche Lösungen auszuschließen. Die Landesregierungen 3470* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 und die Kommunen in den östlichen Ländern müssen vielmehr ihre Kraft vorrangig darauf konzentrieren, die notwendigen Genehmigungsverfahren zügig durchzuführen. Ich will damit nicht bestreiten, daß Entsorgungsaufgaben grundsätzlich Pflichtaufgaben von kommunalen Selbstverwaltungen sind, aber diese müssen sich ausdrücklich Dritter bedienen können. Da die Tschechoslowakei vor den gleichen Problemen steht, werden unsere Lösungen auch modellhaft für sie sein. Die FDP-Fraktion wird deshalb den Bundesumweltminister beim Wort nehmen und bei der für den Herbst angekündigten Vorlage des Elbesanierungsprogrammes nachfragen, inwieweit die verwaltungsmäßigen und finanziellen Voraussetzungen für die zügige Umsetzung der gewünschten Maßnahmen gegeben sind. Bleibt die Antwort unbefriedigend, behält sich die FDP vor, die Initiative zur Novelle des § 18 des Wasserhaushaltsgesetzes zu ergreifen, um die Länder ausdrücklich zu ermächtigen, sich bei der Pflicht zur Abwasserbeseitigung dritter, privatwirtschaftlicher Institutionen zu bedienen. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Die Kombination von Rednern aus den beiden Bereichen Umwelt und Verkehr zeigt: Regierung und Parlament meinen es ernst mit einer umweltgerechten Verkehrspolitik. Die Vereinbarung zum Schutz der Elbe ist ein beachtenswertes Beispiel dafür. Alle Anliegerinteressen werden im ständigen Sekretariat koordiniert, Konsens und Kooperation sind die Grundlagen. Die Kostenbeteiligung der Bundesrepublik Deutschland mit 65 % (618 000 DM 1991) ist angemessen. Mit der Internationalen Kommission ist eine Organisationsstruktur geschaffen, die eine zügigeVerbesserung des Gewässerschutzes der Elbe gewährleistet. Dieses Ziel hat Vorrang. Bei gutem Willen und strukturierter Arbeit lassen sich die Interessen von Schiffahrt und Wirtschaft durch jetzt praktizierbare internationale Zusammenarbeit in einem Elbe-Nutzungs-Konzept bündeln. Vorfahrt für die Binnenschiffahrt gilt es zu sichern. Keiner der großen Verkehrsträger ist so umweltfreundlich, energiesparend und kostengünstig wie dieser. Der Anteil der Binnenschiffahrt am Güterverkehrsaufkommen betrug 1990 rund 22 %, bis zum Jahre 2010 soll er auf 40 % gesteigert werden. Die neue Politik von Bundesverkehrsminister Krause, mehr Güter vom Asphalt auf die Wasserstraße zu verlagern, dient dem Umweltschutz in hohem Maße. Das Verlagerungspotential, besonders für Massengüter, ist groß. Die Elbe, die 1989 in der ehemaligen DDR rund 3 % und im Bundesgebiet 22 % der Verkehrsleistungen trug, ist als attraktive Wasserstraße zu sichern. Sie ist für Hamburg und Schleswig-Holstein eine Wirtschaftsader von überragender Bedeutung für den Handel mit den Ländern Osteuropas und besonders mit der CSFR. Wer jetzt die Wirtschaftsbeziehungen verbessert und ausbaut, bringt eine belebende Dynamik in die neuen Demokratien Osteuropas, schafft dadurch Arbeit und verstärkt das Vertrauen der Menschen in die durch Mut und Opferbereitschaft gestaltete neue Staatsform. Die sanfte Revolution in der CSFR benötigt weiteren Rückenwind. Der Elbteil im Bereich der ehemaligen DDR bietet ein Bild der Verwahrlosung, ein trauriges Erbe des real existierenden Sozialismus. Der Umweltschutz wurde auch bei diesem Fluß mit Füßen getreten. Für einen fließenden Verkehr sind die Voraussetzungen ebenso miserabel wie für eine vertretbare Umweltsicherheit. Was ist zu tun? Die für die Schiffahrt wichtigen Regulierungsbauwerke sind instandzusetzen. Bei Magdeburg ist ein funktionsgerechtes Wasserstraßenkreuz zu schaffen, damit die Berlin-Anbindung gewährleistet wird. Die Sanierung des Elbe-Havel-Kanals und der Ausbau des Mittellandkanals mit der wasserstandsunabhängigen Elbquerung erfordern einen Investitionsaufwand von 4 Milliarden DM. Eine leistungsfähige Wasserstraßenverbindung zu den Nordseehäfen ist damit gesichert. Und wer dem Umweltschutz gerecht werden will, läßt die Schiffahrt auf der Elbe weiterhin naturbelassen. Doch zur Zeit ist die Gefahr groß, daß dieser Fluß mißbraucht wird. Die Regierungschefs der norddeutschen Küstenländer haben gemeinsam mit dem Unternehmerkuratorium Nord Beschlüsse gefaßt, die in ihrer Konsequenz zu einer großräumigen Umweltzerstörung führen können, zum Schaden der Menschen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen. Unter Vorsitz von Hennig Voscherau und Björn Engholm will man — trotz der Warnung vieler Fachleute — die Unterelbevertiefung vornehmen, um diese Wasserstraße dem Containerschiff der 4. Generation mit 13,80 m Tiefgang anzupassen. Dieses Vorhaben ist weder ökologisch vertretbar noch sturmflutsicher und finanzierbar. Hamburg will die Konkurrenzhäfen Bremerhaven und Cuxhaven dadurch aushebeln ohne Rücksicht auf den Umweltschaden. Diese Entscheidung vom 8. Mai 1991 ist vom Vorsitzenden des Umweltausschusses, Dr. Wolfgang von Geldern, heftig kritisiert worden. Ein Jahr zuvor noch lief die SPD Schleswig-Holstein gegen solche Ideen der Hansestadt Sturm, weil bei einer solchen Wassertiefe das Ufer stetig wegsackt, es keine Verklappungsflächen mehr gibt, die Regenerationskraft des Flusses abgebaut wird und die Gefahr von Deichbrüchen immens steigt. Im Herbst 1990 hielt die SPD des nördlichsten Bundeslandes die Elbvertiefung für nicht aktzeptabel, acht Monate später setzt sich Björn Engholm nach Gutsherrenart über die Fraktionsmeinung hinweg. Dieses Doppelspiel schadet nicht nur der Elbe, sondern auch der Glaubwürdigkeit von Politikern. Die Fraktion betreibt eine Verbeugungsstrategie vor den Umweltschutzverbänden, der Ministerpräsident derselben Partei vor den Unternehmern verbunden mit der stillen Hoffnung „es merkt ja keiner" ! Die Forderung zur Tiefbaggerung geht an den Bund, Engholm und seine Fraktion behalten bei einer solchen Taktik eine vermeintlich weiße Weste, doch die Menschen bleiben getäuscht. Der Spielraum für einen günstigen, deutschen Containerhafen ist groß, ein neuer Tiefwasserhafen vor Brunsbüttel könnte eine gute Lösung dafür sein, die Elbe zu schützen, den Handel zukünftig zu sichern. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3471* Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Elbe gehört neben der Oder zu den am stärksten durch Schadstoffe belasteten Flüssen Europas. Die Verunreinigung wird im wesentlichen durch fehlende oder unzureichend arbeitende industrielle und kommunale Kläranlagen in der Tschechoslowakei und im Gebiet der ehemaligen DDR sowie durch diffuse Einträge insbesondere aus der Landwirtschaft verursacht. Die Elbe ist dadurch hochgradig mit sauerstoffzehrenden Substanzen, Schwermetallen und chlorierten Kohlenwasserstoffen belastet. Die völlig unzureichende Klärung des kommunalen Abwassers im gesamten Einzugsgebiet der Elbe in der CSFR und den neuen Bundesländern führt überdies zu einer starken bakteriellen und viralen Belastung der Elbe. Durch Produktionseinstellungen in den neuen Bundesländern sind 1990/91 bereits Reduzierungen der Schadstofffrachten eingetreten. So ist an der Meßstation Schnackenburg die Quecksilberfracht von 26 Tonnen 1990 auf 6,5 Tonnen zurückgegangen. Um die Gewässergüte der Elbe nachhaltig zu verbessern und den Standard in den alten Bundesländern zu erreichen, sind jedoch umfangreiche Sanierungsmaßnahmen erforderlich. Der BMU fördert diese Maßnahmen sowohl durch Pilotprojekte als auch durch die Förderung im Rahmen des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost. Im gesamten Flußeinzugsgebiet der Elbe werden 1991 und 1992 155,5 Millionen DM für die Abwasserbeseitigung und -reinigung eingesetzt. Damit wird die Sanierung von 36 Kläranlagen und 19 Kanalisationen finanziell gefördert. Da ein hoher Anteil der Verunreinigung der Elbe aus der CSFR stammt, hat die Bundesregierung am 8. Oktober 1990 als erste internationale Umweltschutzvereinbarung nach der Vereinigung Deutschlands eine Vereinbarung mit der CSFR und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe abgeschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte schon seit Jahren auf die Bildung einer Elbeschutzkommission gedrängt. Dieser Wunsch scheiterte allerdings am Widerstand der damaligen DDR-Regierung, die wegen streitiger Grenzprobleme an der Elbe jahrelang nicht zu Verhandlungen bereit war. Erst mit der politischen Wende erklärte sich die DDR zu Verhandlungen über eine Vereinbarung bereit. Diese Vereinbarung bildet die Grundlage für eine verstärkte Zusammenarbeit der Elbeanliegerstaaten mit dem Ziel, die Gewässergüte der Elbe und ihres Einzugsbereichs so zu verbessern, daß die Trinkwassergewinnung wieder möglich wird und daß Fische aus der Elbe wieder zum Verzehr geeignet sind. Eine nachhaltige Verbesserung der Elbegüte muß vor allem auch deshalb erreicht werden, weil ohne eine rasche und deutliche Verminderung der Schadstoffbelastung der Elbe ein wirksamer Schutz der Nordsee nicht möglich ist. Die Kommission hat sofort im Anschluß an die Unterzeichnung ad interim ihre Arbeit aufgenommen. Als besonders vordringliche Aufgaben wurden folgende Maßnahmen in Angriff genommen: — konkrete Aktionsprogramme zur Reduzierung der Schadstofffrachten sowohl aus kommunalen und industriellen Einleitungen, — Vorsorgemaßnahmen zur Vermeidung unfallbedingter Gewässerbelastungen, — gemeinsame Meß- und Untersuchungsprogramme, Koordinierung ihrer Durchführung und Dokumentation sowie Bewertung der Ergebnisse (Niedersachsen; Vorsitz AG Elbe, Meßprogramme). Inzwischen ist ein erstes Sofortprogramm zur Reduzierung von Schadstofffrachten kommunaler Kläranlagen, industrieller Direkteinleiter und prioritärer Schadstoffe erarbeitet worden, das noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Anlage 7 Zu Protokoll gegebenen Reden zu Tagesordnungspunkt 14 (Antrag betr. Transparenz über Reisen des Deutschen Bundestages gegenüber den Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen) Dr. Jürgen Rüttgers (CDU/CSU): Die Überschrift des vorliegenden Antrages enthält das Wort „Transparenz". Transparent heißt durchsichtig. Durchsichtig ist an diesem Antrag vor allem eines, nämlich seine politische Absicht: Hier soll ein beliebtes Vorurteil ausgeschlachtet werden. Der Antrag erweckt den Eindruck, die Auslandsdienstreisen des Bundestages seien eine Geheimsache, die sorgfältig vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen würde. Das ist falsch. Die Kosten für diese Reisen sind nicht in irgendwelchen Haushaltstiteln versteckt. Es gibt keine obskuren Geldquellen und keine verschleierten Fonds. Jede Mark, die hier ausgegeben wird, ist im Haushaltsplan ausgewiesen. Hier wird nichts vertuscht, und hier ist nichts undurchsichtig. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Für Jedermann sind sie nachlesbar. Es kann auch keine Rede davon sein, daß Auslandsreisen des Bundestages unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden würden. Leider nimmt die Öffentlichkeit meist nur unter bestimmten Bedingungen von den außenpolitischen Kontakten des Bundestages Kenntnis, und zwar dann, wenn erstens Sommerpause ist, zweitens das übliche Sommertheater nicht viel hergibt und drittens der Bericht vom letzten Jahr in den Redaktionen auf Wiedervorlage liegt. Manchmal fällt die Analyse besonders scharfsinnig aus: Dann wird z. B. festgestellt, daß die Haushaltsansätze in diesem Bereich für 1991 gegenüber 1988 spürbar gestiegen seien. Daß wir im ersten Jahr der deutschen Einheit leben und der Bundestag 140 Abgeordnete mehr hat, scheint diesem zeitkritischen Geist entgangen zu sein. Sparsamkeit und Durchschaubarkeit sind wichtig, wenn es um die Aufwendungen des Parlaments geht. Im Antrag wird verlangt, daß in einem Bericht im einzelnen darzulegen ist, welchen Niederschlag diese 3472' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Reisen in der Arbeit des Parlaments gefunden haben. Das wäre entweder grotesk oder mit dem freien Mandat nicht in Einklang zu bringen. Über Einzelheiten läßt sich ja reden, und Ihre Akribie in Ehren: Aber es gibt eine Form der Parlamentskritik, die widersprüchlich ist, die wenig mit den Realitäten des Bundestages zu tun hat und die dennoch aus den Reihen des Parlaments selbst kommt. Die Kritiker müssen sich schon entscheiden: Man kann nicht einerseits darüber klagen, das Parlament werde in immer stärkerem Maße von Informationen der Regierung abhängig und habe zu wenig Gestaltungsfreiheit, gleichzeitig aber darüber klagen, daß sich die Abgeordneten ein eigenes Bild machen und eigene politische Kontakte — auch im Ausland — haben. Man kann nicht einerseits darüber klagen, unsere Politik drohe sich zu sehr auf Deutschland und Europa zu konzentrieren, gleichzeitig aber auch darüber klagen, daß die Abgeordneten politische Beziehungen in die Staaten der sogenannten dritten und vierten Welt pflegen. Es ist eben etwas anderes, ob wir in dicken Papieren über die Abholzung der tropischen Regenwälder lesen oder ob wir das Ausmaß der Zerstörungen und seine Wirkungen selbst beurteilen können. Es ist auch etwas anderes, ob wir von Menschenrechtsverletzungen hören oder ob wir mit Betroffenen und Verantwortlichen vor Ort sprechen. Abgeordnete haben in der internationalen Politik viele Handlungsmöglichkeiten, in manchen Bereichen mehr als die Regierung, die stärker an diplomatische Rücksichten gebunden ist. Wer das zum Polittourismus deklariert, der will davon offenbar nichts wissen. Nur am Rande sei bemerkt, daß die beiden Gruppen Bündnis 90/GRÜNE und PDS auf ihren Wunsch hin weit überproportional an diesen Reisen beteiligt werden. Das Parlament muß sich grundsätzlich mit seinen Handlungen öffentlich verantworten. Das betrifft auch die Aufwendungen für unsere Arbeit. Denn das ist Geld des Steuerzahlers. Deshalb stehen auch diese Kosten immer wieder auf dem Prüfstand. Wir beraten darüber, die Öffentlichkeit diskutiert, der Rechnungshof prüft. Aber wir brauchen nicht in Sack und Asche zu gehen. Die Aufwendungen sind insgesamt angemessen und notwendig. Das gilt auch für die Reisekosten. Eine Kontrolle der politischen Kontakte der Bundestagsabgeordneten unter dem Schlagwort vergeblicher Transparenz kann und wird es nicht geben. Ebensowenig können wir uns auf eine Selbstlähmung des Parlaments im Hinblick auf seine außenpolitischen Kontakte einlassen. Gudrun Weyel (SPD): Der vorliegende Antrag zur Transparenz über Reisen des Deutschen Bundestages gegenüber den Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen erweckt auf den ersten Blick große Sympathien. Niemand kann etwas dagegen haben, daß der Steuerzahler erfährt, was mit seinem Geld geschieht. Erst die Begründung läßt aufmerken. Dort wird bereits ein Überblick über die Haushaltstitel gegeben, und die dort aufgeführten Beträge sind eigentlich das, was der Steuerzahler wissen will. Diese Titel sind bereits heute im Bundeshaushalt zu finden und damit für jeden Interessenten zu erfahren. Vielleicht hätten die Antragsteller noch den Text des § 17 des Abgeordnetengesetzes hinzufügen sollen, damit die interessierte Steuerzahlerin erfährt, was mit diesem Geld geschieht und unter welchen Bedingungen es verwendet wird. Dabei erfahren die Bürger auch, welche Reisen bereits durch die Kostenpauschale zu finanzieren sind, und damit wird ihnen wenigstens zu einem Teil deutlich, wofür Abgeordnete diese Kostenpauschale erhalten. Einsichtig ist sicher auch, daß die Mitwirkung von Abgeordneten in internationalen Gremien wie Europarat, Interparlamentarische Union, NATO und WEU dazu führt, daß die Abgeordneten zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben in solchen Gremien an die Sitzungsorte reisen müssen, und daß sie diese Reisen als Teil ihrer Arbeit tun, nicht aber zu ihrem eigenen Vergnügen. Sie sind damit in der gleichen Situation wie alle Werktätigen, die in Ausübung ihres Berufs reisen müssen und ihre Kosten erstattet bekommen. Was bleibt, sind diejenigen Reisen, die von der Präsidentin genehmigt werden müssen. Wenn ich den Antrag recht verstehe, müßte die Präsidentin dann für jede Reise darlegen, warum sie eine Genehmigung erteilt hat und welche Gründe sie bewogen, diese Reise für nützlich im Sinne der Arbeit des Bundestages anzusehen. Wichtiger ist nach meinem Eindruck die Frage, wie der Steuerzahler und die Steuerzahlerin über den verlangten Bericht der Präsidentin des Deutschen Bundestages informiert wird. Die Erfahrung ist die, daß Abgeordnete und Presse ein Exemplar davon erhalten, auch andere Institutionen, die im Verteiler sind, nicht aber der normale Bürger. Der Steuerzahler erfährt den Inhalt durch die Berichte, die Presse, Rundfunk und Fernsehen darüber geben. Für diese Berichte dürfte aber das gelten, was in der Begründung zitiert wird als „Medienberichte, welche zu Anlässen, Kosten, exotischen Reisezielen sowie auch zum Verhalten von teilnehmenden Abgeordneten kritisch Stellung nahmen" . Es ist Sache der Übermittler, wie der Bericht bei den interessierten Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ankommt. Je nach Seriosität dieser Übermittler wird der Eindruck des Lesers oder Hörers sehr unterschiedlich sein. Von dieser Seite her sollte man genau prüfen, ob ein solcher Bericht wirklich mehr Transparenz ergibt. Eine andere Frage ist, in welchem Umfang beispielsweise persönliche Daten der Abgeordneten dabei veröffentlicht werden müßten, die dem Datenschutzgedanken widersprechen. Man könnte solche detaillierten Berichte über die Haushaltsmittel sicher für jedes beliebige Gebiet verlangen. Im vorliegenden Falle betrifft es einen Bereich, der in besonderem Maße geeignet ist, den Eindruck mancher Menschen zu verstärken, daß Abgeordnete hauptsächlich damit beschäftigt sind, die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen, die für andere Menschen mit Urlaub und Freizeit verbunden sind. Von langen, anstrengenden Sitzungen, Aktenlesen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3473* intensiver Vorbereitung ist da nicht die Rede. Die Tatsache, daß eine Dienstreise von Abgeordneten üblicherweise ein anstrengendes Unternehmen ist, das nicht Vergnügen, sondern Arbeit bedeutet, ist häufig weniger erwähnenswert. Diese Gesichtspunkte sollten im Ältestenrat erörtert werden, dem dieser Antrag überwiesen werden soll. Die SPD-Fraktion ist mit dieser Überweisung und der Mitberatung des Haushaltsausschusses einverstanden. Wolfgang Lüder (FDP): Bevor wir darüber streiten, welche Präsidialberichte für welche Ablage zu welcher Zeit produziert werden sollen, müssen wir uns zunächst darüber verständigen, was wir politisch wollen. Hierzu sage ich in aller Deutlichkeit: Die internationale Zusammenarbeit der Parlamentarier stärkt den Parlamentarismus auch in unserem Land. Reisen über die nationalen Grenzen hinweg sind notwendige Grundlage auch nationaler parlamentarischer Tätigkeit. Gerade in Zeiten der zunehmenden Zusammenarbeit der Regierungen erfordert die effektive Kontrolle der Regierungstätigkeit durch das Parlament auch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit der Parlamentarier. Wir haben heute morgen hier mit Beifall begrüßt, daß als Zielsetzung, z. B. der deutsch-ungarischen Zusammenarbeit, die die Präsidentin zu Beginn dieser Sitzung würdigte, ein demokratisches Europa, ein Europa der Demokratien, gesetzt wurde. Das Europa der Demokratien, das wir wollen, erfordert auch eine Zusammenarbeit der Demokraten Europas. Wir wollen aber auch die Zusammenarbeit mit Parlamentariern in anderen Ländern, auch in anderen Kontinenten. Wir wollen den internationalen Erfahrungsaustausch. Wir wollen Menschen und Probleme kennen, um für unsere Menschen Probleme besser lösen zu können. Das uneingeschränkte Ja zur internationalen Arbeit der Parlamentarier muß am Beginn einer Debatte stehen, bevor wir uns darüber unterhalten, wie wir dieses Tätigkeitsfeld dem Bürger draußen näherbringen wollen und können. Dazu gehört auch — gerade für Vertreter jener politischen Richtungen, die in vielen Ländern vertreten sind; ich denke an die Sozialdemokraten, ich denke aber auch an die Christkonservativen und insbesondere an die Liberalen — , daß wir den Gedanken- und Meinungsaustausch pflegen. Das kann man durch Telefax und Telefon nicht ersetzen. Der unmittelbare Kontakt zum Kollegen, das Gespräch mit der Kollegin muß international möglich sein. Das wichtigste und erste Ziel muß dabei sein, um Verständnis für diese Arbeit — und es geht um Arbeit, nicht um Vergnügen — zu werben. Ich bin dafür, daß dem Bürger stärker transparent gemacht wird, was internationale Arbeit des Parlaments und der Parlamentarier ist. Das aber geht nicht auf dem Weg über den haushälterischen Präsidialbericht, wie der Antrag es vorsieht. Wir werden in der Ausschußberatung darüber nachdenken müssen, wie wir die Öffentlichkeitsarbeit des Parlaments verbessern können, auch und gerade für den internationalen Bereich. Aber eines sage ich von vornherein: Es gibt Unterschiede zwischen den Reisen der Parlamentsdelegationen und den Reisen der einzelnen Abgeordneten im Auftrag ihrer Fraktion. Hier kann nicht eine Fraktion Zensor über die politische Arbeit der anderen sein. Die Haushaltsmittel müssen verantwortungsbewußt verwaltet werden. Das zu überwachen ist Aufgabe der innerfraktionellen Haushaltskontrolle. Das kann nicht Gegenstand der im Antrag gewünschten Berichte sein. Am Berichtswesen ist noch kein Staat genesen. Mit dieser skeptischen Haltung gehen wir in die Beratungen des Ausschusses. Wir werden dabei auch darauf achten, daß es der Unabhängigkeit des Parlamentariers dient, wenn die Kosten seiner Auslandsarbeit auch von seinem Parlamentsetat getragen werden, damit er nicht in Versuchung gerät, sich von dritter Seite finanzieren zu lassen. Auch das gehört zur unabhängigen Parlamentarierposition. Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Ich hatte das Glück, in der vergangenen Woche mit einer Delegation des Bundestages unter Leitung des Vizepräsidenten, Herrn Cronenberg, in die Mongolei zu reisen. Auf dem Flughafen in Peking hatten wir eine Begegnung mit dem Mitglied einer Reisegruppe aus der Bundesrepublik, und wir wurden gefragt, was denn deutsche Parlamentarier so weit weg von Bonn wollten und ob wir dort die Steuergelder verbraten. An diese Episode wurde ich wieder erinnert, als ich den Antrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN las. Die Fragen des jungen Mannes verdeutlichen einerseits, daß das Bild der Abgeordneten nach außen ziemlich lädiert ist, und sie bestätigen andererseits in ihrem Wesen, daß es notwendig ist, die Bürgerinnen und Bürger, einschließlich die Mitglieder des Bundestages, umfassender als bisher über Umfang, Ziel und Ergebnisse (sowie über deren Kosten) der Reisetätigkeit von Abgeordneten zu informieren. Der Maßstab für den Erfolg einer Reise ist dabei nicht die Höhe der finanziellen Aufwendungen oder etwa der Erholungseffekt der Abgeordneten, sondern die Herstellung beziehungsweise die Verbesserung der Kontakte von Parlamentariern der Bundesrepublik und denen im Ausland, ist das gegenseitige Kennenlernen und die Entwicklung des Verständnisses füreinander, für unterschiedliche Lebensbedingungen, gesellschaftliche Probleme, für das Denken und Fühlen der Menschen. Besonders gefördert werden sollten meines Erachtens heute Informationsreisen nicht nur in die neuen Bundesländer — ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß viele Abgeordnete aus den alten Bundesländern hier einen respektablen Nachholbedarf haben — , sondern vor allem auch in die osteuropäischen Länder. Es ist relativ leicht, sozusagen aus der Ferne über Demokratisierung, zum Beispiel in der Mongolei, zu sprechen und kluge Ratschläge zu geben. Es fällt schon schwerer und differenziert sich daher, wenn ich selbst erlebt habe, unter welch harten Bedingungen eine normale Aratenfamilie lebt und wie kompliziert sich der Aufbau neuer politischer Strukturen vollzieht. 3474 * Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Es fällt manchen hier sicher leicht, darüber zu reden, daß schnellstmöglich, z. B. in der Mongolei, die Marktwirtschaft einzuführen und die Privatisierung zu vollziehen ist. Das sieht dann schon anders aus, wenn man aus genauer Kenntnis der konkreten Bedingungen einschätzen muß, daß eine Privatisierung, zum Beispiel der gesamten Weideflächen, zu einer Katastrophe in der Viehwirtschaft führen würde. Man kann lang und breit über Hilfe beim Aufbau einer modernen Wirtschaft debattieren. Ohne genaue Ortskenntnis, was dazu wirklich notwendig ist, wird vieles nicht die gewünschte Wirkung erzielen. Dabei geht es keineswegs darum, als Propheten, als die Alleswisser und Alleskönner aufzutreten, sondern eine echte Partnerschaft zu erreichen. Und ich denke, daß durchaus auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages noch lernfähig sind und sich neue Ideen, zum Beispiel in bezug auf die Gestaltung des Parlamentarismus bei Reisen zu Parlamenten anderer Länder, aber auch im Land selbst, ich meine hier zum Beispiel Erfahrungen, die in Brandenburg gesammelt wurden, holen können. Ich gehe davon aus, daß Reisen von Abgeordnetengruppen durchaus unverzichtbarer Bestandteil von parlamentarischer Arbeit sein müssen. Das schließt aber zugleich ein, in jedem Fall zu überprüfen, ob Aufwand, auch der finanzielle, und Nutzen einer Reise in einem vertretbaren Verhältnis stehen. Das aber ist besser möglich, wenn darüber regelmäßig (vollständig, umfassend und öffentlich) Bericht erstattet wird. Es würde auch dazu führen, daß die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einen regeren Anteil an den politischen Ergebnissen von Abgeordnetenreisen nehmen und nicht in erster Linie nach den Kosten fragen würden. Die Gruppe PDS/Linke Liste unterstützt den vorliegenden Antrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN und wird in ihrer Öffentlichkeitsarbeit künftig größeren Wert auf die Transparenz ihrer Reisetätigkeit legen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Sexualgleichstellungsgesetz) Horst Eylmann (CDU/CSU): Nach der Koalitionsvereinbarung vom 16. Januar 1991 sollen die .§.§. 175, 182 StGB im Zuge der innerdeutschen Rechtsangleichung durch eine einheitliche Schutzvorschrift für männliche und weibliche Jugendliche unter 16 Jahren ersetzt werden. Zur Umsetzung dieser Koalitionsvereinbarung befindet sich im Bundesjustizministerium ein Gesetzentwurf in Vorbereitung. Dieser Entwurf geht von einer einheitlichen Jugendschutzvorschrift aus und bezieht den im Gebiet der ehemaligen DDR fortgeltenden § 149 StGB-DDR ein. In der Bundesrepublik Deutschland besteht ein breiter politischer und gesellschaftlicher Konsens darüber, daß nicht nur Kinder bis zu 14 Jahren, sondern auch Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren davor geschützt werden müssen, von Erwachsenen als Sexualobjekte auf Grund ihrer Unreife mißbraucht zu werden. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen hat Verfassungsrang. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 und 2 unserer Verfassung. Sie bedürfen des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. Das gilt gerade auch für ihre Bewahrung vor sexuellen Gefahren. Dieser Gesichtspunkt berechtigt somit den Staat, von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, die sich auf ihre Einstellung zum Geschlechtlichen und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können. Zielrichtung der von uns beabsichtigten neuen Regelung ist es also nicht, sexuelle Betätigung von Jugendlichen zu verhindern oder zu kanalisieren, sondern Jugendliche im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, wo von einer reifen Persönlichkeit noch keineswegs ausgegangen werden kann, davor zu schützen, als Sexualobjekt von Erwachsenen mißbraucht zu werden. Die PDS hat unter dem Namen SED eines der perfektesten staatlichen Unterdrückungssysteme dieses Jahrhunderts geschaffen, in der die SED-hörige Jugendorganisation FDJ die Aufgabe hatte, mit starker Anlehnung an Mechanismen der Hitler-Jugend die gesamte DDR-Jugend gleichzuschalten. Diese Jugend wurde mit vielfältigen und höchst subtilen Mechanismen daran gehindert, sich frei zu entfalten und sich anderen als kommunistischen Ideen zu öffnen. Ausgerechnet diese PDS macht sich jetzt zum Gralshüter der freien Entfaltung unserer Jugend, statt mit sich selbst ins Gericht zu gehen und sich zu prüfen, wie es um die historische Verantwortung dafür bestellt ist, die ehemalige DDR-Jugend jahrzehntelang geknebelt und geknechtet zu haben. Sobald der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vorliegt, wird sich meine Fraktion einer sorgfältigen Beratung dieses Entwurfes widmen. Eine öffentliche Expertenanhörung zu diesem Thema erscheint mir sinnvoll. Ich beurteile die Chancen günstig, zu einer breiten Mehrheit im Parlament zu kommen. Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Wir Sozialdemokraten bedauern, daß die auf Grund des Einigungsvertrages erforderliche Diskussion über die Reform des Sexualstrafrechts und insbesondere der §§ 175, 182 StGB zu später Stunde an Hand eines Gesetzentwurfes der PDS eröffnet werden soll, der nichts als ein schlechtes Plagiat ist. Es handelt sich um ein Plagiat, weil die Freie und Hansestadt Hamburg in einem bereits am 7. Mai 1991 beim Bundesrat eingegangenen Gesetzentwurf die Streichung der genannten Strafnormen beantragt hat; am 29. Juni 1991, also mehr als 7 Wochen danach, hat die PDS ihren Entwurf beim Bundestag eingebracht. Es handelt sich um ein schlechtes Plagiat, weil als Begründung nur ein paar sprachlich mißlungene Schlagworte angeboten werden, beispielsweise der Hinweis auf den „Aspekt gegebener Veränderungen in der Lebensrealität junger Menschen hinsichtlich ihrer sexuellen Beziehungen". Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3475* Nach unserer Auffassung geht es bei der von uns seit langem geforderten Streichung des § 175 StGB um die Beseitigung der Diskriminierung homosexueller Männer. Und es geht um die Frage, ob der Tatbestand, der sexuelle Handlungen eines Mannes über 18 Jahren an einem Mann unter 18 Jahren mit Strafe bedroht, auf wissenschaftlich nicht mehr haltbaren Annahmen beruht, insbesondere der Annahme, Ursache homosexueller Neigungen sei eher die Verführung in jugendlichem Alter und weniger eine entsprechende Veranlagung oder frühkindliche Entwicklung, die in aller Regel vor Vollendung des 14. Lebensjahres abgeschlossen ist. Die Bundesregierung hat am 10. Juli 1991 auf eine von mir eingereichte Schriftliche Anfrage zutreffend festgestellt: „Bei Sachverständigenanhörungen der Fraktionen der SPD und FDP im Deutschen Bundestag in den Jahren 1981 und 1982/1983 vertraten Sexualwissenschaftler die Auffassung, die Disposition zur Homosexualität liege vor dem 14. Lebensjahr fest". Und sie hat hinzugefügt: „Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, die eine andere Beurteilung rechtfertigen können". Offen und auch in der SPD-Fraktion noch nicht geklärt ist die Frage, ob dieser Erkenntnisstand eine neue Schutzaltersbestimmung rechtfertigt, wie sie die Bundesregierung plant. Diese läßt sich nach der auf meine Anfrage gegebenen Antwort „von dem Grundsatz leiten, daß Jugendliche unter 16 Jahren vor sexuellem Mißbrauch durch Erwachsene zu schützen sind, und zwar unabhängig davon, ob Täter oder Opfer männlichen oder weiblichen Geschlechts sind" . Eine zwingende Konsequenz dieser Regelung wäre, daß künftig homosexuelle und heterosexuelle Handlungen von Frauen mit Partnern zwischen 14 und 16 Jahren strafbar würden. Es ist zu klären, ob es wirklich ein Strafbedürfnis für diese Neupönalisierung von Frauen gibt. Im Falle der ersatzlosen Streichung der §§ 175 und 182 StGB läge das Schutzalter nach § 176 StGB, der den sexuellen Mißbrauch an Kindern regelt, bei 14 Jahren. Bei der Überprüfung des § 182 StGB, der die „Verführung" eines noch nicht 16jährigen Mädchens zum Beischlaf mit Strafe bedroht, stellt sich eine weitere Frage: Soll diese Norm überhaupt die sexuelle Selbstbestimmung schützen, oder soll vielmehr ein „unbescholtenes" Mädchen vor dem Verlust ihrer Heiratschancen geschützt werden, wie der Ausschluß der Strafbarkeit im Falle der Heirat von Täter und Verführter zeigt? Und ist das noch zeitgemäß? Eine seriöse Überprüfung der Schutzaltersfrage macht es notwendig, daß sich der Gesetzgeber über die Erfahrungen informiert, die mit sehr unterschiedlichen Regelungen in anderen Ländern gemacht worden sind. In Europa gibt es enorme Schwankungen, die sich zwischen einem Schutzalter von 12 Jahren in Spanien und Malta und 21 Jahren in Großbritannien (dort bei homosexuellen Handlungen) bewegen. Die SPD-Fraktion wird ihre Meinung erst im Anschluß an eine Sachverständigenanhörung, die insbesondere zu dem angekündigten Gesetzentwurf der Bundesregierung stattfinden sollte, endgültig festlegen. Wir werden dabei auch die Schutzaltersregelungen, die in anderen Straftatbeständen enthalten sind, beispielsweise den §§ 174 und 180 StGB, zu berücksichtigen haben. Die sinnvolle Weiterentwicklung der Normen zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, nicht zuletzt auch der §§ 177 und 178 StGB (Vergewaltigung und sexuelle Nötigung), ist aus unserer Sicht eine Aufgabe, der sich der Gesetzgeber nicht entziehen darf. Wir Sozialdemokraten fühlen uns dabei einer Rechtstradition verpflichtet, die ganz besonders mit dem Namen des früheren Justizministers Gustav Heinemann verbunden ist. Nach unserer Auffassung muß der Gesetzgeber bei seiner schwierigen Aufgabe Verantwortung und Kompetenz beweisen. Ein starres Festhalten an Koalitionskompromissen oder gar gesetzgeberische Schnellschüsse mit dem Ziel parteipolitischer Profilierung sind damit nicht vereinbar. Jörg van Essen (FDP): Die PDS als Vorkämpferin der Freiheit — hier der sexuellen — , mir kommen die Tränen! In wenigen Ländern hat es in den vergangenen Jahren schlimmere Verfolgungen sexueller Minderheiten gegeben als im sozialistischen Musterland Kuba, ohne daß mir zu Ohren gekommen wäre, daß unsere Kollegen aus der SED-Nachfolgepartei dort für die Menschenrechte eingetreten wären. Homosexuelle Frauen und Männer sind in manchem vielleicht anders, aber garantiert nicht dümmer als der Durchschnitt der Bevölkerung und durchschauen diese billige Effekthascherei der PDS. Sie wissen genau, daß es sich in einem weltoffenen, in einem liberalen Klima am besten leben läßt, und haben noch gut in Erinnerung, daß ähnliche Versuche der West-Grünen in der Vergangenheit den notwendigen Reformprozeß nicht beschleunigt, sondern um Jahre verzögert haben. Ähnlich sieht es offenbar auch der Schwulenverband in Deutschland, der in einer Presseerklärung von heute das Vorpreschen der PDS als voreilig und unnötig bezeichnet. Die FDP ist in allen Koalitionsverhandlungen der letzten Jahre sachkundig für die Rechte der Homosexuellen eingetreten. Schon an dieser Sachkunde mangelt es dem PDS-Antrag deutlich, der fälschlich behauptet, einvernehmliche Sexualkontakte zwischen jungen Männern von 14 bis 18 Jahren seien in der Alt-Bundesrepublik nach § 175 StGB strafbar. Nein, einer muß schon älter als 18 Jahre sein. Die Koalitionsvereinbarung dieses Jahres läßt nun einen wirklichen konkreten Reformschritt zu: die Senkung des Schutzalters auf 16 Jahre. Ein Ergebnis, das nicht nur dem konsequenten Verhandeln meiner Parteifreunde zu verdanken, sondern eine notwendige rechtliche Konsequenz aus dem Einigungsvertrag ist, der zu unterschiedlichen Strafvorschriften in diesem Bereich — hier im Westen § 175 StGB, dort im Osten § 149 StGB der DDR — geführt hat. Eine zügige Novellierung, die auch wir für notwendig halten, muß ähnlich wie bei § 218 StGB schnell für einheitliche Rechtsgrundlagen in Gesamtdeutschland sorgen, um einem Vorwurf des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz zu begegnen. Ich sage hier mit aller Deutlichkeit: Eine politisch schnell durchsetzbare Reform in die richtige Richtung ist hilfreicher als eine Maximalforderung, die nie Ge- 3476' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 setzeskraft erlangt. Das enthebt mich natürlich nicht der Verpflichtung, unsere Vorstellungen für diese Reform vorzustellen und zu begründen. Ich halte die Schutzaltersgrenze von 16 Jahren für vertretbar. Der Gesetzgeber hat sich beim Jugendschutz nicht an d e n Jugendlichen zu orientieren, die körperlich und seelisch am weitesten sind, sondern an den schwachen, die eines Schutzes vor Erwachsenen und ihren Wünschen besonders bedürfen. Die Fortschritte zeigen sich aber nicht nur an der Schutzaltersgrenze, sondern auch in den übrigen Vorstellungen meiner Partei für die neue Regelung: Erstens. Die Neuregelung soll ausschließlich auf den Mißbrauch abgestellt sein, so daß nur die Fälle, in denen die Täterin oder der Täter das jugendliche Opfer als bloßes Objekt benutzt und damit in seiner Menschenwürde verletzt, strafrechtlich verfolgt werden können. Alle Fälle einer echten Liebesbeziehung sind damit ausgeschlossen. Zweitens. Die Strafbarkeit sollte auf die Fälle begrenzt bleiben, in denen die Unreife oder Unerfahrenheit des Jugendlichen ausgenutzt wird. Der Bereich der Prostitution von Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren wird somit weitgehend ausgeklammert. Das Problem der Jugendprostitution ist nur sozial und nicht durch das Strafrecht zu lösen. Drittens. Die Regelung muß alle sexuellen Handlungen von einiger Erheblichkeit umfassen, unabhängig davon, welches Geschlecht Täter und Opfer haben. Wenn bisher bestimmte Formen weiblicher Sexualität straffrei waren, so beruhte dies nicht auf deren gesellschaftlicher Akzeptanz, sondern auf dem Nichternstnehmen von Frauen. Frauen wurden ausschließlich als bloße passive Wesen angesehen. Es ist für mich jedoch keinerlei Grund zu erkennen, warum sexuell aktive Frauen bei Mißbrauch eines Jugendlichen anders beurteilt werden sollen als ein Mann in gleicher Situation. Daß es auch in diesem Bereich strafwürdiges Verhalten gibt, zeigen pornographische Filme, die zur Zeit unter dem Begriff „Kinderpornographie" besonders diskutiert werden, deutlich. Immerhin waren — und hier zitiere ich den „Spiegel" vom 12. August 1991 — von den 1990 in Frankfurt registrierten Opfern sexueller Nötigung von Kindern und Jugendlichen 37 Prozent Jungen, von denen ein Drittel von Müttern oder Stiefmüttern mißbraucht wurde. Der „Spiegel" schreibt: „Die bislang auf Männer reduzierte Schuldzuweisung beruht auch auf einer Idealisierung weiblicher Sexualität, die immer noch als passiv und vorwiegend hingebungsvoll dargestellt wird. " Viertens. Die Regelung sollte nach meiner Auffassung mit einem ausschließlichen Antragsrecht der Erziehungsberechtigten versehen sein. Ich hoffe, daß sich auch unser Koalitionspartner dieser Auffassung anschließt. Während nämlich im Bereich der Jugendlichen bis zu 14 Jahren das öffentliche Interesse am Schutz dieser Altersgruppe klar überwiegt und die Beweislage in der Regel eindeutig ist, muß hier häufig mit dem Einwand des Täters oder der Täterin gerechnet werden, daß die Handlungen im gegenseitigen Einverständnis vorgenommen worden sind. In diesem Altersbereich, der den Übergang zwischen dem immer zu verfolgenden sexuellen Mißbrauch von Kindern und der Straffreiheit über 16 Jahren darstellt, sollten deshalb die Eltern entscheiden können, ob sie ihr Kind den zahlreichen Unannehmlichkeiten und psychischen Belastungen eines Strafverfahrens aussetzen wollen. Fünftens. Schließlich kann für uns kein Zweifel daran bestehen, daß diese neue Jugendschutzvorschrift unter dem § 182 StGB und nicht unter § 175 StGB in das Strafgesetzbuch eingestellt wird. Auch am heutigen Tage gilt es an die schlimmen Verfolgungen zu erinnern, die § 175 StGB in der Vergangenheit und insbesondere im Nationalsozialismus und seinen Konzentrationslagern ermöglicht hat. Christina Schenk (Bündnis 90/GRÜNE): In den Koalitionsvereinbarungen vom Januar 1991 kündigte die Regierung an, die §§ 175 und 182 StGB durch eine sogenannte einheitliche Schutzvorschrift für männliche und weibliche Jugendliche unter 16 Jahren ersetzen zu wollen. Wir halten es nicht für sinnvoll, über dieses Thema im Bundestag zu diskutieren, bevor der diesbezügliche Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat bereits in der 10. und in der 11. Legislaturperiode als einzige Fraktion im Deutschen Bundestag in unzähligen Anfragen, Anträgen, Gesetzentwürfen und Redebeiträgen Stellung gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen bezogen. 1989 brachte sie einen Gesetzentwurf zur Streichung des § 175 in den Bundestag ein. DIE GRÜNEN waren die einzigen, die offen schwule und lesbische Abgeordnete in den Bundestag schickten. Die Bundestagsgruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN, in der ich den Unabhängigen Frauenverband (UFV) vertrete, setzt diese Arbeit fort. Wir haben in den letzten Wochen einige Kleine Anfragen an die Bundesregierung gerichtet, aus deren Beantwortung für uns eindeutig hervorgeht, daß es keine sexualwissenschaftlichen, entwicklungspsychologischen oder kriminologischen wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, aus denen sich die Notwendigkeit für die Erhöhung des bestehenden Schutzalters von 14 auf 16 Jahre herleiten ließe. Wir sind der Auffassung, daß die geplante Ausweitung und Verschärfung des § 182 StGB nur von denjenigen gewünscht werden kann, die sich die Möglichkeit offenhalten wollen, Homosexualität weiterhin zu kriminalisieren, diesmal unter Miteinbeziehung lesbischer Frauen. Wir werden in der nächsten Zeit einen Gesetzentwurf zur Legalisierung männlicher homosexueller Handlungen von über 14jährigen mit über 18jährigen in den Bundestag einbringen, in dem wir uns gegen die geplante Anhebung der Schutzaltersgrenze von 14 auf 16 Jahre, gegen das Fortbestehen der Verfolgungsmöglichkeit von Homosexualität und gegen die Neupönalisierung von Frauen wenden. Unser Entwurf wird als Alternative zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung im Bundestag und in den Ausschüssen erörtert werden. Die ursprüngliche Absicht der Bundesregierung, den § 175 im Zuge der Rechtsangleichung klammheimlich, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, abzuschaffen, soll nicht gelingen. Dazu haben Schwule und Lesben zusammen mit anderen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3477* progressiven Kräften in der ehemaligen DDR und in der ehemaligen BRD zu lange gegen diesen Paragraphen gekämpft. Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister der Justiz: Der zur Beratung anstehende Gesetzentwurf greift ein Problem auf, das durch die Herstellung der Einheit Deutschlands an Aktualität gewonnen hat. Es geht um die Frage der ersatzlosen Streichung der § § 175, 182 des Strafgesetzbuchs, die schon in vergangenen Legislaturperioden Gegenstand verschiedener Gesetzentwürfe gewesen ist. Es geht um einen Bereich, in dem nach dem Einigungsvertrag in den alten und neuen Bundesländern partiell unterschiedliches Recht gilt. Einerseits sind die §§ 175 und 182 StGB im Gebiet der ehemaligen DDR nicht anzuwenden, andererseits gilt dort der erst am 1. Juli 1989 in Kraft getretene § 149 StGB der ehemaligen DDR fort, der den sexuellen Mißbrauch eines Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren unter Ausnutzung der Unreife unter Strafe stellt. Der Entwurf nimmt sich dieser rechtspolitisch unbefriedigenden Situation an und versucht, in diesem Bereich die innerdeutsche Rechtseinheit herzustellen. Dabei verwundert es schon ein wenig, daß die PDS als Nachfolgeorganisation der SED von der erst mit Gesetz vom 14. Dezember 1988 neugefaßten Jugendschutzvorschrift des j 149 StGB der DDR nichts mehr wissen und diese ebenso wie die §1 175, 182 des bundesdeutschen StGB ersatzlos streichen will. Natürlich verfolgt die Bundesregierung das wichtige Anliegen, im Interesse der innerdeutschen Rechtsangleichung alsbald eine einheitliche Regelung für das vereinigte Deutschland zu schaffen. Im Hinblick auf den vom Bundesverfassungsgericht mit Verfassungsrang ausgestatteten Kinder- und Jugendschutz kann sie allerdings den zur Beratung stehenden Entwurf nicht unterstützen. Dies wird nicht verwundern, sieht doch schon die Koalitionsvereinbarung vor, die § § 175 und 182 des Strafgesetzbuches durch eine einheitliche Schutzvorschrift für männliche und weibliche Jugendliche unter 16 Jahren zu ersetzen. Wenn sich der heute zur Beratung anstehende Entwurf auch gegen die angestrebte Neuregelung wendet, ist dies für mich Anlaß und Rechtfertigung genug, Ihnen die in meinem Haus entwickelte Konzeption einer einheitlichen Jugendschutzvorschrift darzulegen; dies auch deshalb, um den Argumenten entgegenzutreten, die der Entwurf gegen die Einführung einer solchen Vorschrift vorgebracht hat. Die sich an § 149 StGB der früheren DDR orientierende Konzeption einer Jugendschutzvorschrift dient nicht nur der strafrechtlichen Gleichstellung homosexueller Bürger, sondern vor allem auch dem Jugendschutz. Dieser berechtigt den Staat — wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat — , von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, die sich auf ihre Einstellung zum Geschlechtlichen und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können. Danach rechtfertigt schon die ernsthafte Möglichkeit schädlicher Einwirkungen ein Tätigwerden des Gesetzgebers durch Pönalisierung sexueller Handlungen gegenüber und mit Jugendlichen. Dabei geht es nicht — wie der Entwurf glauben zu machen versucht — um die Einführung einer Strafbarkeit einvernehmlicher sexueller Kontakte. Die geplante Jugendschutzvorschrift soll in ihrem Anwendungsbereich auf die allein strafwürdigen Fälle des sexuellen Mißbrauchs beschränkt sein. Sie erfaßt nur sexuelle Handlungen Erwachsener, die diese an Jugendlichen unter 16 Jahren unter Ausnutzung ihrer Unreife oder Unerfahrenheit vornehmen oder von diesen an sich vornehmen lassen. Die Behauptung des Entwurfs, eine so konzipierte Jugendschutzvorschrift schränke das im Grundgesetz garantierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und damit auf sexuelle Selbstbestimmung ein, verkennt, daß sie es den Jugendlichen gerade ermöglichen will, sich weitgehend frei von schädlichen Einflüssen Dritter zu eigenverantwortlich auch im sexuellen Bereich handelnden Persönlichkeiten innerhalb unserer sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. Es ist auch keineswegs realitätsfremd — wie der Entwurf offenbar meint — , Jugendliche unter 16 Jahren als einen Personenkreis anzusehen, bei dem ein Mangel an sexueller Erfahrung oder psychischer Reife dazu führen kann, daß die Fähigkeit zu eigenverantwortlicher sexueller Selbstbestimmung noch fehlt. Es ist notwendig, in jedem Einzelfall konkret festzustellen, daß ein solcher Mangel des noch nicht 16 Jahre alten Opfers, Bedeutung und Tragweite sexueller Handlungen richtig zu erfassen und sein Handeln danach einzurichten, auf Grund seiner Unreife oder Unerfahrenheit tatsächlich besteht. Natürlich wird dies nicht — wie der Entwurf behauptet und wie es in § 149 StGB-DDR geltendem Recht entspricht — pauschal unterstellt, sondern wird sorgfältig im Einzelfall zu prüfen sein. Nur dann kann die Feststellung der Unreife und Unerfahrenheit ihre Funktion erfüllen, die ihr als zentrales Kriterium des Tatbestandes zugewiesen ist. Sie vor allem soll gewährleisten, daß nur Fälle des sexuellen Mißbrauchs Jugendlicher vom Tatbestand der neuen Jugendschutzvorschrift erfaßt werden. Die Vorlage eines Regierungsentwurfes, der diese Vorstellungen von der inhaltlichen Ausgestaltung der Jugendschutzvorschrift umsetzt, steht bevor. Das in meinem Haus entwickelte Konzept ist zunächst noch mit den beteiligten Ressorts abzustimmen und soll dann — wie üblich — den Ländern zur Stellungnahme zugeleitet werden. Es erscheint mir zweckmäßig, die Erörterung des heute zur Beratung stehenden Gesetzentwurfes in den Ausschüssen zurückzustellen, bis der angekündigte Regierungsentwurf vorliegt. Dies hätte auch den Vorteil, die Erörterung im Bundesrat zu diesem Thema in die Überlegungen mit einbeziehen zu können. Der Bundesrat wird nämlich Ende September/Anfang Oktober die Beratung des Antrags der Freien und Hansestadt Hamburg aus dem Jahre 1990, die §§ 175 und 182 StGB ersatzlos zu streichen, wieder aufnehmen. Es kann für alle nur von Nutzen sein, auf der Grundlage breitgestreuter Meinungsvielfalt zu einer die Rechtseinheit herstellenden Entscheidung zu kommen. 3478* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Anlage 9 zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 16 (Einsetzung eines Untersuchungsausschusses) Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Zum Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses möchte ich mitteilen, daß wir nach demokratischem Brauch dem Vorschlag des Ältestenrates folgen und einer Verweisung an den Innenausschuß zustimmen werden. Vom Inhalt und der Sache her müßten wir ihn eigentlich gleich hier bei der Einbringung ablehnen. Der vorgeschlagene Untersuchungsauftrag bezieht sich auf zahlreiche Fragen, die längst von der Bundesregierung oder anderen Stellen beantwortet worden sind. Die Bundesregierung hatte in mehrfachen Stellungnahmen auch darauf verwiesen, daß einige die Arbeit der bundesdeutschen Sicherheitsdienste betreffende Fragen ausschließlich in den für die Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeiten zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages besprochen werden könnten. Die PDS hat durch die intensive Nutzung der parlamentarischen Instrumentarien wie Anfragen, Ausschußdiskussionen und mündliche Befragung der Bundesregierung das inhaltliche Potential des vorgelegten Untersuchungszieles abgenagt und ausgelutscht. So sind alle drei Punkte des mutmaßlichen Untersuchungsauftrages bereits in Antworten der Bundesregierung vom 7. September 1990, vom 8. November 1990 und vom 10. Juni 1991 ausführlich dargelegt worden. Zwei zusätzliche kleine Anfragen vom 18. Juli 1991 sprechen noch einmal das gleiche Thema an. Der Antrag der PDS hat ein einziges Ziel. Er soll von der Rolle des PDS-Mutterschiffes SED als Gründer, Auftraggeber und Chef der Stasi ablenken. Besonders verwerflich ist der erneute Versuch, die Selbstschutzeinrichtungen der parlamentarischen Demokratie wie Verfassungsschutz, MAD oder Bundesnachrichtendienst auf eine Stufe mit dem unseligen Staatssicherheitsdienst zu stellen. Um ein Bild zu gebrauchen: Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, das Rote Kreuz und Graf Dracula gleichzusetzen, nur weil beide etwas mit Blut zu tun haben. Ich weise für die Fraktion der CDU/CSU dieses Vorhaben der PDS zurück. Wer Anträge auf Untersuchungsausschüsse stellt und den selbst gestellten Fragen und Aufträgen gleich das Ergebnis hinzufügt, kann nicht erwarten, daß der Deutsche Bundestag einen solchen Antrag ernst nimmt. Die PDS stellt in der Begründung bereits fest: — daß die Öffentlichkeit bisher gar nicht bzw. bewußt halb oder falsch informiert worden sei, — daß die Dienste der Bundesrepublik Deutschland sich Unterlagen aus Stasi-Archiven widerrechtlich beschafft hätten, — daß die gesamtdeutschen Sicherheitsbehörden sich Betroffenendaten angeeignet hätten, die neu sortiert und aufgearbeitet in den Archiven der Dienste auf neue Erfordernisse warteten. Das ist schlichtweg unwahr und pure Stimmungmache und Demagogie. Es hätte der PDS im Sinne einer vernünftigen gemeinsamen Bewältigung der jüngsten deutschen Vergangenheit besser angestanden, in den Fachbereichen ihren Sachverstand und ihren Dienst anzubieten, die heute noch großen Aufarbeitungsbedarf haben. Das wäre aus meiner Sicht z. B. die Rolle der SED/PDS und von SED/PDS-Mitgliedern bei der Bereinigung und Vernichtung von Akten und Personalpapieren während der Wendezeit; ein Thema, wo wir Ihre Unterstützung gut gebrauchen könnten, ist doch Herrn Modrows Aufruf zur Aktenkorrektur so befolgt worden, daß wir heute in zahlreichen wichtigen Bereichen wie bei der Rehabilitierung von Opfern, bei der Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und bei der Überführung von Stasi-Spitzeln auf große Lücken und leere Regale treffen. Ein gutes Thema für einen Untersuchungsausschuß wäre auch die Arbeitsweise, Funktion und Verantwortung des Politbüros und der Bezirks- und Kreissekretäre der SED als Befehlshaber der verschiedenen Organisationsstufen des Ministeriums für Staatssicherheit. Hier könnten Sie aus ihrer Kenntnis heraus gute Beiträge liefern, ob und wie diese Personen heute dafür zur Verantwortung gezogen werden können. Sie verweigern sich hier. Das ist bedauerlich, könnten Sie doch damit den Deutschen endlich auch einmal einen Dienst erweisen. Wir verwenden unsere Energie in diesen Tagen darauf, mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz und der Veränderung des Archivgesetzes die dringend notwendige Aufarbeitung der SED-Vergangenheit durchzusetzen. Dabei wird auch die Rolle der Nachrichtendienste in Deutschland klar abgegrenzt. Wir haben den Zugriff der Dienste auf personenbezogene Daten von Stasi-Opfern ausgeschlossen. Nur der Bundesinnenminister kann nach vorheriger parlamentarischer Kontrolle für die eng umgrenzten Bereiche Spionage, gewalttätiger Extremismus und Terrorismus eine Aktenherausgabe erwirken. Wer den Nachrichtendiensten ein völliges Zugangsverbot auferlegen will, bewirkt im Ergebnis den Schutz von Stasi-Tätern, von Terroristen und deren Helfern. Die Menschen in den neuen Bundesländern haben nach vier Jahrzehnten Bespitzelung durch den staatlichen Geheimdienst naturgemäß großes Mißtrauen gegenüber allem, was nach Nachrichtendiensten riecht. Diese von ihr selbst verursachte psychologische Situation versucht die PDS/SED nun schamlos auszunutzen. Anstatt den Menschen deutlich zu machen, daß der Verfassungsschutz die einzige Aufgabe hat, die Sicherung der Freiheit unseres Rechtsstaates und seiner Bürger vorzunehmen, schüren Sie ständig die Vorbehalte. Dieser Antrag soll ein weiteres Mosaiksteinchen in dieser Kampagne sein. Wir werden ihn deshalb bei der parlamentarischen Behandlung im Innenausschuß ablehnen. Unser Ziel bleibt es, die Voraussetzungen zu schaffen für ein hohes Maß an Gerechtigkeit und an werbender Akzeptanz der neuen Bundesbürger für den sozialen und freiheitlichen Rechtsstaat. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3479* Rolf Schwanitz (SPD): Der von der Gruppe der PDS/ Linke Liste vorgelegte Antrag geht, wie bereits betont worden ist, auf einen Bericht des Staatssekretärs im Bundesinnenministerium Neusel vor dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages am 19. Juni 1991 zurück. Staatssekretär Neusel berichtete dem Ausschuß darüber, welche Stasi-Akten bisher an bundesdeutsche Stellen gegangen sind und welchen Erkenntnisstand man durch die Auswertung erlangt hat. Der nun vorliegende Antrag, der die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Ziel hat, äußert sich in seiner Antragsbegründung, aber auch in den aufgezählten Untersuchungsaufgaben kritisch dazu, auf welchem Wege diese Akten in die Bundesrepublik gelangt sind und wie dort mit diesen Akten verfahren wurde. Es muß hier also zunächst danach gefragt werden, inwieweit der Bericht des BMI tatsächlich Anlaß zu Kritik bietet. Zunächst zum Bundesamt für Verfassungsschutz und zu den Landesämtern für Verfassungsschutz. Nach Aussage des Staatssekretärs Neusel befinden sich insgesamt Akten aus vier Hauptabteilungen sowie aus der HVA des MfS bei den Verfassungsschutzämtern der Bundesrepublik zur Auswertung. Seit dem 3. Oktober 1990 ist die Herausgabemöglichkeit von MfS-Material zur Nutzung für die Dienste durch den Einigungsvertrag stark eingeschränkt. Im Bericht des BMI findet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß nach dem 3. Oktober 1990 Aktenmaterial aus der Gauck-Behörde den bundesdeutschen Diensten zur Verfügung gestellt worden ist. Der Einigungsvertrag unterstellt lediglich jenes MfS-Aktenmaterial der Hoheit des Sonderbeauftragten der Bundesregierung, welches mit Beitritt unmittelbar als Unterlagen des MfS quasi „im Bestand des Hauses" war. Für Unterlagen, die sich nicht mehr in der Obhut der MfS-Archive befunden haben, bietet der Einigungsvertrag selbst keine verbindliche Regelung. Wir können dies bedauern und diesen Umstand vor allen Dingen als Handlungsauftrag für unser Stasi-UnterlagenGesetz ansehen, aber verändern läßt sich dies auch durch einen Untersuchungsausschuß nicht. Es ist folglich kein juristisch greifbarer Verstoß darin zu sehen, daß die Dienste bis zur Verabschiedung unseres StasiUnterlagen-Gesetzes jene Akten weiter nutzen, die bereits vor dem 3. Oktober 1990 in ihre Behörden gelangt sind. Wir erwarten allerdings, und dies sage ich mit allem Nachdruck, daß die Grundsätze, zu denen sich in den Entwürfen zum Stasi-Unterlagen-Gesetz alle Fraktionen des Hauses und auch die Bundesregierung verständigt haben, insbesondere hinsichtlich des Schutzes der Rechte von Betroffenen und Dritten auch jetzt schon zur Handlungsrichtlinie für die bundesdeutschen Dienste werden. Eine veränderte Rechtslage bestand in der damaligen DDR zwischen dem 7. September 1990 und dem 2. Oktober 1990, in jener Zeit, als das damalige DDRStasi-Unterlagen-Gesetz Gültigkeit besessen hat. Der Bericht des BMI vor dem Innenausschuß hat jedoch auch keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß Akten des ehemaligen MfS an bundesdeutsche Dienste in diesem Zeitraum übergeben worden sind. Vor dem 7. September 1990 unterstanden die Akten des MfS nach einem Ministerratsbeschluß vom 16. Mai 1990 dem damaligen Innenminister der DDR. Eine parlamentarische Sperrung der Akten hat es, auch wenn viele das heute hier bedauern mögen, zu Zeiten der Volkskammer nicht gegeben. Es muß daher abschließend folgendes Fazit gezogen werden: Sicherlich sind auch nach dem Bericht des Staatssekretärs Neusel vor dem Innenausschuß nicht alle Unklarheiten restlos beseitigt worden. Ein direkter Anhaltspunkt für eine Rechtsverletzung, welche bei der damaligen Übermittlung der Akten an bundesdeutsche Dienste und/oder das Bundeskriminalamt oder seit dem 3. Oktober 1990 vom Sonderbeauftragten begangen worden wäre, ist nicht erkennbar. Der in der Drucksache 12/881 vorgeschlagene Aufgabenkatalog des einzurichtenden Untersuchungsausschusses überschreitet zudem an vielen Stellen den eigentlichen, durch den Bericht des BMI vor dem Innenausschuß aufgeworfenen Sachverhalt. Unsere Fraktion ist deshalb der Auffassung, daß zur Aufhellung der noch offenen Fragen die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses sicherlich nicht das richtige Mittel wäre. Hierfür stehen andere Parlamentsgremien zur Verfügung, nicht zuletzt der Unterausschuß „Staatssicherheit" beim Innenausschuß des Deutschen Bundestages. Wenn die PDS es darüber hinaus für nötig erachtet, in der Begründung ihres Antrages ausdrücklich darauf zu verweisen, daß es für sie unter diesen Umständen unzumutbar sei, über ein Stasi-Unterlagen-Gesetz zu entscheiden, dann wird hier natürlich noch eine ganz andere Funktion dieses Antrages deutlich. Daß für ihre Partei die baldige Verabschiedung des Stasi-Unterlagen- Gesetzes mit Unannehmlichkeiten verbunden sein wird, will ich gerne glauben. Daß hierfür jedoch ein Untersuchungsausschuß instrumentalisiert werden soll, muß meinerseits entschieden abgelehnt werden. Dr. Jürgen Schmieder (FDP): Die PDS möchte mit ihrem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Aufklärung darüber erlangen, welche Behörden von Mitte 1989 bis heute Zugriff auf Stasi-Unterlagen gehabt haben. Sie verlangt, auf den Punkt gebracht, eine Aufstellung über die Zahl der übergebenen Akten, die Darstellung der operativen Ziele der Nachrichtendienste, die Zusammenarbeit der Dienste untereinander und mit der Polizei und schließlich Information über die Rechtsgrundlagen sowie die Auswertungsergebnisse. Die PDS beantragt ernsthaft die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Klärung dieser Fragen, obwohl diese in zahlreichen Anfragen an die Bundesregierung und durch einen Bericht des Staatssekretärs Neusel im Innenausschuß am 19. Juni 1991 ausführlich beantwortet worden sind. So hat die Gruppe der PDS/Linke Liste Antwort erhalten auf folgende Fragen: — Kleine Anfrage „Einsichtsrecht für Betroffene durch Observation in ihre Akten beim BKA, BfV, BND und MAD" (Drucksachen 12/332, 12/680), 3480 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 — Kleine Anfrage „Tätigkeit des BfV in den neuen Bundesländern" (Drucksache 12/383), — Kleine Anfrage „Datenaustausch bundesdeutscher Polizeibehörden und Nachrichtendienste mit ausländischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten" (Drucksache 12/583) — Kleine Anfrage „Herausgabe der Akten des MfS, die sich im Besitz bundesdeutscher Behörden befinden" (Drucksache 12/592), — Kleine Anfrage „Übertreibung mit der Geheimhaltung bei angeforderten Auskünften über das Bundesamt für Verfassungsschutz" (Drucksache 12/678), — Kleine Anfrage „Bewaffneter Zugriff auf Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit" (Drucksache 12/928), — Kleine Anfrage „Prozesse gegen Angehörige der MfS HVA" (Drucksache 12/920), — Kleine Anfrage „BKA-Zugriff auf MfS-Akten" (Drucksache 12/968), — Kleine Anfrage „Herausgabe der Akten aus dem Ministerium für Staatssicherheit, die sich im Besitz bundesdeutscher Behörden befinden" (Drucksache 12/592) Es scheint, die Gruppe PDS/Linke Liste möchte sich als Querulant oder als Arbeitsbeschaffungsstelle profilieren. Die PDS fragt auch, nach welchen Kriterien das BKA den „terroristischen Hintergrund" für den Bereich der ehemaligen DDR bestimmt hat. Es ist an der Zeit, zu fragen, welchen politischen „Hintergrund" die PDS eigentlich hat. Will sie durch permanente und stereotype Fragen von eigener Schuld und eigenen Bekenntnissen ablenken? Sie versucht anscheinend, auch nach der Vereinigung Deutschlands eine altbekannte Tradition fortzusetzen. Das Umdenken fällt wohl doch sehr schwer. Vielleicht sollte die PDS erstmal in den eigenen Reihen genaue Nachforschungen anstellen, wer mit dem MfS und in welcher Form zusammengearbeitet hat. Es hat sich bereits ein Mitglied der PDS zu seiner Vergangenheit bekannt. In der Begründung zu dem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses heißt es, es bestehe mehr als nur der Verdacht, daß Unterlagen aus StasiArchiven widerrechtlich beschafft worden sind. Es sei unzumutbar für Abgeordnete und die Öffentlichkeit, in dieser Situation über ein Stasi-Unterlagen-Gesetz zu entscheiden. Man ist versucht, zu sagen: Guck mal, wer da spricht! Die Nachfolgerin und Erbin der SED-Diktatur, die auf die widerliche Spitzeltätigkeit des MfS als Hilfsmittel zur Erhaltung der Verdummung, Unterdrükkung und Ausbeutung des Volkes und der eigenen Macht angewiesen war, befürchtet widerrechtliches Beschaffen von Unterlagen. Sie sollte sich lieber darum sorgen, was denn mit dem Geld passiert ist, das die PDS, als sie noch SED hieß und die staatstragende Partei war, widerrechtlich von den Bürgern der ehemaligen DDR erlangt hat. Mit einem Kostümwechsel über die Stufe SED-PDS zum neuen Modell PDS kann man sich doch nicht aus der Verantwortung stehlen! Wann wird die PDS endlich lernen, sich der Last ihres Erbes zu stellen und tatsächlich mit dem inneren Prozeß einer Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit zu beginnen, anstatt sich damit zu begnügen, durch eine Umbenennung jegliche Haftung von sich zu weisen? Sicherlich ist es schwer, sich nach 40 Jahren Wohlleben in einem abgeschlossenen Staatsgefüge in einer Bundesrepublik zurechtzufinden, in der die eigene Meinung nur mit Hilfe von Argumenten durchgesetzt werden kann, und nicht unter Hinweis auf den allgegenwärtigen Lauscher und Voyeur. Eines ist sicher: Zumindest um diesen Lernprozeß kommt die PDS nicht herum, da kann sie so viele Anfragen und Anträge stellen, wie es ihre Phantasie zuläßt. Ingrid Köppe (Bündnis 90/GRÜNE): Ich habe mich gefragt, ob es wohl eine Remineszenz des Altestenrats an die Nacht-und-Nebel-Aktionen des Herrn Diestel sein soll, daß nun diese parlamentarische Debatte auch in die Nacht-und-Nebel-Zeit gelegt wurde. Auf jeden Fall können wir zu dieser Tageszeit sicher sein, daß uns keiner mehr hört und uns kein Journalist zuhört. Ich weiß, die Fraktionen werden diesen Antrag ablehnen, ohne sich mit ihm auseinanderzusetzen. Denn der Antrag stammt von der PDS/Linke Liste. Wie so oft in diesem Haus, wird auch dieser Antrag von den Fraktionen nach seiner Herkunft und nicht nach seinem Inhalt beurteilt werden. Der Antrag hätte aber auch von den Koalitionsfraktionen oder der SPD eingebracht werden können. Auch diesen hätte doch auffallen können, daß Herr Diestel die Volkskammer in so wichtigen Fragen belogen hatte. Auch diesen hätte auffallen können, wie spät das Innenministerium den lange geleugneten Sachverhalt preisgab, daß Herr Diestel brisante Stasi-Unterlagen an das BMI und die Verfassungsschutzbehörden weitergegeben hatte. Und schließlich hätte ihnen auch auffallen können, daß die vielfach gestellten parlamentarischen Anfragen in dieser Sache durch die Bundesregierung konsequent nicht oder nur ausweichend beantwortet wurden. Wenn in einer wichtigen Angelegenheit das Parlament trotz mehrfacher Versuche von der Regierung keine Antworten erhält, wenn sich immer mehr Informationen und Mutmaßungen auftürmen, die die bekannte Spitze eines Eisbergs erahnen lassen, dann sieht das parlamentarische Procedere das Mittel des Untersuchungsausschusses vor. Ich gebe gerne zu, mir wäre es lieber, die Bundesregierung ginge so freigebig mit Informationen um, wie es nach meinem Verständnis gegenüber einem Parlament und dem Gewicht der offenen Fragen nach angemessen wäre. Dann brauchten wir in der Tat keinen Untersuchungsausschuß. Da dies aber bisher nicht der Fall ist, müssen wir auf diesem parlamentarischen Mittel bestehen, wenn sich das Parlament nicht selbst lächerlich machen, zum Spielball der Bundesregierung machen will. Die letzten Wochen in der Schalck-Affäre hätten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3481* doch auch bei der Mehrheit dieses Parlamentes einige rote Warnleuchten aufleuchten lassen können! Ich nenne Ihnen folgende konkrete Beispiele für den weiteren Aufklärungsbedarf in diesem Komplex und für das weitere Antwortverhalten: 1. Auf eine umfangreiche Kleine Anfrage meiner Gruppe zu diesem Komplex antwortet mir die Bundesregierung Anfang letzten Monats (BT-Drs. 12/1043), indem sie — wie zum Beleg ihrer Auskunftsfreude — in einer Vorbemerkung auf zwei bereits erfolgte Berichte im Ausschuß sowie auf sage und schreibe elf Antworten auf Kleine Anfragen verweist. Da kann doch wirklich keiner mehr meckern, wird jede unbefangene Leserin denken. Denn diese wird auch kaum den Aufwand treiben, einmal nachzulesen. Macht man sich diese Mühe jedoch, stellt sich heraus: Diese Antworten beziehen sich meist auf völlig andere Sachverhalte und sind ihrerseits derart dürftig und zum Teil lückenhaft, daß hierdurch die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen nur noch zusätzlich belegt wird. Das 2. Beispiel belegt, daß die Bundesregierung auf Nachfragen den Abgeordneten in diesem Komplex glattweg die Unwahrheit gesagt hat und dabei offenbar darauf baut, niemand könne all das nachlesen. Ich hatte die Regierung gefragt, warum der Generalbundesanwalt von Stahl in der Sitzung des Rechtsausschusses am 11. Juni dieses Jahres die Aktenliefe-rung auch an den Verfassungsschutz nicht erwähnt habe, sondern auf Fragen hin entgegen der Wahrheit erklärte (Ich zitiere das Sitzungsprotokoll S. 99 wörtlich): „Die Akten haben nur dem BKA und uns vorgelegen, niemandem sonst." Die Regierung antwortete da doch glattweg: „Die ihm zugeschriebene Erklärung hat der Generalbundesanwalt nicht abgegeben" ; siehe Protokoll S. 99. Doch die Regierung — und damit bin ich bei dem 3. Beispiel — legte noch drauf und antwortete weiter: „Der Bundesanwaltschaft sind durch ... Dr. Diestel keine Akten übergeben worden." Daß Herr Diestel dies nicht höchstpersönlich tat, ist allen klar. Doch inhaltlich scheint Herr von Stahl auch hier zu widersprechen, indem er in jener Ausschußsitzung erklärte: „Wir haben ... vom ehemaligen Zentralen Kriminalamt" (ich ergänze: also in späterer Verantwortung von Minister Diestel!) „Unterlagen erhalten". Und genauso haben die Ausschußmitglieder, z. B. Herr Hirsch in seiner Zusammenfassung, das ausweislich des Protokolls auch verstanden und verstehen müssen. Ich frage: Sagte Herr von Stahl oder nun die Bundesregierung uns die Unwahrheit? Dies muß durch einen Untersuchungsausschuß aufgeklärt werden. Weiterhin aufklärungsbedürftig sind folgende drei Fragen: 1. Wieviel Aktenstücke mit Angaben über wieviel Personen sind nun eigentlich an die maßgeblichen Behörden geliefert worden? Abgeordnete auch aus anderen Fraktionen haben dies bei mehreren Gelegenheiten mündlich und schriftlich erfragt. Diese Regierung oder deren Sprecher sind bisher — soweit ich dies erkennen kann; und ich habe die Angelegenheit sehr aufmerksam verfolgt — stets ausgewichen. 2. Wo sind diese Unterlagen jetzt? Zurückgegeben an den Sonderbeauftragten, wie das z. B. der wohl bald verabschiedete Gesetzentwurf von Regierung und Fraktionen zu den Stasi-Akten vorsähe? Auch dazu haben wir auf Nachfragen keine Auskunft bekommen, außer der von Herrn Neusel (ich gebe das mal etwas salopp wieder), diese Rechtspflicht sei doch bloße Zukunftsmusik. 3. Schließlich — last, not least — erscheint dringend aufklärungsbedürftig, welche Rolle der heutige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Herr Werthebach, bei der Lieferung von Akten an das Amt womöglich gespielt hat. Denn nach meiner Kenntnis war Herr Werthebach von seiner BMI-Position in der Fachaufsicht über das Bundesamt zu Herrn Diestel als dessen Berater gewechselt. Dort war er genau in der fraglichen Zeit der Aktenübermittlung offenbar auch noch tätig. Wie kam es also, daß auf das dringende Ersuchen des BMI Herr Diestel (oder wer sonst?) die Auslieferung der Akten veranlaßte, und zwar entgegen der damaligen Rechtslage, und daß er darüber sogar noch die Volkskammer belügen mußte? Heute jedenfalls, soviel scheint klar, kann Herr Werthebach in seinem neuen Amt mit diesen Akten arbeiten. Wir unterstützen den Antrag der PDS/Linke Liste und bitten Sie, dies ebenfalls zu tun. Ursula Jelpke (PDS/Linke Liste): Es ist unzumutbar für Abgeordnete und Öffentlichkeit, über ein Gesetz zu entscheiden, in dem der zukünftige Umgang mit den Stasiunterlagen geregelt werden soll, solange der bisherige Umgang mit den Unterlagen im Dunkel der Geheimdienste, der staatlich gedeckten Geschäftemacherei und der Irreführung der Öffentlichkeit gehalten wird. Verschwunden sind ja nicht nur Schalcks Aktenkoffer. Verschwunden bzw. der Öffentlichkeit und dem Sonderbeauftragten für die Stasiunterlagen entzogen sind Stasiakten in unbekanntem Ausmaß. Alle Verantwortlichen haben von sich aus bisher keinen Schritt zur Aufklärung des Aktenverbleibs getan. Mit Anfragen, öffentlichem Druck und zum Teil gezielter Indiskretion konnten nur immer mühsam Bruchstücke des großen Deals zusammengesetzt werden. Und während Parteien und Betroffene in kleinlichste angeblich rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Gesetzesformulierungen gefesselt wurden, griffen Polizei und Geheimdienste mit großzügig ausgelegten Generalvollmachten zu. Die Tatsachen sind: Einerseits hat bis heute kein Opfer der Stasi-Repression legal Einsicht in seine Akten nehmen können. Andererseits haben aber das BKA und die bundesdeutschen Geheimdienste die Gehaltslisten des MfS, Unterlagen aus Abhörmaßnahmen des MfS über führende Industriemanager und Politiker, aber auch Angehörige der bundesdeutschen Linken, Unterlagen der Spionageabwehr, der elektronischen Aufklärung, der Terrorabwehr, der Sicherung der Volkswirtschaft und der Hauptabteilung Aufklärung. 3482* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Schon zu dieser Sachlage erklärte der Gutachter Rolf Gössner bei der Anhörung zum StasiunterlagenGesetz: „Damit wurde zumindest der Verfassungsschutz zum illegitimen Erben der Stasihinterlassenschaft. Die von der Stasi verfolgten Personen sehen sich auf diese Weise wiederum in Geheimdienstdateien registriert, und sie müssen womöglich eine Auswertung der Daten zu ihren Ungunsten (zumindest) befürchten." Die Fakten werden nicht bestritten, behauptet wird nur, all das sei nicht nur legitim, sondern legal geschehen. Das zu prüfen würde einen Untersuchungsausschuß nicht nur rechtfertigen, sondern auch gut beschäftigen. Aber damit ist der Datenklau noch längst nicht umfassend beschrieben. Auf drängende Nachfragen und nach langem Gezappel mußte das Bundesministerium des Innern einräumen, daß das BKA seit dem 1. September 1990 Zugriff auf personenbezogene Unterlagen für staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren hat. Wir hatten gerade unseren Antrag für einen Untersuchungsausschuß eingebracht, da wurde die Faktenlage der von westdeutschen Sicherheitsbehörden geplünderten Stasiarchive um die „Affäre Diestel" bereichert. Für die Öffentlichkeit bestand diese Affäre darin, daß zunächst gemeldet wurde, Herr Diestel habe heimlich Stasiakten an bundesdeutsche Sicherheitsbehörden übergeben. Später wurde gemeldet, Staatssekretär Neusel habe sie dankbar entgegengenommen. Diestel zeigte immerhin Unrechtsbewußtsein, indem er erklärte: „Ich bin damals sicher weitergegangen, als ich durfte." Diese Ehrlichkeit provozierte Neusel zu dem Bekenntnis, er habe Herrn Diestel bedrängt. Kistenweise konnten daraufhin damals Unterlagen abtransportiert werden. Dieser gute Wille zur Zusammenarbeit wurde mit der Erklärung belohnt — Zitat Neusel — : „Bundesregierung steht voll hinter Diestel". Anfang August 1991 antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/GRÜNE nach den Rechtsgrundlagen dieser sicherheitspolitischen Kumpanei in einer Mischung aus Schäbigkeit und Unverfrorenheit: „Zu dem in Frage stehenden Zeitpunkt war der Beitritt ... noch nicht vollzogen. Anfragen richteten sich somit an die ehemalige Deutsche Demokratische Republik als einen selbständigen Staat ... " Zum Verbleib der Unterlagen wird ebenfalls mehr als ein Jahr später immer noch gebetsmühlenartig erklärt, die Regierung stehe im Kontakt mit dem Sonderbeauftragten, um zu klären, ob und gegebenenfalls welche Unterlagen herauszugeben sind, und um die Modalitäten einer Übergabe zu vereinbaren, soweit eine solche in Betracht kommt. Die Bundesregierung und die jeweils verantwortlichen Staatssekretäre oder Minister nutzten und nutzen jede Möglichkeit — ich könnte auch sagen: jeden billigen Trick — , um nachvollziehbare und bewertbare Auskünfte über Ausmaß, Qualität, Verbleib und Nutzen der Unterlagen zu verschleiern. Ja, es ist kaum möglich, bestimmte Verantwortlichkeiten präzise festzustellen. So wie Schalck angeblich nicht vom BND, sondern von einem ehemaligen BND-Mitarbeiter betreut worden ist, der auch im Irak-Geschäft tätig war, hatten VS oder BND keine offizielle Beziehung zu irgend jemand. Es gab nur das Vertreter-System: Im April 1990 treffen sich Schäuble und Diestel. Der pensionierte BKA-Präsident Boge wird Berater Diestels. Ende April wird auch der ehemalige Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg, Stümper, „Fachberater" Diestels. Im Mai 90 bildet die Innenministerkonferenz eine Arbeitsgruppe zur Intensivierung der operativen Zusammenarbeit. Vereinbart wird auch die Entsendung von Experten zur Beratungshilfe in die DDR. Ende Mai 90 beschließt ebenfalls die Innenministerkonferenz weitere Maßnahmen zur Verwirklichung der Fahndungsunion. Das BKA informiert ab sofort und direkt das Zentrale Kriminalamt der DDR im Bereich Terrorismus. Auch Herr Werthebach, heute Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, war in diesen Monaten Sicherheitsberater Diestels und hatte, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete, sich intensiv mit dem Studium von MfS-Akten beschäftigt. All dies, ich muß es betonen, ist lediglich ein Ausschnitt der tatsächlichen Einflußnahme westdeutscher Behörden auf die Sicherheitspolitik der „ehemaligen DDR als selbständiger Staat" , wie die Bundesregierung bei Nachfragen nach Rechtsgrundlagen zu antworten pflegt. Dieses System der verschleierten Verantwortlichkeiten ist ein Grund dafür, daß bis heute beispielsweise ungeklärt ist, wo der Auftrag tatsächlich ausgearbeitet worden ist, im Erfurter MfS-Archiv, verwaltet vom dortigen Bürgerkomitee, mit bewaffneten Kräften Akten zu beschaffen. Ungeklärt ist natürlich auch, wer in diese Akten alles Einsicht nehmen konnte. Selbstverständlich gab es damals — vermutlich auch heute — sogenannte vagabundierende Akten und Unterlagen, zum Verkauf angeboten, zugespielt für sonstige Zwecke u. ä. Dies kann aber meines Erachtens für die Bundesregierung und die zuständigen Minister auf keinen Fall das Recht schaffen, über Herkunft, Verbleib, Nutzung und Rechtsgrundlagen der von ihr und ihren Organen systematisch und gezielt beschafften Akten Auskunft zu geben. Warum beschließt die Innenministerkonferenz im Juli 90, die im Zuge der Stasi-Auflösung in die BRD gelangten Unterlagen über führende Politiker und Industriemanager vernichten zu wollen? Woher kommen die Unterlagen? Warum wurden sie beschafft, und vor allem, warum sollten ausgerechnet die vernichtet werden? Ein Untersuchungsausschuß muß in all diesen Dingen Klarheit schaffen, soweit das möglich ist. Geschehen muß das, bevor Regierung und Sicherheitsbehörden den Vertrauensvorschuß von einer Bundestagsmehrheit erhalten, den sie mit dem Stasi-UnterlagenGesetz noch zusätzlich fordern. Mit dem Gesetz würden sämtliche Unterlagen endgültig dem Bundesinnenminister anvertraut — die Sonderbehörde wäre diesem Ministerium endgültig unterstellt, gegen alle Widerstände aus den neuen Bundesländern, die gerade auch die zentralistische Organisation der Behörde und damit die Enteignung der eigentlich Betroffenen kritisieren. Die Unterlagen wären dann aus- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3483* schließlich denen anvertraut, die bisher den Beweis schuldig geblieben sind, damit im ursprünglichen Sinne der historischen Aufarbeitung und der Rehabilitierung geschädigter Bürgerinnen und Bürger umgehen zu können oder zu wollen. Während Bürgerrechtler aus der Gauck-Behörde entfernt wurden, weil sie der vom BMI vorgenommenen Interpretation von Fakten nicht folgen wollten, können bundesdeutsche Sicherheitsbehörden mit den Unterlagen ungeniert und unkontrolliert arbeiten. Schon jetzt ist die Gefahr absehbar, daß der Bevölkerung der DDR die politische und historische Aufarbeitung weitestgehend entzogen wird. Bereits heute verfügt die Öffentlichkeit nur über gefilterte Erkenntnisse. Ihr ist längst die Aufarbeitung entzogen worden. Die Bevölkerung der DDR, die das volle Risiko bei der Entmachtung des MfS und der Besetzung der Archive getragen hat, muß heute als Bittstellerin auftreten, wenn es um ihre Geschichte geht. Vertreterinnen wie Ingrid Köppe müssen sich in diesem Hause Drohungen gefallen lassen, wenn sie gegen den Willen der Regierung auf vollständiger Aufarbeitung der wirtschaftlichen und politischen Kungelei der Herrschenden beider Staaten beharren. Allzuviel deutet darauf hin, daß mit den illegal besorgten Unterlagen schon seit langem, spätestens seit Frühjahr 1990 auch geheimdienstlich gearbeitet wird. Fakt ist, daß ehemalige Mitarbeiter des MfS seit langem von Agenten deutscher und ausländischer Dienste gezielt mit Insiderwissen bearbeitet werden, das vermutlich aus den Unterlagen stammt. Auch hier deutet sich an, daß die Westdienste die illegitime Erbschaft des MfS schon angetreten haben. Und es gibt heute keinen Grund, Staatsminister Stavenhagen zu glauben, wenn er im Oktober 1990 behauptet hat, Agenten des BND seien in der DDR nicht mehr tätig. Sein Bundeskanzleramt ist auf dem besten Wege, sich zum Bermudadreieck „heißer" Unterlagen in Sachen Stasi-Aufarbeitung zu entwickeln. Der Untersuchungsausschuß hätte auch zu klären, inwieweit die Erbschleicherei von dieser Koordinationsstelle der Westdienste geplant worden und zu verantworten ist. Angesichts dieser kurzen Geschichte westdeutscher Sicherheitspolitik sollten gerade die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern Innenminister Schäuble ernst nehmen. In einem Interview vom Sommer diesen Jahres erklärt er: „Natürlich müssen die Menschen in den neuen Ländern erst Erfahrungen mit der Demokratie nachholen, die wir in über 40 Jahren sammeln konnten. Der Umgang mit einer föderalistischen Ordnung ... oder daß man selbst für viele Dinge verantwortlich ist, ist für sie noch neu. Wir sollten ihnen die Chance dazu geben. Sie werden es bald gelernt haben." Nähme Herr Schäuble seine eigenen Worte ernst, müßte er als erster der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zustimmen. Auch wenn die Arbeit des Schalck-Ausschusses nicht allzuviel Anlaß zu Optimismus gibt — die Zustimmung zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses in Sachen Aktenklau wäre eine Demonstration und eine Lektion, eine Lektion in Sachen Demokratie für die selbstherrlichen Sicherheitspolitiker, bevor sie legal die Erbschaft der düstersten Seite der Stasiarbeit antreten können, und es wäre ein Beweis dafür, daß man aus der Überwindung der Stasivergangenheit mehr lernen kann als blinden Glauben in hingemurmelte Floskeln von rechtsstaatlichen Glaubenssätzen und Generalbevollmächtigungen. Anlage 10 Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Ortwin Lowack (fraktionslos) (Drucksache 12/1141 Frage 14): Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, ihre bisherige Politik gegenüber Zaire zu überdenken? Die Bundesregierung betrachtet mit Sorge die sich verschlechternde politische und wirtschaftliche Lage in Zaire. In ihrem politischen Dialog mit allen maßgeblichen politischen Kräften in Zaire ist die Bundesregierung bemüht, einen Beitrag zur Wiederherstellung der politischen und wirtschaftlichen Stabilität in diesem Lande zu leisten. Sie tut dies in Abstimmung mit ihren europäischen Partnern im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit. Die Politik der Bundesregierung orientiert sich an folgenden Zielen: Verbesserung der Menschenrechtslage , Durchsetzung der begonnenen demokratischen Reformen, Sanierung der Staatsfinanzen, Lösung der Strukturprobleme und Schutz der Tropenwaldgebiete. — Diese Politik gilt für die jeweilige Entwicklung in Zaire. Anlage 11 Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) (Drucksache 12/1141 Frage 19): Welche Revisionsvorschläge für das NATO-Truppenstatut und das Zusatzabkommen hat die Bundesregierung den verbündeten Streitkräften vorgeschlagen und bis wann soll ein Ergebnis der Verhandlungen erzielt werden? Die Bundesregierung ist am 5. September 1991 in Verhandlungen mit den Verbündeten, die in der Bundesrepublik Deutschland Truppen stationiert haben, zur Überprüfung des Zusatzabkommens zum NATOTruppenstatut eingetreten; das für alle NATO-Partner gleichermaßen geltende NATO-Truppenstatut selbst ist nicht Gegenstand der Verhandlungen. 3484' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 Die Verhandlungen haben in einer guten und vertrauensvollen Atmosphäre begonnen. Die aus Vertretern der Bundesregierung und der Bundesländer bestehende deutsche Verhandlungsdelegation hat den Verhandlungspartnern die aus deutscher Sicht zu überprüfenden und zu ändernden Bestimmungen benannt und ihre Vorschläge begründet. Die Bundesregierung hält den Zeitpunkt nicht für gegeben, um über den vertraulichen Inhalt der Verhandlungen öffentlich Auskunft zu geben. Die Verhandlungen sollen so schnell wie möglich zu Ergebnissen führen. Angesichts des umfassenden Verhandlungsgegenstandes können konkrete Angaben über ein voraussichtliches Ende der Verhandlungen nicht gemacht werden. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Bernd Schmidbauer auf die Frage des Abgeordneten Klaus Harries (CDU/CSU) (Drucksache 12/1141 Frage 61): Hat die Bundesregierung die Absicht, ggf. wann, den Katalysator auch für dieselbetriebene Lkw und Pkw einzuführen? Prinzip der Abgaspolitik der Bundesregierung ist es, Grenzwerte festzulegen und es der Industrie zu überlassen, mit welchen technischen Mitteln diese Grenzwerte eingehalten werden. Bei Dieselmotoren zeichnen sich z. Z. verschiedene technische Lösungen ab, die künftigen Schadstoffgrenzwerte einzuhalten. Neben dem Katalysator gibt es rein motorische Konzepte und den Partikelfilter. Voll wirksam ist der Katalysatoreinsatz erst bei Verwendung schwefelarmen Dieselkraftstoffs. Das aus dem Schwefel im Kat gebildete Sulfat führt zur Verschmutzung des Katalysators. Dies ist insbesondere bei Nutzfahrzeugen mit hohen Laufleistungen relevant. Die Bundesregierung hat daher bereits 1987 eine Initiative zur Einführung schwefelarmen Dieselkraftstoffs in der EG gestartet. Im Juni dieses Jahres hat die EG-Kommission einen Richtlinienvorschlag vorgelegt, der die Einführung schwefelarmen Dieselkraftstoffs (0,05 Gew.-% Schwefel) für 1995/96 vorsieht. Zu diesem Zeitpunkt sollen EG-weit die Grenzwerte der 2. Stufe für die Lkw (7 g NOx/kWh, 0,15 g Partikel/kWh) in Kraft treten. Damit wird der Industrie die Möglichkeit gegeben, zur Erfüllung dieser Grenzwerte auch die Katalysatortechnik einzusetzen. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Bernd Schmidbauer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU) (Drucksache 12/1141 Fragen 62 und 63): Liegen dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Kenntnisse darüber vor, daß aufgrund der Anforderungen der Verordnung über Abfallverbrennungsanlagen der Einsatz von nicht handelsüblichen Brennstoffen in Zementwerken zurückgegangen ist? Welche Bestimmungen der Verordnung über Abfallverbrennungsanlagen finden beim Einsatz von z. B. Altöl in Zementwerken Anwendung? Zu Frage 62: Die Immissionsschutzbehörden der Länder haben aufgrund eines Auftrages der Umweltministerkonferenz an den Länderausschuß für Immissionsschutz eine Schnellumfrage durchgeführt. Diese hat ergeben, daß derzeit keine Auswirkungen auf die Verbrennung von nicht handelsüblichen Brennstoffen, insbesondere von Altreifen, in Zementwerken aufgrund der Anforderungen der Verordnung über Abfallverbrennungsanlagen erkennbar sind. Zu Frage 63: Welche Bestimmungen der Verordnung über Abfallverbrennungsanlagen Anwendung finden, ist abhängig von dem Anteil der Abfälle und sonstigen brennbaren Stoffen, die der Verbrennungsanlage zugeführt werden. Bis zu einem Anteil dieser Abfälle und Stoffe von 25 To an der Feuerungswärmeleistung eines Zementdrehrohrofens gelten nur die Emissionsgrenzwerte mit den zugehörigen Vorschriften über die Messung und Überwachung; bei einem Anteil von mehr als 25 % finden auch die sonstigen Anforderungen der Verordnung Anwendung. Grundsätzlich gelten die strengen Emissionsgrenzwerte der Verordnung jeweils für den Abgasanteil, der z. B. auf das eingesetzte Altöl entfällt. Für das übrige Abgas gelten die für Zementdrehrohröfen auf der Grundlage der TA Luft festgelegten Emissionsbegrenzungen. Der Abgasstrom des Ofens wird demnach so bewertet, als ob es sich um zwei voneinander getrennte Abgasströme handelt. Eine Kompensation der Emissionsbegrenzungen zwischen den beiden Abgasströmen ist nicht zulässig. Emissionen an Schwermetallen oder Dioxinen aus der Verbrennung des im Beispiel genannten Altöls dürfen nicht mit dem Abgasanteil, der auf den regulären Brennstoff entfällt, verdünnt werden. Damit wird ein häufig erhobener Einwand gegen eine Verbrennung von Abfällen in Kraftwerken oder Zementwerken widerlegt. In dem Einwand wurde unterstellt, daß das „saubere" Abgas aus regulären Brennstoffen zur Verdünnung des „schmutzigen" Abgases aus der Abfallverbrennung benutzt wird. Anlage 14 Antwort des Staatsministers Dr. Lutz G. Stavenhagen auf die Frage des Abgeordneten Horst Peter (Kassel) (SPD) (Drucksache 12/1141 Frage 70): Warum hat das Bundeskanzleramt, das nach Darstellung des Staatsministers Dr. Stavenhagen nach seiner Antwort an den Abgeordneten Conradi vom Bundesnachrichtendienst „in einem anderen Sinn unterrichtet worden" sein will, nicht schon nach dieser Unterrichtung den Deutschen Bundestag über die unzutreffende Antwort auf seine Frage informiert, und welche personellen Konsequenzen beim Bundesnachrichtendienst hat das Bundeskanzleramt wegen dieser „Unterrichtung in einem anderen Sinne" gezogen? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. September 1991 3485* Die nachträgliche Information über die unzutreffende Antwort habe ich unterlassen, weil in dem schon genannten Schreiben vom 28. März 1990 nur stand, daß die behördliche Ausstellung von Papieren auf Decknamen von seiten des BND „begleitet" wurde. Ich muß einräumen, daß mir durch diese eher verschleiernde als verdeutlichende Darstellung der Brückenschlag zur Frage des Kollegen Conradi nicht deutlich geworden ist. Ich habe den wahren Sachverhalt erst erfahren, als ich vor ca. zwei Monaten im Hinblick auf den eingesetzten Untersuchungsausschuß vom BND umfassend und dabei erstmals auch darüber unterrichtet wurde, daß er für das Ehepaar Schalck-Golodkowski Decknamen-Papiere beschafft hatte. Die Verantwortung dafür trägt der damalige Präsident, der heute in einem anderen Geschäftsbereich der Bundesregierung tätig ist. Im BND sind daher keine personellen Konsequenzen zu ziehen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmuth Becker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Ebert.


Rede von Eike Ebert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Würden Sie mir zustimmen, Herr Staatsminister, daß es sich unter den besonderen Umständen, unter denen jetzt dieses spezielle Vermögen zur Privatisierung ansteht, zumindest um einen unfreundlichen Akt gegenüber der Bundesrepublik handelt?
Helmut Schäfer, Staatsminister: Das kann ich so nicht bestätigen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmuth Becker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Erler.