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    Plenarprotokoll 12/38 Bundestag Deutscher Stenographischer Bericht 38. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. September 1991 Inhalt: Bestimmung der Abg. Anke Fuchs als ordentliches Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses an Stelle der ausgeschiedenen Abg. Ingrid Matthäus-Maier 3121A Bestimmung der Abg. Gudrun Weyel als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses an Stelle der zum ordentlichen Mitglied bestimmten Abg. Anke Fuchs . . 3121A Wahl des Abg. Harald B. Schäfer (Offenburg) als ordentliches Mitglied in den Vermittlungsausschuß an Stelle der ausgeschiedenen Abg. Ingrid Matthäus-Maier . . . 3121 B Wahl des Abg. Gunter Huonker als stellvertretendes Mitglied in den Vermittlungsausschuß an Stelle des zum ordentlichen Mitglied gewählten Abg. Harald B. Schäfer (Offenburg) 3121 B Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/1000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Jürgen W. Möllemann, Bundesminister BMWi 3121C, 3145C Wolfgang Roth SPD 3125 B Michael Glos CDU/CSU 3128C Ingrid Matthäus-Maier SPD . . 3129D, 3212C, 3217B, 3226A Werner Zywietz FDP 3132 D Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3134 C Bernd Henn PDS/Linke Liste 3136B Klaus Wedemeier, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 3138B Michael Glos CDU/CSU 3138C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . 3141C, 3219 D Bernd Neumann (Bremen) CDU/CSU . . 3142C Manfred Richter (Bremerhaven) FDP . . 3144 C Matthias Wissmann CDU/CSU 3146A Wolfgang Roth SPD 3148C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 3148D Rudolf Dreßler SPD 3152A, 3159A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 3158D Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) FDP 3159B Christina Schenk Bündnis 90/GRÜNE . . 3159D, 3200 B Dr. Alexander Warrikoff CDU/CSU . . . 3161 B Petra Bläss PDS/Linke Liste . . . 3163D, 3196A Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . . 3166C Ottmar Schreiner SPD 3168A, 3172B Volker Kauder CDU/CSU 3172 A Ina Albowitz FDP 3172 D Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin BMG 3176B Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . 3177 C Klaus Kirschner SPD 3180A Dr. Dieter Thomae FDP 3183 B Arnulf Kriedner CDU/CSU 3184 D Ottmar Schreiner SPD 3185B Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 3186D Hanna Wolf SPD 3189B Dr. Edith Niehuis SPD 3190A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. September 1991 Ingrid Becker-Inglau SPD 3190 C Susanne Jaffke CDU/CSU 3194 B Dr. Gisela Babel FDP 3198B Maria Michalk CDU/CSU 3202 A Margot von Renesse SPD 3204 D Irmgard Karwatzki CDU/CSU 3207 D Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3209 B Norbert Eimer (Fürth) FDP 3211A Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 3212 B Irmgard Karwatzki CDU/CSU 3212D Ingrid Becker-Inglau SPD 3213D Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 3215D Dr. Peter Struck SPD 3218 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 3220 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 3220 D Carl-Ludwig Thiele FDP 3224 A Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste . . . 3227 B Dr. Klaus Rose CDU/CSU 3229 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 3232 B Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 3233 D Dr. Hans-Jochen Vogel SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3238 A Friedrich Bohl CDU/CSU 3239 B Friedrich Bohl CDU/CSU (zur Geschäftsordnung) 3239D Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg 3176B Nächste Sitzung 3240 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3241* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. September 1991 3121 38. Sitzung Bonn, den 5. September 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. September 1991 3241* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 05. 09. 91 Berger, Johann Anton SPD 05. 09. 91 Blunck, Lieselott SPD 05. 09. 91 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 05. 09. 91 * Eppelmann, Rainer CDU/CSU 05. 09. 91 Erler, Gernot SPD 05. 09. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 05. 09. 91* Francke (Hamburg), CDU/CSU 05. 09. 91 Klaus Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 05. 09. 91 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 05. 09. 91 Koltzsch, Rolf SPD 05. 09. 91 Dr.-Ing. Laermann, FDP 05. 09. 91 Karl-Hans Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 05. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 05. 09. 91 * Dr. Mertens (Bottrop), SPD 05. 09. 91 Franz-Josef Dr. Müller, Günther CDU/CSU 05. 09. 91 * Niggemeier, Horst SPD 05. 09. 91 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nitsch, Johannes CDU/CSU 05. 09. 91 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 05. 09. 91* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 05. 09. 91 * Rempe, Walter SPD 05. 09. 91 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 05. 09. 91 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 05. 09. 91 Ingrid Schäfer (Mainz), Helmut FDP 05. 09. 91 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 05. 09. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 05. 09. 91* Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 05. 09. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 05. 09. 91* Dr. Sperling, Dietrich SPD 05. 09. 91 Terborg, Margitta SPD 05. 09. 91* Verheugen, Günter SPD 05. 09. 91 Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 05. 09. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 05. 09. 91 Gert Wieczorek-Zeul, SPD 05.09.91 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 05. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Ingrid Becker-Inglau


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Divide et impera!

    (Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Was heißt das?)

    — Sie sehen, auch Frauen sind noch nicht mit ihrem Latein am Ende; denn „Teile und herrsche" — liebe Kolleginnen und Kollegen, so ist die Übersetzung, und ich dachte, daß das gerade bei Ihnen ein schon ganz besonders bekannter Spruch sei — scheint offensichtlich die Überschrift der Gleichstellungspolitik des Kanzlers und seiner Bundesregierung. Merkwürdig wie die Teilung eines Ministeriums in drei ist auch die Verteilung der Zuständigkeiten.

    (Ursula Männle [CDU/CSU]: Das hatten wir schon mal!)

    — Richtig. Aber es ist immer noch so.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Bleibt auch so!)

    Aber durch unvermeidbare Überschneidungen ist wenigstens der Konflikt, um es sarkastisch zu formulieren, zwischen den Mini-Ministerien und damit deren Untätigkeit gesichert. Aus einem geringen Haushalt wurden drei bedeutungslose Mini-Haushalte geschnitten,

    (Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Das ist falsch! Es war der drittgrößte Haushalt!)

    sichtbar daran, daß schon der zweite Haushalt, den die Frauenministerin machen mußte, um ein Drittel gekürzt wurde.

    (Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Es war der drittgrößte Haushalt! Sie sind falsch informiert!)

    Der Grund: Die Kinderbetreuungseinrichtungen in den neuen Ländern werden nicht mehr vom Bund mitfinanziert. Bleibt also die Frage: Was ist mit der vielversprechenden Formulierung „Anspruch auf einen Kindergartenplatz" in Einigungsvertrag und Regierungserklärung geworden?

    (Günter Rixe [SPD]: Nichts!)

    Aber wir haben ja gerade von Frau Merkel gehört, daß dieser Haushalt noch gar nicht der endgültige Haushalt ist und daß wir uns noch auf einige Überraschungen freuen dürfen.
    Zum anderen könnten Sie natürlich sagen: Aber dafür ist der Familienhaushalt um 14,7 % gewachsen. Doch dieser so löbliche Zuwachs gilt allein der längst fälligen Erstkindergelderhöhung, dem Kinderzuschlag und der längst beschlossenen Verlängerung der Bezugsdauer von Erziehungsgeld. Im selben Zuge wurden allerdings die Mittel im Bereich der Betreu-



    Ingrid Becker-Inglau
    ung von Asylsuchenden und Aussiedlern, die wirklich notwendig sind, gekürzt oder nicht bedarfsgerecht angesetzt.
    Was erwarten wir denn als Gleichstellungspolitik von der Bundesregierung? Der Handlungsbedarf ist doch so groß, daß er nicht mehr zu übersehen ist. Wie reagiert die Bundesregierung, und welche Lösungsvorschläge bietet sie an? Wie sichert sie diese politisch und finanziell in ihrer Durchführung? Seit gestern frage ich: Wie weit will diese Bundesregierung die Unterdrückung und Diskriminierung der Frauen eigentlich treiben?

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Jetzt mal langsam! Die Bundesregierung unterdrückt? Das nehmen Sie aber zurück! — Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Das ist aber unglaublich! — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Ihre Aussage ist eine Diskriminierung! Irgendwo hört es auf!)

    — Warten Sie mal ab, was ich Ihnen gleich noch sage!
    Der besonders erschreckende Beweis liegt seit gestern auf dem Tisch, Herr Rüttgers. Die Vorschläge zu der im Einigungsvertrag geforderten Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs müssen diskutiert werden. Die Meinungsführerschaft der CSU im Schulterschluß mit der katholischen Kirche hat auch die CDU übernommen.
    Die CDU/CSU propagiert eine Indikationenregelung, die weit hinter die augenblicklich geltende zurückfällt.

    (Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

    Sie spricht den Frauen selbst nach einer Vergewaltigung das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ab. Familienministerin Rönsch zielte mit ihren Leitsätzen vor der Sommerpause bereits in die gleiche Richtung. Ich frage: Was geht eigentlich in den Köpfen derer vor, die zu solchen Ergebnissen kommen?

    (Beifall bei der SPD)

    Frau Minister Merkel, für die in der ehemaligen DDR die Fristenregelung eine Selbstverständlichkeit war, und die zu Beginn ihrer Amtszeit noch Fristenregelung und Beratung empfahl

    (Zuruf von der SPD: Ersatzlose Streichung!)

    — so ist es — , erschöpfte sich dann in unverbindlichen Erklärungen und steht nun hinter den Vorschlägen ihrer Fraktion. Frau Merkel, welch ein Wandel! Und ich frage Sie auch: Wodurch?

    (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Zum Besseren! — Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU]: Sie kennen doch den Fraktionsvorschlag gar nicht!)

    Das scheinen Sie sich jetzt immer wieder fragen lassen zu müssen.
    Ich frage Sie deshalb: Was wollen Sie eigentlich den Frauen in den neuen Ländern und uns Frauen hier in den alten Bundesländern noch an Rückschritt antun?

    (Beifall bei der SPD)

    Wir Frauen sind empört und, ich sage auch, enttäuscht. Was denken Sie sich eigentlich dabei, wenn Sie Frauen über Strafandrohung zum Gebären zwingen wollen, und was tun Sie, um eine kinder- und familienfreundliche Republik wirklich zu realisieren?
    Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten treten mit unserem Gesetzentwurf, der in der übernächsten Sitzungswoche debattiert wird, für die Schaffung einer solchen Republik ein, in der nicht nur der vorgeburtliche, sondern auch der Schutz des Lebens nach der Geburt durch umfassende Hilfen und die Respektierung der Eigenverantwortung der Frau gewürdigt wird.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Da sind Sie aber spät dran!)

    Wir wollen, daß es in Zukunft für Frauen keine Wiederholung von Memmingen und keine entwürdigenden Zwangsuntersuchungen an der Grenze mehr gibt. Wir wollen, daß damit endgültig Schluß ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir hoffen, daß die Frauen und auch die auf geklärten Männer in unserem Land mit den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einer solcher für die Frauen entwürdigenden, von der CDU/CSU vorgelegten Regelung mit allen Mitteln entgegentreten.
    Auch die FDP will mit ihrem Gesetzentwurf einer Fristenregelung nicht auf Strafe für Frauen verzichten; das bedauern wir sehr. Mit einer Beratungspflicht will sie Frauen eine eigenverantwortliche Entscheidung absprechen, statt zu überlegen, wie Kinder in eine kinderfreundliche und familienfreundliche Umgebung hineingeboren werden können, statt zu überlegen, wie Schwangerschaftskonflikte vermieden werden können.

    (Ursula Männle [CDU/CSU]: Haben Sie den Entwurf überhaupt gelesen, wenn Sie so etwas behaupten?)

    — Den der FDP aber sicher!
    Der CSU-Vorsitzende und Bundesfinanzminister kann mit dieser Strafandrohung Kosten sparen, mit einer Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen, bei der familienpolitische, sozialpolitische und arbeitsrechtliche Leistungen nicht mehr im Vordergrund stehen wie bei dem im Bundestag vorgelegten SPD-Entwurf eines Familien- und Schwangerenhilfegesetzes. Dieses — das wissen wir — kostet Geld, vor allem weil es darum geht, bestehende Benachteiligungen für Frauen und Mütter zu beseitigen.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Frauen lassen uns bei der Verwirklichung zur Gleichstellung hin nicht allein auf die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs reduzieren. Denn im Erwerbsleben und in anderen Lebensbereichen sind Männer und Frauen noch immer nicht gleichgestellt. Es geht zur Zeit vor allem darum, den Anspruch der Frauen bei der Angleichung der Lebensbedingungen im vereinten Deutschland einzulösen. Familie und Beruf müssen miteinander vereinbar sein, Frauen müssen eine Grundsicherung ihrer Rente bekommen. Gleiche Bildungschancen müssen gewährt sein. Gleiche Chancen für Frauen und Män-



    Ingrid Becker-Inglau
    ner bilden die Voraussetzung für die gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen und auch in der Erwerbsarbeit und in der Familie. Von einer Frauenministerin und einer Familienministerin erwarten wir, daß sie sich für die Schaffung dieser Voraussetzung gerade in ihren Haushalten einsetzen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die deutsche Einigung hat uns die große Chance gegeben, die positiven und negativen Erfahrungen des Lebens in unterschiedlichen Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen zu bilanzieren und daraus eine neue einheitliche Demokratie zu gestalten.
    Von den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen in den neuen Bundesländern sind Frauen und Kinder besonders betroffen. In der ehemaligen DDR waren Frauen in der Verfassung gleichberechtigt. — Das ist auch bei uns so. Aber 90 % der Frauen waren erwerbstätig. Hinzu kamen großzügige Freistellungsregelungen nach der Geburt und bei der Erkrankung von Kindern.
    Und was ist bei der allerorts propagierten Angleichung der Lebensverhältnisse für die Frauen herausgekommen? — Frauen waren die ersten, die nach der Wende entlassen wurden. Dabei haben fast alle Frauen in den neuen Bundesländern eine gute und abgeschlossene Berufsausbildung und jahrelange Berufserfahrung. Mädchen ergattern inzwischen seltener einen Ausbildungsplatz und werden in die sogenannten frauentypischen Berufe verwiesen. Sie verlieren somit ihre Berufschancen und ihre Zukunftschancen, obwohl sie vorher selbstverständlich in allen Berufszweigen ausgebildet wurden. Das umfangreiche Instrumentarium, das den Frauen Berufstätigkeit und damit wirtschaftliche Unabhängigkeit ermöglichte — also Kinderkrippen, Kindergärten, Horte, Freistellungsregelungen — , wird unter dem nun geltenden westlichen Recht abgebaut.
    Die eigene Berufstätigkeit und die rentenrechtliche Anerkennung von Pflege und Erziehung machten die Frauen in der DDR vom Mann wirtschaftlich weitgehend unabhängig. Deshalb haben Frauen in den neuen Ländern ein größeres Selbstbewußtsein. Allerdings ist inzwischen bekannt und auch deutlich geworden, daß die Rolle der Frau in der DDR nie diskutiert wurde. Die Frauen in den neuen Ländern sind auf die Erfahrungen mit der für sie neuen Benachteiligung nicht vorbereitet.
    So können Vorurteile und das Handeln nach einem traditionellen Rollenbild ungehindert wirken: 59,3 % aller Arbeitslosen in den neuen Bundesländern sind Frauen; ihre Arbeitslosenquote liegt bei 14,6 %. Dagegen sind 40,7 % der Männer arbeitslos, bei einer Quote von 9,6 %. Dabei ist die Welle neuer Arbeitslosigkeit noch nicht beendet; denn Kurzarbeit null oder die sogenannte Warteschleife im öffentlichen Dienst dauert noch an.
    Die Bundesregierung setzt dieser Entwicklung nichts entgegen. Im Gegenteil: Die ehemals 90%ige
    Erwerbsquote der Frauen wird zusätzlich wie von selbst noch tiefer sinken,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, ist sie denn wünschenswert?)

    nämlich dann, wenn die Zahl der Kindertagesstätten weiterhin zurückgeht und die Elternbeiträge steigen. Immer mehr Frauen werden durch drohende Arbeitslosigkeit nun auch in den neuen Ländern in ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse gedrängt. Das heißt: Altersarmut von Frauen ist vorprogrammiert.
    In der Berufsausbildung zeigt sich ein ebenso katastrophales Bild: Allein in den neuen Ländern hatten 42 000 Jugendliche bis Ende Juli — nur einen Monat vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres — noch keinen Ausbildungsplatz; davon waren 56 % Frauen. Das heißt: Sie waren wieder überproportional stark betroffen. Insgesamt stehen dieses Jahr 160 000 Bewerberinnen und Bewerber einem Ausbildungsplatzangebot von 103 000 Plätzen gegenüber. Eine Wahl hinsichtlich des Berufspektrums gibt es nicht.
    Mädchen finden — wenn überhaupt — nur schwer einen Ausbildungsplatz, der auch gute Berufsaussichten bietet. In den neuen Ländern werden Mädchen und junge Frauen massiv aus den Bereichen zurückgedrängt, in denen in der ehemaligen DDR überwiegend Frauen beschäftigt waren, z. B. im Bankbereich und im Handel. Jetzt werden z. B. männliche Auszubildende und Arbeitnehmer von den meist westdeutschen Banken bevorzugt. Für Mädchen werden an vielen Orten verstärkt Plätze im Hotel- und Gaststättengewerbe oder im Hauswirtschaftsbereich geschaffen und angeboten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch wichtig!)

    Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat festgestellt: Über 50 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten nicht mehr im gewerblich-technischen Bereich, sondern im Dienstleistungsbereich. Ich frage hier die Frauenministerin: Mit welchen Maßnahmen steuern Sie hier gegen? Wie wird sich das für die Frauen zukünftig entwickeln? Wir finden in diesem Haushalt keinen einzigen Ansatz, der hier im Weiter- und Ausbildungsbereich entgegenwirken könnte. Frau Merkel, nicht eine Mark ist dafür im Haushalt.
    Ebensowenig haben sich Frauenministerium und Familienministerium gerührt, als die Änderung des § 5 AFG vom Bundesrat vorgeschlagen wurde, daß Frauen durch geeignete Angebote und Informationen an den arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumenten der Bundesanstalt für Arbeit entsprechend ihrem Anteil an den registrierten Arbeitslosen beteiligt werden. Dies hätte für die Frauen einen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung bei der Vermittlung in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gebracht und hätte den Frauen auch eine größere Bereitstellung von sinnvollen Angeboten zur beruflichen Fortbildung eingebracht.

    (Beifall bei der SPD)

    Frau Merkel, wir fordern Sie auf, mischen Sie sich ein bei der Ausbildungsstruktur, ebenso im Hochschulbereich. Sie hätten hier die Bundeskompetenz



    Ingrid Becker-Inglau
    wahrnehmen müssen. Statt dessen war der Einsatz bei der Förderung von Wissenschaftlerinnen bildungspolitisch und haushaltspolitisch in der Versenkung verschwunden, obwohl es jetzt ein Frauenministerium gibt.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch: Das Zusammenwachsen Deutschlands muß selbstverständlich auch ein Zusammenwachsen von Bildung, Wissenschaft und Kultur für Frauen und Männer zu gleichen Teilen sein. Diese Bereiche sind eine zentrale Voraussetzung für die soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand unseres Landes.
    Für die Bundesrepublik Deutschland besteht die Gefahr, daß Bildung und berufliche Qualifikation langfristig ungesichert bleiben. Arbeitsmarkt, wirtschaftliche Entwicklung, Hochschulen und berufliche Bildung, Vorbereitung auf ein gemeinsames Europa, internationale Kooperation, besonders in den europäischen Ländern, dazu, meinen wir, müssen auch eine Frauen- und eine Familienministerin, wenn sie zukunftsorientiert arbeiten, Stellung beziehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Auch in der Frage der Anerkennung der DDR-Berufsabschlüsse, die ja in vielen sozialen Berufen nicht gewährt wird, hören wir von der Frauen- und der Familienministerin nichts. Herr Waigel und seine Länderkolleginnen und -kollegen werden sich über dieses Ducken der beiden Ministerinnen vor ihnen freuen.
    Ich frage mich auch: Warum schweigen die Ministerinnen bei den Qualifizierungsangeboten im Erziehungsbereich, so wie Sie es eigentlich im wirtschaftlichen Bereich als Selbstverständlichkeit inzwischen gesehen haben? Sie hätten sich auch hier einmischen müssen. Warum lassen Sie eine Degradierung dieser Berufe zu?
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Herstellung gleicher Lebensverhältnisse bedarf es also weitgehender Überlegungen als rein arbeitsmarktpolitischer Zahlenvergleiche. Sozialpolitische und familienpolitische Fragen müssen auch gelöst werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Unsere Gesellschaft braucht Kinder. Kinder sind unsere Zukunft, und wir müssen sie mit Liebe in einer kinderfreundlichen Gesellschaft behandeln und aufwachsen lassen. Aber ist es richtig, diese große gesellschaftliche Aufgabe so zu reduzieren, daß Frauen dafür von allen anderen gesellschaftlichen Erfahrungen „freigestellt" werden? Nein, so geht es nicht.
    Bisher beteiligten sich Männer und Väter noch viel zuwenig an Aufgaben in der Familie, trotz Erziehungsurlaubs und Erziehungsgeldes für Väter und Mütter. Sie lassen sich lieber selbst noch mitversorgen und mitbetreuen — in Ost und West.

    (Beifall bei der SPD)

    Damit Frauen eine eigene erfolgreiche Berufstätigkeit ausüben, sich aktiv an allen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens beteiligen können und gleichzeitig Kinder und Jugendliche ihr eigenes soziales Umfeld aufbauen und gesellschaftliche
    Erfahrungen machen können, brauchen wir Kinderkrippen, Kindergärten, Horte und andere entsprechende Einrichtungen.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Wie gesagt, im Haushaltsplan „Frauen und Jugend" sind jedoch — entgegen allen Empfehlungen und Forderungen — alle Mittel für die Kostenbeteiligung des Bundes an den Kindergärten in den neuen Ländern gestrichen. Damit die Kommunen einen Teil dieser Einrichtungen überhaupt noch erhalten können, sind Elternbeiträge von etwa 200 DM im Durchschnitt pro Kind jetzt erforderlich.
    Können Sie mir einmal sagen, Frau Ministerin Merkel, welche der beinahe 60 % der arbeitslosen Frauen das überhaupt bezahlen kann? Und können Sie dann auch verstehen, daß viele ihre Kinder zu Hause behalten müssen, weil sie diese Kosten nicht aufbringen können?

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Das ist eine schlimme Situation, vor allem wenn man bedenkt, daß vorher 95 % der drei- bis sechsjährigen Kinder tagsüber in Kindergärten waren, 56 % der Kinder im Alter bis zu drei Jahren in Krippen und 88 % der sechs- bis zehnjährigen Kinder in Schulhorten betreut wurden. Diese Zahlen sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das ist es, wonach wir streben. Aber das wird dort jetzt abgebaut, und zwar unter dem Motto: Das ist bedarfsgerecht.
    Ein weiteres trauriges Kapitel der ungelösten Politik für Frauen ist die zunehmende Gewalt: Gewalt durch Jugendliche und sogar Kinder, Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, Gewalt gegen Frauen, Gewalt auch in Ehe und Familie. Dem mit zunehmender Gewalt steigenden Bedarf an Frauenhäusern stehen Untätigkeit und Ignoranz der beiden Ministerien gegenüber, die sich eigentlich hätten betroffen fühlen müssen. Von den 1,2 Millionen DM des ersten Frauenhaushalts, die als Anschubfinanzierung gedacht waren, ist nichts mehr zu finden. Dabei sind Zahl und Ausstattung von Frauenhäusern in den neuen Ländern noch immer völlig unzureichend.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Zum Schluß möchte ich festhalten: In den Haushaltsvorgaben der Bundesregierung sind keine finanziellen Voraussetzungen geschaffen, um die Lebensverhältnisse für Frauen und ihre Familien in den östlichen und westlichen Bundesländern anzugleichen und zu verbessern. Für Frauen in den neuen Bundesländern sind die Lebensverhältnisse unerträglich schlecht geworden. Beide zuständigen Ministerinnen waren nicht in der Lage, die Interessen von Frauen und Familien im Bundeshaushalt durchzusetzen.
    Deshalb fordern wir von der Bundesregierung, daß Frauen entsprechend ihrem Anteil an der Arbeitslosigkeit auch in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vermittelt werden können.
    Deshalb fordern wir, daß Mädchen anteilig Ausbildungsplätze in zukunftsorientierten Berufen erhalten. Deshalb fordern wir, daß Frauenförderung im öffent-



    Ingrid Becker-Inglau
    lichen Dienst, vor allem in Bundesbehörden, in die Tat umgesetzt wird.
    Deshalb fordern wir, arbeitszeitrechtliche und arbeitsrechtliche Vorschriften dahin gehend zu überprüfen, daß sie nicht als „Schutzvorschrift" gegen die Beschäftigung von Frauen eingesetzt werden können.
    Deshalb fordern wir, die Gleichstellung von Frauen gesetzlich auf Bundes- und auf EG-Ebene durchzusetzen. Deshalb fordern wir, Kindertageseinrichtungen in den neuen Ländern weiter mit Kostenbeteiligung des Bundes zu finanzieren und den Rechtsanspruch auch in den alten Bundesländern umzusetzen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Deshalb fordern wir, weiterhin Frauenhäuser in den neuen Ländern einzurichten, mit einer Anschubfinanzierung durch den Bund.
    Deshalb fordern wir, bei der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs ein umfassendes Angebot an sozialen Hilfen vorzusehen.
    Frau Merkel, für die Realisierung dieser Forderungen fehlt uns in Ihrem Haushalt jede Mark. Deshalb sollten Sie sich auch außerhalb von Wahlkampfzeiten auf Ihre Aufgaben als Frauenministerin besinnen. Sie sollten nicht glauben, mit einem Preisausschreiben die großen Frauenprobleme dieser Zeit lösen zu können.

    (Zuruf von der FDP)

    — Auch das hätten Sie bereits einsparen können.


Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Kollegin Bekker-Inglau, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ingrid Becker-Inglau


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Das hätte sie bereits sparen können. Ich glaube, es gab genügend Sachen, die man hier aufgezeigt hat.
    In den nächsten Monaten kommen große Aufgaben auf uns zu. Wenn das Engagement für die Gleichberechtigung bei den beiden Ministerinnen deutlicher zum Ausdruck kommen wird, dann sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an ihrer Seite.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)