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    Plenarprotokoll 12/38 Bundestag Deutscher Stenographischer Bericht 38. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. September 1991 Inhalt: Bestimmung der Abg. Anke Fuchs als ordentliches Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses an Stelle der ausgeschiedenen Abg. Ingrid Matthäus-Maier 3121A Bestimmung der Abg. Gudrun Weyel als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses an Stelle der zum ordentlichen Mitglied bestimmten Abg. Anke Fuchs . . 3121A Wahl des Abg. Harald B. Schäfer (Offenburg) als ordentliches Mitglied in den Vermittlungsausschuß an Stelle der ausgeschiedenen Abg. Ingrid Matthäus-Maier . . . 3121 B Wahl des Abg. Gunter Huonker als stellvertretendes Mitglied in den Vermittlungsausschuß an Stelle des zum ordentlichen Mitglied gewählten Abg. Harald B. Schäfer (Offenburg) 3121 B Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/1000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Jürgen W. Möllemann, Bundesminister BMWi 3121C, 3145C Wolfgang Roth SPD 3125 B Michael Glos CDU/CSU 3128C Ingrid Matthäus-Maier SPD . . 3129D, 3212C, 3217B, 3226A Werner Zywietz FDP 3132 D Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3134 C Bernd Henn PDS/Linke Liste 3136B Klaus Wedemeier, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 3138B Michael Glos CDU/CSU 3138C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . 3141C, 3219 D Bernd Neumann (Bremen) CDU/CSU . . 3142C Manfred Richter (Bremerhaven) FDP . . 3144 C Matthias Wissmann CDU/CSU 3146A Wolfgang Roth SPD 3148C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 3148D Rudolf Dreßler SPD 3152A, 3159A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 3158D Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) FDP 3159B Christina Schenk Bündnis 90/GRÜNE . . 3159D, 3200 B Dr. Alexander Warrikoff CDU/CSU . . . 3161 B Petra Bläss PDS/Linke Liste . . . 3163D, 3196A Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . . 3166C Ottmar Schreiner SPD 3168A, 3172B Volker Kauder CDU/CSU 3172 A Ina Albowitz FDP 3172 D Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin BMG 3176B Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . 3177 C Klaus Kirschner SPD 3180A Dr. Dieter Thomae FDP 3183 B Arnulf Kriedner CDU/CSU 3184 D Ottmar Schreiner SPD 3185B Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 3186D Hanna Wolf SPD 3189B Dr. Edith Niehuis SPD 3190A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. September 1991 Ingrid Becker-Inglau SPD 3190 C Susanne Jaffke CDU/CSU 3194 B Dr. Gisela Babel FDP 3198B Maria Michalk CDU/CSU 3202 A Margot von Renesse SPD 3204 D Irmgard Karwatzki CDU/CSU 3207 D Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3209 B Norbert Eimer (Fürth) FDP 3211A Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 3212 B Irmgard Karwatzki CDU/CSU 3212D Ingrid Becker-Inglau SPD 3213D Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 3215D Dr. Peter Struck SPD 3218 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 3220 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 3220 D Carl-Ludwig Thiele FDP 3224 A Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste . . . 3227 B Dr. Klaus Rose CDU/CSU 3229 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 3232 B Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 3233 D Dr. Hans-Jochen Vogel SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3238 A Friedrich Bohl CDU/CSU 3239 B Friedrich Bohl CDU/CSU (zur Geschäftsordnung) 3239D Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg 3176B Nächste Sitzung 3240 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3241* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. September 1991 3121 38. Sitzung Bonn, den 5. September 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. September 1991 3241* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 05. 09. 91 Berger, Johann Anton SPD 05. 09. 91 Blunck, Lieselott SPD 05. 09. 91 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 05. 09. 91 * Eppelmann, Rainer CDU/CSU 05. 09. 91 Erler, Gernot SPD 05. 09. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 05. 09. 91* Francke (Hamburg), CDU/CSU 05. 09. 91 Klaus Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 05. 09. 91 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 05. 09. 91 Koltzsch, Rolf SPD 05. 09. 91 Dr.-Ing. Laermann, FDP 05. 09. 91 Karl-Hans Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 05. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 05. 09. 91 * Dr. Mertens (Bottrop), SPD 05. 09. 91 Franz-Josef Dr. Müller, Günther CDU/CSU 05. 09. 91 * Niggemeier, Horst SPD 05. 09. 91 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nitsch, Johannes CDU/CSU 05. 09. 91 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 05. 09. 91* Reddemann, Gerhard CDU/CSU 05. 09. 91 * Rempe, Walter SPD 05. 09. 91 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 05. 09. 91 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 05. 09. 91 Ingrid Schäfer (Mainz), Helmut FDP 05. 09. 91 Scharrenbroich, Heribert CDU/CSU 05. 09. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 05. 09. 91* Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 05. 09. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 05. 09. 91* Dr. Sperling, Dietrich SPD 05. 09. 91 Terborg, Margitta SPD 05. 09. 91* Verheugen, Günter SPD 05. 09. 91 Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 05. 09. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 05. 09. 91 Gert Wieczorek-Zeul, SPD 05.09.91 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 05. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Jürgen W. Möllemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wirtschaftliche Entwicklung im vereinten Deutschland hat zwei ganz verschiedene Gesichter. In den alten Bundesländern läuft der Konjunkturmotor weiter stetig mit guter Tourenzahl. Die Wachstumsimpulse sind nach wie vor durch den Nachholbedarf in den neuen Bundesländern geprägt und schlagen sich unverändert in den Auftragsbüchern der Industrie nieder.
    Hervorzuheben bleibt: Die Investitionen in den alten Ländern sind weiterhin stark expansiv. Im westlichen Teil der Bundesrepublik ist das Bruttosozialprodukt in der ersten Jahreshälfte 1991 real um 4,5 höher als vor einem Jahr. Dieses hohe Tempo wird die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte nicht ganz halten können. Die Gründe: Zum einen haben sich die Exportüberschüsse gegenüber früheren Jahren zurückgebildet, und zum anderen wird sich die inländische und zum Teil stürmische Nachfrage bei den privaten Verbrauchern im Jahresverlauf etwas beruhigen. Dabei dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, daß die Steuer- und Abgabenerhöhungen zur Finanzierung der Einigungslasten auch Spuren hinterlassen.
    Seit geraumer Zeit ist die Bundesrepublik der Wachstumsmotor in Europa. In einer konjunkturellen Schwächeperiode der Weltwirtschaft steht sie in einer besonderen Verantwortung. Gerade unsere Partner in Europa verfolgen mit Interesse, ob der Konjunkturkessel in der Bundesrepublik weiter unter Dampf bleibt. Wohl und Wehe vieler unserer Handelspartner sind mehr denn je mit einer starken deutschen Wirtschaft verknüpft. Der Nachfragesog im Gefolge der Einheit hat einen erheblichen Beitrag zur Stützung



    Bundesminister Jürgen W. Möllemann
    der Weltkonjunktur geleistet und das Nachlassen der Wirtschaftskräfte dort zum Teil ausgleichen können.
    Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben wir für 20 Milliarden DM mehr Güter importiert, als wir selbst auf den Weltmärkten abgesetzt haben. Der ehemalige Exportweltmeister Bundesrepublik zeigt sich in einem anderen Gewand. Diese Entwicklung ist durch Sonderfaktoren der deutschen Einheit sicher überzeichnet. Mittelfristig können wir deshalb eine Normalisierung der Handelsströme erwarten.
    Die jetzt eingetretene Beruhigung bei den Auftriebskräften ist kein Rezessionsvorbote. Wenn die Finanzpolitik die Konsolidierung weiter ernst nimmt und die Tarifparteien ihrer gesamtwirtschaftlichen Mitverantwortung entsprechen, wird die Konjunktur robust bleiben und wird sich die Wirtschaftsleistung auch im nächsten Jahr auf dem Wachstumspfad bewegen.

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anpassungskrise in den neuen Bundesländern war unvermeidlich. Das Bruttosozialprodukt der neuen Bundesländer machte im ersten Halbjahr lediglich 8,3 % der westdeutschen Wirtschaftsleistung aus. Die Betriebe sind zu einem guten Teil personell noch überbesetzt. Die Folge liegt rechnerisch auf der Hand, nämlich eine Produktivität von deutlich weniger als 30 % im Vergleich zwischen Ost-und Westdeutschland.
    Tatsache ist aber auch, daß die Anpassung in vollem Gange ist. Positive Signale in Teilbereichen, etwa im Baubereich, sind sichtbare Zeichen der wirtschaftlichen Regenerierung. Im nächsten Jahr können wir realistischerweise mit 60 Milliarden DM rechnen, die mit Hilfe der Fördermaßnahmen und der investiv wirksamen Anreizpolitik der Bundesregierung von der Wirtschaft in Ostdeutschland plaziert werden. Wachstumsraten bis zu 10 % im Osten werden dann in einem dynamischen Aufholprozeß durchaus möglich sein.
    Die zunehmende Einübung marktwirtschaftlicher Denk- und Verhaltensweisen in Handel, Handwerk und Dienstleistungswirtschaft ist der Boden, auf dem die wirtschaftliche Erneuerung gedeiht.

    (Wolfgang Roth [SPD]: Das ist eine neue Theorie!)

    Die fortschreitende Privatisierung von Treuhandunternehmen, Kooperationen zwischen ost- und westdeutschen Betrieben und die Existenzgründungen schaffen und sichern viele wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Allein im Mittelstand der neuen Bundesländer werden in diesem Jahr über 400 000 neue Arbeitsplätze entstehen.
    Wir legen Wert auf eine allgemeine Investitionsförderung, die allen die gleichen Chancen bei wirtschaftlichem Neubeginn eröffnet. Der Markt muß der Kompaß für lohnende Investitionen sein.

    (Zuruf von der FDP: Jawohl!)

    Mit aktiver Struktursteuerung und Investitionslenkung in einzelnen Regionen haben die Menschen in
    der DDR 40 Jahre lang schlechte Erfahrungen gemacht. Wer glaubt, hier den Stein der Weisen gefunden zu haben — wie etwa mit dem sogenannten nationalen Aufbauprogramm die Kolleginnen und Kollegen von der SPD — , stellt grundlegende Prinzipien unserer Wirtschaftsordnung ohne Not in Frage.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wie Sie sich das vorstellen! — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: So ein Unsinn! — Zuruf von der FDP: Ohne Not!)

    Die noch bestehenden wirtschaftlichen Verwerfungen in Ostdeutschland treten naturgemäß am Arbeitsmarkt deutlich zutage.

    (Wolfgang Roth [SPD]: Redigieren Sie doch Ihre Rede besser! So einen Unfug am besten gleich herausschmeißen!)

    — Nun seien Sie doch nicht gleich am Anfang schon polemisch.

    (Zurufe von der SPD: Wir haben noch gar nichts gesagt! — Wir fangen erst an!)

    Am frühen Morgen! Entspannt bleiben!

    (Ernst Waltemathe [SPD]: Bis jetzt haben Sie uns erheitert!)

    Den ständig neuen Beschäftigungsrekorden im Westen steht der Abbau unproduktiver Arbeitsplätze im Osten gegenüber.

    (Wolfgang Roth [SPD]: Sind Sie Spätaufsteher, Herr Minister? Für mich ist es schon spät am Tag!)

    — Also, ich bin heute morgen wieder einmal um 5 Uhr aufgestanden, um von Münster in Westfalen hierher zu kommen.

    (Wolfgang Roth [SPD]: Das erklärt alles!)

    Dann kann man mich doch nicht als Spätaufsteher bezeichnen. Ich bin also ganz schön wach!
    Die nochmals sprunghaft gestiegene Zahl von Menschen, die sich bei den Arbeitsämtern beschäftigungslos gemeldet haben, ist auf Sondereinflüsse der ausgelaufenen Kündigungsschutzabkommen und der Warteschleifenregelungen im öffentlichen Dienst zurückzuführen. Ohne etwas beschönigen zu wollen: Im Jahresdurchschnitt 1991 dürfte die Arbeitslosenzahl bei etwas über 1 Million liegen. Zum Jahresende könnte sie auf ca. 1,5 Millionen ansteigen. Das ist viel; das ist zu viel, insbesondere aus der Sicht der ganz konkret Betroffenen. Aber es ist erfreulicherweise deutlich weniger, als viele von uns hier befürchtet haben. Der Prozeß verläuft positiver als erwartet.
    Der Anpassungsprozeß ist unvermeidlich, wenn wir dauerhafte Beschäftigung in wettbewerbsfähigen Betrieben aufbauen wollen. Deshalb müssen wir von den Menschen die Bereitschaft fordern, sich mit Qualifizierung und Mobilität das Rüstzeug für die modernen Arbeitsplätze anzueignen. Ich rufe deshalb die Bürger in Ostdeutschland erneut zur notwendigen Geduld und gleichzeitig zur Initiative auf. Nehmen Sie die Angebote zur Aus- und Fortbildung wahr! Las-



    Bundesminister Jürgen W. Möllemann
    sen Sie sich von den Schwierigkeiten im Übergang nicht entmutigen!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, mit Sorge sehen wir die Lohnsteigerungen und die zum Teil schon bis 1994 festgelegten weiteren Entwicklungen. Diese haben manchen der um ihre Existenz kämpfenden Betriebe eine Kostenlawine beschert, die den Abbau vieler Arbeitsplätze erheblich beschleunigt hat. Diese Entwicklung erweist sich für die Arbeitnehmer als Bumerang.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig!)

    Die Lohnentwicklung hat die Orientierung an der Produktivität inzwischen verloren.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist schade!)

    Die Folgen dieser verfehlten Tarifpolitik machen sich auch in den Staatskassen bemerkbar. Zusätzliche Transferzahlungen aus dem Westen werden für konsumtive Zwecke erforderlich und stehen für die bedeutsameren investiven Aufgaben, etwa bei der Modernisierung der Infrastruktur, nicht mehr zur Verfügung.
    Bei allem Verständnis für den Wunsch nach Einkommensangleichung kann man derartig grundlegende Zusammenhänge nicht ungestraft ignorieren. Das gefährdet auch die wirtschaftliche Stabilität im Westen, auf die wir dringend angewiesen sind. Ich wiederhole hier meinen Vorschlag, an Öffnungsklauseln bei Tarifverträgen vorurteilsfreier heranzugehen.

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die Menschen in den Unternehmen, die vor die Wahl gestellt werden — zeitlich begrenzte Abweichung vom Tariflohn oder Betriebsschließung? — , denken in dieser Frage vielleicht etwas anders als die Gewerkschaftszentralen in Stuttgart und Frankfurt.

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich stelle inzwischen im übrigen eine größere Flexibilität bei der SPD fest, die sich mittlerweile mit dem Gedanken des Investivlohnes offensichtlich angefreundet hat. Wir sollten uns gemeinsam überlegen, wie die berechtigten Anliegen der Beschäftigten und die Notwendigkeit einer Lohnanpassung mit Augenmaß besser miteinander verzahnt werden können.

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf die Haushaltsund Finanzpolitik kommt in dieser Situation eine besondere Verantwortung zu. Sie muß die notwendigen Mittel für die Wirtschaftsförderung in den neuen Bundesländern zur Verfügung stellen und gleichzeitig den Strukturwandel sozial abfedern. Das ist immer wieder eine schwierige Gratwanderung. Die benötigten Mittel müssen so finanziert sein, daß die Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft nicht überfordert wird. Konstruktives Zusammenwirken aller Beteiligten ist erforderlich. Das bedeut: Die Geldpolitik der Bundesbank braucht die entschlossene
    Unterstützung durch Parlament und Regierung. Schon um das Vertrauen ausländischer Investoren nicht zu gefährden, müssen wir den Weg der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen entschlossen weitergehen. Staatsausgaben und Neuverschuldung müssen enger begrenzt werden.
    Wir dürfen uns auch nicht auf den Ergebnissen der ersten Subventionskürzungsrunde ausruhen. Die Steuerschraube darf sich nicht weiter drehen; sonst verlieren wir das Vertrauen der Bürger und wir verlieren — was genau so schlimm ist — die Gestaltungsfähigkeit in der Politik.
    Die hohe staatliche Neuverschuldung in diesem Jahr ist durch die Wiedervereinigung entstanden und in ihrer Höhe von etwa 5 % des Bruttosozialprodukts nur mit diesem geschichtlichen Ereignis zu rechtfertigen. Sie wird nach dem Finanzplan der Bundesregierung von 1991 bis 1995 stufenweise auf 25 Milliarden DM zurückgeführt. Damit wird auch die Rückführung der Staatsquote, die uns in den 80er Jahren erfolgreich gelungen war, wieder möglich. Sie bleibt eine vordringliche Aufgabe auf unserem Weg zu mehr Markt und weniger Staat.

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Beschluß zum Subventionsabbau vor der Sommerpause war ein

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Flop!) wichtiger und notwendiger Kraftakt.


    (Beifall bei der FDP)

    Ich weiß, daß man — auch ich selbst — manches in diesem Vorgang handwerklich und auch in der Präsentation besser hätte machen können.

    (Zurufe von der SPD: So? — Aha!)

    — Ja, warum nicht? Diejenigen, die hier alles fehlerfrei machen, mögen das für sich reklamieren.

    (Zuruf von der FDP: Die machen gar nichts und deshalb auch nichts falsch!)

    Aber es war ein wichtiger Einstieg in die Verbesserung der Situation der Staatsfinanzen, und ich will jetzt an einem Beispiel deutlich machen, weshalb wir mit bestimmten Argumentationsweisen nicht so fortfahren können, wie es bislang geschehen ist.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt!)

    Sie erleben in diesen Tagen unablässig — und hier im Parlament ist es auch geschehen — am Beispiel der Subventionen für die deutsche Steinkohle, wie die Fakten ungerührt verdreht werden. Derzeit kostet die Tonne deutscher Steinkohle auf Grund der hohen Kosten, die wir wegen der spezifischen Förderbedingungen aufwenden müssen, knapp 290 DM.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Gut, daß ich so wenig brauche!)

    Auf dem Weltmarkt kostet die Tonne im Augenblick 97 DM. Der Differenzbetrag wird von den Menschen in unserem Land über Steuern und Abgaben finanziert. Wir, die Bürger dieses Landes, zahlen im Augen-



    Bundesminister Jürgen W. Möllemann
    blick für jeden im Steinkohlebergbau tätigen Bergmann pro Jahr 76 000 DM Zuschuß.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Also mehr als der Lohn!)

    Pro Kopf pro Jahr 76 000 DM! Meine Damen und Herren, dies ist nicht durchzuhalten!

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dies kann niemand vernünftigerweise in einer Zeit dauerhaft vertreten, in der wir die Mittel dringend brauchen und in der vor allem kein Mensch daran denkt, den Kumpels im Braunkohlentagebau in den neuen Bundesländern, z. B. in der Lausitz, auch nur ansatzweise eine Arbeitsplatzgarantie zu geben. Dort wird ein drastischer Abbau vorgenommen, um die Braunkohle ohne Subventionen wettbewerbsfähig zu machen.

    (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Frau Matthäus-Maier ist ganz fassungslos! — Gegenruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Als Berliner wäre ich bei Subventionen zurückhaltender!)

    Wir können — ich sage es noch einmal — einen solchen hohen Subventionsansatz nicht weiter fortschreiben. Es gibt dafür auch in keiner anderen Branche ein Beispiel, und es hat keinen Zweck, den Menschen im Bergbau etwas anderes zu suggerieren. Es wird ihnen zur Zeit immer noch suggeriert.

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Ausgabenkürzungen bleiben eine ständige Aufgabe über den Subventionsbeschluß hinaus, wenn — wie derzeit — ständig neue, zusätzliche Ausgaben auf uns zukommen. Wir müssen alle Ausgabenpositionen auf ihre Berechtigung überprüfen. Wenn wir z. B. die von allen Parteien des Bundestages befürwortete Korrektur beim Familienlastenausgleich und bei der Flankierung des § 218 in die Wirklichkeit umsetzen wollen — dafür spricht sehr viel; das wird einen Milliardenaufwand kosten —, dann müssen wir den Ausgleich durch Kürzungen an anderer Stelle vornehmen. Es geht nicht an, daß der hierfür erforderliche Betrag entweder durch höhere Steuern oder durch eine Anhebung der Nettokreditaufnahme finanziert wird. Wir werden die Kraft haben müssen, nicht nur segnend durch die Lande zu eilen und den Menschen Neues zu verteilen, sondern ihnen auch zu sagen, was nicht mehr geht. Das ist nicht das Einfachere, aber wir müssen es machen.

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Vermögensteuersenkung!)

    Die Belastung mit Steuern und Abgaben hat ihre Grenze erreicht. Die jetzt von der Bundesregierung beschlossene Anhebung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt — —

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Blüm mitnehmen zum Fallschirmspringen!)

    — Das ist ein guter Vorschlag, aber meine freundschaftliche Vor- und Fürsorge für den Kollegen Norbert würde mich natürlich dazu verpflichten, ganz
    besonders vorsichtig zu springen, wenn man das überhaupt kann.

    (Heiterkeit bei der FDP)

    Die jetzt von der Bundesregierung vorgesehene Mehrwertsteueranhebung um einen Prozentpunkt ist wegen der Harmonisierung der Steuern in der Europäischen Gemeinschaft notwendig.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Alibi! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Rede doch nicht so einen Stuß!)

    Weitere Belastungen dürfen nicht im Rahmen allgemeiner Steuererhöhungen hinzukommen. Unsere Wirtschaft muß ohnehin die höchsten Lohnzusatzkosten der Welt und hohe ertragsunabhängige Steuerlasten verkraften.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Deswegen will ich hier auch klar sagen, daß aus der Sicht des Bundeswirtschaftsministers jedes Gedankenspiel mit der Idee, die angekündigte Absenkung der Beiträge für die Bundesanstalt für Arbeit vielleicht doch nicht vorzunehmen, nicht in Ordnung ist, und deswegen will ich ebenso hinzufügen, daß es auch nicht in Ordnung wäre, den Betrieben über eine 1%ige weitere Umlage die Kosten für die Pflegeversicherung aufzubürden.

    (Zuruf von der SPD: Sie können ja die Politik einstellen, Herr Kollege!)

    Das kann so nicht gehen.

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Unser Ziel ist die Entlastung bei den ertragsunabhängigen Steuern sowie die Korrektur der hohen Steuersätze.

    (Ernst Waltemathe [SPD]: Und das können wir uns leisten?)

    Diese sind für ausländische Investoren, die sich in Deutschland, insbesondere in den neuen Bundesländern, engagieren sollen, eher abschreckend. Insofern ist die Unternehmenssteuerreform auch ein Stück Sozialpolitik; denn sie sorgt mit dafür, daß Investoren zu uns kommen, Unternehmungen aufbauen, ausbauen und damit Arbeitsplätze sichern.
    Meine Damen und Herren, die wirtschaftspolitischen Aufgaben im Innern der Bundesrepublik müssen wir im Einklang mit unserer internationalen Verantwortung erfüllen. Deswegen möchte ich zum Schluß noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, der uns in den nächsten Wochen und Monaten sehr beschäftigen wird: Die Bundesregierung setzt sich intensiv für die Sicherung des internationalen Freihandels ein und unterstützt den schnellen Abschluß eines neuen GATT-Abkommens. Wir sind wie keine andere Nation darauf angewiesen, daß wir einen möglichst ungehinderten Zugang zu allen internationalen Märkten haben.

    (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es!)

    Wir müssen, mehr als jeder andere, exportieren können; die Zahlen der letzten Jahre zeigen es. Im Jahre 1990 etwa haben wir 35 % aller Güter und Dienstleistungen, die bei uns produziert wurden, auf ausländi-



    Bundesminister Jürgen W. Möllemann
    schen Märkten verkauft. Zum Vergleich: Frankreich 24 %, Japan 15 %, USA 8 %.
    Niemand wäre schwerer betroffen als die deutsche Volkswirtschaft, wenn es uns nicht gelänge, das System des internationalen Freihandels zu sichern. Deswegen setzt sich die Bundesregierung nachdrücklich dafür ein, daß es noch in diesem Jahr zu einem Abschluß der Uruguay-Runde und zur Sicherung des internationalen Freihandels kommt. Dabei werden auch einige Branchenegoismen zurückstehen müssen.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Aha! Agrarpolitik!)

    Das gilt für alle diejenigen Bereiche, in denen wir selber durch Stützungsmaßnahmen, kartellartige Vereinbarungen u. ä. den freien Handel hemmen. Wir können von anderen gutes und beispielhaftes Verhalten nur erwarten, wenn wir selber dazu bereit sind. Das gilt auch für den Bereich, den ich zuvor nannte, sicher aber auch für die Agrarpolitik; das ist wohl wahr.
    Zusammengefaßt, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich sagen, daß die wirtschaftliche Situation in diesem Jahr und nach aller Voraussicht auch im nächsten Jahr Grund zu der Annahme gibt, daß nach dem neunten Jahr wirtschaftlichen Aufschwungs in Folge auch ein zehntes Jahr folgen wird — eine beispiellose Entwicklung in ganz Europa.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und das haben wir Ihnen zu verdanken?)

    Gewiß wird niemand reklamieren, daß das allein oder auch nur zuvörderst das Verdienst einer Regierung ist.

    (Zuruf von der SPD: Nein, trotz der Regierung!)

    So schlecht kann die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung aber wohl nicht sein, wenn es 10 Jahre nacheinander eine so exzellente wirtschaftliche Entwicklung gibt.
    Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht der Abgeordnete Wolfgang Roth.

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    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte anläßlich der Einbringung des Bundeshaushalts 1992 hat schon ihre Seltsamkeit. Der Herr Bundeswirtschaftsminister beklagt lauthals die viel zu hohe Staatsverschuldung. Auch sein Parteivorsitzender, Graf Lambsdorff, hat das gestern getan,

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Müssen wir das gleich bejubeln?)

    und zwar in Worten, die wir unterstützen können; ich habe daran keine Kritik zu üben. Nur, was folgt daraus? Es folgen keinerlei Entscheidungen zur Reduzierung der tatsächlich viel zu hohen Staatskredite,

    (Hans H. Gattermann [FDP]: Mach mal einen Vorschlag! — Heiterkeit bei der FDP)

    allerhöchstens Lippenbekenntnisse, Schönfärbereien oder Profilierungsaktionen.
    Beispiel: die sogenannten Subventionskürzungen. Im Grunde gibt der Bundeswirtschaftsminister, wenn er heute die Lage dramatisiert, ja zu, daß die sogenannten Subventionskürzungen gar nichts gebracht haben. Ich kann auch erklären, warum. Nehmen wir die Kürzung der AB-Maßnahmen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden gestrichen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Als ob das eine Subvention wäre!)

    Zwar wurde damit in einem Posten des Etats tatsächlich etwas weggestrichen; nur machen an anderer Stelle des Haushalts dieselben Problemfälle zusätzliche Arbeitslosenunterstützung notwendig; Einsparung gleich Null, aber die Operation hat Menschen um Arbeit gebracht, und jetzt bezahlen wir das Nichtstun.
    Ganz ähnlich ist es bei der Werfthilfe oder bei der Unterstützung im Bereich der Kohle. Es ist doch nicht so, daß derartige Streichungen keine Arbeitsplatzeffekte hätten. Natürlich fallen Arbeitsplätze bei den Werften und im Kohlebergbau weg. Wo sind da die Einsparungen? Meine Meinung ist, daß das ganze Theater um Subventionskürzungen im Grunde die Lage nicht verändert hat. Insofern hat der Herr Bundeswirtschaftsminister recht: Die Lage ist dramatisch geblieben und hat sich nicht verbessert.
    Meine Damen und Herren, zurück zur Konsolidierung der Staatsfinanzen: Wirtschaftspolitisch entscheidend ist doch, daß die Staatsverschuldung die Zinsen nach oben treibt und zunehmend als gefährliche Investitionsbremse wirkt — übrigens am schlimmsten im Wohnungsbau, auf dem Sektor, auf dem wir inzwischen wegen der gewaltigen Wohnungsnot den stärksten Bedarf haben.
    Der Zugriff des Staates auf den Kapitalmarkt nimmt immer mehr zu. Dieses Jahr beanspruchen Bund, Länder, Gemeinden und die Schattenhaushalte, die Sie gebildet haben, am Kapitalmarkt etwa 200 Milliarden DM. Das heißt, der Staat nimmt mehr als die Hälfte der freiwilligen Ersparnisse in Anspruch. Dies ist wirtschaftspolitisch nicht mehr zu tragen. Dieser Kredithunger des Staates verdrängt private Investitionen und verschlechtert damit die Möglichkeit einer schnellen Integration Ostdeutschlands in die westdeutsche Wirtschaft.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD] : Leider, leider!)

    Ich bin auch der Meinung, daß diese Zinssteigerungen für die notwendigen Modernisierungen unserer Volkswirtschaft gefährlich sind. Wir sehen Probleme in der Wettbewerbsfähigkeit. Ich habe da eine andere Position als Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister. Steigende Zinsen auf den Kapitalmärkten machen Investitionen in Finanzanlagen, in Geldvermögen, weit attraktiver als arbeitsplatzschaffende Investitionen in Produktivkapital. Die Folge davon ist, daß die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern zunehmen wird und daß der Zuschußbedarf zur Einkommenssicherung und für Sozialausgaben größer wird, als es bei einer soliden Finanzpolitik der Fall wäre. All das sieht der Bundeswirtschaftsminister offenbar auch so, wenn



    Wolfgang Roth
    man seinen Worten glauben darf. Aber mit der Vorlage dieses Haushalts geschieht überhaupt nichts, um das wirksam zu bekämpfen.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Meine Damen und Herren, es ist doch völlig klar, daß nur eine mutige Kombination von Ausgabenkürzungen auf der einen Seite und Einnahmeverbesserungen auf der anderen Seite Abhilfe bringen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie fordern doch immer mehr Ausgaben!)

    und die unerträgliche Neuverschuldung reduzieren kann. In einem föderativen System ist das nur möglich, wenn alle Beteiligten, die im Bund und die in den Ländern, gemeinsam Lösungen finden. Genau an dieser Stelle nimmt die Regierungskoalition — auch Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, und Ihre Partei — eine völlig falsche Weichenstellung vor. Glauben Sie wirklich, daß tragfähige Kompromisse zwischen der Koalition und der Mehrheit im Bundesrat möglich sind, wenn Sie unsoziale Entscheidungen in der Steuerpolitik an den Anfang stellen?

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Was Sie beschließen — jene Kombination von Erhöhung der Mehrwertsteuer, d. h. in besonderem Maße Abschneiden des Einkommens der Bezieher kleiner Einkommen, und Senkung der Vermögensteuer bzw. Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer — , das ist nicht einmal ein Verhandlungsangebot an die Opposition. Das müssen Sie wissen!

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Was hat dies mit der Wirtschaft zu tun? Wenn Sie Steuervorschläge machen, von denen Sie ganz genau wissen, daß sie zwischen Regierung und Opposition nicht einmal verhandlungsfähig sind, dann verunsichern Sie die Wirtschaft über Monate mit falschen Versprechungen. Das ist die Wahrheit!

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Es wird mit uns keine Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und es wird keine Vermögensteuersenkung geben, weil das nicht in die Landschaft paßt, weder wirtschaftlich noch sozial. Wir können nicht von der breiten Masse Opfer verlangen und wenigen Reichen etwas geben. Das geht sozial nicht!

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Zurufe von der CDU/CSU)

    Karl Schiller, auf den Sie sich so liebenswerterweise in der Attacke gegen die SPD zuweilen berufen wollen, hat für diesen Problemfall einen schönen Begriff gefunden. Er hat gesagt: In jeder Phase brauchen wir soziale Symmetrie. Was Sie in der Steuerpolitik vorschlagen, ist soziale Asymmetrie, wenn nicht sozialer Zynismus.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Meine Damen und Herren, wenn Sie mit uns zusammen — dazu sind wir bereit — die Begrenzung der
    Schulden und die Begrenzung der Kreditaufnahme wollen, müssen Sie bereit sein, von Ihren Positionen herunterzukommen; Sie müssen ernsthafte Verhandlungen und Gespräche beginnen.
    Das zweite wichtige Thema dieser Wirtschaftsdebatte im Rahmen der Haushaltsdebatte ist das Thema neue Bundesländer. Die Perspektiven für die neuen Bundesländer, insbesondere was das Kernproblem angeht, sind seit der Beratung des Bundeshaushalts im Frühjahr nicht besser geworden. Das Kernproblem ist die weitgehende Entindustrialisierung des Ostens unserer Republik, die Zerschlagung alter industrieller Strukturen, ohne daß neue, tragfähige Strukturen in der Industrie zu sehen sind.
    Sie, Herr Wirtschaftsminister, haben gerade wieder erwähnt, Sie sähen die Lage im Osten positiv. Sie haben auf Dienstleistungen hingewiesen und haben gesagt, dort seien neue Strukturen entstanden. Sicherlich: Wir haben auf diesem Gebiet einen Fortschritt im Osten. Das ist alles richtig.
    Aber machen wir uns keine Illusionen, so froh ich über diesen Tatbestand bin: Ein Land kann nicht allein von Banken, Versicherungen, Gastwirtschaften und Imbißstuben oder Bauaktivitäten allein leben.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist unbestritten!)

    Was wir brauchen, ist eine industrielle Basis im Osten. Für die Erholung dieser industriellen Basis gibt es leider keinerlei Hinweise. Genau hier versagt die Bundesregierung in ihrer Politik: Die alten Strukturen brechen immer schneller weg, ohne daß neue Arbeitsplätze entstehen.
    Übrigens kommt natürlich verstärkt hinzu — wofür ich Sie nicht verantwortlich mache — , daß im Osten Aufträge, insbesondere aus der Sowjetunion, storniert werden. Bei der Außenhandelsbank in Moskau liegen meterhoch Anträge von Unternehmen für Importe industrieller Güter, die nicht genehmigt werden, weil keiner verantwortlich ist oder sich verantwortlich fühlt. Das ist eine Phase, die uns im Osten erheblich zusätzliche Schwierigkeiten bereitet.
    Wenn das nun richtig ist, müssen wir von der Philosophie der Treuhand wegkommen, einerseits zu privatisieren und andererseits, wenn das nicht gelingt, sofort stillzulegen. Wir müssen wissen, daß wegen der besonderen Umstände, insbesondere im Osten, viele Unternehmen jetzt Pleite machen werden, die in zwei, drei Jahren, wenn sich die Sowjetunion stabilisiert hat und wenn die anderen osteuropäischen Länder neue Märkte haben werden, lebensfähig wären. Wenn es erhaltenswerte Strukturen gibt, muß man jetzt helfen, daß sie „Brückenbaumaßnahmen" bekommen. Dafür treten wir in Richtung auf die Treuhand ein.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Das heißt, das bisherige Treuhandkonzept kann nicht aufgehen.
    Im übrigen muß ich an dieser Stelle fragen: Was soll denn der Purismus: privatisieren oder stillegen? — Wenn wir dies in der Bundesrepublik Deutschland gemacht hätten, gäbe es keine Krupp-AG mehr; dann gäbe es keine AEG mehr; dann wäre Salzgitter vor



    Wolfgang Roth
    Jahrzehnten Pleite gegangen. Ich erinnere mich an die Zeit: Der VW-Konzern hätte erhebliche Schwierigkeiten gehabt, wenn er nicht sogar untergegangen wäre. Das ist die Wahrheit.
    Wir haben, egal wer Wirtschaftsminister war, ob Erhard oder später Schiller, in Notsituationen immer eingegriffen, wenn wir wußten, daß mittelfristig Marktchancen vorhanden waren. Das ist die richtige Politik.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Wir müssen also im Treuhandgesetz klar formulieren, daß in dieser Übergangs- und Anpassungsphase auch eine aktive Strukturpolitik ihren Platz hat und notwendig ist.
    Herr Möllemann, Sie haben vor mehr als einem Jahr die Verantwortung für die Treuhandanstalt gefordert. Sie sagten, es sei richtig, daß der für Strukturpolitik regional wie sektoral zuständige Minister die Verantwortung haben müsse. Ich kann das heute noch immer unterstützen. Es zeigt sich, daß der Fiskalminister nicht die industriepolitische Strategie entwickelt, um Ostdeutschland in eine neue Zukunft zu bringen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Friedrich Bohl [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)

    Um es konkret zu sagen: Chemiearbeitsplätze muß es im Raum Halle auch dann geben, wenn die Privatisierung nicht so schnell gelingt, wie man es erwartet hat. Werften an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern müssen auch dann erhalten werden, wenn wir nicht schnell industrielle, private Partner im Westen bekommen. Wir haben bislang keine bekommen. Wo sind sie denn, die westdeutschen Werften? Wo ist Thyssen? Thyssen ist weiß Gott ein reiches Unternehmen. Warum engagiert es sich nicht? Weil die Unternehmen nicht in der Lage sind, die Sanierung kurzfristig unter dem privaten Kalkül vorzunehmen. Deshalb ist nach meiner Auffassung eine industriepolitische Verantwortung des Bundes auf diesem Gebiet notwendig.
    Es sind inzwischen, meine Damen und Herren — ich sage das, weil sie Zwischenrufe machen, die die Lage verharmlosen — , 80 Prozent der früheren industriellen Arbeitsplätze im Osten weggebrochen. 80 Prozent!

    (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Und wie viele neue?)

    Wollen Sie auch noch die restlichen 20 Prozent zerstören? Vor dieser Alternative stehen wir inzwischen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ Linke Liste)

    Meine Damen und Herren, der Herr Bundeswirtschaftsminister hat auch heute wieder zur Konjunktur Stellung genommen. Er hat wiederum — wie in seiner Pressekonferenz am Freitag — die 4,5 % Wirtschaftswachstum des zweiten Quartals gepriesen. Auch ich bin froh darüber, daß wir dieses Wirtschaftswachstum erreicht haben; denn sonst sähe es bei den Staatsfinanzen noch schlechter aus.

    (Matthias Wissmann [CDU/CSU]: Sie haben das Gegenteil vorausgesagt!)

    Aber ich möchte doch ein paar kritische Nachfragen stellen.
    Die „Süddeutsche Zeitung" hat in diesem Zusammenhang zu Recht von einer „geliehenen" Konjunktur gesprochen, die an der Grenze ihrer Entfaltungsmöglichkeit sei. Mit „geliehen" meinte die „Süddeutsche Zeitung" ein Doppeltes: Die westdeutsche Konjunktur ist durch die gewaltig steigende Nachfrage aus dem Osten entstanden und ist also insofern geliehen. Diese Nachfragesteigerung im Osten wurde durch eine gigantische Staatsverschuldung im Westen finanziert. Wenn Sie so wollen, war das ja nichts anderes als eine Keynesianische Wirtschaftsstrategie, genau die, die Sie traditionell eigentlich immer abgelehnt haben. Aber diese Strategie hatte in diesem Fall einen großen Webfehler; denn Staatskredite wurden nicht in Investitionen gesteckt, sondern es wurden Staatskredite ausschließlich für konsumtive Ausgaben aufgenommen.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Die Investitionen nach sich gezogen haben!)

    Die „Süddeutsche Zeitung" hat völlig recht: Eine derartige Strategie kann man nicht lange durchhalten. Sie sind selbst, wie Sie zugeben, an die Grenzen gekommen. Wenn das stimmt, wäre ich nicht so optimistisch, was die Vorausschau anbetrifft.
    Im Grunde sind die Staatskredite, wenn Sie so wollen, nur wie Wasser in einem Durchlauferhitzer durch die neuen Bundesländer gejagt und in den Westen zurückgeschleust worden. Das kann und wird auf die Dauer nicht gutgehen.
    Eines kommt hinzu — ich bedaure eigentlich, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie das gar nicht erwähnt haben — : Wir sehen zur Zeit eine Abschwächung im Export. Ich sehe das nicht nur positiv, sondern, wenn ich die Strukturen, die Sektoren betrachte, mit großer Besorgnis. Im Automobilbereich haben wir eine deutliche Abschwächung der Exportmöglichkeiten, insbesondere in Richtung USA. Der Maschinenbau ist beim Export bereits in eine schwere Krise gekommen. Das wird nur durch andere Sektoren, von denen ich gerade gesprochen habe, ausgeglichen.
    Ich mache mir wirklich Sorgen um die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der westdeutschen Wirtschaft. Wir müssen nach meiner Überzeugung darauf achten, ob es nicht so sein könnte, daß die Japaner, nachdem sie den amerikanischen Markt, insbesondere bei Autos, aufgerollt haben, jetzt in Stoßrichtung Europa starten, was zu erheblichen Schwierigkeiten vor allem in der Automobilindustrie führen könnte.
    Ich finde, daß es, was die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und der Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft anbetrifft, aus dieser Bundesregierung keinerlei Anstöße mehr gibt. Übrigens wird das auch in der Industrie beklagt. Die Anwort, daß Indu-



    Wolfgang Roth
    striepolitik mit Marktwirtschaft unvereinbar sei, wird international allmählich nur noch belächelt.
    Übrigens, Herr Möllemann, was soll ich eigentlich davon halten, daß Sie aktive Industriepolitik verweigern, während der Chef des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes, Herr Seitz, einer der Hauptberater des Herrn Genscher, ein dramatisches Buch schreibt über die Notwendigkeit von Industriepolitik, um die japanische Herausforderung zu beantworten? Wo ist da eigentlich die Strategie?
    Ich stimme weitgehend den Analysen von Herrn Seitz zu, auch gewissen Antworten, die uns und den Gewerkschaften auf diesem Gebiet weh tun werden.
    Wir werden dieses Thema Industriepolitik zwischen Unternehmen, Gewerkschaften, Staat und Wissenschaft diskutieren müssen. Wir müssen nach meiner Überzeugung eine aktive, erneuerungsorientierte und leistungssteigernde Industriepolitik in der Bundesrepublik Deutschland bekommen.
    Hierzu gehört auch eine ökologisch orientierte Wirtschaftspolitik. Es ist doch völlig offenkundig, daß die althergebrachten Wachstumsmodelle der Industriestaaten für die ganze Welt so nicht mehr brauchbar sind. Wir brauchen umweltverträgliche Produkte und Produktionsverfahren. Diese kommen nur auf den Markt, wenn gesetzliche Instrumente, Auflagen oder Förderungen, eingesetzt werden, um ökologische Produktionsweisen und umweltgerechtere Produkte durchzusetzen. Man darf das nicht als lästige staatliche Einmischung verstehen, sondern im Grunde ist das hier eine industriepolitische Vision mit großer Zukunft. Ökologisches Wirtschaften wird die Marktchance der 90er Jahre und des nächsten Jahrtausends sein. Deshalb : Industriepolitik in ökologischer Erneuerung.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will nur an einer Stelle zeigen, was Realität ist. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir wissen, daß alternative Energiequellen die Zukunft sind. Die Forschung auf diesem Gebiet ist sehr gering. In Ihrem Etat gibt es zudem nicht einmal ausreichend Mittel zur Markteinführung schon vorhandener Instrumente bzw. Produkte der alternativen Energien, beispielsweise im Solarbereich. Ich fordere Sie auf, auf diesem Gebiet eine aktivere Politik zu betreiben, weil in der Tat hier Chancen vorhanden sind.

    (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Lesen Sie den Haushalt noch einmal!)

    Mein Urteil zur Wirtschaftspolitik der Bundesregierung lautet: Sie ist viel zu kurzatmig, sie zielt auf den aktuellen Effekt. Sie ist taktisch ausgerichtet, ihr fehlt im Grunde jede Strategie. Sie motiviert nicht, ihr fehlt der Anreiz zur Anstrengung, zur Leistung, insbesondere auch in Richtung auf die ökologische Erneuerung. Sie ist im Grunde opportunistisch, weil sie nicht ehrlich sagt, daß wir wirklich alle Opfer bringen müssen, wenn wir den Osten in den Westen integrieren wollen. Konkrete Antworten auf diesem Gebiet werden verweigert.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)