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    Plenarprotokoll 12/37 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 37. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage und Entwicklung in der Sowjetunion und Jugoslawien Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3015 B Björn Engholm, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 3020 A Dr. Alfred Dregger CDU/CSU 3025 D Dr. Hermann Otto Solms FDP 3031 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3035 C Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 3038 C Ortwin Lowack fraktionslos 3041 D Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 3043 A Hans Koschnick SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3046 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/1000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Dr. Hans-Jochen Vogel SPD 3047 C Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 3057 B Dr. Burkhard Hirsch FDP 3058C, 3100B, 3104 C Dr. Otto Graf Lambsdorff FDP 3062 C Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 3068 D Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 3070 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3072 B Peter Conradi SPD 3082 B Dr. Lutz G. Stavenhagen CDU/CSU . . 3082 C Christel Hanewinckel SPD 3082 D Dr. Burkhard Hirsch FDP 3085 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI 3086A Dr. Willfried Penner SPD 3087 A Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3089D, 3106A Dr. Sigrid Hoth FDP 3089 D Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 3091 D Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 3092 B Dr. Paul Laufs CDU/CSU 3093 A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3095 B Dr. Willfried Penner SPD 3097 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . 3102A Karl Deres CDU/CSU 3104A Dr. Hans de With SPD 3108 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 3109A Dr. Conrad Schroeder (Freiburg) CDU/CSU 3110D Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . . 3112D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 3115D Nächste Sitzung 3117D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3119* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 — Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 — (Michael von Schmude CDU/CSU) . . . . 3119* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 3015 37. Sitzung Bonn, den 4. September 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 04. 09. 91 Blunck, Lieselott SPD 04. 09. 91 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 04. 09. 91 * Erler, Gernot SPD 04. 09. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 04. 09. 91 * Francke (Hamburg), CDU/CSU 04. 09. 91 Klaus Hilsberg, Stephan SPD 04. 09. 91 Koltzsch, Rolf SPD 04. 09. 91 Dr.-Ing. Laermann, FDP 04. 09. 91 Karl-Hans Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 04. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 04. 09. 91 * Michels, Meinolf CDU/CSU 04. 09. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 04. 09. 91 Müller (Düsseldorf), SPD 04. 09. 91 Michael Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 04. 09. 91 Pfuhl, Albert SPD 04. 09. 91 * Rempe, Walter SPD 04. 09. 91 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 04. 09. 91 Ingrid Dr. Scheer, Hermann SPD 04. 09. 91 * Schmidt-Zadel, Regina SPD 04. 09. 91 Sielaff, Horst SPD 04. 09. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 04. 09. 91 * Dr. Sperling, Dietrich SPD 04. 09. 91 Dr. Sprung, Rudolf CDU/CSU 04. 09. 91 * Verheugen, Günter SPD 04. 09. 91 Vosen, Josef SPD 04. 09. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 04. 09. 91 Gert Welt, Hans-Joachim SPD 04. 09. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 04.09.91 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 04. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 - Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 - Michael von Schmude (CDU/CSU): Diese erste Lesung des Haushalts 1992 gibt uns willkommenen Anlaß zu einer Bestandsaufnahme, nämlich: wie weit sind wir beim Aufbau des freiheitlichen Rechtsstaates in den neuen Bundesländern vorangekommen, wo stehen wir, was muß noch getan werden? Anlagen zum Stenographischen Bericht Uns ist allen bewußt, daß die Glaubwürdigkeit der Justiz und das damit verbundene Vertrauen in den Rechtsstaat unabdingbare Voraussetzung für das Zusammenwachsen der Deutschen in Ost und West sind. Die Verwirklichung der Einheit auf dem Gebiet des Rechts ist eine Mammutaufgabe und braucht demzufolge auch Zeit. Dennoch gehöre auch ich zu jenen, die ungeduldig sind, und in der Tat könnte und müßte das eine oder andere zügiger verwirklicht werden. Das Justizwesen der früheren DDR war Werkzeug des Unterdrückerstaates und muß deshalb mehr als jede andere Verwaltung auch personell von Grund auf erneuert werden. Das bedeutet, daß Richter und Staatsanwälte nur in einem geringen Umfang übernommen werden können. Um eine Richterdichte wie in den alten Bundesländern herzustellen, benötigen wir etwa 4 500 Richter, 1 000 Staatsanwälte und 2 000 Rechtspfleger. Letztere waren in der früheren DDR überhaupt nicht vorhanden. Die Überprüfung der Richter und Staatsanwälte, die bereits in der ehemaligen DDR tätig waren, wird intensiv betrieben (von 2 600 = 1990 sind jetzt noch 1 300 im Amt). Unabhängig davon sollten jene Juristen, die sich schuldig gemacht haben, nicht erst auf das Ergebnis ihrer Überprüfung warten, sondern durch freiwilliges Ausscheiden ein Zeichen der Einsicht und damit einen Beitrag zum Neubeginn leisten. Gleiches gilt auch für diejenigen Juristen, die sich noch kurz vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 als Rechtsanwälte niedergelassen haben, obwohl sie auf Grund ihrer Vergangenheit dieses besser hätten unterbleiben lassen sollen. Überprüfungen sind notwendig, wobei erforderlichenfalls die bisherigen gesetzlichen Grundlagen ergänzt werden müssen. Auch hier gilt: Jeder Einzelfall muß auf die persönliche Verantwortung hin untersucht werden, Pauschalverurteilungen sind fehl am Platze. Unser 1991 beschlossenes dreijähriges Hilfsprogramm zum Aufbau des Rechtsstaates im Beitrittsgebiet sieht die Entsendung von insgesamt 2 300 Juristen und Rechtspflegern vor. Dabei handelt es sich um 1 000 Richter und Staatsanwälte, von denen bis Ende Juni etwa die Hälfte abgeordnet waren. Die Länder haben erneut versprochen, die angestrebte Zahl per Ende dieses Jahres annähernd sicherzustellen. Ein größeres Defizit tut sich bei den Rechtspflegern auf. Zwischen Bund und Ländern war vereinbart, in diesem Jahr 500 Rechtspfleger abzuordnen. Per Ende August lag diese Zahl mit 211 weit zurück. Angesichts des großen Arbeitsanfalls bei den Grundbuchämtern - bekanntlich liegen über 1 Million Ansprüche auf Rückübertragung vor - ist dieser Zustand besonders bedauerlich. Am Geld kann es nicht liegen, denn im Rahmen des gesamten Hilfsprogramms von 120 Millionen sind für diesen Bereich der Abordnung allein 65,4 Millionen DM vorgesehen. Die neuen Bundesländer machen von dem finanziellen Hilfsangebot des Bundes zur Einstellung von bis zu 300 Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern regen Gebrauch. Hier sind kurzfristig bereits 200 Stellen besetzt worden. 3120* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Außerordentlich unbefriedigend und schleppend verläuft dagegen die Ausschöpfung unseres sog. Seniorenmodells. Hier waren Haushaltsmittel in Höhe von 17,5 Millionen DM im Haushalt 1991 vorgesehen zur Entsendung von 500 pensionierten Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern. Mehr als 100 Interessenten haben sich bei den Justizministern der alten Bundesländer beworben und ganze drei sind inzwischen erst tätig: ein Richter in Sachsen und jeweils ein Richter und ein Rechtspfleger in Thüringen. Diesem Mißstand muß durch den Bundesjustizminister dringend nachgegangen werden. Sollten die alten Bundesländer mit dieser Aufgabe der Bewerberauswahl überfordert sein, so wäre dringend eine Übertragung auf ein anderes Gremium erforderlich. Insgesamt bleibt ohnehin festzuhalten, daß einige Bundesländer sehr vorbildlich den Aufbau des Rechtsstaates in den neuen Bundesländern unterstützen, andere hingegen, oft entgegen großer Ankündigungen, nur sehr halbherzig. Ein negatives Beispiel ist dafür leider auch Herr Engholm, der 1990 ganze vier Richter nach Mecklenburg-Vorpommern abgeordnet hat und die ohnehin knappen Ressourcen an Richtern durch die parteipolitisch motivierte Entscheidung zur Einrichtung eines neuen Oberverwaltungsgerichts weiter einengt. So sehen manche Solidarbeiträge aus! Die Vereinbarung des Bundesjustizministers mit seinen Länderkollegen zur Entsendung von 60 Staatsanwälten zur Aufdeckung der Regierungskriminalität in der früheren DDR ist von den Ländern bisher erst mit 10 Juristen teilerfüllt worden. Natürlich ist kein Schleswig-Holstein dabei. Zur Aufarbeitung der früheren SED-Diktatur hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Bereinigung von SED-Unrecht vorgelegt. Damit sollen die Aufhebung von Unrechts-Urteilen und die Entschädigungsregulierung beschleunigt werden. Wir müssen an diesen Komplex mit einem besonderen Augenmaß herangehen: In den mehr als 20 000 anstehenden Rehabilitierungsverfahren stecken erschütternde Einzelschicksale. Den Betroffenen muß Gerechtigkeit widerfahren. Allerdings müssen wir auch die Grenzen unserer Möglichkeiten erkennen, die einfach darin bestehen, daß geschehenes Unrecht weder finanziell noch sonst voll ausgeglichen werden kann. Bei den Finanzen ist zu berücksichtigen, daß dieses Gesetz mit etwa 1,5 Milliarden DM Kosten an die Grenzen unserer Möglichkeit heranführt. Mit einem noch zu beratenden Gesetz über die sogenannte Verwaltungsrehabilitation müssen Willkürakte der DDR-Organe im Verwaltungsbereich aufgearbeitet werden. Hier muß eine Möglichkeit geschaffen werden, auch abgeschlossene Verfahren wieder aufzugreifen. Besonders gilt dies hinsichtlich der sogenannten Zwangsumsiedlungen. So wurden u. a. im ehemaligen Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze — auch direkt angrenzend an meinen Wahlkreis in Mecklenburg — Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und ihr Hab und Gut gegen ein Trinkgeld dem Staat zu übereignen. Für die Vergangenheitsbewältigung des SED-Schnüffler- und Spitzelstaates brauchen wir weitere juristische Grundlagen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ermöglicht uns entsprechende Informationen im Interesse betroffener Opfer. In Verbindung mit der Erfassungsstelle Salzgitter kann dann hoffentlich ein Großteil politisch motivierter Straftaten aus der DDR-Zeit verfolgt und gesühnt werden. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, daß einige SPD-regierte Bundesländer einen Läuterungsprozeß durchlaufen haben und sich wieder an den Kosten der Erfassungsstelle Salzgitter beteiligen. Es war schon beschämend, wie man hier in der Vergangenheit aus einer Gefälligkeitspolitik heraus sich aus der politischen Verantwortung davongestohlen hat. Ein ganz besonders negatives Beispiel gibt wiederum die schleswig-holsteinische Landesregierung unter Ministerpräsident Engholm, die sofort nach der Regierungsübernahme 1987 ihren Anteil von nur 10 000 DM verweigerte. Der bisherige Aufbau der rechtsstaatlichen Justiz im Osten Deutschlands verdient Dank und Respekt vor allem gegenüber den neuen Bundesländern, denn der Alltag zeigt, daß inzwischen auch hier und da bereits Rückstände bei Gerichten und Grundbuchämtern abgearbeitet werden können. Allen Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums möchte ich an dieser Stelle ebenfalls meinen Dank für die von ihnen geleistete vorbildliche Arbeit sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Karl Deres


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Wir wollen gerade keinen Staatssport wie in der früheren DDR. Deswegen muß



    Karl Deres
    der Anteil der Bundesförderung konsequent zurückgeführt werden. Der Anteil privater und kommunaler Förderung dagegen muß nachhaltig erhöht werden.
    Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, für den vor wenigen Tagen verstorbenen, wohl von vielen Kollegen hochgeschätzten Pater Nell-Breuning, der heute schon einmal von Herrn Dr. Vogel zitiert wurde, waren Solidarität und Subsidiarität Grundprinzipien unserer Gesellschaft. Wir sollten uns bei den bevorstehenden Haushaltsverhandlungen an beiden orientieren.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Renate Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Kollege Konrad Weiß.

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    Rede von Konrad Weiß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen jährt sich zum zweitenmal der Gründungstag jener oppositionellen Bürgerbewegungen, die durch ihre Initialzündung den Weg zu Veränderungen in der DDR und damit zur deutschen Einheit ermöglicht haben. Wenn ich hier nun zur innenpolitischen Situation im vereinigten Deutschland zu sprechen habe, muß ich uns auch an den Zielen messen, die wir im Herbst 1989 gehabt haben.
    Die Wählerinnen und Wähler — ich sage das nicht ohne Bitterkeit — haben den Oppositionellen, Regimekritikern und Bürgerrechtlern des Herbstes 1989 nur einen bescheidenen Platz im Parlament des Jahres 1991 zugewiesen. Das entbindet mich allerdings auch von der Pflicht, die Aufzählung dessen auszuführen, was wir gemeinsam erreicht haben, und überträgt mir den Part, etwas von dem zu benennen, was uns gemeinsam Sorge machen sollte.
    Ich möchte zwei Dinge nennen. Zum einen ist das unser Umgang mit Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind; zum anderen ist das der politische Radikalismus. Der Linksradikalismus, meine Damen und Herren, ist in der alten Bundesrepublik seit langem nur noch ein Fetisch, der aber immerhin noch gut genug erscheint, um alle möglichen Anmaßungen des Staates zu begründen und zu entschuldigen. In Ostdeutschland hingegen hat er sich selbst durch 40jährige Mißherrschaft das Wasser endgültig abgegraben. Kommunisten, die gestern noch nicht einmal Lokführer sein durften, bevölkern heute die Bundeswehr, die Börse, die Beamtenstuben. Seit sich CDU und FDP frisches Blut aus den Ostparteien einverleibten, haben auch sie gestandene Linksradikale in ihren Reihen.
    Sollten wir den Verfassungsschutz, der dieses Land vor dem SED-Hausierer Schalck nicht schützen konnte oder wollte, nicht besser abschaffen? Das frage ich mich übrigens auch, wenn ich mir den soeben erschienenen Jahresbericht zum Verfassungsschutz anschaue. Das, was dort recherchiert wurde, kann man auch dem „Spiegel" überlassen; der macht es besser und billiger. Einen Satz wie den folgenden jedenfalls empfinde ich als eine Unverschämtheit: „Wegen des noch unvollständigen Informationsstandes" — so heißt es im Bericht über den Rechtsradikalismus auf Seite 47 — „können derzeit keine exakten Angaben über das Gewaltpotential neonationalsozialistischer Skinheads in Ostdeutschland gemacht werden."
    Dabei ist eben dieser Rechtsradikalismus eines der dringendsten Probleme in Ostdeutschland, das nur allzu augenfällig ist — und das nicht erst seit der Wende. Keine Woche vergeht, ohne daß schwere Ausschreitungen gemeldet werden. Der Tod unseres angolanischen Mitbürgers Antonio Amadeu, der im November 1990 in Eberswalde, einer Stadt in dem Gebiet, wo ich gewählt worden bin, von einer Gruppe von feigen Skinheads niedergeknüppelt und niedergetreten wurde, muß uns Mahnung sein, alles nur Mögliche zu tun, um den Rechtsradikalismus konsequent zu bekämpfen. In der Bevölkerung gibt es zunehmend eine stille Akzeptanz für rechte Brutalität. Es ist unerträglich zu wissen, daß in vielen Fällen die Polizei zugesehen und nicht eingegriffen hat. Wenn rechtsradikale Straftäter festgenommen werden, dann ist das zumeist nur vorübergehend.
    Ich weiß um die schwierige Situation der Polizei und der Gerichte in den östlichen Bundesländern. Doch ich frage hier auch die Ministerpräsidenten in Brandenburg und in Sachsen, ob sie wirklich die lasche Politik ihrer Innenminister gegenüber rechtsradikalen Verbrechern weiterhin decken wollen.
    Ich unterstütze nachdrücklich die Forderung des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, nach wirksamen polizeilichen Maßnahmen und schnellen Gerichtsverfahren, für die es doch hinreichend gesetzliche Grundlagen gibt.
    Bei all dem weiß ich natürlich, daß mit Verfassungsschutz, Polizei und Gerichten unsere freiheitliche demokratische Verfassung nicht wirklich geschützt werden kann. Politische Bildung, Sinngebung, soziale Sicherheit sind der wirksamere Verfassungsschutz. Um den Rechtsradikalismus dauernd und wirksam zu bekämpfen, muß man die Wurzeln des Übels freilegen. In Ostdeutschland gehören hierzu die durch und durch autoritären Strukturen des SED-Staates, der Sinnverlust vieler junger Menschen nach der Wende, die plötzlich erkennen mußten, daß ihre Eltern und Lehrer Heuchler und Lügner waren, die zwei Gesichter hatten: ein privates und ein sozialistisches. Die Ideale, mit denen sie aufwuchsen, erwiesen sich als trügerisch. Nicht zufällig kommen überdurchschnittlich viele Rechtsradikale aus Stasi- und SED-Familien. Sie haben sich dem zugewandt, mit dem sie der elterlichen und der staatlichen Autorität am meisten Schmerz zufügen. Sie waren dem Umbruch der DDR-Gesellschaft am wenigsten gewachsen. Sie waren mehr angepaßt und konnten sich nur in die Abhängigkeit von neuen Autoritäten flüchten. Sie sind in ihrem Sozialverhalten tief gestört, sind schwache Persönlichkeiten, die zur Selbstbestätigung die Anonymität der Masse brauchen. Einzeln sind sie hilflos, lebensuntüchtig und feige und leiden zugleich unter dem Gefühl der Minderwertigkeit.
    Dieser Befund trifft vermutlich auf viele junge Menschen in Ostdeutschland zu. Das zeigt, denke ich, daß sozialtherapeutische Maßnahmen dringend erforderlich sind. Rechtsradikalismus, auch der in den westlichen Bundesländern, ist ein sozialer Defekt. Eine wirkliche Veränderung kann es nur durch eine Veränderung des sozialen Umfeldes geben. Soziale Si-



    Konrad Weiß (Berlin)

    cherheit, ein Ausbildungs- und Arbeitsplatz, eine Perspektive für die persönliche Lebensplanung und Sinnfindung, das sind die besten Therapeutika. Dafür die Bedingungen zu schaffen ist die gemeinsame Aufgabe von Parlament und Regierung in Bund und Ländern.
    Dennoch: Wir werden uns damit abzufinden haben, nicht mehr alle jungen Menschen, die zum Rechtsradikalismus verführt sind, zu erreichen. Das gilt für Ost- und Westdeutschland gleichermaßen. Um so wichtiger ist es, künftig die demokratische Kultur und Fähigkeit zur Toleranz möglichst breit und tief auszubilden, damit unser Gemeinwesen einen wirksamen Widerstand leisten kann. Wir werden auch nachzudenken haben, ob die Schwelle zur Akzeptanz von Gewalt in der Gesellschaft und in den Medien nicht zu niedrig geworden ist und dadurch in unverantwortlichem Maße zur Brutalisierung junger Menschen beiträgt.
    Besonders in den östlichen Bundesländern gibt es jenseits des politischen Rechtsradikalismus und der verübten Gewalt eine dumpfe, unreflektierte Ausländerfeindlichkeit, die gleichfalls das Erbe einer vierzigjährigen ideologischen Indoktrination ist. Die strikte Isolierung der DDR-Bürger und der verlogene Internationalismus haben dazu geführt, daß es politische Flüchtlinge, Asylbewerber und Ausländer schlechthin vielerorts in den östlichen Bundesländern schwer haben. Die schwierige wirtschaftliche Situation trägt das ihre zu dieser latenten Ausländerfeindlichkeit bei. Insgesamt — das zeigt auch die verworrene Asyldebatte dieses Sommers — ist die Ausländerpolitik in Deutschland in eine Sackgasse geraten. In vielen Ländern der Welt zerstören Kriege, Bürgerkriege und die Verfolgung ethnischer Minderheiten und politischer Gegner die Lebensgrundlagen von Menschen und vertreiben sie aus ihrer Heimat. Besonders im Süden der Welt nimmt die Verarmung von Bevölkerungsmehrheiten zu. Immer mehr Menschen sind zur Flucht über Grenzen gezwungen. Auch im Osten und Südosten Europas treiben Verfolgung, Nationalitätenkämpfe und Verarmung Menschen zur Flucht. Gleichzeitig errichten die Staaten des Nordens immer höhere Zugangsbarrieren. De facto ist das Recht auf Asyl in Deutschland längst unzulässig eingeschränkt.,

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das kann man doch wohl nicht sagen!)

    Prüfen wir uns ehrlich: Sind Freizügigkeit und offene Grenzen, gemessen an der Realität, nicht nur Schlagworte in unserer Selbstdarstellung? Die Vormachtstellung des Nordens beruht darauf, daß wir weitgehend für unser Kapital, unsere Waren und Dienstleistungen, auch für uns selbst weltweit Freizügigkeit durchsetzen konnten. Als es noch einen Ostblock und eine Systemauseinandersetzung gab, waren die Verweigerung von Freizügigkeit und die unmenschlichen Grenzen gerade Signale für die Notwendigkeit einer Demokratisierung. Inzwischen errichten wir selbst Hindernisse gegen Menschen, die in Würde leben wollen und deshalb auf Freizügigkeit hoffen.
    Die Politik der Abschottung und ihrer Rechtfertigung hat unmenschliche Konsequenzen, für jene, die von uns ausgewiesen werden, ebenso wie für die bereits Zugewanderten. Ihre Anwesenheit erscheint der einheimischen Bevölkerung oder zumindest Teilen von ihr bedenklich. Feindbilder, die leichtfertig gebraucht werden, treffen auch große Gruppen der Einwanderinnen und Einwanderer und vertiefen Gräben zwischen diesen und den Einheimischen. Wenn Fragen der Flucht und des Zugangs für Flüchtlinge nur noch als Sicherheitsfragen, als Fragen des Schutzes vor Drogen, Terrorismus und Kriminalität diskutiert werden, beeinflußt das auch die einheimische Bevölkerung. Ihre Möglichkeit zur Information wird ebenso begrenzt wie die einer vorurteilsfreien Begegnung mit den Zuwanderinnen und Zuwandern.
    Die Diskriminierung, der Ausländer bei uns ausgesetzt sind, beginnt bei der Sprache, beginnt bei diesem Wort „Ausländer". Die Definition von Menschengruppen, die in Deutschland leben, ist konstruiert und in sich widersprüchlich: Deutsche sind nicht nur Einheimische, sondern auch Angehörige fremder Staaten, deren Vorfahren vor einigen Generationen ausgewandert sind. Der Begriff „Ausländer" — ein Begriff, der Nichtzugehörigkeit signalisiert — bezeichnet Menschen, die oft seit 20 oder 30 Jahren in Deutschland leben und arbeiten, ebenso wie ihre Kinder, die vielleicht hier geboren sind.
    Der Begriff „Asylant" schließlich hat mittlerweile einen durchaus diskriminierenden Klang und assoziiert größere Fremdheit und weniger Mitgefühl als der Begriff „Flüchtling", den wir in anderen Ländern finden und der menschlicher ist.
    Das Ausländergesetz des Jahres 1991 ist — zusammen mit weiteren Rechtsbestimmungen — so geartet, daß bereits Zugewanderte ebenso wie ihre Kinder in einem Status minderen Rechts festgehalten werden. Gesichtspunkt für weitere Zuwanderung ist allein das Staatsinteresse. Gerade das seit Januar 1991 gültige neue Gesetz macht Aufenthaltsgenehmigung und -verfestigung von der Erfüllung zusätzlicher Bedingungen abhängig und schränkt so eine Realisierung von Rechtsansprüchen faktisch weitgehend ein. Entscheidungen über weiteren Zuzug außerhalb des Familiennachzugs aber auch über Ausweisung sind zentral dem Ermessen der Exekutive übertragen. Nur wenige können demnach die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben und damit einen Anspruch auf volle ökonomische, soziale und politische Partizipation dort, wo ihr Lebensmittelpunkt ist.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Eine ganze Reihe von Menschen kann das! Sie müssen es nur wollen!)

    Wer in Deutschland leben will, ist also in der Regel gezwungen, eine individuelle politische Verfolgung nachzuweisen.
    Die Behauptung, das Boot sei voll, wird regelmäßig mit dem Hinweis verbunden, effektiver und humaner sei eine Bekämpfung der Fluchtursachen. Dabei stehen jedoch Quantität und Qualität bisheriger Vorschläge hierzu in einer lächerlichen Disproportion zum globalen Flüchtlingsproblem. Generell ist es unredlich, so zu tun, als könnte die Politik der isolierten Bekämpfung der Fluchtursachen Erfolg haben, wenn



    Konrad Weiß (Berlin)

    sie nicht von einem grundsätzlich neuen Weltwirtschaftskonzept gestützt wird, das mehr Gerechtigkeit zwischen der Welt des Nordens und der des Südens schafft.
    Die Alternative, meine Damen und Herren, ergibt sich aus der Kritik: Gefordert ist eine aktive Politik gegenüber Zuwanderinnen, Zuwanderern und Zugewanderten; eine Politik, die Verantwortung für mitverursachtes Leiden in der Welt übernimmt; eine Politik, die die Bevölkerung durch Information und Formulierung von Handlungsalternativen in den Willensprozeß einbezieht und die Parlamente, nicht die Exekutive zur Entscheidungsinstanz macht; eine Politik, die Rechtsgleichheit unter Menschen schafft, deren — aktueller — Lebensmittelpunkt in Deutschland liegt; eine Politik, die Vertreterinnen und Vertreter der Zugewanderten in den Entscheidungsprozeß einbezieht; eine Politik, die nicht verschweigt, daß die Bundesrepublik in den kommenden Jahren gezwungen sein wird, nicht weniger, sondern mehr Zuwanderinnen und Zuwanderer aufzunehmen; eine Politik, die klarmacht, daß jegliche Abschottungspolitik nur um den Preis militärischer Aktionen an der Grenze und einer wachsenden Zahl von Illegalisierten im Innern zu haben ist.
    Bekämpfung von Fluchtursachen bedeutet also politische Arbeit auf eine gerechtere Weltordnung hin. Eine solche langfristige globale Politik befreit uns aber nicht von der Pflicht, die Zuwanderung und den Status der Zuwanderinnen und Zuwanderer im eigenen Haus so bald wie möglich in transparenter und demokratischer Weise zu regeln.
    Hierzu schlagen wir vor: ein Einwanderungsgesetz, das die Rechtsstellung aller Zuwanderinnen und Zuwanderer und ihre Rechtsangleichung an die Einheimischen, die für eine Integration nötigen Leistungen des Staates ebenso wie Verfahren und Kriterien einer Einwanderung auf Antrag regelt; ein Flüchtlingsgesetz, das eine uneingeschränkte Einlösung des individuellen Menschenrechts auf Asyl nach Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes sichert und durch ein novelliertes Kontingentflüchtlingsgesetz die Aufnahme von Armutsflüchtlingen gewährleistet; schließlich Grundsätze einer Antidiskriminierungspolitik als Querschnittsaufgabe der gesamten Innenpolitik.
    Die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE wird als ersten Schritt dem Hohen Hause in Kürze den Entwurf zu einem Einwanderungsgesetz vorlegen. Deutschland ist de facto seit langen Jahren ein Einwanderungsland.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das wollen wir nicht sein!)

    Um das unveräußerliche, aus der Erfahrung der deutschen Geschichte geschaffene Rechtsgut, das Asyl, zu bewahren, halte ich die deutliche und das heißt auch die ausschließende Anwendung des Art. 16 Abs. 2 für dringend notwendig. Ein Einwanderungsgesetz soll deshalb den Zugang nach Deutschland für all jene regeln, die für sich Art. 16 Abs. 2 nicht beanspruchen dürfen. Zugleich soll das konzipierte Einwanderungsgeseiz die Lebensbedingungen für all jene Einwanderinnen und Einwanderer regeln, die schon in Deutschland leben.
    Die Mehrheit in der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE ist sich darin einig, daß ein solches Gesetz nicht auf eine Quotierung verzichten kann. Eine Quotierung gilt selbstverständlich nicht — das muß ich betonen — für jene, die als Verfolgte nach Deutschland kommen und sich begründet um Asyl bewerben. Es ist uns bewußt, daß die Zulassung eines Menschen nach bestimmten Kriterien und damit auch die Zurückweisung anderer nur in eingeschränktem Sinne als „gerecht" bezeichnet werden kann. Doch nur mit derartigen Regelungen sind die Ziele — Öffnung der Grenzen, staatlich verantwortete Planung und Rechtssicherheit bei Integrationsleistungen — miteinander vereinbar.
    Die von uns vorgeschlagene Politik soll zur Öffnung unseres Landes beitragen. Wir wollen eine offene Bundesrepublik. Wir laden Sie ein, meine Damen und Herren, mit uns gemeinsam an Alternativen zum Status quo in der Ausländerpolitik zu arbeiten und mit uns gemeinsam das vorgeschlagene Gesetz einzubringen.
    Vielen Dank.

    (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE)