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ID1203708300

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    Plenarprotokoll 12/37 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 37. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage und Entwicklung in der Sowjetunion und Jugoslawien Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3015 B Björn Engholm, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 3020 A Dr. Alfred Dregger CDU/CSU 3025 D Dr. Hermann Otto Solms FDP 3031 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3035 C Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 3038 C Ortwin Lowack fraktionslos 3041 D Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 3043 A Hans Koschnick SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3046 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/1000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Dr. Hans-Jochen Vogel SPD 3047 C Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 3057 B Dr. Burkhard Hirsch FDP 3058C, 3100B, 3104 C Dr. Otto Graf Lambsdorff FDP 3062 C Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 3068 D Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 3070 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3072 B Peter Conradi SPD 3082 B Dr. Lutz G. Stavenhagen CDU/CSU . . 3082 C Christel Hanewinckel SPD 3082 D Dr. Burkhard Hirsch FDP 3085 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI 3086A Dr. Willfried Penner SPD 3087 A Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3089D, 3106A Dr. Sigrid Hoth FDP 3089 D Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 3091 D Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 3092 B Dr. Paul Laufs CDU/CSU 3093 A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3095 B Dr. Willfried Penner SPD 3097 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . 3102A Karl Deres CDU/CSU 3104A Dr. Hans de With SPD 3108 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 3109A Dr. Conrad Schroeder (Freiburg) CDU/CSU 3110D Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . . 3112D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 3115D Nächste Sitzung 3117D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3119* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 — Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 — (Michael von Schmude CDU/CSU) . . . . 3119* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 3015 37. Sitzung Bonn, den 4. September 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 04. 09. 91 Blunck, Lieselott SPD 04. 09. 91 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 04. 09. 91 * Erler, Gernot SPD 04. 09. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 04. 09. 91 * Francke (Hamburg), CDU/CSU 04. 09. 91 Klaus Hilsberg, Stephan SPD 04. 09. 91 Koltzsch, Rolf SPD 04. 09. 91 Dr.-Ing. Laermann, FDP 04. 09. 91 Karl-Hans Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 04. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 04. 09. 91 * Michels, Meinolf CDU/CSU 04. 09. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 04. 09. 91 Müller (Düsseldorf), SPD 04. 09. 91 Michael Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 04. 09. 91 Pfuhl, Albert SPD 04. 09. 91 * Rempe, Walter SPD 04. 09. 91 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 04. 09. 91 Ingrid Dr. Scheer, Hermann SPD 04. 09. 91 * Schmidt-Zadel, Regina SPD 04. 09. 91 Sielaff, Horst SPD 04. 09. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 04. 09. 91 * Dr. Sperling, Dietrich SPD 04. 09. 91 Dr. Sprung, Rudolf CDU/CSU 04. 09. 91 * Verheugen, Günter SPD 04. 09. 91 Vosen, Josef SPD 04. 09. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 04. 09. 91 Gert Welt, Hans-Joachim SPD 04. 09. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 04.09.91 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 04. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 - Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 - Michael von Schmude (CDU/CSU): Diese erste Lesung des Haushalts 1992 gibt uns willkommenen Anlaß zu einer Bestandsaufnahme, nämlich: wie weit sind wir beim Aufbau des freiheitlichen Rechtsstaates in den neuen Bundesländern vorangekommen, wo stehen wir, was muß noch getan werden? Anlagen zum Stenographischen Bericht Uns ist allen bewußt, daß die Glaubwürdigkeit der Justiz und das damit verbundene Vertrauen in den Rechtsstaat unabdingbare Voraussetzung für das Zusammenwachsen der Deutschen in Ost und West sind. Die Verwirklichung der Einheit auf dem Gebiet des Rechts ist eine Mammutaufgabe und braucht demzufolge auch Zeit. Dennoch gehöre auch ich zu jenen, die ungeduldig sind, und in der Tat könnte und müßte das eine oder andere zügiger verwirklicht werden. Das Justizwesen der früheren DDR war Werkzeug des Unterdrückerstaates und muß deshalb mehr als jede andere Verwaltung auch personell von Grund auf erneuert werden. Das bedeutet, daß Richter und Staatsanwälte nur in einem geringen Umfang übernommen werden können. Um eine Richterdichte wie in den alten Bundesländern herzustellen, benötigen wir etwa 4 500 Richter, 1 000 Staatsanwälte und 2 000 Rechtspfleger. Letztere waren in der früheren DDR überhaupt nicht vorhanden. Die Überprüfung der Richter und Staatsanwälte, die bereits in der ehemaligen DDR tätig waren, wird intensiv betrieben (von 2 600 = 1990 sind jetzt noch 1 300 im Amt). Unabhängig davon sollten jene Juristen, die sich schuldig gemacht haben, nicht erst auf das Ergebnis ihrer Überprüfung warten, sondern durch freiwilliges Ausscheiden ein Zeichen der Einsicht und damit einen Beitrag zum Neubeginn leisten. Gleiches gilt auch für diejenigen Juristen, die sich noch kurz vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 als Rechtsanwälte niedergelassen haben, obwohl sie auf Grund ihrer Vergangenheit dieses besser hätten unterbleiben lassen sollen. Überprüfungen sind notwendig, wobei erforderlichenfalls die bisherigen gesetzlichen Grundlagen ergänzt werden müssen. Auch hier gilt: Jeder Einzelfall muß auf die persönliche Verantwortung hin untersucht werden, Pauschalverurteilungen sind fehl am Platze. Unser 1991 beschlossenes dreijähriges Hilfsprogramm zum Aufbau des Rechtsstaates im Beitrittsgebiet sieht die Entsendung von insgesamt 2 300 Juristen und Rechtspflegern vor. Dabei handelt es sich um 1 000 Richter und Staatsanwälte, von denen bis Ende Juni etwa die Hälfte abgeordnet waren. Die Länder haben erneut versprochen, die angestrebte Zahl per Ende dieses Jahres annähernd sicherzustellen. Ein größeres Defizit tut sich bei den Rechtspflegern auf. Zwischen Bund und Ländern war vereinbart, in diesem Jahr 500 Rechtspfleger abzuordnen. Per Ende August lag diese Zahl mit 211 weit zurück. Angesichts des großen Arbeitsanfalls bei den Grundbuchämtern - bekanntlich liegen über 1 Million Ansprüche auf Rückübertragung vor - ist dieser Zustand besonders bedauerlich. Am Geld kann es nicht liegen, denn im Rahmen des gesamten Hilfsprogramms von 120 Millionen sind für diesen Bereich der Abordnung allein 65,4 Millionen DM vorgesehen. Die neuen Bundesländer machen von dem finanziellen Hilfsangebot des Bundes zur Einstellung von bis zu 300 Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern regen Gebrauch. Hier sind kurzfristig bereits 200 Stellen besetzt worden. 3120* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Außerordentlich unbefriedigend und schleppend verläuft dagegen die Ausschöpfung unseres sog. Seniorenmodells. Hier waren Haushaltsmittel in Höhe von 17,5 Millionen DM im Haushalt 1991 vorgesehen zur Entsendung von 500 pensionierten Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern. Mehr als 100 Interessenten haben sich bei den Justizministern der alten Bundesländer beworben und ganze drei sind inzwischen erst tätig: ein Richter in Sachsen und jeweils ein Richter und ein Rechtspfleger in Thüringen. Diesem Mißstand muß durch den Bundesjustizminister dringend nachgegangen werden. Sollten die alten Bundesländer mit dieser Aufgabe der Bewerberauswahl überfordert sein, so wäre dringend eine Übertragung auf ein anderes Gremium erforderlich. Insgesamt bleibt ohnehin festzuhalten, daß einige Bundesländer sehr vorbildlich den Aufbau des Rechtsstaates in den neuen Bundesländern unterstützen, andere hingegen, oft entgegen großer Ankündigungen, nur sehr halbherzig. Ein negatives Beispiel ist dafür leider auch Herr Engholm, der 1990 ganze vier Richter nach Mecklenburg-Vorpommern abgeordnet hat und die ohnehin knappen Ressourcen an Richtern durch die parteipolitisch motivierte Entscheidung zur Einrichtung eines neuen Oberverwaltungsgerichts weiter einengt. So sehen manche Solidarbeiträge aus! Die Vereinbarung des Bundesjustizministers mit seinen Länderkollegen zur Entsendung von 60 Staatsanwälten zur Aufdeckung der Regierungskriminalität in der früheren DDR ist von den Ländern bisher erst mit 10 Juristen teilerfüllt worden. Natürlich ist kein Schleswig-Holstein dabei. Zur Aufarbeitung der früheren SED-Diktatur hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Bereinigung von SED-Unrecht vorgelegt. Damit sollen die Aufhebung von Unrechts-Urteilen und die Entschädigungsregulierung beschleunigt werden. Wir müssen an diesen Komplex mit einem besonderen Augenmaß herangehen: In den mehr als 20 000 anstehenden Rehabilitierungsverfahren stecken erschütternde Einzelschicksale. Den Betroffenen muß Gerechtigkeit widerfahren. Allerdings müssen wir auch die Grenzen unserer Möglichkeiten erkennen, die einfach darin bestehen, daß geschehenes Unrecht weder finanziell noch sonst voll ausgeglichen werden kann. Bei den Finanzen ist zu berücksichtigen, daß dieses Gesetz mit etwa 1,5 Milliarden DM Kosten an die Grenzen unserer Möglichkeit heranführt. Mit einem noch zu beratenden Gesetz über die sogenannte Verwaltungsrehabilitation müssen Willkürakte der DDR-Organe im Verwaltungsbereich aufgearbeitet werden. Hier muß eine Möglichkeit geschaffen werden, auch abgeschlossene Verfahren wieder aufzugreifen. Besonders gilt dies hinsichtlich der sogenannten Zwangsumsiedlungen. So wurden u. a. im ehemaligen Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze — auch direkt angrenzend an meinen Wahlkreis in Mecklenburg — Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und ihr Hab und Gut gegen ein Trinkgeld dem Staat zu übereignen. Für die Vergangenheitsbewältigung des SED-Schnüffler- und Spitzelstaates brauchen wir weitere juristische Grundlagen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ermöglicht uns entsprechende Informationen im Interesse betroffener Opfer. In Verbindung mit der Erfassungsstelle Salzgitter kann dann hoffentlich ein Großteil politisch motivierter Straftaten aus der DDR-Zeit verfolgt und gesühnt werden. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, daß einige SPD-regierte Bundesländer einen Läuterungsprozeß durchlaufen haben und sich wieder an den Kosten der Erfassungsstelle Salzgitter beteiligen. Es war schon beschämend, wie man hier in der Vergangenheit aus einer Gefälligkeitspolitik heraus sich aus der politischen Verantwortung davongestohlen hat. Ein ganz besonders negatives Beispiel gibt wiederum die schleswig-holsteinische Landesregierung unter Ministerpräsident Engholm, die sofort nach der Regierungsübernahme 1987 ihren Anteil von nur 10 000 DM verweigerte. Der bisherige Aufbau der rechtsstaatlichen Justiz im Osten Deutschlands verdient Dank und Respekt vor allem gegenüber den neuen Bundesländern, denn der Alltag zeigt, daß inzwischen auch hier und da bereits Rückstände bei Gerichten und Grundbuchämtern abgearbeitet werden können. Allen Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums möchte ich an dieser Stelle ebenfalls meinen Dank für die von ihnen geleistete vorbildliche Arbeit sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gregor Gysi


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist erstaunlich, aber bei uns können die gleichen Personen sogar zu mehreren Themen sprechen. Das halte ich für eine gewisse Errungenschaft.
    Der Herr Kanzler hat heute festgestellt, daß ich mich längst „in die Büsche geschlagen" habe.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Urwald!)

    Ich muß einräumen, damit ist es ihm das erste Mal gelungen, mich intellektuell einfach zu überfordern. Ich habe das nicht verstanden. Ich kann das nicht einordnen. Aber ich kann immerhin vermuten, was er damit meint. Dann könnte ich nur sagen, daß zwei Gründe ganz und gar dagegen sprechen, daß ich mich in die Büsche schlage. Der erste Grund besteht darin, daß ich gar nicht genau weiß, wen ich da treffe, weder aus seiner Partei noch aus seiner Regierung. Der
    zweite Grund ist, daß ich schon finde, daß eine Opposition, auch von der PDS, im Interesse der Anschlußopfer dringend geboten ist, und zwar der Anschlußopfer in Ost und West.

    (Zurufe der CDU/CSU: Opfer nennen Sie das wie Opfer des SED-Regimes?)

    — Ja. Ich will versuchen, Ihnen das auch zu begründen.
    Das ist eine der wichtigsten Fragen, die heute hier zur Diskussion standen, denn es geht doch letztlich um Aufrichtigkeit. Ich glaube, daß gerade in diesem Einigungsprozeß Aufrichtigkeit dringend erforderlich ist. In kaum einem anderen Gremium habe ich festgestellt, daß sowenig selbstkritische Einstellung und sowenig Nachdenklichkeit herrscht wie hier bei den Vorträgen.
    Aufrichtig ist es z. B. nicht, wenn der Kanzler die Frage der Staatsverschuldung hier wie eine Milchmädchenrechnung vorführt und damit doch über die eigentlichen Probleme auch für künftige Generationen hinwegtäuscht. Aufrichtig sind auch nicht die Stellungnahmen zu Schalck-Golodkowski, und aufrichtig ist es auch nicht, wenn man mit der Einheit zu begründen versucht, daß es einen Rechtsabbau geben muß. Denn darum geht es doch bei diesem Beschleunigungsgesetz für Verkehrsplanungen, daß die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger zurückgedrängt wird und, so behaupte ich, zunächst in den neuen Bundesländern zurückgedrängt wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Damit der Aufschwung kommt!)

    Denn es ist doch ganz klar, daß die alten Länder irgendwann sagen werden: „Es kann doch nicht sein, daß das bei denen so schnell geht, was bei uns so lange dauert. Wir fordern hier eine Rechtsangleichung. " Dann wird der gleiche Abbau auch in den alten Bundesländern stattfinden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre doch eine gute Lösung!)

    — Sehen Sie, Sie streben es jetzt schon an. Dann sagen Sie aber auch gleich, daß Sie es auch für die alten Bundesländer wollen. Dann wäre es immerhin aufrichtig.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warten wir doch einmal ab, wie es aussieht!)

    Zu dieser Aufrichtigkeit würde auch gehören, daß man klipp und klar sagt, wie die Situation in den neuen Bundesländern aussieht, und sie nicht permanent schönfärbt. Davon hat niemand etwas. Ich bestreite sogar, daß die Bundesregierung etwas davon hat. Es wäre viel günstiger, wir würden uns mit den enormen ökonomischen und sozialen Problemen beschäftigen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was Sie hinterlassen haben, sollen wir lösen!)

    Das ist auch nicht auf Dauer mit Ausreden zu machen.
    In der Zeitschrift „Wirtschaftswoche", der man vieles nachsagen kann, aber nicht gerade PDS-Nähe



    Dr. Gregor Gysi
    — das werden Sie einräumen —, stand jetzt zu lesen

    (Zuruf von der SPD: Das leuchtet sogar mir ein!)

    — das leuchtet auch Ihnen ein — , daß natürlich die gegenwärtige ökonomische Situation in den neuen Bundesländern gar nicht mehr auf die ehemalige zentralistische Kommandowirtschaft zurückzuführen ist und auch nicht auf das System der Marktwirtschaft, sondern auf die verfehlte Wirtschaftspolitik. Dem würde ich zustimmen, denn sie hat einfach das Gegebene nicht beachtet, sondern ist davon ausgegangen: Wenn man irgend etwas, was man hat, überstülpt, dann wird es schon funktionieren, weil es irgendwo anders einmal funktioniert hat.

    (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Der Laden war doch pleite!)

    Dann wird man halt auch Opfer seiner eigenen Propaganda.

    (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das Land war doch pleite, total pleite!)

    — Sehen Sie, das ist es: Da drückt die Ideologie durch. Die Ideologie kommt schon dadurch durch, daß Sie in den neuen Bundesländern jede Identität zerstören wollen. Das ist für die Menschen dort ziemlich verheerend. Ob das Orchester, Akademien oder Hochschuleinrichtungen sind, die geschlossen werden, oder was auch immer Sie ihnen mit irgendeiner ökonomischen oder sonstigen Begründung wegnehmen — das alles zerstört Identität, was überhaupt nicht erforderlich wäre, wenn man einen Einigungsprozeß und nicht einen Anschlußprozeß vollziehen würde.
    Die Massenarbeitslosigkeit wäre so nie erforderlich gewesen, wenn man eine aktive Wirtschaftspolitik betrieben hätte. Sie können auch nicht einfach sagen: Es gibt doch Aufschwung bei den Dienstleistungen, beim Bau, im Handwerk und Gewerbe, wenn man verschweigt, daß der natürlich nicht anhalten kann, wenn der Industriestandort zerstört wird. Denn dann wird es in diesen Bereichen keine Aufträge mehr geben. Auf Dauer können das die Bürger und Bürgerinnen und die Kommunen alleine nicht bezahlen.
    Dann will ich hier noch etwas zum Schalck-Untersuchungsausschuß sagen. Ich könnte als Obmann meiner Abgeordnetengruppe das Thema „neue Bundesländer" bequem fortsetzen. Doch auch das ist eine hochinteressante Arbeit, unter anderem aus folgendem Grund: Was die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR an dem KoKo-Bereich immer besonders interessiert hat, war die Tatsache, daß die SED- Führung dazu nie wirklich stand. Das war ein unglaublich geheimnisumwobener Bereich, und zwar nicht nur in den Bereichen, die jetzt rauskommen, Waffenexporte etc. — wo man sich sagt: darüber konnten sie ja nicht reden — , sondern auch in den Bereichen, wo es um scheinbar normale Geschäftstätigkeiten ging. Der Grund ist ganz einfach: Sie hätten nämlich einräumen müssen, daß ihr eigenes Wirtschaftssystem überhaupt nicht funktioniert. Denn sie waren praktisch darauf angewiesen, nebenbei ein rein kapitalistisches Wirtschaftsimperium aufzubauen.
    Aber nun kommt etwas heraus, was, so finde ich, die Schwierigkeiten der CDU/CSU und auch anderer Parteien ausmacht. Es geht da z. B. um Scheinfirmen, um Briefkastenfirmen, um irgendwelche Holdings, wo weiß ich wie viele Schachtelfirmen dahinterstehen. Man kann ja nun über den realexistierenden Sozialismus sagen, was man will, aber das sind alles nicht seine Erfindungen. Das sind alles Erfindungen — und zwar legale Erfindungen — des kapitalistischen Systems.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist jetzt aber albern, was Sie bringen!)

    — Aber es ist so. — So wird dabei eine Kritik an diesen Methoden herauskommen. Wie man aus den Unterlagen eindeutig entnehmen kann, kommt jetzt noch etwas dazu: Das gesamte Wirken dieses KoKo-Imperiums war den Behörden der Bundesregierung seit Jahren bekannt, ohne daß etwas dagegen unternommen worden ist. Es muß schon begründet werden, worin das Interesse bestand, daß dieses Imperium so wirkte. Dafür muß es eine politische und eine ökonomische Erklärung geben.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Herr Gysi, jetzt bringen Sie aber alles durcheinander!)

    Inzwischen wissen wir auch, daß der Bundesverfassungsschutz in diesen Betrieben viele Quellen hatte.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Was Sie machen, ist politischer Fleischwolf!)

    Das führt mich zu der Schlußfolgerung, daß es sich bei KoKo um das erste — und leider funktionierende — gesamtdeutsche Geheimdienst- und Wirtschaftsunternehmen handelte. Deshalb ist dieser Ausschuß keine alleinige Angelegenheit der neuen Bundesländer, sondern er sagt sehr viel über die Beziehungen der beiden deutschen Staaten zueinander. Um diese Wahrheit geht es, und zu dieser Aufrichtigkeit ist hier heute, wie ich finde, wenig beigetragen worden.
    Ich bin über zwanzig Jahre Rechtsanwalt. Deshalb billige ich jedem z. B. das Recht auf Verteidigung zu. Wenn sich der Kanzler durch Fragestellungen angegriffen fühlt, billige ich ihm sofort zu, daß er sich verteidigt und dagegen wehrt. Das ist das Grundrecht eines jeden Menschen; das kann man weder ihm noch irgendeinem anderen absprechen. Das ist absolut korrekt.
    Aber die Ausführungen mit einer Drohung zu beenden, halte ich doch für sehr bedenklich.

    (Dr. Joseph-Theodor Blank [CDU/CSU]: Welche Drohung?)

    — Er hat gesagt: Wenn ich das alles ernstnehme, dann müssen wir Schlußfolgerungen ziehen, wie wir in den nächsten Jahren mit dieser Gruppe umgehen. Das klang ausgesprochen bedrohlich und lief darauf hinaus, daß mit ihr in etwa so umgegangen werden soll wie mit uns.

    (Dr. Joseph-Theodor Blank [CDU/CSU]: Das war keine Drohung, das war ein Versprechen!)




    Dr. Gregor Gysi
    Davor kann ich dann tatsächlich nur warnen; denn angenehm ist es nicht.

    (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Die einzige Drohung ist, wenn Sie von Grundrechten sprechen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU)

    — Das können Sie gerne nachlesen. Es war als Drohung gemeint und auch so ausgesprochen.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Wir leben in einer Demokratie!)

    — Ja eben. Deshalb sollte man nicht drohen. Das ist der Punkt. Deshalb sollte man auf Kritik mit Verteidigung antworten. Und außerdem: Demokratie schließt Selbstkritik und Nachdenklichkeit nicht aus. Das ist wirklich ein weit verbreiteter Irrtum.

    (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Es wäre gut, wenn Sie einmal anfingen!)

    — Ich glaube, damit habe ich öfter angefangen als Sie! Das steht nun wirklich fest.

    (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Das möchte ich bezweifeln! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Mit welchem Erfolg?)

    — Mit beachtlichem Erfolg. Auf jeden Fall habe ich mich stärker entwickelt als Sie. Das steht fest.

    (Dr. Joseph-Theodor Blank [CDU/CSU]: Das ist unstreitig!)

    — Ja, das ist wahrscheinlich auch einfacher, weil manche natürlich am Ende ihrer Entwicklung angekommen sind, und das in mehrfacher Hinsicht.

    (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Sie meinen die PDS!)

    Lassen Sie mich noch einen Gedanken dazu sagen, weil dieses Imperium und dieses Zusammenwirken eben nicht nur aus politischen Gründen funktionierte.
    — Es ist eben schon wieder nicht aufrichtig, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: Es ging doch ausschließlich darum, Reiseerleichterungen in der DDR durchzusetzen. — Das ist nicht wahr! Das war auch ein wirtschaftliches Geschäft. Das haben natürlich sehr einflußreiche Leute gewußt, und daran haben auch sehr viele Leute, auch Unternehmen, verdient.
    Sehen Sie mal: KoKo konnte doch nicht in einem leeren Raum wirken. Die konnten doch nur Geschäfte machen, wenn mit ihnen Geschäfte gemacht wurden, und die wurden natürlich nur dann gemacht, wenn daran Leute verdient haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt sind wir für die Stasi-Geschäfte verantwortlich?! Das ist doch ein Rumdrehen der Tatsachen! Völlige Verdrehung der Tatsachen!)

    Das waren eben Freunde sehr einflußreicher Politiker in der Bundesrepublik. Daß diese sehr viel geredet haben — übrigens in dem Wissen um die Funktion von Herrn Schalck-Golodkowski; man wußte schon immer, daß er mit dem MfS sehr viel zutun hatte —, ist schon nachdenkenswert oder auch bedenklich, und da müssen wohl Fragen erlaubt sein, auch deutliche und scharfe Fragen erlaubt sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste — Zuruf von der CDU/CSU)

    — Das habe ich ja nicht gesagt. Ich habe gesagt, daß man das Recht hat, sich dagegen zu wehren.
    Die Ziele dieses Untersuchungsausschusses müssen eben auch darin bestehen, solche Klarheit zu schaffen, damit hier Moral und Unmoral nicht einseitig nur von West nach Ost gesehen wird, sondern damit wir insgesamt zu einer moralischen Erneuerung kommen.
    Danke schön.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE)



Rede von Renate Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Kollege Dr. Willfried Penner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Willfried Penner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu einigen Aspekten der Innenpolitik Stellung nehmen. — 1991 müssen wir voraussichtlich mit mehr als 200 000 Asylbewerbern rechnen. Das macht uns zu schaffen, und es stellt nicht nur die Verwaltungen von Städten und Gemeinden auf harte Belastungsproben. Auch auf unsere Bürger kommt einiges zu und ist schon einiges zugekommen.
    Machen wir uns nichts vor: Gerade denen, die unzureichende Wohnverhältnisse, fehlende Sozialeinrichtungen, Arbeitslosigkeit am eigenen Leib erleben, wird Zusätzliches zugemutet. In ihren Stadt- und Ortsteilen finden sich die Heime und Unterkünfte der Fremden. Sie müssen sich mit unterschiedlichen Lebensgewohnheiten anderer auseinandersetzen. Ihre Freizeitmöglichkeiten sind hin, wenn die Turnhalle mit Asylbewerbern belegt ist. Jeder von uns kennt diese Beispiele aus seinem Wahlkreis.
    Wer auf Kongressen, Tagungen und Seminaren großzügig für ein uneingeschränktes Zuzugsrecht eintritt, darf dabei nie vergessen, daß er dabei auch zu Lasten Dritter argumentiert,

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    in der Regel zu Lasten ohnehin schon bedrängter Einheimischer. Sie tragen die schwersten Lasten und nicht diejenigen in den besseren und besten Wohngegenden.
    Der Bundesinnenminister hat in der Kontinuität entsprechender politischer Vorstöße aus Bayern und Baden-Württemberg Anfang August das Thema Asylpolitik erneut aufgegriffen und in der besonders feierlichen Form des regierungsamtlichen Bulletins „Ausführungen zu Vorschlägen und Bemühungen zur Lösung der Asylproblematik" gemacht.
    Der analytische Teil seines Vorhabens ist recht hübsch gelungen. Die Auseinandersetzung mit tatsächlichen und vermeintlichen Ungereimtheiten der politischen Konkurrenz fehlt natürlich nicht. Allerdings reduzieren sich die pompös angekündigten Vorschläge seinerseits auf eine Änderung des Art. 16 und eine allgemeine Forderung nach Bekämpfung der Ursachen der Flüchtlingsbewegung, die der Bundesinnenminister „Hilfe gegen Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit" nennt. Wie das aber im einzelnen genau aussehen soll, diese „Hilfe gegen Hoffnungs-
    und Perspektivlosigkeit" bleibt völlig im dunkeln. Anscheinend haben Sie wohl eher an ideelle Hilfe gedacht, weil — wie der Bundesinnenminister selbst ge-



    Dr. Wilfried Penner
    sagt hat — das Wirtschafts- und Wohlstandsgefälle nicht einmal mittelfristig abgebaut werden kann.
    So bleibt Kern der Positionserklärung des Bundesinnenministers die Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes. Das ist nicht unsere Position.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE — Zuruf von der CDU/CSU: Was denn?)

    Herr Minister, im übrigen wäre Ihnen kein Zacken aus der Krone gebrochen, wenn Sie in diesem Zusammenhang den ausländischen Mitbürgern zumindest ein paar freundliche Worte gegönnt hätten.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Deren Anteil am wirtschaftlichen Aufbau allein hätte das gerechtfertigt. Ich erinnere hier nur daran, daß wir genau vor 30 Jahren das Anwerbeabkommen mit der Türkei abgeschlossen haben. Mit anderen Worten: Wir haben vor 30 Jahren darum gebeten, daß die Türken ihre Arbeitnehmer zu uns schicken; es ist nicht umgekehrt gewesen.

    (Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Und heute fordern Sie Kontingente für die Einwanderung!)

    Nicht zuletzt den Ausländern verdanken wir die große kulturelle Vielfalt in unserem Lande.
    Sie, Herr Minister, hätten an die Adresse gewisser Stammtische mit der Autorität des Ministeramtes auch ruhig einmal erklären können, daß Deutschland seit eh Schmelztiegel für viele gewesen ist,

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber nicht für alle!)

    nicht nur für die Bergarbeiter aus Polen um die Jahrhundertwende und später im Ruhrgebiet.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie denn schon eine Änderung des Art. 16 wollen, Herr Minister, frage ich Sie: Wann kommen Sie mit einer förmlichen Kabinettsvorlage herüber, die genau spezifiziert, was Sie wollen? Wenn Sie den Weg über das Kabinett scheuen, warum geht der designierte Fraktionsvorsitzende Schäuble nicht den Weg über eine entsprechende Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion?

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Machen wir ja!)

    Tatsache ist, Herr Minister: Sie gehen keinen dieser Wege. Sie sehen von beiden Möglichkeiten ab. Nicht nur aus meiner Sicht verdichtet sich der traurige Eindruck, daß — wie auch zu früheren Zeiten — die in der Sache höchst komplizierte und Menschenschicksal berührende Problematik des Asylrechts herhalten muß für Ziele, die mit den eigentlichen Fragestellungen überhaupt nichts zu tun haben.
    Ich nenne diese: Sie wollen mit dem Asylrecht von der Steuerlüge wegkommen,

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist doch unerhört! So viel Blödsinn auf einmal! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    und Sie wollen mit der Asylpolitik die SPD in die Ecke stellen.
    Mit Ihrer Position stehen Sie im übrigen in Widerspruch zu Ihrer wiederholten Beteuerung, daß der Schutz vor politischer Verfolgung — Sie haben es vorhin noch einmal betont — selbstverständlich gewährleistet bleiben müsse.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: So soll es auch sein!)

    Ich sage Ihnen: Jede Aufweichung des Art. 16 bringt Sie in unlösbaren Widerspruch zu Ihren eigenen Schutzzielen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Keine Spur!)

    In der Sache bin ich davon überzeugt, daß die Möglichkeiten der Innenpolitik weitestgehend ausgereizt sind. Die Innenpolitik kann nichts daran ändern, daß es eine Weltflüchtlingsfrage gibt, die immer bedrohlicher wird. Die deutsche Innenpolitik kann nichts daran ändern, daß es dafür vielfältige Ursachen gibt,

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Anreize beseitigen!)

    die von außen generell schwer zu beeinflussen sind. Die Ursachen der Flüchtlingsbewegungen in Afghanistan und Pakistan unterscheiden sich, um das Horn von Afrika und in Indochina sind sie wieder ganz anders als in Sri Lanka.
    Es ist auch unbestreitbar, daß Deutschland gerade für diese Gegenden der Not eine ähnliche Faszination ausübt wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika auf Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch daran wird deutsche Politik, im Besonderen die deutsche Innenpolitik, nichts ändern können und nichts ändern wollen.
    Bisher hat auch noch keiner gefordert, daß unsere Grenzen dichtgemacht werden müßten, denn dies wäre eine, wenn auch weitgehend überschätzte Voraussetzung dafür, um sich vor dem Weltflüchtlingsstrom abzuschotten. Das Gegenteil dessen ist seit Jahrzehnten praktizierte deutsche Politik. Nach Westen, zu Frankreich, zu Italien, zu Spanien, zu Benelux, zu Großbritannien, sind die Grenzen seit Jahren durchlässig. Das gerade von Bundeskanzler Kohl vorangetriebene Schengener Abkommen wird in allernächster Zeit die letzten, die allerletzten Reste von Grenzdenken innerhalb der EG beseitigen.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Wenn das Asylverfahren geklärt ist!)

    Aber auch zum Osten hin ist es seit Jahr und Tag erklärte deutsche Politik, die Grenzzäune niedrig zu halten. Freizügigkeit zwischen den Staaten und Völkern innerhalb ganz Europas steht als Überschrift über jenem KSZE-Prozeß, für den nicht zuletzt wir Deutsche uns besonders stark gemacht haben. Nach den Veränderungen in Osteuropa in Verbindung mit der deutschen Einheit hat deutsche Politik über Verträge und Einzelinitiativen sichergestellt, daß Gemeinsamkeit mit Polen, daß Gemeinsamkeit mit Ungarn und Bürgern der Sowjetunion auch ohne Hinder-



    Dr. Willfried Penner
    nisse, sprich: formulierten Wirrwarr bei Grenzüberschreitungen, stattfinden kann.
    Die Visafreiheit für Polen, die Visafreiheit für Ungarn, die Visafreiheit für die CSFR haben die Ostgrenzen insgesamt durchlässig gemacht. Das größer gewordene Deutschland mit langen Grenzen innerhalb des Kontinents, im Zentrum des Kontinents gelegen, ist neben diesen politischen Vorgaben der Öffnung und des Offenseins rein technisch nicht in der Lage, sich von der Weltflüchtlingsproblematik freizuhalten.
    Um es an einem Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit deutlich zu machen: Glaubt denn jemand allen Ernstes, Deutschland hätte sich vor einem Flüchtlingsstrom bewahren können, wenn der Putsch gegen Gorbatschow nicht gescheitert wäre? Ist es in diesem Zusammenhang verantwortlich, die mehr als 270 000 sowjetischen Soldaten auf deutschem Boden einfach zu vergessen?

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das hat doch mit Art. 16 zu tun!)

    Gibt es auch nur einen vernünftigen Grund anzunehmen, ein Bürgerkrieg auf dem Balkan würde Deutschland von Flüchtlingsströmen verschonen?
    Übrigens, auch unsere westlichen Nachbarn haben ihre Probleme mit den Wanderungsbewegungen. Im Vereinigten Königreich ist die Zuwanderung aus dem alten Empire zu verkraften, Frankreich macht die Einwanderung aus dem nördlichen Afrika zu schaffen, und in den Niederlanden gibt es Zuwanderungen aus Surinam und aus Indonesien.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber wesentlich geringer!)

    Noch eines ist nicht zu übersehen: Schon deshalb, weil es Autos und Flugzeuge gibt, können wir uns nicht darauf verlassen, daß Flüchtlingsströme in Asien und in Afrika von heute auf morgen nicht auch unsere Angelegenheit werden könnten.

    (Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Was ist die Schlußfolgerung? Bloß zusehen?)

    Auch an dieser Tatsache kommt Innenpolitik nicht vorbei. — Das ist aus meiner Sicht die Lage.
    Wem, wie der CDU — wie sie immer beteuert —, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und dem Bündnis 90, daran gelegen ist, den Schutz vor politischer Verfolgung zu bewahren, kann das materielle Recht auf Asylgewährung nicht ändern wollen.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Ergänzen, Herr Kollege!)

    Im Kern geht es denn auch um etwas völlig anderes. So richtig es ist, daß die Lösung des Weltflüchtlingsproblems ohne deutsche Beteiligung nicht stattfinden kann und wird, sowenig zu leugnen ist es, daß die Flüchtlingsfrage das Asylrecht zu ersticken droht.
    Die Verfahren bleiben zu lange in der Schwebe. Der Hochrangigkeit des Art. 16 entsprechend, müßte eine hochkarätige Instanz geschaffen werden, die alle Fälle — ich betone: alle Fälle — des Art. 16 und des Flüchtlingsrechts allgemein in erster und letzter Instanz zügig entscheidet. Unter diesen Voraussetzungen ließe es sich auch verantworten, die Antragssteller für diese Zeit in Sammellagern zusammenzuhalten; denn wenn feststeht, daß jemand nicht bei uns bleiben darf, dann muß eine solche Entscheidung durch Abschiebung auch besiegelt werden können.
    Andererseits müssen diejenigen, die bleiben dürfen, auch alle Chancen der Integration erhalten. Dazu gehört das kommunale Ausländerwahlrecht als Mindeststufe politischer Partizipation.

    (Beifall bei der SPD)

    Übrigens ist es erst nach einer solchen Straffung des Asylverfahrensrechts konsequent, über ein Einwanderungsrecht nachzudenken, das mit einer Quotierung verbunden ist.
    Ein völlig anderes Problem stellt sich bei den Aussiedlern. Das sind Deutschstämmige nach Art. 116 in Verbindung mit den Vorschriften des Vertriebenen- und des Staatsangehörigkeitsrechts. Diese Rechtsmaterie, die unter den aktuellen Bezügen der 40er Jahre zustande gekommen ist, muß überarbeitet werden.
    Nach vorsichtigen Schätzungen gibt es allein in der Sowjetunion ca. 2 Millionen Menschen, die auf diese Rechte Anspruch erheben können. Was das auf dem Hintergrund der Gärungsprozesse in der Sowjetunion bedeutet, brauche ich nicht näher auszuführen. Wie der Innenminister dazu kommt, vor den Folgen einer möglichen Zuwanderung in diesem Ausmaß die Augen zu verschließen und sich mit teils absurden Ergebnissen eines überholten Vertriebenen- und Staatsangehörigkeitsrechts zufrieden zu geben, ist mir schleierhaft.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Paul Laufs [CDU/ CSU]: Sie selbst haben doch gesagt, daß der Zustrom nun zurückgehen wird!)

    Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Stichwort Kontingentierung. Für das geltende Asylrecht scheidet das aus. Eine Kontingentierung kann nur über innerstaatliche Verteilungsregelungen stattfinden. Kontingentierung von Zuwanderung ist nur im Rahmen von Einwanderungspolitik möglich.
    Ich bleibe dabei: Die Regelung der Asyl- und Flüchtlingsfrage ist weitgehend nicht Sache innerstaatlicher Ordnungspolitik. Es ist nicht akzeptabel, daß Polizei- und Ordnungsrecht als Korrektive für die Folgen einer offenen Außenpolitik, für niedriger gewordene Grenzzäune, für Unzulänglichkeiten der Entwicklungspolitik, für offene Felder der Schwarzarbeit bei uns und die immer besser werdenden Möglichkeiten des Personenverkehrs herhalten.
    Allerdings werden wir uns an sinnvollen und verantwortbaren Initiativen zur Schließung etwaiger offener Lücken auch auf dem Gebiet innerstaatlichen Rechts beteiligen. Es wäre eigentlich zu erwarten, daß die doch sehr große Mehrheit von CDU/CSU und FDP im Parlament und auch die Bundesregierung verbindliche Vorschläge in Gesetzesform präsentieren, wenn sie es denn für nötig halten.

    (Beifall bei der SPD)

    Noch so interessante Bulletins, noch so interessante Überlegungen an badischen Kaminen können Sie, Herr Minister, von dieser Pflicht nicht entbinden.



    Dr. Willfried Penner
    Übrigens sage ich ganz freimütig — das nehme ich dann auf meine höchstpersönliche Kappe —, daß die Außenpolitik besonders darauf achten muß, nicht außer Sichtweite der Möglichkeiten der Innenpolitik zu geraten. Bei allen begrüßenswerten außenpolitischen Fortschritten darf nie vergessen werden, daß die Bürger mit den Folgen außenpolitischer Veränderungen auch zurechtkommen müssen.
    Die CDU/CSU stellt seit Jahren den Bundesinnenminister und ist damit in besonderer Weise für die innere Sicherheit verantwortlich. Um es vorsichtig zu sagen: Die Union ist ihrem eigenen Anspruch in Sachen innere Sicherheit nicht gerecht geworden. Die Zahlen weisen es aus. Gerade bei der Schwerkriminalität sind sie teilweise erschreckend gestiegen: Von 1989 auf 1990 ist die Zahl der Raubdelikte um sage und schreibe 4 959 Fälle auf 35 111 angestiegen. Geradezu dramatisch ist der Anstieg von Raubüberfällen auf Geldinstitute und Poststellen in Verbindung mit Geiselnahmen und erpresserischem Menschenraub: um sage und schreibe 16,4 % gegenüber dem Vorjahr.
    Noch deutlicher klaffen Anspruch und Wirklichkeit bei der Bekämpfung von Verbrechensfeldern auseinander, für die der Bundesinnenminister besonders gefragt ist. Ich nenne die Katalogstraftaten des BKA- Gesetzes. Fast 1 500 Rauschgifttote sind mehr als ein Alarmzeichen. Internationale Verbrecherbanden gehen immer ungenierter auch auf unserem Boden vor.
    Ihr Feldgeschrei, Ihr Wortgetöse und die unsinnigen Erwartungshorizonte der Union in Sachen innerer Sicherheit aus den 70er Jahren haben Sie eingeholt. Es ist nichts mit dem perfekten Personenschutz geworden, den durchzusetzen Sie sich stark gemacht haben.