Rede:
ID1203708100

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Dr.: 1
    7. Gregor: 1
    8. Gysi.\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/37 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 37. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage und Entwicklung in der Sowjetunion und Jugoslawien Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3015 B Björn Engholm, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 3020 A Dr. Alfred Dregger CDU/CSU 3025 D Dr. Hermann Otto Solms FDP 3031 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3035 C Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 3038 C Ortwin Lowack fraktionslos 3041 D Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 3043 A Hans Koschnick SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3046 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/1000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Dr. Hans-Jochen Vogel SPD 3047 C Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 3057 B Dr. Burkhard Hirsch FDP 3058C, 3100B, 3104 C Dr. Otto Graf Lambsdorff FDP 3062 C Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 3068 D Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 3070 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3072 B Peter Conradi SPD 3082 B Dr. Lutz G. Stavenhagen CDU/CSU . . 3082 C Christel Hanewinckel SPD 3082 D Dr. Burkhard Hirsch FDP 3085 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI 3086A Dr. Willfried Penner SPD 3087 A Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3089D, 3106A Dr. Sigrid Hoth FDP 3089 D Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 3091 D Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 3092 B Dr. Paul Laufs CDU/CSU 3093 A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3095 B Dr. Willfried Penner SPD 3097 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . 3102A Karl Deres CDU/CSU 3104A Dr. Hans de With SPD 3108 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 3109A Dr. Conrad Schroeder (Freiburg) CDU/CSU 3110D Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . . 3112D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 3115D Nächste Sitzung 3117D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3119* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 — Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 — (Michael von Schmude CDU/CSU) . . . . 3119* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 3015 37. Sitzung Bonn, den 4. September 1991 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 04. 09. 91 Blunck, Lieselott SPD 04. 09. 91 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 04. 09. 91 * Erler, Gernot SPD 04. 09. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 04. 09. 91 * Francke (Hamburg), CDU/CSU 04. 09. 91 Klaus Hilsberg, Stephan SPD 04. 09. 91 Koltzsch, Rolf SPD 04. 09. 91 Dr.-Ing. Laermann, FDP 04. 09. 91 Karl-Hans Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 04. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 04. 09. 91 * Michels, Meinolf CDU/CSU 04. 09. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 04. 09. 91 Müller (Düsseldorf), SPD 04. 09. 91 Michael Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 04. 09. 91 Pfuhl, Albert SPD 04. 09. 91 * Rempe, Walter SPD 04. 09. 91 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 04. 09. 91 Ingrid Dr. Scheer, Hermann SPD 04. 09. 91 * Schmidt-Zadel, Regina SPD 04. 09. 91 Sielaff, Horst SPD 04. 09. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 04. 09. 91 * Dr. Sperling, Dietrich SPD 04. 09. 91 Dr. Sprung, Rudolf CDU/CSU 04. 09. 91 * Verheugen, Günter SPD 04. 09. 91 Vosen, Josef SPD 04. 09. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 04. 09. 91 Gert Welt, Hans-Joachim SPD 04. 09. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 04.09.91 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 04. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 - Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 - Michael von Schmude (CDU/CSU): Diese erste Lesung des Haushalts 1992 gibt uns willkommenen Anlaß zu einer Bestandsaufnahme, nämlich: wie weit sind wir beim Aufbau des freiheitlichen Rechtsstaates in den neuen Bundesländern vorangekommen, wo stehen wir, was muß noch getan werden? Anlagen zum Stenographischen Bericht Uns ist allen bewußt, daß die Glaubwürdigkeit der Justiz und das damit verbundene Vertrauen in den Rechtsstaat unabdingbare Voraussetzung für das Zusammenwachsen der Deutschen in Ost und West sind. Die Verwirklichung der Einheit auf dem Gebiet des Rechts ist eine Mammutaufgabe und braucht demzufolge auch Zeit. Dennoch gehöre auch ich zu jenen, die ungeduldig sind, und in der Tat könnte und müßte das eine oder andere zügiger verwirklicht werden. Das Justizwesen der früheren DDR war Werkzeug des Unterdrückerstaates und muß deshalb mehr als jede andere Verwaltung auch personell von Grund auf erneuert werden. Das bedeutet, daß Richter und Staatsanwälte nur in einem geringen Umfang übernommen werden können. Um eine Richterdichte wie in den alten Bundesländern herzustellen, benötigen wir etwa 4 500 Richter, 1 000 Staatsanwälte und 2 000 Rechtspfleger. Letztere waren in der früheren DDR überhaupt nicht vorhanden. Die Überprüfung der Richter und Staatsanwälte, die bereits in der ehemaligen DDR tätig waren, wird intensiv betrieben (von 2 600 = 1990 sind jetzt noch 1 300 im Amt). Unabhängig davon sollten jene Juristen, die sich schuldig gemacht haben, nicht erst auf das Ergebnis ihrer Überprüfung warten, sondern durch freiwilliges Ausscheiden ein Zeichen der Einsicht und damit einen Beitrag zum Neubeginn leisten. Gleiches gilt auch für diejenigen Juristen, die sich noch kurz vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 als Rechtsanwälte niedergelassen haben, obwohl sie auf Grund ihrer Vergangenheit dieses besser hätten unterbleiben lassen sollen. Überprüfungen sind notwendig, wobei erforderlichenfalls die bisherigen gesetzlichen Grundlagen ergänzt werden müssen. Auch hier gilt: Jeder Einzelfall muß auf die persönliche Verantwortung hin untersucht werden, Pauschalverurteilungen sind fehl am Platze. Unser 1991 beschlossenes dreijähriges Hilfsprogramm zum Aufbau des Rechtsstaates im Beitrittsgebiet sieht die Entsendung von insgesamt 2 300 Juristen und Rechtspflegern vor. Dabei handelt es sich um 1 000 Richter und Staatsanwälte, von denen bis Ende Juni etwa die Hälfte abgeordnet waren. Die Länder haben erneut versprochen, die angestrebte Zahl per Ende dieses Jahres annähernd sicherzustellen. Ein größeres Defizit tut sich bei den Rechtspflegern auf. Zwischen Bund und Ländern war vereinbart, in diesem Jahr 500 Rechtspfleger abzuordnen. Per Ende August lag diese Zahl mit 211 weit zurück. Angesichts des großen Arbeitsanfalls bei den Grundbuchämtern - bekanntlich liegen über 1 Million Ansprüche auf Rückübertragung vor - ist dieser Zustand besonders bedauerlich. Am Geld kann es nicht liegen, denn im Rahmen des gesamten Hilfsprogramms von 120 Millionen sind für diesen Bereich der Abordnung allein 65,4 Millionen DM vorgesehen. Die neuen Bundesländer machen von dem finanziellen Hilfsangebot des Bundes zur Einstellung von bis zu 300 Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern regen Gebrauch. Hier sind kurzfristig bereits 200 Stellen besetzt worden. 3120* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Außerordentlich unbefriedigend und schleppend verläuft dagegen die Ausschöpfung unseres sog. Seniorenmodells. Hier waren Haushaltsmittel in Höhe von 17,5 Millionen DM im Haushalt 1991 vorgesehen zur Entsendung von 500 pensionierten Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern. Mehr als 100 Interessenten haben sich bei den Justizministern der alten Bundesländer beworben und ganze drei sind inzwischen erst tätig: ein Richter in Sachsen und jeweils ein Richter und ein Rechtspfleger in Thüringen. Diesem Mißstand muß durch den Bundesjustizminister dringend nachgegangen werden. Sollten die alten Bundesländer mit dieser Aufgabe der Bewerberauswahl überfordert sein, so wäre dringend eine Übertragung auf ein anderes Gremium erforderlich. Insgesamt bleibt ohnehin festzuhalten, daß einige Bundesländer sehr vorbildlich den Aufbau des Rechtsstaates in den neuen Bundesländern unterstützen, andere hingegen, oft entgegen großer Ankündigungen, nur sehr halbherzig. Ein negatives Beispiel ist dafür leider auch Herr Engholm, der 1990 ganze vier Richter nach Mecklenburg-Vorpommern abgeordnet hat und die ohnehin knappen Ressourcen an Richtern durch die parteipolitisch motivierte Entscheidung zur Einrichtung eines neuen Oberverwaltungsgerichts weiter einengt. So sehen manche Solidarbeiträge aus! Die Vereinbarung des Bundesjustizministers mit seinen Länderkollegen zur Entsendung von 60 Staatsanwälten zur Aufdeckung der Regierungskriminalität in der früheren DDR ist von den Ländern bisher erst mit 10 Juristen teilerfüllt worden. Natürlich ist kein Schleswig-Holstein dabei. Zur Aufarbeitung der früheren SED-Diktatur hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Bereinigung von SED-Unrecht vorgelegt. Damit sollen die Aufhebung von Unrechts-Urteilen und die Entschädigungsregulierung beschleunigt werden. Wir müssen an diesen Komplex mit einem besonderen Augenmaß herangehen: In den mehr als 20 000 anstehenden Rehabilitierungsverfahren stecken erschütternde Einzelschicksale. Den Betroffenen muß Gerechtigkeit widerfahren. Allerdings müssen wir auch die Grenzen unserer Möglichkeiten erkennen, die einfach darin bestehen, daß geschehenes Unrecht weder finanziell noch sonst voll ausgeglichen werden kann. Bei den Finanzen ist zu berücksichtigen, daß dieses Gesetz mit etwa 1,5 Milliarden DM Kosten an die Grenzen unserer Möglichkeit heranführt. Mit einem noch zu beratenden Gesetz über die sogenannte Verwaltungsrehabilitation müssen Willkürakte der DDR-Organe im Verwaltungsbereich aufgearbeitet werden. Hier muß eine Möglichkeit geschaffen werden, auch abgeschlossene Verfahren wieder aufzugreifen. Besonders gilt dies hinsichtlich der sogenannten Zwangsumsiedlungen. So wurden u. a. im ehemaligen Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze — auch direkt angrenzend an meinen Wahlkreis in Mecklenburg — Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und ihr Hab und Gut gegen ein Trinkgeld dem Staat zu übereignen. Für die Vergangenheitsbewältigung des SED-Schnüffler- und Spitzelstaates brauchen wir weitere juristische Grundlagen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ermöglicht uns entsprechende Informationen im Interesse betroffener Opfer. In Verbindung mit der Erfassungsstelle Salzgitter kann dann hoffentlich ein Großteil politisch motivierter Straftaten aus der DDR-Zeit verfolgt und gesühnt werden. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, daß einige SPD-regierte Bundesländer einen Läuterungsprozeß durchlaufen haben und sich wieder an den Kosten der Erfassungsstelle Salzgitter beteiligen. Es war schon beschämend, wie man hier in der Vergangenheit aus einer Gefälligkeitspolitik heraus sich aus der politischen Verantwortung davongestohlen hat. Ein ganz besonders negatives Beispiel gibt wiederum die schleswig-holsteinische Landesregierung unter Ministerpräsident Engholm, die sofort nach der Regierungsübernahme 1987 ihren Anteil von nur 10 000 DM verweigerte. Der bisherige Aufbau der rechtsstaatlichen Justiz im Osten Deutschlands verdient Dank und Respekt vor allem gegenüber den neuen Bundesländern, denn der Alltag zeigt, daß inzwischen auch hier und da bereits Rückstände bei Gerichten und Grundbuchämtern abgearbeitet werden können. Allen Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums möchte ich an dieser Stelle ebenfalls meinen Dank für die von ihnen geleistete vorbildliche Arbeit sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Paul Laufs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufarbeitung der Vergangenheit im ehemaligen SED-Staat lastet schwer auf uns. Es ist eines der glücklichsten Ereignisse deutscher Geschichte, daß der Stasi-Terror im Osten Deutschlands zusammengebrochen ist. Wir wollen nicht, daß sich die Stasi-Krake nun ausbreitet und auch in diese Säle kriecht, mit allem Unrat und Schmutz der Lüge, der Verdächtigung und der Diffamierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir sind frei gewählte Abgeordnete und nicht potentielle Geheimdienstagenten. Wir sollten uns darauf verständigen, daß in erster Linie die unsägliche Stasi-Hinterlassenschaft überprüft werden muß. Aber wenn ein konkreter Verdacht vorliegt, gibt es selbstverständlich eine Prüfung und Strafverfolgung für jeden, auch hier in diesem Hause.
    Die Fraktionen sind dabei, nun in der Überprüfungsfrage eine einvernehmliche Lösung zu finden; es ist wichtig, daß wir sie einvernehmlich finden. Wir werden anstreben, daß — abweichend von der bisherigen Regelung — jedem Mitglied des Deutschen Bundestages die Möglichkeit eröffnet wird, die Überprüfung einzuleiten. Es besteht ferner die Tendenz, daß bei konkretem Verdacht eine Überprüfung auch ohne Zustimmung des Abgeordneten durchgeführt werden kann.
    Meine Damen und Herren, eine wichtige Aufgabe, vor der wir stehen, ist die Rehabilitierung der Opfer des SED-Unrechts. Sie ist eine große moralische Pflicht, obwohl Bundesrepublik Deutschland nicht Rechtsnachfolger des Unrechtsstaates DDR ist.
    Die Bundesregierung hat ein Erstes Unrechtsbereinigungsgesetz vorgelegt, das den am schwersten betroffenen politischen Häftlingen Genugtuung und Ausgleich für erlittenes Unrecht gewähren soll. Wir begrüßen dies nachdrücklich.
    Bei der parlamentarischen Beratung dieses Gesetzes werden wir vorschlagen, den Kreis der Personen, deren politisch motivierte Verurteilung aufgehoben und entschädigt wird, noch etwas zu erweitern. Auch die Menschen, die wegen Spionage für die Bundesrepublik Deutschland in der DDR verurteilt wurden, sollten rehabilitiert werden. Sie waren im Auftrag der Bundesregierung nachrichtendienstlich tätig, was nach dem Recht der Bundesrepublik niemals strafbar war. Diese Menschen haben ihre Freiheit und ihre Existenz für diesen Staat eingesetzt, für dessen verfassungsmäßige Rechtsordnung, auch mit dem Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands. Dieser Staat hat die politisch-moralische Pflicht, auch hier DDR-Urteile aufzuheben.
    Meine Damen und Herren, die Bereinigung von Unrecht und Willkür der kommunistischen Gewaltherrschaft auf deutschem Boden umfaßt auch die Jahre vor der Gründung der DDR. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Opfer der Bodenreform von 1945 bis 1949 lenken, deren Erwartungen durch den Einigungsvertrag und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April dieses Jahres bitter enttäuscht worden sind. Die Enteignungen in den Jahren 1945 bis 1949 sind ohne ausgleichende Entschädigung nicht hinnehmbar. Unrechtsgehalt und ausgeübte Willkür waren keinesfalls geringer als bei den späteren Enteignungen durch das SED-Regime. Die adligen Großgrundbesitzer sind damals um ihre Güter gebracht worden, aber nicht nur sie. Über zehntausend bäuerliche Familien, deren Betriebe teils kleiner, teils größer als 100 Hektar waren, wurden brutal von ihrem Land gejagt. Das waren keine Fürsten, Grafen oder Barone. Das waren Bauern, die Neumann, Meier, Schulz oder Schröder hießen und ihren Boden hart und ehrlich bewirtschaftet hatten. Sie wurden meistens nachts aus den Betten heraus verhaftet, mit Frauen, Kindern, alten Leuten. Sie durften nicht mehr mitnehmen, als sie tragen konnten. „Junkerland in Bauernhand" hieß die Parole. Eine Lüge der Kommunisten auch dies, wie wir heute wissen. Fast zwei Drittel der damals enteigneten landwirtschaftlichen Nutzfläche ist noch heute in der Hand des Staates, nunmehr bei der Treuhandanstalt.
    Der Kollege Konrad Weiß von der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE hat diese Bodenreform in der DDR im Fragebogen des FAZ-Magazins im April 1991 als die Reform bezeichnet, die er am meisten bewundert. Wir haben das mit Befremden und Unverständnis gelesen. Wir tun uns oft schwer miteinander. Es gibt innere Barrieren. Wir müssen feststellen: Die Eigentumsfragen belasten die deutschen Befindlichkeiten sehr.
    Die Enteignungen 1945 bis 1949 genießen verfassungsmäßigen Bestandsschutz. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß wir den Alteigentümern in erster Linie den Rückerwerb ihres enteigneten Gutes als Ausgleich für das erlittene Unrecht ermöglichen können. Meine Damen und Herren, es ist nicht Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, Großgrundbesitzer zu sein und Millionen Hektar Land zu verwalten und zu bewirtschaften.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die verfügbaren Flächen — es sind noch etwa 1,6 Millionen Hektar Bodenreformland — sollten möglichst zügig so reprivatisiert werden, daß gesunde gesellschaftliche Strukturen entstehen und die erforderlichen Investitionen getätigt werden. Es gibt keine besseren Hände, in die wir das Land geben könnten, als die ehemaligen Eigentümer und ihre Familien. Sie sollten ein Rückerwerbsrecht und ein faires Kaufangebot erhalten.

    (Peter Harald Rauen [CDU/CSU]: Auch Industriebetriebe!)




    Dr. Paul Laufs
    Das Rückerwerbsrecht sollte zeitlich befristet sein und mit Bewirtschaftungs- und Investitionsauflagen versehen werden. Aber es muß fair und darf nicht prohibitiv sein. Dafür setzen wir uns ein. Es kann nicht im Interesse gesunder ländlicher Strukturen sein, wenn Land, das der sechsfachen Fläche des Saarlandes entspricht, über ausländische Konzerne oder Bankenkonsortien meistbietend verwertet wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Aufbau einer leistungsfähigen privaten Eigentumsordnung ist für die Zukunft der neuen Bundesländer von allergrößter Bedeutung. Niemand sollte das unterschätzen.
    Meine Damen und Herren, die deutsche Einheit hat uns nicht nur alte Lasten der DDR-Strafjustiz, sondern auch die Aufgabe der Umweltsanierung aufgebürdet. Sofortmaßnahmen zum Umweltschutz waren vordringlich und zeigen erste Erfolge. Ein Großteil der im Jahre 1990 ausgegebenen 500 Millionen DM ist vorrangig für den Gewässerschutz investiert worden. Unmittelbare Gesundheitsgefahren bei der Trinkwasserversorgung der Bevölkerung konnten abgewehrt werden. Sorge macht uns die sehr zähe und schleppende Durchführung wichtiger kommunaler Umweltschutzmaßnahmen. Enorme Schwierigkeiten gibt es immer dann, wenn lokale Planungen in Konflikt mit den Strukturen der alten Wasser- und Abwasserbetriebe der DDR geraten, die heute noch existieren und sich vor allem in den Landkreisen ihren bestimmenden Einfluß erhalten wollen. Diese alten Strukturen sind zentralistisch orientiert und wettbewerbsfeindlich. Sie begünstigen Großanlagen, z. B. Großklärwerke mit riesigen Kanalnetzen, die teuer und ökologisch keineswegs optimal sind.
    Hier geht es aber nicht nur um den Umweltschutz, sondern hier geht es auch um kommunale Eigenständigkeit, um Selbstverantwortung und Vielfalt. Was man an Blockaden und Verzögerungstaktik alter SED-Seilschaften heute noch erlebt, ist unerträglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das alte System im neuen Kleid ist nicht das, was wir brauchen.
    Das Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost" wird nicht ohne rasche Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur vorankommen. Wir haben nicht die Zeit für Planungsverfahren, die 10 und 20 Jahre dauern, wie dies in den westlichen Bundesländern der Fall ist.

    (Peter Harald Rauen [CDU/CSU]: Ja!)

    Der Bundesverkehrsminister hat uns ein Beschleunigungsgesetz für Verkehrsplanungen vorgelegt, das Fristen verkürzt, Zuständigkeiten konzentriert, mehrfache Durchführung gleicher Verwaltungsschritte vermeidet und das verwaltungsgerichtliche Streitverfahren auf eine Instanz beschränkt. Dieses für die neuen Bundesländer eingeführte Planungsrecht soll bis Ende 1995 befristet werden.

    (V o r s i t z : Vizepräsidentin Renate Schmidt)

    Wir in der CDU/CSU unterstützen dieses Vorhaben des Bundesverkehrsministers nachdrücklich, auch wir
    Umweltpolitiker. Die SPD ist gegen ein Beschleunigungsgesetz.

    (Bernd Reuter [SPD]: Nein, gegen dieses!) — Ja, gegen dieses Beschleunigungsgesetz.


    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU], zu Abg. Bernd Reuter [SPD] gewandt: Entweder Beschleunigung oder nicht Beschleunigung!)

    Sie haben gesagt, sein Preis sei zu hoch, der politische Schaden zu groß.

    (Hinrich Kuessner [SPD]: Hier muß man differenziert denken! — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das tun wir!)

    Meine Damen und Herren von der SPD, sehen Sie denn nicht das Chaos auf den Straßen, die erschrekkend hohe Zahl der Verkehrstoten, die Engpässe im Schienenverkehr? Das alles schreit doch nach sofortiger Abhilfe. Sie beklagen die Einschränkungen des Raumordnungsverfahrens, der Umweltverträglichkeitsprüfung, der Fristen bei der Bürgeranhörung. Sehen Sie nicht, daß die Zustände auf den Verkehrswegen katastrophal sind, daß wir keine Zeit mehr haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer sich wie die SPD verhält, setzt sich dem Verdacht aus, den Aufbau im Osten gar nicht zu wollen.

    (Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ GRÜNE]: Welche Verdächtigung!)

    Offenbar kann sie den Erfolg der Regierungspolitik aus politischen Gründen grundsätzlich nicht wollen.

    (Franz Müntefering [SPD]: Ach, sehr geehrter Herr!)

    Die Politik der SPD zeigt hier auf jeden Fall keine Linie. Was Sie machen, ist nichts anderes, als Gruppen und Grüppchen von Unzufriedenen um sich zu scharen

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Willfried Penner [SPD]: Man zeigt nicht mit nacktem Finger auf angezogene Leute! — Brigitte Adler [SPD]: Bringen Sie doch einmal ein substantielles Argument!)

    und die Politik des Aufbaus im Osten stimmungsmäßig zu belasten.

    (Hinrich Kuessner [SPD]: Das ist doch Stimmungsmache!)

    Meine Damen und Herren, bei dem weiteren Ausbau der Umweltpolitik in den kommenden Jahren werden wir die Marktkräfte weit stärker als bisher in den Dienst des Umweltschutzes stellen. Erste Erfolge in diese Richtung konnten wir bereits erzielen. Mit der Verpackungsverordnung haben wir Neuland betreten und zum erstenmal eine Verwertungsregelung für Massenabfälle erlassen.
    Durch die Einrichtung des dualen Systems wird die für den Abfallbesitzer neuartige Möglichkeit geschaffen, sich von ordnungsrechtlichen Verpflichtungen durch Übertragung der Entsorgungspflichten auf Dritte zu dispensieren. Darin liegt die schlagkräftige



    Dr. Paul Laufs
    Verbindung von Ordnungsrecht und wirtschaftspolitischem Ansatz, den wir gerade im Bereich der Abfallwirtschaftspolitik so dringend brauchen.
    Die Sozialdemokraten haben kartellrechtliche Bedenken gegen das duale System thematisiert und damit gezeigt, daß ihnen jeder Einwand recht ist, um das System selbst und damit mittelbar auch die Verpakkungsverordnung zu demontieren.

    (Brigitte Adler [SPD]: Ach, das kann doch nicht wahr sein!)

    Aber auch dies ist nicht gelungen. — Haben Sie nicht gelesen, was Sie in diesen Tagen sehr lautstark nach draußen getragen haben? Inzwischen sieht es natürlich anders aus; denn das Bundeskartellamt hat grünes Licht gegeben.
    Wir haben bereits 1986 aus dem Abfallgesetz ansatzweise ein Abfallwirtschaftsgesetz gemacht, das durch die Grundsätze zur Abfallvermeidung und zur Abfallverwertung der Abfallpolitik eine neue Richtung gegeben hat. Diesen Kurs werden wir verstärkt fortsetzen und Produzenten und Konsumenten in die Pflicht nehmen. Aber ich warne vor der Illusion, daß die Errichtung weiterer Beseitigungsanlagen durch Abfallvermeidung und Abfallverwertung, die wir sehr verstärken wollen, unnötig werden könnte. Länder, Kreise und Gemeinden sind aufgerufen, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um dem drohenden Entsorgungsinfarkt vorzubeugen, etwa indem sie endlich die erforderlichen Standorte ausweisen.
    Diese moderne Abfallwirtschaftspolitik werden wir durch die Erhebung einer Abfallabgabe noch besser in unsere marktwirtschaftliche Ordnung einpassen. Die Vorarbeiten hierzu sind angelaufen. Teile des Aufkommens müssen den neuen Ländern zufließen, damit dort die dringendsten Notstände rasch beseitigt werden können.
    Ich bitte Sie alle, daran mitzuwirken, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Renate Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.

(Zuruf von der SPD: Gibt es denn auch andere, die Gysi heißen, etwa Hans oder so?)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gregor Gysi


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist erstaunlich, aber bei uns können die gleichen Personen sogar zu mehreren Themen sprechen. Das halte ich für eine gewisse Errungenschaft.
    Der Herr Kanzler hat heute festgestellt, daß ich mich längst „in die Büsche geschlagen" habe.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Urwald!)

    Ich muß einräumen, damit ist es ihm das erste Mal gelungen, mich intellektuell einfach zu überfordern. Ich habe das nicht verstanden. Ich kann das nicht einordnen. Aber ich kann immerhin vermuten, was er damit meint. Dann könnte ich nur sagen, daß zwei Gründe ganz und gar dagegen sprechen, daß ich mich in die Büsche schlage. Der erste Grund besteht darin, daß ich gar nicht genau weiß, wen ich da treffe, weder aus seiner Partei noch aus seiner Regierung. Der
    zweite Grund ist, daß ich schon finde, daß eine Opposition, auch von der PDS, im Interesse der Anschlußopfer dringend geboten ist, und zwar der Anschlußopfer in Ost und West.

    (Zurufe der CDU/CSU: Opfer nennen Sie das wie Opfer des SED-Regimes?)

    — Ja. Ich will versuchen, Ihnen das auch zu begründen.
    Das ist eine der wichtigsten Fragen, die heute hier zur Diskussion standen, denn es geht doch letztlich um Aufrichtigkeit. Ich glaube, daß gerade in diesem Einigungsprozeß Aufrichtigkeit dringend erforderlich ist. In kaum einem anderen Gremium habe ich festgestellt, daß sowenig selbstkritische Einstellung und sowenig Nachdenklichkeit herrscht wie hier bei den Vorträgen.
    Aufrichtig ist es z. B. nicht, wenn der Kanzler die Frage der Staatsverschuldung hier wie eine Milchmädchenrechnung vorführt und damit doch über die eigentlichen Probleme auch für künftige Generationen hinwegtäuscht. Aufrichtig sind auch nicht die Stellungnahmen zu Schalck-Golodkowski, und aufrichtig ist es auch nicht, wenn man mit der Einheit zu begründen versucht, daß es einen Rechtsabbau geben muß. Denn darum geht es doch bei diesem Beschleunigungsgesetz für Verkehrsplanungen, daß die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger zurückgedrängt wird und, so behaupte ich, zunächst in den neuen Bundesländern zurückgedrängt wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Damit der Aufschwung kommt!)

    Denn es ist doch ganz klar, daß die alten Länder irgendwann sagen werden: „Es kann doch nicht sein, daß das bei denen so schnell geht, was bei uns so lange dauert. Wir fordern hier eine Rechtsangleichung. " Dann wird der gleiche Abbau auch in den alten Bundesländern stattfinden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre doch eine gute Lösung!)

    — Sehen Sie, Sie streben es jetzt schon an. Dann sagen Sie aber auch gleich, daß Sie es auch für die alten Bundesländer wollen. Dann wäre es immerhin aufrichtig.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warten wir doch einmal ab, wie es aussieht!)

    Zu dieser Aufrichtigkeit würde auch gehören, daß man klipp und klar sagt, wie die Situation in den neuen Bundesländern aussieht, und sie nicht permanent schönfärbt. Davon hat niemand etwas. Ich bestreite sogar, daß die Bundesregierung etwas davon hat. Es wäre viel günstiger, wir würden uns mit den enormen ökonomischen und sozialen Problemen beschäftigen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was Sie hinterlassen haben, sollen wir lösen!)

    Das ist auch nicht auf Dauer mit Ausreden zu machen.
    In der Zeitschrift „Wirtschaftswoche", der man vieles nachsagen kann, aber nicht gerade PDS-Nähe



    Dr. Gregor Gysi
    — das werden Sie einräumen —, stand jetzt zu lesen

    (Zuruf von der SPD: Das leuchtet sogar mir ein!)

    — das leuchtet auch Ihnen ein — , daß natürlich die gegenwärtige ökonomische Situation in den neuen Bundesländern gar nicht mehr auf die ehemalige zentralistische Kommandowirtschaft zurückzuführen ist und auch nicht auf das System der Marktwirtschaft, sondern auf die verfehlte Wirtschaftspolitik. Dem würde ich zustimmen, denn sie hat einfach das Gegebene nicht beachtet, sondern ist davon ausgegangen: Wenn man irgend etwas, was man hat, überstülpt, dann wird es schon funktionieren, weil es irgendwo anders einmal funktioniert hat.

    (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Der Laden war doch pleite!)

    Dann wird man halt auch Opfer seiner eigenen Propaganda.

    (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das Land war doch pleite, total pleite!)

    — Sehen Sie, das ist es: Da drückt die Ideologie durch. Die Ideologie kommt schon dadurch durch, daß Sie in den neuen Bundesländern jede Identität zerstören wollen. Das ist für die Menschen dort ziemlich verheerend. Ob das Orchester, Akademien oder Hochschuleinrichtungen sind, die geschlossen werden, oder was auch immer Sie ihnen mit irgendeiner ökonomischen oder sonstigen Begründung wegnehmen — das alles zerstört Identität, was überhaupt nicht erforderlich wäre, wenn man einen Einigungsprozeß und nicht einen Anschlußprozeß vollziehen würde.
    Die Massenarbeitslosigkeit wäre so nie erforderlich gewesen, wenn man eine aktive Wirtschaftspolitik betrieben hätte. Sie können auch nicht einfach sagen: Es gibt doch Aufschwung bei den Dienstleistungen, beim Bau, im Handwerk und Gewerbe, wenn man verschweigt, daß der natürlich nicht anhalten kann, wenn der Industriestandort zerstört wird. Denn dann wird es in diesen Bereichen keine Aufträge mehr geben. Auf Dauer können das die Bürger und Bürgerinnen und die Kommunen alleine nicht bezahlen.
    Dann will ich hier noch etwas zum Schalck-Untersuchungsausschuß sagen. Ich könnte als Obmann meiner Abgeordnetengruppe das Thema „neue Bundesländer" bequem fortsetzen. Doch auch das ist eine hochinteressante Arbeit, unter anderem aus folgendem Grund: Was die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR an dem KoKo-Bereich immer besonders interessiert hat, war die Tatsache, daß die SED- Führung dazu nie wirklich stand. Das war ein unglaublich geheimnisumwobener Bereich, und zwar nicht nur in den Bereichen, die jetzt rauskommen, Waffenexporte etc. — wo man sich sagt: darüber konnten sie ja nicht reden — , sondern auch in den Bereichen, wo es um scheinbar normale Geschäftstätigkeiten ging. Der Grund ist ganz einfach: Sie hätten nämlich einräumen müssen, daß ihr eigenes Wirtschaftssystem überhaupt nicht funktioniert. Denn sie waren praktisch darauf angewiesen, nebenbei ein rein kapitalistisches Wirtschaftsimperium aufzubauen.
    Aber nun kommt etwas heraus, was, so finde ich, die Schwierigkeiten der CDU/CSU und auch anderer Parteien ausmacht. Es geht da z. B. um Scheinfirmen, um Briefkastenfirmen, um irgendwelche Holdings, wo weiß ich wie viele Schachtelfirmen dahinterstehen. Man kann ja nun über den realexistierenden Sozialismus sagen, was man will, aber das sind alles nicht seine Erfindungen. Das sind alles Erfindungen — und zwar legale Erfindungen — des kapitalistischen Systems.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist jetzt aber albern, was Sie bringen!)

    — Aber es ist so. — So wird dabei eine Kritik an diesen Methoden herauskommen. Wie man aus den Unterlagen eindeutig entnehmen kann, kommt jetzt noch etwas dazu: Das gesamte Wirken dieses KoKo-Imperiums war den Behörden der Bundesregierung seit Jahren bekannt, ohne daß etwas dagegen unternommen worden ist. Es muß schon begründet werden, worin das Interesse bestand, daß dieses Imperium so wirkte. Dafür muß es eine politische und eine ökonomische Erklärung geben.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Herr Gysi, jetzt bringen Sie aber alles durcheinander!)

    Inzwischen wissen wir auch, daß der Bundesverfassungsschutz in diesen Betrieben viele Quellen hatte.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Was Sie machen, ist politischer Fleischwolf!)

    Das führt mich zu der Schlußfolgerung, daß es sich bei KoKo um das erste — und leider funktionierende — gesamtdeutsche Geheimdienst- und Wirtschaftsunternehmen handelte. Deshalb ist dieser Ausschuß keine alleinige Angelegenheit der neuen Bundesländer, sondern er sagt sehr viel über die Beziehungen der beiden deutschen Staaten zueinander. Um diese Wahrheit geht es, und zu dieser Aufrichtigkeit ist hier heute, wie ich finde, wenig beigetragen worden.
    Ich bin über zwanzig Jahre Rechtsanwalt. Deshalb billige ich jedem z. B. das Recht auf Verteidigung zu. Wenn sich der Kanzler durch Fragestellungen angegriffen fühlt, billige ich ihm sofort zu, daß er sich verteidigt und dagegen wehrt. Das ist das Grundrecht eines jeden Menschen; das kann man weder ihm noch irgendeinem anderen absprechen. Das ist absolut korrekt.
    Aber die Ausführungen mit einer Drohung zu beenden, halte ich doch für sehr bedenklich.

    (Dr. Joseph-Theodor Blank [CDU/CSU]: Welche Drohung?)

    — Er hat gesagt: Wenn ich das alles ernstnehme, dann müssen wir Schlußfolgerungen ziehen, wie wir in den nächsten Jahren mit dieser Gruppe umgehen. Das klang ausgesprochen bedrohlich und lief darauf hinaus, daß mit ihr in etwa so umgegangen werden soll wie mit uns.

    (Dr. Joseph-Theodor Blank [CDU/CSU]: Das war keine Drohung, das war ein Versprechen!)




    Dr. Gregor Gysi
    Davor kann ich dann tatsächlich nur warnen; denn angenehm ist es nicht.

    (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Die einzige Drohung ist, wenn Sie von Grundrechten sprechen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU)

    — Das können Sie gerne nachlesen. Es war als Drohung gemeint und auch so ausgesprochen.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Wir leben in einer Demokratie!)

    — Ja eben. Deshalb sollte man nicht drohen. Das ist der Punkt. Deshalb sollte man auf Kritik mit Verteidigung antworten. Und außerdem: Demokratie schließt Selbstkritik und Nachdenklichkeit nicht aus. Das ist wirklich ein weit verbreiteter Irrtum.

    (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Es wäre gut, wenn Sie einmal anfingen!)

    — Ich glaube, damit habe ich öfter angefangen als Sie! Das steht nun wirklich fest.

    (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Das möchte ich bezweifeln! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Mit welchem Erfolg?)

    — Mit beachtlichem Erfolg. Auf jeden Fall habe ich mich stärker entwickelt als Sie. Das steht fest.

    (Dr. Joseph-Theodor Blank [CDU/CSU]: Das ist unstreitig!)

    — Ja, das ist wahrscheinlich auch einfacher, weil manche natürlich am Ende ihrer Entwicklung angekommen sind, und das in mehrfacher Hinsicht.

    (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Sie meinen die PDS!)

    Lassen Sie mich noch einen Gedanken dazu sagen, weil dieses Imperium und dieses Zusammenwirken eben nicht nur aus politischen Gründen funktionierte.
    — Es ist eben schon wieder nicht aufrichtig, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: Es ging doch ausschließlich darum, Reiseerleichterungen in der DDR durchzusetzen. — Das ist nicht wahr! Das war auch ein wirtschaftliches Geschäft. Das haben natürlich sehr einflußreiche Leute gewußt, und daran haben auch sehr viele Leute, auch Unternehmen, verdient.
    Sehen Sie mal: KoKo konnte doch nicht in einem leeren Raum wirken. Die konnten doch nur Geschäfte machen, wenn mit ihnen Geschäfte gemacht wurden, und die wurden natürlich nur dann gemacht, wenn daran Leute verdient haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt sind wir für die Stasi-Geschäfte verantwortlich?! Das ist doch ein Rumdrehen der Tatsachen! Völlige Verdrehung der Tatsachen!)

    Das waren eben Freunde sehr einflußreicher Politiker in der Bundesrepublik. Daß diese sehr viel geredet haben — übrigens in dem Wissen um die Funktion von Herrn Schalck-Golodkowski; man wußte schon immer, daß er mit dem MfS sehr viel zutun hatte —, ist schon nachdenkenswert oder auch bedenklich, und da müssen wohl Fragen erlaubt sein, auch deutliche und scharfe Fragen erlaubt sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste — Zuruf von der CDU/CSU)

    — Das habe ich ja nicht gesagt. Ich habe gesagt, daß man das Recht hat, sich dagegen zu wehren.
    Die Ziele dieses Untersuchungsausschusses müssen eben auch darin bestehen, solche Klarheit zu schaffen, damit hier Moral und Unmoral nicht einseitig nur von West nach Ost gesehen wird, sondern damit wir insgesamt zu einer moralischen Erneuerung kommen.
    Danke schön.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE)