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    Plenarprotokoll 12/37 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 37. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage und Entwicklung in der Sowjetunion und Jugoslawien Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3015 B Björn Engholm, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 3020 A Dr. Alfred Dregger CDU/CSU 3025 D Dr. Hermann Otto Solms FDP 3031 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3035 C Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 3038 C Ortwin Lowack fraktionslos 3041 D Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 3043 A Hans Koschnick SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3046 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/1000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Dr. Hans-Jochen Vogel SPD 3047 C Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 3057 B Dr. Burkhard Hirsch FDP 3058C, 3100B, 3104 C Dr. Otto Graf Lambsdorff FDP 3062 C Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 3068 D Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 3070 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3072 B Peter Conradi SPD 3082 B Dr. Lutz G. Stavenhagen CDU/CSU . . 3082 C Christel Hanewinckel SPD 3082 D Dr. Burkhard Hirsch FDP 3085 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI 3086A Dr. Willfried Penner SPD 3087 A Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3089D, 3106A Dr. Sigrid Hoth FDP 3089 D Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 3091 D Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 3092 B Dr. Paul Laufs CDU/CSU 3093 A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3095 B Dr. Willfried Penner SPD 3097 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . 3102A Karl Deres CDU/CSU 3104A Dr. Hans de With SPD 3108 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 3109A Dr. Conrad Schroeder (Freiburg) CDU/CSU 3110D Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . . 3112D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 3115D Nächste Sitzung 3117D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3119* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 — Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 — (Michael von Schmude CDU/CSU) . . . . 3119* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 3015 37. Sitzung Bonn, den 4. September 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 04. 09. 91 Blunck, Lieselott SPD 04. 09. 91 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 04. 09. 91 * Erler, Gernot SPD 04. 09. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 04. 09. 91 * Francke (Hamburg), CDU/CSU 04. 09. 91 Klaus Hilsberg, Stephan SPD 04. 09. 91 Koltzsch, Rolf SPD 04. 09. 91 Dr.-Ing. Laermann, FDP 04. 09. 91 Karl-Hans Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 04. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 04. 09. 91 * Michels, Meinolf CDU/CSU 04. 09. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 04. 09. 91 Müller (Düsseldorf), SPD 04. 09. 91 Michael Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 04. 09. 91 Pfuhl, Albert SPD 04. 09. 91 * Rempe, Walter SPD 04. 09. 91 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 04. 09. 91 Ingrid Dr. Scheer, Hermann SPD 04. 09. 91 * Schmidt-Zadel, Regina SPD 04. 09. 91 Sielaff, Horst SPD 04. 09. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 04. 09. 91 * Dr. Sperling, Dietrich SPD 04. 09. 91 Dr. Sprung, Rudolf CDU/CSU 04. 09. 91 * Verheugen, Günter SPD 04. 09. 91 Vosen, Josef SPD 04. 09. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 04. 09. 91 Gert Welt, Hans-Joachim SPD 04. 09. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 04.09.91 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 04. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 - Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 - Michael von Schmude (CDU/CSU): Diese erste Lesung des Haushalts 1992 gibt uns willkommenen Anlaß zu einer Bestandsaufnahme, nämlich: wie weit sind wir beim Aufbau des freiheitlichen Rechtsstaates in den neuen Bundesländern vorangekommen, wo stehen wir, was muß noch getan werden? Anlagen zum Stenographischen Bericht Uns ist allen bewußt, daß die Glaubwürdigkeit der Justiz und das damit verbundene Vertrauen in den Rechtsstaat unabdingbare Voraussetzung für das Zusammenwachsen der Deutschen in Ost und West sind. Die Verwirklichung der Einheit auf dem Gebiet des Rechts ist eine Mammutaufgabe und braucht demzufolge auch Zeit. Dennoch gehöre auch ich zu jenen, die ungeduldig sind, und in der Tat könnte und müßte das eine oder andere zügiger verwirklicht werden. Das Justizwesen der früheren DDR war Werkzeug des Unterdrückerstaates und muß deshalb mehr als jede andere Verwaltung auch personell von Grund auf erneuert werden. Das bedeutet, daß Richter und Staatsanwälte nur in einem geringen Umfang übernommen werden können. Um eine Richterdichte wie in den alten Bundesländern herzustellen, benötigen wir etwa 4 500 Richter, 1 000 Staatsanwälte und 2 000 Rechtspfleger. Letztere waren in der früheren DDR überhaupt nicht vorhanden. Die Überprüfung der Richter und Staatsanwälte, die bereits in der ehemaligen DDR tätig waren, wird intensiv betrieben (von 2 600 = 1990 sind jetzt noch 1 300 im Amt). Unabhängig davon sollten jene Juristen, die sich schuldig gemacht haben, nicht erst auf das Ergebnis ihrer Überprüfung warten, sondern durch freiwilliges Ausscheiden ein Zeichen der Einsicht und damit einen Beitrag zum Neubeginn leisten. Gleiches gilt auch für diejenigen Juristen, die sich noch kurz vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 als Rechtsanwälte niedergelassen haben, obwohl sie auf Grund ihrer Vergangenheit dieses besser hätten unterbleiben lassen sollen. Überprüfungen sind notwendig, wobei erforderlichenfalls die bisherigen gesetzlichen Grundlagen ergänzt werden müssen. Auch hier gilt: Jeder Einzelfall muß auf die persönliche Verantwortung hin untersucht werden, Pauschalverurteilungen sind fehl am Platze. Unser 1991 beschlossenes dreijähriges Hilfsprogramm zum Aufbau des Rechtsstaates im Beitrittsgebiet sieht die Entsendung von insgesamt 2 300 Juristen und Rechtspflegern vor. Dabei handelt es sich um 1 000 Richter und Staatsanwälte, von denen bis Ende Juni etwa die Hälfte abgeordnet waren. Die Länder haben erneut versprochen, die angestrebte Zahl per Ende dieses Jahres annähernd sicherzustellen. Ein größeres Defizit tut sich bei den Rechtspflegern auf. Zwischen Bund und Ländern war vereinbart, in diesem Jahr 500 Rechtspfleger abzuordnen. Per Ende August lag diese Zahl mit 211 weit zurück. Angesichts des großen Arbeitsanfalls bei den Grundbuchämtern - bekanntlich liegen über 1 Million Ansprüche auf Rückübertragung vor - ist dieser Zustand besonders bedauerlich. Am Geld kann es nicht liegen, denn im Rahmen des gesamten Hilfsprogramms von 120 Millionen sind für diesen Bereich der Abordnung allein 65,4 Millionen DM vorgesehen. Die neuen Bundesländer machen von dem finanziellen Hilfsangebot des Bundes zur Einstellung von bis zu 300 Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern regen Gebrauch. Hier sind kurzfristig bereits 200 Stellen besetzt worden. 3120* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Außerordentlich unbefriedigend und schleppend verläuft dagegen die Ausschöpfung unseres sog. Seniorenmodells. Hier waren Haushaltsmittel in Höhe von 17,5 Millionen DM im Haushalt 1991 vorgesehen zur Entsendung von 500 pensionierten Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern. Mehr als 100 Interessenten haben sich bei den Justizministern der alten Bundesländer beworben und ganze drei sind inzwischen erst tätig: ein Richter in Sachsen und jeweils ein Richter und ein Rechtspfleger in Thüringen. Diesem Mißstand muß durch den Bundesjustizminister dringend nachgegangen werden. Sollten die alten Bundesländer mit dieser Aufgabe der Bewerberauswahl überfordert sein, so wäre dringend eine Übertragung auf ein anderes Gremium erforderlich. Insgesamt bleibt ohnehin festzuhalten, daß einige Bundesländer sehr vorbildlich den Aufbau des Rechtsstaates in den neuen Bundesländern unterstützen, andere hingegen, oft entgegen großer Ankündigungen, nur sehr halbherzig. Ein negatives Beispiel ist dafür leider auch Herr Engholm, der 1990 ganze vier Richter nach Mecklenburg-Vorpommern abgeordnet hat und die ohnehin knappen Ressourcen an Richtern durch die parteipolitisch motivierte Entscheidung zur Einrichtung eines neuen Oberverwaltungsgerichts weiter einengt. So sehen manche Solidarbeiträge aus! Die Vereinbarung des Bundesjustizministers mit seinen Länderkollegen zur Entsendung von 60 Staatsanwälten zur Aufdeckung der Regierungskriminalität in der früheren DDR ist von den Ländern bisher erst mit 10 Juristen teilerfüllt worden. Natürlich ist kein Schleswig-Holstein dabei. Zur Aufarbeitung der früheren SED-Diktatur hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Bereinigung von SED-Unrecht vorgelegt. Damit sollen die Aufhebung von Unrechts-Urteilen und die Entschädigungsregulierung beschleunigt werden. Wir müssen an diesen Komplex mit einem besonderen Augenmaß herangehen: In den mehr als 20 000 anstehenden Rehabilitierungsverfahren stecken erschütternde Einzelschicksale. Den Betroffenen muß Gerechtigkeit widerfahren. Allerdings müssen wir auch die Grenzen unserer Möglichkeiten erkennen, die einfach darin bestehen, daß geschehenes Unrecht weder finanziell noch sonst voll ausgeglichen werden kann. Bei den Finanzen ist zu berücksichtigen, daß dieses Gesetz mit etwa 1,5 Milliarden DM Kosten an die Grenzen unserer Möglichkeit heranführt. Mit einem noch zu beratenden Gesetz über die sogenannte Verwaltungsrehabilitation müssen Willkürakte der DDR-Organe im Verwaltungsbereich aufgearbeitet werden. Hier muß eine Möglichkeit geschaffen werden, auch abgeschlossene Verfahren wieder aufzugreifen. Besonders gilt dies hinsichtlich der sogenannten Zwangsumsiedlungen. So wurden u. a. im ehemaligen Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze — auch direkt angrenzend an meinen Wahlkreis in Mecklenburg — Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und ihr Hab und Gut gegen ein Trinkgeld dem Staat zu übereignen. Für die Vergangenheitsbewältigung des SED-Schnüffler- und Spitzelstaates brauchen wir weitere juristische Grundlagen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ermöglicht uns entsprechende Informationen im Interesse betroffener Opfer. In Verbindung mit der Erfassungsstelle Salzgitter kann dann hoffentlich ein Großteil politisch motivierter Straftaten aus der DDR-Zeit verfolgt und gesühnt werden. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, daß einige SPD-regierte Bundesländer einen Läuterungsprozeß durchlaufen haben und sich wieder an den Kosten der Erfassungsstelle Salzgitter beteiligen. Es war schon beschämend, wie man hier in der Vergangenheit aus einer Gefälligkeitspolitik heraus sich aus der politischen Verantwortung davongestohlen hat. Ein ganz besonders negatives Beispiel gibt wiederum die schleswig-holsteinische Landesregierung unter Ministerpräsident Engholm, die sofort nach der Regierungsübernahme 1987 ihren Anteil von nur 10 000 DM verweigerte. Der bisherige Aufbau der rechtsstaatlichen Justiz im Osten Deutschlands verdient Dank und Respekt vor allem gegenüber den neuen Bundesländern, denn der Alltag zeigt, daß inzwischen auch hier und da bereits Rückstände bei Gerichten und Grundbuchämtern abgearbeitet werden können. Allen Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums möchte ich an dieser Stelle ebenfalls meinen Dank für die von ihnen geleistete vorbildliche Arbeit sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Lutz G. Stavenhagen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, daß ich dem Abgeordneten Conradi am 13. März 1990 auf seine Frage nach bestem Wissen und Gewissen eine Auskunft gegeben habe,

    (Peter Conradi [SPD]: Das bestreitet der BND!)

    — nein, das bestreitet er nicht —,

    (Peter Conradi [SPD]: Da liegt heute eine Erklärung vor!)

    die aber objektiv nicht zutraf.

    (Zuruf von der SPD: Aha!)

    Richtig ist, daß der Bundesnachrichtendienst Herrn Schalck-Golodkowski für sechs Wochen falsche Papiere gegeben hat, mich darüber aber nicht im vorhinein, sondern — wie der Bundesnachrichtendienst am Montag auch öffentlich erklärt hat — später unterrichtet hat, so daß ich am 13. März diese Auskunft nicht anders geben konnte.
    Die Aktenlage, die sich auch aus den Akten des Untersuchungsausschusses ergibt, bestätigt eindeutig, daß in den Gesprächen, die geführt wurden, über eine legale Namensänderung gesprochen worden ist und daß dabei von mir gesagt worden ist: Das ist ausschließlich Sache der bayerischen Behörden. — Über die vorübergehende Zurverfügungstellung falscher Papiere ist nicht gesprochen worden.
    Dies geht aus der Aktenlage und auch aus der Auskunft des Bundesnachrichtendienstes eindeutig hervor.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Freimut Duve [SPD]: War das eine Erklärung der Bundesregierung oder eines Abgeordneten? — Zuruf von der CDU/CSU: Entschuldigen Sie sich, Herr Conradi!)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Nun hat die Abgeordnete Frau Hanewinckel das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Christel Hanewinckel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, niemand von der SPD-Fraktion bestreitet Ihnen, daß Sie Ihren Anteil an der Schaffung der deutschen Einheit haben. Aber ich bin immer wieder überrascht über Ihre Sichtweise. Die ist so rosarot, daß ich als ehemalige Bürgerin der DDR und jetzt als Parlamentarierin aus einem neuen Bundesland im Deutschen Bundestag mich darin nicht wiederfinde.



    Christel Hanewinckel
    Ich muß auch sagen, daß ich hier für viele der Männer und Frauen sprechen kann, die in den neuen Bundesländern leben. Sie fühlen sich von Ihnen nicht ernst genommen, wenn Sie nicht bereit sind, die Realität anzuerkennen. Dazu gehört, genau hinzusehen und zu sagen „So ist es" und nicht immer nur davon zu reden, daß es ja schon wieder hell wird. Ich denke, die Menschen sind erwachsen und verantwortlich. Sie sind in der Lage und bereit, den Anforderungen gerecht zu werden, aber nur dann, wenn ihnen wirklich offen gesagt wird, wie es ist, und wenn ihnen nicht mit Geschichten und Lügen vorgemacht wird, wie es nach Ihren Wünschen wahrscheinlich sein sollte.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Ich bin auch überrascht von der Art und Weise, in der Sie hier reagiert haben. Ich hatte immer die Vorstellung, daß ein Bundeskanzler auch souveräner antworten und reagieren kann.

    (Beifall bei der SPD sowie bei der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE — Zurufe von der CDU/CSU)

    Mir fiel zwischendurch das Sprichwort ein, daß getroffene Hunde bellen.

    (Beifall bei der SPD)

    Vielleicht ist es in dem Zusammenhang auch so, daß Sie an manchen Stellen so reagieren müssen, weil Sie keine anderen Antworten haben. Ich wünschte mir, daß wir wirklich offener und reeller miteinander umgehen könnten und uns von falschen Ratgebern nicht so beeinflussen ließen.
    14 Monate sind seit der Schaffung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vergangen. 11 Monate sind seit der Vollendung der staatlichen und juristischen Einheit vergangen. Viele Milliarden sind seitdem von West nach Ost geflossen, aber es sind seitdem auch viele Menschen von Ost nach West gegangen, und sie gehen noch immer. In Halle an der Saale, woher ich komme, gehen jeden Monat noch immer 500 Bürgerinnen und Bürger in die alten Bundesländer. Westliches Know-how, Strukturen, Rechtsformen usw. sind von West nach Ost gegangen, unabhängig davon, ob sie in die Landschaft passen oder nicht. Die Wirtschaft im Westen boomt, im Osten ist es die Arbeitslosigkeit.
    14 Monate Währungsunion, was heißt das? Das heißt: Wir in den neuen Bundesländern zahlen inzwischen mit dem gleichen Geld, aber nicht mit gleicher Münze. Wirtschafts- und Sozialunion — da liegen zwischen den alten und den neuen Bundesländern noch Welten.
    Den Menschen in Ost und West ist mit der Union vieles aufgebürdet worden, und von ihnen ist auch vieles gefordert worden. Vieles haben die Menschen verstanden, und sie haben begriffen, daß die Einheit nicht zum Nulltarif zu haben ist. Sie wußten das eher als Sie, Herr Bundeskanzler, und die Koalition, die offenbar nicht in der Lage war und ist, die Bürgerinnen und Bürger des Landes als erwachsene und verantwortliche Menschen zu sehen.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    — So ist es doch!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch eine Zumutung!)

    — Was ist eine Zumutung?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Daß wir sie nicht als Erwachsene behandeln! Das können Sie doch nicht sagen!)

    Inzwischen kommt in Ost und West Bitterkeit auf, bei den Menschen im Westen, weil ihnen finanziell viel zugemutet worden ist und weil ihnen nicht die Wahrheit gesagt worden ist, bei den Menschen im Osten, weil es soziale und wirtschaftliche Unzulänglichkeiten gibt, vor allem aber, weil die Menschen im Osten immer weniger wert zu sein scheinen.
    Ein Beispiel dafür: Eine Krankenschwester mit 25jähriger Berufserfahrung, die in einem der neuen Länder arbeitet, wird jetzt wie eine Anfängerin eingestuft. Geht dieselbe Krankenschwester 100 Kilometer weiter nach Westen, dann wird sie ihrer Berufs- und Lebenserfahrung entsprechend bewertet und so bezahlt. Wenn es gutgeht, kriegt sie noch einen Bonus von 15 000 DM dazu.

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Hört! Hört!)

    Das heißt im Klartext, daß die Menschen in den neuen Bundesländern scheinbar nichts mehr wert sind.
    Mir geht es hier weniger um das Geld, sondern um die Erfahrung vieler, daß sie und das, was sie bisher geleistet haben, nichts mehr wert sind. Ich denke, es ist mit eine der schmerzlichsten Erfahrungen, die Menschen machen können, daß das, was ihr Leben ausgemacht hat, plötzlich vom Tisch gewischt wird.
    Mit viel Engagement und Geld ist versucht worden, uns zu helfen.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Na also!)

    Das ist gut so und in Ordnung; das hat bisher niemand abgestritten, auch ich tue das nicht. Ich kritisiere die Art und Weise, wie es passiert, und daß offenbar andere besser wissen, was für die Menschen, die es real betrifft, gut ist.
    Ich denke, die Bundesregierung übertrifft da alles. Sie weiß scheinbar alles am besten. Ich wünschte ihr, daß sie ihre Ohren wirklich bei dem hat, was die Leute zu sagen haben, oder, wie man mit Luther sagen könnte: daß sie dem Volk wirklich aufs Maul schaut.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das tut sie!)

    Scheinbar sind es aber immer die falschen Ratgeber, die hier gehört werden.
    Ich denke, wenn die Bundesregierung und die Koalition in der Lage gewesen wären, die Wirklichkeit



    Christel Hanewinckel
    wahrzunehmen, dann hätte sie nicht so viel Porzellan zerschlagen, wie es passiert ist.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Es gab doch nach 40 Jahren kein Porzellan mehr!)

    — O ja, es gab eine ganze Menge. Sie sind ein Beispiel dafür, daß Sie nicht in der Lage und bereit sind, hinzugucken und hinzuhören, was eigentlich gewesen ist.
    Ich denke, Sie hätten unterscheiden können, was wirklich gut und brauchbar ist und was nicht. Vielleicht hätten Sie auch noch entdecken können, daß es Stücke gab, die wertvoll waren. Ich denke an das poliklinische Modell, an das Modell der medizinischpsychologischen Beratungsstellen oder Dispensairebetreuung, an die volle Gewährleistung der Berufstätigkeit, an das flächendeckende Angebot von Kinderbetreuungseinrichtungen und, als letztes Beispiel, an das System der Altstoffannahme und -verwertung, das selbst von den Amerikanern mit als das beste der Welt bezeichnet worden ist.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das lag ja wohl nicht an Umweltfreundlichkeit! Gucken Sie sich doch einmal die Umwelt drüben an!)

    Nur, im Moment ist davon nichts mehr da. Ich denke, das geht mit auf Ihre Rechnung.
    Die finanzielle Seite ist die eine, die emotional-mentale Seite ist die andere. Nach meinen Erfahrungen und nach meinem Wissen wird diese immer weniger bedacht. Besonders deutlich wird das — ich habe es schon gesagt — am Wertgefühl der Menschen in den neuen Bundesländern. Wir vom Osten und Sie vom Westen müssen füreinander um Verständnis werben, aufklären und begreifen lernen, was den jeweils anderen bewegt; denn noch sind wir unterschiedlich. Wir haben ein gemeinsames Interesse: daß wir wirklich ein Staat werden,

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Sehr richtig!)

    in dem im Laufe der Jahre — das wird noch Zeit brauchen — die Menschen ihre Unterschiede aufgeben. Es wird aber auch in dieser Generation, denke ich, immer noch dabei bleiben, daß wir unterschiedliche Vergangenheiten und Wurzeln haben.
    Ich denke an ein indianisches Sprichwort; Sie kennen es vermutlich auch: Man sollte mindestens drei Wochen in den Mokassins des anderen gehen, um ihn zu begreifen. — Das, was bisher geschehen ist, macht deutlich, daß dieses Interesse und dieses Engagement nicht da sind.
    Besonders deutlich wird das, wenn wir uns den Einzelplan 17, den Haushalt für Frauen und Jugend, angucken. Berichte und Analysen aus den neuen Bundesländern besagen, daß der Anschluß der neuen Bundesländer grundlegende Veränderungen in den Erziehungs- und Lebensbedingungen bewirkt hat, besonders für Kinder und Jugendliche.
    Einige Ambivalenzen möchte ich kurz aufzählen: auf der einen Seite Hoffnung auf ein gutes Miteinander im vereinten Deutschland, auf der anderen Seite
    die frustrierende Erfahrung einer demütigenden Marginalisierung als Ostbürger; einerseits ein europäischer und weltweiter Horizont, andererseits der schockartige Zusammenbruch eines ideologischen Hauses und einer Gesellschaft;

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Es war doch gut, daß es zusammenbrach!)

    einerseits internationale Erfahrungen und Möglichkeiten, gleichzeitig aber die Abwehr und die Angst vor Ausländern und Asylsuchenden im eigenen Land; Verunsicherung der Schüler durch die übernommenen Lehrer und die noch nicht abgeschlossene Umstrukturierung des Bildungswesens, Verunsicherung der Eltern durch Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Identitätsproblematik und daß sie sich für ihre Kinder kaum noch Zeit nehmen können, für Jugendliche die scheinbare Wahl der Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten, aber die nicht ausreichende Kapazität von Ausbildungsplätzen und, wenn sie eine Lehrstelle haben, die Angst, keine Anschlußverträge zu bekommen.
    In dieser Gesamtsituation geraten Kinder und Jugendliche in ein Niemandsland. Angst und Unsicherheit beherrschen sie.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das kann man doch nicht sagen!)

    — Ich denke, das ist überall so. Das ist doch jetzt kein Vorwurf, sondern es ist der Versuch, die Realität zu analysieren und darauf entsprechend zu reagieren.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: „Niemandsland" ist aber doch sehr negativ!)

    — Für die Kinder und Jugendlichen ist es im Moment so. Wenn Sie sich mit den sogenannten rechtsextremistischen Erscheinungen im Lande befaßt haben, dann wissen Sie, daß das mit — —

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist doch nicht die ganze Jugend!)

    — Das sage ich auch nicht. Es ist ein Teil der Kinder und Jugendlichen, dem es so geht.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Dann sagen Sie „ein Teil"!)

    Deshalb ist es wichtig, darauf zu reagieren.
    Meine Frage und auch der entsprechende Vorwurf an die Bundesregierung — ich kann es nicht anders sagen — lautet, ob sie diese Entwicklung nicht zur Kenntnis genommen hat. Sonst hätte sie diesen Haushalt nicht um ein Drittel kürzen können, wenn sie die Realität so wahrnimmt, wie sie ist. Das verstehe ich überhaupt nicht.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist keine Frage des Geldes!)

    — Natürlich ist es eine Frage des Geldes. Ich werde Ihnen das gleich an den einzelnen Punkten aufzeigen.
    Für Kinderbetreuungseinrichtungen sind im neuen Haushalt 0 DM vorgesehen, obwohl schon jetzt deut-



    Christel Hanewinckel
    lich ist, daß in den neuen Ländern die Eltern die oft
    sehr hohen Betriebskosten nicht aufbringen können.
    Die Mitfinanzierung von Frauenhäusern ist nicht mehr vorgesehen, obwohl die Gewalt gegen Frauen und Kinder zunimmt.

    (Zuruf von der SPD: Bei uns gibt es das auch nicht!)

    — Das ist genauso schlimm. Ich denke, hier muß das genauso mitfinanziert werden.

    (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sie müssen mal Frau Matthäus-Maier fragen, was Sie tun sollen! Nicht wieder den Milliarden-Katalog vorlesen! — Weitere Zurufe)

    — Ja, ich habe auch noch einen Vorschlag.
    Das Schärfste ist, daß für den Bundesjugendplan statt wie bisher 50 Millionen DM nur noch 23 Millionen DM vorgesehen sind, obwohl die Zahl der Aufgaben gewachsen ist, und zwar durch die neuen Länder, weil dort eine plurale Jugendarbeit aufgebaut werden muß. Da frage ich Sie: Wie soll das gehen, wenn nicht einmal mehr die Hälfte der Mittel zur Verfügung steht, obwohl fast noch einmal soviel Arbeit auf die Jugendverbände zukommt?

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Stellen Sie einen Antrag auf Erhöhung!)

    — Das werden wir tun. Wir werden einen Antrag auf Erhöhung stellen, und zwar zu diesem Haushalt, der um ein Drittel gekürzt werden soll. Können Sie sich vorstellen, daß der Verteidigungshaushalt um ein Drittel gekürzt wird?

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist ein kleiner Unterschied!)

    — Das ist für Sie ein kleiner Unterschied. Für mich in der Tat auch, weil ich nämlich an dieser Stelle wesentlich wichtigere Aufgaben im vereinten Deutschland sehe als im Verteidigungshaushalt.

    (Beifall bei der SPD)

    Soweit ich es mitbekommen habe, ist die Gefahr aus dem Osten doch wohl gebannt. Dafür brauchen wir nicht weiterhin — —

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist doch wohl nicht zu vergleichen!)

    — Ja, Sie haben recht, das ist nicht zu vergleichen. Eben deshalb plädiere ich dafür, daß der Verteidigungshaushalt gekürzt wird, und zwar zumindest um den gleichen Anteil wie der Haushalt für Frauen und Jugend, damit wir, wenn, wie es der Bundeskanzler sagt, die Jugend unsere Zukunft ist, auch finanziell etwas dafür tun können.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Lassen Sie mich einen letzten Punkt anführen, der mich sehr irritiert, auch wenn der Betrag, der hier eingesetzt ist, nur minimal ist. — Es gibt in diesem Haushalt einen Sondertopf für die Bundesministerin Frau Merkel, über den sie verfügt. Ich bin an der Stelle irritiert und verwundert und muß sie fragen — jetzt ist
    sie leider nicht mehr hier — , ob sie hier etwas ähnliches einführen will, wie wir es aus der DDR kannten, nämlich einen neuen Zentralismus, das heißt, daß Jugendverbände, die für autonome Projekte kein Geld mehr haben, in bestimmten Fällen bei der Ministerin nachfragen müssen, ob sie dieses oder jenes im Lande tun können. Das ist für mich eine neue Art. Es wäre dann abhängig von der Ideologie der Ministerin, wofür sie wo ihr Geld ausgibt. Es kann doch wohl nicht angehen, daß wir so mit dem Geld umgehen!
    An anderer Stelle wird für mein Empfinden Geld zum Fenster hinausgeschmissen; für Frauen und Jugendliche, für die es bitter nötig ist, fehlt das Geld. Ich denke, wir sind uns einig, daß wir für die Jugendlichen und die Kinder unser Bestes geben wollen, wie es immer so schön heißt. Ich habe aber den Eindruck, daß hier nicht das Beste, sondern nur der letzte Rest gegeben wird, daß es eigentlich nur Almosen sind.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sie vergessen die Länderhaushalte!)

    Ich hoffe sehr, daß dieser Haushalt so nicht durchkommt.

    (Beifall bei der SPD)