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    Plenarprotokoll 12/37 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 37. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage und Entwicklung in der Sowjetunion und Jugoslawien Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3015 B Björn Engholm, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 3020 A Dr. Alfred Dregger CDU/CSU 3025 D Dr. Hermann Otto Solms FDP 3031 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3035 C Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 3038 C Ortwin Lowack fraktionslos 3041 D Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 3043 A Hans Koschnick SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3046 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/1000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Dr. Hans-Jochen Vogel SPD 3047 C Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 3057 B Dr. Burkhard Hirsch FDP 3058C, 3100B, 3104 C Dr. Otto Graf Lambsdorff FDP 3062 C Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 3068 D Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 3070 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3072 B Peter Conradi SPD 3082 B Dr. Lutz G. Stavenhagen CDU/CSU . . 3082 C Christel Hanewinckel SPD 3082 D Dr. Burkhard Hirsch FDP 3085 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI 3086A Dr. Willfried Penner SPD 3087 A Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3089D, 3106A Dr. Sigrid Hoth FDP 3089 D Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 3091 D Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 3092 B Dr. Paul Laufs CDU/CSU 3093 A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3095 B Dr. Willfried Penner SPD 3097 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . 3102A Karl Deres CDU/CSU 3104A Dr. Hans de With SPD 3108 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 3109A Dr. Conrad Schroeder (Freiburg) CDU/CSU 3110D Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . . 3112D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 3115D Nächste Sitzung 3117D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3119* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 — Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 — (Michael von Schmude CDU/CSU) . . . . 3119* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 3015 37. Sitzung Bonn, den 4. September 1991 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 04. 09. 91 Blunck, Lieselott SPD 04. 09. 91 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 04. 09. 91 * Erler, Gernot SPD 04. 09. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 04. 09. 91 * Francke (Hamburg), CDU/CSU 04. 09. 91 Klaus Hilsberg, Stephan SPD 04. 09. 91 Koltzsch, Rolf SPD 04. 09. 91 Dr.-Ing. Laermann, FDP 04. 09. 91 Karl-Hans Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 04. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 04. 09. 91 * Michels, Meinolf CDU/CSU 04. 09. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 04. 09. 91 Müller (Düsseldorf), SPD 04. 09. 91 Michael Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 04. 09. 91 Pfuhl, Albert SPD 04. 09. 91 * Rempe, Walter SPD 04. 09. 91 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 04. 09. 91 Ingrid Dr. Scheer, Hermann SPD 04. 09. 91 * Schmidt-Zadel, Regina SPD 04. 09. 91 Sielaff, Horst SPD 04. 09. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 04. 09. 91 * Dr. Sperling, Dietrich SPD 04. 09. 91 Dr. Sprung, Rudolf CDU/CSU 04. 09. 91 * Verheugen, Günter SPD 04. 09. 91 Vosen, Josef SPD 04. 09. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 04. 09. 91 Gert Welt, Hans-Joachim SPD 04. 09. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 04.09.91 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 04. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 - Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 - Michael von Schmude (CDU/CSU): Diese erste Lesung des Haushalts 1992 gibt uns willkommenen Anlaß zu einer Bestandsaufnahme, nämlich: wie weit sind wir beim Aufbau des freiheitlichen Rechtsstaates in den neuen Bundesländern vorangekommen, wo stehen wir, was muß noch getan werden? Anlagen zum Stenographischen Bericht Uns ist allen bewußt, daß die Glaubwürdigkeit der Justiz und das damit verbundene Vertrauen in den Rechtsstaat unabdingbare Voraussetzung für das Zusammenwachsen der Deutschen in Ost und West sind. Die Verwirklichung der Einheit auf dem Gebiet des Rechts ist eine Mammutaufgabe und braucht demzufolge auch Zeit. Dennoch gehöre auch ich zu jenen, die ungeduldig sind, und in der Tat könnte und müßte das eine oder andere zügiger verwirklicht werden. Das Justizwesen der früheren DDR war Werkzeug des Unterdrückerstaates und muß deshalb mehr als jede andere Verwaltung auch personell von Grund auf erneuert werden. Das bedeutet, daß Richter und Staatsanwälte nur in einem geringen Umfang übernommen werden können. Um eine Richterdichte wie in den alten Bundesländern herzustellen, benötigen wir etwa 4 500 Richter, 1 000 Staatsanwälte und 2 000 Rechtspfleger. Letztere waren in der früheren DDR überhaupt nicht vorhanden. Die Überprüfung der Richter und Staatsanwälte, die bereits in der ehemaligen DDR tätig waren, wird intensiv betrieben (von 2 600 = 1990 sind jetzt noch 1 300 im Amt). Unabhängig davon sollten jene Juristen, die sich schuldig gemacht haben, nicht erst auf das Ergebnis ihrer Überprüfung warten, sondern durch freiwilliges Ausscheiden ein Zeichen der Einsicht und damit einen Beitrag zum Neubeginn leisten. Gleiches gilt auch für diejenigen Juristen, die sich noch kurz vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 als Rechtsanwälte niedergelassen haben, obwohl sie auf Grund ihrer Vergangenheit dieses besser hätten unterbleiben lassen sollen. Überprüfungen sind notwendig, wobei erforderlichenfalls die bisherigen gesetzlichen Grundlagen ergänzt werden müssen. Auch hier gilt: Jeder Einzelfall muß auf die persönliche Verantwortung hin untersucht werden, Pauschalverurteilungen sind fehl am Platze. Unser 1991 beschlossenes dreijähriges Hilfsprogramm zum Aufbau des Rechtsstaates im Beitrittsgebiet sieht die Entsendung von insgesamt 2 300 Juristen und Rechtspflegern vor. Dabei handelt es sich um 1 000 Richter und Staatsanwälte, von denen bis Ende Juni etwa die Hälfte abgeordnet waren. Die Länder haben erneut versprochen, die angestrebte Zahl per Ende dieses Jahres annähernd sicherzustellen. Ein größeres Defizit tut sich bei den Rechtspflegern auf. Zwischen Bund und Ländern war vereinbart, in diesem Jahr 500 Rechtspfleger abzuordnen. Per Ende August lag diese Zahl mit 211 weit zurück. Angesichts des großen Arbeitsanfalls bei den Grundbuchämtern - bekanntlich liegen über 1 Million Ansprüche auf Rückübertragung vor - ist dieser Zustand besonders bedauerlich. Am Geld kann es nicht liegen, denn im Rahmen des gesamten Hilfsprogramms von 120 Millionen sind für diesen Bereich der Abordnung allein 65,4 Millionen DM vorgesehen. Die neuen Bundesländer machen von dem finanziellen Hilfsangebot des Bundes zur Einstellung von bis zu 300 Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern regen Gebrauch. Hier sind kurzfristig bereits 200 Stellen besetzt worden. 3120* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Außerordentlich unbefriedigend und schleppend verläuft dagegen die Ausschöpfung unseres sog. Seniorenmodells. Hier waren Haushaltsmittel in Höhe von 17,5 Millionen DM im Haushalt 1991 vorgesehen zur Entsendung von 500 pensionierten Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern. Mehr als 100 Interessenten haben sich bei den Justizministern der alten Bundesländer beworben und ganze drei sind inzwischen erst tätig: ein Richter in Sachsen und jeweils ein Richter und ein Rechtspfleger in Thüringen. Diesem Mißstand muß durch den Bundesjustizminister dringend nachgegangen werden. Sollten die alten Bundesländer mit dieser Aufgabe der Bewerberauswahl überfordert sein, so wäre dringend eine Übertragung auf ein anderes Gremium erforderlich. Insgesamt bleibt ohnehin festzuhalten, daß einige Bundesländer sehr vorbildlich den Aufbau des Rechtsstaates in den neuen Bundesländern unterstützen, andere hingegen, oft entgegen großer Ankündigungen, nur sehr halbherzig. Ein negatives Beispiel ist dafür leider auch Herr Engholm, der 1990 ganze vier Richter nach Mecklenburg-Vorpommern abgeordnet hat und die ohnehin knappen Ressourcen an Richtern durch die parteipolitisch motivierte Entscheidung zur Einrichtung eines neuen Oberverwaltungsgerichts weiter einengt. So sehen manche Solidarbeiträge aus! Die Vereinbarung des Bundesjustizministers mit seinen Länderkollegen zur Entsendung von 60 Staatsanwälten zur Aufdeckung der Regierungskriminalität in der früheren DDR ist von den Ländern bisher erst mit 10 Juristen teilerfüllt worden. Natürlich ist kein Schleswig-Holstein dabei. Zur Aufarbeitung der früheren SED-Diktatur hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Bereinigung von SED-Unrecht vorgelegt. Damit sollen die Aufhebung von Unrechts-Urteilen und die Entschädigungsregulierung beschleunigt werden. Wir müssen an diesen Komplex mit einem besonderen Augenmaß herangehen: In den mehr als 20 000 anstehenden Rehabilitierungsverfahren stecken erschütternde Einzelschicksale. Den Betroffenen muß Gerechtigkeit widerfahren. Allerdings müssen wir auch die Grenzen unserer Möglichkeiten erkennen, die einfach darin bestehen, daß geschehenes Unrecht weder finanziell noch sonst voll ausgeglichen werden kann. Bei den Finanzen ist zu berücksichtigen, daß dieses Gesetz mit etwa 1,5 Milliarden DM Kosten an die Grenzen unserer Möglichkeit heranführt. Mit einem noch zu beratenden Gesetz über die sogenannte Verwaltungsrehabilitation müssen Willkürakte der DDR-Organe im Verwaltungsbereich aufgearbeitet werden. Hier muß eine Möglichkeit geschaffen werden, auch abgeschlossene Verfahren wieder aufzugreifen. Besonders gilt dies hinsichtlich der sogenannten Zwangsumsiedlungen. So wurden u. a. im ehemaligen Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze — auch direkt angrenzend an meinen Wahlkreis in Mecklenburg — Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und ihr Hab und Gut gegen ein Trinkgeld dem Staat zu übereignen. Für die Vergangenheitsbewältigung des SED-Schnüffler- und Spitzelstaates brauchen wir weitere juristische Grundlagen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ermöglicht uns entsprechende Informationen im Interesse betroffener Opfer. In Verbindung mit der Erfassungsstelle Salzgitter kann dann hoffentlich ein Großteil politisch motivierter Straftaten aus der DDR-Zeit verfolgt und gesühnt werden. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, daß einige SPD-regierte Bundesländer einen Läuterungsprozeß durchlaufen haben und sich wieder an den Kosten der Erfassungsstelle Salzgitter beteiligen. Es war schon beschämend, wie man hier in der Vergangenheit aus einer Gefälligkeitspolitik heraus sich aus der politischen Verantwortung davongestohlen hat. Ein ganz besonders negatives Beispiel gibt wiederum die schleswig-holsteinische Landesregierung unter Ministerpräsident Engholm, die sofort nach der Regierungsübernahme 1987 ihren Anteil von nur 10 000 DM verweigerte. Der bisherige Aufbau der rechtsstaatlichen Justiz im Osten Deutschlands verdient Dank und Respekt vor allem gegenüber den neuen Bundesländern, denn der Alltag zeigt, daß inzwischen auch hier und da bereits Rückstände bei Gerichten und Grundbuchämtern abgearbeitet werden können. Allen Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums möchte ich an dieser Stelle ebenfalls meinen Dank für die von ihnen geleistete vorbildliche Arbeit sagen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans Koschnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Es tut mir leid, daß ich eine so wichtige Debatte störe. Aber ich bin heute vom Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion mit der Kennzeichnung in Anspruch genommen worden, daß ich mich als prominenter Linker noch im Jahre 1989 gegen die Wiedervereinigung ausgesprochen habe.



    Hans Koschnick
    Ich bestreite nicht, daß Alfred Dregger damit recht hat, daß ich ein Linker bin; denn ich stehe links von Alfred Dregger. Das ist unbestreitbar.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Dann gibt es hier aber viele Linke!)

    Aber unrecht hat Alfred Dregger mit der Formulierung, ich hätte mich in der Zeitung „Wiener" noch im November 1989 gegen die deutsche Wiedervereinigung ausgesprochen. Dies war eine Meldung der CDU/CSU-Pressestelle. Der Fraktionsgeschäftsführer hat damals etwas aus dem „Wiener" ausgeworfen. Ich habe ihm am nächsten Tag die Unterlagen zugestellt und habe einen Tag darauf, am 15. Februar, den Brief bekommen:
    Sie können sicher sein, daß ich in Kenntnis Ihrer tatsächlichen Äußerungen die Meldung des „Wiener" nicht mehr mit Ihrer Person in Verbindung bringe.

    (Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

    Nun gehe ich davon aus, daß Herr Rüttgers dies nun nicht nur auf sich bezogen hat und daß Alfred Dregger noch in die Klamottenkiste des damaligen Wahlkampfs gegriffen hat. Es wäre gut, dies in allen zukünftigen Wahlkämpfen zu unterlassen; dann brauchen wir darüber nicht mehr zu reden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS/Linke Liste — Norbert Gansel [SPD] [zur CDU/ CSU]: Kurze Entschuldigung!)



Rede von Hans Klein
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Koschnick hat seine Erklärung, glaube ich, in einer Form abgegeben, die für das Haus und für den Betroffenen ausgesprochen akzeptabel ist. Eine weitere Diskussion erfordert dies jetzt nicht.

(Norbert Gansel [SPD]: Rühe würde sich entschuldigen!)

Damit sind wir am Ende unserer vereinbarten Redezeit angelagt. Ich schließe die Aussprache.
Wir setzen die Aussprache zum Haushalt 1992 fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992)

— Drucksache 12/1000 —
Überweisung: Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995
— Drucksache 12/1001 —
Überweisung: Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind dafür heute sechs Stunden vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Dr. Hans-Jochen Vogel das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Kollege Dregger, es wäre eine angemessene Geste gewesen, auf die Erklärung von Hans Koschnick mit einem Wort der Entschuldigung zu antworten. Das wäre ein angemessener Umgang.

    (Beifall bei der SPD)

    Jedem kann ein solcher Irrtum unterlaufen; das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber die Art der Reaktion, Herr Kollege Dregger, wäre so, wie ich es anrege, besser gewesen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erleben in diesen Tagen, Wochen und Monaten in unserer unmittelbaren Nachbarschaft rasante Veränderungen politischer Strukturen von weltgeschichtlichem Ausmaß: die Öffnung des Eisernen Vorhangs, den Fall der Mauer, den Zusammenbruch des SED-Regimes, den Übergang der Völker und Staaten des östlichen Mitteleuropas zu Demokratie und Selbstbestimmung, die deutsche Einigung, den Beginn des Abzugs der sowjetischen Truppen, das Ende des Warschauer Paktes, die gewaltlose Überwindung des Staatsstreichs in Moskau, die Wiederherstellung der Souveränität der baltischen Staaten, das Auseinanderfallen der bisherigen Sowjetunion und die Agonie und das Ende der KPdSU. Das alles hat in weniger als 800 Tagen stattgefunden. Ich glaube, man muß schon fast bis zur russischen Oktoberrevolution oder zur Französischen Revolution zurückgehen, um Prozesse von vergleichbarer Tragweite und Dynamik nennen zu können.
    Es wird großer Anstrengungen bedürfen — ich habe heute in diesem Hause gute Ansätze dazu gehört — , damit wir das, was da geschehen ist, in seiner vollen Bedeutung erfassen und daraus die richtigen Konsequenzen ziehen, also insbesondere in der uns gemäßen Form mithelfen, daß diese Entwicklung nicht zerstörerische Kräfte freisetzt — denn diese Gefahr ist durchaus nicht illusionär — , sondern schließlich zu einer stabilen demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung führt, unter deren Schutz sich zum Wohle der Menschen eine ökologisch und sozial gebändigte Wettbewerbs- und Marktwirtschaft entfalten kann; eine Entwicklung auch, die uns im gemeinsamen europäischen Haus mit den Völkern, die ihr Selbstbestimmungsrecht zurückerlangt haben, ohne Angst, Not und Furcht in Frieden zusammenleben und so einen alten europäischen Traum endlich Wirklichkeit werden läßt.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Rühe [CDU/CSU] und des Abg. Gerd Poppe [Bündnis 90/GRÜNE])

    Herr Kollege Engholm hat dazu für uns das gesagt, was im gegenwärtigen Moment möglich und notwendig ist. Er hat auch andere drängende Fragen, so die Rolle Deutschlands in der Welt und die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft, den blutigen Konflikt in Jugoslawien und die drängenden Probleme der Asyl- und Zuwanderungsfrage, angespro-



    Dr. Hans-Jochen Vogel
    chen. Er hat das verantwortungsbewußt und überzeugend getan, ohne Rechthaberei und ohne die Attitüde derer — von denen es leider zu viele gibt —, die angeblich schon immer alles so und nicht anders auf den Punkt vorausgesehen haben,

    (Zustimmung bei der SPD)

    auch mit der erklärten Bereitschaft zur Kooperation über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg, solange und soweit die besonderen Umstände im Interesse unseres Volkes es erfordern. Dafür danke ich Björn Engholm.

    (Beifall bei der SPD)

    Unsere Aufmerksamkeit wird durch die Vorgänge, von denen ich sprach, stark in Anspruch genommen
    — das ist verständlich — , aber unsere eigenen Probleme werden dadurch allenfalls überlagert und verdeckt, nicht jedoch gegenstandslos oder gar gelöst. Glaube keiner, er könne sich vor diesen unseren Problemen auf Dauer auf die Hochebenen internationaler Gipfel und internationaler Politik flüchten! Die Probleme werden ihn auch dort einholen. Glaube auch keiner, wir könnten es uns nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme leisten, im Gefühl der Überlegenheit unserer Ordnung die Hände in den Schoß zu legen und die Dinge auch in unserem Lande dem Selbstlauf zu überlassen!
    Gewiß, unsere Gesellschaftsordnung hat sich im Wettbewerb der Systeme als die stärkere, die attraktivere erwiesen, aber die Anziehungskraft beruht doch gerade auf den Elementen der Freiheit, der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit, die wir — oft genug gegen konservativen Widerstand — in diese Ordnung eingefügt haben

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das glauben Sie doch selbst nicht! — Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Demokratischen Sozialismus wollten Sie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    und die wir im Wege der Reformen auch in Zukunft immer aufs neue einfügen müssen.
    Es wäre ein katastrophaler Fehler zu meinen, der Wegfall der kommunistischen Herausforderung mache die fortwährende Erneuerung und Verbesserung unserer gesellschaftlichen Ordnung entbehrlich. Aus dem gleichen Grunde müssen wir unser Gemeinwesen gerade jetzt in stabilem Zustand und in guter Verfassung halten. Das ist auch wahr: Die Herausforderungen für und die Anforderungen an unser Gemeinwesen sind nicht kleiner, sie sind größer geworden. Außerdem, das Erreichte und gemeinsam Geschaffene ist nicht ein für allemal gewährleistet. Im Gegenteil, es ist gefährdet, und zwar in wesentlichen Punkten durch Handlungen oder Unterlassungen, die Sie zu verantworten haben, die die Bundesregierung zu verantworten hat.
    Das gilt für die Vollendung der deutschen Einheit. Wir bestreiten nicht — ich sage es hier zum wiederholten Male — : Sie, Herr Bundeskanzler, haben zur raschen Verwirklichung der staatlichen Einheit ihren
    — wichtigen — Beitrag geleistet. Aber Sie haben die Größe und Schwere der Aufgabe verkannt, nach der
    staatlichen Einheit auch die wirtschaftliche und soziale Einheit herzustellen

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    und den beiden Teilen unseres Volkes, die 40 Jahre lang unter völlig unterschiedlichen Voraussetzungen gelebt haben, wieder zur bewußtseinsmäßigen Einheit und zur Überwindung der Gräben und Klüfte zu verhelfen, die in diesen 40 Jahren entstanden sind. Sie haben geglaubt, es genüge, die üblichen Verfahren und Instrumente, die üblichen politischen Taktiken und Machtkalküle anzuwenden. Daraus erklären sich die Fehlentscheidungen und Versäumnisse, die ich kritisiere. Wir machen Sie nicht für den schlimmen Zustand verantwortlich, in dem die SED und die Blockparteien, nicht die SED allein, die Strukturen und die gesellschaftliche Substanz der ehemaligen DDR hinterlassen haben. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie haben die interfraktionelle Zusammenarbeit lange Zeit abgelehnt und parteitaktischen Überlegungen den Vorrang eingeräumt.

    (Zuruf von der SPD: Leider!)

    Sie haben die mit dem SED-Regime, jedenfalls in ihren Führungsebenen, eng verflochtene Blockpartei CDU im Wege der Fusion als Ganzes konserviert, die kritische Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit gebremst,

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Darüber kann man nur lachen!)

    die alten Parteikader ohne Rücksicht auf deren individuelle Belastung in ihren Machtpositionen belassen und damit den glaubwürdigen Neuanfang erschwert.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Der Vorwurf, die alten Seilschaften seien nach wie vor zugange, der allerorten in den neuen Bundesländern zu hören ist, gilt doch gerade deshalb der Union inzwischen fast ebenso stark wie den Hinterlassenschaften der SED.

    (Beifall bei der SPD — Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das ist doch absurd!)

    — Herr Bundeskanzler, wenn Sie das für absurd halten, dann empfehle ich, daß Sie mich bei den nächsten Besuchen auf Bürgerversammlungen in Stendal, in Königs Wusterhausen, in Suhl begleiten und hören, was die Menschen dort über die Seilschaften sagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen widerspricht Ihrem Zwischenruf das Nikken vieler — auch auf Ihrer Seite des Hauses —, die ich hier gesehen habe, die besser über die Verhältnisse Bescheid wissen.

    (Beifall bei der SPD — Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Wer hat denn hier genickt? Der hat die falsche Brille auf!)

    — Kümmern Sie sich selber darum. Ich bin kein Denunziant. Schauen Sie sich selber um, fragen Sie Ihre Geschäftsführer.

    (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Es hat keiner genickt!)




    Dr. Hans-Jochen Vogel
    Erst jetzt unter dem Druck der Stasi-Offenbarung und des Konflikts, der gegenwärtig Ihre Partei erschüttert, wird deutlich, was dort versäumt worden ist

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Wir werden stärker, als Ihnen lieb ist!)

    und welchen langfristigen Preis Sie und die Menschen in den neuen Bundesländern für Ihren damaligen Augenblicksvorteil zu zahlen haben. Wenn Sie noch einen Zeugen brauchen, daß das stimmt, was über die Schwere des Konflikts und über den Preis gesagt wird, dann fragen Sie ihren Generalsekretär, der sich dazu bei jeder Gelegenheit äußert.

    (Beifall bei der SPD — Volker Rühe [CDU/ CSU]: Wir werden so stark, daß es Ihnen unangenehm wird!)

    Sie haben den Menschen in den alten Bundesländern zu lange gesagt, die deutsche Einigung erfordere keine zusätzlichen Anstrengungen, insbesondere keine zusätzlichen Steuerleistungen, obwohl die Menschen solche Anforderungen damals erwartet haben und zu solchen Anstrengungen auch durchaus bereit waren. So war es nämlich im Herbst 1989 und dann 1990. Sie haben auch bei den Menschen in den neuen Bundesländern illusionäre Erwartungen geweckt, so als ob es sich nicht um die Bewältigung eines einmaligen Umstellungsprozesses handeln würde, der nahezu alle ohne Ausnahme in existentieller Weise fordert und berührt. Sie haben zu lange geglaubt, das freie Spiel der Kräfte, der Markt und der Wettbewerb würden die alten Strukturen mehr oder weniger im Selbstlauf überwinden und durch leistungsfähige Strukturen unseres Zuschnitts ersetzen, der Staat, unser Gemeinwesen — ich erinnere an die Debatte, bei der hier Herr Biedenkopf und Herr Stolpe nachdrücklich Mahnungen artikulierten — , sei nur in zweiter Linie gefordert. Heute wissen doch auch Sie, daß die Marktkräfte, sich selbst überlassen, die vorhandenen Strukturen, insbesondere die Industriestrukturen, ohne Rücksicht auf ihre mittelfristigen Überlebenschancen radikal zerstören, und daß die Gemeinschaft zunächst die Voraussetzungen dafür schaffen muß, daß eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft ihre positiven Wirkungen entfalten kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich fürchte Sie glauben auch noch immer, es genüge, unsere Verfassung einfach auf das sogenannte Beitrittsgebiet — ein merkwürdiger Ausdruck — zu erstrecken; das Zusammenwachsen werde sich dann schon in Form der Anpassung der Hinzugekommenen an diejenigen ergeben, zu denen sie hinzugekommen sind. Eine besondere Anstrengung, etwa ein breiter Diskussionsprozeß über die endgültige Verfassung, an dem die Menschen in den neuen Bundesländern gleichberechtigt teilnehmen können — das schwebte bekanntlich den Vätern und Müttern des Grundgesetzes 1948/49 vor — sei überflüssig, wenn nicht gefährlich, weil er auch uns in den alten Bundesländern Veränderungen zumute.
    In bemerkenswerter Weise hält Ihnen ja Ihr Stellvertreter, Herr de Maizière, auch wörtlich vor — ich zitiere wörtlich aus dem verteilten Text — , daß Sie auch in Ihrer eigenen Partei Veränderungen nur in
    den neuen Ländern verlangen und daß Sie überhaupt mit den Problemen, mit der Situation

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Das ist doch völliger Unsinn!)

    — dann tragen Sie das doch mit Herrn de Maizière aus! Ich werde doch den Stellvertreter zitieren dürfen —,

    (Beifall bei der SPD)

    mit den elementaren Lebensbedürfnissen der Menschen im Osten weiterhin unsensibel umgehen.
    Ich meine, in dem Gedanken sollte eine Gemeinsamkeit in diesem Hause herzustellen sein, daß der Prozeß des Zusammenwachsens der Deutschen Veränderungen nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern Veränderungen auch in unseren Köpfen, in unserem Bewußtsein und in unserem Verhalten zur Folge haben muß. Dazu dient die Verfassungsdiskussion.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich finde es wohltuend, wenn einer, der jetzt allein für sich spricht, allen Seiten des Hauses ein bißchen den Spiegel in die Vergangenheit hinein vorhält
    — ich meine Herrn Lowack — und uns alle vor allzu großer Selbstgerechtigkeit den anderen gegenüber bewahrt. Ich glaube, das ist nützlich, und das verdient bei aller sonstigen Divergenz Anerkennung.
    Ich sage: Bei allen Unsicherheiten der Einschätzung des zeitlichen Ablaufs, die es bei uns gab, waren wir Sozialdemokraten näher bei der Realität, und unsere Positionen waren stärker im Einklang mit der Größe der Herausforderungen.
    Wir waren zur Zusammenarbeit bereit. Wir haben als politische Kraft in den neuen Bundesländern neu bei Null begonnen. Wir haben den Menschen die Wahrheit gesagt und Steuererhöhungen für unabweisbar erklärt, und zwar vor den Wahlen. Wir haben
    — übrigens im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip — gefordert, daß sich die größere Gemeinschaft, also der Staat, breit engagieren muß, weil die Kräfte der kleineren Gemeinschaften, die individuellen Kräfte nicht ausreichen. Wir haben dem Leitbild des Einzugs in ein fertiges Haus das Leitbild der gemeinsamen Erneuerung des gemeinsamen Hauses entgegengestellt.
    Sie haben sich inzwischen vielen unserer Positionen genähert und eine Reihe von ihnen übernommen. Ich nenne als Beispiel nur die Stichworte: Verstärkung der finanziellen Ausstattung der Länder und Gemeinden im Laufe des Frühjahrs 1991. Ich nenne Korrekturen am Prinzip Rückerstattung vor Entschädigung. Ich nenne die breitere Realisierung von Qualifizierungs-, Aufbau- und Beschäftigungsgesellschaften. Was ist hier gegen den Begriff der Beschäftigungsgesellschaft polemisiert worden! Inzwischen ist es für die Menschen drüben eine gewisse Hoffnung, daß sich diese Form der Gemeinschaftsinitiative ausbreitet. Und ich nenne durchgreifende Verbesserungen des Rentenüberleitungsgesetzes. Und natürlich haben Sie das unter dem Druck Ihres Versprechens getan, was wir schon vor den Wahlen angekündigt haben, nämlich die Steuern erhöht.



    Dr. Hans-Jochen Vogel
    Aber das genügt nicht. Drei prinzipielle Korrekturen sind vor allem erforderlich, damit die soziale Einheit, die Angleichung der Lebensverhältnisse vorankommt und die Menschen in den neuen Bundesländern diese Übergangsperiode ohne vermeidbare Beeinträchtigungen und Beschädigungen überstehen.
    Erstens. Den großen Produktionsbetrieben muß mehr Zeit gegeben werden, sich umzustellen und auf mittlere Frist wettbewerbsfähig zu werden. Es ist leichter, einen Betrieb umzustrukturieren, als einen Betrieb, der dichtgemacht wurde, durch einen neuen Betrieb zu ersetzen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die neuen Bundesländer — ich glaube, wir stimmen da überein — dürfen nicht zu einer Industriebrache werden. Außerdem ist es noch immer sinnvoller gewesen, Geld für Sanierungen, oder für Qualifizierung, Umschulung und Beschäftigung aufzuwenden, als für Arbeitslosigkeit, also für erzwungenes Nichtstun.

    (Beifall bei der FDP)

    Zweitens. Die Unklarheiten und Unsicherheiten über die Eigentumsverhältnisse dauern noch immer an. Es sind noch immer viele Investitionsvorhaben dadurch behindert. Andererseits leben redliche Erwerber und Nutzer, und zwar auch nach dem Stichtag, den wir im Gesetz und im Vertrag vom Oktober 1989 festgelegt haben, in großer Zahl in Sorge vor dem Verlust ihrer Wohnungen. Das Reparaturgesetz hat die Probleme nicht gelöst. Deshalb muß mit dem Vorrang der Entschädigung vor der Rückerstattung Ernst gemacht und eine neue Initiative in dieser Richtung ergriffen werden.
    Drittens. Das sage ich nach allen Richtungen: Die alten Seilschaften müssen verschwinden. Ich verallgemeinere nicht und schere durchaus nicht alle Mitglieder der SED und der Blockparteien über einen Kamm. Das wäre ungerecht; das tun wir nicht. Aber ich verstehe die Wut und die Empörung der Menschen in den neuen Bundesländern, die in den Betrieben und den Verwaltungen in leitenden Stellungen noch immer denen begegnen, von denen sie vor der Wende bevormundet und schikaniert worden sind.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Rühe [CDU/CSU] und des Abg. Hermann Rind [FDP])

    Wir entwerfen kein Horrorgemälde von der Lage in den neuen Bundesländern. Wir freuen uns über die positiven Tendenzen im Baugewerbe,

    (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Aha!)

    im Handwerk und in einzelnen Dienstleistungsbereichen.

    (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Aha!)

    Wir sind überzeugt, daß wir — die 16 Millionen in den neuen Bundesländern und die über 60 Millionen in den alten Bundesländern — es schließlich gemeinsam schaffen werden. Wir sind überzeugt davon.

    (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Prima! Auch Herr Stolpe?)

    Aber daß den Menschen auf dem Weg dorthin mehr zugemutet wird und dieser Prozeß länger dauern
    wird, als es notwendig wäre, fällt in Ihre Verantwortung.
    Zu verantworten haben Sie auch, daß sich unser Gemeinwesen insgesamt in einer durchaus kritischen Situation befindet. Das gilt vor allem für den Zustand der öffentlichen Finanzen. Ich wiederhole nur die wichtigsten Kennziffern. Diese Kennziffern lauten: Die Verschuldung der öffentlichen Hände ist seit 1982 von 683 Milliarden DM auf 1 300 Milliarden DM gestiegen und wird laut Ihren eigenen Zahlen bis 1995 — bis dann sind es nur noch vier Jahre — auf über 2 300 Milliarden DM, das sind 2,3 Billionen DM, steigen. Das betrifft die gesamte öffentliche Hand, auch die von Ihnen genannten Schattenhaushalte, die, wie Sie behaupten, bei richtiger Lektüre des Haushalts durchaus eingerechnet werden können.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: So ist es!)

    Das haben wir gemacht.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Da sind Sie besser als Frau Matthäus-Maier!)

    — Danke schön. Ich bin überhaupt gut. Ja. Also danke sehr.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

    Die Zinsleistungen betrugen 1982 50,1 Milliarden DM. Heute liegen sie bei 111 Milliarden DM. Für 1995 errechnen sich die Zinsen auf Grund Ihrer Zahlen, Herr Kollege Waigel, auf 175 Milliarden DM.
    Jetzt kommt die Zahl, die eigentlich am meisten Besorgnis erregt. Die private Ersparnisbildung wurde 1982 zu 51 % von den öffentlichen Händen in Anspruch genommen. In diesem Jahr werden es voraussichtlich rund 85 % sein. 85 % der gesamten Ersparnis- und Kapitalbildung wird von den öffentlichen Händen in Anspruch genommen.
    Das sind alarmierende Zahlen. Sie wirken sich bereits auf die gesamtwirtschaftliche Situation aus. Die Warnlichter flackern. Die Preissteigerungsrate ist mit 4,1 % so hoch wie seit 1982 nicht mehr. Wir hätten einmal seinerzeit das sagen sollen, was Sie gestern gesagt haben, Herr Kollege Waigel: Das sei eine Zahl, die ein beruhigtes Preisklima widerspiegele.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Ich sage: Das alles ist in erster Linie die Folge davon, daß Sie die Steuern noch im Jahr 1990 entgegen unserem Rat in unvernünftiger Weise gesenkt haben und dann nicht den Mut hatten, sie rechtzeitig im notwendigen Umfang zu erhöhen. Wo gibt es denn das, daß eine Opposition wie im Jahr 1989/90 konkretere und weiterreichende Vorschläge zur Erhöhung der öffentlichen Einnahmen macht als die Regierung und daß Sie außerdem nicht die Kraft hatten und haben, zunächst die Ausgaben an den richtigen Stellen zu vermindern! Dabei imponieren mir übrigens — das sage ich hier fairerweise — Ihre Anstrengungen immer noch mehr als die öffentlichen Schauveranstaltungen, die der Bundeswirtschaftsminister mit diesem Thema veranstaltet.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Hans-Jochen Vogel
    Ich weiß, Herr Waigel, da muß man pflichtgemäß den Kopf schütteln. Das weiß ich von früher. Da haben Sie recht.
    In unserem Volk ist das Gefühl, ist die Sorge weit verbreitet, daß das nicht gutgehen kann, daß wir
    — das sage ich nach allen Seiten — die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und unseres Gemeinwesens überfordern. Die Bundesbank hat mit der Erhöhung des Leitzinses im August das gleiche zum Ausdruck gebracht.
    Übrigens gibt es doch nach wie vor das LambsdorffPapier. Ich meine jetzt das neue, vom Frühsommer dieses Jahres — das alte gibt es auch —,

    (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Das alte kennen Sie auch besonders gut!)

    in dem Ihr Koalitionspartner die Sachlage noch dramatischer beschreibt, als ich das tue.
    Im übrigen: Wenn Lambsdorff solche Papiere schreibt, soll man genau auf den Kalender gucken!

    (Beifall bei der SPD)

    Ich gehöre zu denen, die da noch unmittelbare Erinnerungen haben.
    Im übrigen: Ganze Passagen, Kollege Lambsdorff, haben Sie wörtlich von damals durch Inserieren übernommen.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sie sollen ihn nicht so verliebt anschauen!)

    — Diese Eigenschaft, daß ich den Grafen verliebt anschaue, habe ich nun wirklich nicht. Sie brauchen ja das Datum nicht verliebt anzuschauen.
    Unser Konzept zur Stabilisierung der öffentlichen Finanzen liegt auf dem Tisch. Frau Matthäus-Maier

    (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Die können Sie verliebt anschauen!)

    hat es gestern erläutert. Dieses Konzept berücksichtigt auch die Bedürfnisse der alten Bundesländer, die in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt worden sind. Wir können Ihnen nur raten: Wenn Sie selber nicht die Kraft haben, ein angemessenes Konzept zu realisieren, wenn Ihnen nichts anderes einfällt, als an der Mehrwertsteuerschraube zu drehen — um 1 %, wie Sie uns sagen, um 2 %, wie der Herr Bundeskanzler vorsorglich vor drei Wochen einmal angedeutet hat, damit man sich später gegen den Vorwurf, man habe es nicht gesagt, wehren kann; offenbar sind Sie lernfähig —, dann übernehmen Sie doch unser Konzept. Es wäre nicht das erste Mal, daß Sie das getan haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Gleiches gilt für andere wichtige Felder der Politik, so etwa für den bedrohlichen Wohnungsmangel, über den Sie erheitert jetzt fröhliche Gesichter zeigen, was mich wundert; das gilt ebenso für den um sich greifenden Verkehrsnotstand oder den Pflegenotstand.

    (Dr. Dionys Jobst [CDU/CSU]: Beschleunigungsgesetz!)

    — Was hat das mit dem Wohnungsmangel zu tun?

    (Zuruf des Abg. Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU])

    — Ich freue mich, Herr Gerster, daß Ihnen die rheinland-pfälzischen Angelegenheiten noch Zeit lassen, sich hier an der Debatte zu beteiligen.

    (Beifall bei der SPD — Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Keine Sorge!)

    Das gilt ebenso, wie ich bereits erwähnte, für den Pflegenotstand, unter dem in erster Linie die Kranken, aber zunehmend auch das Pflegepersonal in schlimmer Weise leiden.
    Das gilt ebenso für die Neudefinition des Auftrags unserer Streitkräfte, die mit der Abrüstung verbundenen Strukturveränderungen in der Bundeswehr und die Hilfen für die Regionen, die durch die Auflösung von Einrichtungen der Bundeswehr oder der Verbündeten Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft einbüßen.
    Ich greife auf, was Björn Engholm heute morgen hier gesagt hat, und wiederhole es: Die Opposition ist bereit, konstruktiv an der Neudefinition des Auftrags der bewaffneten Streitkräfte mitzuarbeiten. Das ist nämlich genauso wie damals die Gründung und der Aufbau der Bundeswehr eine gemeinsame Verantwortung des ganzen Hauses.

    (Zustimmung bei der SPD — Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Sie waren doch dagegen!)

    Dasselbe gilt auch für die große Lücke, die unverändert zwischen dem Gleichstellungsgebot und der tatsächlichen Situation der Frauen klafft — und das nicht nur in den neuen Bundesländern, in denen die Frauen ganz besonders von der Arbeitslosigkeit und dem gesamten Umstellungsprozeß betroffen sind.
    Ich sagte zu Beginn meiner Rede, der Fortgang der Reformen sei kein Luxus, keine Spielerei, sondern ein dringendes Gebot, um die Qualität unserer Ordnung und damit die Lebensqualität für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger zu bewahren und zu verbessern. Auch hier sind es eher wir und nicht Sie, die die Entwicklung vorantreiben. Sie hemmen auf vielen Gebieten notwendige Schritte durch Ihren internen Streit oder auch durch schlichtes Desinteresse. So ist es bei der Pflegeversicherung, die nicht vorankommt, weil Sie nicht fähig sind, endlich das Gesetzgebungsverfahren einzuleiten. Wir werden unseren Gesetzentwurf noch in diesem Monat einbringen und Sie zwingen, Farbe zu bekennen.
    Herrn Kollegen Blüm ist wohl inzwischen klar, daß er dann nicht mehr mit launigen Sprüchen lavieren kann, sondern daß es dann endgültig um sein politisches Überleben geht, wenn er hier Farbe zu bekennen hat.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Wollen Sie ihn zum Pflegefall machen?)

    — Auch er fällt unter die neue Pflegesicherungsregelung. Keiner ist ausgeschlossen, auch nicht Herr Blüm. Oder meinen Sie die politische Pflege? — Das ist dann Ihre Sache.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Auch bei der Reform des Schwangerschaftsrechts steht Ihr Beitrag — nach der heutigen Zeitungslektüre sage ich: noch — aus. Soweit ich sehe, sind inzwischen die reformerischen Stimmen in Ihrem Lager



    Dr. Hans-Jochen Vogel
    eher leiser geworden. Die Niederlage, die Frau Kollegin Süssmuth am vergangenen Wochenende auf dem Parteitag ihrer niedersächsischen Partei erlitten hat, macht das besonders deutlich. Die Kolleginnen aus den neuen Bundesländern, die sich noch vor einem Jahr vernehmlich äußerten, sind auch fast völlig verstummt. Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß dem Bundestag eine Lösung gelingt, die den Schutz des vorgeburtlichen Lebens durch umfassende Hilfen und Respektierung der Eigenverantwortung der Frau tatsächlich befördert und nicht länger dem Irrtum huldigt, dies könne durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfahren nach dem unsäglichen Beispiel von Memmingen geschehen und befördert werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn wir uns nicht einigen, dann bitte ich zur Kenntnis zu nehmen: Wir streiten nicht um die Orientierung des Schutzes des vorgeburtlichen Lebens, wir streiten um die Mittel und die Wege, wie das am besten erreicht werden kann. Wir bekennen uns zu dem Weg der Hilfe und der Stärkung und Anerkennung der Eigenverantwortung und der Eigenentscheidung der Frau.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Bedeutung der Sache wäre es übrigens angemessen — das ist fast eine Bitte — , wenn wir sie im Bundestag und insbesondere im Plenum mit dem gleichen Ernst und dem gleichen individuellen Engagement behandeln würden, die unsere Debatte über die Hauptstadtfrage, wie immer auch die inhaltliche Meinung war, am 20. Juni ausgezeichnet haben.

    (Dr. Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU]: Das hoffen wir auch von Ihnen!)

    — Ach Gott, ja; jeder ist so klein, wie er ist.

    (Dr. Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU]: Man wird noch hoffen dürfen!)

    Überfällig sind Reformen auch in der Agrarpolitik. Das bisherige System, das noch immer die Produktion anreizt, das den Steuerzahlern immer höhere Milliardenbeträge abverlangt und den Bauern einen immer geringeren Anteil an diesen Summen zukommen läßt, hat sich schon lange ad absurdum geführt. Seit Jahren verlangen wir deshalb, zur flächenbezogenen Förderung überzugehen, bei der die Bauern nicht zu intensiver Überproduktion verleitet, sondern für die Leistungen entschädigt werden, die die Gesellschaft dringend benötigt, die nur sie erbringen können, nämlich die Pflege unserer Kulturlandschaft. Wenn so das Grundeinkommen sichergestellt ist, dann kann die Produktion im wesentlichen den Marktregeln unterstellt werden. Dann hört der Unsinn auf, den auch der Bundesaußenminister hier in bezug auf die Lagerhaltung und die Exporte zu Recht kritisiert hat.
    Die Europäische Kommission hat damit begonnen, sich mit ihren Vorschlägen in diese Richtung zu bewegen, auch deshalb, weil das bisherige System zu tiefgreifenden Konflikten mit den USA und den Entwicklungsländern geführt hat und das GATT-Abkommen zu sprengen droht. Die Bundesregierung lädt auch deshalb schwere Verantwortung auf sich, wenn sie
    sich der überfälligen Korrektur des agrarpolitischen Kurses weiter widersetzt.
    Das wäre zugleich ein wichtiger Beitrag zur ökologischen Entlastung des Bodens und der Gewässer und damit zum Schutz der Umwelt. Auch zu letzterem geschieht nur ein Bruchteil dessen, was nötig wäre, um zumindest weitere Verschlechterungen zu verhindern. Die Ankündigungen und das, was wirklich geschieht, klaffen immer wieder auseinander. Es fehlt bis heute die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz, und die Regierungsinitiative für die Einführung der Klimaschutzabgabe.
    Auch für die Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungspolitik mangelt es an einem mit den Bundesländern abgestimmten Konzept. Für uns hat der Um-und Ausbau des Bildungssystems einen hohen Stellenwert.
    Zwei weitere Themen gehören ebenfalls auf die Tagesordnung notwendiger Reformen. Das sind die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und die Erneuerung des Bodenrechts. In beiden Richtungen liefert die Entwicklung in den neuen Bundesländern zusätzliche Argumente.

    (Vorsitz : Vizepräsidentin Renate Schmidt)

    Die leistungslosen Bodenwertsteigerungen erreichen in den neuen Bundesländern geradezu astronomische Ausmaße. Sie übertreffen selbst die skandalösen Preissteigerungen in bestimmten westdeutschen Zentren wie München, Stuttgart oder Frankfurt/Main. Auch die Frage, ob das, was Arbeit, hohe öffentliche Zuschüsse und Kapital an Produktivvermögen gemeinsam schaffen, für alle Zeiten nur den Kapitaleignern zuwachsen soll, stellt sich in den neuen Bundesländern mit besonderer Schärfe, dies auch deshalb, weil die dort in der Vergangenheit als sogenannte Volksvermögen entstandenen Produktionsanlagen, von denen ja nicht alles völlig unbrauchbar ist, im Ergebnis ebenfalls zu überaus günstigen Bedingungen auf die Kapitaleigner übergehen.
    Wir werden in beiden Richtungen erneut die Initiative ergreifen und uns dabei insbesondere auch an den Erkenntnissen und Empfehlungen der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik orientieren. Ich nehme mit Befriedigung zur Kenntnis, daß auch aus dem Gewerkschaftsbereich in den letzten Tagen positive Signale in dieser Richtung gegeben werden. Ich glaube, es ist überfällig, diese Dinge ernsthaft anzugehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Parlament — das ist Auseinandersetzung, auch kritische Auseinandersetzung; dafür habe ich mich nicht zu entschuldigen. Deshalb stelle ich fest: Die Partei, an deren Spitze Sie stehen, befindet sich in einer tiefen Krise.

    (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das macht Sie richtig traurig! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)




    Dr. Hans-Jochen Vogel
    Ihr Generalsekretär — und das erheitert Sie offenbar — bezeichnet die Lage der Union in aller Öffentlichkeit als katastrophal.

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Das ist falsch zitiert!)

    Also, ich habe in meiner Partei in 40 Jahren auch schon eine ganze Menge erlebt — Sie werden in Ihrer Sammlung auch sicher irgendein entsprechendes Zitat haben — , aber daß der Generalsekretär oder der Bundesgeschäftsführer hergeht und sagt, die Lage der eigenen Partei ist katastrophal, ist eine relativ seltene Erfahrung.

    (Zustimmung bei der SPD — Volker Rühe [CDU/CSU]: Das stimmt so nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Stimmt nicht? — Na, gut, okay.
    Einer Ihrer Stellvertreter — wenn ich es richtig sehe, der Erste Stellvertreter — bemerkt, die CDU erschöpfe sich in Gezänk und Selbstgefälligkeit. Herr Geißler schließlich hält die Partei schlechthin für ausgelaugt und programmatisch erschöpft.

    (Zustimmung bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    — Wenn Sie Bedarf an Zitaten haben, kommen Sie nachher zu mir; ich habe alles greifbar, in Klarsichthüllen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Die hat Frau Fuchs noch angeschafft! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ja, ich kenne die Situation, so ist es ja nicht; ich kann ja mitfühlen.
    In den alten Bundesländern sind die Strukturen Ihrer Partei nach dem reihenweisen Verlust der Regierungsposition in den Ländern weithin zusammengebrochen, zuletzt mit bundesweit hörbaren Begleitgeräuschen in Rheinland-Pfalz. In den neuen Bundesländern bröckeln die Strukturen ebenfalls. Ihre Mitgliederzahlen gehen dort noch drastischer zurück als in den alten Bundesländern.

    (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Wieviel Mitglieder haben Sie denn?)

    — Entschuldigung, wir treffen uns: Sie kommen von oben herunter, und wir gehen von unten hinauf.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Ich sage Ihnen voraus: In etwa anderthalb Jahren sind wir beieinander. Dabei ist aber der, der hinaufgeht, in einer besseren Verfassung als der, der heruntergeht.

    (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Ach, warten Sie einmal ab!)

    In besonderem Maße wenden sich die Frauen und die jungen Menschen von Ihnen ab — sagt der Generalsekretär.
    Das ist kein Zwischentief, das ist kein Unwetter, das aus heiterem Himmel über Sie gekommen ist, sondern das ist — das hat Frau Süssmuth zuletzt, auch heute wieder, ausgeführt — ein Prozeß, der schon lange im
    Gange ist und dem Gesetz von Ursache und Wirkung folgt. — Schauen Sie doch nicht so grämlich!

    (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sprechen Sie doch einmal von den Sozis! — Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Schöne Grüße von Frau Fuchs!)

    — Hat es sich endlich herumgesprochen? Ich finde es großartig, daß Sie jetzt auch Werbung für die Buchproduktion machen. Ich schließe mich ausdrücklich an.
    Eine — und wohl die entscheidende — Ursache ist das Versagen in der Sache.

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Herr Vogel, gilt das auch für das Buch von Hans Apel über Sie?)

    — Was Sie alles für Bücher lesen, Herr Rühe. Haben Sie denn noch Zeit? Sie sollten sich mehr um die Partei kümmern und nicht immer Bücher lesen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Ich wiederhole: Eine — und wohl die entscheidende — Ursache ist das Versagen in vielen Sachfragen. Was ich hier als kritische Bilanz vorgetragen habe, gibt die Einschätzung und das Empfinden eines wachsenden Teils unseres Volkes wieder. Zu Recht schreibt das „Handelsblatt" — das Sie wohl nicht für eine sozialdemokratische Einrichtung halten — vor drei Tagen: Die Union hat in den Augen vieler Wähler ihre wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz verloren.

    (Zurufe von der SPD: Richtig!)

    Das bestätigen die Umfragen, und das bestätigen
    mehr und mehr — Sie, Herr Bundeskanzler? — Nein
    — Ihre eigenen Parteifreunde.
    Zwei weitere Ursachen kommen hinzu: Das ist die immer häufigere Mißachtung des Prinzips der Gerechtigkeit, und das ist — ich wiederhole es noch einmal — ein tiefgreifender Glaubwürdigkeitsverlust.
    Und ich muß da unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger auch in Schutz nehmen. Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger sind zu solidarischen Anstrengungen durchaus bereit. Ich will hier einmal hervorheben: Was die Städte und Gemeinden in den alten Bundesländern auf dem Wege von Partnerschaften und Patenschaften zusammen mit Städten und Gemeinden in den neuen Bundesländern bewegt und geleistet haben, ist aller Anerkennung und allen Respektes wert.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber die Menschen empören sich zu Recht, wenn breiten Schlichten zusätzliche Leistungen abgefordert werden, denen, die im Überfluß leben, zur gleichen Zeit aber noch hinzugegeben wird. Genau das geschieht doch immer wieder, z. B. bei der Erhebung der Ergänzungsabgabe auch von denen, die am untersten Rand der Steuerpflicht mit einem Monatseinkommen von 840 DM als Hilfsarbeiter in Leipzig leben. Mir wird keiner erklären können, daß es gerecht sei, je-



    Dr. Hans-Jochen Vogel
    manden mit diesem Einkommen zur Ergänzungsabgabe heranzuziehen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Zuruf von der CDU/CSU: Ein Hilfsarbeiter zahlt keinen Pfennig Steuer! — Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Der zahlt keinen Pfennig Steuer!)

    — Entschuldigung! Sie können mir glauben, daß ich solche Zahlen, bevor ich sie hier nenne, dreimal prüfen lasse. Sie sind dreimal geprüft. Mit 840 DM steuerpflichtigem Einkommen ist er dabei.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Mit 1 Mark 60!)

    — Da staunen Sie selber, daß das so ist! Und vor allem bei der von Ihnen mit einer erstaunlichen, einer besseren Sache würdigen, unglaublichen Hartnäckigkeit betriebenen Beseitigung der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer.
    Mit einigen in Ihrer eigenen Fraktion muß ich fragen: Genieren Sie sich eigentlich gar nicht,

    (Zuruf von der SPD: Nein, das können die gar nicht!)

    als sogenannte Volkspartei Großunternehmen und besonders wohlhabenden Eignern dieser Unternehmen Steuern in Milliardenhöhe gerade in dem Moment zu erlassen, in dem Sie die breiten Schichten mit zusätzlichen Steuern belasten? Das ist doch auch eine Frage des Zeitpunktes, der Kombination.

    (Beifall bei der SPD)

    Sagen Sie bitte nicht, daß käme dem Handwerk und dem Mittelstand zugute. Sie wissen so gut wie wir, daß die ganz überwiegende Mehrzahl der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der Handwerksbetriebe infolge der Freibeträge überhaupt keine Gewerbesteuer und überhaupt keine Vermögensteuer zahlt. Es ist doch eine Begünstigung der Großen und nicht der Mittleren und der Kleinen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Wenn Sie mir nicht glauben, dann fragen Sie doch die Zahlen beim Zentralverband des Deutschen Handwerks ab.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Von Arbeitsplätzen keine Ahnung!)

    Ein weiteres Beispiel ist die Zinsbesteuerung. Hier sind Sie von einem erstaunlichen Verständnis und einer erstaunlichen Rücksichtnahme bis hin zur Rückzahlungsamnestie für die, die ihre Steuern nicht bezahlen. Bei all dem, was ich höre, wird immer wieder bedacht, wie denn das auf diejenigen wirkt, die ihre Steuern hinterziehen. Wäre es nicht naheliegend, auch einmal an die zu denken, die ihre Steuern ehrlich zahlen? Es darf doch nicht wahr sein, daß die für dumm verkauft werden!

    (Beifall bei der SPD)

    Auch unser Widerstand gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer hat hier eine von mehreren Wurzeln. Denn diese Erhöhung der Mehrwertsteuer orientiert sich nicht an der Leistungsfähigkeit, sondern trifft trotz des Satzes von 7 % — das sind im wesentlichen nur Lebensmittel, aber Leute mit geringem Einkommen brauchen ja auch Kleidung und andere Gegenstände des täglichen Bedarfs; lesen Sie die Liste nach
    — auch die, die wegen ihres geringen Einkommens keine Lohn- und Einkommensteuer zu entrichten haben, also auch die Sozialhilfeempfänger, die Studenten, die Arbeitslosen und die Rentner.
    Das mag bequem sein — und vielleicht haben wir es in früherer Zeit auch als bequem empfunden; das will ich ja gar nicht bestreiten — , gerecht ist es nicht, und Gerechtigkeit ist nun einmal das Fundament jeglicher Politik, die mehr sein will als vordergründige Interessenbefriedigung und Augenblickslösung.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie mir das nicht glauben und wenn Sie wieder mit dem abgedroschenen Vorwurf antworten, wir schürten den Sozialneid,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Allerdings! Allerdings tun wir das!)

    dann lesen Sie es bei Oswald von Nell-Breuning nach, dem wir alle anläßlich seines Todes hohen Respekt erwiesen haben. Oswald von Nell-Breuning schrieb zuletzt im Jahre 1985 — wörtliches Zitat — :
    Das Maß der Besteuerung bestimmt sich nicht nach dem größeren oder geringeren Nutzen, den der einzelne vom Staat und seiner Tätigkeit gezogen hat, sondern nach seiner steuerlichen Leistungsfähigkeit, das heißt seiner größeren oder geringeren Fähigkeit, einen Teil der von allen gemeinsam zu tragenden Lasten auf seine Schultern zu nehmen.
    Es ist schon ein bedeutender Vorgang, daß nicht die CDU, sondern daß wir uns auf die katholische Soziallehre von diesem großen Mann berufen.

    (Beifall bei der SPD — Volker Rühe [CDU/ CSU]: Das ist doch lächerlich! — Zuruf von der CDU/CSU: Immer dann, wenn es Ihnen paßt!)

    — Ich bitte Sie! Das ist Ihnen doch nicht neu; das hat Ihnen doch auch Herr Geißler in Ihrer eigenen Fraktionssitzung gesagt.

    (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Waren Sie da? — Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Waren Sie Zaungast?)

    — Wir brauchen doch nur immer das zu lesen, was Herr Feldmeyer schreibt. Sie haben doch ein paar Protokollanten. Damit sind wir doch genau im Bilde. Man muß bloß die „FAZ" abonnieren; da steht das immer ziemlich genau drin.
    Ebenso schwer wiegt, daß Ihnen die Menschen nicht mehr ohne weiteres vertrauen, daß sie Ihnen nicht mehr ohne weiteres glauben, daß sie das tun werden, was Sie zuvor versprochen haben. Täuschen Sie sich nicht: Da wirkt noch immer — das ergeben auch Ihre Diskussionen; Wilhelm, Töpfer, andere sagen es auf Ihren Parteitagen — die, ich sage es ganz milde, Nichteinhaltung des Wahlversprechens nach, die Steuern nicht zu erhöhen. Aber das ist nicht der einzige Fall.
    Sie sind gerade dabei, ein weiteres Versprechen in Frage zu stellen, nämlich das gegenüber den Berg-



    Dr. Hans-Jochen Vogel
    leuten, denen Sie — entgegen den Ergebnissen der Kohlerunden 1987 und 1989 — die Kokskohle-Beihilfe um 1,1 Milliarde DM kürzen wollen. Das bedeutet, daß in den Kohlerevieren weitere Arbeitsplätze in beträchtlicher Zahl verlorengehen.
    Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie zu bedenken, was Sie auf vielen Kongressen der IGBE, der Gewerkschaft der Bergarbeiter, gesagt haben. Ich bitte Sie zu bedenken, was die Bergarbeiter und die Bergbauregionen in den Jahren des Aufbaus — als wir gefroren haben und für jede Tonne Kohle dankbar waren — an solidarischer Anstrengung unternommen haben. Die Solidarität von damals muß heute ihre Antwort finden, indem wir solidarisch sind.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste])

    Außerdem: Die Gewerkschaft und den Bereich kann man suchen, der bei einem Abbau von 600 000 auf etwa 160 000 oder 170 000 Arbeitsplätzen innerhalb von 20 Jahren mitgeholfen hat.
    Ich vermute, daß Sie jetzt noch lebhafter werden; aber ich kann es Ihnen nicht ersparen:

    (Ernst Hinsken [CDU/CSU] : Hellseher!)

    Die Glaubwürdigkeit Ihrer Politik, der Politik der Union, ist auch durch all das schwer erschüttert, was jetzt hinsichtlich der Aktivitäten und Kontakte des Herrn Schalck ans Tageslicht kommt. Ich mache niemand zum Vorwurf, daß er mit dem genannten Herrn oder anderen Repräsentanten der seinerzeitigen DDR gesprochen und verhandelt hat. Das war notwendig, und das haben auch wir getan. Ich werde jeden in jeder Partei in Schutz nehmen, der jetzt angegriffen wird, weil er gesprochen und verhandelt hat, weil er — hier nenne ich Herbert Wehner, der dies als einer der ersten getan hat — auch Tausenden von Menschen zur ersehnten Freiheit verholfen hat. Ich werde deswegen keinen angreifen.

    (Beifall bei der SPD — Karl Lamers [CDU/ CSU] : Gilt das auch für Franz Josef Strauß?)

    Aber es verstärkt sich doch von Tag zu Tag der Verdacht, daß im Dreieck der Herren Strauß, März und Schalck kommerzielle und politische Interessen in eine enge Berührung gerieten,

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ein Vorwurf ist schäbig!)

    daß aus diesem Dreieck internes Regierungswissen kontinuierlich und auf kürzestem Weg an die damaligen Machthaber der DDR gelangt ist. Es verstärkt sich auch der Verdacht, daß Herr Strauß in diesem Zusammenhang als — um den von der, Herrn Strauß gegenüber gewiß nicht voreingenommenen, „FAZ" empfohlenen Begriff zu verwenden — „Informationsquelle" diente, wobei ich jetzt hinzusetze: als reichlich sprudelnde Informationsquelle.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist Verleumdung!)

    — Aha, die „FAZ" verleumdet also. Das ist interessant. Ich bin in meiner Wortwahl sehr korrekt.

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Was sagen Sie denn? — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Passen Sie einmal auf! Es kommt noch besser. Als vorsichtiger Mann rede ich von Verdacht, obwohl der Ihnen — genauso wie mir — bekannte Herr Strauß junior gestern öffentlich, in der „Süddeutschen Zeitung" nachlesbar, bestätigt hat, es sei ziemlich alles authentisch, was in den bisher bekannt gewordenen Vermerken stehe.

    (Norbert Gansel [SPD]: Hört! Hört!)

    Da kann ich nur sagen: Hört! Hört! Und da sagt der Kollege: „Verleumdung".

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Daraus machen Sie eine Verleumdung!)

    Also: Was Herr Strauß junior sagt, werde ich doch in Gottes Namen von diesem Pult aus auch sagen dürfen!

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU)

    — Was ist da?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dann zitieren Sie bitte Strauß junior ganz in dem Bericht!)

    — Jawohl. Ich komme noch darauf zu sprechen. Da ist nämlich noch eine viel interessantere Stelle. Die lese ich Ihnen dann gern auch in vollem Wortlaut vor, aber erst dann, wenn ich Sie noch durch weitere Mitteilungen erfreut habe.
    Ich greife der abschließenden Würdigung dessen, was da geschehen ist, nicht vor.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Aber ich habe auch nicht vergessen, mit welcher Schärfe Herr Strauß — das sage ich auch in Kenntnis der Tatsache, daß es sich um einen Toten handelt — uns Sozialdemokraten immer wieder angegriffen hat, weil wir im Zuge der Ost- und Deutschlandpolitik das intensive Gespräch mit der DDR-Seite suchten und führten. Und

    (Zuruf von der CDU/CSU: Der SED!)

    das gerade in der Zeit, in der dieses Dreieck als Informationsabschöpfungsquelle aktiv war.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Ich verdränge auch nicht aus meinem Gedächtnis
    — da spreche ich auch den Justizminister an, weil er das im nachhinein sicherlich zu würdigen versteht —, daß andere wegen vergleichsweise harmloser Informationen nach geltendem Recht — ich erhebe keinen Vorwurf — wegen einmaligen Kontakts oder zweimaliger Kontakte zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt werden mußten.

    (Beifall bei der SPD — Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist unglaublich, was Sie machen! — Zuruf von der CDU/CSU: Was Sie hier bieten!)




    Dr. Hans-Jochen Vogel
    Wundern Sie sich wirklich darüber, daß unter dem Eindruck dessen, was da an immer neuen Einzelheiten auf den Tisch kommt, mehr Menschen als je zuvor Politik für ein doppelzüngiges und für ein wenig appetitliches Geschäft halten?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dazu tragen Sie bei! — Weitere Zurufe)

    — Das Wortgetöse, mit dem Sie darauf reagieren, verrät in erster Linie Nervosität.

    (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Überhaupt nicht! Wir sind entsetzt über Sie! Entsetzt!)

    Wir führen keine nachträgliche Kampagne gegen Herrn Strauß,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Was machen Sie denn sonst? — Das tun Sie doch!)

    vor der Sie ihn schützen müssen. Die Wahrheit ist: Herr Strauß wird von seinen eigenen Aktivitäten eingeholt, und seine Freunde hätten besser daran getan, ihn zu seinen Lebzeiten zu warnen und von solchen Aktivitäten abzuhalten,

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    insbesondere die, die sich in diesen Tagen öffentlich als Fachleute in Sachen Strauß erklärt haben.
    Außerdem: Der verheerende Eindruck ist durch die geradezu rührende Fürsorge — „Betreuung" darf man nicht sagen, so habe ich gelernt — , die Herrn Schalck nach seiner Flucht aus der damals noch existierenden DDR — ich bin jetzt vorsichtig —

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    unter den Augen des Bundeskanzleramts zuteil wurde,

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    durch die unwahre Antwort, die das Bundeskanzleramt auf die Fragen unseres Kollegen Conradi gegeben hat, und durch die Widersprüche, in die man sich zunehmend verstrickt, nachdem jetzt auch Herr Wieck aus seiner Reserve heraustritt und seinen Beitrag leistet, noch verstärkt worden.

    (Zuruf von der SPD: Rücktritt!)

    Schließlich hat Herr Strauß junior, der sich bekanntlich rühmt, die Verbindung zwischen Schalck und dem BND hergestellt zu haben, geäußert — jetzt kommen die Zitate —, Herr Schalck — so wörtlich! — sei ein Opfer der gesamten linken Mafia geworden. — Dann gehört auch der Herr Stoiber dazu — nicht? —, der ihn des Landes verweisen wollte! Dann gehört der auch schon zur linken Mafia!

    (Lachen bei der SPD)

    Alle stehen links von Dregger, und alle gehören schon zur linken Mafia.

    (Beifall bei der SPD)

    Dann sagt Herr Strauß junior — darf man doch zitieren, nicht? — , wörtlich, man müsse den Mut von Herrn Schalck bewundern. — Das ist ein bemerkenswerter Sachbeitrag.
    Auch verdient Aufmerksamkeit, daß er die CSU- Führung, und zwar namentlich die Herren Waigel und Streibl, kritisiert und ihr vorwirft — —

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Nicht namentlich!)

    — Aber bitte sehr! Hier steht es doch! Da sind die angesprochen auf den Vermerk, wo Sie im „Schwarzwälder" und so — —

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Auch nicht im „Schwarzwälder" ! )

    — Wo war es denn dann? In München!

    (Weiterer Zuruf des Bundesministers Dr. Theodor Waigel)

    — Na gut. Wenn sich der Widerspruch darauf beschränkt, daß ich sage, es sei im „Schwarzwälder" gewesen, und Herr Waigel sagt, es sei in einem anderen Münchner Lokal gewesen, in dem man gut speist
    — okay; dann sind wir dicht beieinander.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    — Weil Sie mich auffordern, lese ich es Ihnen wörtlich vor. Auf Ihre Äußerung, Sie wollten mit März nichts mehr zu tun haben und es sollte künftig über andere Stellen gehen:
    Das haben wir nach dem Tod meines Vaters öfters gehört; das ist Bestandteil dieses Kleinkriegs, der in unwürdigen Dimensionen läuft.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Wo steht denn „Waigel" ?)

    — Dann lese ich noch mehr vor. Daß sich dies immer mehr verbreitet, verdanke ich Ihrer Mithilfe.
    Zu den von Schalck-Golodkowski nach einem Gespräch am 13. Februar 1989 mit dem neuen Vorsitzenden Waigel und dem bayerischen Ministerpräsidenten Streibl notierten abfälligen Bemerkungen der beiden Politiker über Strauß und seine wirtschaftlichen Verflechtungen mit März, die nicht ihre Billigung gefunden hätten, äußert sich Max Strauß verärgert: „Das haben wir nach dem Tod meines Vaters öfters gehört; das ist Bestandteil dieses Kleinkriegs, der in unwürdigen Dimensionen verläuft."
    Ist jetzt die Beziehung zu Ihnen genügend hergestellt? —
    Er kritisiert gleichzeitig die Taktik, die die CSU- Führung in der Sache anwendet. Jetzt wieder wörtlich:
    Diese Taktik sei, gelinde gesagt, äußerst kompliziert. Sie können nicht sagen,
    — das sagt er Ihnen —
    der lichtvolle Strauß hat den lichtvollen Milliardenkredit unter lichtvollen Umständen mit dem größten Verbrecher, Schieber und Dreckschwein aller Zeiten gemacht. Das geht nicht.
    Dies sagte Strauß junior.
    Ich kann nur sagen: Das entbehrt nicht einer gewissen Logik. Wo jemand recht hat, hat er recht.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Hans-Jochen Vogel
    Es fragt sich nur, meine Herren — das ist aber nicht meine Sorge —, wo Sie die Korrekturen in dem, was er als unvereinbar erklärt, ansetzen müssen.
    Der „Bonner General-Anzeiger" — auch kein sozialdemokratisches Kampfblatt — schrieb dazu vor wenigen Tagen

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — nein, der General-Anzeiger; das ist völlig in Ordnung —:
    Watergate läßt jedenfalls schon jetzt schön grüßen.

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    — Das schreibt der „Bonner General-Anzeiger" . Ich werde ja zitieren dürfen.
    Ich fürchte, Herr Bundeskanzler, wenn hier nicht restlose Klarheit geschaffen wird und wenn weiter verzögert und verdeckt wird solange, bis es nicht mehr anders geht, dann könnte es nicht bei dem Gruß bleiben, von dem hier die Rede ist.
    Wir freuen uns nicht über die Krise, in der Sie sich befinden; wir waren selber in Krisen. Wir wissen schon jetzt, daß Ihre Krise, weil es die Krise der stärksten Regierungspartei ist, unser Gemeinwesen insgesamt in Mitleidenschaft zieht. Daß die Politikverdrossenheit ganz allgemein steigt, kann jeder an den sinkenden Prozentsätzen der Wahlbeteiligung ablesen. Wir wollen nicht, daß aus Ihrer Krise eine Krise unseres Gemeinwesens wird. Gerade in Zeiten wie dieser wäre das besonders schädlich und gefährlich.
    Wir wollen, daß sich die Dinge zum Besseren wenden, daß die Menschen in die Politik wieder Vertrauen fassen, daß das Gewicht der größergewordenen Bundesrepublik in Europa und in der Welt im Sinne einer friedlichen und demokratischen und sozialen Entwicklung zum Tragen kommt. Europa und die Welt hat auf diesen deutschen Beitrag auch im Hinblick auf dunkle Kapitel unserer Geschichte einen Anspruch. Daran wird sich unsere Arbeit als Opposition orientieren, in dem Bewußtsein, daß Ihre Schwäche unsere Verantwortung erhöht und daß diese Verantwortung die jederzeitige Bereitschaft einschließt, die Regierungsmacht zu übernehmen, die Ihnen immer rascher entgleitet.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)