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    Plenarprotokoll 12/37 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 37. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage und Entwicklung in der Sowjetunion und Jugoslawien Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3015 B Björn Engholm, Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein 3020 A Dr. Alfred Dregger CDU/CSU 3025 D Dr. Hermann Otto Solms FDP 3031 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3035 C Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 3038 C Ortwin Lowack fraktionslos 3041 D Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 3043 A Hans Koschnick SPD (Erklärung nach § 30 GO) 3046 D Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der a) ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/1000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 (Drucksache 12/1001) Dr. Hans-Jochen Vogel SPD 3047 C Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 3057 B Dr. Burkhard Hirsch FDP 3058C, 3100B, 3104 C Dr. Otto Graf Lambsdorff FDP 3062 C Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 3068 D Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 3070 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 3072 B Peter Conradi SPD 3082 B Dr. Lutz G. Stavenhagen CDU/CSU . . 3082 C Christel Hanewinckel SPD 3082 D Dr. Burkhard Hirsch FDP 3085 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI 3086A Dr. Willfried Penner SPD 3087 A Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 3089D, 3106A Dr. Sigrid Hoth FDP 3089 D Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 3091 D Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU . . 3092 B Dr. Paul Laufs CDU/CSU 3093 A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 3095 B Dr. Willfried Penner SPD 3097 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . 3102A Karl Deres CDU/CSU 3104A Dr. Hans de With SPD 3108 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 3109A Dr. Conrad Schroeder (Freiburg) CDU/CSU 3110D Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD . . . 3112D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 3115D Nächste Sitzung 3117D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3119* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 — Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 — (Michael von Schmude CDU/CSU) . . . . 3119* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 3015 37. Sitzung Bonn, den 4. September 1991 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 04. 09. 91 Blunck, Lieselott SPD 04. 09. 91 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 04. 09. 91 * Erler, Gernot SPD 04. 09. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 04. 09. 91 * Francke (Hamburg), CDU/CSU 04. 09. 91 Klaus Hilsberg, Stephan SPD 04. 09. 91 Koltzsch, Rolf SPD 04. 09. 91 Dr.-Ing. Laermann, FDP 04. 09. 91 Karl-Hans Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 04. 09. 91 Marten, Günter CDU/CSU 04. 09. 91 * Michels, Meinolf CDU/CSU 04. 09. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 04. 09. 91 Müller (Düsseldorf), SPD 04. 09. 91 Michael Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 04. 09. 91 Pfuhl, Albert SPD 04. 09. 91 * Rempe, Walter SPD 04. 09. 91 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 04. 09. 91 Ingrid Dr. Scheer, Hermann SPD 04. 09. 91 * Schmidt-Zadel, Regina SPD 04. 09. 91 Sielaff, Horst SPD 04. 09. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 04. 09. 91 * Dr. Sperling, Dietrich SPD 04. 09. 91 Dr. Sprung, Rudolf CDU/CSU 04. 09. 91 * Verheugen, Günter SPD 04. 09. 91 Vosen, Josef SPD 04. 09. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 04. 09. 91 Gert Welt, Hans-Joachim SPD 04. 09. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 04.09.91 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 04. 09. 91 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 - Haushaltsgesetz und Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995 - Michael von Schmude (CDU/CSU): Diese erste Lesung des Haushalts 1992 gibt uns willkommenen Anlaß zu einer Bestandsaufnahme, nämlich: wie weit sind wir beim Aufbau des freiheitlichen Rechtsstaates in den neuen Bundesländern vorangekommen, wo stehen wir, was muß noch getan werden? Anlagen zum Stenographischen Bericht Uns ist allen bewußt, daß die Glaubwürdigkeit der Justiz und das damit verbundene Vertrauen in den Rechtsstaat unabdingbare Voraussetzung für das Zusammenwachsen der Deutschen in Ost und West sind. Die Verwirklichung der Einheit auf dem Gebiet des Rechts ist eine Mammutaufgabe und braucht demzufolge auch Zeit. Dennoch gehöre auch ich zu jenen, die ungeduldig sind, und in der Tat könnte und müßte das eine oder andere zügiger verwirklicht werden. Das Justizwesen der früheren DDR war Werkzeug des Unterdrückerstaates und muß deshalb mehr als jede andere Verwaltung auch personell von Grund auf erneuert werden. Das bedeutet, daß Richter und Staatsanwälte nur in einem geringen Umfang übernommen werden können. Um eine Richterdichte wie in den alten Bundesländern herzustellen, benötigen wir etwa 4 500 Richter, 1 000 Staatsanwälte und 2 000 Rechtspfleger. Letztere waren in der früheren DDR überhaupt nicht vorhanden. Die Überprüfung der Richter und Staatsanwälte, die bereits in der ehemaligen DDR tätig waren, wird intensiv betrieben (von 2 600 = 1990 sind jetzt noch 1 300 im Amt). Unabhängig davon sollten jene Juristen, die sich schuldig gemacht haben, nicht erst auf das Ergebnis ihrer Überprüfung warten, sondern durch freiwilliges Ausscheiden ein Zeichen der Einsicht und damit einen Beitrag zum Neubeginn leisten. Gleiches gilt auch für diejenigen Juristen, die sich noch kurz vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 als Rechtsanwälte niedergelassen haben, obwohl sie auf Grund ihrer Vergangenheit dieses besser hätten unterbleiben lassen sollen. Überprüfungen sind notwendig, wobei erforderlichenfalls die bisherigen gesetzlichen Grundlagen ergänzt werden müssen. Auch hier gilt: Jeder Einzelfall muß auf die persönliche Verantwortung hin untersucht werden, Pauschalverurteilungen sind fehl am Platze. Unser 1991 beschlossenes dreijähriges Hilfsprogramm zum Aufbau des Rechtsstaates im Beitrittsgebiet sieht die Entsendung von insgesamt 2 300 Juristen und Rechtspflegern vor. Dabei handelt es sich um 1 000 Richter und Staatsanwälte, von denen bis Ende Juni etwa die Hälfte abgeordnet waren. Die Länder haben erneut versprochen, die angestrebte Zahl per Ende dieses Jahres annähernd sicherzustellen. Ein größeres Defizit tut sich bei den Rechtspflegern auf. Zwischen Bund und Ländern war vereinbart, in diesem Jahr 500 Rechtspfleger abzuordnen. Per Ende August lag diese Zahl mit 211 weit zurück. Angesichts des großen Arbeitsanfalls bei den Grundbuchämtern - bekanntlich liegen über 1 Million Ansprüche auf Rückübertragung vor - ist dieser Zustand besonders bedauerlich. Am Geld kann es nicht liegen, denn im Rahmen des gesamten Hilfsprogramms von 120 Millionen sind für diesen Bereich der Abordnung allein 65,4 Millionen DM vorgesehen. Die neuen Bundesländer machen von dem finanziellen Hilfsangebot des Bundes zur Einstellung von bis zu 300 Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern regen Gebrauch. Hier sind kurzfristig bereits 200 Stellen besetzt worden. 3120* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. September 1991 Außerordentlich unbefriedigend und schleppend verläuft dagegen die Ausschöpfung unseres sog. Seniorenmodells. Hier waren Haushaltsmittel in Höhe von 17,5 Millionen DM im Haushalt 1991 vorgesehen zur Entsendung von 500 pensionierten Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern. Mehr als 100 Interessenten haben sich bei den Justizministern der alten Bundesländer beworben und ganze drei sind inzwischen erst tätig: ein Richter in Sachsen und jeweils ein Richter und ein Rechtspfleger in Thüringen. Diesem Mißstand muß durch den Bundesjustizminister dringend nachgegangen werden. Sollten die alten Bundesländer mit dieser Aufgabe der Bewerberauswahl überfordert sein, so wäre dringend eine Übertragung auf ein anderes Gremium erforderlich. Insgesamt bleibt ohnehin festzuhalten, daß einige Bundesländer sehr vorbildlich den Aufbau des Rechtsstaates in den neuen Bundesländern unterstützen, andere hingegen, oft entgegen großer Ankündigungen, nur sehr halbherzig. Ein negatives Beispiel ist dafür leider auch Herr Engholm, der 1990 ganze vier Richter nach Mecklenburg-Vorpommern abgeordnet hat und die ohnehin knappen Ressourcen an Richtern durch die parteipolitisch motivierte Entscheidung zur Einrichtung eines neuen Oberverwaltungsgerichts weiter einengt. So sehen manche Solidarbeiträge aus! Die Vereinbarung des Bundesjustizministers mit seinen Länderkollegen zur Entsendung von 60 Staatsanwälten zur Aufdeckung der Regierungskriminalität in der früheren DDR ist von den Ländern bisher erst mit 10 Juristen teilerfüllt worden. Natürlich ist kein Schleswig-Holstein dabei. Zur Aufarbeitung der früheren SED-Diktatur hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Bereinigung von SED-Unrecht vorgelegt. Damit sollen die Aufhebung von Unrechts-Urteilen und die Entschädigungsregulierung beschleunigt werden. Wir müssen an diesen Komplex mit einem besonderen Augenmaß herangehen: In den mehr als 20 000 anstehenden Rehabilitierungsverfahren stecken erschütternde Einzelschicksale. Den Betroffenen muß Gerechtigkeit widerfahren. Allerdings müssen wir auch die Grenzen unserer Möglichkeiten erkennen, die einfach darin bestehen, daß geschehenes Unrecht weder finanziell noch sonst voll ausgeglichen werden kann. Bei den Finanzen ist zu berücksichtigen, daß dieses Gesetz mit etwa 1,5 Milliarden DM Kosten an die Grenzen unserer Möglichkeit heranführt. Mit einem noch zu beratenden Gesetz über die sogenannte Verwaltungsrehabilitation müssen Willkürakte der DDR-Organe im Verwaltungsbereich aufgearbeitet werden. Hier muß eine Möglichkeit geschaffen werden, auch abgeschlossene Verfahren wieder aufzugreifen. Besonders gilt dies hinsichtlich der sogenannten Zwangsumsiedlungen. So wurden u. a. im ehemaligen Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze — auch direkt angrenzend an meinen Wahlkreis in Mecklenburg — Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und ihr Hab und Gut gegen ein Trinkgeld dem Staat zu übereignen. Für die Vergangenheitsbewältigung des SED-Schnüffler- und Spitzelstaates brauchen wir weitere juristische Grundlagen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ermöglicht uns entsprechende Informationen im Interesse betroffener Opfer. In Verbindung mit der Erfassungsstelle Salzgitter kann dann hoffentlich ein Großteil politisch motivierter Straftaten aus der DDR-Zeit verfolgt und gesühnt werden. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, daß einige SPD-regierte Bundesländer einen Läuterungsprozeß durchlaufen haben und sich wieder an den Kosten der Erfassungsstelle Salzgitter beteiligen. Es war schon beschämend, wie man hier in der Vergangenheit aus einer Gefälligkeitspolitik heraus sich aus der politischen Verantwortung davongestohlen hat. Ein ganz besonders negatives Beispiel gibt wiederum die schleswig-holsteinische Landesregierung unter Ministerpräsident Engholm, die sofort nach der Regierungsübernahme 1987 ihren Anteil von nur 10 000 DM verweigerte. Der bisherige Aufbau der rechtsstaatlichen Justiz im Osten Deutschlands verdient Dank und Respekt vor allem gegenüber den neuen Bundesländern, denn der Alltag zeigt, daß inzwischen auch hier und da bereits Rückstände bei Gerichten und Grundbuchämtern abgearbeitet werden können. Allen Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums möchte ich an dieser Stelle ebenfalls meinen Dank für die von ihnen geleistete vorbildliche Arbeit sagen.
Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe gleich den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage und Entwicklung in der Sowjetunion und Jugoslawien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache zur Regierungserklärung bis gegen 13 Uhr dauern. — Ich sehe keinen Widerspruch. Sie sind damit einverstanden.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die parlamentarischen Beratungen in dieser Woche fallen in eine Zeit außergewöhnlicher — ja historischer — Ereignisse. Wir stehen gemeinsam vor Herausforderungen in der internationalen Politik, die sich auch auf unser Land ganz unmittelbar auswirken.
    Führen wir uns doch noch einmal die dramatischen Ereignisse in der Sowjetunion vor zwei Wochen vor Augen.
    Am 21. August haben die Bürger von Moskau, Leningrad und anderen Städten der Sowjetunion einen großen Sieg für Demokratie, für Freiheit und Recht errungen. Ihr entschlossener Widerstand ließ den Putsch scheitern.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Meine Damen und Herren, dies geschah auf den Tag genau 23 Jahre, nachdem die Freiheit in Prag von Panzern niedergewalzt worden war. So ist dieser 21. August 1991 auch ein später Triumph für die Menschen, die sich damals den Panzern entgegengestellt haben.
    Ich bin sicher, der Sieg der demokratischen Idee in der Sowjetunion wird später in den Geschichtsbüchern als „August-Revolution'' gewürdigt werden.
    Damit ist in der Sowjetunion nicht nur Stalin überwunden, sondern seit dem 21. August auch die Staatsdoktrin von Marx und Lenin. Mit dem Sturz des Denkmals von Felix Dserschinski endet hoffentlich auch endgültig der allgegenwärtige Terror des KGB.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Welches Ereignis könnte uns diesen historischen Umbruch deutlicher vor Augen führen als der rapide Niedergang der KPdSU? Es ist eine Epoche zu Ende gegangen!
    Die Menschen in Moskau, Leningrad — dem alten und neuen Sankt Petersburg — und in vielen anderen Städten und Regionen der Sowjetunion verdienen unsere Hochachtung für Mut und Standfestigkeit.
    Wir haben besonders zu danken und unseren Respekt zu bezeugen dem Präsidenten der Russischen Republik, Boris Jelzin.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD, dem Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Ohne dessen Mut und ohne dessen Engagement wäre dieser Putsch kaum so schnell gescheitert.
    Die einhellige Verurteilung des Putsches durch die freiheitlichen Demokratien des Westens hat sicherlich wesentlich dazu beigetragen, dem Widerstand den Rücken zu stärken und damit die Putschisten zur Aufgabe zu zwingen.
    Präsident Jelzin hat mir in einem Telefongespräch am 21. August für die Unterstützung gedankt und darauf hingewiesen, daß die Unterstützung der freien Welt ihm sehr viel geholfen habe. Er hat, wie Sie wissen, meine Einladung zum Besuch nach Deutschland angenommen, und ich hoffe, daß es schon in sehr kurzer Zeit gelingt, einen Termin zu vereinbaren, denn seine enorme Arbeitsbelastung zu Hause schränkt seine Terminmöglichkeiten verständlicherweise ein.
    Ich glaube, wir alle sind uns einig: Es war ein großer und bewegender Augenblick, als Michail Gorbatschow und seine Familie am 22. August nach Moskau zurückkehren konnten. Für mich persönlich war es eine besondere Freude, ihn wohlbehalten zu sehen, denn ich habe mich in diesen für ihn ganz besonders schweren Tagen vor allem daran erinnert, wie sehr wir, die Deutschen, ihm zu Dank verpflichtet sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD, dem Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)




    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Ich füge hinzu, daß ich mit einem erheblichen Mißbehagen in diesen Tagen manches vorschnelle Urteil über diesen Mann zur Kenntnis genommen habe. Ich finde, man soll hier auf das Urteil der Geschichte vertrauen, und das wird anders aussehen als mancher dieser Kommentare.
    Wir wünschen all denen, die in der Sowjetunion und den Republiken Verantwortung tragen, Erfolg bei den großen Anstrengungen, die Union zusammenzuhalten, um diese gemeinsam als Verbund selbständiger Republiken zu erneuern.
    Der Erfolg der freiheitlich-demokratischen Bewegung hat trotz vieler jetzt noch offener Fragen die Chance vergrößert, daß die grundlegenden Reformen nun tatsächlich verwirklicht werden. Die Weichen sind in Richtung auf eine umfassende demokratische Erneuerung gestellt. Damit ist auch das Bekenntnis der Charta von Paris vom November 1990 zur Demokratie als einziger Regierungsform der Nationen Europas eindrucksvoll bestätigt worden. Diese Charta muß Richtschnur europäischer Politik sein, einer Politik des friedlichen Ausgleichs, der Freiheit und der Menschenrechte.
    Auch in den drei baltischen Republiken haben wir in diesen Tagen historische Veränderungen erlebt. Die auf Grund des Hitler-Stalin-Pakts zwangsannektierten baltischen Republiken gewinnen ihre Freiheit und Selbständigkeit zurück. Estland, Lettland und Litauen sind gemäß dem erklärten Willen ihrer Völker nunmehr wieder unabhängig.
    Es war für mich — und ich denke, für uns alle — ein bewegender Augenblick, als die drei Außenminister der baltischen Republiken am 28. August zusammen mit dem Bundesaußenminister die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen hier in Bonn durch ihre Unterschrift besiegelten.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Es wird nunmehr darauf ankommen, daß in den Verhandlungen zwischen Tallin, Riga, Wilna und Moskau die noch offenen Fragen bald gelöst werden. Wir, die Bundesrepublik Deutschland und unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft, wollen mit der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen an eine Zeit des friedlichen Miteinanders anknüpfen. Insbesondere wir Deutschen können auf eine seit der Zeit der Hanse gewachsene Tradition des friedlichen Handels im Ostseeraum zurückblicken, und wir wollen mit reger kultureller Zusammenarbeit an einen in Jahrhunderten gewachsenen geistigen Austausch anknüpfen. Ein wichtiges Forum sollte und muß dabei auch der Europarat sein.
    Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Partner in der Europäischen Gemeinschaft sollten mit den baltischen Staaten, wenn diese das wünschen, möglichst bald Verhandlungen über Assoziierungsverträge aufnehmen. Wir wollen damit auch den unvermeidlichen Anpassungsprozeß an marktwirtschaftliche Verhältnisse nach besten Kräften erleichtern.
    Den drei baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen gelten auch heute von dieser Stelle aus
    auf ihrem schwierigen Weg unsere ganz besonders guten Wünsche und unsere Solidarität.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Meine Damen und Herren, wir können bei aller Freude und Genugtuung über diesen historischen Sieg von Freiheit und Demokratie in der Sowjetunion jetzt natürlich nicht zur Tagesordnung übergehen. Das sind wir vor allem auch jenen schuldig, die in diesen historischen Tagen dort ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben.
    Gefordert ist jetzt, daß der Westen gemeinsam, rasch und umfassend bei der demokratischen und marktwirtschaftlichen Zukunft der Sowjetunion und aller Reformstaaten hilft. Der Erfolg des großen Reformwerks in der Sowjetunion — wie auch in den Reformstaaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas — liegt in unserem gemeinsamen Interesse. Und auch in unserem eigenen Land sollte mehr als bisher begriffen werden, daß jede Entwicklung dort zu Frieden, Freiheit und rechtsstaatlicher Ordnung nicht zuletzt den Deutschen dient.
    Die Sowjetunion befindet sich jetzt in einem tiefgreifenden Prozeß der staatlichen Neuordnung. Dabei stehen Entscheidungen an, die die Völker der Sowjetunion allein treffen müssen — auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts, der Gleichberechtigung aller Völker sowie in voller Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte. Wir, die Deutschen, hoffen dabei auf fühlbare Verbesserungen auch für die Rußlanddeutschen. Wir sind unsererseits bereit, dazu beizutragen, ihre Lebensumstände zu erleichtern, damit sie für sich und ihre Kinder in der angestammten Heimat eine Zukunft sehen.
    Meine Damen und Herren, das jetzt dem Kongreß der Volksdeputierten von Präsident Gorbatschow und zehn Republikpräsidenten vorgelegte Programm zielt in Richtung einer neuen Einheit in Vielfalt. Der föderale Ansatz gibt den Bürgern eine bewährte Möglichkeit, am politischen Geschehen in ihrer Heimat teilzunehmen. Selbstverständlich wird es auch in Zukunft nötig sein, eine Reihe von Aufgaben einheitlich und gemeinsam zu erfüllen.
    Dazu gehört nicht zuletzt die Außen- und die Sicherheitspolitik. Die Streitkräfte müssen einheitlich geführt werden. Waffen, insbesondere Nuklearwaffen, müssen auch künftig einer zentralen Verfügungsgewalt unterstellt werden. Wir begrüßen ausdrücklich die Zusicherungen, die beim Besuch von Premierminister John Major in Moskau im Blick auf die Kontrolle über die Nuklearwaffen gerade gemacht wurden — Zusicherungen, die sowohl von Präsident Gorbatschow als auch von Präsident Jelzin gegeben wurden.
    Gleichfalls begrüßen wir, daß die Erklärung des Präsidenten der Sowjetunion und der zehn Republikpräsidenten die strikte Einhaltung aller internationalen Abkommen und Verpflichtungen vorsieht, die von der Sowjetunion abgeschlossen oder übernommen wurden, einschließlich der Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie — das ist auch für uns wichtig — der außenwirtschaftlichen Verpflichtungen. Wir gehen dabei davon aus, daß der Vertrag über den



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    befristeten Aufenthalt und den planmäßigen Abzug der sowjetischen Streitkräfte fristgerecht erfüllt wird. Ich will bei dieser Gelegenheit gerne sagen: Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, daß dies auch die klare Absicht der sowjetischen Führung ist.
    Meine Damen und Herren, wir haben gemäß der Zusage in der Regierungserklärung von 1982, den Frieden mit weniger Waffen zu verbürgen, gemeinsam mit unseren Verbündeten in den letzten Jahren großartige Erfolge in der Abrüstungspolitik erzielt. Für die Fortsetzung dieser Politik brauchen wir eine erneuerte Sowjetunion als Partner.
    Der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa schließt künftig raumgreifende Offensiven auf unserem Kontinent aus. Der Vertrag wird dem Deutschen Bundestag noch in diesem Herbst vorliegen.
    In den weiteren Verhandlungen wollen wir bis zum nächsten KSZE-Gipfel im Frühjahr 1992 eine Vereinbarung über die Begrenzung auch der Truppenstärken erreichen. Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, damit Massenvernichtungswaffen nicht noch weiter verbreitet werden und nicht in die Hände von verantwortungslosen Machthabern gelangen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/GRÜNE])

    Das heißt für uns ganz konkret, daß sich kein weiterer Staat den Besitz von Kernwaffen verschafft. Meine Damen und Herren, ich wünsche mir sehr, daß alle Staaten unserer Erde endlich dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen beitreten und sich den Kontrollen unterwerfen.
    Ebenso setzen wir uns mit aller Energie dafür ein, daß die chemischen Waffen endlich durch einen wirksamen Verbotsvertrag weltweit geächtet werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD, dem Bündnis 90/GRÜNE sowie des Abg. Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste])

    Im Rückblick auf manche Debatte hierzulande will ich noch einmal feststellen, daß ich ganz besonders froh darüber bin, daß sämtliche Chemiewaffen von deutschem Boden abgezogen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Auch im Bereich der nuklearen Abrüstung gab es eindrucksvolle Erfolge:
    Im Mai dieses Jahres wurden gemäß dem INF-Vertrag die letzten sowjetischen und amerikanischen Mittelstreckenflugkörper zerstört.
    Ende Juli haben die USA und die Sowjetunion den START-Vertrag über den Abbau ihrer strategischen Nuklearwaffen unterzeichnet. Wir alle haben dies gemeinsam begrüßt. Ich sehe im Erfolg bei START einen Ansporn für weitere Anstrengungen bei der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Ich will mich mit Nachdruck dafür einsetzen, daß amerikanischsowjetische Verhandlungen über landgestützte Nuklearsysteme kürzerer Reichweite bald zustande kommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und des Abg. Dr. Peter Struck [SPD])

    Mit einem Wort: Wir alle haben ein elementares Interesse an weiteren Fortschritten im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Durch die jetzt stattfindende staatliche Neugestaltung in der Sowjetunion können sich, so glaube ich, auch hier ganz neue Chancen ergeben, und wir sollten sie ergreifen.
    Ich würdige ausdrücklich den konstruktiven Beitrag, den die Sowjetunion in letzter Zeit gegenüber der Dritten Welt geleistet hat. Die Sowjetunion beteiligt sich inzwischen — oft gemeinsam mit dem Westen — aktiv an den Aufgaben der Friedenssicherung und der Wiederherstellung des Friedens in verschiedenen Regionen der Dritten Welt.
    In Afrika konnten auf diese Weise die Namibia- und die Angola-Frage friedlich gelöst, der Bürgerkrieg in Äthiopien beendet und die Friedenschancen für Mozambique verbessert werden.
    Im Nahen und im Mittleren Osten sind die USA in Abstimmung mit der Sowjetunion um friedliche Konfliktlösungen bemüht. Wir alle hoffen auf weitere Schritte zum Frieden in naher Zukunft in dieser so heimgesuchten Region.
    In Lateinamerika können linksradikale Bewegungen nicht mehr wie früher mit sowjetischer Waffenhilfe rechnen. Die letzte Bastion des Kommunismus in der westlichen Hemisphäre, Kuba, gerät immer mehr in ideologische Bedrängnis.
    Durch die konstruktive Mitarbeit der Sowjetunion im Sicherheitsrat hat nicht zuletzt die Friedensarbeit der Vereinten Nationen eine Stärkung erfahren.
    Meine Damen und Herren, was den Bereich der Wirtschaftspolitik angeht, so wissen wir aus der Erfahrung des Aufbaus der Europäischen Gemeinschaft, daß der Schlüssel zum Erfolg in der Schaffung eines großen und einheitlichen Wirtschafts- und Währungsraums liegt und nicht in Zersplitterung. Ein entsprechendes Programm, nach dem die Republiken eine Wirtschaftsunion mit dem Ziel der Zusammenarbeit im Rahmen eines einheitlichen, freien Wirtschaftsraums bilden sollen, wird derzeit im Kongreß der Volksdeputierten in Moskau diskutiert. Wir Deutschen können diese Entwicklung nur begrüßen.
    Die sich jetzt neu entwickelnde Union und die Republiken müssen nun ein in sich geschlossenes Wirtschaftsprogramm entwickeln und mit dessen Umsetzung beginnen. Nur so kann ein verläßlicher Rahmen für wirksames und zusätzliches westliches Engagement gesetzt werden. Ich kann nicht oft genug betonen, daß ich eine Wirtschaftshilfe an eine sich in voneinander abgeschottete Republiken auflösende Sowjetunion für wenig aussichtsreich hielte. Der Dialog des Westens mit der Sowjetunion und die möglichen Hilfen werden natürlich der neuen Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Republiken Rechnung tragen müssen. Wir wollen, daß Projekte vor Ort beschlossen und durchgeführt werden, damit die Hilfen den Menschen auch unmittelbar zugute kommen.



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Der diesjährige Weltwirtschaftsgipfel in London hat der Sowjetunion bereits das Tor zur Integration in die Weltwirtschaft geöffnet. In London begann ein Dialog zwischen den großen westlichen Industrienationen und der Sowjetunion. Der Westen muß jetzt — wir werden darauf drängen — die Vereinbarungen des Londoner Gipfels zügig umsetzen.
    Das gilt vor allem in den Bereichen, die für eine verstärkte technische und projektbezogene Zusammenarbeit besonders hervorgehoben worden waren wie z. B. im Energiesektor, im Transportwesen, in der Landwirtschaft und im Bereich der Sicherheit von Kernkraftwerken.
    Der britische Premierminister John Major hat gerade auch in seiner Eigenschaft als derzeitiger Vorsitzender der G 7 hierüber Anfang der Woche in Moskau mit Präsident Gorbatschow und Präsident Jelzin gesprochen. Er hat in Moskau die Zusage erhalten, daß dort schnellstens die Voraussetzungen für die Aufnahme dieser breiten Zusammenarbeit geschaffen werden.
    Wie Sie wissen, meine Damen und Herren, übernimmt die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar den Vorsitz in der G 7. Ich werde mich persönlich dafür einsetzen, daß der Dialog mit der Sowjetunion auch unter unserem Vorsitz alsbald zu ganz konkreten Ergebnissen führt.
    Bereits in allernächster Zeit, in diesem Monat noch, wird Bundesminister Theo Waigel nach Moskau fahren. In dieser Woche sind dort sein französischer und sein amerikanischer Amtskollege.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat bei den Hilfen für die Sowjetunion und die Reformstaaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas immer wieder auf eine faire internationale Lastenteilung gedrungen. Diese große Aufgabe kann nicht allein uns Deutschen oder allein den Europäern überlassen bleiben. Die Demokratisierung in den Reformstaaten und ihre wirtschaftliche Neuorientierung liegen im Interesse des ganzen Westens. Es gilt daher, vorhandene Ansätze zu gemeinsamen westlichen Hilfsmaßnahmen beschleunigt auszubauen. Ich denke, jedes Land — ich betone: jedes Land — muß dabei entsprechend seiner Leistungsfähigkeit einen fairen Anteil an dieser gemeinsamen Verantwortung tragen; denn es geht dabei um unsere gemeinsamen Chancen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Wir Deutschen sind schon bisher an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit gegangen. Wir haben den Reformprozeß seit 1989 mit über 90 Milliarden DM unterstützt, davon allein mehr als 60 Milliarden DM für die Sowjetunion. Wir leisten damit nach Angaben der EG-Kommission 56 % aller westlichen Hilfen an die Sowjetunion und 32 % der westlichen Hilfen an die Staaten Mittel- und Osteuropas. Gleichwohl — bei allen Schwierigkeiten im eigenen Land — werden wir uns auch in Zukunft an multilateralen Anstrengungen beteiligen.
    Bei alldem — dies will ich unterstreichen, meine Damen und Herren — kann es nur um Hilfe zur Selbsthilfe gehen. Deswegen ist es eben mit finanzieller Unterstützung von außen allein nicht getan. Aussicht auf durchgreifenden Erfolg haben wir nur, wenn wir eine neue umfassende Wirtschaftspartnerschaft in die Tat umsetzen, unsere Märkte für diese Staaten noch weiter öffnen und unsere östlichen und südöstlichen Nachbarstaaten bei der Neuordnung ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung intensiv mit Beratung und technischer Hilfe unterstützen.
    Eine erfolgreiche Umgestaltung der Sowjetunion als Ganzes sowie der einzelnen Republiken ist jedoch allein mit staatlich-administrativen Hilfen von außen nicht zu schaffen. Falls es notwendig werden sollte, werde ich mich in dem vor uns liegenden Winter genauso wie im letzten Jahr wieder für gezielte Lebensmittelhilfe und humanitäre Unterstützung für die Menschen in der Sowjetunion einsetzen. Die großen Hilfsaktionen, die unsere Bürger im letzten Jahr für die Sowjetunion geleistet haben, waren ein großartiges Zeichen der Mitmenschlichkeit und des persönlichen Engagements für die deutsch-sowjetische Verständigung.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ich will in diesem Zusammenhang jenen Familien besonders danken, die in diesen Sommerferien Kinder aus der Region Tschernobyl gastfreundlich bei uns in Deutschland aufgenommen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

    Meine Damen und Herren, ganz besondere Sorge bereitet uns in diesen Tagen der Konflikt in Jugoslawien. Uns allen stehen die Bilder vor Augen — Bilder von demonstrierenden Müttern in europäischen Hauptstädten, und aus Jugoslawien kommen Bilder des Schreckens und des Terrors auf die Fernsehschirme. Vor allem diejenigen in Deutschland, die noch eine persönliche Erinnerung an die Schrecken des Krieges haben, sind davon ganz besonders bewegt.
    Angesichts der massiven militärischen Einsätze der letzten Wochen und Tage — nach den jüngsten Berichten kann man vielleicht sogar sagen: und Stunden — geht es darum, daß sofort und uneingeschränkt auf jede Gewaltanwendung verzichtet wird. Dies gilt für die jugoslawische Volksarmee wie für alle anderen bewaffneten Verbände.
    Die Europäische Gemeinschaft hat auf der außerordentlichen Sitzung der Außenminister am 27. August erklärt — ich zitiere — :
    Die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten werden niemals eine Politik der vollendeten Tatsachen akzeptieren. Sie sind entschlossen, durch Gewalt herbeigeführte Grenzänderungen nicht anzuerkennen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Gestern haben sich die Außenminister der Gemeinschaft darauf geeinigt, bereits für den kommenden Samstag eine Friedenskonferenz nach Den Haag einzuberufen. An dieser Konferenz sollen alle Konfliktparteien in Jugoslawien zusammen mit den Gemeinschaftsländern teilnehmen. Ich begrüße es ganz be-



    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    sonders, daß mit Lord Carrington ein Mann als Koordinator vorgeschlagen wurde, dessen große internationale Erfahrung allseits geschätzt wird.
    Meine Damen und Herren, nunmehr sind auch die Voraussetzungen geschaffen, daß die europäische Beobachtermission die Einhaltung des Waffenstillstands auch in Kroatien überwachen kann. Ich will von dieser Stelle aus noch einmal alle Verantwortlichen in Jugoslawien aufrufen, der Mission ihre Tätigkeit zu erleichtern. Hinter den europäischen Friedensbemühungen stehen alle KSZE-Staaten.
    Dennoch, so glaube ich, ist es wichtig, daß wir in dieser Stunde noch einmal deutlich machen: Wer glaubt, jetzt immer noch auf Gewalt setzen zu können, muß mit einer entschiedenen Antwort aller Europäer rechnen.

    (Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Dies gilt auch und nicht zuletzt für die Bundesrepublik Deutschland, namentlich im Blick auf die daraus zu ziehenden Konsequenzen.
    Wenn Dialog, wenn friedliches Miteinander nicht mehr möglich sind, dann stellt sich für uns, auch und gerade aus unserem Verständnis von Selbstbestimmungsrecht, die Frage, diejenigen Republiken, die nicht mehr zu Jugoslawien gehören wollen, völkerrechtlich anzuerkennen.

    (Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Meine Damen und Herren, die Völkergemeinschaft und insbesondere die Europäer werden weiterhin für eine friedliche Lösung auf der Grundlage der KSZE- Dokumente und insbesondere der Charta von Paris für ein neues Europa arbeiten. Dabei gilt es, das Gleichgewicht aller Prinzipien zu wahren: Freiheit und Selbstbestimmung, Achtung von Menschen- und Minderheitenrechten, Unverletzlichkeit der Grenzen und nicht zuletzt Gewaltverzicht und Achtung der Rechte und Sicherheitsinteressen anderer.
    Am Anfang muß — ich kann es nicht oft genug wiederholen angesichts der Schreckensbilder, die wir täglich übermittelt bekommen — eine strikte Einhaltung des Waffenstillstands stehen. Die Bundesregierung wird alles in ihrer Macht Stehende tun, damit die uns in Freundschaft verbundenen Völker Jugoslawiens Aussicht auf eine Zukunft haben, die besser ist als die leiderfüllte Gegenwart.
    Meine Damen und Herren, seit dem KSZE-Gipfel im November 1990 und der Unterzeichnung der Charta von Paris für ein neues Europa wird die KSZE zu einem immer festeren Stützpfeiler für die gesamteuropäische Friedensordnung. Die erste Ratssitzung der Außenminister, die ich am 19. Juni in Berlin eröffnet habe, war dabei ein richtungweisender Anfang. Mit dem „Rat der Außenminister" und dem neugeschaffenen Krisenmechanismus sind Instrumente geschaffen worden, die die politische Handlungsfähigkeit der KSZE stärken.
    Zur gesamteuropäischen Friedensordnung gehört eine langfristig angelegte Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den Reformstaaten Mittel-, Ost- und
    Südosteuropas. Dies ist eine wichtige Investition in eine gemeinsame friedliche Zukunft, und gerade wir Deutsche profitieren davon. Jedes Land ist dabei gefordert, dazu seinen Beitrag zu leisten.
    Wir haben unser Verhältnis zur Republik Polen durch den Grenzvertrag und den Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit auf eine zukunftsgewandte Grundlage gestellt. Übermorgen werden wir in diesem Haus Gelegenheit haben, über diese Verträge und über die Perspektiven des deutsch-polnischen Verhältnisses zu debattieren.
    Wir stehen in Gesprächen und Verhandlungen mit der CSFR und kommen dabei voran. Wir hoffen, bald einen ähnlichen Vertrag abschließen zu können, der auch mit diesem Land gute Nachbarschaft im zusammenwachsenden Europa besiegelt. Auch mit Ungarn, Bulgarien und Rumänien haben wir Verhandlungen über umfassende Verträge aufgenommen.
    Zukunft hat in Europa und weltweit nur eine Politik, die vom Willen zum Frieden, zur Freiheit, zum Ausgleich und zur Zusammenarbeit bestimmt ist. Gerade in den Ereignissen der letzten Tage und Wochen ist erneut deutlich geworden: Freiheit und Selbstbestimmung sind stärker als Mauern und Panzer.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Die Erfahrung der Geschichte zeigt bis in unsere Tage hinein — und dies soll man in Belgrad nicht vergessen — , daß man einen Staat nicht mit Panzern zusammenhalten kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Gegen den Willen der Menschen läßt sich eine staatliche Ordnung, die auf Zwang und Unterdrückung setzt, nicht durchhalten. Andere europäische Völker, insbesondere unsere Nachbarn in Polen, Ungarn und der CSFR, haben diese Erfahrung neuer Freiheit mit uns geteilt.
    Von der Freiheitsbewegung in Europa können und müssen Hoffnung und Zuversicht für die Menschen und Völker in aller Welt ausgehen, die nach Freiheit streben.
    Das vereinte, das souveräne Deutschland steht jetzt in der Pflicht, alles daranzusetzen, gemeinsam die innere Einheit Deutschlands in Stabilität und Solidarität zu vollenden. Wir sind aufgefordert, die Einigung ganz Europas voranzubringen und in der Völkergemeinschaft die auf uns zukommende größere Verantwortung zu übernehmen. Wenn wir uns dieser Verantwortung stellen, leisten wir einen unerläßlichen Beitrag zu einer neuen Epoche, zu einem neuen Europa des Friedens, der Freiheit und der guten Nachbarschaft.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE)