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ID1202602100

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    Plenarprotokoll 12/26 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 26. Sitzung Bonn, Dienstag, den 4. Juni 1991 Inhalt: Gedenkworte für den durch ein Attentat ums Leben gekommenen früheren indischen Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi . 1841 A Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Müller (Wesseling) 1841B Ausscheiden des Abg. Lowack aus der Fraktion der CDU/CSU 1841B Überweisung eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung an verschiedene Ausschüsse 1841 C Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1991 (Haushaltsgesetz 1991) (Drucksachen 12/100, 12/494) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 12/501, 12/530) 1841D Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 12/502, 12/530) Helmut Esters SPD 1842 A Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU 1844 D Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste . . . 1847 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . . 1847 D Dr. Peter Struck SPD 1848 D Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 12/503, 12/530) 1849D Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (Drucksachen 12/511, 12/530) Rudolf Dreßler SPD 1850 A Hans-Gerd Strube CDU/CSU 1855 C Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste . . . 1858A Petra Bläss PDS/Linke Liste 1859 A Ina Albowitz FDP 1860 D Vera Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE 1863 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 1864 D Rudolf Dreßler SPD 1866 C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . 1868A Uta Würfel FDP 1868B Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit (Drucksachen 12/515, 12/530) Uta Titze SPD 1869B Uta Würfel FDP 1870 D Arnulf Kriedner CDU/CSU 1872 B Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 1873 B Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste 1874A, 1875 A Arnulf Kriedner CDU/CSU 1874 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . . 1875 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Juni 1991 Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin BMG 1876B Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 1876D, 1878 D Klaus Kirschner SPD 1877 B Einzelplan 17 Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend (Drucksachen 12/517, 12/530) Dr. Konstanze Wegner SPD 1879 B Susanne Jaffke CDU/CSU 1883 C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 1884 D Ina Albowitz FDP 1885 C Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 1886 C Einzelplan 18 Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Senioren (Drucksachen 12/518, 12/530) Ingrid Becker-Inglau SPD 1889 B Ina Albowitz FDP 1890 A Irmgard Karwatzki CDU/CSU 1892 D Ingrid Becker-Inglau SPD 1893 B Dr. Konstanze Wegner SPD 1893 C Margot von Renesse SPD 1895 A Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . . 1896 B Dr. Sigrid Hoth FDP 1897 B Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 1898C, 1901B Margot von Renesse SPD 1901 A Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz (Drucksachen 12/507, 12/530) in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksachen 12/519, 12/530) Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . 1901D, 1914 A Michael von Schmude CDU/CSU . . . . 1905 C Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 1907 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . . . 1908 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . . 1909 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ . . 1910B, 1914 C Dr. Hans de With SPD (zur GO) 1913 C Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 1913D Nächste Sitzung 1915 D Berichtigungen 1916 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1917* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Juni 1991 1841 26. Sitzung Bonn, den 4. Juni 1991 Beginn: 15.00 Uhr
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    1916 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Juni 1991 Berichtigungen 25. Sitzung (Nachtrag): Auf der ersten Seite ist bei „Anlage 3" zu lesen: „Endgültiges Ergebnis und Namenslisten der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/580". Auf Seite II ist bei „Anlage 10" zu lesen: „Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink FDP". Seite 1806, Anlage 3: In der zweiten Zeile der Überschrift ist statt „Änderungsantrag" „Entschließungsantrag" zu lesen. Auf Seite 1825 A ist bei dem Namen „Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink" statt „(SPD)" „(FDP)" zu lesen. Auf Seite 1839 D (Anlage 40) ist bei „Haushaltsausschuß" statt „Drucksache 11/360 Nummer 3.13, 2.13" zu lesen: „Drucksache 12/269 Nummer 2.12, 2.13". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 04.06.91 * * Blunck, Lieselott SPD 04.06.91* * Büchler (Hof), Hans SPD 04.06.91 * * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 04.06.91 * * Catenhusen, SPD 04.06.91 Wolf-Michael Diller, Karl SPD 04.06.91 Francke (Hamburg), CDU/CSU 04.06.91 Klaus Genscher, Hans Dietrich FDP 04.06.91 Haack (Extertal), SPD 04.06.91 Karl-Hermann Haschke CDU/CSU 04.06.91 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Hauchler, Ingomar SPD 04.06.91 Hauser CDU/CSU 04.06.91 (Rednitzhembach), Hansgeorg Kittelmann, Peter CDU/CSU 04.06.91 * * Klappert, Marianne SPD 04.06.91 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 04.06.91 Klaus W. Lummer, Heinrich CDU/CSU 04.06.91 * * Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 04.06.91 * * Erich Marten, Günter CDU/CSU 04.06.91 * * Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) SPD entschuldigt bis einschließlich Matschie, Christoph 04.06.91 Meckel, Markus SPD 04.06.91 Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 04.06.91 Dr. Meyer zu Bentrup, CDU/CSU 04.06.91 * * Reinhard Michels, Meinolf CDU/CSU 04.06.91 * * Dr. Müller, Günther CDU/CSU 04.06.91 * * Pfuhl, Albert SPD 04.06.91 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 04.06.91 * * Rau, Rolf CDU/CSU 04.06.91 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 04.06.91* Reimann, Manfred SPD 04.06.91* * von Schmude, Michael CDU/CSU 04.06.91 * * Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 04.06.91 Seesing, Heinrich CDU/CSU 04.06.91 Singer, Johannes SPD 04.06.91 Dr. Soell, Hartmut SPD 04.06.91 * * Stachowa, Angela PDS 04.06.91 Dr. Stavenhagen, Lutz G. CDU/CSU 04.06.91 Steiner, Heinz-Alfred SPD 04.06.91 * * Terborg, Margitta SPD 04.06.91 * * Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 04.06.91 Vogel (Ennepetal), CDU/CSU 04.06.91 * * Friedrich Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 04.06.91 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 04.06.91 Zierer, Benno CDU/CSU 04.06.91 * *' * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das in dieser Woche zur Verabschiedung anstehende Haushaltsgesetz für 1991 ist der erste Bundeshaushalt des vereinigten Deutschlands. Allein das macht ihn vom Rang her unvergleichbar; unvergleichbar mit allen seinen Vorgängern und auch unvergleichbar mit all jenen Haushalten, die ihm nachfolgen werden.
    Dieses Haushaltsgesetz müßte unseren Willen, unsere Entschlossenheit dokumentieren, der vollzogenen staatsrechtlichen Einheit nun die gesellschaftspolitische Vereinigung folgen zu lassen.
    Die soziale Einheit Deutschlands in Angriff zu nehmen ist nicht nur Aufgabe dieser oder jener Seite des Hauses, sondern gemeinsame Aufgabe der Mehrheit wie der Minderheit. Vor allem aber bei den verschiedenen Politikerfeldern, die dabei von Belang sind, kommt der Sozialpolitik überragende Bedeutung zu.
    Ich bedaure es, daß ich feststellen muß, daß die SPD-Bundestagsfraktion in dieser Wertung nicht die Unterstützung der Koalitionsfraktionen besitzt. Der Bundeshaushalt 1991, so wie die Koalitionsfraktionen ihn ausgestaltet haben, macht vielmehr deutlich, daß zwischen Regierung und Opposition grundlegende Auffassungsunterschiede über Gewicht und Rolle der Sozialpolitik im Konzert der verschiedenen Politikfelder bestehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sozialpolitik als aktive gesellschaftspolitische Gestaltung oder Sozialpolitik als Restgröße der anderen Politikfelder? Sozialpolitik als wirksames Mittel zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung, zur Beseitigung der Eindrittel-/Zweidrittelgesellschaft oder Sozialpolitik als Instrument zur Befriedung der Menschen mit den bestehenden Zuständen? Sozialpolitik als Fortentwicklung unserer Gesellschaft oder Sozialpolitik als ein sich Abfinden mit bestehenden Strukturen?
    Der Bundeshaushalt 1991 belegt: Die Regierung und die sie stützenden Fraktionen von CDU/CSU und
    FDP können sich bei diesen alternativen Entwürfen von Sozialpolitik nicht entscheiden, und wo sie es doch tun, entscheiden sie sich zuungunsten eines fortschrittlichen Verständnisses von Sozialpolitik.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1991 ist ein Dokument der Unentschlossenheit, ja der Ratlosigkeit. Er ist ungeeignet, das Ziel der sozialen Einheit Deutschlands zu erreichen. Hinzu kommt, er ist in weiten Teilen das Eingeständnis des Scheiterns der bisherigen Regierungspolitik.
    Man habe sich in der Einschätzung einer Reihe von wichtigen Fragen beim deutschen Vereinigungsprozeß geirrt, räumt mittlerweile selbst CDU-Generalsekretär Rühe ein. Meine Damen und Herren, das ist eher eine milde Umschreibung des regierungsamtlichen Versagens. Wahr hingegen ist: Diese Regierung hat um des Wahlsieges vom 2. Dezember willen schlicht dem Volk die Unwahrheit gesagt.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ Linke Liste)

    Noch eines: Wenn ich das Eingeständnis des CDUGeneralsekretärs, man habe sich geirrt, richtig deute, dann heißt dies doch wohl auch: Nicht nur die 40jährige SED-Bonzokratie ist für das sich abzeichnende Desaster in den ostdeutschen Ländern verantwortlich, sondern daneben tritt eine originäre Mitverantwortung dieser Bundesregierung wegen des öffentlich eingestandenen Irrtums.

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Das ist doch Blödsinn! Wir haben doch sofort korrigiert und ein Aufbauprogramm geschaffen!)

    Es ist richtig, daß die Umorientierung einer Zentralverwaltungswirtschaft auf marktwirtschaftliche Grundsätze zu erheblichen Anpassungsschwierigkeiten, ja zu einem Anpassungsschock führen mußte. Alles, was in der ökonomischen Wissenschaft Rang und Namen hat, hat dies prognostiziert. Nur, Regierung und Koalitionsfraktionen haben dies nicht ernst genommen. Denn was anderes als eine Bagatellisierung bedeutet es denn, wenn CDU/CSU und FDP meinen, diesen Anpassungsschock, diese fundamentalen Umstellungsprobleme mit blindem Vertrauen in die vermeintlichen Selbstheilungskräfte bewältigen zu können? Ihre Politik des Treibenlassens wurde der exemplarischen Herausforderung, die die deutsche Vereinigung bedeutet, nicht gerecht. Das können Sie übrigens selbst in Zeitungen wie der „Financial Times" oder dem „Wall Street Journal" nachlesen. Mit unserem Urteil über Ihre verhängnisvolle Politik, meine Damen und Herren, befinden wir Sozialdemokraten uns also in bester Gesellschaft.

    (Beifall bei der SPD)

    Vor allem aber die Menschen in diesem Lande, die Ihnen vor genau sechs Monaten, am 2. Dezember 1990, eindrucksvoll ihr Vertrauen gegeben haben,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!)

    merken es und fühlen sich getäuscht. Sie entziehen
    Ihnen ihr Vertrauen, wie es die Serie von katastrophalen Niederlagen der CDU bei Landtagswahlen deut-



    Rudolf Dreßler
    lich macht. Das Augenmaß bei der Herstellung der staatsrechtlichen Einheit Deutschlands will ich dieser Koalition nicht absprechen. Aber eines ist mittlerweile klar: Die Partei der sozialen Einheit Deutschlands, das sind wir, das ist die Sozialdemokratische Partei.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU und der FDP)

    Mehr und mehr scheint Ihnen in den letzten Jahrzehnten die früher hier doch gemeinsame Erkenntnis abhanden gekommen zu sein, daß unsere Wirtschaftsordnung nicht einfach die Marktwirtschaft, sondern die der Sozialen Marktwirtschaft ist.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) Der Markt allein hat keine soziale Dimension.


    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Warum schreiben Sie in Ihr Programm dann nicht den Begriff der Sozialen Marktwirtschaft?)

    — Die Politik muß sie ihm geben, Herr Rühe.

    (Beifall bei der SPD)

    Durch aktive wirtschafts- und sozialpolitische Gestaltung, durch einen vernünftigen gesellschaftspolitischen Rahmen kann das geschehen.
    Wo sind die Beiträge dieser Koalition dazu? Ich vermag sie nicht zu erkennen, auch nicht in diesem Haushalt.
    Das gilt erst recht in dieser einmaligen Situation, die unser Volk derzeit zu bewältigen hat. Die Regierungsparteien schieben das alles beiseite; ob aus ideologischer Verbohrtheit oder aus Unfähigkeit, mag jeder selber beantworten.
    Daß die Menschen in Deutschland Ihr Versagen ausbaden müssen, ist das eigentlich Schlimme. Daß in Ostdeutschland viele am Markt nicht wettbewerbsfähige Betriebe bestanden, haben alle gewußt, auch die Koalitionsfraktionen. Daß demzufolge wirkungsvolle Stützungs- und Umstellungshilfen zum Umbau erforderlich sein würden, war ebenfalls allgemein bekannt.
    Daß allerdings durch politische Fehler statt erfolgversprechender Umstrukturierung nunmehr der Verfall ganzer Industrieregionen in den ostdeutschen Bundesländern droht, fällt in die Verantwortung dieser Koalition. Ein politisches Versagen bei der Herstellung der wirtschaftlichen und sozialen Einheit Deutschlands gestehen CDU/CSU und FDP ja mittlerweile, wenn auch indirekt und unfreiwillig, selber ein: durch schrittweise Annäherung an sozialdemokratische Vorstellungen und deren teilweise Übernahme. Es ist ja kein Zufall, daß die ideologischen Hardliner in den Koalitionsparteien mit einigem Ingrimm eine schleichende Sozialdemokratisierung ihrer Politik beklagen zu müssen glauben.

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Wer war denn das?)

    — Nur, Herr Rühe: Jene Damen und Herren Ihrer Fraktion will ich beruhigen. Für eine sozialdemokratische Politik fehlen Ihnen schlicht die konstitutiven Voraussetzungen:

    (Beifall bei der SPD — Volker Rühe [CDU/ CSU]: Das ist richtig! — Jochen Borchert [CDU/CSU]: Zum Glück! — Volker Rühe [CDU/CSU]: Völlig einverstanden!)

    die Bereitschaft zu umfassender Solidarität und die soziale Substanz. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie bleiben, was Sie sind: eine Partei der großen Ellenbogen mit einigen sozialen Drapierungen von lediglich stimmenfängerischer Bedeutung.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Menschen haben recht: Einer Partei, die den Großen die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer senken will, den Kleinen aber die Arbeitslosenversicherungsbeiträge erhöht und die die Mehrwertsteuer demnächst erhöhen wird, ist zu Recht sozialpolitisch nicht über den Weg zu trauen.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE] und des Abg. Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste])

    Teilung überwinden durch Teilen — das ist wohl notwendig; aber Teilen bei allen und Teilen nicht nur bei denen, die zeit ihres Lebens immer nur geteilt haben, und kein Verschonen oder gar noch Belohnen derer, die ohnehin zu den üppiger Ausgestatteten gehören.
    Die sozialpolitischen Einzelpläne dieses Bundeshaushalts belegen in Zahlen die Wertigkeit, die Sozialpolitik bei dieser Koalition hat: Sie rangiert unter „ferner liefen" . Von raumgreifenden, konzeptionell orientierten Maßnahmen, die so notwendig wären, keine Spur! Statt dessen punktuelle unzusammenhängende Eingriffe ohne klares Ziel; Sozialpolitik als Reparaturbetrieb, als Abfallprodukt zur Linderung der Folgen fehlerhafter Politik auf anderen Feldern.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Quatsch!)

    Hier wird das Herumfummeln zum politischen Prinzip erhoben. Was könnte dies deutlicher machen als die Zersplitterung der politischen Verantwortung für dieses Feld? Mittlerweile vier Ministerien tummeln sich in diesem Bereich. Hier soll nach wie vor Quantität die Qualität ersetzen.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Vera Wollenberger [Bündnis 90/GRÜNE])

    Das Meisterstück in diesem Bereich lieferte der Bundeskanzler höchstpersönlich. Das bisher schon wenig einflußreiche Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit wurde auch noch in drei Ressorts aufgeteilt und — wie könnte es anders sein? — von der CDU/CSU mit Frauen besetzt.

    (Dr. Margret Ellen Funke-Schmitt-Ring [FDP]: Sind Sie dagegen?)

    — Sie fragen, ob ich dagegen bin. Sehen Sie denn eigentlich nicht, daß Sie mit solch beklagenswerten Entscheidungen gerade jenen selbsternannten Hütern des Patriarchats in die Hände spielen, die schon immer meinten, Frauen hätten in der Politik nichts zu suchen?

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Natürlich brauchen wir mehr Frauen in der Politik. Wir brauchen ihre Erfahrungen, wir brauchen ihre



    Rudolf Drelller
    Tatkraft, und wir brauchen auch den Mut von Frauen. Aber wir brauchen sie in qualifizierten Funktionen und nicht in Funktionen, in denen sie zu politischen Frühstücksdirektorinnen degradiert werden.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Jochen Borchert [CDU/CSU]: Positionen freimachen!)

    Aber, meine Damen und Herren, es geht bei der Sozialpolitik nicht nur um drei weibliche Kabinettsmitglieder, sondern es geht auch um den Bundesarbeitsminister. Die Zeit seit dem 3. Oktober 1990 belegt — —

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    — Wenn ich bei den Koalitionsfraktionen jetzt einen Diskussionsprozeß über die Wertigkeit von Ministerinnen bezüglich der Übernahme bestimmter Ministerien in Gang gesetzt hätte, wäre das für die Frauenpolitik in Deutschland von Gewicht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Herr Blüm hat die Herausforderung, im Einigungsprozeß soziales Gewissen zu sein, offenkundig weder verspürt noch danach gehandelt. Er hat die Größe der beschäftigungspolitischen Herausforderung nicht verstanden.

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Übel ist das, vor allem wenn Sie es noch ablesen müssen!)

    Folglich hat er mit dazu beigetragen, daß die entscheidenden Monate, die für die Beschäftigungspolitik so wesentliche Zeitspanne zwischen dem Ende der Kommandowirtschaft und dem Beginn der wirtschaftlichen Erneuerung, durch entschlußlose Tändelei und starrsinniges Festhalten am vermeintlich richtigen Prinzip der Selbstheilung des Marktes vertan wurden.
    Das Verspielen von Chancen hat bei diesem Arbeitsminister Tradition. Er hat sich für den Gedanken einer Sozialunion mit der damaligen DDR nur widerstrebend gewinnen lassen.

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Wie bitte? Meinen Sie jetzt Lafontaine?)

    — Lieber Herr Rühe, muß ich Sie daran erinnern,

    (Volker Rühe [CDU/CSU]: Unglaublich!)

    daß Ihr Gesetzentwurf zum Zeitpunkt seiner Vorlage das Wort „Sozialunion" überhaupt nicht enthalten hat, daß es die Sozialdemokratie war, in Ost und West, die es in diesen Vertrag „hineinverhandelt" hat?

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! — Volker Rühe [CDU/CSU]: Er war schon mit heißem Herzen für die deutsche Einheit, als Sie noch für westdeutschen Partikularismus waren!)

    Das Verspielen von Chancen hat Tradition. Die Regierung — auch Herr Blüm — hat sich für den Gedanken einer Sozialunion nur widerstrebend gewinnen lassen. Herr Blüm hat Angebote der Arbeitgeber zur forderten Hilfe bei der Umschulung und Ausbildung über ein Jahr lang mißachtet. Er hat die Bundesanstalt für Arbeit regelrecht zurückgepfiffen, als diese im Herbst 1990 mit einem fix und fertigen Qualifizierungsprogramm aufwartete. Der Bundesarbeitsminister hat sich bis weit in den Spätherbst des Jahres 1990 hinein darauf versteift, so zu tun, als lasse sich die Beschäftigungspolitik im Osten aus der Portokasse der Regierung bezahlen.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Das Fazit seiner Politik: Fehlurteile, Unterlassungen, Beschönigungen, unhaltbare Versprechungen.
    Die Menschen spüren das. Schlimm an dieser Situation ist, daß viele aus ihrer eigenen Erfahrung heraus das Versagen solcher Politik hinsichtlich Arbeitsmarkt und Beschäftigung mit einem Versagen der Demokratie gleichzusetzen beginnen, und das darf nicht sein.
    Entgegenwirken kann man nur mit einer glaubwürdigen Politik, in deren Mittelpunkt ein klares Konzept für den Umbau der Wirtschaft in den ostdeutschen Ländern steht, ein Konzept, das neben allen Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt, Perspektive vermittelt und das Licht am Ende des Tunnels sichtbar macht. Aber dieses Konzept fehlt.
    Kein ausreichend dimensioniertes Qualifizierungsprogramm, keine Veränderung des Auftrags an die Treuhandanstalt, damit das Sanieren endlich Vorrang erhält, und keine angemessene Nutzung des Instruments der Beschäftigungsgesellschaften. Statt dessen: punktuelle Eingriffe, versuchte Korrektur von Versäumnissen, sozialpolitischer Reparaturbetrieb. Man ist geneigt zu sagen: Herr Blüm, Sie wissen nicht, was Sie wollen, aber das wissen Sie recht gut.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    837 000 Frauen und Männer waren Ende April in den neuen Ländern arbeitslos. Über 2 Millionen waren in Kurzarbeit, davon über 1,1 Millionen mit einem Arbeitsausfall zwischen 50 und 100 %. Nach dem Urteil namhafter Fachleute könnte schließlich jeder zweite Beschäftigte in den neuen Ländern seinen Arbeitsplatz verlieren, so daß Ende des Jahres rund 4 Millionen Menschen ohne Arbeitsplatz sein würden. Wissen wir eigentlich alle, was das bedeutet? Dies sind Arbeitslosenzahlen, meine Damen und Herren, die die Frage rechtfertigen, ob unsere Gesellschaft das aushält.
    Aber es gibt doch Vorschläge, die uns einer solchen Fragestellung nicht aussetzen. Und ich frage hier heute: Was muß eigentlich noch weiter an Erkenntnissen vorliegen, damit diese Bundesregierung sie endlich aufgreift, meine Damen und Herren?

    (Beifall bei der SPD)

    Alle Experten sind sich einig: Die gute westdeutsche Konjunktur beginnt sich einzutrüben, die Auftragseingänge in einer Reihe von Branchen sind spürbar zurückgegangen, die Entwicklung der Leistungsbilanz spricht eine deutliche Sprache. Keiner kann mehr ausschließen, daß auch Deutschland — ähnlich wie Großbritannien und die USA — in eine Rezession schlittert oder daß die gravierenden Schwierigkeiten im Ostteil Deutschlands auf den Westteil übergreifen. Haben sich eigentlich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen auf diesen Fall der Fälle vorbereitet? Ich frage, ob Sie ein Konzept in Ihren Schubla-



    Rudolf Dreßler
    den haben, wie man dem begegnen könnte. Ich fürchte, nein.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hat denn die SPD eines?)

    — Sie fragen nach den SPD-Vorschlägen. Wer regiert denn hier eigentlich? Sollen wir auch noch diese Aufgabe übernehmen?

    (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Wer ist hier Opposition?)

    Sie haben doch alle Konzepte der deutschen Sozialdemokratie in den letzten Monaten hier niedergestimmt. Greifen Sie doch wenigstens mal den Aufbauplan auf, den Björn Engholm und Hans-Jochen Vogel vor einigen Wochen vorgestellt haben. Das wäre schon ein Schritt vorwärts.

    (Beifall bei der SPD — Friedrich Bohl [CDU/ CSU]: Wir behandeln hier doch keine Märchenbücher! )

    Ich fürchte, es gibt kein Konzept; man setzt offenkundig hier auf die sozialpolitische Methode des Reparaturbetriebs.
    Es muß aber doch klar sein, was die Arbeitsmarktkrise im Osten bedeutet. Es wird ja nicht nur viel Geld kosten, um für die Menschen das Allerschlimmste abzuwenden. Die Krise wird auch den Verfall der dortigen Industriestrukturen bedeuten, wird das Arbeitskräftepotential aushöhlen, die mit den Standorten verbundene menschlich-fachliche Qualifizierung vernichten, und zwar zumeist unwiderruflich; denn wer einmal abgewandert ist, meine Damen und Herren, wer die Arbeit verloren hat, kehrt in der Regel nicht zurück.
    Die Regionen um Halle und Leipzig, um Chemnitz und Zwickau gehören seit je zu den klassischen Industrieregionen Europas. Wenn sie verfallen, werden die strukturpolitischen Schäden unwiderruflich sein.
    Für alle diese Bereiche haben die Sozialdemokraten alternativ zur Bundesregierung und zur Koalition Vorstellungen entwickelt, die weiterführen. All dies will ich nicht erneut vortragen; denn es geht nicht darum, meine Damen und Herren, ob das parlamentarisch in Ordnung ist, wenn Sie auf die Vorschläge der SPD nicht antworten. Es geht in diesem Diskussionsprozeß überhaupt nicht um die SPD.

    (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

    Es geht um die Menschen, für die wir alle, erst recht die Regierung, in der Pflicht stehen, Herr Scharrenbroich. Und hier versäumt die Regierung ihre Pflicht. Das ist der einfache Tatbestand.

    (Beifall bei der SPD — Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Wir reden über Sozialpolitik!)

    Es geht um konzeptionsloses Durchwursteln. Dieses konzeptionslose Durchwursteln kennzeichnet auch Ihre Rentenpolitik. Auf die historische Herausforderung der deutschen Einheit, die eine Harmonisierung zweier nebeneinander bestehender Rentensysteme notwendig macht, haben Sie keine andere Antwort
    gewußt, als das bundesdeutsche Rentenrecht dem Osten überzustülpen.

    (Julius Louven [CDU/CSU]: Ist das denn so schlecht?)

    Sie haben dabei massiv in Besitzstände eingegriffen und Vertrauenstatbestände verletzt. Bei uns im Westen würde jeder Versuch, die gesetzlich verbriefte lohnbezogene Rentendynamik einzuschränken und einen Teil der Renten nicht mehr zu erhöhen, mit Recht als grober Eingriff in Eigentumsrechte verstanden. Nach Auffassung der Bundesregierung scheint dies den ostdeutschen Rentnern offensichtlich zumutbar.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Kriegen die eigentlich mehr oder weniger Rente?)

    Ich frage: Ist das die soziale Einheit?
    Aber nicht nur das: Die Bundesregierung verstößt gegen die eigenen Gesetze; denn mit dem Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion gilt auch für die ehemalige DDR seit dem 1. Juli 1990 die Nettolohndynamik.

    (Julius Louven [CDU/CSU]: 9 Milliarden DM zusätzlich!)

    Jetzt stellt sich auf einmal heraus, daß sich dieses Dynamisierungsversprechen nicht auf die volle Rente, sondern in vielen Fällen nur auf 80, auf 70 oder gar nur 60 % der Rente bezieht und daß die restlichen 20, 30 oder 40 % nur als undynamischer Zahlbetrag weiterlaufen sollen. Dies ist nichts anderes als ein Vertrauensbruch und, in der langfristigen Auswirkung betrachtet, auch eine Rentenkürzung. Da können Sie reden und vernebeln, wie Sie wollen; es bleibt bei dieser Wertung.

    (Horst Günther [Duisburg] [CDU/CSU]: Es gibt keine Rentenkürzung!)

    Die Aufgabe, die beiden in Deutschland nebeneinander bestehenden Rentensysteme zu harmonisieren, wäre eine Chance für eine Reform der Alterssicherung in Ost und West zur Beseitigung von Altersarmut gewesen. Diese Reformaufgabe ist die Bundesregierung nicht angegangen. Im Gegenteil: Sie ist dabei, die Chancen zu verspielen. Sie hat vielmehr mit einer massiven Gegenreform reagiert, d. h. mit der überstürzten Beseitigung sämtlicher Regelungen in der ehemaligen DDR, die für Frauen, für Rentnerinnen und Rentner mit niedrigem Einkommen günstiger sind als in den alten Bundesländern.
    Bereits im April habe ich die Bundesregierung von dieser Stelle aus darauf aufmerksam gemacht, daß es sich im Falle des Renten-Überleitungsgesetzes um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist auch ins Protokoll gekommen!)

    Ich habe die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung in dieser wichtigen Frage ausdrücklich darauf verzichtet, zu pokern. Nichts ist passiert.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Es ist nicht gepokert worden!)




    Rudolf Dreßler
    Die Regierung wartet ab. Sie provoziert eine Situation, in der sie den Bundesrat über die Zeitschiene in die Knie zwingen will. Ich sage Ihnen: Dieser Zeitpoker wird keinen Erfolg haben.
    Nachdem Sie die Zeit von April bis heute nicht genutzt haben, unser Angebot, die Regelungen für Witwenrenten, für eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit und für die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten bereits am 1. Juli 1991 in Kraft zu setzen, ignoriert haben, bieten wir die gleiche Lösung in einem Vorschaltgesetz für den 1. Januar 1992 erneut an. So hätten Bundesrat und Bundestag ausreichend Zeit, ein vernünftiges Gesetz zustande zu bringen. Es wäre für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern ein wichtiges Signal, wenn die Bundesregierung endlich begreifen würde, daß die SPD-geführten Länder im Bundesrat eine Mehrheit haben.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Und für uns kein Geld zahlen!)

    Damit Sie klarsehen und es richtig verstehen, sage ich: Diese SPD-Mehrheit im Bundesrat hat durch ihren Beschluß deutlich gemacht, daß sie genauso wenig wie die SPD-Bundestagsfraktion bereit ist, die unsozialen Vorhaben der Bundesregierung im RentenÜberleitungsgesetz zu akzeptieren.

    (Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ GRÜNE und der PDS/Linke Liste)

    Ich füge hinzu: Wenn die Bundesregierung nicht endlich vernünftig handelt, wird sie die volle Verantwortung übernehmen müssen. An Angeboten, an Vorschlägen von seiten der SPD hat es nicht gemangelt.
    Konzeptionslosigkeit ist auch das Markenzeichen der Gesundheitspolitik der Koalition. Auch hier zeigt sich Reparaturmentalität statt politischer Gestaltungsbereitschaft. Das, was die Koalition am 25. November 1988 unter dem irreführenden Titel „ GesundheitsReformgesetz " mit ihrer Mehrheit durchgesetzt hat, war keine Reform, sondern es war reine Kostendämpfung. Die dringend notwendige strukturelle Umgestaltung unseres Gesundheitswesens wurde abermals vertagt, und an ihrer Statt wurde eine rein fiskalisch orientierte Leistungskürzungs- und Selbstbeteiligungserhöhungsphilosophie verfolgt, deren Wirkungslosigkeit und deren Sozialschädlichkeit längst erwiesen sind.
    Heute, kaum mehr als zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, schlagen die Krankenkassen erneut Alarm. Ihre Ausgaben explodieren förmlich. Verglichen mit der Entwicklung der Einnahmen sind die Steigerungsraten bei den Ausgaben bis zu viermal so hoch.
    Die nächste Welle der Beitragssatzerhöhungen wird Ende des Jahres Tatsache sein. Die Gesundheitsministerin weiß dies.

    (Zuruf von der SPD: Wo ist sie denn?)

    Nicht umsonst ergeht sie sich in sibyllinischen Äußerungen wie — ich zitiere — „Beitragssatzstabilität ist kein absolutes Dogma. " Mit solchen Äußerungen soll doch vorsichtig darauf hingewiesen werden, was Ende des Jahres Sache sein wird. Dank dieses unsäglichen Gesundheits-Reformgesetzes werden den Versicherten nicht nur die Leistungen gekürzt und die Selbstbeteiligungen erhöht, nun erwarten sie auch noch Beitragssatzerhöhungen. Es tritt also genau jene Entwicklung ein, die wir der Koalition von Anfang an deutlich vor Augen geführt haben.
    Wer die konzeptionelle sozialpolitische Gestaltungskraft dieser Regierung fair bewerten will, kann dies nicht, ohne ein Wort zu einem der drängendsten sozialen Probleme dieser Zeit zu sagen, dem der Absicherung bei Pflegebedürftigkeit. Dieses Problem muß gelöst werden, und zwar so schnell wie möglich.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste])

    Alle Parteien in diesem Hause haben, jedenfalls wenn sie die Wahrheit gesagt haben, versprochen, es innerhalb der nächsten vier Jahre zu lösen. Mit Blick auf die Koalition ist dieses Versprechen schon erstaunlich. Wir alle haben doch noch die Worte des Bundesarbeitsministers im Ohr, als er die Pflegeregelung des sogenannten Gesundheits-Reformgesetzes als wesentlichen Beitrag zur Lösung des Problems pries, um damit die sozialpolitischen Gemeinheiten dieses Gesetzes zu verschönern.

    (Beifall bei der SPD)

    Heute ist klar: Dieser Versuch war zum Scheitern verurteilt und ist dann auch gescheitert.
    Das Versprechen, meine Damen und Herren, ein Problem zu lösen, beflügelt zumeist die Erkenntnis, daß man dazu ein Konzept brauche. Die Koalition muß offensichtlich sehr beflügelt gewesen sein, denn sie hat derer gleich vier, und zwar dergestalt, daß das jeweils eine alle anderen ausschließt. Die FDP hat eines. Die CDU-Sozialausschüsse haben eines. Die Mittelstandsvereinigung und der CDU-Wirtschaftsrat haben auch eines.
    Die traurige Wahrheit in Sachen Pflege ist: Die Regierung blockiert sich selbst. Sie ist zur Zeit nicht handlungsfähig.
    Mehr denn je ist in solchen Situationen das Parlament gefragt, einen Ausweg zu suchen. Ich erneuere daher meinen Appell an die Fraktionen des Deutschen Bundestages, zu prüfen, ob man gemeinsam diese Blockade innerhalb der Regierung auflösen kann.

    (Beifall bei der SPD — Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Das schaffen wir schon allein!)

    — Herr Scharrenbroich, Sie sagen, das schaffen Sie allein. Ich möchte Sie, Herr Scharrenbroich, daran erinnern, daß die Sozialdemokraten in Ihrem Wahlkreis Sobernheim am 21. April 52,8 % der Stimmen erhielten.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Was hat denn das damit zu tun? Was soll das?)

    Das, Herr Scharrenbroich, wirkte sich so aus, daß heute ein Ministerpräsident Scharping in RheinlandPfalz regiert und daß auch Sie, Herr Scharrenbroich, sich in Rheinland-Pfalz damit abfinden müssen, daß das Pflegegesetz zustimmungspflichtig sein wird. Wir



    Rudolf Dreßler
    sagen Ihnen dies rechtzeitig, damit Sie nicht hinterher völlig verblüfft sind.
    Das Konzept der SPD ist bekannt. Wir wollen eine Pflichtversicherung für alle Bürger. Wir wollen eine Absicherung sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich und halten dafür Leistungen von insgesamt 25 Milliarden DM für notwendig und finanzierbar.
    Wir wollen, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer diese Summe über Beiträge je zur Hälfte aufbringen, was bei einer Beitragsbemessungsgrenze wie in der Rentenversicherung von jedem verdienten 10-DMSchein 7 Pfennig Beitrag für beide Seiten bedeuten würde. Ich sage: Das ist leistbar, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich füge hinzu: Es darf nicht sein, daß durch wechselseitige politische Blockade die Lösung dieses dringenden Problems abermals verschoben wird und die Pflegebedürftigen die Zeche zahlen.
    Die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-geführten Landesregierungen werden noch vor Beginn der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorstellen. Es liegt dann an der CDU/CSU, an der FDP und an der Bundesregierung, unsere Vorschläge konstruktiv aufzunehmen.
    Wer nach nur sechs Monaten Amtszeit die Hand-lungs- und Politikfähigkeit dieser Koalition anläßlich dieser Haushaltsdebatte bewertet, kann nur feststellen: Es steht nicht gut um deutsche Regierungspolitik:

    (Beifall bei der SPD — Friedrich Bohl [CDU/ CSU]: Dünner Beifall!)

    personell glanzlos, konzeptionell ausgelaugt, politisch auf dem Irrweg und vom Wähler verlassen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: International anerkannt!)

    Meine Damen und Herren, diese Regierung ist von ihren unhaltbaren, ja wahrheitswidrigen Wahlversprechen eingeholt — so weit, so gut.
    Daß die Wähler die Zeche zu bezahlen haben — so weit, so schlecht.
    Keine Regierung vor Ihnen, Herr Günther, hat das in Wahlen errungene Vertrauenskapital so schnell verspielt wie die Regierung Helmut Kohl.

    (Beifall bei der SPD — Horst Günther [Duisburg] [CDU/CSU]: Heuchelei!)

    Allenthalben ist zu registrieren: Die Menschen sind enttäuscht. Sie hatten Besseres erwartet. Sie hatten auch Besseres verdient.
    Unser Land braucht eine bessere Politik. Die SPDBundestagsfraktion kann dem Einzelplan des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung nicht zustimmen.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste])



Rede von Hans Klein
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Hans-Gerd Strube.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Gerd Strube


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schnelles Handeln ist besser als laut meckern,

    (Gerd Andres [SPD]: Dank und Anerkennung! Jetzt geht die Lobhudelei wieder los!)

    und wirksam helfen ist besser als ständig jammern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Ottmar Schreiner [SPD]: „Lobet den Herrn!" lautet das Motto!)

    Nach diesem Motto haben wir uns beim Aufstellen des Sozialetats für den vorliegenden ersten gesamtdeutschen Haushalt orientiert.
    Die Gesamtaufwendungen des Bundes für die soziale Sicherung summieren sich 1991 auf über 135 Milliarden DM. Das ist immerhin ein Drittel des Gesamthaushalts.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Das ist überhaupt nicht aussagefähig! Je mehr Arbeitslose, um so teurer wird es!)

    Der Bund gibt also mehr als jede dritte Mark dafür aus, daß die Bürger in der Bundesrepublik ein stabiles soziales Netz haben.

    (Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ GRÜNE]: Aber sehr durchlässig!)

    Sozialpolitik ist für uns also keine Restgröße.
    Eine wichtige Aufgabe sehen wir darin, daß wir die soziale Spaltung zwischen den neuen und den alten Bundesländern überwinden. Angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage im Osten Deutschlands ist das eine gewaltige Herausforderung. Es geht um den Übergang von der sozialistischen Mißwirtschaft mit ihrer verdeckten Arbeitslosigkeit hin zur sozialen und ökologischen Marktwirtschaft mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen.

    (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Ohne Arbeitsplätze!)

    Ich freue mich, daß Herr Dreßler hier von der sozialen Marktwirtschaft gesprochen hat. Vielleicht sorgen Sie auch dafür, daß dieser Begriff auch einmal in Ihr Grundsatzprogramm aufgenommen wird, denn da findet man ihn ja noch nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dieser Umbruch hat in den fünf neuen Bundesländern einen rasanten Strukturwandel zur Folge. Diesen Strukturwandel müssen wir sozialverträglich abfedern. Dieser Verpflichtung sind wir uns sehr wohl bewußt, und wir werden ihr auch gerecht. Die Opposition redet zwar immer wieder gern von Kahlschlagpolitik, vom sozialen Notstandsgebiet, von Massenarmut und vom Ellenbogenstaat.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sehr richtig! Jawohl! Bravo! Sehr gut!)

    Aber über diese Horrorvokabeln kann man nur gähnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Ottmar Schreiner [SPD]: Nach dieser Rede kann man nur noch gähnen! Sie Gähner!)




    Hans-Gerd Strube
    Diese Vokabeln tauchen bei Ihnen so regelmäßig auf wie Schreckensfiguren in der Geisterbahn. Hilfreich ist dieses Katastrophengerede nun wirklich nicht.

    (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Die Katastrophe ist da! — Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE]: Das ist ja nicht nur Gerede!)

    Wir ziehen vor zu handeln. Lassen Sie mich dies an Hand einiger Zahlen verdeutlichen.

    (Zuruf von der SPD: Jetzt kommt's! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Warum werden Sie denn so unruhig, wenn ich anfange, von Zahlen zu reden?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Das hat getroffen! — Die vertragen die Wahrheit nicht!)

    Der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit erreicht in diesem Jahr fast 71 Milliarden DM. 71 Milliarden DM! Das ist ein Umfang in bisher nicht gewohnter Größe.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Kunststück, wenn die Beiträge erhöht werden!)

    Entscheidenden Anteil daran hat die aktive Arbeitsmarktpolitik nach dem Arbeitsförderungsgesetz.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Beitragserhöhung!)

    Sie läuft in den alten Bundesländern auf hohem Niveau weiter und wird gleichzeitig in den neuen Bundesländern mit aller Kraft auf- und ausgebaut.
    Zusammen mit den entsprechenden Mitteln aus dem Bundeshaushalt stehen in diesem Jahr über 35,5 Milliarden DM für die aktive Arbeitsmarktpolitik zu Verfügung, davon fast 20 Milliarden DM für die fünf neuen Länder. Das ist mehr, als jemals im alten Bundesgebiet hierfür vorgesehen war. Das sind nun wahrlich keine Kleckerbeträge.
    Aber, meine Damen und Herren, wir stecken nicht nur Geld in die neuen Bundesländer. Das allein reicht ja nicht. Wir haben auch die notwendigen Regelungen getroffen für die soziale Sicherung der Arbeitnehmer, für eine aktive Arbeitsmarktpolitik, um den wirtschaftlichen Wandel im Beitrittsgebiet zu flankieren.
    Die Sonderregelungen für Kurzarbeitergeld haben verhindert, daß Hunderttausende entlassen werden mußten. Die soziale Sicherheit vieler Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen konnten wir damit sichern. Deshalb haben wir diese Sonderregelung bis Ende dieses Jahres noch einmal verlängert. Aber wir lassen es nicht bei einer bloßen Verlängerung bewenden. Wir haben vielmehr die Voraussetzungen dafür getroffen, daß die Kurzarbeiter ihre beruflichen Chancen während ihrer Zeit der Kurzarbeit verbessern können. Statt tatenlos zu sein, können Sie sich qualifizieren.
    Auf den Bereich Fortbildung und Umschulung richten wir eines unserer Hauptaugenmerke. Hierfür stehen in diesem Jahr insgesamt rund 15,5 Milliarden DM zur Verfügung; davon die Hälfte für die neuen
    Bundesländer, so daß dort 500 000 Arbeitskräfte mit Qualifizierungsmaßnahmen beginnen können.

    (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Ohne jegliche Chance auf einen Arbeitsplatz!)

    Diese umfassende Qualifizierungsoffensive ist eine Massenbewegung. Dafür werden in den neuen Ländern berufliche Weiterbildungseinrichtungen gebraucht,

    (Zuruf von der SPD: Wo laufen sie denn?)

    und zwar flächendeckend und im bewährten westlichen Qualitätsmaßstab. Diesen Aufbau fördern wir seit Mitte 1990 mit einem eigenen Sonderprogramm. Bis Ende des letzten Jahres sind durch die Bewilligung von 180 Millionen DM insgesamt 128 Einrichtungen mit 17 800 Weiterbildungsplätzen entstanden. Für dieses Jahr haben wir hierfür 200 Millionen DM vorgesehen. Komplementärmittel in vergleichbarer Größe hat die Bundesanstalt für Arbeit bereitgestellt.
    Den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kommt in Ostdeutschland mehrfache Bedeutung zu. Sie bilden eine Beschäftigungsbrücke für ansonsten arbeitslose Arbeitnehmer. Sie bieten soziale Stabilisierung und Einkommensquelle, und sie helfen, soziale, wirtschaftsnahe und umweltfördernde Infrastrukturen zu schaffen. Das sind entscheidende Grundlagen dafür, daß es im Beitrittsgebiet ständig aufwärts gehen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der PDS/Linke Liste)

    Deshalb werden die Sonderregelungen bei der ABM-Förderung in den neuen Ländern bis 1992 verlängert, z. B. die unbeschränkte Regelung über den ABM-Zuschuß in Höhe von 100 % des Arbeitsentgelts.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Zusammen mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, durch das auch die Sachkosten der ABM bezuschußt werden können und mit dem die Mittel für ABM in diesem Jahr auf 5,2 Milliarden DM verdoppelt werden, haben wir ein arbeitsmarktpolitisches Kraftpaket für sinnvolle und produktive Beschäftigung geschnürt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Ottmar Schreiner [SPD]: Sind Sie der Kraftmeier?)

    Insgesamt können wir damit in diesem Jahr rund 280 000 ABM-Stellen in Ostdeutschland erreichen.

    (Gerd Andres [SPD]: Da hat Ihnen das Arbeitsministerium wieder etwas aufgeschrieben!)

    Das hilft den Betroffenen mehr als das Lamentieren der Opposition über die schlechte Lage.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die SPD — das haben wir eben wieder gehört — nimmt zwar gern das Wort von der Solidarität mit den fünf neuen Ländern in den Mund, aber wenn es



    Hans-Gerd Strube
    darum geht, konkret zu werden, daß man etwas teilen muß, lehnt sie es jedesmal sehr schnell ab.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD)

    Zur Arbeitsmarktentlastung trägt auch das Altersübergangsgeld bei.

    (Gerd Andres [SPD]: Das kann Ihnen doch nur einer aufgeschrieben haben!)

    — Ich weiß gar nicht, warum Sie so unruhig werden. Wenn ich Ihnen einmal den Spiegel vorhalte, werden Sie gleich unruhig.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Viele ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern haben hart gearbeitet und wollen jetzt vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Diesem Wunsch tragen wir Rechnung.

    (Zuruf von der SPD: Das ist eine Verhöhnung! — Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: Schämen Sie sich! — Zuruf von der SPD: Die würde ich mal fragen!)

    — Freiwillig, alles freiwillig, meine Damen und Herren.
    Die Altersgrenze beim Altersübergangsgeld soll für Zugänge bis Ende dieses Jahres von 57 auf 55 Jahre gesenkt und die Dauer des Anspruchs entsprechend von drei auf fünf Jahre verlängert werden. Diese Maßnahme ist sicherlich nicht billig, doch ich finde es sinnvoller, einem 55jährigen Altersübergangsgeld zu bezahlen als einem 20jährigen Arbeitslosengeld.
    Es zeigt sich also: Geld ist genug vorhanden.

    (Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste])

    Am Geld muß keine arbeitsmarktpolitische Maßnahme scheitern.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Damit diese bereitgestellten Gelder aber auch tatsächlich abfließen, sind jetzt die Maßnahmen vor Ort entscheidend. Gemeinden und Sozialpartner, Verbände und Kirchen, Betriebe und Arbeitsverwaltungen, sie alle sind aufgefordert, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen und das zu tun, was notwendig und auch möglich ist, nämlich Arbeit für alle schaffen.

    (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Beifall!)

    Angesichts unserer arbeitsmarktpolitischen Riesenanstrengungen in Ostdeutschland darf eines nicht übersehen werden: Wir haben auch in den alten Bundesländern viel getan.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Angetan!)

    Mitte 1989 haben wir ein Sonderprogramm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit aufgelegt. Es zeigt große Erfolge, meine Damen und Herren.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Es sind noch nicht einmal die Mittel abgeflossen, so erfolgreich war das!)

    Im Rahmen der Aktion „Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose" wurden bis April fast 57 000 Anträge auf Lohnkostenzuschüsse bewilligt.

    (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Da haben Sie sich eben schon wieder mal verplant!)

    Ursprünglich hatten wir 60 000 bis 70 000 Förderungen bis zum Jahresende erwartet. Dieses Ziel ist schon jetzt fast erreicht. Im Programmteil „Maßnahmen für besonders beeinträchtigte Langzeitarbeitslose und andere schwerstvermittelbare Arbeitslose" wurden bis Ende Februar 346 Anträge von karitativen und öffentlichen Einrichtungen und Verbänden für über 14 000 Teilnehmer bewilligt. Diese Zahlen sollte auch die Opposition endlich einmal anerkennen, statt gebetsmühlenartig immer nur Elendsbilder zu malen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Denn diese Zahlen lassen eines bereits deutlich erkennen: Das erfolgreiche Sonderprogramm hat erheblich dazu beigetragen, daß die Zahl der Langzeitarbeitslosen zurückgegangen ist. Von 1989 auf 1990 ist sie um 80 000 gesunken. Das sind immerhin 13 %. Das, so meine ich, sind erfreuliche, positive Erfahrungen.
    Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit muß weitergehen, denn immer noch gibt es zu viele Langzeitarbeitslose. Darum haben wir mit dem Bundeshaushalt 1991 beschlossen, das Sonderprogramm zeitlich zu verlängern und um insgesamt 890 Millionen DM aufzustocken.
    Meine Damen und Herren, über der großen Aufgabe, den einen Sozialstaat Deutschland zu schaffen, dürfen wir eine andere große sozialpolitische Herausforderung der Zukunft nicht vergessen: die Absicherung des Pflegerisikos. Auch ich will dazu gerne etwas sagen; Kollege Dreßler hat dieses Thema angeschnitten. Auch hier werden wir Weichen stellen, damit der Zug fahrplanmäßig in die richtige Richtung fährt.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Wo geht denn die Reise hin?)

    Unser Sozialstaat ist gut ausgebaut, doch es gibt eine Lücke: Das Pflegerisiko ist bisher völlig der Eigenverantwortung des einzelnen und der Familie überlassen, und dies, obwohl jeder von uns pflegebedürftig werden kann.

    (Zuruf von der SPD: Warum habt ihr bisher nichts gemacht?)

    — Ich würde da gar nicht so dumme Zwischenrufe machen, denn es ist ein sehr, sehr ernstes Thema.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Finanziell überfordert, werden die meisten Pflegebedürftigen zu Sozialhilfeempfängern.

    (Ottmar Schreiner [SPD]: Warum machen Sie dann nichts? Ihr seid doch jetzt schon zig Jahre am Regieren!)

    Knapp 70 % der in Altenpflegeheimen, Krankenhäusern und anderen stationären Einrichtungen Gepflegten erhalten Leistungen der Sozialhilfe. Das sind derzeit rund 450 000 Frauen und Männer. Etwa 10 % der ambulant Gepflegten — rund 1,2 Millionen Pflegebe-



    Hans-Gerd Strube
    dürftige werden in der Familie gepflegt — erhalten Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz.