Rede von
Dr.
Joachim
Grünewald
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese von der SPD beantragte Aktuelle Stunde ist schlicht überflüssig.
Schade um die Zeit! Denn die Bundesregierung hat ihre Position sowohl zur Finanzierung der Investitionen in die deutsche Einheit als auch zur weiterern Verbesserung der Steuerstruktur zum wiederholten Male ausführlich dargelegt. Sie, liebe Frau Matthäus-Maier, haben zum wiederholten Male widersprochen. Die 41 Millionäre aus Ihrem Munde verfolgen mich schon fast Tag und Nacht.
Die Annäherung der Lebensverhältnisse im wiedervereinigten Deutschland hat hohe Priorität. Wir investieren in diesem Jahr und in den kommenden Jahren dreistellige Milliardenbeträge. Das, Herr Briefs, nennen wir allerdings Klotzen und nicht Klekkern. Wir leisten alles, was an Verwaltungshilfe, an Infrasturkturinvestitionen und an Förderung privater Investitionen notwendig und sinnvoll ist.
Der Vorrang der deutschlandpolitischen Aufgaben kann und darf nun aber nicht dazu führen, daß in anderen Bereichen — auch in der Steuerpolitik — absoluter Stillstand eintritt. Im Gegenteil: Wir brauchen die steuerlichen Verbesserungen der Investitions- und Wachstumsbedingungen in ganz Deutschland — damit sind wir bei der Unternehmensteuerreform —, eben weil unser Land vor so großen ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen steht. Auch mit dem Familienlastenausgleich können wir — schon mit Sicht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts — nicht weiter zuwarten.
Unbestreitbar wird die Vollendung der deutschen Einheit auch in den kommenden Jahren Milliardenbeträge an öffentlichen Mitteln erfordern. Die Bundesregierung hat in ihrer Finanzplanung bis 1994 Vorsorge getroffen und im Bundeshaushalt jährliche Beträge von fast 100 Milliarden DM vorgesehen. Die Bundesländer haben — zuletzt durch ihre Bereitschaft zur vollen Beteiligung des Beitrittsgebietes an den Umsatzsteuereinnahmen — ebenfalls ihren Beitrag geleistet.
Gerade bekomme ich von Reuter eine Agenturmeldung auf den Tisch. Darin fordert mein sehr geehrter Kollege Milbradt von Sachsen, wir sollten unverzüglich die Länder im Beitrittsgebiet an der Umsatzsteuer beteiligen. Hat er verschlafen, daß wir das rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres schon vereinbart haben?
Spätestens ab 1995 muß darüber hinaus — auch da stimmen wir überein — das System des Länderfinanzausgleichs auf eine neue Grundlage gestellt werden. Noch in diesem Jahr müssen wir über eine Neuverteilung der jährlichen Strukturhilfen in einer Größenordnung von 2,45 Milliarden DM mit Wirkung vom 1. Januar 1992 verhandeln.
Damit leisten die öffentlichen Haushalte ihren Beitrag, um in wenigen Jahren eine wesentliche Annäherung der Lebensbedingungen im östlichen Teil unseres Vaterlandes an den westlichen Standard zu erreichen.
Der von uns in Verfolg dieses hohen Zieles vorgezeichnete Weg ist richtig und ohne Alternative. Das hat uns der Sachverständigenrat gerade am vergangenen Wochenende in seinem lesenswerten Sondergutachten ganz uneingeschränkt bestätigt. Die Sachverständigen teilen in diesem Gutachten nicht nur unsere Bewertung der wirtschaftlichen Lage und die von der Bundesregierung bereits eingeleitete Therapie. Sie warnen auch vor Attentismus und fordern uns ausdrücklich auf, marktwirtschaftlich Kurs zu halten.
Wenn nun der Ministerpräsident von Sachsen bzw. das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft einen höheren Betrag nennt, so ist diese Forderung nicht mehr und nicht weniger als ein weiterer Beitrag zu der bereits seit langem andauernden Diskussion über den Finanzbedarf des Beitrittsgebiets.
Die genannten Zahlen beziehen sich übrigens — darauf hat schon Kollege Uldall hingewiesen — auf die privaten und die öffentlichen Mittel. Schon deshalb lassen sich aus dieser Untersuchung keine Defizite für die öffentlichen Leistungen ableiten.
Angesichts der Vielzahl der Schätzungen und der Bandbreite der möglichen Annahmen kann keine der vorliegenden Prognosen alleinige Gültigkeit beanspruchen. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt hat völlig zu Recht in einem Artikel im November vergangenen Jahres geschrieben:
Keiner kann heute genau die Finanzierungsbeiträge benennen, welche schon im Jahre 1991 nötig sein werden, um den wirtschaftlichen Aufbau in der ehemaligen DDR voll in Gang zu setzen...
Wenn eine solche Prognose schon für ein Jahr im voraus nicht möglich war, um wieviel mehr müssen dann Zweifel angemeldet werden, wenn entsprechende Voraussagen für einen Mehrjahreszeitraum abgegeben werden? Bereits die Veränderung eines oder nur weniger Faktoren können den öffentlichen finanziellen Beitrag um hohe Milliardenbeträge verändern; denn niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, wann der ökonomische Wendepunkt erreicht ist, wann die beschlossenen und vereinbarten wirtschaftspolitischen Instrumente greifen und wann die vielfältigen privaten Initiativen Wirkung zeigen. Niemand kann die Tariflohnentwicklung in den kommenden Jahren oder die Wanderbewegung der Arbeitskräfte exakt prognostizieren. Niemand kennt die wirtschaftliche Entwicklung in unseren östlichen Nachbarstaaten und damit die Perspektive für die exportorientierte Wirtschaft im Beitrittsgebiet.
Es gibt aber schon jetzt sehr gute Gründe, diesen extrem pessimistischen Prophezeiungen, wie sie auch hier heute wieder gemalt worden sind, zu mißtrauen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17, April 1991 1297
Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald
So werden in jedem Monat drüben 25 000 Betriebe neu gegründet. Seit der Öffnung der Grenzen sind drüben 1 Million neue Arbeitsplätze geschaffen worden. In der Bauwirtschaft zeichnet sich, Gott sei Dank, eine Trendwende ja schon heute ab.
Auch bei allen hoffnungsvollen Anzeichen ist sich die Bundesregierung natürlich der großen finanziellen Risiken dieses Einigungsprozesses bewußt. Doch mit Risiken korrespondieren immer auch Chancen — Chancen, die in der Diskussion unserer Tage, auch in der Diskussion heute, leider viel zu gering und viel zu ängstlich beurteilt werden.
Wir haben durch Einsparungen und Umschichtungen von rund 50 Milliarden DM, durch eine vorübergehend vertretbare Ausweitung der Kreditaufnahme sowie durch die beschlossenen Einnahmeverbesserungen die Grundlagen für die Lösung unserer nationalen und internationalen Aufgaben geschaffen. In den kommenden Jahren wird es bei strikter Ausgabendisziplin bleiben. Auch eine erneute Absenkung der Steuerquote — ganz anders, als Sie es hier gesagt haben — wird in absehbarer Zukunft wohl kaum möglich sein. Und wir werden weiter sparen müssen — weiter sparen!
Die Unternehmensteuerreform, die hier wiederholte Male hinterfragt wurde, werden wir — und etwas anderes haben wir nie gesagt — im wesentlichen aufkommensneutral vollziehen müssen.
Vor dem Hintergrund dieser Konzeption erweist sich der unentwegt wiederholte, aber deshalb noch nicht richtig werdende Vorwurf der SPD, die Bundesregierung plane trotz der hohen Finanzierungslasten im Zusammenhang mit der deutschen Einheit Steuerentlastungen für die sogenannten Besserverdienenden als blanke Demagogie und Teil einer langfristig geführten Kampagne.
Wir machen, Frau Matthäus-Maier, keine Steuergeschenke, sondern vollziehen nur das, was in den meisten westlichen Industrieländern an steuerlichen Verbesserungen für Investoren bereits verwirklicht ist.
Wer heute in Europa investiert, wer neue Produktionseinrichtungen schafft, hat schon längst die Möglichkeit, dort tätig zu werden, wo niedrige Steuersätze gelten. Wenn aus den von uns vorgesehenen Steuerentlastungen jemand einen Vorteil zieht, dann sind es doch die Beschäftigten und vor allen Dingen diejenigen, die heute einen Arbeitsplatz suchen.
Für die wollen wir in unserem Land, also daheim, die Arbeitsplätze schaffen.
Alle großen europäischen Parteien, ob christlich-soziale, liberale und — das ist besonders interessant — auch sozialdemokratische haben diesen sehr einfachen Zusammenhang lange erkannt. Ich meine, es wird höchste Zeit, daß auch die SPD Deutschlands endlich zu einer rationalen steuerpolitischen Diskussion findet.
Ich danke Ihnen.