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ID1201000200

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    Plenarprotokoll 12/10 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 10. Sitzung Bonn, Freitag, den 22. Februar 1991 Inhalt: Nachträgliche Überweisung eines Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung 461 A Tagesordnungspunkt 11: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Reise des Bundesministers des Auswärtigen nach Kairo, Damaskus und Amman (12. bis 14. 2. 1991) Genscher, Bundesminister AA 461 B Dr. Vogel SPD 462 C Lamers CDU/CSU 464 D Dr. Gysi PDS/Linke Liste 465 D Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE . . . 467 A Irmer FDP 468B Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags des Abgeordneten Duve, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ostdeutsche Kulturarbeit im Lichte des Grenzvertrages mit Polen (Drucksache 12/59) Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 469 C Duve SPD 470D Werner (Ulm) CDU/CSU 471 A Koschyk CDU/CSU 472A, 475 C Sauer (Salzgitter) CDU/CSU 472 D Frau Dr. Wisniewski CDU/CSU 473 B Dr. Keller PDS/Linke Liste 474 D Poppe Bündnis 90/GRÜNE 475 D Lüder FDP 476D Meckel SPD 478A Schäfer, Staatsminister AA 479 C Duve SPD 480B Nächste Sitzung 480 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 481* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Februar 1991 461 10. Sitzung Bonn, den 22. Februar 1991 Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Frau Dr. Adam- FDP 22. 02. 91 Schwaetzer Antretter SPD 22. 02. 91 Bachmaier SPD 22. 02. 91 Belle CDU/CSU 22. 02. 91 Frau Blunck SPD 22. 02. 91 Dr. von Bülow SPD 22. 02. 91 Dehnel CDU/CSU 22. 02. 91 Eylmann CDU/CSU 22. 02. 91 Frau Eymer CDU/CSU 22. 02. 91 Formanski SPD 22. 02. 91 Frau Fuchs (Verl) SPD 22. 02. 91 Gattermann FDP 22. 02. 91 Dr. Gautier SPD 22. 02. 91 Gerster (Mainz) CDU/CSU 22. 02. 91 Grünbeck FDP 22. 02. 91 Hauser (Esslingen) CDU/CSU 22. 02. 91 Heyenn SPD 22. 02. 91 Jung (Düsseldorf) SPD 22. 02. 91 Frau Karwatzki CDU/CSU 22. 02. 91 Klein (München) CDU/CSU 22. 02. 91 Kriedner CDU/CSU 22. 02. 91 Dr. Kübler SPD 22. 02. 91 Dr. Graf Lambsdorff FDP 22. 02. 91 Frau Mattischeck SPD 22. 02. 91 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 22. 02. 91 Dr. Mildner CDU/CSU 22. 02. 91 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Nelle CDU/CSU 22.02.91 Dr. Neuling CDU/CSU 22. 02. 91 Poß SPD 22. 02. 91 Frau Priebus CDU/CSU 22. 02. 91 Frau Rahardt-Vahldiek CDU/CSU 22. 02. 91 Rappe (Hildesheim) SPD 22. 02. 91 Reschke SPD 22. 02. 91 Reuschenbach SPD 22. 02. 91 Dr. Schäuble CDU/CSU 22. 02. 91 Schmidbauer (Nürnberg) SPD 22. 02. 91 Dr. Schmieder FDP 22. 02. 91 Dr. Schmude SPD 22. 02. 91 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 22. 02. 91 Frau Schulte (Hameln) SPD 22. 02. 91** Dr. Soell SPD 22. 02. 91* Spilker CDU/CSU 22. 02. 91 Stiegler SPD 22. 02. 91 Dr. Töpfer CDU/CSU 22. 02. 91 Vergin SPD 22. 02. 91 Dr. Vondran CDU/CSU 22. 02. 91 Vosen SPD 22. 02. 91 Weisskirchen (Wiesloch) SPD 22. 02. 91 Dr. Wieczorek CDU/CSU 22. 02. 91 (Auerbach) Frau Wieczorek-Zeul SPD 22. 02. 91 Frau Wohlleben SPD 22. 02. 91 Frau Würfel FDP 22. 02. 91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Die Welt hält den Atem an, die Hoffnung der Völker, eine Ausdehnung des Krieges am Golf könne doch noch verhindert werden, ist größer geworden. Die Aussprache, die heute auf der Grundlage einer Regierungserklärung vorgesehen war, soll sich auf den Inhalt der Regierungserklärung beschränken, auf eine Stellungnahme zu den Ereignissen der letzten Stunden.
    Die Bundesregierung ist sich dabei der Tatsache bewußt, daß diese Erklärung zu einem Zeitpunkt, zu einer Stunde des heutigen Tages abgegeben wird, zu dem die von der sowjetischen Regierung angekündigte Unterrichtung des Weltsicherheitsrats über die Einzelheiten der Gespräche mit dem irakischen Außenminister noch nicht stattgefunden hat. Eine umfassende Bewertung wird erst dann möglich sein.
    Schon jetzt steht die Bundesregierung in engem Kontakt mit Verbündeten und Partnern, so wie sie das auch in den letzten Wochen und Monaten gehalten hat.
    Die Westeuropäische Union befaßt sich heute in Paris mit der eingetretenen Lage.
    Die Bundesregierung wird sich in diesem Zeitpunkt in der öffentlichen Bewertung Zurückhaltung auf erlegen mit dem Ziel, die von Anfang an bewahrte Geschlossenheit und Solidarität der Staatengemeinschaft auch in dieser für Krieg und Frieden entscheidenden Phase zu bewahren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Die Bundesregierung begrüßt die intensiven und großen Anstrengungen, die der sowjetische Präsident Gorbatschow unternommen hat, um Saddam Hussein doch noch zum Einlenken zu veranlassen.
    Die Befolgung des Planes und des Appells, den der sowjetische Präsident vorgelegt hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Bundesregierung hofft, daß damit eine friedliche Lösung möglich werden möge.
    Aber es sind entscheidende Punkte, die noch der Präzisierung und der Klärung bedürfen. So darf die sofortige Räumung nicht aufgeschoben werden. Ein sofortiger Beginn des Rückzugs und eine baldige Vollendung des Rückzugs sind geboten.
    Eine Prämie für die Aggression wird es nicht geben und ein Spielen auf Zeit auch nicht.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD und beim Bündnis 90/GRÜNE)

    Wenn Saddam Hussein tatsächlich Kuwait bedingungslos räumt, dann wird er damit ganz sicher nicht zum Friedensbringer, sondern er räumt damit nur die Aussichtslosigkeit seiner eigenen persönlichen Lage ein. Seine Schuld wird damit nicht geringer.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und beim Bündnis 90/GRÜNE)

    Ganz sicher ist es nicht die Sorge um die Menschen seines eigenen Landes oder gar der anderen vom Golfkrieg Betroffenen, die ihn zu einem Einlenken veranlassen wird. Zu skrupellos und zu zynisch ist er mit den Bürgern seines eigenen Landes umgegangen. Zu bedenkenlos hat er den jahrelangen Krieg gegen den Iran geführt, und zu bedenkenlos hat er am 2. August 1990 Kuwait überfallen. Es wäre zu weiteren Überfällen auf die Staaten der Region gekommen,



    Bundesminister Genscher
    wenn ihm nicht die Weltgemeinschaft in den Arm gefallen wäre.
    Wenn es zur Durchsetzung der Ziele der Weltgemeinschaft kommt, dann ist das zuallererst der Entschlossenheit und der Festigkeit Präsident Bushs und der von ihm unter dem Dach der Vereinten Nationen zusammengestellten und geführten Koalition zu verdanken.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn in der letzten Stunde die Einsicht in die Aussichtslosigkeit der eigenen Lage zu einem Eingehen auf die Forderungen des Sicherheitsrates führt, so haben dazu entscheidend die Verantwortung und die Zähigkeit der Bemühungen des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow beigetragen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und beim Bündnis 90/GRÜNE sowie des Abg. Dr. Gysi [PDS/Linke Liste])

    Saddam Hussein allein ist es, der von Anfang an am Golf Blutvergießen hätte verhindern können, wenn er ohne Vorbedingungen Kuwait rechtzeitg verlassen hätte. An ihn allein mußten sich die Appelle zum Frieden richten. Das gilt bis zu dieser Stunde.
    Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und mit ihm die große Mehrheit der Mitgliedstaaten beschlossen die Resolutionen, mit denen der Irak aufgefordert wurde, sich bedingungslos aus Kuwait zurückzuziehen, die Souveränität dieses Landes wiederherzustellen und Recht und Frieden in der Region zu sichern.
    Die Haltung der Bundesregierung war von Anfang an von dem Ziel bestimmt, dem eindeutigen und unbedingten Willen der Völkergemeinschaft zur Durchsetzung zu verhelfen. Wir stehen auf der Seite des Völkerrechts, auf der Seite der Vereinten Nationen und auf der Seite der Koalition. Ein anderer Platz würde weder den Lehren aus unserer Geschichte noch den Wertvorstellungen unserer Verfassung entsprechen. Wir sind uns dabei bewußt, daß die Soldaten unserer Verbündeten am Golf — allen voran die amerikanischen, die französischen und die englischen Soldaten — die gleichen Uniformen tragen wie diejenigen, die hier in Europa und in Deutschland an unserer Seite stehen, die in den Stunden der großen Bedrohung West-Berlins nicht zögerten, die Luftbrücke nach Berlin zu schaffen, und die mit uns zusammen den Frieden in Europa garantierten, als er durch die sowjetische Intervention in Ungarn und später in der Tschechoslowakei unmittelbar bedroht war.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Wir würdigen auch den Einsatz der arabischen Streitkräfte im Rahmen der Koalition. Ihre Teilnahme hat es Saddam Hussein schwerergemacht, sich als der Wahrnehmer der Interessen der arabischen Völker darzustellen.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in diesen Stunden sind unsere Gedanken bei den Menschen, die unmittelbar von den Kampfhandlungen betroffen sind: bei den Soldaten, bei den Zivilpersonen, bei Kindern, Frauen und Männern. Wir fühlen in besonderer Weise mit den Familien der Soldaten der
    Koalition. Sie alle sind Betroffene und Opfer der Aggression Saddam Husseins. Er wollte nicht nur Kuwait besetzen; er hat bis zur Aussichtslosigkeit den Krieg gegen die Staatengemeinschaft und auch gegen das eigene Volk gewollt.
    Wenn sich jetzt eine Chance eröffnet, wenn diese Chance genutzt werden soll, dann wird die Bundesregierung alles in ihren Kräften Stehende tun, daß sie genutzt wird — aus ihrer Verantwortung für den Frieden und in ihrer Solidarität mit Partnern und Verbündeten.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Nachrichten des gestrigen Abends und der heutigen Nacht haben uns einmal mehr mit einer Situation konfrontiert, die es unangemessen erscheinen läßt, die Debatte so zu führen, als handele es sich um eine der üblichen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und der Opposition. In einem Augenblick, in dem die Frage, ob am Golf die Waffen schweigen oder die Schrecken des Krieges aufs neue eskalieren werden, auf des Messers Schneide steht, verbietet sich alles, was als parlamentarische Routine oder Pflichtübung erscheinen könnte,

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und beim Bündnis 90/GRÜNE)

    und noch mehr als sonst muß Wichtiges von weniger Wichtigem unterschieden werden.
    Nach diesen Maßstäben — und ich stimme dem Bundesaußenminister darin zu — steht jetzt die Frage an erster Stelle, ob die Gorbatschowsche Initiative die Tür zu einem Waffenstillstand geöffnet hat. Zu Recht hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen diese Initiative zu Beginn dieser Woche als eine historische Chance bezeichnet; zu Recht ist sie von den EG-Außenministern begrüßt worden. Auch die blockfreien Staaten haben sie unterstützt.
    Die gestrige Rede Saddams schien mit ihrem selbstzerstörerischen Fanatismus die Hoffnungen auf einen Erfolg dieser Initiative zu zerstören. Nach dem, was mittlerweile über das Ergebnis des Moskauer Gesprächs bekanntgeworden ist, hat es jetzt im Gegensatz dazu den Anschein, als sei der Irak bereit, Kuwait innerhalb kürzester Frist zu räumen und damit die Kernforderung der Sicherheitsrats-Resolution zu erfüllen. Wir appellieren an alle Verantwortlichen und bitten sie, diese Erklärung sorgfältig zu prüfen und alles nur Mögliche zu tun, damit der Krieg ein Ende findet.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Dazu werden möglicherweise Verdeutlichungen und Ergänzungen des Moskauer Lösungsvorschlags notwendig sein. So muß sichergestellt werden, daß auch nach einer Lockerung oder einer späteren Aufhebung



    Dr. Vogel
    des Wirtschaftsembargos keine Rüstungsexporte in den Irak stattfinden.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Zumindest sollten insoweit die nationalen Maßnahmen fortdauern. Auch können die Resolutionen der Vereinten Nationen sicherlich nicht sofort, sondern erst dann außer Kraft treten, wenn der Aggressor Kuwait vollständig geräumt hat.

    (Zustimmung bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Gefordert sind nunmehr vor allem die Vereinten Nationen und ihr Generalsekretär. Die Frage, ob der Krieg fortgeführt werden soll und ob die Bodenkämpfe beginnen sollen, kann nicht mehr von einzelnen Staaten jeweils für sich, sondern nur von den Vereinten Nationen als der dazu legitimierten Weltorganisation entschieden werden.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Dabei werden sich die Vereinten Nationen vor Augen halten müssen, daß das Ziel ihrer Maßnahmen und Beschlüsse die Räumung Kuwaits war und ist, nicht aber Vorstellungen, die davon abweichen oder darüber hinausgehen.

    (Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ GRÜNE und der PDS/Linke Liste)

    Meine Damen und Herren, ohne unsere Bedeutung und unser Gewicht zu überschätzen — dem sollten wir auch in den Formulierungen Ausdruck geben —, bitte ich mit aller Eindringlichkeit, daß für die Dauer dieser Prüfung keinesfalls mit den Bodenoperationen begonnen werden soll.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Wir appellieren an die Bundesregierung — nach Ihrer Erklärung, Herr Bundesaußenminister, habe ich den Eindruck, daß Sie diesen Appell aufnehmen —, ihren Einfluß aufzubieten, damit es buchstäblich in letzter Minute zu einer Verständigung kommt; nicht weil wir dem brutalen irakischen Diktator hier in diesem Hause auch nur einen Funken Sympathie entgegenbringen, sondern weil wir wollen, daß all den Leiden und Zerstörungen, die dieser Krieg schon verursacht hat, nicht noch das Sterben einer Unzahl von Soldaten und Zivilisten hinzugefügt wird, die keine Schuld an den Verbrechen Saddams tragen.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)

    Dabei geht es uns gerade auch um die amerikanischen Soldaten und die anderen Soldaten der multinationalen Streitmacht.
    Die Bundesrepublik muß übrigens — so meine ich — auch deswegen ihre Stimme erheben, weil ein Scheitern der Gorbatschowschen Initiative das Verhältnis zwischen den Weltmächten empfindlich belasten und die Rückkehr in die Zeiten der Rivalität und der Konfrontation bedeuten könnte.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Deutschen waren in diesen Tagen und Wochen Gegenstand lebhafter Kritik in nicht wenigen Ländern, darunter vor allem in Israel, aber auch in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und in anderen Staaten. Soweit sich diese Kritik gegen die Beteiligung Deutscher an Rüstungsexporten und insbesondere gegen die Mitwirkung Deutscher an der Produktion von chemischen Waffen und der Entwicklung von Raketen richtet, die Israel in Mitleidenschaft ziehen, ist sie berechtigt. Wir werden an dem, was hier nicht nur einzelne gewissenlose Geschäftemacher, sondern auch diejenigen, die in der Verantwortung die Bedeutung und Tragweite all dessen nicht erkannt haben oder untätig geblieben sind, getan bzw. zugelassen haben — ich wähle diese vorsichtige Formulierung, weil sie dieser Stunde angemessen ist — , noch lange schwer zu tragen haben. Wir können jetzt diesen Schaden nur dadurch mindern, daß alle Fakten unverzüglich auf den Tisch gelegt und die nötigen personellen und sachlichen Konsequenzen gezogen werden.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    Vorschläge liegen auf dem Tisch.
    Ich wünschte, es käme hier eine große Koalition zur Wiederherstellung unseres guten deutschen Rufes auf diesem Gebiet zustande. Auf die Beteiligung derer, die dafür verantwortlich sind, daß in der ehemaligen DDR noch bis zur Wende, wie wir jetzt wissen, irakische Soldaten in der Handhabung von Giftgaswaffen ausgebildet wurden, möchten wir allerdings verzichten. Dies gilt auch für die Teilnahme derer, die schamlos genug waren, zu behaupten, Israel habe es sich selbst zuzuschreiben, daß es mit Raketen beschossen wurde.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und beim Bündnis 90/GRÜNE)

    Im übrigen aber halte ich das meiste von dem, was da kritisch gegen Deutschland gesagt wurde, für ungerecht. Ich sage das auch von dieser Stelle aus. Ich danke dem Bundespräsidenten, daß er unser Volk gegen diese Kritik in Schutz genommen und dabei auch für die jungen Menschen, die für den Frieden demonstrieren, das richtige und angemessene Wort gefunden hat.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)

    Ich meine, wir haben uns für unser Grundgesetz nicht zu entschuldigen. Es ist in seinen hier maßgebenden Passagen mit dem Willen, nicht gegen den Willen unserer Freunde zustande gekommen. Wir müssen uns auch dafür nicht entschuldigen, daß wir deutsche Soldaten nicht an den Golf schicken wollen. Dabei können wir uns sogar auf den Rat unserer israelischen Freunde berufen, die sich aus ihren Gründen ebenfalls deutlich gegen den Einsatz deutscher Soldaten in dieser Region ausgesprochen haben.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der FDP)




    Dr. Vogel
    Was zum Schutze Israels vor den irakischen Raketen notwendig und möglich war, das haben wir getan, und zwar bald und ohne Parteienstreit, wobei für uns die Durchbrechung eines Grundsatzes, den wir für wichtig halten, ein Beitrag war, zu dessen Leistung wir uns entschlossen haben.
    Abgesehen von dem Aspekt, der Israel betrifft, ist — ich sage das mit aller Behutsamkeit — auch der Waffenexport kein deutsches Sonderthema.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich weiß nicht, was Ihnen in dieser Stunde Anlaß zur Erheiterung bietet. Es macht mir gewisse Schwierigkeiten, das zu verstehen.
    Ich füge hinzu: Wir Sozialdemokraten haben uns auch nicht dafür zu entschuldigen, daß wir intensiv und leidenschaftlich um unsere Position gerungen haben. Nichts wäre uns Deutschen — dabei bin ich für maßvolle Stimmen auch in Ihren Reihen durchaus dankbar — unangemessener, als in dieser Frage rasch oder gar zackig forsche oder schneidige Positionen zu beziehen.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Daß sich Jürgen Habermas und Wolf Biermann einerseits und Günter Grass andererseits mit großem Ernst über die richtige Antwort auf die Herausforderung auseinandersetzen, die ein Mann, der, wie der irakische Diktator, über Massenvernichtungsmittel verfügt und bereit ist, für die Erreichung seiner Ziele alles aufs Spiel zu setzen, für eine friedliche Weltordnung bedeutet, zeigt, wie existentiell die Problematik ist, um die es hier geht.
    Im übrigen haben wir unsere Positionen auch außerhalb unserer Grenzen vertreten, z. B. in Israel, aber auch in Washington, wo Herr Kollege Voigt unseren amerikanischen Freunden Rede und Antwort stand.
    Was Europa angeht, so ist jetzt wichtig, daß sich die Gemeinschaft schon heute auf eine gemeinsame Politik für die Zeit nach dem Ende des Krieges konzentriert. Folgende Punkte erscheinen uns wesentlich.
    Erstens die Stärkung der Kräfte, die den Haß in der Region überwinden, die Wunden des Krieges heilen und die Reichtümer in dieser Region gerechter, nein: endlich gerecht verteilen wollen.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU und FDP)

    Zweitens fordern wir die Hilfe dafür, daß ein internationaler Prozeß in Gang kommt, der in etwa dem KSZE-Prozeß entspricht. In diesem Prozeß sollten Gewaltverzicht, ein Verbot nuklearer, chemischer und biologischer Waffen und strikte Rüstungskontrollvereinbarungen angestrebt werden. Dabei warne ich vor westlicher Überheblichkeit gegenüber der arabischen Welt. Wir in Europa haben zu dem Weg der KSZE auch erst nach zwei blutigen europäischen Bürgerkriegen gefunden.
    Drittens fordern wir die Anerkennung des Rechts Israels darauf, in sicheren Grenzen zu leben, und die
    Verwirklichung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes. Frieden in der Region wird es nicht geben, solange nicht auch anderen Entschließungen der Vereinten Nationen Rechnung getragen wird

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

    und solange das israelisch-palästinensische Problem von gewissenlosen Diktatoren als politischer Sprengstoff mißbraucht werden kann.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und beim Bündnis 90/GRÜNE)

    Viertens. Es ist hoch an der Zeit, daß die Vereinten Nationen das Thema der Rüstungsexporte auf die Tagesordnung setzen und alles tun, um diesem Handel mit dem Tod die Stirn zu bieten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Denn das ist die Wahrheit: An den Folgen dieses Handels sterben mehr Menschen als an den Folgen des Drogenhandels. Ich meine, das sollte uns alle, das sollte die Völker der Welt zur Vernunft bringen. Und es sollte sich auch nicht wiederholen, daß für einen Krieg in wenigen Wochen mehr Milliarden zur Verfügung gestellt werden — so wie sich die Situation entwickelt hat, sage ich korrekterweise: zur Verfügung gestellt werden müssen — als in Jahren für die Überwindung von Not, Hunger und Elend.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu all dem kann die Bundesregierung einen substantiellen Beitrag leisten. Wir sind bereit, daran mitzuwirken. Wir sollten gemeinsam beweisen, daß das vereinte Deutschland die Sicherung des Friedens für seine vornehmste Aufgabe hält.
    Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluß noch ein persönliches Wort: Viele Menschen — ich zähle mich zu ihnen — beten in diesen Stunden für den Frieden. In diese Gebete sollte eine Fürbitte für die eingeschlossen werden, auf deren Schultern in dieser Stunde die Last einer geradezu erdrückenden Verantwortung liegt. Dabei denke ich insbesondere an die Verantwortlichen in Washington, in New York und in Moskau. Mögen diese Männer die richtige Entscheidung treffen.

    (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)