Rede:
ID1200718200

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Dr.: 1
    7. Knaape.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Freitag, den 1. Februar 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1: Aussprache zur Erklärung der Bundesregierung Dr. Schäuble, Bundesminister BMI . . . . 227A Dr. Penner SPD 231D Dr. Kinkel, Bundesminister BMJ 234 D Dr. Laufs CDU/CSU 236D Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE . . 237 B Gerster (Mainz) CDU/CSU . . . . 238D, 246D Dr. Heuer PDS/Linke Liste 239B Frau Köppe Bündnis 90/GRÜNE 240A Thierse SPD 242B, 245D Dr. Laufs CDU/CSU 241 C Dr. Geißler CDU/CSU 245B Dr. Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 246B Graf von Schönburg-Glauchau CDU/CSU 246 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 247A Dr. Knaape SPD 248A Dr. Brecht SPD 250A Frau Matthäus-Maier SPD 250 B Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 251A Dr. Graf Lambsdorff FDP 254A Scharrenbroich CDU/CSU 255A Geis CDU/CSU 255 D Frau Dr. Götte SPD 256D Frau Jelpke PDS/Linke Liste 257 C Kleinert (Hannover) FDP 259A Dr. Riege PDS/Linke Liste 260 D Bohl CDU/CSU 261D Müller (Pleisweiler) SPD (nach § 28 Abs. 2 GO) 263 D Dr. Ullmann Bündnis 90/GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 264 C Gansel SPD (Erklärung nach § 31 GO) . 264D Möllemann FDP (Erklärung nach § 31 GO) 265B Dr. Graf Lambsdorff FDP (Erklärung nach § 31 GO) 265 C Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit (Drucksache 12/56) Dr. Blüm, Bundesminister BMA 266A Büttner (Ingolstadt) SPD 268A Heyenn SPD 268 B Schreiner SPD 268D, 277 A Dr. Blüm CDU/CSU 269A, 2798 Gibtner CDU/CSU 269 C Frau Dr. Babel FDP 271 D Frau von Renesse SPD 273 C Frau Bläss PDS/Linke Liste 274 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 275 A Fuchtel CDU/CSU 275 A Frau Schenk Bündnis 90/GRÜNE . . . 277 B Andres SPD 277 D II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. Februar 1991 Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 12/57) Jagoda CDU/CSU 280 D Dr. Knaape SPD 282 C Dr. Thomae FDP 283 D Frau Dr. Fischer PDS/Linke Liste . . . 284 A Peter (Kassel) SPD 284 D Frau Schenk Bündnis 90/GRÜNE . . . 286B Frau Hasselfeldt, Bundesminister BMG . 287 A Büttner (Ingolstadt) SPD 287 C Nächste Sitzung 288 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 289* A Anlage 2 Amtliche Mitteilung 289 * D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. Februar 1991 227 7. Sitzung Bonn, den 1. Februar 1991 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Antretter SPD 01.02.91 * Bindig SPD 01.02.91 * Frau Blunck SPD 01.02.91 * Böhm (Melsungen) CDU/CSU 01.02.91 * Brandt SPD 01.02.91 Frau Brudlewsky CDU/CSU 01.02.91 Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 01.02.91 * Buwitt CDU/CSU 01.02.91 Erler SPD 01.02.91 Eylmann CDU/CSU 01.02.91 Frau Eymer CDU/CSU 01.02.91 Dr. Feldmann FDP 01.02.91 * Frau Fischer (Unna) CDU/CSU 01.02.91 * Francke (Hamburg) CDU/CSU 01.02.91 Gattermann FDP 01.02.91 Frau Geiger CDU/CSU 01.02.91 Dr. Geisler (Radeberg) CDU/CSU 01.02.91 Gerster (Worms) SPD 01.02.91 Dr. Gysi PDS 01.02.91 Dr. Haussmann FDP 01.02.91 Hollerith CDU/CSU 01.02.91 Dr. Holtz SPD 01.02.91 Jung (Düsseldorf) SPD 01.02.91 Jung (Limburg) CDU/CSU 01.02.91 Kittelmann CDU/CSU 01.02.91 * Klinkert CDU/CSU 01.02.91 Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 01.02.91 Kuhlwein SPD 01.02.91 Lenzer CDU/CSU 01.02.91 * Louven CDU/CSU 01.02.91 Lowack CDU/CSU 01.02.91 de Maizière CDU/CSU 01.02.91 Marten CDU/CSU 01.02.91 Matschie SPD 01.02.91 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 01.02.91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller CDU/CSU 01.02.91 * Müller (Wesseling) CDU/CSU 01.02.91 Dr. Neuling CDU/CSU 01.02.91 Frau Odendahl SPD 01.02.91 Pfeifer CDU/CSU 01.02.91 Pfuhl SPD 01.02.91 Reddemann CDU/CSU 01.02.91 * Repnik CDU/CSU 01.02.91 Reuschenbach SPD 01.02.91 Frau Roitzsch CDU/CSU 01.02.91 (Quickborn) Frau Schaich-Walch SPD 01.02.91 Dr. Scheer SPD 01.02.91 * Schmidbauer CDU/CSU 01.02.91 von Schmude CDU/CSU 01.02.91 * Dr. Schuster SPD 01.02.91 Frau Simm SPD 01.02.91 Dr. Soell SPD 01.02.91 * Dr. Sperling SPD 01.02.91 Spilker CDU/CSU 01.02.91 Steiner SPD 01.02.91 * Stiegler SPD 01.02.91 Dr. Vogel SPD 01.02.91 Dr. Warnke CDU/CSU 01.02.91 Dr. Warrikoff CDU/CSU 01.02.91 Weißgerber SPD 01.02.91 Frau Wieczorek-Zeul SPD 01.02.91 Wissmann CDU/CSU 01.02.91 Frau Wollenberger Bündnis 01.02.91 90/GRÜNE Wonneberger CDU/CSU 01.02.91 Zierer CDU/CSU 01.02.91 * Anlage 2 Amtliche Mitteilung Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 22. Januar 1991 mitgeteilt, daß sie ihren Antrag Für eine friedliche Lösung des Golfkonflikts - Drucksache 12/10 - zurückzieht.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Bernhard Jagoda


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sozialstaat Deutschland ist größer geworden. Neben der ständi-



    Jagoda
    gen Aufgabe, ihn weiterzuentwickeln, genießt die Aufbauarbeit in den fünfeinhalb neuen Bundesländern größte Priorität. Um das Ziel eines gleichen Sozialniveaus rasch zu erreichen, brauchen wir neue, wirkungsvolle Instrumente, Kraft und Flexibilität. Wir müssen darauf achten, daß der schwierige Umstellungsprozeß nicht negativ berührt, sondern positiv gefördert wird. Eine Überforderung der Sozialsysteme wäre schon in der bisherigen Bundesrepublik Deutschland untragbar; in den neuen Bundesländern wäre sie tödlich.
    Da die Krankenversicherung keinen Staatszuschuß kennt, sondern nur auf die Beitragseinnahmen angewiesen ist und der Beitragssatz mit 12,8 % im Jahre 1991 festgeschrieben wurde, muß ganz besonders die gesetzliche Krankenversicherung vor Überforderung geschützt werden. Deshalb wurde die Selbstverwaltung der GKV im Einigungsvertrag verpflichtet, unter Wahrung der Beitragsstabilität Gebühren, Preise und Vergütungen so auszuhandeln, daß eine Überforderung vermieden wird.
    Meine Damen und Herren, für den Arzneimittelbereich haben die Krankenversicherungen kein Instrument. Die Herstellerabgabenpreise können frei gebildet werden. Diese werden nach der Apothekenpreisspannenverordnung über die Großhandels- und Apothekenaufschläge einschließlich der 14prozentigen Mehrwertsteuer zu einem einheitlichen Apothekenabgabenpreis hochgerechnet. Diese Preise auf Westniveau sind bei der niedrigeren Grundlohnsumme und dem festgezurrten Beitragssatz nicht tragbar. Deshalb wurde im Einigungsvertrag ein Abschlagsmechanismus gewählt, der die Krankenversicherungen im Beitrittsgebiet vor Überforderungen durch Arzneimittelpreise schützt. Ziel dieser Operation war es, daß die Krankenversicherungen in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und dem Ostteil von Berlin für die Arzneimitteltherapie ihrer Versicherten ebenfalls nur einen Beitragsanteil von 15,6 % aufzubringen haben wie in der bisherigen Bundesrepublik.
    Wegen der Zeitenge war es im Sommer 1990 nicht möglich, mit den Beteiligten über andere Instrumente zu debattieren. Deshalb waren sich die Verhandlungsdelegationen einig, den gesamtdeutschen Gesetzgeber zu bitten, zu prüfen, ob nicht andere, vielleicht praktikablere, die Krankenversicherung vor Überforderung schützende Instrumente gefunden und verbindlich festgeschrieben werden können. Angesichts der zurückliegenden Diskussion möchte ich anmerken, daß der seit dem 1. Januar 1991 praktizierte Weg weder ordnungspolitisch verwerflich noch verfassungswidrig ist. Auch er stellt einen brauchbaren Schutz vor Überforderungen der Krankenversicherungen dar. Er führt auch nicht zu einer Überforderung der Marktbeteiligten, weil er dynamisch der Einkommensentwicklung anzupassen ist.
    Der Bundesarbeitsminister hat in mehreren Gesprächs- und Verhandlungsrunden mit den Marktbeteiligten ein anderes Sysstem ausgehandelt. Die Gesundheitsministerin hat nach letzter Feinabstimmung im Kabinett den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches SGB zur Entscheidung
    vorgelegt. Nachdem das Kabinett diese Vorlage gebilligt hat, ist sie auf dem Weg zum Bundesrat.
    Ich möchte für meine Fraktion dem Bundesarbeitsminister für die erfolgreichen Bemühungen, diese Lösung zu finden, danken, ebenso Ihnen, Frau Minister Hasselfeldt, für den letzten Feinschliff, den Sie vorgenommen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herausstellen möchte ich aber auch die großen Anstrengungen der Marktbeteiligten, sich einvernehmlich auf die jetzige Lösung festzulegen. Dies ist ein hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft, gemeinsam Schwierigkeiten zu meistern. Herzlichen Dank also den Verantwortlichen aus der Pharmaindustrie, dem Großhandel und der Apothekerschaft.
    Um diesem abgestimmten Modell zum 1. April 1991 Gesetzeskraft zu verleihen und den parlamentarischen Gremien ausreichend Zeit zur Beratung zu geben, haben sich sie Koalitionsfraktionen diesen Entwurf zu eigen gemacht und bringen ihn heute als ihre Initiative in den Deutschen Bundestag ein.
    Mit diesem Entwurf erreichen wir das Ziel Schutz vor Überforderung auf einem anderen Weg. Die Marktbeteiligten garantieren durch Einnahmeverzicht, daß die Krankenversicherungen im Beitrittsgebiet für Arzneimittel prozentual nur so belastet werden wie im bisherigen Bundesgebiet. Sie tragen im ersten Zeitraum, vom 1. April 1991 bis 31. März 1992, ein entstehendes Defizit von 500 Millionen DM ganz und beteiligen sich an einem weiteren möglichen Defizit mit 50 %. Im zweiten Zeitraum, vom 1. April 1992 bis 31. März 1993, verdoppelt sich die Defizithaftung der Marktbeteiligten. Sie decken also ein mögliches Defizit in Höhe von 1 Milliarde DM allein. Sollte es wider Erwarten zu einem höheren Defizit kommen, so beteiligen sie sich wieder mit 50 %. Für die letzte Zeitphase, vom 1. April 1993 bis 31. Dezember 1993, also nur für neun Monate, steht die Garantiesumme von 700 Millionen DM zur Verfügung. Übersteigt das Defizit diese Summe, so zahlen Hersteller, Großhandel und Apotheker wieder 50 % der Restsumme. Zur Minderung des Restrisikos, meine Damen und Herren, stehen den Krankenversicherungen 600 Millionen DM aus der Anschubfinanzierung zur Verfügung.
    Mit dieser Initiative wird nur die gesetzliche Krankenversicherung geschützt. Dies ist keine beabsichtigte Entscheidung gegen die private Krankenversicherung. Der Gesetzgeber hat seit jeher beide Bereiche unterschiedlich behandelt. Die Rechtfertigung leitet sich aus den unterschiedlichen Prinzipien des jeweiligen Systems ab. Das System der PKV kennt die Äquivalenz von Beitrag und Leistung. Die Beitragshöhe ist risikoadäquat. Die PKV ist im Regelfall gewinnorientiert und handhabt das Kostenerstattungsprinzip. Die gesetzliche Krankenversicherung dagegen fußt auf dem Prinzip des Solidarausgleichs. Hier steht der Besserverdienende dem Schwächeren bei. Die Kinder und der Ehepartner sind beitragsfrei versichert. Es gibt keine Risikozuschläge. Das Sachleistungsprinzip ist Grundlage der Patientenversorgung. Es handelt sich also um zwei sehr unterschiedliche Systeme.



    Jagoda
    Deshalb ist der in der Presse erhobene Vorwurf, diese Initiative verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, nicht ganz verständlich. In der Beratung werden wir uns sicher auch mit dieser Frage sehr eingehend zu befassen haben. Die Vorzüge dieser Initiative gegenüber dem zur Zeit praktizierten Weg sehe ich u. a. in folgenden Punkten.
    Erstens. In ganz Deutschland bleibt der einheitliche Apothekenabgabepreis erhalten.
    Zweitens. Die Akzeptanz der Marktbeteiligten ist gegeben. Akzeptierte Opfer werden leichter erbracht.
    Drittens. Die wohnortnahe Versorgung der Patienten mit Medikamenten wird verbessert. Leistungsfähige Großhandelssysteme und die Verselbständigung von Apotheken werden erleichtert.
    Viertens. Dies ist eine Exporterleichterung für die heimische Pharmaindustrie, weil der einheitliche Referenzpreis erhalten bleibt.
    Fünftens. Die Mehrwertsteuereinnahmen erhöhen sich beträchtlich und kommen nach Art. 7 des Einigungsvertrages auch den neuen Bundesländern zugute.
    Sechstens. Mögliche graue Märkte können besser bekämpft werden.

    (Peter [Kassel] [SPD]: Das hätten Sie voriges Jahr machen sollen, wenn es so toll ist!)

    — Der Abgeordnete Peter (Kassel) ist ein Wunderkünstler. Da ich nicht ganz unbeteiligt gewesen bin, Herr Kollege:

    (Peter [Kassel] [SPD]: Ich weiß das!)

    Ich hoffe, daß Sie die Humanisierung der Arbeitswelt auch noch ein Stück pflegen wollen und nicht erwarten, daß die Beamten in den einzelnen Ministerien, die damals rund um die Uhr gearbeitet haben, den Tag noch verlängern und 24 oder noch mehr Stunden arbeiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Peter [Kassel] [SPD]: Jawohl, Herr Beamter!)

    Das im Einigungsvertrag festgelegte System des „dynaminsierten Einstiegswinkels" war polemischer Kritik ausgeliefert. Der Kulminationspunkt wurde mit der Weigerung einiger Pharmaunternehmen, Medikamente zu diesen Bedingungen den Kranken im Beitrittsgebiet zur Verfügung zu stellen, erreicht. Selbst wenn man sehr viel Verständnis für eine harte Auseinandersetzung in einer freien Gesellschaft aufzubringen vermag, stößt diese Verhaltensweise nicht nur auf völliges Unverständnis, sondern auch auf unsere erbitterte Ablehnung.

    (Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Aber sie war wirkungsvoll!)

    Ich sehe darin eine nachhaltige Imageschädigung der gesamten deutschen Pharmaindustrie, also auch jener Betriebe, die sich nicht beteiligten. Diese Handlungsart einiger ist um so unverständlicher, wenn man bedenkt, daß der Marktanteil der westdeutschen Pharmabranche 1990 im Beitrittsgebiet ganze 20 % betrug und die Arzneimittel kalkulatorisch zu Grenzkosten produziert werden können.
    Geht man ferner davon aus, daß die Nachfrage nach apothekenpflichtigen Arzneimitteln durch die gesetzliche Krankenversicherung im Beitrittsgebiet nach heutigen Preisen ein Volumen von 5 Milliarden DM haben dürfte und die Pharmaindustrie West einen größeren Marktanteil erobern will, wird die Verhaltensweise einiger zu Beginn dieses Jahres noch unverständlicher. Wir sind meines Wissens das einzige Land, in dem sich die Herstellerpreise für pharmazeutische Erzeugnisse frei bilden können. Unser politisches Ziel muß es daher sein, daß dieses ordnungspolitisch richtige Verfahren im ganzen europäischen Binnenmarkt Einzug hält. Auch deshalb war diese spektakuläre Weigerung einiger ein Selbsttor, meine sehr verehrten Damen und Herren.
    Im Namen der CDU/CSU-Fraktion bitte ich die anderen Fraktionen dieses Hauses, durch eine zügige Beratung mitzuhelfen, daß die Beratungen zu dieser Initiative zeitgerecht abgeschlossen werden können. Für das erste Zeichen der Bereitschaft, schon heute eine Ausschußsitzung durchzuführen, möchte ich der Opposition im Namen meiner Fraktion herzlich danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Knaape.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Hinrich Knaape


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung soll der im Deutschlandvertrag vorgesehene 55%ige Preisabschlag auf Arzneimittel durch eine stufenweise vorgenommene Defizitausgleichsregelung, verteilt auf die Arzneimittelhersteller, den Großhandel und die Apotheken, abgelöst werden. Dadurch soll ein böses Pokerspiel mit der Angst der kranken und behandlungsbedürftigen Senioren beendet werden. Es zeigt sich, daß der Bundesarbeitsminister im August 1990 seine Stellung falsch einschätzte, als er versuchte, durch dirigistisches Verfahren einen freien Markt zu regulieren.
    Es ist nicht zu verstehen, weshalb die Bundesregierung bei einer so sensiblen Frage vorher nicht alle Beteiligten an einen Tisch geholt und über eine Kompromißlösung verhandelt hat. Offenbar glaubt sie, daß sie ohne Folgen durch solche zu massiver Verärgerung führenden Verfahrensweisen zäh und beharrlich am Stamm ihrer Wähler in den Beitrittsländern weitersägen kann. Sie unterliegt dem Fehler, den Langmut der Bürger zu unterschätzen. Man könnte sich aus der Opposition heraus über solche Ungeschicklichkeit nur freuen, wenn sie sich nicht folgenschwer auf die psychische Befindlichkeit der Bürger auswirken würde.
    Die deutsche pharmazeutische Industrie scheute sich auch nicht, ihren traditionell guten Ruf in den Beitrittsländern aufs Spiel zu setzen und durch Rundschreiben einen Lieferboykott, unterstützt durch die Apotheken, ab Januar 1991 anzukündigen.

    (Dreßler [SPD]: Leider wahr! — Peter [Kassel] [SPD]: Ein schöner Hammer war das!)

    Aus der Sicht der Pharmaindustrie ist sicher verständlich, daß sie die unkontrollierte Verbreitung der in den Beitrittsländern verbilligt angebotenen Arzneimittel auf alle Bundesländer und auch auf das Aus-



    Dr. Knaape
    land befürchtete und verhindern wollte. Aus der Sicht eines bedürftigen Kranken ist es jedoch schwierig, solche Beschränkungen einzusehen, zumal in einer Phase der Entwicklung, in der das ambulante Gesundheitswesen in den Beitrittsländern im Umbruch, um nicht zu sagen: teilweise in der Auflösung begriffen ist, was die Polikliniken und Ambulatorien anbetrifft.
    Der Zwang und das schnell geweckte Bedürfnis der Ärzte zur Privatisierung in freier Niederlassung, da die Kommunen die Finanzierung der Institutionen Poliklinik und Ambulatorien nicht mehr gewährleisten können, verunsicherte die Patienten und löste besonders bei den kranken Senioren infolge ihrer eingeschränkten Umstellungsfähigkeit Ängste und teilweise chaotische Reaktionen aus. Dazu kam, daß die guten Westmedikamente zeitweilig mancherorts in der Apotheke nicht beziehbar waren.
    Wenn der Bundesarbeitsminister gestern davon sprach, daß Vertrauensbildung ein Wesenszug seiner Handlung als Minister sei, so kann diese Auffassung nicht im Einklang mit dem aufgezeigten Verfahrensweg stehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Von Frau Minister Hasselfeldt erhoffen wir mehr Einführungsvermögen und begrüßen in dieser Hinsicht auch die Einrichtung eines Ministeriums für Gesundheitswesen im Interesse des Aufbaus der staatlichen Einrichtungen in den Anschlußländern.
    Die Pharmaindustrie sitzt unzweifelhaft am langen Hebel, der den Geldhahn der gesetzlichen Krankenkassen öffnet. Deshalb sollte überdacht werden, ob der Aufschluß eines später äußerst aufnahmefähigen Marktes nicht zu stärkerer Bereitschaft Anlaß geben sollte, sich an der Deckung des in den kommenden Jahren noch zu erwartenden Defizits bei der Abdekkung der Kosten für die Medikamente zu beteiligen.
    Bei der Umverteilung der Lasten der Defizitdekkung zwischen Herstellern, Großhandel und Apotheken geht man davon aus, daß der Anteil des Ausgabenvolumens der gesetzlichen Krankenkassen, der zur Medikamentenversorung notwendig ist, auch im Beitrittsgebiet in der gleichen Höhe wie in den Altbundesländern liegt. Offen ist aber, ob diese Ausgabenerwartung in dieser Höhe bleibt oder sie erheblich überschreitet, was dann letztlich zu einer Mehrbelastung der Fonds der gesetzlichen Krankenkassen führen würde, da diese vom Gesetzentwurf her in den kommenden Jahren jeweils stärker am Ausgleich beteiligt sind. Dies würde sich wiederum nachteilig auf die sonstigen Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen auswirken und wäre einer Angleichung der medizinischen Versorgung insbesondere in den Krankenhäusern der Beitrittsländer in den kommenden Jahren sehr abträglich. Zum Beispiel liegt der Pflegesatz für den Monat Januar in einer Nervenklinik mit neurologischer Intensivstation, allgemeiner und spezieller Psychiatrie sowie Kinder- und Jugendneuropsychiatrie bei 92 DM pro Tag und Bett. Dies spricht sicher dafür, daß von der Bundesregierung vorgesehene Beträge zur Anschubfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung im Beitrittsgebiet weniger für die Deckung eines Defizitausgleichs bei den Arzneimitteln, sondern vielmehr für den Ausbau der Gesamtleistung der Krankenversicherung eingesetzt werden sollten.
    Wir gehen davon aus, daß der vorliegende Gesetzentwurf zunächst durch die Anhörung von Sachverständigen im Gesundheitsausschuuß auf seine Tragfähigkeit in den Beitrittsländern abgeklopft werden muß, signalisieren aber gleichzeitig Kompromißbereitschaft, da im Interesse der Patienten in den Beitrittsländern schnell eine verträgliche Lösung gefunden werden muß. Unsere Forderungen bzw. Anregungen sind:
    Erstens. Das finanzielle Risiko der gesetzlichen Krankenkassen in den Beitrittsländern muß niedrig gehalten werden.
    Zweitens. Von den pharmazeutischen Unternehmern wäre ein höheres Angebot zur Deckung des Defizitbeitrags aus Solidarität zum Aufbau der medizinischen Versorgung in den Beitrittsländern zu erwägen.

    (Beifall bei der SPD)

    Drittens. Die Medikamentenversorgung in den Beitrittsländern durch die westdeutschen Anbieter muß unkompliziert, reibungslos und ohne zusätzliche Kosten durch Überwachung und anderes für die gesetzlichen Krankenkassen abgewickelt werden können.
    Und viertens wünschen wir uns, daß die Bundesregierung in Zukunft bei solchen Maßnahmen mehr Rücksicht auf das Empfinden der Menschen in den neuen Bundesländern nimmt.

    (Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ GRÜNE sowie des Abg. Dr. Graf Lambsdorff [FDP])