Rede von
Dr. h.c.
Wolfgang
Thierse
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich trete hier gewissermaßen als ein retardierendes Moment auf, weil ich vorhabe, aus der Sicht eines ehemaligen DDR-Bürgers, eines Bürgers aus den neuen Ländern etwas allgemeiner und grundsätzlicher über die Probleme des gesellschaftlichen Zusammenwachsens in Deutschland zu reden.
Vorweg zu Herrn Laufs die doch notwendige Bemerkung, daß auch ich hier nicht stehen würde, wenn es die Demokratie der Straße nicht gegeben hätte.
Aus dieser Grunderfahrung und aus der Erinnerung — das werden Sie verstehen —, daß ich früher als DDR-Bürger immer mit großem Neid auf die Bundesrepublik geschaut und das Recht auf Demonstration als eines der wichtigsten Rechte angesehen habe,
verstehe ich nicht, warum im Zusammenhang mit Demonstrationen immer von „Straße" geredet wird. Man kann ja die Meinung derer kritisieren, die auf die Straße gehen. Dagegen habe ich nichts. Aber warum sagt man „Straße" ? Ich werde niemals zulassen, daß diejenigen, die mit mir in Berlin am 4. November, jenem wichtigsten Tag des Herbstes 1989, demonstriert haben — wir waren 500 000 bis 1 Million —, als „Straße" bezeichnet werden. Das waren 500 000 Menschen!