Rede:
ID1200604900

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 12006

  • date_rangeDatum: 31. Januar 1991

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/6 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1991 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 95 A Rücknahme eines in der 5. Sitzung erteilten Ordnungsrufs 95 B Tagesordnungspunkt 1: Aussprache zur Erklärung der Bundesregierung Dr. Vogel SPD 95 B Dr. Dregger CDU/CSU 107 B Dr. Schmude SPD 112C Dr. Solms FDP 113 B Conradi SPD 116D Dr. Modrow PDS/Linke Liste 118B Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE . . . 121D Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . . 124 C Dr. Graf Lambsdorff FDP . . . . 126B, 168C Frau Matthäus-Maier SPD . . . . 129D, 154B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 133B, C Genscher, Bundesminister AA 136B Gansel SPD 139C, 162C Dr. Graf Lambsdorff FDP 169A, 174B Dr. Biedenkopf, Ministerpräsident des Landes Sachsen 145 B Kühbacher, Minister des Landes Brandenburg 148B, 171C Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU . . . 150D Dr. Kohl, Bundeskanzler 152 C Dr. Krause (Börgerende) CDU/CSU 154A, 174B Möllemann, Bundesminister BMWi . . . 154 C Dr. Jens SPD 156C Gansel SPD 157B Rühe CDU/CSU 158D Genscher FDP 163A Möllemann FDP 163B, 166D Frau Lederer PDS/Linke Liste 163 C Roth SPD 165C, 169B Dr. Krause, Bundesminister BMV . . . 169B Dr. Ullmann Bündnis 90/GRÜNE . 172A, 177A Glos CDU/CSU 174C, 177B Walther SPD 176A, 180D Roth SPD 176D Dr. Briefs PDS/Linke Liste 177 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 178D Nitsch CDU/CSU 181 B Dr. Seifert PDS/Linke Liste 183 C Schäfer (Offenburg) SPD 184B Gibtner CDU/CSU 187B Baum FDP 188D Frau Braband PDS/Linke Liste 190D Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 191B Schäfer (Offenburg) SPD 193A Dr. Feige Bündnis 90/GRÜNE 193D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 195C Dreßler SPD 198B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1991 Cronenberg (Arnsberg) FDP 204 B Dreßler SPD 204C, 209A, 220C Dr. Schumann (Kroppenstedt) PDS/Linke Liste 206 C Frau Rönsch, Bundesminister BMFS . . 207 B Dr. Ullmann Bündnis 90/GRÜNE . . . 208A, B Frau von Renesse SPD 208B, C Schwarz CDU/CSU 209 D Frau Schenk Bündnis 90/GRÜNE . . . 210C Frau Dr. Merkel CDU/CSU 212 C Frau Dr. Höll PDS/Linke Liste 213A Frau Bläss PDS/Linke Liste 213A Frau Becker-Inglau SPD 214B Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Bundesminister BMBau 217B Reschke SPD 218B Conradi SPD 219A Scharrenbroich CDU/CSU 219D Dr. Ortleb, Bundesminister BMBW . . . 222D Kuhlwein SPD 223 C Nächste Sitzung 224 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 225* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1991 95 6. Sitzung Bonn, den 31. Januar 1991 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Antretter SPD 31. 01. 91 * Bindig SPD 31. 01. 91 * Frau Blunck SPD 31. 01. 91 * Böhm (Melsungen) CDU/CSU 31. 01. 91 * Frau Brudlewsky CDU/CSU 31. 01. 91 Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 31. 01. 91 * Buwitt CDU/CSU 31.01.91 Erler SPD 31.01.91 Frau Eymer CDU/CSU 31. 01. 91 Dr. Feldmann FDP 31. 01. 91 * Frau Fischer (Unna) CDU/CSU 31. 01. 91 * Francke (Hamburg) CDU/CSU 31. 01. 91 Gattermann FDP 31.01.91 Dr. Gysi PDS 31. 01. 91 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 31. 01. 91 Dr. Holtz SPD 31. 01. 91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Kittelmann CDU/CSU 31. 01. 91 * Klinkert CDU/CSU 31.01.91 Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 31. 01. 91 Matschie SPD 31.01.91 Dr. Müller CDU/CSU 31. 01. 91 * Dr. Neuling CDU/CSU 31. 01. 91 Pfuhl SPD 31.01.91 Reddemann CDU/CSU 31. 01. 91 * Repnik CDU/CSU 31.01.91 Dr. Schäuble CDU/CSU 31. 01. 91 Dr. Scheer SPD 31. 01. 91 * Schmidbauer CDU/CSU 31.01.91 von Schmude CDU/CSU 31. 01. 91 * Frau Simm SPD 31. 01. 91 Dr. Soell SPD 31. 01. 91 * Dr. Sperling SPD 31. 01. 91 Spilker CDU/CSU 31.01.91 Steiner SPD 31. 01. 91 * Frau Wieczorek-Zeul SPD 31. 01. 91 Frau Wollenberger Bündnis 31. 01. 91 90/GRÜNE Wonneberger CDU/CSU 31.01.91 Zierer CDU/CSU 31. 01. 91 *
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Aussprache wird um 14 Uhr fortgesetzt.
    Ich unterbreche die Sitzung.

    (Unterbrechung von 13.07 bis 14.00 Uhr)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren mit der Aussprache zur Regierungserklärung fort. Ich erteile dem Minister des Auswärtigen, Herrn Dr. Genscher, das Wort.

(Heiterkeit)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin, nachdem Sie mich promoviert haben, möchte ich Ihnen zu Ihrer Wahl herzlich gratulieren.

    (Heiterkeit)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach dem Ende des West-Ost-Gegensatzes richten sich die Hoffnungen der Menschheit auf eine neue Weltordnung der Freiheit, des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit. Der Krieg am Golf, die Krise in der Sowjetunion, vor allem in den baltischen Staaten, werfen einen dunklen Schatten auf diese Hoffnungen. Dennoch, diese neue Weltordnung wird kommen. Präsident Bush hat es vor dem amerikanischen Parlament eindrucksvoll bekräftigt.
    Deutschland stellt sich nach seiner Vereinigung der neuen und der größeren Verantwortung in der Welt.
    Am Golf steht Recht gegen Unrecht, steht die Weltgemeinschaft gegen einen Aggressor, der zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts einen Nachbarn überfallen hat — ein Aggressor, der weder vor Geiselnahme noch vor Umweltkriegsverbrechen zurückschreckt, ein Aggressor, der mit dem Einsatz von Giftgas droht.
    Saddam Hussein hat alle Möglichkeiten zur Vermeidung des Krieges ausgeschlagen. Er will die Vorherrschaft im Nahen und im Mittleren Osten, und er will die Vernichtung Israels. Damit hat die irakische Aggression eine neue schreckliche Dimension bekommen. Völkermord wird als politisches Ziel propagiert, Völkermord gegen dasselbe Volk, das schon einmal Opfer war.
    Historische und moralische Verantwortung verbindet uns Deutsche in dieser tödlichen Bedrohung Israels in besonderer Weise mit dem jüdischen Volk. Wir stehen in dieser existenzbedrohenden Lage ohne jede Einschränkung an der Seite Israels.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Die Abwehrwaffen, die es braucht, um sich zu schützen, stellen wir im Rahmen des uns Möglichen zur Verfügung. So habe ich das bei dem Besuch in Israel mit den Kollegen Spranger und Rühe zugesagt. Wir konnten uns übrigens auch auf die Meinung der Kollegen von der SPD stützen. So geschieht dies jetzt.
    Die Einmaligkeit unserer historischen Verantwortung und die Einmaligkeit und Schwere der akuten Gefährdung Israels können allerdings diese Unterstützung Israels nicht zum Berufungsfall für eine Ausweitung unserer Waffenexportpolitik machen.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP — Zustimmung des Abg. Rühe [CDU/CSU])

    Deutschland hat seit 30 Jahren keine Waffenexporte in den Irak genehmigt. Deutsche haben aber unter Bruch unserer Gesetze, unter Täuschung der Behörden an der Giftgasproduktion Saddam Husseins mitgewirkt. Sie zu ächten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
    Ich begrüße sehr, daß Sie, Herr Kollege Solms, vorgeschlagen haben, die deutsche Wirtschaft möge auch durch einen Verhaltenskodex dazu beitragen, das Bewußtsein der Verwerflichkeit eines solchen Handelns zu stärken.
    Dies alles ist geschehen nach dem, was Juden in der Vergangenheit durch Deutsche angetan wurde. Das ist eine Last, an der wir alle tragen, die deutsche Außenpolitik zuallererst.
    Um so wichtiger ist es, daß wir durch eine weitere Verschärfung der Gesetze alle Schlupflöcher für illegale Waffenexporte und für die Mitwirkung von Deutschen schließen.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Golf ist Krieg, und wir sind Partei in diesem Krieg an der Seite der Koalition zur Durchsetzung der Entschließung des Sicherheitsrates, auf der Seite des Völkerrechts und der Selbstbestimmung. Wir sind solidarisch mit den USA, Großbritannien und Frankreich sowie mit allen, die mit ihren Soldaten die Last dieser Aktion der Völkergemeinschaft zur Wiederherstellung des Rechts und zur Abwendung einer letztlich die ganze Welt bedrohenden Gefahr tragen. So haben es der Herr Kollege Stoltenberg und ich am Tag nach Beginn der Kampfhandlungen mit der Westeuropäischen Union erklärt.
    Unsere Solidarität und unser Dank gelten den Soldaten unserer Verbündeten am Golf in besonderer Weise, und ihren Familien gilt unsere Verbundenheit. Sie sichern hier bei uns seit Jahrzehnten zusammen mit den Soldaten unserer Bundeswehr den Frieden in Europa. Wir werden auch nicht vergessen, daß es Soldaten dieser Verbündeten waren, die in den Monaten der höchsten Bedrängnis, der Blockade Westberlins,



    Bundesminister Genscher
    mit der Luftbrücke für das Überleben Westberlins gesorgt haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Daß bei uns wie in vielen anderen Staaten Menschen für den Frieden auf die Straße gehen, sollte niemanden wundern.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)

    Unsere Straßen haben schon Aufmärsche ganz anderer Art erlebt.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

    Die Sorge um den Frieden ehrt die Deutschen. Wir sollten dabei nicht vergessen, daß auch diejenigen für den Frieden eintreten, die ihre Solidarität mit Israel und den Staaten, die es auf sich genommen haben, dem Aggressor Einhalt zu gebieten, bekunden.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Niemand darf vergessen, daß Saddam Hussein es war, der den Frieden gebrochen hat. Wir alle müssen uns fragen, warum es nicht schon damals Demonstrationen gab. Er ist der Aggressor; nicht diejenigen, die ihm entgegentraten. Der Krieg am Golf hat am 2. August mit dem brutalen Überfall auf Kuwait und nicht am 16. Januar 1991 mit der bewaffneten Aktion der Staatengemeinschaft begonnen.
    Zu den Lehren aus unserer eigenen Geschichte gehört, daß Nachgiebigkeit gegenüber dem Aggressor schließlich einen weit höheren Preis an Opfern und Zerstörung abverlangt als Festigkeit.
    Unsere Solidarität drückt sich nicht nur in Worten aus. Schon vor der Entscheidung des Kabinetts vom Dienstag dieser Woche hatte sich Deutschland mit fast sechs Milliarden DM — finanzielle Leistungen und Sachleistungen — an den Lasten des Golfkonflikts beteiligt. Die Bundesregierung wird auch weiterhin einen angemessenen Teil der gemeinsamen Lasten übernehmen.
    Es hat niemand an der Verläßlichkeit Deutscher und Deutschlands als Bündnispartner zu zweifeln. Das gilt auch für die Türkei, und das gilt für uns. Einen Automatismus für das, was man den Bündnisfall nennt, gibt es deshalb nicht. Jedes Land muß an der Entscheidung mitwirken, ob der Bündnisfall eintritt. Wir haben vorgesehen, daß dazu auch das Parlament seine Entscheidung zu treffen hat.
    Wir begrüßen es, daß der türkische Präsident Özal nun auch öffentlich festgestellt hat, daß die Türkei keine Gebietsansprüche gegen den Irak hat. Nach manchen Diskussionen in der Türkei war das eine begrüßenswerte Klarstellung.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Die Entsendung des deutschen Luftwaffenanteils an der AMF in die Türkei ist Ausdruck unserer Solidarität im Bündnis. Der Schutz der deutschen Soldaten und der anderen Verbündeten auf dem zweiten Flugplatz gegen Luftangriffe durch Entsendung von Luftabwehreinheiten sollte die Unterstützung des
    ganzen Hauses finden. Niemand kann die Verantwortung dafür übernehmen, daß unsere Soldaten ohne Schutz ihren Solidaritätsdienst in der Türkei versehen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Die Weltordnung, nach der sich die Menschheit sehnt, kann nur entstehen, wenn die Weltgemeinschaft der Aggression und dem Streben nach Vorherrschaft keine Chance läßt. Deutschland ist Mitglied der Weltgemeinschaft. Wir sind bereit, unsere Verantwortung in der Weltgemeinschaft zu erfüllen.
    Die noch bestehende verfassungsrechtliche Einschränkung unserer militärischen Mitwirkung bei UNO-Aktionen ist ganz gewiß nicht Ausdruck von Verantwortungsmangel oder gar Drückebergerei. Diese Beschränkung war als Konsequenz aus unserer Geschichte und für ein geteiltes Land wohlbegründet.
    Sie hatte übrigens auch Erfahrungen und auch Ängste unserer Nachbarn berücksichtigt. Bis in das letzte Jahr hinein reichte in manchen Ländern die Sorge vor einem — auch militärisch — übermächtigen Deutschland, das mit der Vereinigung entstehen könnte.
    Es hat für uns gleichwohl nicht des irakischen Angriffs auf Kuwait bedurft, um zu erkennen, daß wir Deutschen, eingebettet in die Weltgemeinschaft, in das westliche Bündnis und die Europäische Gemeinschaft, künftig auf der Grundlage von Entschließungen des Sicherheitsrates an der Sicherung des Friedens und der Durchsetzung des Völkerrechts auch militärisch mitwirken müssen. Die dafür notwendige Ergänzung der Verfassung sollte die Zustimmung des ganzen Hauses finden.
    Wenn der Krieg am Golf mit der Erreichung der Ziele des Sicherheitsrates beendet ist, gilt es, dort den Frieden zu gewinnen. Der bewaffnete Konflikt wird vieles in der Region verändern. Diese Zäsur muß als Chance und Ausgangspunkt für eine grundlegende und umfassende Friedensregelung für den Nahen und den Mittleren Osten genutzt werden. Das Existenzrecht Israels gehört genauso dazu wie dasjenige der arabischen Staaten und das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes.
    Die Zurückhaltung Israels ist in einer lebensbedrohenden Lage angesichts der täglichen Angriffe ein wichtiger Beitrag zu zukünftiger Vertrauensbildung. Wir sollten diese Zurückhaltung nicht vergessen.
    Mit ihrer gewiß nicht leichten Entscheidung für die Teilnahme an der Anti-Irak-Koalition stellen Ägypten und Syrien ein hohes Maß an Verantwortung unter Beweis, das auch für die Zukunftsgestaltung der Region wirksam genutzt werden kann.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Es geht um Frieden und Sicherheit, um Stabilität durch Vertrauensbildung, um Abrüstung, um politischen Interessenausgleich und um wirtschaftliche Zusammenarbeit am Golf wie im Nahen Osten. Was in Europa erreicht wurde, kann zum Modell des friedlichen Zusammenlebens auch im Nahen und Mittleren Osten werden.



    Bundesminister Genscher
    Das setzt aber auch voraus, daß überall im Nahen und Mittleren Osten wirtschaftliche Stabilität und soziale Gerechtigkeit verwirklicht werden. Ich denke, es ist Zeit, daß der Reichtum einiger arabischer Staaten nicht mehr für Aufrüstung,

    (Dr. Vogel [SPD]: Ja!)

    sondern für die Entwicklung der ganzen Region verwendet wird.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

    Die Milliarden, die in der Vergangenheit für die Aufrüstung der Region, vor allem auch des Irak, ausgegeben wurden, könnten die Region zu einem blühenden Weltteil machen.
    Die gewachsene Verantwortung Deutschlands wird in Zukunft für die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa mit Blick auf die Dritte Welt und für den Wiederaufbau in der nah- und mittelöstlichen Region zum weltweiten Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen von uns noch größere Beiträge verlangen. Ich warne vor der vereinfachenden Ansicht, erhöhte Verantwortung drücke sich vor allem in militärischem Einsatz aus. Die Notwendigkeit dafür wird — wie ich hoffe — die Ausnahme bleiben.
    Gewachsene Verantwortung verlangt von uns aber politische und materielle Beiträge. Dem wollen und dem müssen wir gerecht werden. Die Bürger unseres Landes sollen wissen, daß diese materiellen Beiträge des vereinigten Deutschlands für europa- und weltweite Aufgaben zusätzliche Lasten für jeden einzelnen bedeuten werden. Dies offen zu erklären ist die Verantwortung der politischen Führung.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist falsch, die vom Bundeskanzler angekündigten Steuererhöhungen allein im Zusammenhang mit dem Golfkrieg zu sehen. Das vereinigte Deutschland wird auch nach Abschluß des Golfkrieges Aufgaben zu erfüllen haben — bei der Entwicklung der Dritten Welt, beim weltweiten Umweltschutz, bei der Hilfe für Mittel- und Osteuropa — , die wir aus den gegenwärtigen Beträgen nicht werden aufbringen können. Das muß ausgesprochen werden, und das muß auch begründet und politisch vor der Öffentlichkeit vertreten werden.

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Vor den Wahlen!)

    Wir nehmen an den internationalen Lasten entsprechend unserer Leistungsfähigkeit teil. Wir müssen bei uns darauf achten, daß diese Lasten auch bei unseren Bürgern sozial gerecht verteilt werden.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Gerade die FDP muß das sagen!)

    — Frau Kollegin, da werden Sie noch Ihre Wunder erleben. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie unsere Vorschläge, die Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern bei der Steuer stärker zu entlasten, unterstützt anstatt kritisiert hätten.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das bedeutet aber: Dann, wenn wir über diese Lastenverteilung bei uns sprechen, nicht zu vergessen, daß die Deutschen in den neuen Bundesländern noch lange die Lasten der Teilung zu tragen haben werden.
    Erhöhte Verantwortung, und zwar weltweit, bedeutet für uns übrigens auch, daß wir Anwälte eines freien Welthandels sein müssen. Hier geht es um zentrale weltwirtschaftliche Fragen mit einer großen außenpolitischen Bedeutung. Um in letzter Minute einen erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde zu ermöglichen, müssen alle Verhandlungspartner jetzt Flexibilität und Erfolgsorientierung zeigen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    In den baltischen Staaten und in anderen Teilen der Sowjetunion macht sich der Selbstbestimmungswille geltend, der durch ein diktatorisches System über Jahrzehnte unterdrückt wurde. Die Schlußakte von Helsinki und die Charta von Paris geben auf diese Fragen die Antwort: Das legitime Streben nach nationaler Selbstbestimmung muß sich in dem Rahmen, den die Charta gesetzt hat, entwickeln können. Der Einsatz von Gewalt gegen Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmungsrecht ist damit unvereinbar.
    Die schwierigen inneren Probleme der Sowjetunion können nur durch Dialog und Verständigungsbereitschaft gelöst werden. Niemand im Westen kann ein Interesse daran haben, daß dieses riesige Land in seinen inneren Gegensätzen versinkt. Als Europäer wünschen wir uns, daß die Sowjetunion Gorbatschows, von der so viel für die Freiheit der Völker in Mittel- und Osteuropa ausgegangen ist, diesen Weg bewahren kann, daß sie Kurs halten kann.

    (Beifall bei der FDP)

    Die geschichtliche Erfahrung zeigt: Rückschläge und Fehlentwicklungen werden nicht immer vermeidbar sein. Eduard Schewardnadse hat bei seinem Abschied erklärt: „Niemand im Westen will die Schwierigkeiten der Sowjetunion ausnutzen, um ihr zu schaden. " Ich wünsche mir, daß diese Erkenntnis alle Kräfte in der Sowjetunion haben. Wenn sie am Reformkurs festhalten, setzen sie den Westen, uns, in die Lage, so zu helfen, wie wir das wollen. Das „neue Denken" in der Politik, das die Abrüstung, die Demokratisierung Mittel- und Osteuropas und die deutsche Einheit ermöglicht hat, muß im gemeinsamen Interesse Europas bewahrt werden.
    Die besorgniserregende Entwicklung in der Sowjetunion mindert die Bedeutung der Pariser Charta nicht. Sie ist auch kein Anlaß, die Grundlagen unserer Politik zu korrigieren. Diese Charta hat die Zukunft des Kontinents untrennbar mit den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie, der Marktwirtschaft und der sozialen Verantwortung verbunden.
    Weder die Entwicklungen am Golf noch die Verwerfungen in Mittel- und Osteuropa sind Anlaß, zu den alten Denkmustern zurückzukehren. Die KSZE-Staaten dürfen sich nicht abhalten lassen, ihren Weg konkret weiterzugehen. Die instabile Entwicklung in Mittel- und Osteuropa verlangt im Gegenteil eine Beschleunigung des Ausbaus eines gesamteuropäischen Stabilitätsrahmens; und das ist der KSZE-Prozeß.



    Bundesminister Genscher
    Es bleibt unsere Verantwortung, zusammen mit den anderen Staaten Mittel- und Osteuropas sowie der Sowjetunion weiter am europäischen Haus zu bauen. Die Charta von Paris bleibt dafür der Bauplan.
    Das neue West-Ost-Verhältnis, das wir Deutsche maßgeblich mitgestaltet haben, hat uns nicht nur in einer Sternstunde der europäischen Geschichte die Einheit gebracht, sondern es hat auch die Vereinten Nationen in der Golfkrise handlungsfähig gemacht.
    Auch heute wieder haben wir Kritik gehört, die Einheit sei übereilt herbeigeführt worden. Das kann nur jemand sagen, der sie eigentlich nicht wollte; denn heute wäre sie nicht mehr zu haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ohne das neue Verhältnis stünden wir am Golf vor der Gefahr eines neuen Ost-West-Weltkrieges. Heute aber kann kein Aggressor mehr hoffen, unter Ausnützung des Ost-West-Konflikts ungehindert und ungestraft seinen Eroberungsplänen nachzugehen.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Dregger [CDU/ CSU])

    Hier zeigen sich die Konturen einer neuen Weltordnung. Aus guten Gründen sind die USA und die Sowjetunion um die Bewahrung und Entwicklung ihres strategischen Verhältnisses bemüht. Wir müssen uns von dem gleichen Interesse leiten lassen.
    Wir müssen dabei wissen, daß die Stabilität Europas, die Stabilität im Norden der Weltkugel, wesentlich von der Funktionsfähigkeit des westlichen Bündnisses und seinem Bestand abhängt. Es ist heute nicht mehr ein Bündnis gegen ein anderes, sondern es ist ein Faktor weltweiter Stabilität geworden; eine Einsicht, die auch die sowjetische Führung nicht in Frage stellt.
    Wir müssen erkennen, daß es heute um so dringlicher ist, die europäische Einheit durch Schaffung der Politischen Union zu vollenden. Niemand kann sich mit den Mängeln, die in Europa angesichts des Golfkonflikts aufgetreten sind, aus seiner Verantwortung herausreden, die Politische Union zu schaffen. Das, was wir jetzt an mangelnder europäischer Handlungsfähigkeit zu beklagen haben, ist in Wahrheit ein zusätzlicher Grund, möglichst schnell diese Politische Union mit einer politischen, einer sicherheitspolitischen, einer finanz- und wirtschaftspolitischen Dimension herbeizuführen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Wir Deutschen wissen, daß wir in diesem Prozeß europäischer Einigung eine besondere Verantwortung dafür haben, daß die Staaten östlich von uns erkennen: Sie gehören dazu, wenn von Europa gesprochen wird. Nur diese Perspektive kann die notwendigen Energien mobilisieren und die Kraft geben, schwierige Übergangszeiten durchzustehen.
    Der polnische Präsident Lech Walesa hat Deutschland als Tor der Freundschaft zu Europa bezeichnet. Ja, das wollen wir sein. Wir wollen es sein in einer engen Verbindung mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft, im westlichen Bündnis, mit den Vereinigten Staaten.
    Europa trägt heute eine größere Verantwortung — nicht nur wir Deutschen. Aber wir Deutschen stehen an der Schwelle dieses Jahres vor einem Zeitabschnitt unserer Geschichte mit einer größeren Verantwortung. Wir wollen sie allerdings nicht in einem nationalstaatlichen Sinne. Wir wollen diese größere Verantwortung nicht in einem Alleingang ausüben, sondern wir wollen sie ausüben als gute Europäer.
    Ich danke ihnen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)