Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat so: Im Grunde sitzen wir alle auf einem Pulverfaß, auch wenn es sich ein paar tausend Kilometer fernab in der arabischen Wüste befindet. Ein Funke, eine unbedachte Handlung oder ein Computerfehler genügt, und alles fliegt in die Luft. Tausende unschuldige Menschen, Araber, Israelis und Amerikaner, Deutsche und Geiseln anderer Nationen, sterben.
Was wären die ökonomischen und die sozialen Folgen eines Kriegs am Golf für uns Deutsche? — Eine Preislawine in allen Bereichen des täglichen Lebens mit allen negativen Folgen für die Wirtschaft, die eine Ölpreisexplosion nach sich zieht. Angesichts dessen finde ich es schon sehr ungewöhnlich, daß man auf diese Konsequenzen so selten hinweist, wenn man zur gleichen Zeit vollmundig der Militärpräsenz am Golf und überdies einer militärischen Offensiv- und Angriffsstrategie gegen den Irak das Wort redet.
Meine Damen und Herren, die Lage am Golf wird immer unkalkulierbarer, immer unbeherrschbarer. Mit der Entscheidung des US-Präsidenten, die Truppenpräsenz zu verdoppeln, um eine Angriffsfähigkeit zu schaffen, hat der Konflikt eine neue, höchst gefährliche Dimension erreicht. US-Generäle am Golf sprechen von einer baldigen Offensive, von einem „new ballgame", nur etwas schwieriger als der Vietnamkrieg.
Angesichts dieses Säbelrasselns gerät — das ist neu — selbst die internationale Koalition gegen den Irak ins Wanken. Auch in den USA wächst die Kritik an der neuen Offensivstrategie des Präsidenten. Bush sei der Nation eine Erklärung schuldig, weshalb Kuwait für die USA von lebenswichtigem Interesse sei, so wird z. B. selbst von Senator Nunn hinterfragt. Auf seiner jüngsten Nahostreise mußte sich Außenminister Baker in Bahrain, Saudi-Arabien, Ägypten und in der Türkei fragen lassen, ob den UNO-Sanktionsbeschlüssen nicht mehr Zeit gegeben werden müßte, damit sie überhaupt greifen könnten. — Genau das ist der Punkt, der die Absurdität der amerikanischen Kriegsstrategie verdeutlicht. Sie soll offenbar eine — gewiß schwierige, aber dennoch mögliche und notwendige — diplomatische Verhandlungslösung des Konflikts verhindern.
Meine Damen und Herren, die PDS hat sich von Anfang an klar gegen die Annexion Kuwaits durch den Irak ausgesprochen, die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität und Integrität Kuwaits gefordert und die diesbezüglichen UNO-Beschlüsse unterstützt. Man kann aber — auch dies habe ich bereits vor der Volkskammer erklärt — den Golfkonflikt nicht losgelöst vom Nahostkonflikt als Ganzem betrachten und behandeln. Das heißt: Für die Wiederherstellung eines souveränen Kuwait einzutreten, ohne gleichzeitig auch die Durchsetzung des Rechts der Palästinenser auf einen eigenen Staat einzuklagen, ist einfach unehrlich und einer dauerhaften und gerechten Lösung des Nahostkonflikts höchst abträglich.
Wenn es wirklich um die Durchsetzung des Völkerrechts, um Selbstbestimmungsrecht und Menschenrechte geht, dann darf man auch nicht darin nachlassen, mit der gleichen Konsequenz von Israel zu fordern, die unrechtmäßige Okkupation arabischer Gebiete zu beenden.
Meine Damen und Herren, die PDS tritt dafür ein, daß es nur eine politische Bewältigung des Golfkonflikts geben darf. Eine militärische Offensivlösung lehnen wir ebenso wie das bisherige militärische Überengagement der USA in der Region entschieden ab.
Lassen Sie mich hier anfügen: Eine stillschweigende oder ausdrückliche Zustimmung der außenpolitisch handlungsbegrenzten Sowjetunion zur offensiven Anwendung militärischer Gewalt am Golf wäre für mich weder ein Argument noch ein Alibi für einen westlichen Angriff gegen den Irak.
Meine Damen und Herren, eine Militarisierung des Nord-Süd-Konflikts — dies ist genau das, was hier passiert und wozu der Golfkonflikt mißbraucht zu werden scheint — kann das bewerkstelligen, was der Ost-West-Konflikt glücklicherweise nicht zuwege gebracht hat: uns alle in eine ökonomische, soziale und ökologische Katastrophe zu führen.
Wer ist denn verantwortlich für die Militarisierung der Dritten Welt? — Es sind doch die Staaten der nördlichen Hemisphäre, die Waffen und Kriegsgerät geliefert haben. Es waren doch auch deutsche Unternehmen, die in ihrer Profitgier dazu beitrugen, daß der Irak heute mit Giftgas drohen kann.
Es ist französisches und auch sowjetisches Kriegsgerät, das mithalf, den Irak bis an die Zähne zu bewaffnen. Nun wird es zum Bumerang.
Meine Damen und Herren, worauf kommt es heute und morgen an? — Grundlegende Veränderungen im Zusammenleben von Nord und Süd sind das Gebot der Stunde. Politische, nicht militärische Konzepte zur Krisenbewältigung müssen her. Neue globale Sicherheitsstrukturen müssen geschaffen werden, begin-
18852 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 235. Sitzung. Bonn, Donnerstag den 15. November 1990
Frau Dr. Kaufmann
nend mit einem sofortigen, umfassenden und überprüfbaren Exportverbot für jedwede Rüstung in die Dritte Welt.
Um die Probleme aber bei der Wuzel zu packen, müssen eine neue Weltwirtschafts- und Weltökologieordnung entwickelt werden. Das bislang für die Rüstung verschleuderte Geld wird benötigt, um die dringendsten ökonomischen, sozialen und ökologischen Deformationen sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, bedauerlicherweise vermag ich nicht zu erkennen, daß, abgesehen vom persönlichen Engagement Willy Brandts zur Geiselbefreiung — das wir nachdrücklichst unterstützen —, dem Handeln der Bundesregierung im Golf ein durchschaubares politisches Konzept zugrunde liegt. Man gewinnt eher den Eindruck, daß sich die Bundesregierung damit begnügen will, im Golf die kostenaufwendige Rolle eines Hilfssheriffs zu spielen. So habe ich mir, ehrlich gesagt, den Eintritt des vereinten Deutschland in die Weltpolitik nicht vorgestellt.
Hinter verschlossenen Türen wird, wie „Die Welt" vorgestern berichtete, die Bundeswehr bereits personell, materiell und strukturell auf Auslandseinsätze in Konfliktgebieten vorbereitet, obwohl dies das Grundgesetz eindeutig verbietet.
Mit uns, meine Damen und Herren, ist das nicht zu machen! Keine deutschen Soldaten in den Golf, in den Südosten oder, wie auch gefordert wurde, in einen sogenannten Hinterhof Europas, und dann vielleicht noch mit NVA-Kriegstechnik als Vorauskommando. Dieses Sicherheitsdenken ist anachronistisch und selbstmörderisch zugleich.
Die Zeichen der Zeit stehen auf „radikale Abrüstung". Deutschlands weltpolitische Rolle kann und muß darin bestehen, Initiator und Motor der vollständigen Abrüstung zu werden. Radikale Abrüstung, Entnuklearisierung und Entmilitarisierung gehören daher als Staatsziel in eine neue deutsche Verfassung. Eine dementsprechende Politik muß endlich in Angriff genommen werden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.