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ID1122807200

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    Plenarprotokoll 11/228 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 228. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 4. Oktober 1990 Inhalt: Präsidentin Dr. Süssmuth 18015A Verzicht des Abg. Porzner auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 18017 B Eintritt des Abg. Weinhofer in den Deutschen Bundestag 18017 B Erweiterung der Tagesordnung 18017 B Tagesordnungspunkt 1: Eidesleistung von Bundesministern Präsidentin Dr. Süssmuth 18017 D Frau Dr. Bergmann-Pohl, Bundesministerin für besondere Aufgaben 18018A de Maizière, Bundesminister für besondere Aufgaben 18018A Dr. Krause, Bundesminister für besondere Aufgaben 18018B Dr. Ortleb, Bundesminister für besondere Aufgaben 18018B Dr. Walther, Bundesminister für besondere Aufgaben 18018 C Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Politik der ersten gesamtdeutschen Bundesregierung Dr. Kohl, Bundeskanzler 18018D Brandt SPD 18029 B Dr. Dregger CDU/CSU 18032 C Dr. Knabe GRÜNE 18033 B Dr. Ullmann GRÜNE 18036 A Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 18037 D Stratmann-Mertens GRÜNE 18040 B Dr. Hirsch FDP 18041 A Dr. Gysi PDS 18043 A Wetzel GRÜNE 18044 B Stratmann-Mertens GRÜNE 18045 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 18046A Dr. Bötsch CDU/CSU 18053 A Dr. Klejdzinski SPD 18054 B Thierse SPD 18055 C Dr. Elmer SPD 18056 C Dr. Lammert CDU/CSU 18056 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 18058A Dr. Wieczoreck (Auerbach) CDU/CSU 18060A Frau Unruh fraktionslos 18061 D Wüppesahl fraktionslos 18063 B Zusatztagesordnungspunkt 1: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Anzahl der Mitglieder des Präsidiums des Deutschen Bundestages Frau Birthler GRÜNE 18065 C Bohl CDU/CSU 18066 A Jahn (Marburg) SPD 18066 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 18067 A Frau Birthler GRÜNE 18067 C Dr. Steinitz PDS 18067 D Wüppesahl fraktionslos 18068A, D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Oktober 1990 Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes sowie zur Änderung des Parteiengesetzes (Drucksache 11/8023) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 11/8033) Dr. Schäuble, Bundesminister BMI 18070B Bernrath SPD 18071 B Frau Birthler GRÜNE 18071 D Lüder FDP 18072 D Dr. Knabe GRÜNE 18073 B Jahn (Marburg) SPD 18073 C Häfner GRÜNE 18074 B Dr. Heuer PDS 18076 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 18077A, 18079 C Stahl (Kempen) SPD 18077 D Reddemann CDU/CSU 18078 A Westphal SPD 18079 A Wüppesahl fraktionslos 18079D, 18080D Frau Unruh fraktionslos 18080 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland (Drucksache 11/8024) 18081 A Nächste Sitzung 18081 C Berichtigung 18081 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 18083 A Anlage 2 Liste der Abgeordneten, in deren Namen der Abgeordnete Conradi eine mündliche Erklärung nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertragsgesetz — (Drucksachen 11/7760, 11/7817, 11/7831, 11/7841, 11/7920, 11/7931, 11/7932) abgegeben hat 18083* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Oktober 1990 18015 228. Sitzung Berlin, den 4. Oktober 1990 Beginn: 10.00 Uhr
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    Berichtigung 225. Sitzung, Seite 17797 * C, Zeile 17: Statt „.. 2-39 Jahre. " ist „... 12-39 Jahre." zu lesen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Oktober 1990 18083* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 05. 10. 90 * Büchner (Speyer) SPD 05. 10. 90 * Dr. Gautier SPD 05. 10. 90 Gerster (Worms) SPD 05. 10. 90 Grünbeck FDP 05. 10. 90 Hornhues CDU/CSU 05. 10. 90 Kalisch CDU/CSU 05. 10. 90 Kastning SPD 05. 10. 90 Müller (Düsseldorf) SPD 4. 10. 90 Frau Nickels GRÜNE 5. 10. 90 Schäfer (Offenburg) SPD 05. 10. 90 Dr. Schulte (Schwäbisch CDU/CSU 05. 10. 90 Gmünd) Steiner SPD 05. 10. 90 * Wischnewski SPD 05. 10. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Liste der Abgeordneten, in deren Namen der Abgeordnete Conradi eine mündliche Erklärung nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertragsgesetz — (Drucksachen 11/7760, 11/7817, 11/7831, 11/7841, 11/7920, 11/7931, 11/7932) abgegeben hat* ) Antretter, Büchner (Speyer), Dr. von Bülow, Conradi, Duve, Egert, Erler, Fuchs (Verl), Gansel, Dr. Glotz, Frau Dr. Götte, Frau Dr. Hartenstein, Heyenn, Hiller (Lübeck), Dr. Holtz, Jungmann (Wittmoldt), Kirschner, Kühbacher, Frau Kugler, Kuhlwein, Lambinus, Lutz, Müller (Düsseldorf), Müller (Pleisweiler), Frau Odendahl, Opel, Peter (Kassel), Dr. Pick, Rixe, Schanz, Dr. Scheer, Schmidt (Salzgitter), Dr. Schöfberger, Sielaff, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Sonntag-Wolgast, Steiner, Dr. Struck, Frau Terborg, Toetemeyer (alle SPD) *) Siehe 226. Sitzung, Seite 17891 C
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    Rede von Dr. Antje Vollmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere aus der jetzt ehemaligen Volkskammer, die ich als ein sehr lebendiges Parlament erlebt habe! Der kalte Krieg ist vorbei. Wir haben jetzt heißen Frieden. Dieser Frieden wird für ganz Osteuropa sehr heiß werden. Helmut Kohl hat die Kontroverse um den Weg zur Einheit gewonnen. Er hat es auf seine Weise gemacht. Wir denken immer noch, es wäre auf andere Weise sehr viel besser gewesen. Doch wie immer: Das ist entschieden.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Mir ist beim Nachdenken über das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition etwas sehr Merkwürdiges aufgefallen, das nicht ohne Situationskomik ist, nämlich der Unterschied zwischen der Leichtigkeit des Bundeskanzlers — er ist nicht da, aber Sie können es sich sinnlich-bildlich vorstellen — und meiner Schwere.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das sitzt!)

    Helmut Kohl hat diese Einheit mit einer gewissen Leichtigkeit zustande gebracht, mit einem geradezu leichtfüßigen Pragmatismus. Wir dagegen erscheinen mit unseren Bedenken von einem eigentümlichen Bleigewicht. Und doch war im Kern etwas Richtiges an dieser unserer Schwere. Wir ahnten nämlich, daß es eben doch nicht nur um ein Provisorium geht, Oskar Lafontaine, nicht nur um eine Restaurationsphase in einem mittelgroßen europäischen Land. Es ging und geht um eine für lange Zeit gültige Form des Zusammenlebens in der Mitte Europas. Deutschland ist jetzt sehr groß und sehr reich und ganz und gar souverän. Nur die alten NS-Akten sind immer noch unter Aufsicht der Amerikaner im Document Center. Was soll uns das eigentlich sagen?
    Wenn in diesen Tagen angenehm vorsichtig — dafür bin ich dankbar — geredet wird, dann klingt in diesem Sich-klein- und-bescheiden-Geben aber noch etwas anderes mit. Man hört die Angst vor den Ansprüchen und Anforderungen an dieses neue, große deutsche Land. Oder freundlicher gesagt: Man hört die Bitte, es mit den Erwartungen an uns nicht zu übertreiben, z. B. in bezug auf die kommenden Armutsflüchtlinge aus Osteuropa. Es wird aber nicht gehen, erst die Beletage und die Puppenstube einzurichten und dann ein paar erlesene Gäste einzuladen. Ich glaube, es wäre für uns alle besser, wenn die anderen Länder in Europa und in der Welt ihre Anforderungen an uns baldmöglichst sehr genau präzisieren würden. Auf dem KSZE-Gipfel im November, dem wichtigsten Termin in den nächsen Wochen, besteht gerade dazu eine Gelegenheit.
    Meine Damen und Herren, wir Deutschen neigen dazu, uns für alles mögliche als Meister anzubieten. Exportweltmeister sind wir schon, Fußballweltmeister auch. Aber in der Geschichte der Deutschen sind auch die anderen, die dunklen Meisterschaften verzeichnet. Paul Celan hat über Auschwitz den Satz gesprochen: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Und von diabolischer Meisterschaft war die Erfassung der DDR-Bevölkerung in 160 Kilometern Stasi-Akten. Wir haben auch diese Wahnidee der europäischen Zivilisation auf die Spitze einer Meisterschaft getrieben, die es in diesem Land nie wieder, nie wieder geben darf.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Dieses richtige Moment der Schwere gegenüber einer geschichtsvergessenen Leichtigkeit des Seins wollen wir durchaus behalten. Aber es gibt Momente in der Haltung der Opposition, die wir korrigieren und verändern müssen. Darüber will ich auch reden.
    Es gibt Gespenster, die zu Staub zerfallen, wenn sie das Licht des Tages erblicken. Die Angst der Opposition und, ich glaube, auch insbesondere der SPD vor der nationalen Frage gehört dazu.
    Wenn ich die Stimmung dieser Tage richtig deute, so ist der deutsche Nationalismus zusammengebrochen, gerade in der Phase seines höchsten Triumphes, mit der Erreichung seines Ziels, der deutschen Einheit. Die Menschen flanieren durch die zusammengebrochene Mauer wie durch eine Sommerallee. — Das wäre also erledigt. Darauf kann man vertrauen. Die Zivilität und der spielerische Umgang in der Bevölkerung tragen einigermaßen. Sorgen wir dafür, daß es so bleibt! Die demokratischen Bewegungen in Ost und West haben einen Riesenanteil daran gehabt, daß es diese zivile Gesellschaft gibt. Das können wir nämlich, eine Gesellschaft zivil gestalten.
    Wir haben jetzt die Hände frei, uns der viel größeren Aufgabe zuzuwenden, vor der nun ihrerseits — und da bin ich ganz sicher — die Konservativen sehr große Angst haben, nämlich der Lösung der sozialen Frage, die in der DDR gewaltige Ausmaße annehmen wird, und der Lösung der ökologischen Frage. Auf diese beiden Fragen, weiß ich, sind wir von der Opposition besser vorbereitet.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Alle innenpolitischen Auseinandersetzungen der nächsten Jahre werden um diese beiden Fragen kreisen.



    Frau Dr. Vollmer
    Meine Wünsche an die Zukunft und an die neue Republik:
    Erstens — und da gibt es, glaube ich, Anlaß, wenn ich bedenke, daß ich jetzt die erste Frau in der Debatte bin — : Diese Republik muß weiblicher sein als alle deutschen Republiken vorher.

    (Beifall bei den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Sie muß vielleicht auch eine andere Sprache finden, als sie die Reichsgrafentonlage von Graf Lambsdorff hier vorexerziert hat.

    (Widerspruch bei der FDP und der CDU/ CSU)

    Es waren vor allem die Frauen, die die Revolution in der DDR zu einer friedlichen gemacht haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der PDS)

    Ohne die Heiterkeit von Bärbel Bohley, ohne die Entschlossenheit von Ulrike Poppe und Ingrid Köppe und Vera Wollenberger, ohne die ängstliche Und-trotzdem-Tapferkeit von Christa Wolf und ihr Festhalten an der Trauer des DDR-Alltags hätte diese Revolution nie gelingen, nie vorbereitet und nie durchgeführt werden können. Und das ist immer so.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Gerade in den Anfangszeiten, wenn es besonders schwierig ist, bei der Verflüssigung starrer gesellschaftlicher Strukturen, sind die Frauen unentbehrlich. Ohne ihre Unerschrockenheit in den Zeiten der Illegalität, ohne ihre unbeugsame Bodenhaftung beim Versuch, den aufrechten Gang zu erlernen, könnte keine Revolution gelingen. Daran zu erinnern ist auch wichtig an einem Ort, an dem einmal Rosa Luxemburg gesprochen hat, dieselbe Rosa Luxemburg, deren Ausspruch die Vorphase dieser Herbst-Revolution bestimmt hat.

    (Beifall bei den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Auffällig dagegen ist, wie schnell die Frauen aus der ersten Reihe vertrieben werden, wenn es darum geht, aus der Revolution wieder feste Strukturen zu machen. An die Stelle der Kreativität der Frauen treten dann die männlichen Potenzphantasien, die sich im Aufbau von Parteien, Staaten und Machtapparaten ausdrücken.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Der Staat und die Parteien sind überhaupt typische Männergeburten.
    Wir melden hier schon einmal vorbeugend an, daß mit uns Frauen weiter zu rechnen sein wird. Wir lassen uns nicht noch einmal ins zweite Glied zurückschieben, wie es unseren Müttern am Anfang der autoritärpatriarchalischen Adenauer-Ära und auch in den Männerkasten des DDR-Regimes passiert ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Wir lassen uns nicht noch einmal in den Schatten und in die Depression schieben, während die Männer die Sonne der Macht auskosten.

    (Geis [CDU/CSU]: Oho!)

    Zweitens. Das neue Deutschland wird ziviler werden, und es muß ökonomisch abrüsten. Erst jetzt verstehen wir den psychologischen Kern des Kalten Krieges. Er hat unsere Unruhe in Stahl und in Waffen gegossen, und er hat unseren Ängsten ein Gesicht gegeben, das Gesicht von Feinden.
    Gerade angesichts der neuen Rolle Deutschlands muß die Zeit des deutschen Militarismus hinter den Kulissen, also des Waffenexports ohne Waffengang, vorbei sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Die Kulissen sind umgefallen. Jetzt müssen sich auch die militärischen Seiten unserer Konzerne offen zeigen, oder sie müssen aufhören, und ich meine, sie müssen aufhören.
    Drittens. Die neue Republik muß ökologisch sein. Der Bundespräsident hat gestern gesagt, die westlichen Demokratien seien zum Maßstab für alle Demokratiebewegungen in Osteuropa geworden — das ist wahr —; aber die westliche Wirtschaftsweise darf nicht zum Maßstab für die Welt werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Thierse [SPD])

    Wir haben von diesem Teil Europas alle Formen von Diktatur ausprobiert, zuletzt auch die Diktatur über die natürlichen Ressourcen der Menschen. Der Norden ist dafür heute schon welthistorisch verurteilt. Die ökologische Frage ist die zentrale soziale Frage in der Welt geworden, und die einzige Kunst, die der Norden noch lernen kann, ist die Kunst, Macht, auch ökonomische Macht, konsequent abzubauen. Weil wir das besser können als Sie von der Regierung, deswegen treten wir für einen Machtwechsel gerade zum Zwecke des Abbaus von Macht ein.
    Der Herr Bundeskanzler und mit ihm eine ganze Generation von deutschen Politikern haben ihren Traum in die Wirklichkeit gepflanzt. Mit dem Tag der deutschen Einheit haben sie ihren Zenit erreicht und also überschritten. Wenn ich hier hingucke, so wird mir deutlich, daß wir heute von Politikern umgeben sind, die ihren Zenit bereits überschritten haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS und des Abg. Thierse [SPD] — Zuruf von der FDP: Sie vor allem!)

    Von der Gestaltung der Zukunft hat der Bundeskanzler am Ende gesprochen. Diese Gestaltung ist jetzt unsere Aufgabe, und darum wird es auch in dieser Frage einen friedlichen, aber konsequenten Wechsel der Themen und auch der politischen Generationen geben. Dieses Land ist jetzt unser Land, und Sie können dann — bitte schön — aus dem Sessel zugucken, was wir aus dieser Gestaltungsaufgabe machen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Nolting [FDP]: Armes Volk!)






Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wieczoreck (Auerbach).

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir als ehemaligem DDR-Bürger auch ein kurzes persönliches Wort. Ich freue mich, hier bei Ihnen in Ihren Reihen sitzen zu dürfen und auch ein wenig an der Demokratie in der neuen Bundesrepublik Deutschland mitarbeiten zu dürfen. Ich bin dafür sehr dankbar, und ich danke auch Herrn Otto Graf Lambsdorff für die öffentliche Rehabilitierung eines von uns sehr geschätzten Kollegen der ehemaligen Volkskammer.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, nach dem großen Tag der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands stehen wir vor dem schwierigen Prozeß des Zusammenwachsens der Deutschen und dem Weg zum geeinten Europa. Es gilt in der nächsten Zeit, das wirtschaftliche, ökologische, soziale und kulturelle Gefälle zwischen dem Westen und dem Osten Deutschlands zu überwinden und gleiche Lebensverhältnisse zu schaffen. Ich erlaube mir deshalb, einige Aspekte der wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklung in den fünf neuen Bundesländern aufzuzeigen.
    Die Wirtschafts- und Umweltpolitik hat zum Ziel, schrittweise eine Angleichung der Lebensverhältnisse zu erreichen. Die Zustandsanalyse von Wirtschaft und Umwelt in den fünf neuen Bundesländern zeigt, daß zukünftige Wirtschafts- und Umweltpolitik eine gewaltige Herausforderung ist und eine Pionierleistung von allen Bürgern abverlangt. Mit dem Umgestaltungsprozeß erwarten wir eine beginnende Konjunktur, damit wir dann eine ökologisch und wirtschaftlich ausgewogene Soziale Marktwirtschaft rasch in Schwung bringen können. Ökologie wird jetzt im direkten Verhältnis bei der wirtschaftspolitischen Konzeption sowie der Produktplanung berücksichtigt werden müssen und nicht im nachhinein als Reparaturanstalt betrieben werden. Dies möchte ich vorwegstellen, um die Dimension der Aufgaben, vor denen wir stehen, anzudeuten.
    Die Erkenntnisse zum Stand der Wirtschaftlichkeit der ehemaligen DDR-Unternehmen lassen sich bis dato wie folgt zusammenfassen. Ca. 60 % der Unternehmen können rentabel arbeiten bzw. sind durch Strukturanpassungshilfen in relativ kurzer Frist zu sanieren, ca. 20 % können diesen Stand 1992/93 erreichen, und ca. 20 % der Firmen sind direkt konkursgefährdet. Dennoch gilt — ich beziehe mich hier auf einen Bericht der Deutschen Bundesbank —, daß sich die Talfahrt der Produktion in der DDR in den letzten Monaten beschleunigt hat, während sich die bundesdeutsche Wirtschaft weiter unvermindert entwickelt. Dieser Boom ist vor allem auf die Einführung der D-Mark in der DDR zurückzuführen.
    Der eigentliche Grund für die Talfahrt liegt allerdings im Zusammenbruch der sozialistischen Kommandowirtschaft. Erinnert sei hier an hohe Kosten der Altlastsanierung. Zum Beispiel sind zur Beseitigung der Chemiealtlasten in diesem Jahrzehnt ca. 15 Milliarden DM veranschlagt.
    Die Dimension künftiger Umgestaltung werden plastisch anschaubar beim Vergleich der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Ausgangssituationen. In der Bundesrepublik haben wir eine über Jahrzehnte gewachsene, dem sozialen Frieden verpflichtete und ökologischen Erfordernissen immer stärker entsprechende Soziale Marktwirtschaft auf hohem technologischen Niveau. Damit war und ist die Soziale Marktwirtschaft in der Lage, Konjunkturschwankungen der Weltwirtschaft wirksam zu begegnen und sich in führenden Positionen in der internationalen Arbeitswelt und im Welthandel zu behaupten.
    In den fünf neuen Bundesländern dagegen finden wir eine Volkswirtschaft vor, die über Jahrzehnte von einer zentralistischen und auf höchstmögliche Autarkie gerichteten Wirtschaftsstrategie verformt worden ist. Hier ist es nicht gelungen, effektive, den Erfordernissen des Weltmarkts und der Umwelt entsprechende Strukturen zu entwickeln. Infolge einer verfehlten Investitionspolitik ist in vielen Bereichen die einfache Reproduktion mit all den damit verbundenen Konsequenzen für die Entwicklung ganzer Territorien und insbesondere auch für die Belastung von Mensch und Natur nicht mehr gesichert.
    Kernpunkt wirtschaftlicher Entwicklung, insbesondere im produzierenden Sektor, und Voraussetzung jeglicher betrieblicher Investitionen ist das Vorhalten entsprechender Verkehrs-, Kommunikations- und wirtschaftsnaher Infrastruktur. Unter wirtschaftsnaher Infrastruktur spreche ich vor allem die Ver- und Entsorgung in dem ökologisch erforderlichen Standard an. Ein besonderes Problem in den fünf neuen Bundesländern stellt die Abfallbeseitigung, die Kanalisation, der Bau von Kläranlagen dar.
    In den fünf neuen Bundesländern stehen nach Schaffung der infrastrukturellen Voraussetzungen großräumige Flächen zur Verfügung, auch in der Nähe von Verdichtungsregionen. Damit gibt es künftig Standortvorteile im internationalen Wettbewerb um Ansiedlungen von Wirtschaftsunternehmen.
    Kernstück der Umsetzung ist die Vereinbarung der regionalen Wirtschaftsförderung. Das gesamte Gebiet der fünf neuen Bundesländer wird für mindestens fünf Jahre Fördergebiet, wobei es den Ländern überlassen bleibt, Förderschwerpunkte zu setzen. Das ist sinnvoll, da bereits jetzt regionale Entwicklungskonzepte eine beschleunigte Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft sowie die Stimulierung der Ansiedlung von mittelständischen Unternehmen vorsehen.
    Wichtig ist nun, daß neben gewerblichen Investitionen auch Investitionen für Modernisierung und Ausbau der kommunalen Infrastruktur durch Investitionszuschüsse gefördert werden können.
    Eine Schlüsselstellung in der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung kommt den Kommunen, ihrer Wirtschaftsförderung und insbesondere der Flächenpolitik zu. Für mittelständische Unternehmen und Unternehmensneugründer muß ein fachkundiger Ansprechpartner mit politischem Gewicht und mit Entscheidungskompetenz zur Verfügung stehen. Wirtschaftsförderung ist eine Querschnittsaufgabe und fordert die Sensibilität aller Verwaltungsbereiche. Was dort



    Dr. Wieczoreck (Auerbach)

    auf unserem Gebiet für Defizite bestehen, wissen Sie alle sehr genau.
    Sachkompetente und aufgeschlossene lokale Verwaltungsmitarbeiter sind für den Mittelstand eminent wichtig, weil sich so bestehende administrative Hemmnisse abbauen lassen. Das investitionsfreundliche Klima innerhalb einer Stadt und ihrer Verwaltung trägt wesentlich zum Erfolg oder Mißerfolg einer Ansiedlungsmaßnahme und damit der kommunalen Wirtschaftspolitik bei.

    (Jäger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Ohne funktionierende Verwaltungsstrukturen in den Gemeinden, Städten und Kreisen müssen sowohl kommunale Wirtschaftspolitik als auch die in den Kommunen durchzuführenden Maßnahmen im Umweltbereich scheitern.
    Die Wirtschaftspolitik der Zukunft wird auf eine Kooperation der Städte und Gemeinden innerhalb der Region abzielen müssen. Kommunale Wirtschaftspolitik sollte anstreben, die Region mit einem abgestimmten Konzept interkommunaler Zusammenarbeit zu einem attraktiven Standort mit leistungsfähiger Infrastruktur und kooperativer wie gleichermaßen effizienter Verwaltungsführung vor Ort zu entwikkeln. Eine attraktive Region, die sich im internationalen Wettbewerb behaupten kann, ist auch die Voraussetzung für die Städte und Gemeinden, innerhalb dieser Region eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung zu nehmen.
    Meine Damen und Herren, in den nächsten Jahren werden 1,8 bis 2,5 Millionen Arbeitnehmer in neue Berufe umschulen müssen, weil sie bislang Berufe ausüben, die direkt oder indirekt mit der planwirtschaftlichen Produktionsweise zusammenhingen oder der Aufrechterhaltung des sozialistischen Systems dienten. Ein Großteil des Produktionsgefälles zur Bundesrepublik ist damit zu erklären.
    Für die künftige Grundorientierung der Wiederaufbaupolitik ist es wichtig, von einer ressortbezogenen Planung zu ressortübergreifendem Denken zu kommen — und das vor allem in den neuen Bundesländern.
    Die Entflechtung großer Produktionseinheiten in Industrie und Landwirtschaft sowie die verstärkte Hinwendung zu spezialisierter Produktion in kleineren und flexibleren mittleren Unternehmen werden ohne Zweifel positive Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht und den Schutz der Natur haben. Bei der Sicherung der Landschafts- und Naturschutzgebiete, die im Interesse Deutschlands und Mitteleuropas in Nationalparks und Naturparks umgewandelt werden, entspricht das den Empfehlungen der Europäischen Gemeinschaft.
    Ich möchte hier noch ein ehemaliges DDR-Spezifikum hervorheben, und zwar die Verwertung und Aufbewahrung von industriellem Abfall und Siedlungsabfällen. Mit Hilfe fortschrittlicher Technologien der Entsorgungswirtschaft kann das bisherige SERO-System auf eine qualitativ höhere Stufe gehoben werden, indem es Erfassung und Verwertung von Sekundärrohstoffen im Rahmen eines einheitlichen Konzepts ermöglicht. Damit wird gleichzeitig ein bedeutender Beitrag zum schonenden Umgang mit Naturressourcen geleistet.
    Meine Damen und Herren, die eingeleiteten Strukturveränderungen in der Wirtschaft bieten den investitionswilligen Unternehmen langfristige und stabile Perspektiven. Es besteht die große Chance, im Osten Deutschlands eine Produktionsstruktur herauszubilden, die höchsten wissenschaftlich-technischen Bedürfnissen entspricht und den Erfordernissen ökologischen Wirtschaftens Rechnung trägt. Soziale Marktwirtschaft wird von Menschen für Menschen gestaltet. Sie bietet Arbeitsplätze, eine sinnerfüllte Existenz und Wohlstand.

    (Beifall der Abg. Frau Würfel [FDP])

    Wir kommen aus dem Chaos der Hinterlassenschaften des Sozialismus in der DDR. Wir ehemaligen DDR-Bürger müssen unsere inneren Fesseln, bedingt sowohl durch seelische als auch durch körperliche Schäden, ablegen und bereit sein, für eine bessere Zukunft im geeinten Deutschland zu wirken.
    Zum Abschluß, Herr Ministerpräsident Lafontaine, muß ich Ihnen als ehemaliger DDR-Bürger leider noch eine Bemerkung hinübergeben. Wir Bürger haben am 18. März mit über 76 % über einen eindeutigen Weg zur Einheit Deutschlands entschieden und diesen Weg erstritten. Ein Provisorium haben wir nicht gewollt.
    Danke.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)