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    Plenarprotokoll 11/228 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 228. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 4. Oktober 1990 Inhalt: Präsidentin Dr. Süssmuth 18015A Verzicht des Abg. Porzner auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 18017 B Eintritt des Abg. Weinhofer in den Deutschen Bundestag 18017 B Erweiterung der Tagesordnung 18017 B Tagesordnungspunkt 1: Eidesleistung von Bundesministern Präsidentin Dr. Süssmuth 18017 D Frau Dr. Bergmann-Pohl, Bundesministerin für besondere Aufgaben 18018A de Maizière, Bundesminister für besondere Aufgaben 18018A Dr. Krause, Bundesminister für besondere Aufgaben 18018B Dr. Ortleb, Bundesminister für besondere Aufgaben 18018B Dr. Walther, Bundesminister für besondere Aufgaben 18018 C Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Politik der ersten gesamtdeutschen Bundesregierung Dr. Kohl, Bundeskanzler 18018D Brandt SPD 18029 B Dr. Dregger CDU/CSU 18032 C Dr. Knabe GRÜNE 18033 B Dr. Ullmann GRÜNE 18036 A Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 18037 D Stratmann-Mertens GRÜNE 18040 B Dr. Hirsch FDP 18041 A Dr. Gysi PDS 18043 A Wetzel GRÜNE 18044 B Stratmann-Mertens GRÜNE 18045 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 18046A Dr. Bötsch CDU/CSU 18053 A Dr. Klejdzinski SPD 18054 B Thierse SPD 18055 C Dr. Elmer SPD 18056 C Dr. Lammert CDU/CSU 18056 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 18058A Dr. Wieczoreck (Auerbach) CDU/CSU 18060A Frau Unruh fraktionslos 18061 D Wüppesahl fraktionslos 18063 B Zusatztagesordnungspunkt 1: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Anzahl der Mitglieder des Präsidiums des Deutschen Bundestages Frau Birthler GRÜNE 18065 C Bohl CDU/CSU 18066 A Jahn (Marburg) SPD 18066 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 18067 A Frau Birthler GRÜNE 18067 C Dr. Steinitz PDS 18067 D Wüppesahl fraktionslos 18068A, D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Oktober 1990 Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes sowie zur Änderung des Parteiengesetzes (Drucksache 11/8023) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 11/8033) Dr. Schäuble, Bundesminister BMI 18070B Bernrath SPD 18071 B Frau Birthler GRÜNE 18071 D Lüder FDP 18072 D Dr. Knabe GRÜNE 18073 B Jahn (Marburg) SPD 18073 C Häfner GRÜNE 18074 B Dr. Heuer PDS 18076 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 18077A, 18079 C Stahl (Kempen) SPD 18077 D Reddemann CDU/CSU 18078 A Westphal SPD 18079 A Wüppesahl fraktionslos 18079D, 18080D Frau Unruh fraktionslos 18080 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland (Drucksache 11/8024) 18081 A Nächste Sitzung 18081 C Berichtigung 18081 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 18083 A Anlage 2 Liste der Abgeordneten, in deren Namen der Abgeordnete Conradi eine mündliche Erklärung nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertragsgesetz — (Drucksachen 11/7760, 11/7817, 11/7831, 11/7841, 11/7920, 11/7931, 11/7932) abgegeben hat 18083* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Oktober 1990 18015 228. Sitzung Berlin, den 4. Oktober 1990 Beginn: 10.00 Uhr
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    Berichtigung 225. Sitzung, Seite 17797 * C, Zeile 17: Statt „.. 2-39 Jahre. " ist „... 12-39 Jahre." zu lesen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. Oktober 1990 18083* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 05. 10. 90 * Büchner (Speyer) SPD 05. 10. 90 * Dr. Gautier SPD 05. 10. 90 Gerster (Worms) SPD 05. 10. 90 Grünbeck FDP 05. 10. 90 Hornhues CDU/CSU 05. 10. 90 Kalisch CDU/CSU 05. 10. 90 Kastning SPD 05. 10. 90 Müller (Düsseldorf) SPD 4. 10. 90 Frau Nickels GRÜNE 5. 10. 90 Schäfer (Offenburg) SPD 05. 10. 90 Dr. Schulte (Schwäbisch CDU/CSU 05. 10. 90 Gmünd) Steiner SPD 05. 10. 90 * Wischnewski SPD 05. 10. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Liste der Abgeordneten, in deren Namen der Abgeordnete Conradi eine mündliche Erklärung nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertragsgesetz — (Drucksachen 11/7760, 11/7817, 11/7831, 11/7841, 11/7920, 11/7931, 11/7932) abgegeben hat* ) Antretter, Büchner (Speyer), Dr. von Bülow, Conradi, Duve, Egert, Erler, Fuchs (Verl), Gansel, Dr. Glotz, Frau Dr. Götte, Frau Dr. Hartenstein, Heyenn, Hiller (Lübeck), Dr. Holtz, Jungmann (Wittmoldt), Kirschner, Kühbacher, Frau Kugler, Kuhlwein, Lambinus, Lutz, Müller (Düsseldorf), Müller (Pleisweiler), Frau Odendahl, Opel, Peter (Kassel), Dr. Pick, Rixe, Schanz, Dr. Scheer, Schmidt (Salzgitter), Dr. Schöfberger, Sielaff, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Sonntag-Wolgast, Steiner, Dr. Struck, Frau Terborg, Toetemeyer (alle SPD) *) Siehe 226. Sitzung, Seite 17891 C
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Wir sind in Umbauten in Bonn so erfahren, daß wir das hier vielleicht auch noch schaffen können.

    (Heiterkeit)

    Aber wir wollen, was Zweitklassigkeit anlangt, auch nicht vergessen, wer denn eigentlich auf deutschem Boden nach 1945 die schlimmste Klassengesellschaft errichtet hat. Waren das Sie in der DDR — —

    (Widerspruch bei der PDS)

    — Ich sage nicht Sie persönlich, obwohl ich Ihnen dieses sehr leichte und schnelle Absetzen auch nicht überall abnehme, verehrter Herr Gysi.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Die Politik kann dazu beitragen, doch lösen kann die Politik die Aufgabe, daß wir Bürger eines Staates sein wollen, nicht und ganz gewiß nicht allein. Das müssen wir jeder für uns tun. Wir haben auch alle miteinander während der Teilung an der menschlichen Einheit festgehalten.
    Wer will leugnen, daß sich vieles in 40 Jahren eben doch auseinandergelebt hat, daß unsere Meinungen in ganz unpolitischen Fragen auseinandergehen, daß Selbstverständlichkeiten hier Unbegreiflichkeiten dort sind? Wir sind ein Volk, aber oft mit ganz unterschiedlichen Denkweisen. Wir werden uns in vielem annähern müssen, um die Einheit wirklich zu vollenden. Vier Jahrzehnte DDR und Bundesrepublik haben — wie könnte es auch anders sein? — tiefe Spuren hinterlassen. Jeder von uns hat es in den vergangenen Monaten gemerkt.
    Es wird vor allem unsere Aufgabe sein, die Aufgabe der Bürger aus dem Westen, auf die anderen zuzugehen. Wir haben die Früchte der Freiheit genossen und sie nicht. Wir sind in der Welt herumgekommen und sie nicht. Wir sind wohlhabend geworden — in der Mehrheit jedenfalls — und sie nicht. Wir haben uns Großzügigkeiten leisten können und sie nicht. Wir haben lesen, sagen, schreiben können, was wir wollten, und sie nicht. Wir sind deshalb keine Vorbilder, und wir haben nicht den geringsten Grund zu noch so



    Dr. Graf Lambsdorff
    wohlwollender Überheblichkeit; denn wir haben mehr Glück gehabt als die anderen. Wir waren auf der erfolgreichen Seite, aber wahrhaftig nicht nur durch eigenes Verdienst.
    Deshalb haben wir aus dem Westen jetzt eine besondere Verantwortung; nicht nur, weil wir zahlreicher sind und weil es uns besser geht. Das wird so lange nötig sein, bis wir eben nicht mehr sagen, wir kämen aus dem Westen oder dem Osten, sondern sagen, wir kämen aus Vorpommern oder von der Saar, und niemand dabei etwas anderes meint als seine heimatliche Region.
    Viel schwerer mag es sein, innere Befriedigung in der alten DDR selbst zu gewinnen, die tiefen Wunden nach 40 Jahren Stasi-Herrschaft — und das ist ja nur ein Stichwort unter anderen — allmählich zu heilen. Das ist kein Thema, das die ehemaligen DDR-Bürger unter sich allein ausmachen können. In einem geeinten Deutschland geht uns das alle an. Die Liberalen wollen keine Hexenjagden. Wir halten nichts von nachträglicher Gesinnungsschnüffelei. Die Älteren von uns erinnern sich an die Nachkriegszeit, an alle Fragwürdigkeiten der Entnazifizierung.
    Es wird heute nicht anders sein als damals: Es gibt Schäbige und Schuldige, und wenn sie gegen Recht, Gesetz und Menschlichkeit verstoßen haben, dann gehören sie vor Gericht. Aber es gibt — das wird die Mehrzahl sein — Idealisten und Mitläufer und nach 40 Jahren dieses Systems doch viele, die, wenn sie einen bestimmten Beruf ergreifen oder ihre Kinder studieren lassen wollten, ja gar nicht anders konnten, als unter das Joch der Einheitspartei zu gehen — wie ihre Nachbarn auch. Viele sind da ja fast hineingeboren worden, ohne je etwas anderes zu kennen.
    Sie werden nicht alle auf ihren alten Posten bleiben können. Aber wir meinen, man darf ihnen die Chance der Freiheit nicht verwehren. Die Wiedervereinigung Deutschlands darf nicht als Strafaktion daherkommen, sondern muß auch ein Versuch der Versöhnung sein.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Ohne solche Versöhnungsbereitschaft werden die neuen Länder nicht das Glück erfahren, nach dem die Menschen jetzt verlangen.
    Hier meine Damen und Herren, benutze ich die Gelegenheit dieses Tages, um uns an einem ganz konkreten Fall zu schildern, was dort läuft:
    Am 7. September 1990 wurde ich von Vorwürfen gegen den damaligen Bauminister der DDR, unseren Parteifreund Axel Viehweger, Spitzenkandidat der FDP auf der Landesliste Sachsen für die Landtagswahlen, wegen angeblicher Tätigkeit für die Stasi informiert.
    Er hat mir am gleichen Tage bestätigen lassen, er sei 1986 Energiestadtrat in Dresden geworden und bei seiner Amtseinführung darauf hingewiesen worden, daß der Staatssicherheitsdienst regelmäßig erscheinen werde, um mündliche und schriftliche Berichte über seine Tätigkeit zu erhalten. Das waren Berichte über Energieversorgung, Kohlelagerung etc. Er habe sie gegeben; eine Verpflichtungserklärung habe er
    nie unterschrieben, Geld oder Auszeichnungen nie erhalten. Das Präsidium meiner Partei hat Herrn Viehweger nach dieser Erklärung aufgefordert, an seiner Kandidatur festzuhalten.
    Am vergangenen Freitag — Sie erinnern sich an diese Sitzung in der Volkskammer — wurde Herr Viehweger vom zuständigen Ausschuß der Volkskammer mit neuen Vorwürfen konfrontiert: In seiner Akte befänden sich Berichte eines Führungsoffiziers: Viehweger sei verpflichtet, er sei auf die „Gruppe der 20" um Oberbürgermeister Berghofer im Herbst 1989 angesetzt worden. Es habe Treffen zwischen dem Führungsoffizier und Viehweger nicht nur im Büro des Energiestadtrats, sondern auch an dritten Orten, in sogenannten konspirativen Wohnungen, gegeben.
    Herr Viehweger hat diese Vorwürfe in öffentlicher Sitzung der Volkskammer am 28. September bestritten — das ging über alle Fernsehsender —, gleichzeitig seinen Rücktritt vom Amt des Bauministers erklärt — wörtlich — : „Meine Familie und ich können nicht mehr weiter."
    Vorgestern, am 2. Oktober, hat ein von der FDP beauftrager Anwalt aus Köln die Stasi-Akte Viehweger in Dresden in Begleitung von Vertretern eines Bürgerkomitees eingesehen. Aus der Akte ergibt sich, daß Herr Viehweger auf ihm gegebene Stichworte Auskunft über Mitarbeiter gegeben hat; nach dem Urteil des Anwalts: niemals negative und niemals politische Auskünfte.
    Die Akte enthält ein Protokoll über eine Sitzung der „Gruppe der 20" um OB Berghofer im Herbst 1989. Es ist von Viehweger nicht zu den Akten gegeben worden. — Im übrigen war das Protokoll zur Veröffentlichung bestimmt; es soll auch in Dresdener Zeitungen erschienen sein. — In der Akte befinden sich zwei falsche, nicht zur Akte Viehweger gehörige Blätter. Die Akte enthält abgefangene und fotokopierte Privatpost; Briefe von Viehweger an Bekannte in Hamburg. Er ist also auch seinerseits überwacht worden.
    Aber damit nicht genug: Schließlich hat sich ergeben, daß der Staatssicherheitsdienst seit 1986 Interesse an Viehwegers Tätigkeit genommen habe. In der Akte befinden sich Treff-Berichte über Begegnungen, erst im Dienstzimmer, später in konspirativen Wohnungen, die mit Namen bezeichnet sind. Diese Berichte stammen vom früheren Führungsoffizier.
    Unser Anwalt hat den Führungsoffizier, der jetzt als Klempner auf der Baustelle des Dresdener Zwingers arbeitet, aufgespürt und ihm vorgehalten, daß seine Berichte falsch seien. Der frühere Führungsoffizier hat das schriftlich bestätigt. Grund für seine falschen Berichte: Es sei von den Führungsoffizieren erwartet worden, daß Begegnungen nicht nur im Dienstzimmer der Betroffenen, sondern auf Dauer auch an dritter Stelle durchgeführt werden. Da ihm dies im Falle Viehweger nicht gelungen sei, habe er die Treffen in konspirativen Wohnungen einfach in die Berichte hineingeschrieben.
    Nach dieser Klärung, meine Damen und Herren, bekräftigt die Freie Demokratische Partei ihre Auffor-
    18052 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 228. Sitzung. Berlin; Donnerstag, den 4. Oktober 1990
    Dr. Graf Lambsdorff
    derung an unseren Freund Viehweger, an seiner Spitzenkandidatur festzuhalten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wie richtig der Satz des Bundespräsidenten war, wonach auch Akten lügen können, wird an diesem Vorgang klar.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn wir es zulassen, daß bloße Behauptungen und unbewiesene Gerüchte zum Ausscheiden von Menschen, Kandidaten aus dem öffentlichen Leben führen, dann entfernen wir uns meilenweit von rechtsstaatlichen Grundsätzen, dann bescheren wir dem Monster Staatssicherheit späte Erfolge.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    So etwas ist mit Liberalen — und ich denke, mit allen von uns — nicht zu machen. Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Das fehlte noch, daß diejenigen, die die Akten vorher bereinigen und beseitigen konnten, weil sie den Zugriff hatten, die sich selber die weißen Westen in den Führungspositionen „zimmern" konnten, davonkommen, die kleinen Leute aber gehängt werden!

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Meine Damen und Herren, Versöhnung und Vertrauen — unter diesen Worten steht die Vereinigung auch in ihrem internationalen Kontext. Lassen Sie mich ganz schlicht und ganz deutlich sagen: Wir sind unserem Freund Hans-Dietrich Genscher dankbar, und wir sind stolz auf ihn für die Rolle, die er dabei gespielt hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Die deutsche Einheit und die Einheit Europas gehören untrennbar zusammen. Wir wollen auch heute noch einmal bekräftigen: Wir kennen die Verpflichtungen, die uns an diesem Tag für Europa und für den Frieden in der Welt neu und zusätzlich erwachsen. Ohne die europäische Einigung, ohne eine erfolgreiche Politik der Gemeinschaft, ohne die Hilfe und Unterstützung unserer Freunde jenseits des Atlantik hätten wir uns heute hier nicht zusammengefunden.
    Wir wissen: Unsere Anstrengungen können jetzt nicht nur auf Deutschland allein gerichtet sein. Sie gelten ebenso der Einbringung eines größeren Deutschlands in ein Europa, das weit über die Grenzen der EG hinausreicht.
    Mit der Wiedervereinigung, so ist gesagt worden, geht die Nachkriegszeit für Deutschland zu Ende. Das ist wohl richtig so. Aber es bedeutet auch, daß wir nun das verwirklichen können, was wir mit den Moskauer und den Warschauer Verträgen vor 20 Jahren begonnen haben: ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zu den Ländern, die wir einmal als Ostblockstaaten bezeichnet haben und die nun um Freiheit und ökonomischen Aufbau ringen.
    Die Dritte Welt dürfen wir darüber — das ist hier zu Recht gesagt worden — nicht vergessen.
    Riesige Aufgaben kommen auf uns zu. Unsere wirtschaftliche Kraft allein reicht nicht aus zu helfen. Ost- und Westeuropa werden sich zusammentun müssen. Aber den Deutschen wird wohl eine herausragende Rolle zufallen; nicht nur wegen der Wirtschaftskraft, sondern auch wegen deutscher Vergangenheit.
    Wir sind dazu bereit. Wir sehen nicht allein den ökonomischen Aspekt dieser Herausforderung. Es geht um mehr. Es geht um die historische Chance, mit dem Ende der Nachkriegsperiode in Deutschland zugleich daran mitzuwirken, auf unserem ganzen Kontinent der Freiheit und dem Wohlergehen eine dauerhafte Heimstatt zu verschaffen.

    (V o r sitz : Vizepräsidentin Frau Renger)

    Deutschland ist eins geworden, weil die Deutschen es wollten. Aber Deutschland wäre nicht in Freiheit vereint, wenn unsere Nachbarn es nicht gewollt, wenn sie nicht zugestimmt hätten. Daraus erwächst uns neue Verantwortung nach Ost und West.
    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses ganze letzte Jahr hat uns gezeigt, wie oft wir vorher um Kleinigkeiten, um unbedeutende Dinge diskutiert und gestritten haben, vergleicht man sie mit der größten Aufgabe, die deutscher Politik seit 1945 auferlegt war.
    Ich kritisiere das nicht. Es kann wohl nicht anders sein, und es wird sich auch in einem größeren Parlament nichts daran ändern. Aber unsere Arbeit an der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion und am Einigungsvertrag hat auch gezeigt, wozu ein demokratisches Parlament in der Lage ist, wenn es um die Nation und deren Zukunft geht. Wenn wir an diesem Tag überhaupt von Siegen sprechen wollen, dann nur in einem Sinne: Es ist ein Sieg der Freiheit, des Rechtsstaats und der Demokratie in ganz Deutschland, in ganz Europa, ja, in der Welt.
    Ich bin glücklich, daß wir diesen großen Tag unserer Demokratie hier im Deutschen Reichstag begehen, mitten in der Hauptstadt Berlin. Dieses Haus hat in seiner fast 100jährigen Geschichte viele gute, aber auch viele schreckliche Stunden gesehen: mannhaften Parlamentarismus und nationalistische Hybris, tapferen Widerstand gegen beginnende Diktatur und die Zerschlagung der Demokratie, Brandstiftung, Zerstörung und Wiederaufbau, der seine Krönung heute durch diese erste Sitzung unseres größeren Parlaments erfährt.
    In diesem Haus und auf dem Platz davor ist politische Freiheit erlebt, zerbrochen und wieder ausgerufen worden. Hier marschierte brauner Terror ein. Hier ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Hier beschwor Ernst Reuter die Freiheit Berlins gegen Blockade und Unterdrückung.
    Das Schicksal des deutschen Volkes in den vergangenen 100 Jahren ist von dem Schicksal dieses Hauses nicht zu trennen. Es hat niemals einen bewegenderen, einen größeren Tag voller Verantwortung erlebt als den, den wir heute erleben und mitgestalten dürfen.
    Ich danke Ihnen.

    (Lebhafter anhaltender Beifall bei der FDP — Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)






Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bötsch.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Bötsch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in dieser Debatte heute mehrfach gesagt worden, daß in den letzten Tagen feierliche Reden gehalten wurden und daß wir jetzt zur Tagesarbeit übergehen. Dies ist sicherlich wahr. Aber ich will nicht verhehlen, daß mich ein besonderes Gefühl erfaßt, wenn ich heute hier am Rednerpult des gesamtdeutschen Bundestages stehen und für die CDU/CSU-Fraktion sprechen darf.
    Wir haben in den letzten Wochen und Monaten, z. B. im Zusammenhang mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen beiden Teilen Deutschlands oder in bezug auf den Einigungsvertrag, zu Recht von historischen Ereignissen sprechen können. Nach der Öffnung der Mauer am 9. November 1989 sind jedoch der gestrige und der heutige Tag mit Sicherheit die entscheidenden historischen Daten. Sie markieren das Ende der Nachkriegsepoche für Deutschland, weil sie das Ende der Teilung Deutschlands markieren. Wir Deutsche leben wieder in einem Staat zusammen. Ich meine, darüber sollten wir uns freuen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, letzte Woche hat der saarländische Ministerpräsident auf dem SPD-Parteitag diese historische Dimension bestritten. Mich hat dies nicht verwundert, denn Herr Lafontaine lebt seit jeher politisch vom Augenblick und nicht von den politischen Zusammenhängen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte nochmals das Wort vom Provisorium aufgreifen, das Deutschland jetzt angeblich sein soll. Er hat hier heute einen Interpretationsversuch gemacht, indem er sagte, er habe das nur im Verhältnis zum Übergang zum vereinten Europa gemeint. Meine Damen und Herren, wem in Frankreich, wem in den Niederlanden, wem in Italien, wem in Großbritannien oder in einem anderen Land der Europäischen Gemeinschaft würde es einfallen, in diesem Zusammenhang von einem „Provisorium Frankreich" , von einem „Provisorium Italien" oder ähnlichem zu sprechen? Das kann nur Herrn Lafontaine einfallen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Kollege Brandt, Sie haben in eigener vorsichtiger, ja vornehmer Art auch auf Ihre Politik hingewiesen. Sie haben dabei auch den Grundlagenvertrag erwähnt und gesagt, alle Politik habe die Zementierung der Teilung Deutschlands immer vermieden. Gestatten Sie, daß ich hier doch eine kleine Ergänzung anbringe. Daß der Grundlagenvertrag in der Folge der Politik nicht zu einer Zementierung der Teilung Deutschlands geführt hat, ist darauf zurückzuführen, daß das Bundesverfassungsgericht 1973 in seinem bekannten Urteil auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung ganz klare Richtlinien festgelegt und beispielsweise gesagt hat, daß die Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR rechtlich nicht anders zu bewerten sei als die Grenze zwischen zwei Bundesländern in der Bundesrepublik
    Deutschland. Das war die entscheidende Notbremse, die damals gezogen worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    All das, was Sie zu Berlin gesagt haben, und daß Sie der Auffassung sind, daß die Freiheit nur deshalb erhalten werden konnte, weil Berlin standgehalten hat und die Westmächte Berlin und Sie unterstützt haben, möchte ich nachhaltig unterstreichen.
    Ich möchte auch den Freiheitswillen der Berliner selbst erwähnen und nenne nur die Stichworte Blokkade, 17. Juni, August 1961, Besuch von John F. Kennedy im Jahre 1963 mit seinem berühmt gewordenen Ausspruch und auch das Berlin-Abkommen von 1971. Insofern möchte ich neben der Politik und neben denen, die bei den Westmächten dafür Verantwortung getragen haben, der Berliner Bevölkerung im freien Teil Berlins für ihre Tapferkeit ein besonderes Dankeswort aussprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei der SPD)

    Herr Dr. Gysi — er ist im Augenblick nicht im Saal — hat in so moderater Art und Weise, daß mir dabei — Sie werden das verstehen — die Fabel vom Wolf eingefallen ist, der etwas Kreide gegessen hat, gesagt:

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Er war auch kreidebleich!)

    Ja, da war schon vieles bei uns nicht so in Ordnung, aber was haben wir doch zur Friedenssicherung beigetragen! — Da kann ich nur fragen: Waren Mauer und Stacheldraht, waren der Schießbefehl, war der Einmarsch in die Tschechoslowakei auch mit Truppen der DDR ein Beitrag zur Friedenssicherung in Europa, oder war das nicht Zündeln und über das Zündeln teilweise hinaus die Setzung von Gefahren für den Frieden in Europa? So herum wird ein Schuh daraus.
    Weil er den Postboten angesprochen hat, nur ein kleiner Hinweis: Die Postboten unterstehen natürlich nicht der Länderkompetenz, sondern das ist Bundessache. Ich sage das deshalb, weil er sagte, in einigen Ländern könnte ein Herr Gorbatschow nicht einmal Postbote werden.
    Zu dem Debattenstil: Stille und Starrheit, mit der die alte Volkskammer vor dem 18. März oder zumindest vor dem 9. Oktober letzten Jahres ihre Sitzungen, wenn sie überhaupt getagt hat, abgewickelt hat, haben noch lange nichts mit Würde des Parlaments zu tun.

    (Zuruf von der PDS: Wollen wir auch nicht!)

    Dort hatten die Abgeordneten nichts zu sagen; sie hatten nur die Hände aufzuheben. Weil sie sonst nichts zu tun hatten, als die Hände aufzuheben, deswegen konnten sie die wenigen Sitzungen, natürlich, in voller Präsenz absolvieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sage das deshalb, weil die mangelnde Präsenz
    immer kritisiert wird. Nur Abgeordnete, die keine Arbeit haben, die nichts zu tun haben, können dauernd



    Dr. Bötsch
    im Plenum sitzen. Andere müssen auch ihre sonstigen Aufgaben erledigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Herr Kollege Vogel, das war nicht die Aufforderung zum Gehen; ich habe zu Ihnen auch noch ein paar Bemerkungen.
    Die Aufhebung der Spaltung Deutschlands in zwei Staaten manifestiert sich ab heute in der Zusammensetzung dieses Hohen Hauses. Wir begrüßen nicht nur die 144 neuen Kolleginnen und Kollegen, sondern wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit ihnen, entweder in Harmonie, in politischer Übereinstimmung oder im politisch-demokratisch-parlamentarischen Streit. Beides gehört zusammen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich will Ihnen auch für das danken, was Sie in der Volkskammer in den vergangenen Monaten geleistet haben. Es bleibt uns ja jetzt keine Zeit zum Ausruhen. Auf uns warten große Aufgaben. Die deutsche Bevölkerung in Ost und West richtet große Hoffnungen auf uns, daß wir diese Aufgaben gut und im Interesse der Menschen bewältigen.
    Es gilt, Ost-Berlin und das Gebiet der fünf neuen Länder wirtschaftlich aufzubauen. Es gilt das Ziel der möglichst einheitlichen Lebensverhältnisse in ganz Deutschland auf einem Niveau, wie es in der Bundesrepublik Deutschland erreicht wurde. Auch über die Art und Weise, wie dieses Ziel erreicht werden soll, besteht im Grundsatz Übereinstimmung, nämlich mit Hilfe der bewährten Sozialen Marktwirtschaft. Insofern hat mich die Auseinandersetzung auf dem SPD-Parteitag letzte Woche etwas amüsiert, wo der SPD-Vorsitzende Vogel gemeint hat, man müsse am sogenannten demokratischen Sozialismus festhalten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Richtig!)

    Ihr Stellvertreter, Herr Dr. Vogel, Herr Thierse, der, wie ich weiß, nach mir spricht, hat sich dazu schon etwas realitätsnäher geäußert. Er fragte sich immerhin, ob der Marxismus als kritische Theorie überleben werde, und erkannte, daß jedenfalls derzeit keine neuen Sozialismus-Modelle gefragt seien. Meine Damen und Herren von der SPD, glauben Sie: Der Marxismus ist politisch tot. Nicht nur neue SozialismusModelle sind nicht gefragt, sondern Sie sollten auch die alten endgültig über Bord werfen.