Rede:
ID1122708300

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Reschke.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/227 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 227. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. September 1990 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde und den Richtlinien für Aktuelle Stunden in der Sitzungswoche ab 1. Oktober 1990 17961A Erweiterung der Tagesordnung 17961 A Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesrates zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands 18001 A Tagesordnungspunkt 10: a) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Laufs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten Kleinert (Hannover), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache 11/7423) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksachen 11/10, 11/7905) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verfassungsrechtlichen Verankerung des Umweltschutzes als Grundrecht und als Staatsziel (Drucksachen 11/663, 11/7905) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einfügung eines Artikels 20 a) (Drucksachen 11/885, 11/7905, 11/7939) Eylmann CDU/CSU 17962A, 17968 C Stahl (Kempen) SPD 17963 D Kleinert (Hannover) FDP 17965 C Wiefelspütz SPD 17966 B Häfner GRÜNE 17966 C Dr. Knabe GRÜNE 17968 B Frau Unruh fraktionslos 17968 D Engelhard, Bundesminister BMJ 17969 A Häfner GRÜNE 17969 C Koschnick SPD 17970 B Bachmaier SPD 17970 D Dr. Laufs CDU/CSU 17972 A Wüppesahl fraktionslos 17973 A Zusatztagesordnungspunkt: Beratung des Antrags des Abgeordneten Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Intervention von Getreide ab sofort, spätestens ab 1. Oktober 1990 (Drucksache 11/7954) 17974 B Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Müntefering, Conradi, Großmann, Häuser, Menzel, Dr. Niese, Dr. Osswald, Reschke, Scherrer, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Wohnungsnot (Drucksache 11/7356) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21 September 1990 b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Sofortprogramm für eine aktive Wohnungspolitik zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ökologische und soziale Offensive gegen Wohnungsnot (Drucksachen 11/4083, 11/4181, 11/7828) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Konzeption für einen neuen sozialen Mietwohnungsbau (Drucksache 11/7771) d) Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Öffnung des sozialen Wohnungsbaus für unverheiratete Paare, homosexuelle Lebensgemeinschaften und Wohngemeinschaften (Drucksachen 11/1955, 11/6876) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN: Menschenwürdige Zimmer für Kinder und Jugendliche (Drucksachen 11/2259 [neu], 11/7483) f) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Grünbeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zur Städtebaupolitik (Drucksachen 11/4914, 11/6880) Müntefering SPD 17975 B Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 17978A Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 17981B, 17993B Dr. Hitschler FDP 17983 A Frau Hasselfeldt, Bundesminister BMBau 17985 A Müntefering SPD 17987 D Dr. Hitschler FDP 17988 B Jahn (Marburg) SPD 17988 D Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 17990 A Geis CDU/CSU 17990 C Jahn (Marburg) SPD . . . . 17991A, 17992 D Müntefering SPD 17992 A Gattermann FDP 17994 D Reschke SPD 17996 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 17997 D, 17998 C Dörflinger CDU/CSU 17999 B Reschke SPD 18000 B Conradi SPD 18001 A Gattermann FDP 18002 A Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde betr. Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten Frau Garbe GRÜNE 18004 B Schmidbauer CDU/CSU 18005 A Schmidt (Salzgitter) SPD 18006 A Baum FDP 18007 A Töpfer, Bundesminister BMU 18007 D Nächste Sitzung 18009 C Berichtigung 18009 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 18011* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatztagesordnungspunkt 10 (Aktuelle Stunde: Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten) 18011* C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 18014* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 17961 227. Sitzung Bonn, den 21. September 1990 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 226. Sitzung, Seite 17839A: In der vierten Zeile ist das Wort „nicht" zu streichen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 21. 09. 90 * Bahr SPD 21. 09. 90 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 21. 09. 90 Frau Becker-Inglau SPD 21. 09. 90 Bindig SPD 21. 09. 90 Büchner (Speyer) SPD 21. 09. 90 * Catenhusen SPD 21. 09. 90 Clemens CDU/CSU 21. 09. 90 Cronenberg (Arnsberg) FDP 21. 09. 90 Dr. Daniels (Bonn) CDU/CSU 21. 09. 90 Daweke CDU/CSU 21. 09. 90 Dreßler SPD 21. 09. 90 Dr. Ehmke (Bonn) SPD 21. 09. 90 Erler SPD 21. 09. 90 Frau Faße SPD 21. 09. 90 Dr. Feldmann FDP 21. 09. 90 Frau Fuchs (Köln) SPD 21. 09. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 21. 09. 90 Graf SPD 21. 09. 90 Grünbeck FDP 21. 09. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Hauchler SPD 21. 09. 90 Haungs CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Haussmann FDP 21. 09. 90 Hedrich CDU/CSU 21. 09. 90 Freiherr Heereman von Zuydtwyck CDU/CSU 21. 09. 90 Heinrich FDP 21. 09. 90 Dr. Hennig CDU/CSU 21. 09. 90 Hörster CDU/CSU 21. 09. 90 Graf Huyn CDU/CSU 21. 09. 90 Jaunich SPD 21. 09. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 21. 09. 90 Jung (Lörrach) CDU/CSU 21. 09. 90 Jungmann (Wittmoldt) SPD 21. 09. 90 Kalisch CDU/CSU 21. 09. 90 Kastning SPD 21. 09. 90 Kolb CDU/CSU 21. 09. 90 Kolbow SPD 21. 09. 90 Dr. Graf Lambsdorff FDP 21. 09. 90 Dr. Lammert CDU/CSU 21. 09. 90 Leidinger SPD 21. 09. 90 Linsmeier CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Mechtersheimer GRÜNE 21. 09. 90 Mischnick FDP 21. 09. 90 Dr. Müller CDU/CSU 21. 09. 90 * Niggemeier SPD 21. 09. 90 Paintner FDP 21. 09. 90 Pfeifer CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Pfennig CDU/CSU 21. 09. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 21. 09. 90 Rawe CDU/CSU 21. 09. 90 Reuschenbach SPD 21. 09. 90 Richter FDP 21. 09. 90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 21. 09. 90 Frau Rock GRÜNE 21. 09. 90 Schäfer (Mainz) FDP 21. 09. 90 Schäfer (Offenburg) SPD 21. 09. 90 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Schreiner SPD 21. 09. 90 Schröer (Mülheim) SPD 21. 09. 90 Schulze (Berlin) CDU/CSU 21. 09. 90 Singer SPD 21. 09. 90 Stiegler SPD 21. 09. 90 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 21. 09. 90 Timm FDP 21. 09. 90 Dr. Unland CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Vondran CDU/CSU 21. 09. 90 Wischnewski SPD 21. 09. 90 Frau Dr. Wisniewski CDU/CSU 21. 09. 90 Wissmann CDU/CSU 21. 09. 90 Würzbach CDU/CSU 21. 09. 90 Zierer CDU/CSU 21. 09. 90 * Dr. Zimmermann CDU/CSU 21. 09. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatztagesordnungspunkt 10 (Aktuelle Stunde: Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten) Müller (Düsseldorf) (SPD): Das Thema der Aktuellen Stunde ist: „Wieviel Umwelt braucht der Mensch?" Denn neben erblicher Veranlagung und persönlichem Fehlverhalten verursachen vor allem Umweltbelastungen in einem wachsenden Ausmaß physische und psychische Schäden, die schleichend zunehmen. Für die Volksgesundheit spielen Umweltfaktoren heute eine vielleicht sogar entscheidende Rolle, unmittelbar oder durch sie zum Ausbruch gebracht bzw. verstärkt. „Alle Krankheiten", so der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem 87er Gutachten, „sind letzten Endes auf genetische Ursachen oder solche aus der Umwelt zurückzuführen, in der Regel aber tragen genetische u n d Umweltfaktoren zum Krankheitsgeschehen bei". Vereinfachend lassen sich die Umweltfaktoren in soziale und in chemisch-physikalische einteilen. Zu den sozialen Faktoren gehören z. B. persönliche Lebenssituation, berufliche Bedingungen, soziale Kontakte oder Kommunikationsmöglichkeiten. Zu den chemisch-physikalischen Einwirkungen zählen neben den jeweiligen natürlichen Lebensbedingungen die anthropogenen Umweltbelastungen wie die alltägliche Chemisierung, die Veränderungen in Zirkulation und Umsetzung der Nährstoffe, radioaktive Ionisation oder Lärm. Die personalen Veranlagungen und die allgemeinen Umweltbelastungen können durch eigenes Fehlverhalten, z. B. durch ungesunde Ernährung oder Zigarettenmißbrauch, weiter verstärkt werden. Mit dem Anwachsen des umwelttoxikologischen Potentials erwächst hieraus eine Normalität für die 18012* Deutscher Bundestag — 11.Wahiperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 Pathologie. Die Gesundheit ist von daher mit einem Wandel im Krankheitsgeschehen konfrontiert. Chronisch-degenerative Erkrankungen treten in den Vordergrund. Für diese Krankheiten läßt sich jedoch keine lineare Zurechenbarkeit durch eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen ermitteln. Es handelt sich um Komplexkrankheiten. Auf den Organismus, besonders bei den sogenannten Problemgruppen, wozu Kinder gehören, wirken eine Fülle verschiedenartiger, in der Schadenswirkung sich oft wechselseitig verstärkender Umweltnoxen ein, bis im Zusammenspiel mit z. B. sozialen Faktoren das Widerstandspotential des Körpers zusammenbricht. Vor diesem Hintergrund müssen die Gefahren von Dioxin für die Gesundheit gesehen werden. Zuerst werden die Grenzzonen zwischen Außenwelt und innerem Organismus geschädigt. Dies zeigt sich vor allem an dem Anstieg der Allergien und Immundefekte, die von Umweltnoxen verursacht werden. Langfristig erscheint es wahrscheinlich, daß kleinere chronische Schäden mehr Unheil anrichten als akute Vergiftungen. Die Wirkungen können autoaggressiv sein. Die komplizierte Funktionsweise des Immunsystems wird geschwächt. Mit der Verschlechterung des regulativen Körpersystems nehmen Krankheiten zu, können sich möglicherweise selbst negativ verstärken. Notwendig sind Umwelt- u n d Sozialreformen. Wichtige Handlungsfelder sind beispielsweise — umwelt- und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik. Hier hat die Bundesregierung auch bei der Novellierung des Chemikaliengesetzes aus unserer Sicht versagt; — umweltmedizinische Wirkungsforschung; — Aufstellung von Umweltparametern. Es muß Schluß sein, die Dioxin-Probleme zu verkleistern. Dazu gehört auch das unwürdige Gerangel um Grenzwerte für Dioxine und Furane. Wo immer es geht, brauchen wir Verbote. Frau Garbe, Sie haben Kritik an NRW geäußert. Ich will dazu nur eine Bemerkung machen: Ohne die systematischen Untersuchungen in NRW und Hamburg wäre das Thema weiter nur spekulativ geblieben. Sie wissen auch, daß nur diese beiden Bundesländer sich des Problems „Schadstoffe auf Kinderspielplätzen" konkret angenommen haben. Und NRW ist das einzige Land, das klare Richtlinien und Empfehlungen für Kinderspielplätze herausgegeben hat. Harries (CDU/CSU): Die Medien haben sich des Themas bereits angenommen. Bekannte Fernsehsendungen und bekannte Illustrierte und Wochenblätter haben dramatisch berichtet, daß Kinderspielplätze mit Dioxin belastet seien. Die Gesundheit unserer Kinder sei gefährdet. Zudem wurde der Eindruck in diesen Berichten vermittelt, daß Behörden noch nicht oder nt r unvollkommen tätig geworden seien und die Gefahren nicht erkannt hätten. Obwohl bei uns die Fähigkeit ausgeprägt ist, Gefahren nicht immer realistisch einzuschätzen und zu übertreiben, sage ich hier ausdrücklich, daß Handlungsbedarf besteht, daß Länder, die in erster Linie zuständig sind, bereits auf diesem sehr schwierigen Gebiet tätig geworden sind. Schwierigkeiten liegen z. B. in der aufwendigen und zeitraubenden Analyse und im Festsetzen eines realistischen Grenzwertes. Wie ist der Sachverhalt? In Hamburg sind auf einem Kinderspielplatz Dioxinbelastungen im Boden von weit über 1 000 ng/kg toxische Äquivalente gemessen worden. Im nachhinein wurden weitere Spielplätze aus dem gleichen Grunde gesperrt. Untersuchungen wurden eingeleitet. Das Ergebnis liegt der Hansestadt im Prinzip vor. Die Analyse spricht eindeutig dafür, daß verunreinigte Baumaterialien für die Belastung des Bodens mit Dioxin ursächlich gewesen sind. Vor Jahren sind Flugasche und Filterstäube zur Befestigung im Kinderspielplatzbereich mit eingebaut worden. Man ist sich in Hamburg einig, daß bei vorhandenen hohen Belastungen die Spielplätze saniert werden müssen. Offenbar liegt aber zum Glück nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von gemeldeten kontaminierten Spielplätzen vor, da öffentliche Spielplatzanlagen in der Regel alle fünf bis sieben Jahre eine neue Deckschicht erhalten. Auch das Land Nordrhein-Westfalen hat kontaminierte Bodenbeläge bei Kinderspielplätzen festgestellt. Das Land hat toxische Untersuchungen eingeleitet. Kinderspielplätze wurden geschlossen. Umfangreiche Untersuchungen sind auch in NRW im Gange. Wenn ich die Untersuchungsberichte richtig werte, kann zur Zeit nicht gesagt werden, daß Gesundheitsgefährdungen konkret bereits eingetreten sind. Aber die Untersuchungen auf toxische Belastungen haben auf jeden Fall gezeigt, daß in Einzelfällen eine mögliche Gesundheitsgefährdung spielender Kinder nicht ausgeschlossen werden kann. Von daher gilt, was ich eingangs sagte: Es besteht Handlungsbedarf. Der Ruf nach einem Tätigwerden des Bundes ist unüberhörbar geworden. Man erwartet die Festsetzung von Richtwerten für Dioxin-Grenzwerte. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß der Bundesumweltminister und Bundesbehörden hier längst tätig geworden sind, um generell für das Bundesgebiet zu Aussagen zu kommen. Bundesgesundheitsamt, Bundesumweltamt und Umweltministerium stehen in engem Kontakt. Ich erinnere an das Dioxin-Symposium in Karlsruhe zu Beginn dieses Jahres. Bedauerlich war, daß Abgeordnete des Umweltausschusses nicht die Möglichkeit hatten, an diesem Symposium teilzunehmen. Eine frühe Information wäre dadurch ermöglicht worden. Wir gehen davon aus, daß wir regelmäßig und umfassend über den Fortgang der Überlegungen im Bundesumweltministerium informiert werden. Die Schwierigkeit der Grundsatzarbeit ist mir bewußt. Eltern müssen beruhigt und Kinder vor Verstrahlungs- und Vergiftungsmöglichkeiten geschützt werden. Den Betreibern von Kindergärten müssen klare Anweisungen gegeben werden. Zu überlegen ist, ob die derzeitig bestehenden gesetzlichen Grundlagen für die Festsetzung von Grenzwerten ausreichen. Ich fasse zusammen: Es besteht erstens Handlungsbedarf, es besteht aber zweitens kein Anlaß zur Panik. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 18013* Frau Dr. Götte (SPD): Die Untersuchung eines Hamburger Wissenschaftlers, über die in einer Illustrierten kürzlich berichtet wurde, ist Anlaß, aber nicht Thema dieser Aktuellen Stunde. Wir brauchen uns deshalb auch gar nicht herumzustreiten, ob die Methoden stimmig, die Grenzwerte zu hoch oder die Stichprobe richtig ausgewählt sind. Tatsache ist, daß Kinder in unserer Zeit in unverantwortlich hohem Maß mit Umweltgiften traktiert werden. Das beweisen die steigenden Zahlen der krebskranken Kinder. Das beweisen vor allem auch die unerträglich hohen Zahlen der allergiekranken Kinder. Nachdem dieses Problem von der Bundesregierung viele Jahre verharmlost wurde, hat sie jetzt bekanntgegeben, daß inzwischen jedes vierte Kind davon betroffen ist. Manche versuchen, sich aus der Beklemmung, die diese Zahlen auslösen, dadurch zu befreien, daß sie sich einreden, der gigantische Anstieg der Allergieerkrankungen käme daher, daß heutzutage (ich zitiere aus einer Podiumsdiskussion) „wegen jedem Pickelchen zum Arzt gerannt wird" . Nein, hier geht es um mehr, um Asthma, schlimme Hautausschläge, schwere Erkrankungen der Atemwege bis hin zum tödlichen Pseudo-Krupp. Die Bundesrepublik, so lautete letzte Woche eine Schlagzeile in der „Zeit", sei flächendeckend dioxin-verseucht. Und dieses Gift wird flächendeckend ergänzt durch Arsen, Asbest, Benzol, Blei, Cadmium, Kupfer, PCB, Quecksilber, Zink und andere gefährliche Stoffe. Das beginnt bei der Muttermilch und setzt sich fort in Belastungen des Bodens und der Luft, in Spielplätzen, Klassenzimmern, Kinderzimmern. Im Vergleich zur Umweltvergiftung in der DDR sei das, was bei uns los ist, aber noch harmlos, höre ich. Angesichts dieser Tatsache kann ich nicht begreifen, daß wir noch nicht einmal ein Tausendstel dessen, was wir zur Abwendung militärischer Bedrohung ausgeben, zur Abwendung der gesundheitlichen Gefährdung der Kinder ausgeben. Ein Umdenken ist überfällig! Was wir brauchen, ist ein Radikalprogramm zum Umweltschutz. Aber wie schwer die Mehrheit innerhalb und außerhalb des Bundestages für konkrete, einschneidende Maßnahmen zu gewinnen ist, erleben wir gerade jetzt schmerzhaft im Bundestagswahlkampf. Frau Garbe (GRÜNE): Die GRÜNEN im Bundestag verlangen seit Jahr und Tag ein integriertes Maßnahmenbündel gegen die Dioxingefahr. Dioxine sind erst mit dem Herstellen von Chlorchemikalien zu einer Umweltgefahr geworden. Mit einer Jahresproduktion von 5 Millionen Tonnen nehmen sie heute eine zentrale Rolle unter den Industriechemikalien der Bundesrepublik ein. Unsere Grundforderung besteht daher in einem Umbau der Chlorchemie zu einer umweltfreundlichen sanften Chemie. Durch den politischen Druck der GRÜNEN sind bereits die größten Dioxinfabriken stillgelegt worden. Jetzt gilt unser Hauptaugenmerk dem PVC. Wir haben aufgezeigt, daß es in vielen Bereichen ersetzt werden kann. Zur unmittelbaren Entlastung der Umwelt fordern wir: — Eine Null-Emission für alle Anreicherungsgifte aus Industriebetrieben; — verschärfte Anforderungen in der TA-Luft; — Verschärfung der Vorschriften in der Gefahrstoffund Störfallverordnung: Aufnahme aller Stoffe, die mit Dioxinen verwandt sind und einen ähnlichen biologischen Wirkungsmechanismus aufweisen; — Aufnahme von Bodengrenzwerten in ein Bodenschutzgesetz mit Sanierungsvorschriften; — ein umfassendes Dioxin-Monitoring-Programm in allen Bundesländern. Wir bemühen in diesen Tagen oft unser Grundgesetz und preisen es der DDR-Bevölkerung an. In Art. 2 Abs. 2 Satz 1 dieses Grundgesetzes wird uns das Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert. Wir werden im Wahlkampf sehr deutlich machen, daß die Garantie auf körperliche Unversehrtheit durch willfähriges Beugen vor Lobbyisten abgelaufen ist. Reimann (SPD): Wieder einmal ist eines der Reizworte Dioxin, ein Gefahrstoff von 100 000, in der Diskussion. Obwohl die Wissenschaft immer noch nicht weiß, wie dieses Gift im Körper eigentlich wirkt und welche Reaktionen es auslöst, hat sich eines doch als sicher herausgestellt: Dioxin löst Krebs aus. Unklar ist bis heute, welche Mengen dafür nötig sind, ob bloße Spuren im menschlichen Körper bereits diese tödliche Krankheit hervorrufen oder ob dieser Stoff lediglich die Krebsentwicklung im Körper fördert. Diese Unklarheit verdeutlicht erneut, welche Bedeutung dem Thema „arbeitsbedingte Gesundheitsgefährdungen" im Rahmen der bisherigen Forschung zur Humanisierung der Arbeitswelt zukommen kann (Latenzzeit). Dioxin ist ein Stoff, der im Bereich der Arbeitsmedizin bereits seit langem für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt hat. Die Wissenschaft hat sich damit schwergetan, seine Gefährlichkeit für die Menschen anzuerkennen. Grund dafür ist, daß eine damit zusammenhängende Krankheit nicht wenige Tage oder Wochen nach einer Berührung mit dem Gift ausbricht, sondern daß es dazu erst nach vielen Jahren kommen kann. Besonders problematisch ist es mit den Stoffen, die den Bereich eines Betriebes erst einmal verlassen haben. Sie belasten als Abfall die Umwelt eben auf Kinderspielplätzen usw., auch wenn wir durch Recycling versuchen, dieses Problem jetzt zu lösen. Es muß überlegt werden, die Beweislast dahin gehend zu verändern, daß ein Material so lange gefährlich ist, bis das Umgekehrte bewiesen ist. So lange darf es nicht eingesetzt werden. Es darf doch nicht sein, daß die Wissenschaft alles erfinden und die Industrie alles vermarkten darf, die Bürger aber alles bezahlen müssen. Bezahlen heißt in diesem Fall auch, mit gesundheitlichen Belastungen leben zu müssen. Hätten wir diese Beweislastumkehr bereits eingeführt, dann wären die Spielplätze jetzt nicht von einer erhöhten Dioxinbelastung betroffen. Dann hätten wir keine Asbest verseuchten Turnhallen. Kinder sind besonders gefährdet, da ihr kleiner Körper besonders unter den Umweltbelastungen leidet (Atemwegser- 18014* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung, Bonn, Freitag, den 21. September 1990 krankungen hab en zugenommen, die Bleikonzentration ebenfalls). Weil auch bei besten Schutzmaßnahmen im Arbeitsleben eine gewisse gesundheitliche Gefährdung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehen zu bleiben scheint (Restrisiko), ist wichtig, daß die jungen Arbeitnehmer nicht schon in jungen Jahren einen mit Schadstoffen belasteten Körper haben, der sie früher als nötig krank machen kann. (Immerhin bricht heute schon eine große Anzahl von Azubis ihre Lehre aus gesundheitlichen Gründen ab, weil ihre Körper so sensibilisiert sind, daß sie bei einem weiteren Umgang mit diesen Arbeitsstoffen zur frühen Berufsunfähigkeit verurteilt wären.) Um diese Gefahr einzuschränken, muß die stoffliche Vorbelastung im Blut, in den Knochen und im Gewebe so gering wie möglich sein. Aber auch noch ein anderer Aspekt spielt eine Rolle. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gezwungen sind, zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes mit gefährlichen Stoffen umzugehen, weil unsere Industriegesellschaft ansonsten nicht funktioniert, diese Menschen wollen zumindest, daß ihre Familien zu Hause vor den Einwirkungen dieser Gefahrstoffe geschützt sind. Deshalb gilt, neben dem Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb mehr denn je die Frage: Wie schütze ich Menschen außerhalb der Produktion? Können unsere Aufsichtsbehörden überhaupt Schritt halten mit dem Aufgabenzuwachs der letzten Jahre, Gesetzesüberwachung usw., hier vorrangig in den Gemeinden? Läßt deren personelle Ausstattung auch in Hinsicht der sachlich-fachlichen Kompetenzen überhaupt zu, daß verantwortungsvoll überwacht wird? Können durch Messungen vor Ort, die Festlegung gemeinsam verpflichtender Werte und den Vollzug von Maßnahmen, Kinder und Erwachsene geschützt werden? Hier gilt die Vorsorge des Staates. Hier müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Es heißt immer, wir haben genug Geld. Na bitte, dann laßt uns handeln! Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 11. September 1990 ihren Antrag Verkürzung des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes auf 12 Monate — Drucksache 11/6243 — zurückgezogen. Damit ist die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/7312 gegenstandslos geworden. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Haushaltsauschuß Drucksache 11/7629 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/5793 Drucksache 11/7374 Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Drucksache 11/6738 Nr. 2.10 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 19. September 1990 gem. § 30 Absatz 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan nebst Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1990 einschließlich Anlagen mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Bundesminister für Verkehr hat den Wirtschaftsplan und den Stellenplan zum Wirtschaftsplan 1990 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen genehmigt. Die Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans H. Gattermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich drei kurze Vorbemerkungen machen.
    Erste Bemerkung. Herr Kollege Müntefering, Sie haben vorhin der Ministerin vorgehalten, daß es keinen SPD-Antrag gebe, in dem auch eine Begrenzung der Mietfestsetzung bei Neuvermietungen und Erstvermietungen festgelegt sei.

    (Müntefering [SPD]: Bei Erstvermietungen!) — Gut.

    Lesen Sie bitte § 2 a des Gesetzentwurfes des Bundesrates, der jegliche Form der Neuvermietung ohne jede Differenzierung nach Erstvermietung und Wiedervermietung in die gleiche Regelung einbezieht.

    (Conradi [SPD]: Nein, das ist falsch!)

    Zweite Bemerkung. Herr Kollege Jahn, es hat mich ein wenig erschüttert, daß ein ehemaliger Bundesjustizminister, nur weil er jetzt die Interessen des Mieterbundes vertritt, eine derart platte Schelte des Bundesverfassungsgerichts vornimmt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Bundesjustizminister war er nicht lange! — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das war schon damals ein Fehlgriff! — Conradi [SPD]: Das war aber ein Schandurteil!)




    Gattermann
    Dritte Bemerkung. Herr Kollege Geis, wir sind uns völlig einig, daß wir nicht wollen, daß sich irgendwelche Haie in Knappheitssituationen eine goldene Nase verdienen. Da gibt es überhaupt keinen Dissens. Aber warum wenden wir nicht das geltende Recht an, warum müssen wir flächendeckend alle, die Gerechten und die Ungerechten, daran hindern, sich wirtschaftlich vernünftig zu verhalten?
    Wohnungspolitische Debatten leiden immer unter einem ganz entscheidenden Mangel. Gibt es Probleme, dann sind diese Debatten emotionsbefrachtet und führen selten zu richtigen Ergebnissen; oder bis auf ein paar Fachleute interessiert sich dafür kein Mensch, weder hier in diesem Hohen Hause noch in der veröffentlichten Meinung oder sonst wo.
    Wir hätten jetzt — ich sage das ganz ernst —, in der Stunde, wo Gesamtdeutschland wird —

    (Conradi [SPD]: Die Stunde der Wohnungsnot ist es!)

    — ach, Kollege — , die Chance, die Wohnungspolitik wirklich konsistent für Gesamtdeutschland neu zu definieren.

    (Müntefering [SPD]: Und die FDP macht das Schnittmuster!)

    Es ist in der Tat so, daß genau wie in der Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland die Wohnungspolitik auch in der Geburtsstunde Gesamtdeutschlands einen hohen Stellenwert hat. Nur müssen wir bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Probleme hüben wie drüben mit den Problemen von damals überhaupt nicht vergleichbar sind und daß vor allen Dingen die Finanzierungssituation eine völlig andere als damals ist.

    (Müntefering [SPD]: Wem sagen Sie das!)

    Damals gab es Null privates Kapital, und auch der Staat war nicht sonderlich reich. Heute ist das alles genau umgekehrt.
    Unbestritten bleibt, daß man die Wohnung als besonderes Versorgungsgut nicht mit irgend etwas anderem vergleichen kann. Aber diese unbestrittene Feststellung löst die Wohnung nicht aus den Grundregeln der Ökonomie. Es ist nun eimal so, daß es sich hier gerade um ein Versorgungsgut handelt, das extrem teuer ist, das extrem bewirtschaftungssensibel ist, dessen Herstellung außerdem außerordentlich lange dauert und das auf einem Markt zu vermarkten ist, der nicht e i n Markt ist, sondern ein Bereich der Hunderte von sektoralen und regionalen Märkten umfaßt.
    Es wäre also dringend an der Zeit — das bloße Abkupfern alter Rezepte und ihre schlichte Fortschreibung hilft uns bei dieser besonderen Fragestellung und neuen Ausgangslage nicht — , sich zunächst die Frage vorzulegen, von wem wir die für eine angemessene sozial verträgliche Wohnungsversorgung erforderlichen Investitionen eigentlich erwarten.
    In den Jahren 1980 bis 1989, also in zehn Jahren, sind bei uns in diesem Bereich 1,5 Billionen DM investiert worden. Offensichtlich war das noch zu wenig,
    wie die Knappheitsprobleme hier im Westen im Augenblick zeigen.

    (Conradi [SPD]: Haben Sie die Vergleichszahlen aus den 70er Jahren?)

    — Die Investitionen waren noch höher. Aber für dieses Thema ist das ein dankbarer Hinweis und unterstützt das, was ich sagen will.

    (Conradi [SPD]: Ich glaube nicht!)

    Daß die Antwort auf die von mir gestellte Frage eigentlich schon gegeben ist, daß es nämlich im wesentlichen vom privaten Kapital kommen muß, ergibt sich allein aus der Bezugsgröße in Ihrem Antrag: 3,5 Milliarden DM plus X Rückflußmittel sollen festgeschrieben, Ländermittel, Kommunalmittel sollen hinzuaddiert werden. Mehr als der Bruchteil dessen, was notwendig ist, kommt dabei nicht heraus. Ich glaube auch, daß das unstreitig ist, Herr Kollege Müntefering, wenn man sich Ihren Abschnitt 2, selbstgenutztes Wohneigentum, privater Mietwohnungsbau, ansieht.
    Aber auch hier muß man mit der Effizienz-Elle herangehen, und man muß sich vor allen Dingen davor hüten, Kontraproduktives auf die Reise zu schicken. Das muß man aussortieren. Man muß einmal die Rolle des Staates in diesem Marktbereich wirklich präzise auf den Punkt definieren, neu definieren. Die Definition kann nicht mehr so lauten wie nach 1949. Die berühmten „breiten Schichten der Bevölkerung" als Zielgruppe für staatliche Wohnungsbaupolitik — das geht nicht mehr. Der Staat kann nicht länger der Hauptbauherr — mittelbar oder unmittelbar — und der Hauptfinanzier sein.

    (Müntefering [SPD]: Das fordert doch auch keiner!)

    — Ich will nur, daß Klarheit herrscht.

    (Müntefering [SPD]: Sie sind doch blind auf dem einen Auge, doch nicht wir!)

    Wir müssen diese Rolle definieren. Die erste und zentrale Aufgabenstellung ist, daß die planungsrechtlichen, baurechtlichen, steuerrechtlichen und mietrechtlichen Rahmendaten so gesetzt werden, daß genügend Anreize und Möglichkeiten vorhanden sind, damit sich privates Kapital in diesem genannten Umfang im Wohnungsmarkt engagiert.
    Das zweite ist — und da gehen wir jetzt auseinander — : Die begrenzten staatlichen Mittel müssen effektiv und müssen vor allen Dingen sozial treffsicher eingesetzt werden. Etwas anderes bleibt uns angesichts des Finanzierungsbedarfs in Gesamtdeutschland überhaupt nicht übrig. Es bleibt der Bereich von Stadtsanierung und Dorferneuerung als staatliche Aufgabe.
    Meine Damen und Herren, Mietrechtsdiskussionen sind in der Tat Gift. Ich will nicht wiederholen, was hier schon gesagt worden ist. Aber lassen Sie mich zwei prominente Sozialdemokraten zitieren, die wirklich etwas davon verstehen.
    Das eine hat Senator a. D. Jürgen Steinert, der Präsident des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft
    — zu diesem Verband gehören immerhin 1 800 ehemalig gemeinnützige Wohnungsunternehmen mit
    17996 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 22/. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990
    Gattermann
    mehr als 1,8 Millionen Mitgliedern, einen Bestand von 3,4 Millionen Mi et- und Genossenschaftswohnungen und einem jährlichen Investitionsvolumen von 10 Milliarden DM — , am 14. September dieses Jahres in Regensburg gesagt — Zitat — :
    Dabei sind Mietbegrenzungsdebatten am Beispiel der Gesetzesinitiative des Bundesrates falsch und die Ablehnung der F.D.P. begrüßenswert. Wer Baupreis-, Baulandpreis- und Finanzierungskostensteigerungen glaubt auffangen zu können durch ein restriktiveres Mietrecht, erreicht nur eines: Der Investor, den man dringend braucht und ohne den es keine neuen Wohnungen gibt, läßt uns im Stich.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Der Mann versteht etwas davon!)

    Das zweite Zitat stammt von einem ebenso angesehenen, renommierten Sozialdemokraten, nämlich von Friedel Neuber — der Chef der WestLB —, der am 30. August 1990 gesagt hat:
    Inwieweit eine Verlagerung vom gewerblichen zum Mietwohnungsbau tatsächlich erreicht werden kann, ist aber auch davon abhängig, daß private Investoren nicht länger durch Diskussionen und Gesetze zur Begrenzung der Miethöhe und zur Verbesserung des Mieterschutzes abgeschreckt werden.
    Meine Damen und Herren, wir brauchen eine konsistente, in sich stimmige, Rahmenbedingungsdiskussion für jede einzelne der in Frage kommenden Investorengruppen. Da paßt derzeit vieles nicht zueinander. Mit unserem Versuch, sozialen Wohnungsbau mit Steuerrecht zu verzahnen, haben wir, so glaube ich, einen Fehlweg eingeschlagen.
    Aber das alles müßte sorgfältig abgeklärt werden. Deshalb haben wir in den Diskussionen der letzten Wochen vorgeschlagen — und ich wiederhole das hier mit allem Ernst und mit allem Nachdruck — : Wir sollten ganz schnell eine hochrangige Expertenkommission einsetzen, ein paar Baufachleute, ein paar Finanzierungsfachleute, ein paar bewährte Wissenschaftler, ein paar Ministeriale, ein paar Politiker. Das hat nichts mit Parteigrenzen zu tun; ich könnte mir sogar einen sozialdemokratischen Vorsitzenden vorstellen

    (Reschke [SPD]: Den zukünftigen Minister! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Lappas aber nicht!)

    — ich habe einen ganz bestimmten im Auge — , der uns bis zum Frühjahr ein Konzept auf den Tisch legt, mit dem das gesamtdeutsche Parlament wohnungspolitische Weichenstellungen vornehmen kann, die hoffentlich ebenso segensreich sein werden wie die Grundentscheidungen, die unsere Väter nach dem Zweiten Weltkrieg getroffen haben. Ich meine, das sollten wir alle miteinander ernst nehmen.
    Zum Schluß muß ich doch noch eine Bemerkung zu Herrn Stoiber loswerden, weil danach gefragt worden ist und weil das vorhin so nicht richtig beantwortet worden ist,

    (Conradi [SPD]: Ausnahmsweise bin ich seiner Meinung!)

    bezüglich der berühmten „sozialen Kälte". Sie haben das auch gesagt, also gilt die Einladung auch für Sie: Besuchen Sie bitte den bayerischen Landesvorsitzenden der FDP, Josef Grünbeck, in seinem Betrieb.

    (Müntefering [SPD]: Der ist außen vor! Den schalten wir aus!)

    Dann werden Sie feststellen, was liberal gestaltete, soziale Partnerschaft, soziale Wärme ist.
    Ein zweiter Satz. Diese schöne Behauptung, die FDP sei an den hohen Mieten schuld, ist sehr seltsam. Ich will jetzt keine häßlichen Worte gebrauchen. Ich will es positiv ausdrücken und Ihnen den zweiten Teil der Aussage für die Wahlauseinandersetzung vorschlagen, frei nach Tucholsky als CSU jedem bayerischen Mietsuchenden zu versprechen: Ein Häuschen, vorne der Stachus, hinten der Chiemsee, und das alles mietfrei. — Genauso absurd und lächerlich wie ein solches Wahlversprechen ist der Vorwurf, den Stoiber gegen die FDP erhebt.

    (Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Möller [CDU/CSU])



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Reschke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Otto Reschke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gattermann, ich persönlich muß sagen: Ich nehme gern Ihr Angebot an, weil wirklich festzustellen ist: Die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau stimmen für ganz Deutschland nicht mehr. Allerdings darf das nicht dazu führen, daß wir alles noch weiter auf die lange Bank schieben. Finanzausschuß und Wohnungsbauausschuß hab en in dieser Periode vier große Anhörungen zum Wohnungsbau gehabt, und wir sind noch nicht zu Potte gekommen. Im Gegenteil: Gut ein Jahr, nachdem einige steuerliche Rahmenbedingungen für den sozialen Wohnungsbau geändert worden sind, stellen Sie fest: Barförderung und sozialen Wohnungsbau kann man einfach nicht verbinden. Schon 1986 haben wir davor gewarnt, bei der Umstellung der Eigentumsförderung die staatliche Förderung des Wohneigentums weiterhin von Progressionsminderung abhängig zu machen. Damals prophezeite die Regierung, Progressionsminderung bei der Steuer sei der beste Anreiz, sei die beste Förderung. Heute können wir feststellen, daß das genau der falsche Weg war, daß das jetzt in verstärktem Maße genau dazu führt — die letzten anderthalb Jahre zeigen die Tendenz deutlich — , daß der Traum vom Eigenheim für viele unerreichbar und unfinanzierbar geworden ist.
    Ich will dazu einige Zahlen nennen, die für die wichtigsten Industriestaaten in der EG gelten. Dort haben wir Eigentumsquoten zwischen 55 % und 85 %. Die Regierung und auch die Koalition haben bei der großen Diskussion um die Eigentumsförderung 1986 versprochen, die Eigentumsquote soll Anfang der 90er Jahre bei 50 % liegen. Wir krebsen heute noch bei 39 % herum, genau wie 1985, 1986 und 1987.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aber mit doppelt so vielen Einpersonenhaushalten! Das ist das Problem!)

    — Ich komme gleich dazu, Herr Kansy. — Wenn man
    genau hinschaut, sieht man, daß exakt die Regionen,



    Reschke
    in denen der größte Bedarf an Wohnungen besteht, unsere Ballungsgebiete, eine Eigentumsquote zwischen 25 % und 35 % haben. Ganz deutlich gehen hier die Investitionen in die falsche Richtung. Staatliche Ressourcen in Milliardenhöhe werden fehlgeleitet. Die Regierung tut nichts, Frau Bauministerin, die Belastungen für Bauwillige erträglicher zu machen und für die Baulandbereitstellung zu sorgen. Machen Sie doch bitte die Gemeinden nicht für die Baulandbereitstellung verantwortlich. Hier hat die Regierung eine ganze Menge zu tun.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Was hat die Bundesregierung damit zu tun?)

    Im Gegenteil: Eine ganze Reihe von Beschlüssen hat die Eigenheimer der Republik in den letzten Jahren schwer gebeutelt: von der Streichung der Grundsteuervergünstigung über die Streichung der Ermäßigung von Gerichtsgebühren über Streichung der kostenfreien Unfallversicherung bei Eigenarbeit in Selbsthilfe bis zur Einschränkung der Absetzbarkeit von Bausparbeiträgen. Hier hilft nicht, Herr Kansy, eine Besserstellung bei der Zwischenfinanzierung. Die hilft wenig zur Förderung des Eigentums. Die Wohnungsbauprämie ist von 1 Milliarde DM auf 0,6 Milliarden DM 1990 zurückgefahren worden. Das muß für Sie ein deutliches Signal in puncto Eigentumsförderung sein. Nicht zuletzt hat die Steuerreform ab 1. Januar 1990 für alle diejenigen, die im Eigenheim wohnen, weniger gebracht. Der Finanzminister spart bei selbstgenutztem Wohneigentum 800 Millionen DM durch die Progressionsabflachung. Warum soll man diese Gelder nicht wieder in Wohneigentum stecken?

    (Müntefering [SPD]: Es muß!)

    Warum wird das vom Finanzminister einfach einkassiert?
    Ich will auch die Streichung der Grunderwerbsteuerbefreiung 1984 ansprechen, die zu einer Kostenerhöhung von 2 % bei vielen Eigenheimern geführt hat. Vorher bestand Grunderwerbsteuerfreiheit.
    All das sind Maßnahmen, die in den letzten Jahren je nach persönlichen Voraussetzungen der Familien beim selbstgenutzten Wohneigentum zu einem Belastungszuschlag zwischen 200 DM und 300 DM geführt haben.
    Hinzu kommt, daß sich 1990 die Rahmenbedingungen für den Bau und Erwerb von Wohneigentum zunehmend verschärft haben:
    Erstens. Bau- und Bodenpreise haben mittlerweile eine Steigerungsrate von über 10 % erreicht.
    Zweitens. Der Zinsanstieg hat eine Höhe erreicht, die jeden Bauwilligen natürlicherweise abschrecken muß. Wer jetzt seinen Hypothekenvertrag erneuern muß, den kann man nur bedauern, weil er 30 % mehr geben muß als vor fünf oder als vor zehn Jahren.
    Drittens. Eine Eigentumsförderung nach § 10 e Einkommensteuergesetz wird in den nächsten Jahren auf Grund des Einkommenrückstandes in den neuen Bundesländern, die am 3. Oktober zu uns kommen, nicht wirksam oder überhaupt nutzlos sein. Frau Bauministerin, ich hätte wirklich gedacht, daß Sie zu diesem Punkt Eigentumsförderung in der DDR, wo 90 % der Bauleistungen für ein Eigenheim Eigenleistungen sind, hier etwas sagen würden. Sie schweigen sich aus. Sie versagen in diesem Punkt leider; ich bedaure das. Das muß man sich vor Augen führen: Ab 3. Oktober sind wir vereint, und § 10e Einkommensteuergesetz gilt in der DDR nicht ab 3. Oktober, sondern erst ab 1. Januar. Ab dem 1. Januar 1991 wird eine minimale, so gut wie gar keine steuerliche Entlastung der Eigenheimer in der DDR bei einem Jahreseinkommen zwischen 15 000 und 20 000 DM gewährt, da bei diesem Einkommen im Grunde genommen unwesentlich Steuern zu zahlen sind.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die haben nur einen Bruchteil für ihr Haus gezahlt!)

    — Herr Kansy, hören Sie zu, das hilft Ihnen mehr.
    Ein vierter Punkt: Nicht nur die Situation in den neuen Bundesländern macht andere Formen der Eigentumsförderung erforderlich, sondern auch die rapide nach unten gehenden Genehmigungszahlen und Bauquoten im Eigenheimbau. Nachdem wir 1989 gegenüber 1988 ein Stück Anstieg zu verzeichnen hatten, ist der Zuwachs zum Erliegen gekommen. Wir müssen sogar davon ausgehen, daß 1990 und 1991 weniger Wohneigentum erstellt, gebaut oder gekauft wird als 1988 und 1989.
    Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Anreiz zur Wohneigentumsbildung erhöht, der hilft, mit einer Umverteilung der öffentlichen Mittel ein größtmögliches Wohnungsbauvolumen zu erreichen, der Hilfe leistet zum Abbau des Versorgungsdefizits an Wohnungen, ganz besonders in den Ballungsgebieten, der sofort in den neuen Ländern der DDR wirken kann. Das ist ein wichtiger Punkt, auf den es uns ankommt.