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    Plenarprotokoll 11/227 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 227. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. September 1990 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde und den Richtlinien für Aktuelle Stunden in der Sitzungswoche ab 1. Oktober 1990 17961A Erweiterung der Tagesordnung 17961 A Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesrates zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands 18001 A Tagesordnungspunkt 10: a) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Laufs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten Kleinert (Hannover), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache 11/7423) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksachen 11/10, 11/7905) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verfassungsrechtlichen Verankerung des Umweltschutzes als Grundrecht und als Staatsziel (Drucksachen 11/663, 11/7905) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einfügung eines Artikels 20 a) (Drucksachen 11/885, 11/7905, 11/7939) Eylmann CDU/CSU 17962A, 17968 C Stahl (Kempen) SPD 17963 D Kleinert (Hannover) FDP 17965 C Wiefelspütz SPD 17966 B Häfner GRÜNE 17966 C Dr. Knabe GRÜNE 17968 B Frau Unruh fraktionslos 17968 D Engelhard, Bundesminister BMJ 17969 A Häfner GRÜNE 17969 C Koschnick SPD 17970 B Bachmaier SPD 17970 D Dr. Laufs CDU/CSU 17972 A Wüppesahl fraktionslos 17973 A Zusatztagesordnungspunkt: Beratung des Antrags des Abgeordneten Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Intervention von Getreide ab sofort, spätestens ab 1. Oktober 1990 (Drucksache 11/7954) 17974 B Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Müntefering, Conradi, Großmann, Häuser, Menzel, Dr. Niese, Dr. Osswald, Reschke, Scherrer, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Wohnungsnot (Drucksache 11/7356) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21 September 1990 b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Sofortprogramm für eine aktive Wohnungspolitik zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ökologische und soziale Offensive gegen Wohnungsnot (Drucksachen 11/4083, 11/4181, 11/7828) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Konzeption für einen neuen sozialen Mietwohnungsbau (Drucksache 11/7771) d) Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Öffnung des sozialen Wohnungsbaus für unverheiratete Paare, homosexuelle Lebensgemeinschaften und Wohngemeinschaften (Drucksachen 11/1955, 11/6876) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN: Menschenwürdige Zimmer für Kinder und Jugendliche (Drucksachen 11/2259 [neu], 11/7483) f) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Grünbeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zur Städtebaupolitik (Drucksachen 11/4914, 11/6880) Müntefering SPD 17975 B Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 17978A Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 17981B, 17993B Dr. Hitschler FDP 17983 A Frau Hasselfeldt, Bundesminister BMBau 17985 A Müntefering SPD 17987 D Dr. Hitschler FDP 17988 B Jahn (Marburg) SPD 17988 D Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 17990 A Geis CDU/CSU 17990 C Jahn (Marburg) SPD . . . . 17991A, 17992 D Müntefering SPD 17992 A Gattermann FDP 17994 D Reschke SPD 17996 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 17997 D, 17998 C Dörflinger CDU/CSU 17999 B Reschke SPD 18000 B Conradi SPD 18001 A Gattermann FDP 18002 A Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde betr. Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten Frau Garbe GRÜNE 18004 B Schmidbauer CDU/CSU 18005 A Schmidt (Salzgitter) SPD 18006 A Baum FDP 18007 A Töpfer, Bundesminister BMU 18007 D Nächste Sitzung 18009 C Berichtigung 18009 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 18011* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatztagesordnungspunkt 10 (Aktuelle Stunde: Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten) 18011* C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 18014* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 17961 227. Sitzung Bonn, den 21. September 1990 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 226. Sitzung, Seite 17839A: In der vierten Zeile ist das Wort „nicht" zu streichen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 21. 09. 90 * Bahr SPD 21. 09. 90 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 21. 09. 90 Frau Becker-Inglau SPD 21. 09. 90 Bindig SPD 21. 09. 90 Büchner (Speyer) SPD 21. 09. 90 * Catenhusen SPD 21. 09. 90 Clemens CDU/CSU 21. 09. 90 Cronenberg (Arnsberg) FDP 21. 09. 90 Dr. Daniels (Bonn) CDU/CSU 21. 09. 90 Daweke CDU/CSU 21. 09. 90 Dreßler SPD 21. 09. 90 Dr. Ehmke (Bonn) SPD 21. 09. 90 Erler SPD 21. 09. 90 Frau Faße SPD 21. 09. 90 Dr. Feldmann FDP 21. 09. 90 Frau Fuchs (Köln) SPD 21. 09. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 21. 09. 90 Graf SPD 21. 09. 90 Grünbeck FDP 21. 09. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Hauchler SPD 21. 09. 90 Haungs CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Haussmann FDP 21. 09. 90 Hedrich CDU/CSU 21. 09. 90 Freiherr Heereman von Zuydtwyck CDU/CSU 21. 09. 90 Heinrich FDP 21. 09. 90 Dr. Hennig CDU/CSU 21. 09. 90 Hörster CDU/CSU 21. 09. 90 Graf Huyn CDU/CSU 21. 09. 90 Jaunich SPD 21. 09. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 21. 09. 90 Jung (Lörrach) CDU/CSU 21. 09. 90 Jungmann (Wittmoldt) SPD 21. 09. 90 Kalisch CDU/CSU 21. 09. 90 Kastning SPD 21. 09. 90 Kolb CDU/CSU 21. 09. 90 Kolbow SPD 21. 09. 90 Dr. Graf Lambsdorff FDP 21. 09. 90 Dr. Lammert CDU/CSU 21. 09. 90 Leidinger SPD 21. 09. 90 Linsmeier CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Mechtersheimer GRÜNE 21. 09. 90 Mischnick FDP 21. 09. 90 Dr. Müller CDU/CSU 21. 09. 90 * Niggemeier SPD 21. 09. 90 Paintner FDP 21. 09. 90 Pfeifer CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Pfennig CDU/CSU 21. 09. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 21. 09. 90 Rawe CDU/CSU 21. 09. 90 Reuschenbach SPD 21. 09. 90 Richter FDP 21. 09. 90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 21. 09. 90 Frau Rock GRÜNE 21. 09. 90 Schäfer (Mainz) FDP 21. 09. 90 Schäfer (Offenburg) SPD 21. 09. 90 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Schreiner SPD 21. 09. 90 Schröer (Mülheim) SPD 21. 09. 90 Schulze (Berlin) CDU/CSU 21. 09. 90 Singer SPD 21. 09. 90 Stiegler SPD 21. 09. 90 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 21. 09. 90 Timm FDP 21. 09. 90 Dr. Unland CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Vondran CDU/CSU 21. 09. 90 Wischnewski SPD 21. 09. 90 Frau Dr. Wisniewski CDU/CSU 21. 09. 90 Wissmann CDU/CSU 21. 09. 90 Würzbach CDU/CSU 21. 09. 90 Zierer CDU/CSU 21. 09. 90 * Dr. Zimmermann CDU/CSU 21. 09. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatztagesordnungspunkt 10 (Aktuelle Stunde: Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten) Müller (Düsseldorf) (SPD): Das Thema der Aktuellen Stunde ist: „Wieviel Umwelt braucht der Mensch?" Denn neben erblicher Veranlagung und persönlichem Fehlverhalten verursachen vor allem Umweltbelastungen in einem wachsenden Ausmaß physische und psychische Schäden, die schleichend zunehmen. Für die Volksgesundheit spielen Umweltfaktoren heute eine vielleicht sogar entscheidende Rolle, unmittelbar oder durch sie zum Ausbruch gebracht bzw. verstärkt. „Alle Krankheiten", so der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem 87er Gutachten, „sind letzten Endes auf genetische Ursachen oder solche aus der Umwelt zurückzuführen, in der Regel aber tragen genetische u n d Umweltfaktoren zum Krankheitsgeschehen bei". Vereinfachend lassen sich die Umweltfaktoren in soziale und in chemisch-physikalische einteilen. Zu den sozialen Faktoren gehören z. B. persönliche Lebenssituation, berufliche Bedingungen, soziale Kontakte oder Kommunikationsmöglichkeiten. Zu den chemisch-physikalischen Einwirkungen zählen neben den jeweiligen natürlichen Lebensbedingungen die anthropogenen Umweltbelastungen wie die alltägliche Chemisierung, die Veränderungen in Zirkulation und Umsetzung der Nährstoffe, radioaktive Ionisation oder Lärm. Die personalen Veranlagungen und die allgemeinen Umweltbelastungen können durch eigenes Fehlverhalten, z. B. durch ungesunde Ernährung oder Zigarettenmißbrauch, weiter verstärkt werden. Mit dem Anwachsen des umwelttoxikologischen Potentials erwächst hieraus eine Normalität für die 18012* Deutscher Bundestag — 11.Wahiperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 Pathologie. Die Gesundheit ist von daher mit einem Wandel im Krankheitsgeschehen konfrontiert. Chronisch-degenerative Erkrankungen treten in den Vordergrund. Für diese Krankheiten läßt sich jedoch keine lineare Zurechenbarkeit durch eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen ermitteln. Es handelt sich um Komplexkrankheiten. Auf den Organismus, besonders bei den sogenannten Problemgruppen, wozu Kinder gehören, wirken eine Fülle verschiedenartiger, in der Schadenswirkung sich oft wechselseitig verstärkender Umweltnoxen ein, bis im Zusammenspiel mit z. B. sozialen Faktoren das Widerstandspotential des Körpers zusammenbricht. Vor diesem Hintergrund müssen die Gefahren von Dioxin für die Gesundheit gesehen werden. Zuerst werden die Grenzzonen zwischen Außenwelt und innerem Organismus geschädigt. Dies zeigt sich vor allem an dem Anstieg der Allergien und Immundefekte, die von Umweltnoxen verursacht werden. Langfristig erscheint es wahrscheinlich, daß kleinere chronische Schäden mehr Unheil anrichten als akute Vergiftungen. Die Wirkungen können autoaggressiv sein. Die komplizierte Funktionsweise des Immunsystems wird geschwächt. Mit der Verschlechterung des regulativen Körpersystems nehmen Krankheiten zu, können sich möglicherweise selbst negativ verstärken. Notwendig sind Umwelt- u n d Sozialreformen. Wichtige Handlungsfelder sind beispielsweise — umwelt- und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik. Hier hat die Bundesregierung auch bei der Novellierung des Chemikaliengesetzes aus unserer Sicht versagt; — umweltmedizinische Wirkungsforschung; — Aufstellung von Umweltparametern. Es muß Schluß sein, die Dioxin-Probleme zu verkleistern. Dazu gehört auch das unwürdige Gerangel um Grenzwerte für Dioxine und Furane. Wo immer es geht, brauchen wir Verbote. Frau Garbe, Sie haben Kritik an NRW geäußert. Ich will dazu nur eine Bemerkung machen: Ohne die systematischen Untersuchungen in NRW und Hamburg wäre das Thema weiter nur spekulativ geblieben. Sie wissen auch, daß nur diese beiden Bundesländer sich des Problems „Schadstoffe auf Kinderspielplätzen" konkret angenommen haben. Und NRW ist das einzige Land, das klare Richtlinien und Empfehlungen für Kinderspielplätze herausgegeben hat. Harries (CDU/CSU): Die Medien haben sich des Themas bereits angenommen. Bekannte Fernsehsendungen und bekannte Illustrierte und Wochenblätter haben dramatisch berichtet, daß Kinderspielplätze mit Dioxin belastet seien. Die Gesundheit unserer Kinder sei gefährdet. Zudem wurde der Eindruck in diesen Berichten vermittelt, daß Behörden noch nicht oder nt r unvollkommen tätig geworden seien und die Gefahren nicht erkannt hätten. Obwohl bei uns die Fähigkeit ausgeprägt ist, Gefahren nicht immer realistisch einzuschätzen und zu übertreiben, sage ich hier ausdrücklich, daß Handlungsbedarf besteht, daß Länder, die in erster Linie zuständig sind, bereits auf diesem sehr schwierigen Gebiet tätig geworden sind. Schwierigkeiten liegen z. B. in der aufwendigen und zeitraubenden Analyse und im Festsetzen eines realistischen Grenzwertes. Wie ist der Sachverhalt? In Hamburg sind auf einem Kinderspielplatz Dioxinbelastungen im Boden von weit über 1 000 ng/kg toxische Äquivalente gemessen worden. Im nachhinein wurden weitere Spielplätze aus dem gleichen Grunde gesperrt. Untersuchungen wurden eingeleitet. Das Ergebnis liegt der Hansestadt im Prinzip vor. Die Analyse spricht eindeutig dafür, daß verunreinigte Baumaterialien für die Belastung des Bodens mit Dioxin ursächlich gewesen sind. Vor Jahren sind Flugasche und Filterstäube zur Befestigung im Kinderspielplatzbereich mit eingebaut worden. Man ist sich in Hamburg einig, daß bei vorhandenen hohen Belastungen die Spielplätze saniert werden müssen. Offenbar liegt aber zum Glück nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von gemeldeten kontaminierten Spielplätzen vor, da öffentliche Spielplatzanlagen in der Regel alle fünf bis sieben Jahre eine neue Deckschicht erhalten. Auch das Land Nordrhein-Westfalen hat kontaminierte Bodenbeläge bei Kinderspielplätzen festgestellt. Das Land hat toxische Untersuchungen eingeleitet. Kinderspielplätze wurden geschlossen. Umfangreiche Untersuchungen sind auch in NRW im Gange. Wenn ich die Untersuchungsberichte richtig werte, kann zur Zeit nicht gesagt werden, daß Gesundheitsgefährdungen konkret bereits eingetreten sind. Aber die Untersuchungen auf toxische Belastungen haben auf jeden Fall gezeigt, daß in Einzelfällen eine mögliche Gesundheitsgefährdung spielender Kinder nicht ausgeschlossen werden kann. Von daher gilt, was ich eingangs sagte: Es besteht Handlungsbedarf. Der Ruf nach einem Tätigwerden des Bundes ist unüberhörbar geworden. Man erwartet die Festsetzung von Richtwerten für Dioxin-Grenzwerte. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß der Bundesumweltminister und Bundesbehörden hier längst tätig geworden sind, um generell für das Bundesgebiet zu Aussagen zu kommen. Bundesgesundheitsamt, Bundesumweltamt und Umweltministerium stehen in engem Kontakt. Ich erinnere an das Dioxin-Symposium in Karlsruhe zu Beginn dieses Jahres. Bedauerlich war, daß Abgeordnete des Umweltausschusses nicht die Möglichkeit hatten, an diesem Symposium teilzunehmen. Eine frühe Information wäre dadurch ermöglicht worden. Wir gehen davon aus, daß wir regelmäßig und umfassend über den Fortgang der Überlegungen im Bundesumweltministerium informiert werden. Die Schwierigkeit der Grundsatzarbeit ist mir bewußt. Eltern müssen beruhigt und Kinder vor Verstrahlungs- und Vergiftungsmöglichkeiten geschützt werden. Den Betreibern von Kindergärten müssen klare Anweisungen gegeben werden. Zu überlegen ist, ob die derzeitig bestehenden gesetzlichen Grundlagen für die Festsetzung von Grenzwerten ausreichen. Ich fasse zusammen: Es besteht erstens Handlungsbedarf, es besteht aber zweitens kein Anlaß zur Panik. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 18013* Frau Dr. Götte (SPD): Die Untersuchung eines Hamburger Wissenschaftlers, über die in einer Illustrierten kürzlich berichtet wurde, ist Anlaß, aber nicht Thema dieser Aktuellen Stunde. Wir brauchen uns deshalb auch gar nicht herumzustreiten, ob die Methoden stimmig, die Grenzwerte zu hoch oder die Stichprobe richtig ausgewählt sind. Tatsache ist, daß Kinder in unserer Zeit in unverantwortlich hohem Maß mit Umweltgiften traktiert werden. Das beweisen die steigenden Zahlen der krebskranken Kinder. Das beweisen vor allem auch die unerträglich hohen Zahlen der allergiekranken Kinder. Nachdem dieses Problem von der Bundesregierung viele Jahre verharmlost wurde, hat sie jetzt bekanntgegeben, daß inzwischen jedes vierte Kind davon betroffen ist. Manche versuchen, sich aus der Beklemmung, die diese Zahlen auslösen, dadurch zu befreien, daß sie sich einreden, der gigantische Anstieg der Allergieerkrankungen käme daher, daß heutzutage (ich zitiere aus einer Podiumsdiskussion) „wegen jedem Pickelchen zum Arzt gerannt wird" . Nein, hier geht es um mehr, um Asthma, schlimme Hautausschläge, schwere Erkrankungen der Atemwege bis hin zum tödlichen Pseudo-Krupp. Die Bundesrepublik, so lautete letzte Woche eine Schlagzeile in der „Zeit", sei flächendeckend dioxin-verseucht. Und dieses Gift wird flächendeckend ergänzt durch Arsen, Asbest, Benzol, Blei, Cadmium, Kupfer, PCB, Quecksilber, Zink und andere gefährliche Stoffe. Das beginnt bei der Muttermilch und setzt sich fort in Belastungen des Bodens und der Luft, in Spielplätzen, Klassenzimmern, Kinderzimmern. Im Vergleich zur Umweltvergiftung in der DDR sei das, was bei uns los ist, aber noch harmlos, höre ich. Angesichts dieser Tatsache kann ich nicht begreifen, daß wir noch nicht einmal ein Tausendstel dessen, was wir zur Abwendung militärischer Bedrohung ausgeben, zur Abwendung der gesundheitlichen Gefährdung der Kinder ausgeben. Ein Umdenken ist überfällig! Was wir brauchen, ist ein Radikalprogramm zum Umweltschutz. Aber wie schwer die Mehrheit innerhalb und außerhalb des Bundestages für konkrete, einschneidende Maßnahmen zu gewinnen ist, erleben wir gerade jetzt schmerzhaft im Bundestagswahlkampf. Frau Garbe (GRÜNE): Die GRÜNEN im Bundestag verlangen seit Jahr und Tag ein integriertes Maßnahmenbündel gegen die Dioxingefahr. Dioxine sind erst mit dem Herstellen von Chlorchemikalien zu einer Umweltgefahr geworden. Mit einer Jahresproduktion von 5 Millionen Tonnen nehmen sie heute eine zentrale Rolle unter den Industriechemikalien der Bundesrepublik ein. Unsere Grundforderung besteht daher in einem Umbau der Chlorchemie zu einer umweltfreundlichen sanften Chemie. Durch den politischen Druck der GRÜNEN sind bereits die größten Dioxinfabriken stillgelegt worden. Jetzt gilt unser Hauptaugenmerk dem PVC. Wir haben aufgezeigt, daß es in vielen Bereichen ersetzt werden kann. Zur unmittelbaren Entlastung der Umwelt fordern wir: — Eine Null-Emission für alle Anreicherungsgifte aus Industriebetrieben; — verschärfte Anforderungen in der TA-Luft; — Verschärfung der Vorschriften in der Gefahrstoffund Störfallverordnung: Aufnahme aller Stoffe, die mit Dioxinen verwandt sind und einen ähnlichen biologischen Wirkungsmechanismus aufweisen; — Aufnahme von Bodengrenzwerten in ein Bodenschutzgesetz mit Sanierungsvorschriften; — ein umfassendes Dioxin-Monitoring-Programm in allen Bundesländern. Wir bemühen in diesen Tagen oft unser Grundgesetz und preisen es der DDR-Bevölkerung an. In Art. 2 Abs. 2 Satz 1 dieses Grundgesetzes wird uns das Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert. Wir werden im Wahlkampf sehr deutlich machen, daß die Garantie auf körperliche Unversehrtheit durch willfähriges Beugen vor Lobbyisten abgelaufen ist. Reimann (SPD): Wieder einmal ist eines der Reizworte Dioxin, ein Gefahrstoff von 100 000, in der Diskussion. Obwohl die Wissenschaft immer noch nicht weiß, wie dieses Gift im Körper eigentlich wirkt und welche Reaktionen es auslöst, hat sich eines doch als sicher herausgestellt: Dioxin löst Krebs aus. Unklar ist bis heute, welche Mengen dafür nötig sind, ob bloße Spuren im menschlichen Körper bereits diese tödliche Krankheit hervorrufen oder ob dieser Stoff lediglich die Krebsentwicklung im Körper fördert. Diese Unklarheit verdeutlicht erneut, welche Bedeutung dem Thema „arbeitsbedingte Gesundheitsgefährdungen" im Rahmen der bisherigen Forschung zur Humanisierung der Arbeitswelt zukommen kann (Latenzzeit). Dioxin ist ein Stoff, der im Bereich der Arbeitsmedizin bereits seit langem für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt hat. Die Wissenschaft hat sich damit schwergetan, seine Gefährlichkeit für die Menschen anzuerkennen. Grund dafür ist, daß eine damit zusammenhängende Krankheit nicht wenige Tage oder Wochen nach einer Berührung mit dem Gift ausbricht, sondern daß es dazu erst nach vielen Jahren kommen kann. Besonders problematisch ist es mit den Stoffen, die den Bereich eines Betriebes erst einmal verlassen haben. Sie belasten als Abfall die Umwelt eben auf Kinderspielplätzen usw., auch wenn wir durch Recycling versuchen, dieses Problem jetzt zu lösen. Es muß überlegt werden, die Beweislast dahin gehend zu verändern, daß ein Material so lange gefährlich ist, bis das Umgekehrte bewiesen ist. So lange darf es nicht eingesetzt werden. Es darf doch nicht sein, daß die Wissenschaft alles erfinden und die Industrie alles vermarkten darf, die Bürger aber alles bezahlen müssen. Bezahlen heißt in diesem Fall auch, mit gesundheitlichen Belastungen leben zu müssen. Hätten wir diese Beweislastumkehr bereits eingeführt, dann wären die Spielplätze jetzt nicht von einer erhöhten Dioxinbelastung betroffen. Dann hätten wir keine Asbest verseuchten Turnhallen. Kinder sind besonders gefährdet, da ihr kleiner Körper besonders unter den Umweltbelastungen leidet (Atemwegser- 18014* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung, Bonn, Freitag, den 21. September 1990 krankungen hab en zugenommen, die Bleikonzentration ebenfalls). Weil auch bei besten Schutzmaßnahmen im Arbeitsleben eine gewisse gesundheitliche Gefährdung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehen zu bleiben scheint (Restrisiko), ist wichtig, daß die jungen Arbeitnehmer nicht schon in jungen Jahren einen mit Schadstoffen belasteten Körper haben, der sie früher als nötig krank machen kann. (Immerhin bricht heute schon eine große Anzahl von Azubis ihre Lehre aus gesundheitlichen Gründen ab, weil ihre Körper so sensibilisiert sind, daß sie bei einem weiteren Umgang mit diesen Arbeitsstoffen zur frühen Berufsunfähigkeit verurteilt wären.) Um diese Gefahr einzuschränken, muß die stoffliche Vorbelastung im Blut, in den Knochen und im Gewebe so gering wie möglich sein. Aber auch noch ein anderer Aspekt spielt eine Rolle. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gezwungen sind, zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes mit gefährlichen Stoffen umzugehen, weil unsere Industriegesellschaft ansonsten nicht funktioniert, diese Menschen wollen zumindest, daß ihre Familien zu Hause vor den Einwirkungen dieser Gefahrstoffe geschützt sind. Deshalb gilt, neben dem Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb mehr denn je die Frage: Wie schütze ich Menschen außerhalb der Produktion? Können unsere Aufsichtsbehörden überhaupt Schritt halten mit dem Aufgabenzuwachs der letzten Jahre, Gesetzesüberwachung usw., hier vorrangig in den Gemeinden? Läßt deren personelle Ausstattung auch in Hinsicht der sachlich-fachlichen Kompetenzen überhaupt zu, daß verantwortungsvoll überwacht wird? Können durch Messungen vor Ort, die Festlegung gemeinsam verpflichtender Werte und den Vollzug von Maßnahmen, Kinder und Erwachsene geschützt werden? Hier gilt die Vorsorge des Staates. Hier müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Es heißt immer, wir haben genug Geld. Na bitte, dann laßt uns handeln! Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 11. September 1990 ihren Antrag Verkürzung des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes auf 12 Monate — Drucksache 11/6243 — zurückgezogen. Damit ist die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/7312 gegenstandslos geworden. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Haushaltsauschuß Drucksache 11/7629 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/5793 Drucksache 11/7374 Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Drucksache 11/6738 Nr. 2.10 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 19. September 1990 gem. § 30 Absatz 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan nebst Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1990 einschließlich Anlagen mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Bundesminister für Verkehr hat den Wirtschaftsplan und den Stellenplan zum Wirtschaftsplan 1990 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen genehmigt. Die Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Gerda Hasselfeldt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf unserem Tisch liegt heute der Entwurf eines sogenannten Gesetzes zur Bekämpfung der Wohnungsnot.

    (Conradi [SPD]: Was heißt hier ,,sogenannten"?)

    Die Sozialdemokraten wollen damit neuen Wohnraum schaffen, sie wollen damit die Mieter besser schützen. Das klingt aufs erste und oberflächlich gesehen gar nicht schlecht — mehr aber auch nicht. Die Maßnahmen, die zur Erreichung dieser Ziele vorgeschlagen werden, sind dafür nicht geeignet.

    (Dr. Möller [CDU/CSU]; Völlig ungeeignet!)

    Meine Damen und Herren, Sie fordern immer neue milliardenschwere Subventionen in einer Größenordnung, die die florierende Bauwirtschaft überfordern, die das dringend notwendige Privatkapital verdrängen und die die Preise und Zinsen kaputtmachen. Sie fordern massive Eingriffe in das Mietrecht. Hier liegt ein deutlicher Unterschied zu dem, was ich als notwendig erachte.

    (Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Warum machen Sie denn nicht das, was Sie als notwendig erachten?)

    Ohne jeden regionalen Unterschied sollen die Mieten auf Dauer quasi festgeschrieben werden.

    (Jahn [Marburg] [SPD]: Sie wissen doch, daß das nicht stimmt!)

    Das wäre der Tod des privaten Wohnungsbaus, und die Zeche dafür müßte allein der Mieter zahlen, und zwar mit horrenden Schwarzmarktpreisen.

    (Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

    Dies ginge zu Lasten der Wohnungssuchenden, dies ginge zu Lasten der Bauherren, und dies ginge zu Lasten der Mieter. Deshalb ist der vorliegende Gesetzentwurf der SPD lediglich ein Versuch, den Menschen Sand in die Augen zu streuen.

    (Geis [CDU/CSU]: Wahlkampf ist das!)

    Meine Damen und Herren, ich leugne nicht, daß die derzeitige Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht ganz frei von Problemen ist.

    (Conradi [SPD]: Eine milde Untertreibung!)

    Es fehlen noch viele Wohnungen. Familien mit Kindern, Alleinerziehende, einkommensschwächere Haushalte, junge Leute, die eine Familie gründen wollen, stehen hei der Wohnungssuche vor besonderen Schwierigkeiten.

    (Conradi [SPD]: Hört! Hört!)

    Immer mehr Mieter sind von einem kräftigen Anstieg der Mieten betroffen.
    Die Bundesregierung kennt diese Probleme. Sie hat sie nie geleugnet.

    (Conradi [SPD]: Noch vor zwei Jahren haben Sie gesagt, es sei so gut wie nie zuvor! Sie haben schön geredet!)

    Sie diskutiert sie offen, und sie handelt. — Herr Conradi, wir machen heute keine Vergangenheitsbewältigung, sondern müssen uns auf die heutige Situation konzentrieren. Für die Zeit, in der ich Verantwortung für dieses Ressort trage, kann ich mit Fug und Recht behaupten, daß ich die Sorgen der Mieter, die Sorgen der Wohnungssuchenden nicht nur ernst nehme, sondern auch gehandelt habe.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben im vergangenen Herbst in der Koalition ein wohnungspolitisches Milliardenprogramm beschlossen. Die Opposition kommt heute, zu einem Zeitpunkt, da unsere Maßnahmen bereits erfolgreich sind. Eine Fülle von finanzwirksamen Entscheidungen, von planungsrechtlichen, baurechtlichen, mietrechtlichen Erleichterungen haben dazu beigetragen, daß wir die ersten Erfolge jetzt schon sehen können.
    Nicht zuletzt haben wir vor kurzem — als Antwort auf die gestiegenen Zinsen — das Maßnahmenpaket weiter verstärkt, z. B. durch die Aufstockung der Mittel im Wohnungsbaukreditprogramm für Umbauten und Ausbauten auf 4 Milliarden DM. Diese Summe ist inzwischen fast vollständig mit Anträgen belegt.
    Allein dieses Programm wird eine Förderung von etwa 80 000 zusätzlichen Wohnungen mit möglich machen. Das Wichtige dabei ist, daß wir in dieser Frage eben nicht von der restriktiven Handhabung so mancher Städte abhängig sind, vor allem der Großstädte, die von den Sozialdemokraten regiert werden und die bei der Ausweisung von Bauland, bei der Anwendung von Baurecht so restriktiv sind, daß das, was dringend notwendig ist, nämlich zusätzliche Wohnungen zu bauen, vor Ort blockiert wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    In diesem Programm — das möchte ich schon mit Nachdruck erwähnen — haben wir den sozialen Wohnungsbau, Herr Kollege Müntefering, nicht kurzgehalten, wie Sie es gesagt haben. Im Gegenteil: Der soziale Wohnungsbau hat wieder einen hohen Stellenwert, im Gegensatz zu dem, was alle Ministerpräsidenten der Länder uns und der ganzen Republik vor einigen Jahren weismachen wollten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Aber wir wissen auch, daß dieses Instrument allein nicht ausreicht. Wir brauchen beides: den sozialen Wohnungsbau und den freifinanzierten. Bei beidem sind wir auf gutem Weg.

    (Müntefering [SPD]: Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau! Das haben Sie doch auch selbst gefordert, gehen Sie hier doch nicht zurück!)

    Die Statistik zeigt das deutlich. Allein im sozialen Wohnungsbau stiegen die Bewilligungen bereits im
    17986 Deutscher Bundestag — 11 Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990
    Bundesminister Frau Hasselfeldt
    letzten Jahr kräftig an. Im ersten Halbjahr 1990 hatten wir eine erneute Zunahme um 85

    (Müntefering [SPD]: Na, dann ist ja alles in Ordnung!)

    Alles spricht dafür, daß wir unser Ziel von 100 000 Sozialwohnungen in diesem Jahr erreichen werden.

    (Dr. Möller [CDU/CSU]: Mehr wollte Herr Müntefering auch nicht!)

    Im übrigen: Nur mehr Geld zu fordern, ohne Rücksicht darauf, woher das Geld kommt, ist zu einfach. Und genau da, Herr Kollege Dr. Möller, liegt in der Tat der Unterschied zwischen unseren Bemühungen, zwischen unserem Programm und den Forderungen der Sozialdemokraten.
    Vor allem die Entwicklung bei den Baugenehmigungen zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind: Im ersten Halbjahr 1990 ergab sich bei den Baugenehmigungen im Wohnungsbau insgesamt ein Anstieg um mehr als 50 %, bei den Mehrfamilienhäusern sogar um mehr als 80 %. Wir sind auf dem besten Weg, das zweitbeste Ergebnis seit Mitte der 70er Jahre zu erreichen, und dies aus einer Situation heraus, die uns alle teilweise überrascht hat.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Denken Sie z. B. nur an den großen Zustrom der Aus- und Übersiedler.

    (Dr. Möller [CDU/CSU]: Das ist eine gute Erfolgsbilanz! — Conradi [SPD]: Sie arbeiten so wie die Regierung Ryschkow!)

    Es hat sich aber nicht nur die Zahl der Baugenehmigungen positiv entwickelt. Auch die Zahl der Fertigstellungen ist bereits um mehr als 25 % gestiegen. Das macht deutlich: Es werden nicht nur Genehmigungen erteilt, sondern es wird auch gebaut. Die Investitionen im Wohnungsbau sind in der gesamten Bauwirtschaft wieder mit an der Spitze. Es ist nicht mehr so wie noch vor wenigen Monaten, als der Wirtschaftsbau überwogen hat. Jetzt überwiegt wieder der Wohnungsbau. Die Fertigstellungszahlen machen das deutlich; die ersten Erfolge sind sichtbar.
    Lassen Sie mich in dieser Debatte aber auch einige Sätze zur deutschen Einheit sagen, weil dies vorhin auch mit angesprochen worden ist. Es gibt Parteien — allen voran die SPD — , die mit dem Thema „Wohnungspolitik im vereinten Deutschland" eigene Handlungsschwächen verschleiern wollen. Wer behauptet, die Bundesregierung habe kein wohnungspolitisches Konzept für die fünf neuen Bundesländer, der hat den Einigungsvertrag nicht gelesen, meine Damen und Herren.

    (Müntefering [SPD]: Das Konzept haben Sie aber gut geheimgehalten!)

    Und wer behauptet, man könne die Mietenfrage in den wohnungspolitischen Brennpunkten Westdeutschlands nur im Zusammenhang mit der ostdeutschen Mietenfrage lösen, der läuft Gefahr, alles miteinander zu vermengen, was nicht zu vermengen ist und detaillierter gesehen werden muß. Tatsächlich brauchen wir gerade in dieser Frage differenzierte und auch schnelle Antworten.
    Doch nun zum vorliegenden Gesetzentwurf der SPD: Die SPD stellt maßlose Milliardenforderungen an den Bund. Auf die Kapazitätsgrenzen der Bauwirtschaft wird dabei keine Rücksicht genommen. Die Baupreise steigen schon jetzt mehr als die Preise allgemein. Nicht von ungefähr hat die Deutsche Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht gefordert — ich zitiere — : „Die staatlichen Stellen sollten bei Hochbauaufträgen und bei der Förderung des Wohnungsbaus fürs erste strikte Zurückhaltung üben."
    Jeder, der meint, den Bau von Wohnungen mit noch mehr öffentlichem Geld noch schneller vorantreiben zu können, der versündigt sich an den Bauherren und an den Mietern. Denn sie sind es, die die Konsequenzen, nämlich die steigenden Zinsen und Baupreise, zu tragen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Conradi [SPD]: Jetzt wissen wir es! — Reschke [SPD]: Wer hat denn die Zinsen und die Preise gemacht?)

    — Sie wissen doch genau, daß diese Zusammenhänge im gesamtwirtschaftlichen Kontext zu sehen sind.
    Im übrigen ist die Frage der Finanzierung Ihrer Milliardenforderungen etwas, was Sie nur beiläufig erwähnen. Auch das ist im höchsten Maße unseriös. Für jemanden, der politische Verantwortung trägt, ist es immer auch wichtig, zu fragen: Wie gehen wir denn mit den Steuergeldern um?

    (Conradi [SPD]: Weiß Gott! Wieviel geben Sie denn in diesem Jahr für Munition aus?)

    Diese Haltung gipfelt in einer Aussage des Direktors des Deutschen Mieterbundes. Er hat in einem Interview mit einer großen, auflagenstarken Zeitung gesagt — ich zitiere — : „Die Finanzierung dieses Wohnungsbauprogramms kann nicht das Problem des Deutschen Mieterbundes sein." Meine Damen und Herren, man kann nicht immer wieder in der Öffentlichkeit Forderungen in unmöglicher Größenordnung erheben, ohne dabei zu bedenken, woher dieses Geld kommt. Es ist hart erdientes, hart erarbeitetes Steuergeld. Deshalb können die Steuerzahler von uns auch erwarten, daß es effizient eingesetzt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich hätte es lieber gesehen, wenn Sie Ihren Einfluß beim Verkauf der Neuen Heimat Bayern geltend gemacht hätten. Leider haben Sie da tatenlos zugesehen. So wurden auf Kosten der Mieter kräftige Spekulationsgewinne gemacht, und das mit dem Verkauf eines Unternehmens, das in den letzten 20 Jahren mit erheblichen Steuergeldern unterstützt wurde, das wirtschaftlich gesund war und deshalb nicht hätte verkauft werden müssen.
    Zu Recht hat sich die Bayerische Staatsregierung geweigert, die Neue Heimat Bayern zu einem Höchstpreis zu kaufen. Damit hätte der Staat dieses Gewerkschaftsunternehmen gleich doppelt mit Steuergeldern finanziert.

    (Gattermann [FDP]: Was, doppelt? Fünffach!)

    Gleichzeitig wäre der Bau neuer Wohnungen, die wir
    dringend brauchen, verhindert worden. Hier, meine
    Herren von den Sozialdemokraten, wäre Ihr Einsatz,



    Bundesminister Frau Hasselfeldt
    wäre Ihr Engagement erforderlich gewesen, um das zu verhindern. Das wäre aktiver Mieterschutz gewesen.

    (Reschke [SPD]: Aber die Preissteigerung ist durch die Rücknahme der Gemeinnützigkeit gekommen! Sie haben doch nicht die geringste Ahnung davon!)

    — Hören Sie mir doch auf mit der ewigen Diskussion um die Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit! Das hat doch damit überhaupt nichts zu tun. Sie wissen doch auch, daß die Leistungsfähigkeit der ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen durch diese Aufhebung erst richtig zum Tragen gekommen ist. Das zeigt sich auch deutlich darin, daß gerade diese Unternehmen jetzt wieder stärker in den Wohnungsbau investieren. Das kann ich Ihnen schwarz auf weiß nachweisen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Wohnungsbau geht nicht von heute auf morgen. Wir brauchen dazu Bauland, und wir brauchen dazu ein zügiges Genehmigungsverfahren. Aber es sind nicht nur die bautechnischen Anforderungen, die beim Wohnungsbau Zeit kosten. Es sind vielmehr auch verschiedene SPD-Praktiken, die einen raschen Neubau von Wohnungen verhindern. Der Kollege Kansy hat vorhin schon einige Beispiele genannt. Ich kann sie mit einer Reihe von großen Städten fortsetzen:
    In Kiel und in vielen anderen Großstädten wird der Dachgeschoßausbau ganz offensiv behindert. In Hannover werden Bauanträge schleppend bearbeitet. In Mannheim werden erhebliche Baulandreserven nicht genutzt.

    (Geis [CDU/CSU]: In München auch nicht!)

    Köln weigert sich, wenn es um die Schließung von Baulücken geht. In Frankfurt stehen Sozialwohnungen leer. In Hamburg wird der Tausch von Sozialwohnungen blockiert. Diese Beispiele könnten wir beliebig fortsetzen. Dabei handelt es sich um Großstädte, in denen die Sozialdemokraten, Ihre Parteifreunde, die Verantwortung tragen.

    (Geis [CDU/CSU]: Gerade in München!) — Sehr richtig, Herr Kollege Geis.

    Schließlich setzt München dem Ganzen wieder einmal die Krone auf.

    (Dr. Möller [CDU/CSU]: Dem Ganzen den Kronawitter auf!)

    Die städtischen Mittel für den sozialen Wohnungsbau werden gekürzt. Im gleichen Zeitraum, in dem die Verantwortlichen in München — an der Spitze der Oberbürgermeister — die eigenen Mittel kürzen, rufen Sie in Bonn und anderswo nach zusätzlichen Mitteln gerade für dieses Instrument.

    (Geis [CDU/CSU]: Jawohl! Man kann es nicht glauben!)

    In München wird die von der CSU eingeführte Förderung der Eigentumsbildung gestrichen. In Bonn fordern Sie mehr. Bei der Ausschöpfung von Baulandreserven — das Stichwort „Panzerwiese" ist genannt worden — sind der rot-grünen Koalition in München
    Grünflächen wichtiger als der Neubau von Wohnungen,

    (Dr. Möller [CDU/CSU]: Ja, das wundert mich nicht!)

    ganz zu schweigen davon, daß heute auch in der Zeitung zu lesen ist, daß das Münchner kommunale Wohngeld mit der Erhöhung des Wohngeldes durch den Bund am 1. Oktober 1990 gestrichen wird. Das ist doch kein Miteinander in der Wohnungspolitik! Das macht doch deutlich, daß diejenigen, die vor Ort die Verantwortung tragen, die auch nach unserer Verf as-sung dafür zuständig sind, ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, ihre Hausaufgabe nicht gemacht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe nie verschwiegen, daß die wohnungspolitischen Probleme nicht über Nacht gelöst werden können. Der erforderliche Wohnungsneubau braucht seine Zeit, und dies hat zu einem starken Druck auch auf die Mieten geführt, vor allem in den Ballungsregionen. Die Zahl der Haushalte, die dort die hohe Mietbelastung nicht mehr tragen können, nimmt zu, und deshalb haben wir auch das Wohngeld zunächst einmal schon in einer ersten Stufe zum 1. Januar dieses Jahres für diese Bereiche mit erhöht und haben es auch, in zehn Tagen wirksam, bundesweit massiv ausgeweitet. Damit wird das Leistungsvolumen um rund ein Drittel auf etwa 5 Milliarden DM aufgestockt. Der einzelne Haushalt wird dann durchschnittlich immerhin etwa 170 DM Wohngeld bekommen. Wir haben es nicht mit dem Gießkannensystem verteilt, sondern gezielt in den wohnungspolitischen Brennpunkten, dort, wo die Mieten besonders stark gestiegen sind, auch überproportional erhöht.

    (Müntefering [SPD]: Das war doch unser Vorschlag!)

    Genau um diese geht es mir auch bei meinen Vorschlägen für die Änderung des Mietrechts, um die wohnungspolitischen Brennpunkte. Diese vorgeschlagenen Änderungen sollen örtlich begrenzt und zeitlich befristet sein, und die Mieten von Neubauwohnungen sollen nicht betroffen sein. Dies ist etwas völlig anderes als das, was die SPD in ihrem Gesetzentwurf fordert. Sie wollen eine Einbeziehung der Erstbezugsmieten,

    (Müntefering [SPD] und Conradi [SPD]: Das ist nicht wahr!)

    Sie wollen eine flächendeckende Regelung, und Sie wollen dauerhafte Änderungen.


Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gerda Hasselfeldt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Ja.