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    Plenarprotokoll 11/227 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 227. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. September 1990 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde und den Richtlinien für Aktuelle Stunden in der Sitzungswoche ab 1. Oktober 1990 17961A Erweiterung der Tagesordnung 17961 A Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesrates zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands 18001 A Tagesordnungspunkt 10: a) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Laufs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten Kleinert (Hannover), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache 11/7423) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksachen 11/10, 11/7905) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verfassungsrechtlichen Verankerung des Umweltschutzes als Grundrecht und als Staatsziel (Drucksachen 11/663, 11/7905) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einfügung eines Artikels 20 a) (Drucksachen 11/885, 11/7905, 11/7939) Eylmann CDU/CSU 17962A, 17968 C Stahl (Kempen) SPD 17963 D Kleinert (Hannover) FDP 17965 C Wiefelspütz SPD 17966 B Häfner GRÜNE 17966 C Dr. Knabe GRÜNE 17968 B Frau Unruh fraktionslos 17968 D Engelhard, Bundesminister BMJ 17969 A Häfner GRÜNE 17969 C Koschnick SPD 17970 B Bachmaier SPD 17970 D Dr. Laufs CDU/CSU 17972 A Wüppesahl fraktionslos 17973 A Zusatztagesordnungspunkt: Beratung des Antrags des Abgeordneten Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Intervention von Getreide ab sofort, spätestens ab 1. Oktober 1990 (Drucksache 11/7954) 17974 B Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Müntefering, Conradi, Großmann, Häuser, Menzel, Dr. Niese, Dr. Osswald, Reschke, Scherrer, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Wohnungsnot (Drucksache 11/7356) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21 September 1990 b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Sofortprogramm für eine aktive Wohnungspolitik zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ökologische und soziale Offensive gegen Wohnungsnot (Drucksachen 11/4083, 11/4181, 11/7828) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Konzeption für einen neuen sozialen Mietwohnungsbau (Drucksache 11/7771) d) Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Öffnung des sozialen Wohnungsbaus für unverheiratete Paare, homosexuelle Lebensgemeinschaften und Wohngemeinschaften (Drucksachen 11/1955, 11/6876) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN: Menschenwürdige Zimmer für Kinder und Jugendliche (Drucksachen 11/2259 [neu], 11/7483) f) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Grünbeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zur Städtebaupolitik (Drucksachen 11/4914, 11/6880) Müntefering SPD 17975 B Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 17978A Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 17981B, 17993B Dr. Hitschler FDP 17983 A Frau Hasselfeldt, Bundesminister BMBau 17985 A Müntefering SPD 17987 D Dr. Hitschler FDP 17988 B Jahn (Marburg) SPD 17988 D Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 17990 A Geis CDU/CSU 17990 C Jahn (Marburg) SPD . . . . 17991A, 17992 D Müntefering SPD 17992 A Gattermann FDP 17994 D Reschke SPD 17996 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 17997 D, 17998 C Dörflinger CDU/CSU 17999 B Reschke SPD 18000 B Conradi SPD 18001 A Gattermann FDP 18002 A Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde betr. Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten Frau Garbe GRÜNE 18004 B Schmidbauer CDU/CSU 18005 A Schmidt (Salzgitter) SPD 18006 A Baum FDP 18007 A Töpfer, Bundesminister BMU 18007 D Nächste Sitzung 18009 C Berichtigung 18009 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 18011* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatztagesordnungspunkt 10 (Aktuelle Stunde: Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten) 18011* C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 18014* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 17961 227. Sitzung Bonn, den 21. September 1990 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 226. Sitzung, Seite 17839A: In der vierten Zeile ist das Wort „nicht" zu streichen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 21. 09. 90 * Bahr SPD 21. 09. 90 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 21. 09. 90 Frau Becker-Inglau SPD 21. 09. 90 Bindig SPD 21. 09. 90 Büchner (Speyer) SPD 21. 09. 90 * Catenhusen SPD 21. 09. 90 Clemens CDU/CSU 21. 09. 90 Cronenberg (Arnsberg) FDP 21. 09. 90 Dr. Daniels (Bonn) CDU/CSU 21. 09. 90 Daweke CDU/CSU 21. 09. 90 Dreßler SPD 21. 09. 90 Dr. Ehmke (Bonn) SPD 21. 09. 90 Erler SPD 21. 09. 90 Frau Faße SPD 21. 09. 90 Dr. Feldmann FDP 21. 09. 90 Frau Fuchs (Köln) SPD 21. 09. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 21. 09. 90 Graf SPD 21. 09. 90 Grünbeck FDP 21. 09. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Hauchler SPD 21. 09. 90 Haungs CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Haussmann FDP 21. 09. 90 Hedrich CDU/CSU 21. 09. 90 Freiherr Heereman von Zuydtwyck CDU/CSU 21. 09. 90 Heinrich FDP 21. 09. 90 Dr. Hennig CDU/CSU 21. 09. 90 Hörster CDU/CSU 21. 09. 90 Graf Huyn CDU/CSU 21. 09. 90 Jaunich SPD 21. 09. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 21. 09. 90 Jung (Lörrach) CDU/CSU 21. 09. 90 Jungmann (Wittmoldt) SPD 21. 09. 90 Kalisch CDU/CSU 21. 09. 90 Kastning SPD 21. 09. 90 Kolb CDU/CSU 21. 09. 90 Kolbow SPD 21. 09. 90 Dr. Graf Lambsdorff FDP 21. 09. 90 Dr. Lammert CDU/CSU 21. 09. 90 Leidinger SPD 21. 09. 90 Linsmeier CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Mechtersheimer GRÜNE 21. 09. 90 Mischnick FDP 21. 09. 90 Dr. Müller CDU/CSU 21. 09. 90 * Niggemeier SPD 21. 09. 90 Paintner FDP 21. 09. 90 Pfeifer CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Pfennig CDU/CSU 21. 09. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 21. 09. 90 Rawe CDU/CSU 21. 09. 90 Reuschenbach SPD 21. 09. 90 Richter FDP 21. 09. 90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 21. 09. 90 Frau Rock GRÜNE 21. 09. 90 Schäfer (Mainz) FDP 21. 09. 90 Schäfer (Offenburg) SPD 21. 09. 90 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Schreiner SPD 21. 09. 90 Schröer (Mülheim) SPD 21. 09. 90 Schulze (Berlin) CDU/CSU 21. 09. 90 Singer SPD 21. 09. 90 Stiegler SPD 21. 09. 90 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 21. 09. 90 Timm FDP 21. 09. 90 Dr. Unland CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Vondran CDU/CSU 21. 09. 90 Wischnewski SPD 21. 09. 90 Frau Dr. Wisniewski CDU/CSU 21. 09. 90 Wissmann CDU/CSU 21. 09. 90 Würzbach CDU/CSU 21. 09. 90 Zierer CDU/CSU 21. 09. 90 * Dr. Zimmermann CDU/CSU 21. 09. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatztagesordnungspunkt 10 (Aktuelle Stunde: Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten) Müller (Düsseldorf) (SPD): Das Thema der Aktuellen Stunde ist: „Wieviel Umwelt braucht der Mensch?" Denn neben erblicher Veranlagung und persönlichem Fehlverhalten verursachen vor allem Umweltbelastungen in einem wachsenden Ausmaß physische und psychische Schäden, die schleichend zunehmen. Für die Volksgesundheit spielen Umweltfaktoren heute eine vielleicht sogar entscheidende Rolle, unmittelbar oder durch sie zum Ausbruch gebracht bzw. verstärkt. „Alle Krankheiten", so der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem 87er Gutachten, „sind letzten Endes auf genetische Ursachen oder solche aus der Umwelt zurückzuführen, in der Regel aber tragen genetische u n d Umweltfaktoren zum Krankheitsgeschehen bei". Vereinfachend lassen sich die Umweltfaktoren in soziale und in chemisch-physikalische einteilen. Zu den sozialen Faktoren gehören z. B. persönliche Lebenssituation, berufliche Bedingungen, soziale Kontakte oder Kommunikationsmöglichkeiten. Zu den chemisch-physikalischen Einwirkungen zählen neben den jeweiligen natürlichen Lebensbedingungen die anthropogenen Umweltbelastungen wie die alltägliche Chemisierung, die Veränderungen in Zirkulation und Umsetzung der Nährstoffe, radioaktive Ionisation oder Lärm. Die personalen Veranlagungen und die allgemeinen Umweltbelastungen können durch eigenes Fehlverhalten, z. B. durch ungesunde Ernährung oder Zigarettenmißbrauch, weiter verstärkt werden. Mit dem Anwachsen des umwelttoxikologischen Potentials erwächst hieraus eine Normalität für die 18012* Deutscher Bundestag — 11.Wahiperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 Pathologie. Die Gesundheit ist von daher mit einem Wandel im Krankheitsgeschehen konfrontiert. Chronisch-degenerative Erkrankungen treten in den Vordergrund. Für diese Krankheiten läßt sich jedoch keine lineare Zurechenbarkeit durch eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen ermitteln. Es handelt sich um Komplexkrankheiten. Auf den Organismus, besonders bei den sogenannten Problemgruppen, wozu Kinder gehören, wirken eine Fülle verschiedenartiger, in der Schadenswirkung sich oft wechselseitig verstärkender Umweltnoxen ein, bis im Zusammenspiel mit z. B. sozialen Faktoren das Widerstandspotential des Körpers zusammenbricht. Vor diesem Hintergrund müssen die Gefahren von Dioxin für die Gesundheit gesehen werden. Zuerst werden die Grenzzonen zwischen Außenwelt und innerem Organismus geschädigt. Dies zeigt sich vor allem an dem Anstieg der Allergien und Immundefekte, die von Umweltnoxen verursacht werden. Langfristig erscheint es wahrscheinlich, daß kleinere chronische Schäden mehr Unheil anrichten als akute Vergiftungen. Die Wirkungen können autoaggressiv sein. Die komplizierte Funktionsweise des Immunsystems wird geschwächt. Mit der Verschlechterung des regulativen Körpersystems nehmen Krankheiten zu, können sich möglicherweise selbst negativ verstärken. Notwendig sind Umwelt- u n d Sozialreformen. Wichtige Handlungsfelder sind beispielsweise — umwelt- und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik. Hier hat die Bundesregierung auch bei der Novellierung des Chemikaliengesetzes aus unserer Sicht versagt; — umweltmedizinische Wirkungsforschung; — Aufstellung von Umweltparametern. Es muß Schluß sein, die Dioxin-Probleme zu verkleistern. Dazu gehört auch das unwürdige Gerangel um Grenzwerte für Dioxine und Furane. Wo immer es geht, brauchen wir Verbote. Frau Garbe, Sie haben Kritik an NRW geäußert. Ich will dazu nur eine Bemerkung machen: Ohne die systematischen Untersuchungen in NRW und Hamburg wäre das Thema weiter nur spekulativ geblieben. Sie wissen auch, daß nur diese beiden Bundesländer sich des Problems „Schadstoffe auf Kinderspielplätzen" konkret angenommen haben. Und NRW ist das einzige Land, das klare Richtlinien und Empfehlungen für Kinderspielplätze herausgegeben hat. Harries (CDU/CSU): Die Medien haben sich des Themas bereits angenommen. Bekannte Fernsehsendungen und bekannte Illustrierte und Wochenblätter haben dramatisch berichtet, daß Kinderspielplätze mit Dioxin belastet seien. Die Gesundheit unserer Kinder sei gefährdet. Zudem wurde der Eindruck in diesen Berichten vermittelt, daß Behörden noch nicht oder nt r unvollkommen tätig geworden seien und die Gefahren nicht erkannt hätten. Obwohl bei uns die Fähigkeit ausgeprägt ist, Gefahren nicht immer realistisch einzuschätzen und zu übertreiben, sage ich hier ausdrücklich, daß Handlungsbedarf besteht, daß Länder, die in erster Linie zuständig sind, bereits auf diesem sehr schwierigen Gebiet tätig geworden sind. Schwierigkeiten liegen z. B. in der aufwendigen und zeitraubenden Analyse und im Festsetzen eines realistischen Grenzwertes. Wie ist der Sachverhalt? In Hamburg sind auf einem Kinderspielplatz Dioxinbelastungen im Boden von weit über 1 000 ng/kg toxische Äquivalente gemessen worden. Im nachhinein wurden weitere Spielplätze aus dem gleichen Grunde gesperrt. Untersuchungen wurden eingeleitet. Das Ergebnis liegt der Hansestadt im Prinzip vor. Die Analyse spricht eindeutig dafür, daß verunreinigte Baumaterialien für die Belastung des Bodens mit Dioxin ursächlich gewesen sind. Vor Jahren sind Flugasche und Filterstäube zur Befestigung im Kinderspielplatzbereich mit eingebaut worden. Man ist sich in Hamburg einig, daß bei vorhandenen hohen Belastungen die Spielplätze saniert werden müssen. Offenbar liegt aber zum Glück nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von gemeldeten kontaminierten Spielplätzen vor, da öffentliche Spielplatzanlagen in der Regel alle fünf bis sieben Jahre eine neue Deckschicht erhalten. Auch das Land Nordrhein-Westfalen hat kontaminierte Bodenbeläge bei Kinderspielplätzen festgestellt. Das Land hat toxische Untersuchungen eingeleitet. Kinderspielplätze wurden geschlossen. Umfangreiche Untersuchungen sind auch in NRW im Gange. Wenn ich die Untersuchungsberichte richtig werte, kann zur Zeit nicht gesagt werden, daß Gesundheitsgefährdungen konkret bereits eingetreten sind. Aber die Untersuchungen auf toxische Belastungen haben auf jeden Fall gezeigt, daß in Einzelfällen eine mögliche Gesundheitsgefährdung spielender Kinder nicht ausgeschlossen werden kann. Von daher gilt, was ich eingangs sagte: Es besteht Handlungsbedarf. Der Ruf nach einem Tätigwerden des Bundes ist unüberhörbar geworden. Man erwartet die Festsetzung von Richtwerten für Dioxin-Grenzwerte. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß der Bundesumweltminister und Bundesbehörden hier längst tätig geworden sind, um generell für das Bundesgebiet zu Aussagen zu kommen. Bundesgesundheitsamt, Bundesumweltamt und Umweltministerium stehen in engem Kontakt. Ich erinnere an das Dioxin-Symposium in Karlsruhe zu Beginn dieses Jahres. Bedauerlich war, daß Abgeordnete des Umweltausschusses nicht die Möglichkeit hatten, an diesem Symposium teilzunehmen. Eine frühe Information wäre dadurch ermöglicht worden. Wir gehen davon aus, daß wir regelmäßig und umfassend über den Fortgang der Überlegungen im Bundesumweltministerium informiert werden. Die Schwierigkeit der Grundsatzarbeit ist mir bewußt. Eltern müssen beruhigt und Kinder vor Verstrahlungs- und Vergiftungsmöglichkeiten geschützt werden. Den Betreibern von Kindergärten müssen klare Anweisungen gegeben werden. Zu überlegen ist, ob die derzeitig bestehenden gesetzlichen Grundlagen für die Festsetzung von Grenzwerten ausreichen. Ich fasse zusammen: Es besteht erstens Handlungsbedarf, es besteht aber zweitens kein Anlaß zur Panik. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 18013* Frau Dr. Götte (SPD): Die Untersuchung eines Hamburger Wissenschaftlers, über die in einer Illustrierten kürzlich berichtet wurde, ist Anlaß, aber nicht Thema dieser Aktuellen Stunde. Wir brauchen uns deshalb auch gar nicht herumzustreiten, ob die Methoden stimmig, die Grenzwerte zu hoch oder die Stichprobe richtig ausgewählt sind. Tatsache ist, daß Kinder in unserer Zeit in unverantwortlich hohem Maß mit Umweltgiften traktiert werden. Das beweisen die steigenden Zahlen der krebskranken Kinder. Das beweisen vor allem auch die unerträglich hohen Zahlen der allergiekranken Kinder. Nachdem dieses Problem von der Bundesregierung viele Jahre verharmlost wurde, hat sie jetzt bekanntgegeben, daß inzwischen jedes vierte Kind davon betroffen ist. Manche versuchen, sich aus der Beklemmung, die diese Zahlen auslösen, dadurch zu befreien, daß sie sich einreden, der gigantische Anstieg der Allergieerkrankungen käme daher, daß heutzutage (ich zitiere aus einer Podiumsdiskussion) „wegen jedem Pickelchen zum Arzt gerannt wird" . Nein, hier geht es um mehr, um Asthma, schlimme Hautausschläge, schwere Erkrankungen der Atemwege bis hin zum tödlichen Pseudo-Krupp. Die Bundesrepublik, so lautete letzte Woche eine Schlagzeile in der „Zeit", sei flächendeckend dioxin-verseucht. Und dieses Gift wird flächendeckend ergänzt durch Arsen, Asbest, Benzol, Blei, Cadmium, Kupfer, PCB, Quecksilber, Zink und andere gefährliche Stoffe. Das beginnt bei der Muttermilch und setzt sich fort in Belastungen des Bodens und der Luft, in Spielplätzen, Klassenzimmern, Kinderzimmern. Im Vergleich zur Umweltvergiftung in der DDR sei das, was bei uns los ist, aber noch harmlos, höre ich. Angesichts dieser Tatsache kann ich nicht begreifen, daß wir noch nicht einmal ein Tausendstel dessen, was wir zur Abwendung militärischer Bedrohung ausgeben, zur Abwendung der gesundheitlichen Gefährdung der Kinder ausgeben. Ein Umdenken ist überfällig! Was wir brauchen, ist ein Radikalprogramm zum Umweltschutz. Aber wie schwer die Mehrheit innerhalb und außerhalb des Bundestages für konkrete, einschneidende Maßnahmen zu gewinnen ist, erleben wir gerade jetzt schmerzhaft im Bundestagswahlkampf. Frau Garbe (GRÜNE): Die GRÜNEN im Bundestag verlangen seit Jahr und Tag ein integriertes Maßnahmenbündel gegen die Dioxingefahr. Dioxine sind erst mit dem Herstellen von Chlorchemikalien zu einer Umweltgefahr geworden. Mit einer Jahresproduktion von 5 Millionen Tonnen nehmen sie heute eine zentrale Rolle unter den Industriechemikalien der Bundesrepublik ein. Unsere Grundforderung besteht daher in einem Umbau der Chlorchemie zu einer umweltfreundlichen sanften Chemie. Durch den politischen Druck der GRÜNEN sind bereits die größten Dioxinfabriken stillgelegt worden. Jetzt gilt unser Hauptaugenmerk dem PVC. Wir haben aufgezeigt, daß es in vielen Bereichen ersetzt werden kann. Zur unmittelbaren Entlastung der Umwelt fordern wir: — Eine Null-Emission für alle Anreicherungsgifte aus Industriebetrieben; — verschärfte Anforderungen in der TA-Luft; — Verschärfung der Vorschriften in der Gefahrstoffund Störfallverordnung: Aufnahme aller Stoffe, die mit Dioxinen verwandt sind und einen ähnlichen biologischen Wirkungsmechanismus aufweisen; — Aufnahme von Bodengrenzwerten in ein Bodenschutzgesetz mit Sanierungsvorschriften; — ein umfassendes Dioxin-Monitoring-Programm in allen Bundesländern. Wir bemühen in diesen Tagen oft unser Grundgesetz und preisen es der DDR-Bevölkerung an. In Art. 2 Abs. 2 Satz 1 dieses Grundgesetzes wird uns das Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert. Wir werden im Wahlkampf sehr deutlich machen, daß die Garantie auf körperliche Unversehrtheit durch willfähriges Beugen vor Lobbyisten abgelaufen ist. Reimann (SPD): Wieder einmal ist eines der Reizworte Dioxin, ein Gefahrstoff von 100 000, in der Diskussion. Obwohl die Wissenschaft immer noch nicht weiß, wie dieses Gift im Körper eigentlich wirkt und welche Reaktionen es auslöst, hat sich eines doch als sicher herausgestellt: Dioxin löst Krebs aus. Unklar ist bis heute, welche Mengen dafür nötig sind, ob bloße Spuren im menschlichen Körper bereits diese tödliche Krankheit hervorrufen oder ob dieser Stoff lediglich die Krebsentwicklung im Körper fördert. Diese Unklarheit verdeutlicht erneut, welche Bedeutung dem Thema „arbeitsbedingte Gesundheitsgefährdungen" im Rahmen der bisherigen Forschung zur Humanisierung der Arbeitswelt zukommen kann (Latenzzeit). Dioxin ist ein Stoff, der im Bereich der Arbeitsmedizin bereits seit langem für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt hat. Die Wissenschaft hat sich damit schwergetan, seine Gefährlichkeit für die Menschen anzuerkennen. Grund dafür ist, daß eine damit zusammenhängende Krankheit nicht wenige Tage oder Wochen nach einer Berührung mit dem Gift ausbricht, sondern daß es dazu erst nach vielen Jahren kommen kann. Besonders problematisch ist es mit den Stoffen, die den Bereich eines Betriebes erst einmal verlassen haben. Sie belasten als Abfall die Umwelt eben auf Kinderspielplätzen usw., auch wenn wir durch Recycling versuchen, dieses Problem jetzt zu lösen. Es muß überlegt werden, die Beweislast dahin gehend zu verändern, daß ein Material so lange gefährlich ist, bis das Umgekehrte bewiesen ist. So lange darf es nicht eingesetzt werden. Es darf doch nicht sein, daß die Wissenschaft alles erfinden und die Industrie alles vermarkten darf, die Bürger aber alles bezahlen müssen. Bezahlen heißt in diesem Fall auch, mit gesundheitlichen Belastungen leben zu müssen. Hätten wir diese Beweislastumkehr bereits eingeführt, dann wären die Spielplätze jetzt nicht von einer erhöhten Dioxinbelastung betroffen. Dann hätten wir keine Asbest verseuchten Turnhallen. Kinder sind besonders gefährdet, da ihr kleiner Körper besonders unter den Umweltbelastungen leidet (Atemwegser- 18014* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung, Bonn, Freitag, den 21. September 1990 krankungen hab en zugenommen, die Bleikonzentration ebenfalls). Weil auch bei besten Schutzmaßnahmen im Arbeitsleben eine gewisse gesundheitliche Gefährdung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehen zu bleiben scheint (Restrisiko), ist wichtig, daß die jungen Arbeitnehmer nicht schon in jungen Jahren einen mit Schadstoffen belasteten Körper haben, der sie früher als nötig krank machen kann. (Immerhin bricht heute schon eine große Anzahl von Azubis ihre Lehre aus gesundheitlichen Gründen ab, weil ihre Körper so sensibilisiert sind, daß sie bei einem weiteren Umgang mit diesen Arbeitsstoffen zur frühen Berufsunfähigkeit verurteilt wären.) Um diese Gefahr einzuschränken, muß die stoffliche Vorbelastung im Blut, in den Knochen und im Gewebe so gering wie möglich sein. Aber auch noch ein anderer Aspekt spielt eine Rolle. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gezwungen sind, zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes mit gefährlichen Stoffen umzugehen, weil unsere Industriegesellschaft ansonsten nicht funktioniert, diese Menschen wollen zumindest, daß ihre Familien zu Hause vor den Einwirkungen dieser Gefahrstoffe geschützt sind. Deshalb gilt, neben dem Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb mehr denn je die Frage: Wie schütze ich Menschen außerhalb der Produktion? Können unsere Aufsichtsbehörden überhaupt Schritt halten mit dem Aufgabenzuwachs der letzten Jahre, Gesetzesüberwachung usw., hier vorrangig in den Gemeinden? Läßt deren personelle Ausstattung auch in Hinsicht der sachlich-fachlichen Kompetenzen überhaupt zu, daß verantwortungsvoll überwacht wird? Können durch Messungen vor Ort, die Festlegung gemeinsam verpflichtender Werte und den Vollzug von Maßnahmen, Kinder und Erwachsene geschützt werden? Hier gilt die Vorsorge des Staates. Hier müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Es heißt immer, wir haben genug Geld. Na bitte, dann laßt uns handeln! Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 11. September 1990 ihren Antrag Verkürzung des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes auf 12 Monate — Drucksache 11/6243 — zurückgezogen. Damit ist die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/7312 gegenstandslos geworden. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Haushaltsauschuß Drucksache 11/7629 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/5793 Drucksache 11/7374 Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Drucksache 11/6738 Nr. 2.10 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 19. September 1990 gem. § 30 Absatz 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan nebst Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1990 einschließlich Anlagen mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Bundesminister für Verkehr hat den Wirtschaftsplan und den Stellenplan zum Wirtschaftsplan 1990 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen genehmigt. Die Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans A. Engelhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Bei beiden ist nachzulesen, daß das Nähere die Gesetze regeln.

    (Koschnick [SPD]: Wir sprachen von Staatszielen!)

    Darauf habe ich Bezug genommen.

    (Häfner [GRÜNE]: Kriegsdienstverweigerung ist kein Staatsziel, sondern ein Rechtsanspruch, Herr Engelhard!)

    Herr Kollege, ich weiß nicht, wie ich Ihre Frage einschätzen soll, ob sie wirklich ernst gemeint war. Nehmen wir es etwas gelockert. Ich darf Ihnen sagen: Bei all unserem vollen Engagement — dem Ihren wie dem unseren — für den Umweltschutz sind wir uns dessen bewußt, daß mit Waffengewalt dasselbe nicht durchzusetzen ist und wir deswegen auch eine besondere
    Bestimmung über Kriegsdienstverweigerung nicht benötigen.

    (Heiterkeit bei allen Fraktionen — Wiefelspütz [SPD]: Diese Rabulistik ist kaum noch nachvollziehbar! — Häfner [GRÜNE]: Das ist ein individuelles Recht, kein Staatsziel! — Dr. de With [SPD]: Das sind kühnste Gedanken!)

    — Ich bitte um Verständnis, wenn ich einen Schritt weitergehen möchte und abschließend, meine Damen und Herren, darauf hinweisen und noch einmal ganz klarstellen möchte,

    (Wiefelspütz [SPD]: Ich bin für eine Amnestie!)

    daß die von uns vorgeschlagene Regelung klarmacht: Niemand kann sich beruhigt zurücklehnen und sagen, nun sei umweltpolitisch alles geregelt. Nein, wenn der Koalitionsentwurf verabschiedet wird, heißt die verfassungsrechtliche Vorgabe: Der Gesetzgeber hat nicht nur, wie es dem SPD-Entwurf unausgesprochen zugrunde liegt, eine Befugnis zur näheren Regelung, sondern der Gesetzgeber hat den ganz konkreten verfassungsrechtlichen Auftrag, sich in Bewegung zu setzen und zu handeln.
    Wir debattieren hier, meine Damen und Herren, zu einem bereits sehr vorgerückten Zeitpunkt in dieser Legislaturperiode. Ich meine, man sollte sich, auch wenn die Zeit knapp geworden ist, noch einmal sehr gewissenhaft überlegen, ob man auseinandergehen kann, ohne zu einer Zweidrittelmehrheit gekommen zu sein. Ich will das unterstreichen, was der Kollege Eylmann heute in seinem Beitrag gesagt hat. Umweltschutz im Grundgesetz wird dann ein Thema des Bundestagswahlkampfes werden. Ich bin nicht Ihr Berater. Das steht mir nicht zu. Sie werden dies selbst abzuschätzen wissen und abzuschätzen haben. Nur wird derjenige, der einem so grundsoliden Vorschlag, wie er seitens der Koalitionsfraktionen unterbreitet worden ist, seine Zustimmung verweigert, weil er nicht hundertprozentig das durchsetzen konnte, was er wünscht, in der Öffentlichkeit nicht gut aussehen. Er wird jedenfalls schlechter aussehen als diejenigen, die sich wie ich und die Koalitionsfraktionen von meiner Seite her, aber auch von den Koalitionsfraktionen bis zum heutigen Tag mit Kompromißvorschlägen bemüht haben, doch noch zu einer Zweidrittelmehrheit zu kommen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Bachmaier.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hermann Bachmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 18. März 1987 erklärte: „Wir wollen den Umweltschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufnehmen", und damals weiter wörtlich sagte:
    Eine zukunftsorientierte Wirtschaft benötigt die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen
    gingen wir an und für sich davon aus, daß die in der letzten Legislaturperiode so heiß umstrittene Frage, ob der Umweltschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden solle oder nicht, endgültig der Ver-
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung, Bonn, Freitag, den 21. September 1990 17971
    Bachmaier
    gangenheit angehört, so daß es letztlich nur noch darum gehe, einvernehmlich alsbald eine gute Lösung zu finden.
    Als es dann allerdings zur Sache ging, sprich: als die konkreten Formulierungen zur Beratung und Entscheidung anstanden, wurde bald deutlich, daß sich zwar die Methode der Koalitionsparteien geändert hatte, das Ziel aber unverrückbar das gleiche geblieben war. Es sollte mit allen erdenklichen Mitteln verhindert werden, den Umweltschutz als Staatsziel im Grundgesetz so zu verankern, daß er verbindlicher Handlungsmaßstab für alle staatlichen Gewalten wird.

    (Wiefelspütz [SPD]: Das ist die Wahrheit!)

    Haben diejenigen in der Koalition, denen dieses Staatsziel — und, Herr Kleinert, ich rechne Sie in vorderster Front dazu und andere auch — schon von Anfang an ein Dorn im Auge war, in der letzten Legislaturperiode noch durchsetzen können, daß die Koalitionsmehrheit offen ein solches Staatsziel ablehnte, so lautete das Motto in dieser Legislaturperiode, zwar verbal eine Festschreibung des Umweltschutzes im Grundgesetz hinzunehmen, aber nach Formulierungen zu suchen, die keinerlei verpflichtenden Charakter haben.
    Schon früh war erkennbar, meine Damen und Herren, daß diese weitgehende Relativierung des Staatsziels über das Instrument eines Gesetzesvorbehaltes oder Gesetzgebungsauftrages, wie immer Sie dieses nennen, herbeigeführt werden sollte. Der kleine Zusatz „Das Nähere regeln die Gesetze" bedeutet letztlich nichts anderes, Herr Bundesjustizminister — und das wissen Sie — , als die Reduzierung des Staatszieles auf einen reinen unverbindlichen Gesetzgebungsauftrag. Von einem alle staatlichen Ebenen verpflichtenden Staatsziel, das sich an Verwaltung und Justiz mit gleicher Verbindlichkeit wendet wie an den Gesetzgeber, kann natürlich bei einer solchen Formulierung nicht mehr die Rede sein. Wir haben Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, schon früh darauf hingewiesen, daß wir uns an einer derartigen Alibiveranstaltung, die ausschließlich den Zweck hat, verfassungsrechtlichen Umweltschutz vorzugaukeln, nicht beteiligen werden.
    Es ist ja auch nicht gerade uninteressant, Herr Bundesjustizminister, daß ausgerechnet Sie noch im Juni 1987 vor dem Bundesrat davor warnten, eine Staatszielbestimmung Umweltschutz mit einem Gesetzesvorbehalt zu versehen. Auch damals lautete die Formulierung „Das Nähere regeln ..."
    Damals haben Sie wörtlich ausgeführt: „Andernfalls würde man nämlich nicht eine Staatszielbestimmung, sondern lediglich einen Gesetzgebungsauftrag schaffen." Dies war Ihre wörtliche Formulierung.
    Da wird uns täglich unmißverständlich vor Augen geführt, daß unsere natürlichen Lebensgrundlagen und das Existenzrecht künftiger Generationen in hohem Maße gefährdet sind und daß es wohl kaum eine wichtigere Aufgabe gibt als die, diese Lebensgrundlagen zu schützen, zu erhalten und, wo es not tut, wiederherzustellen. Ausgerechnet diese Aufgabe lediglich als ein Staatsziel zweiter Klasse, lediglich als einen unverbindlichen Gesetzgebungsauftrag in die
    Verfassung aufzunehmen — meine Damen und Herren, das bleibt Ihnen vorbehalten. Dies kann doch nicht Ihr letztes Wort sein.
    Noch eines. Nach anderen unionsgeführten Ländern wie z. B. Bayern ist zur Zeit Hessen dabei, den Umweltschutz als Staatsziel in der hessischen Landesverfassung festzuschreiben. Von einem Gesetzesvorbehalt ist weder dort noch in anderen Bundesländern bislang die Rede gewesen.
    Soll also Ihr gespaltenes Verhalten im Bund und in den Ländern etwa signalisieren, daß Sie das, wofür Sie sich in den Bundesländern feiern lassen, durch bundesverfassungsrechtliche Regelungen wieder relativieren wollen? Die überfällige Verankerung des Umweltschutzes als Staatsziel im Grundgesetz und in den Länderverfassungen eignet sich, meine Damen und Herren, nicht für so kurzfristige wahltaktische Spielchen.

    (Beifall bei der SPD)

    In diesen Tagen wird unser Grundgesetz allenthalben als eine Verfassung gerühmt, die sich als gute Grundlage für unser Gemeinwesen in den letzten 40 Jahren bewährt habe.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: So ist es! Und Ihr wollt meckern!)

    Ein Grund dafür — so wird immer wieder völlig richtig festgestellt — sei, daß das Grundgesetz auf jedwede unverbindliche Verfassungslyrik verzichte und nur solche Wertentscheidungen treffe, die mit hoher verfassungsrechtlicher Verbindlichkeit versehen sind. Ein mit einem Gesetzesvorbehalt versehenes Staatsziel Umweltschutz würde diesem hohen Anspruch sicherlich nicht gerecht werden, weil es lediglich ein unverbindliches, reines Verbalbekenntnis bliebe.

    (Beifall bei der SPD)

    Unser Antrag hingegen, meine Damen und Herren, den wir nach langen und eingehenden Beratungen auf der Basis des Vorschlags der sogenannten Denninger-Kommission bereits in der letzten Legislaturperiode vorgelegt haben, würde dem Umweltschutz endlich den verfassungsrechtlichen Rang einräumen, der ihm schon lange gebührt. Die karge und verbindliche Feststellung, daß die natürlichen Lebensgrundlagen unter dem besonderen Schutz des Staates stehen, würde alle staatlichen Organe, also nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch Verwaltung und Justiz, gleichermaßen in die Pflicht nehmen. Aber in diese Pflicht wollen Sie sich offensichtlich nicht nehmen lassen. Ein so formuliertes verbindliches Staatsziel träfe auch Vorsorge dafür, daß der Umweltschutz bei der Abwägung mit anderen Interessen und Belangen nicht unter die Räder käme.
    Meine Damen und Herren, Grundgesetzänderungen sind Konsensentscheidungen — darauf wurde heute schon richtigerweise hingewiesen — , Konsensentscheidungen des Bundestags und des Bundesrats. Sie verlangen die Kompromißbereitschaft aller Beteiligten. Das starre Festhalten der Koalitionsfraktionen an einem Gesetzesvorbehalt wird heute verhindern, daß der Umweltschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen wird. Weil wir es ernst meinen mit



    Bachmaier
    dem Anliegen, der Umwelt verfassungsrechtlich verbindlichen Schutz zu gewähren, können wir einer so weitgehend wirkungslosen Formulierung, wie sie von Ihnen beabsichtigt ist, nicht zustimmen. Wir fordern Sie auf, unserem klaren und eindeutigen Votum für ein Staatsziel, das gleichrangig neben anderen wichtigen Staatsaufgaben steht, zuzustimmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Unser Kollege Jürgen Schmude hatte recht, als er im Januar 1986 hier im Bundestag feststellte, daß diese Entscheidung sicher auch ein Maßstab dafür ist, wie ernst wir es mit dem Umweltschutz tatsächlich meinen

    (Beifall bei der SPD)

    und ob wir tatsächlich bereit sind, uns auf dieses Ziel verfassungsrechtlich verbindlich festlegen zu lassen. Darum geht es — um nicht mehr und nicht weniger — bei der heutigen Entscheidung.

    (Beifall bei der SPD)