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    Plenarprotokoll 11/227 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 227. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. September 1990 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde und den Richtlinien für Aktuelle Stunden in der Sitzungswoche ab 1. Oktober 1990 17961A Erweiterung der Tagesordnung 17961 A Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesrates zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands 18001 A Tagesordnungspunkt 10: a) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Laufs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten Kleinert (Hannover), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache 11/7423) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksachen 11/10, 11/7905) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verfassungsrechtlichen Verankerung des Umweltschutzes als Grundrecht und als Staatsziel (Drucksachen 11/663, 11/7905) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einfügung eines Artikels 20 a) (Drucksachen 11/885, 11/7905, 11/7939) Eylmann CDU/CSU 17962A, 17968 C Stahl (Kempen) SPD 17963 D Kleinert (Hannover) FDP 17965 C Wiefelspütz SPD 17966 B Häfner GRÜNE 17966 C Dr. Knabe GRÜNE 17968 B Frau Unruh fraktionslos 17968 D Engelhard, Bundesminister BMJ 17969 A Häfner GRÜNE 17969 C Koschnick SPD 17970 B Bachmaier SPD 17970 D Dr. Laufs CDU/CSU 17972 A Wüppesahl fraktionslos 17973 A Zusatztagesordnungspunkt: Beratung des Antrags des Abgeordneten Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Intervention von Getreide ab sofort, spätestens ab 1. Oktober 1990 (Drucksache 11/7954) 17974 B Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Müntefering, Conradi, Großmann, Häuser, Menzel, Dr. Niese, Dr. Osswald, Reschke, Scherrer, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Wohnungsnot (Drucksache 11/7356) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21 September 1990 b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Sofortprogramm für eine aktive Wohnungspolitik zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Ökologische und soziale Offensive gegen Wohnungsnot (Drucksachen 11/4083, 11/4181, 11/7828) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Konzeption für einen neuen sozialen Mietwohnungsbau (Drucksache 11/7771) d) Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Öffnung des sozialen Wohnungsbaus für unverheiratete Paare, homosexuelle Lebensgemeinschaften und Wohngemeinschaften (Drucksachen 11/1955, 11/6876) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN: Menschenwürdige Zimmer für Kinder und Jugendliche (Drucksachen 11/2259 [neu], 11/7483) f) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Grünbeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zur Städtebaupolitik (Drucksachen 11/4914, 11/6880) Müntefering SPD 17975 B Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 17978A Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 17981B, 17993B Dr. Hitschler FDP 17983 A Frau Hasselfeldt, Bundesminister BMBau 17985 A Müntefering SPD 17987 D Dr. Hitschler FDP 17988 B Jahn (Marburg) SPD 17988 D Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 17990 A Geis CDU/CSU 17990 C Jahn (Marburg) SPD . . . . 17991A, 17992 D Müntefering SPD 17992 A Gattermann FDP 17994 D Reschke SPD 17996 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . . . 17997 D, 17998 C Dörflinger CDU/CSU 17999 B Reschke SPD 18000 B Conradi SPD 18001 A Gattermann FDP 18002 A Zusatztagesordnungspunkt 10: Aktuelle Stunde betr. Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten Frau Garbe GRÜNE 18004 B Schmidbauer CDU/CSU 18005 A Schmidt (Salzgitter) SPD 18006 A Baum FDP 18007 A Töpfer, Bundesminister BMU 18007 D Nächste Sitzung 18009 C Berichtigung 18009 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 18011* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatztagesordnungspunkt 10 (Aktuelle Stunde: Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten) 18011* C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 18014* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 17961 227. Sitzung Bonn, den 21. September 1990 Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung 226. Sitzung, Seite 17839A: In der vierten Zeile ist das Wort „nicht" zu streichen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 21. 09. 90 * Bahr SPD 21. 09. 90 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 21. 09. 90 Frau Becker-Inglau SPD 21. 09. 90 Bindig SPD 21. 09. 90 Büchner (Speyer) SPD 21. 09. 90 * Catenhusen SPD 21. 09. 90 Clemens CDU/CSU 21. 09. 90 Cronenberg (Arnsberg) FDP 21. 09. 90 Dr. Daniels (Bonn) CDU/CSU 21. 09. 90 Daweke CDU/CSU 21. 09. 90 Dreßler SPD 21. 09. 90 Dr. Ehmke (Bonn) SPD 21. 09. 90 Erler SPD 21. 09. 90 Frau Faße SPD 21. 09. 90 Dr. Feldmann FDP 21. 09. 90 Frau Fuchs (Köln) SPD 21. 09. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 21. 09. 90 Graf SPD 21. 09. 90 Grünbeck FDP 21. 09. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Hauchler SPD 21. 09. 90 Haungs CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Haussmann FDP 21. 09. 90 Hedrich CDU/CSU 21. 09. 90 Freiherr Heereman von Zuydtwyck CDU/CSU 21. 09. 90 Heinrich FDP 21. 09. 90 Dr. Hennig CDU/CSU 21. 09. 90 Hörster CDU/CSU 21. 09. 90 Graf Huyn CDU/CSU 21. 09. 90 Jaunich SPD 21. 09. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 21. 09. 90 Jung (Lörrach) CDU/CSU 21. 09. 90 Jungmann (Wittmoldt) SPD 21. 09. 90 Kalisch CDU/CSU 21. 09. 90 Kastning SPD 21. 09. 90 Kolb CDU/CSU 21. 09. 90 Kolbow SPD 21. 09. 90 Dr. Graf Lambsdorff FDP 21. 09. 90 Dr. Lammert CDU/CSU 21. 09. 90 Leidinger SPD 21. 09. 90 Linsmeier CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Mechtersheimer GRÜNE 21. 09. 90 Mischnick FDP 21. 09. 90 Dr. Müller CDU/CSU 21. 09. 90 * Niggemeier SPD 21. 09. 90 Paintner FDP 21. 09. 90 Pfeifer CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Pfennig CDU/CSU 21. 09. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 21. 09. 90 Rawe CDU/CSU 21. 09. 90 Reuschenbach SPD 21. 09. 90 Richter FDP 21. 09. 90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 21. 09. 90 Frau Rock GRÜNE 21. 09. 90 Schäfer (Mainz) FDP 21. 09. 90 Schäfer (Offenburg) SPD 21. 09. 90 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Schreiner SPD 21. 09. 90 Schröer (Mülheim) SPD 21. 09. 90 Schulze (Berlin) CDU/CSU 21. 09. 90 Singer SPD 21. 09. 90 Stiegler SPD 21. 09. 90 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 21. 09. 90 Timm FDP 21. 09. 90 Dr. Unland CDU/CSU 21. 09. 90 Dr. Vondran CDU/CSU 21. 09. 90 Wischnewski SPD 21. 09. 90 Frau Dr. Wisniewski CDU/CSU 21. 09. 90 Wissmann CDU/CSU 21. 09. 90 Würzbach CDU/CSU 21. 09. 90 Zierer CDU/CSU 21. 09. 90 * Dr. Zimmermann CDU/CSU 21. 09. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatztagesordnungspunkt 10 (Aktuelle Stunde: Bodenverseuchung auf Kinderspielplätzen und Konsequenzen der Bundesregierung für die Festlegung von Dioxin-Grenzwerten) Müller (Düsseldorf) (SPD): Das Thema der Aktuellen Stunde ist: „Wieviel Umwelt braucht der Mensch?" Denn neben erblicher Veranlagung und persönlichem Fehlverhalten verursachen vor allem Umweltbelastungen in einem wachsenden Ausmaß physische und psychische Schäden, die schleichend zunehmen. Für die Volksgesundheit spielen Umweltfaktoren heute eine vielleicht sogar entscheidende Rolle, unmittelbar oder durch sie zum Ausbruch gebracht bzw. verstärkt. „Alle Krankheiten", so der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem 87er Gutachten, „sind letzten Endes auf genetische Ursachen oder solche aus der Umwelt zurückzuführen, in der Regel aber tragen genetische u n d Umweltfaktoren zum Krankheitsgeschehen bei". Vereinfachend lassen sich die Umweltfaktoren in soziale und in chemisch-physikalische einteilen. Zu den sozialen Faktoren gehören z. B. persönliche Lebenssituation, berufliche Bedingungen, soziale Kontakte oder Kommunikationsmöglichkeiten. Zu den chemisch-physikalischen Einwirkungen zählen neben den jeweiligen natürlichen Lebensbedingungen die anthropogenen Umweltbelastungen wie die alltägliche Chemisierung, die Veränderungen in Zirkulation und Umsetzung der Nährstoffe, radioaktive Ionisation oder Lärm. Die personalen Veranlagungen und die allgemeinen Umweltbelastungen können durch eigenes Fehlverhalten, z. B. durch ungesunde Ernährung oder Zigarettenmißbrauch, weiter verstärkt werden. Mit dem Anwachsen des umwelttoxikologischen Potentials erwächst hieraus eine Normalität für die 18012* Deutscher Bundestag — 11.Wahiperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 Pathologie. Die Gesundheit ist von daher mit einem Wandel im Krankheitsgeschehen konfrontiert. Chronisch-degenerative Erkrankungen treten in den Vordergrund. Für diese Krankheiten läßt sich jedoch keine lineare Zurechenbarkeit durch eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen ermitteln. Es handelt sich um Komplexkrankheiten. Auf den Organismus, besonders bei den sogenannten Problemgruppen, wozu Kinder gehören, wirken eine Fülle verschiedenartiger, in der Schadenswirkung sich oft wechselseitig verstärkender Umweltnoxen ein, bis im Zusammenspiel mit z. B. sozialen Faktoren das Widerstandspotential des Körpers zusammenbricht. Vor diesem Hintergrund müssen die Gefahren von Dioxin für die Gesundheit gesehen werden. Zuerst werden die Grenzzonen zwischen Außenwelt und innerem Organismus geschädigt. Dies zeigt sich vor allem an dem Anstieg der Allergien und Immundefekte, die von Umweltnoxen verursacht werden. Langfristig erscheint es wahrscheinlich, daß kleinere chronische Schäden mehr Unheil anrichten als akute Vergiftungen. Die Wirkungen können autoaggressiv sein. Die komplizierte Funktionsweise des Immunsystems wird geschwächt. Mit der Verschlechterung des regulativen Körpersystems nehmen Krankheiten zu, können sich möglicherweise selbst negativ verstärken. Notwendig sind Umwelt- u n d Sozialreformen. Wichtige Handlungsfelder sind beispielsweise — umwelt- und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik. Hier hat die Bundesregierung auch bei der Novellierung des Chemikaliengesetzes aus unserer Sicht versagt; — umweltmedizinische Wirkungsforschung; — Aufstellung von Umweltparametern. Es muß Schluß sein, die Dioxin-Probleme zu verkleistern. Dazu gehört auch das unwürdige Gerangel um Grenzwerte für Dioxine und Furane. Wo immer es geht, brauchen wir Verbote. Frau Garbe, Sie haben Kritik an NRW geäußert. Ich will dazu nur eine Bemerkung machen: Ohne die systematischen Untersuchungen in NRW und Hamburg wäre das Thema weiter nur spekulativ geblieben. Sie wissen auch, daß nur diese beiden Bundesländer sich des Problems „Schadstoffe auf Kinderspielplätzen" konkret angenommen haben. Und NRW ist das einzige Land, das klare Richtlinien und Empfehlungen für Kinderspielplätze herausgegeben hat. Harries (CDU/CSU): Die Medien haben sich des Themas bereits angenommen. Bekannte Fernsehsendungen und bekannte Illustrierte und Wochenblätter haben dramatisch berichtet, daß Kinderspielplätze mit Dioxin belastet seien. Die Gesundheit unserer Kinder sei gefährdet. Zudem wurde der Eindruck in diesen Berichten vermittelt, daß Behörden noch nicht oder nt r unvollkommen tätig geworden seien und die Gefahren nicht erkannt hätten. Obwohl bei uns die Fähigkeit ausgeprägt ist, Gefahren nicht immer realistisch einzuschätzen und zu übertreiben, sage ich hier ausdrücklich, daß Handlungsbedarf besteht, daß Länder, die in erster Linie zuständig sind, bereits auf diesem sehr schwierigen Gebiet tätig geworden sind. Schwierigkeiten liegen z. B. in der aufwendigen und zeitraubenden Analyse und im Festsetzen eines realistischen Grenzwertes. Wie ist der Sachverhalt? In Hamburg sind auf einem Kinderspielplatz Dioxinbelastungen im Boden von weit über 1 000 ng/kg toxische Äquivalente gemessen worden. Im nachhinein wurden weitere Spielplätze aus dem gleichen Grunde gesperrt. Untersuchungen wurden eingeleitet. Das Ergebnis liegt der Hansestadt im Prinzip vor. Die Analyse spricht eindeutig dafür, daß verunreinigte Baumaterialien für die Belastung des Bodens mit Dioxin ursächlich gewesen sind. Vor Jahren sind Flugasche und Filterstäube zur Befestigung im Kinderspielplatzbereich mit eingebaut worden. Man ist sich in Hamburg einig, daß bei vorhandenen hohen Belastungen die Spielplätze saniert werden müssen. Offenbar liegt aber zum Glück nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von gemeldeten kontaminierten Spielplätzen vor, da öffentliche Spielplatzanlagen in der Regel alle fünf bis sieben Jahre eine neue Deckschicht erhalten. Auch das Land Nordrhein-Westfalen hat kontaminierte Bodenbeläge bei Kinderspielplätzen festgestellt. Das Land hat toxische Untersuchungen eingeleitet. Kinderspielplätze wurden geschlossen. Umfangreiche Untersuchungen sind auch in NRW im Gange. Wenn ich die Untersuchungsberichte richtig werte, kann zur Zeit nicht gesagt werden, daß Gesundheitsgefährdungen konkret bereits eingetreten sind. Aber die Untersuchungen auf toxische Belastungen haben auf jeden Fall gezeigt, daß in Einzelfällen eine mögliche Gesundheitsgefährdung spielender Kinder nicht ausgeschlossen werden kann. Von daher gilt, was ich eingangs sagte: Es besteht Handlungsbedarf. Der Ruf nach einem Tätigwerden des Bundes ist unüberhörbar geworden. Man erwartet die Festsetzung von Richtwerten für Dioxin-Grenzwerte. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß der Bundesumweltminister und Bundesbehörden hier längst tätig geworden sind, um generell für das Bundesgebiet zu Aussagen zu kommen. Bundesgesundheitsamt, Bundesumweltamt und Umweltministerium stehen in engem Kontakt. Ich erinnere an das Dioxin-Symposium in Karlsruhe zu Beginn dieses Jahres. Bedauerlich war, daß Abgeordnete des Umweltausschusses nicht die Möglichkeit hatten, an diesem Symposium teilzunehmen. Eine frühe Information wäre dadurch ermöglicht worden. Wir gehen davon aus, daß wir regelmäßig und umfassend über den Fortgang der Überlegungen im Bundesumweltministerium informiert werden. Die Schwierigkeit der Grundsatzarbeit ist mir bewußt. Eltern müssen beruhigt und Kinder vor Verstrahlungs- und Vergiftungsmöglichkeiten geschützt werden. Den Betreibern von Kindergärten müssen klare Anweisungen gegeben werden. Zu überlegen ist, ob die derzeitig bestehenden gesetzlichen Grundlagen für die Festsetzung von Grenzwerten ausreichen. Ich fasse zusammen: Es besteht erstens Handlungsbedarf, es besteht aber zweitens kein Anlaß zur Panik. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. September 1990 18013* Frau Dr. Götte (SPD): Die Untersuchung eines Hamburger Wissenschaftlers, über die in einer Illustrierten kürzlich berichtet wurde, ist Anlaß, aber nicht Thema dieser Aktuellen Stunde. Wir brauchen uns deshalb auch gar nicht herumzustreiten, ob die Methoden stimmig, die Grenzwerte zu hoch oder die Stichprobe richtig ausgewählt sind. Tatsache ist, daß Kinder in unserer Zeit in unverantwortlich hohem Maß mit Umweltgiften traktiert werden. Das beweisen die steigenden Zahlen der krebskranken Kinder. Das beweisen vor allem auch die unerträglich hohen Zahlen der allergiekranken Kinder. Nachdem dieses Problem von der Bundesregierung viele Jahre verharmlost wurde, hat sie jetzt bekanntgegeben, daß inzwischen jedes vierte Kind davon betroffen ist. Manche versuchen, sich aus der Beklemmung, die diese Zahlen auslösen, dadurch zu befreien, daß sie sich einreden, der gigantische Anstieg der Allergieerkrankungen käme daher, daß heutzutage (ich zitiere aus einer Podiumsdiskussion) „wegen jedem Pickelchen zum Arzt gerannt wird" . Nein, hier geht es um mehr, um Asthma, schlimme Hautausschläge, schwere Erkrankungen der Atemwege bis hin zum tödlichen Pseudo-Krupp. Die Bundesrepublik, so lautete letzte Woche eine Schlagzeile in der „Zeit", sei flächendeckend dioxin-verseucht. Und dieses Gift wird flächendeckend ergänzt durch Arsen, Asbest, Benzol, Blei, Cadmium, Kupfer, PCB, Quecksilber, Zink und andere gefährliche Stoffe. Das beginnt bei der Muttermilch und setzt sich fort in Belastungen des Bodens und der Luft, in Spielplätzen, Klassenzimmern, Kinderzimmern. Im Vergleich zur Umweltvergiftung in der DDR sei das, was bei uns los ist, aber noch harmlos, höre ich. Angesichts dieser Tatsache kann ich nicht begreifen, daß wir noch nicht einmal ein Tausendstel dessen, was wir zur Abwendung militärischer Bedrohung ausgeben, zur Abwendung der gesundheitlichen Gefährdung der Kinder ausgeben. Ein Umdenken ist überfällig! Was wir brauchen, ist ein Radikalprogramm zum Umweltschutz. Aber wie schwer die Mehrheit innerhalb und außerhalb des Bundestages für konkrete, einschneidende Maßnahmen zu gewinnen ist, erleben wir gerade jetzt schmerzhaft im Bundestagswahlkampf. Frau Garbe (GRÜNE): Die GRÜNEN im Bundestag verlangen seit Jahr und Tag ein integriertes Maßnahmenbündel gegen die Dioxingefahr. Dioxine sind erst mit dem Herstellen von Chlorchemikalien zu einer Umweltgefahr geworden. Mit einer Jahresproduktion von 5 Millionen Tonnen nehmen sie heute eine zentrale Rolle unter den Industriechemikalien der Bundesrepublik ein. Unsere Grundforderung besteht daher in einem Umbau der Chlorchemie zu einer umweltfreundlichen sanften Chemie. Durch den politischen Druck der GRÜNEN sind bereits die größten Dioxinfabriken stillgelegt worden. Jetzt gilt unser Hauptaugenmerk dem PVC. Wir haben aufgezeigt, daß es in vielen Bereichen ersetzt werden kann. Zur unmittelbaren Entlastung der Umwelt fordern wir: — Eine Null-Emission für alle Anreicherungsgifte aus Industriebetrieben; — verschärfte Anforderungen in der TA-Luft; — Verschärfung der Vorschriften in der Gefahrstoffund Störfallverordnung: Aufnahme aller Stoffe, die mit Dioxinen verwandt sind und einen ähnlichen biologischen Wirkungsmechanismus aufweisen; — Aufnahme von Bodengrenzwerten in ein Bodenschutzgesetz mit Sanierungsvorschriften; — ein umfassendes Dioxin-Monitoring-Programm in allen Bundesländern. Wir bemühen in diesen Tagen oft unser Grundgesetz und preisen es der DDR-Bevölkerung an. In Art. 2 Abs. 2 Satz 1 dieses Grundgesetzes wird uns das Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert. Wir werden im Wahlkampf sehr deutlich machen, daß die Garantie auf körperliche Unversehrtheit durch willfähriges Beugen vor Lobbyisten abgelaufen ist. Reimann (SPD): Wieder einmal ist eines der Reizworte Dioxin, ein Gefahrstoff von 100 000, in der Diskussion. Obwohl die Wissenschaft immer noch nicht weiß, wie dieses Gift im Körper eigentlich wirkt und welche Reaktionen es auslöst, hat sich eines doch als sicher herausgestellt: Dioxin löst Krebs aus. Unklar ist bis heute, welche Mengen dafür nötig sind, ob bloße Spuren im menschlichen Körper bereits diese tödliche Krankheit hervorrufen oder ob dieser Stoff lediglich die Krebsentwicklung im Körper fördert. Diese Unklarheit verdeutlicht erneut, welche Bedeutung dem Thema „arbeitsbedingte Gesundheitsgefährdungen" im Rahmen der bisherigen Forschung zur Humanisierung der Arbeitswelt zukommen kann (Latenzzeit). Dioxin ist ein Stoff, der im Bereich der Arbeitsmedizin bereits seit langem für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt hat. Die Wissenschaft hat sich damit schwergetan, seine Gefährlichkeit für die Menschen anzuerkennen. Grund dafür ist, daß eine damit zusammenhängende Krankheit nicht wenige Tage oder Wochen nach einer Berührung mit dem Gift ausbricht, sondern daß es dazu erst nach vielen Jahren kommen kann. Besonders problematisch ist es mit den Stoffen, die den Bereich eines Betriebes erst einmal verlassen haben. Sie belasten als Abfall die Umwelt eben auf Kinderspielplätzen usw., auch wenn wir durch Recycling versuchen, dieses Problem jetzt zu lösen. Es muß überlegt werden, die Beweislast dahin gehend zu verändern, daß ein Material so lange gefährlich ist, bis das Umgekehrte bewiesen ist. So lange darf es nicht eingesetzt werden. Es darf doch nicht sein, daß die Wissenschaft alles erfinden und die Industrie alles vermarkten darf, die Bürger aber alles bezahlen müssen. Bezahlen heißt in diesem Fall auch, mit gesundheitlichen Belastungen leben zu müssen. Hätten wir diese Beweislastumkehr bereits eingeführt, dann wären die Spielplätze jetzt nicht von einer erhöhten Dioxinbelastung betroffen. Dann hätten wir keine Asbest verseuchten Turnhallen. Kinder sind besonders gefährdet, da ihr kleiner Körper besonders unter den Umweltbelastungen leidet (Atemwegser- 18014* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 227. Sitzung, Bonn, Freitag, den 21. September 1990 krankungen hab en zugenommen, die Bleikonzentration ebenfalls). Weil auch bei besten Schutzmaßnahmen im Arbeitsleben eine gewisse gesundheitliche Gefährdung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehen zu bleiben scheint (Restrisiko), ist wichtig, daß die jungen Arbeitnehmer nicht schon in jungen Jahren einen mit Schadstoffen belasteten Körper haben, der sie früher als nötig krank machen kann. (Immerhin bricht heute schon eine große Anzahl von Azubis ihre Lehre aus gesundheitlichen Gründen ab, weil ihre Körper so sensibilisiert sind, daß sie bei einem weiteren Umgang mit diesen Arbeitsstoffen zur frühen Berufsunfähigkeit verurteilt wären.) Um diese Gefahr einzuschränken, muß die stoffliche Vorbelastung im Blut, in den Knochen und im Gewebe so gering wie möglich sein. Aber auch noch ein anderer Aspekt spielt eine Rolle. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gezwungen sind, zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes mit gefährlichen Stoffen umzugehen, weil unsere Industriegesellschaft ansonsten nicht funktioniert, diese Menschen wollen zumindest, daß ihre Familien zu Hause vor den Einwirkungen dieser Gefahrstoffe geschützt sind. Deshalb gilt, neben dem Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb mehr denn je die Frage: Wie schütze ich Menschen außerhalb der Produktion? Können unsere Aufsichtsbehörden überhaupt Schritt halten mit dem Aufgabenzuwachs der letzten Jahre, Gesetzesüberwachung usw., hier vorrangig in den Gemeinden? Läßt deren personelle Ausstattung auch in Hinsicht der sachlich-fachlichen Kompetenzen überhaupt zu, daß verantwortungsvoll überwacht wird? Können durch Messungen vor Ort, die Festlegung gemeinsam verpflichtender Werte und den Vollzug von Maßnahmen, Kinder und Erwachsene geschützt werden? Hier gilt die Vorsorge des Staates. Hier müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Es heißt immer, wir haben genug Geld. Na bitte, dann laßt uns handeln! Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 11. September 1990 ihren Antrag Verkürzung des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes auf 12 Monate — Drucksache 11/6243 — zurückgezogen. Damit ist die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/7312 gegenstandslos geworden. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Haushaltsauschuß Drucksache 11/7629 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/5793 Drucksache 11/7374 Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Drucksache 11/6738 Nr. 2.10 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 19. September 1990 gem. § 30 Absatz 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan nebst Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1990 einschließlich Anlagen mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Bundesminister für Verkehr hat den Wirtschaftsplan und den Stellenplan zum Wirtschaftsplan 1990 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen genehmigt. Die Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Horst Eylmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Mütter und Väter des Grundgesetzes standen auf Grund ihrer Weimarer Erfahrungen normierten Staatszielen skeptisch gegenüber; aber was sie in jenen Nachkriegsjahren besonders bewegte und bedrängte, fand doch seinen Niederschlag in der Verfassung. Die schmerzliche Teilung unseres Vaterlandes führte zum Wiedervereinigungsgebot, das sich in diesen Tagen vollendet, die furchtbaren Kriegserfahrungen spiegelten sich im Friedensgebot und im Verbot des Angriffskrieges wider, die Not der Nachkriegsjahre und das Bestreben, ein gerechteres Deutschland zu schaffen, bildeten den Hintergrund des Sozialstaatsprinzips.
    Wäre den Schöpfern des Grundgesetzes die ökologische Bedrohung unserer Tage bewußt gewesen, ich bin einigermaßen sicher, sie hätten die Sicherung der natürlichen Grundlagen unseres Lebens als Ziel staatlichen Handelns im Grundgesetz erwähnt. Was sie damals nicht wußten und taten, wollen wir heute nachholen.
    Der Satz „Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz des Staates" ist klar und bedarf allenfalls insoweit einer Erläuterung, als hier von den Lebensgrundlagen „des Menschen" die Rede ist. Manche wollen das Leben „an sich" schützen. Mir erscheint diese Differenzierung wegen der allgemeinen Vernetzung aller Lebensvorgänge wenig bedeutsam.
    Gestritten wird merkwürdigerweise vor allem über den zweiten Absatz unseres Entwurfs: „Das Nähere regeln die Gesetze". Die Opposition sagt, dies sei ein Gesetzesvorbehalt, und will damit suggerieren, das Staatsziel Umweltschutz könne jederzeit durch einfaches Gesetz eingeschränkt werden. Das ist falsch. Dieser Satz ist kein Gesetzesvorbehalt in dem uns bei den Grundrechten geläufigen Sinn eines Eingriffsvorbehalts,

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Reine Wahlkampftaktik!)

    sondern ein Gesetzgebungsauftrag. Er verdeutlicht, wer in erster Linie Adressat einer Staatszielbestimmung ist: wir, der Gesetzgeber, das Parlament. Wer denn sonst?
    Ich habe den Eindruck, manchen in diesem Hause schwebt vor, in Zukunft könne jede Bürgerinitiative die Gewährleistung des Staatsziels Umweltschutz vor Gericht erstreiten. Denen empfehle ich nachzulesen, was das Bundesverfassungsgericht zu dem vergleichbaren Sozialstaatsprinzip gesagt hat — ich zitiere —:
    Das Sozialstaatsprinzip enthält infolge seiner Weite und Unbestimmtheit regelmäßig keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch die Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden könnten. Es zu verwirklichen ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers.
    Sehen Sie, meine Damen und Herren, genau das besagt der Satz „Das Nähere regeln die Gesetze".
    Daß dieser Satz den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu einem Staatsziel zweiter Klasse machen soll, ist ausgesprochener Unfug. Mit einer solchen offensichtlich abwegigen Argumentation sollte man auch in Wahlkampfzeiten seine eigene juristische Kompetenz nicht in Frage stellen. Dieser Gesetzgebungsauftrag nimmt dem Staatsziel Umweltschutz kein Gran seiner Bedeutung und seiner Reichweite.
    Der Einwand, nun könne der Gesetzgeber ja mit einfacher Mehrheit die Durchsetzung dieses Staatszieles regeln, ist gleich aus mehreren Gründen nicht stichhaltig. Zunächst: wäre es denn anders, wenn dieser Satz fehlen würde? Doch wohl nicht, wie die gesetzgeberische Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips zeigt. Außerdem: jedes Gesetz, das ein Staatsziel vollzieht, muß im Einklang mit den Grundentscheidungen der Verfassung stehen, insbesondere mit den dort normierten Staatszielen. Andernfalls ist es verfassungswidrig und damit nichtig. Es kann also keine Rede davon sein, daß jedes einfache Gesetz ohne Rücksicht auf seinen Inhalt das Staatsziel des Umweltschutzes leerlaufen lassen könnte.
    Und schließlich, meine Damen und Herren, fassen Sie doch einmal die Situation beim klassischen Gesetzesvorbehalt, dem Eingriffsvorbehalt ins Auge. Da heißt es in Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes: In das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit der Person dürfe auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Wären Sie konsequent, müßten Sie doch schon längst eine Streichung dieses Gesetzesvorbehalts verlangt haben mit der Begründung, es gehe doch nicht an, daß in elementare Menschenrechte auf Grund eines einfachen Gesetzes eingegriffen werden dürfe.
    Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Argumentation ist ausgesprochen unseriös. Das gilt auch für Ihre Behauptung, die Hinzufügung des Satzes „Das Nähere regeln die Gesetze" würde dazu führen, daß es sich beim Staatsziel Umweltschutz nur noch um einen Handlungsauftrag an den Gesetzgeber ohne unmittelbare Auswirkungen auf



    Eylmann
    Exekutive und Judikative handeln würde. Wiederum muß ich Sie auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes hinweisen, wonach jedes staatliche Handeln in allen drei Staatsgewalten im Einklang stehen muß mit den Wertentscheidungen der Verfassung. Werden die natürlichen Lebensgrundlagen unter den Schutz des Staates gestellt, so ist dies eine elementare Wertentscheidung unserer Verfassung, die die Exekutive bei der Ausübung ihres planerischen Ermessens, um nur ein Beispiel zu sagen, genauso bindet, wie die Gerichte bei der Auslegung unbestimmter Rechtbegriffe.
    Sie sagen, andere Staatsziele hätten keinen Gesetzgebungsauftrag, oder, wie Sie es nennen, keinen Gesetzesvorbehalt. Das trifft zu für das Sozialstaatsprinzip, das aber auch nur aus einem einzigen Wort, nämlich aus dem Wort „sozial" abgeleitet wird. Es trifft nicht zu für die konjunkturpolitische Direktive in Art. 109 des Grundgesetzes. Dort ist in den Absätzen 3 und 4 ausdrücklich davon die Rede, daß diese Direktive durch Bundesgesetz durchgesetzt werden könne.
    Ich meine, meine Damen und Herren, ein Gesetzgebungsauftrag, im Grundgesetz ausgesprochen, ist ehrlicher; denn alle stimmen darin überein, daß ein Staatsziel vom Parlament umzusetzen ist. Es ist klarer, denn es läßt bei den Bürgern nicht den falschen Eindruck entstehen, allein mit einer Änderung des Grundgesetzes sei der Umwelt schon geholfen. Es beugt auch der nicht seltenen Neigung der Gerichte vor, sich selbst als Gesetzgeber zu betätigen; es wahrt den Vorrang des Parlaments und nimmt uns zugleich in die Pflicht.
    Sie, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, versäumen heute eine Chance, wenn Sie nicht zustimmen. Sie treten seit Jahren für das Staatsziel Umweltschutz ein und lehnen es jetzt aus wahltaktischen Gründen ab. Gewiß, Sie mögen auf Art. 5 des Vertrages über die deutsche Einheit hoffen, wo empfohlen ist, innerhalb von zwei Jahren die Aufnahme von Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz zu überlegen. Ich warne Sie vor übertriebenen Erwartungen.

    (Zuruf von der FDP: Warum dann nicht gleich?)

    Der bunte Strauß von Staatszielbestimmungen in der Weimarer Verfassung hat nichts bewirkt. Wir sollten unserer bewährten Verfassung nicht dadurch zu nahe treten, daß wir sie mit allerlei modischem Schnickschnack anzuhübschen versuchen.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Die SPD mißgönnt uns den Erfolg!)

    Ich bin gegen eine Inflationierung von Staatszielen im Grundgesetz. Wegen der im wahrsten Sinne existentiellen Bedeutung der natürlichen Lebensgrundlagen ist es geboten, hier eine Ausnahme zu machen, genauso wie die Mütter und Väter des Grundgesetzes Ausnahmen gemacht haben, z. B. beim Sozialstaatsgebot. Damit sollte es dann aber auch sein Bewenden haben.
    Sie, die SPD, verweigern sich, weil Sie der Koalition den Erfolg nicht gönnen

    (Bohl [CDU/CSU]: So ist es!)

    und im Wahlkampf mit dem Argument operieren wollen, wir hätten das, was wir uns vorgenommen haben, nicht geschafft.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Ein jämmerliches Verhalten!)

    Solche kleinkarierten wahltaktischen Überlegungen stellen Sie über die Sache, meine Damen und Herren. Aber Sie werden sich genauso täuschen, wie Sie sich bei der Deutschlandpolitik getäuscht haben, wo Sie jetzt auf den fahrenden Zug aufzuspringen versuchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Wähler mögen solche taktischen Neinsager nämlich nicht.
    Selbst wenn ich Ihren unrichtigen Standpunkt, der Gesetzgebungsauftrag schränke das Staatsziel ein, einmal übernehme, befinden Sie sich doch in der Position eines Mannes, der den Leuten draußen erklären muß, warum er 80 % dessen, was er verlangt, nur deshalb ablehnt, weil er 100 % nicht bekommen kann.

    (Bohl [CDU/CSU]: So ist es!)

    Außerdem: Worauf gründet sich denn Ihre Hoffnung, in einem gesamtdeutschen Parlament eine Zweidrittelmehrheit für Ihre Vorstellungen zu gewinnen? Eine solche Mehrheit erfordert Kompromißfähigkeit auf beiden Seiten. Wir haben diese Kompromißfähigkeit gezeigt. Wir wollten zunächst eine Abwägungsklausel aufnehmen. Sie wissen, daß ich mich im Rechtsausschuß zu einem Zeitpunkt, als ich noch nicht das Votum meiner Fraktion hatte, für das Fallenlassen dieser Abwägungsklausel ausgesprochen habe, um einen Kompromiß in dieser Frage zu erzielen. Meine Damen und Herren, Sie haben dieses Entgegenkommen nicht honoriert. Sie sind nicht darauf eingegangen, sondern Sie sind völlig stur bei Ihrer Forderung geblieben.
    Alle, denen die Bewahrung der natürlichen Grundlagen unseres Staates am Herzen liegt, werden das Scheitern der Grundgesetzänderung bedauern. Sie, die Sozialdemokraten, tragen die alleinige Verantwortung dafür, und das werden wir in den nächsten Wochen klarmachen.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Stahl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erwin Stahl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der gestrigen Debatte über den Einigungsvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten haben wir diese uns nach über vier Jahrzehnten der Trennung gegebene Chance des Zusammenschlusses mit großer Freude — mit fast 90 %iger Zustimmung ergriffen. Ich gebe gerne zu, daß mich die letzten Monate als Abgeordneter in der Politik in Bonn sehr bewegt haben. Das gilt vor allem für die nun endlich aus dem Streit kommenden Grenzfestschreibungen mit den polnischen Nachbarn an



    Stahl (Kempen)

    Oder und Neiße. Ich habe ja dort meine Kindheit verbracht und mußte als Jugendlicher 41/2 Jahre im Arbeitslager als Internierter verbringen. Ich bin dem Schicksal dankbar, daß es mich in die Politik geführt hat und daß ich ein Stückchen dazu beitragen konnte, unter die leidige, mich oft belastende Kriegsfolgezeit einen offiziellen Schlußstrich der Versöhnung zu ziehen.
    Wir haben heute ebenfalls ein Gesetz zu beraten, das das Grundgesetz um einen neuen wesentlichen Punkt verändern, ja verbessern kann. Durch die Einfügung eines Art. 20a in das Grundgesetz soll eine Staatszielbestimmung zum Schutz der Umwelt in das Grundgesetz aufgenommen werden.
    Vergegenwärtigt man sich die Auswirkungen des über 40jährigen Wirtschaftens des kommunistischen Staates drüben — bezogen auf die Berücksichtigung des Umweltschutzes und die Einhaltung diesbezüglicher Gesetze —, dann besteht die Notwendigkeit — das wird sicherlich jeder von uns verstehen —, dem Schutz der Umwelt dadurch, daß ihm die Bedeutung eines Staatsziels zukommt, Rechnung zu tragen.
    Wir, die SPD-Fraktion, haben von Ihnen, von den Regierungsparteien, erwartet, daß Sie die Formulierung der SPD-Fraktion verwenden würden und daß diese heute beschlossen würde. Dabei ist wohl unbestritten, Herr Eylmann: Alle Fraktionen des Hohen Hauses sind sich darin einig, daß eine Grundgesetzänderung mit dem Ziel einer stärkeren Gewichtung des Umweltschutzes sinnvoll und notwendig ist. Versuche unsererseits, in zahlreichen Gesprächen — ich nenne in diesem Zusammenhang meine Kollegen Hermann Bachmaier und Dietmar Schütz, die bei uns vor allen Dingen für das Gesetz verantwortlich sind — eine einvernehmliche Formulierung für die Grundgesetzänderung zu finden, sind von Ihnen erst einmal auf die lange Bank geschoben worden.
    Die Vorgeschichte ist allen, die hieran besonders beteiligt waren, bekannt. Das Staatsziel Umweltschutz — der SPD-Entwurf sieht folgende Formulierung vor: „Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates." — ist prinzipiell, Herr Eylmann, doch wohl unbestritten. Der strittige Punkt liegt in einer Zusatzformulierung — Sie haben das ja eben gesagt — , einem Gesetzesvorbehalt, wie ihn die Koalitionsfraktionen vorschlagen. Zur rechtlichen Bedeutung dieses Zusatzes wird hier der Kollege Bachmaier, der ja diesen Gesetzentwurf federführend über fast ein Jahrzehnt im Hause behandelt hat, etwas sagen und auch die Wertung vornehmen.
    Deshalb ist es an dieser Stelle wohl sinnvoll, auch einiges zur Bedeutung und zum Wandel der Umweltpolitik in den letzten Jahren zu sagen. Nach Tschernobyl wurden im Juni 1986 das Amt des Bundesministers und der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit geschaffen. Ob dies auch ohne die Katastrophe und ohne die nicht sehr effiziente Arbeit des damals für Umweltschutz zuständigen Innenministers, verbunden mit bevorstehenden Wahlkämpfen, so rasch geschehen wäre, ist, wenn man es heute betrachtet, sehr zweifelhaft.
    Der Ausschuß hat in vielen Bereichen des Umweltschutzes im großen und ganzen wohl seine Arbeit getan. In manchen umweltpolitischen Fragen gingen und gehen die politischen Meinungen verständlicherweise weit auseinander. Viele umweltpolitische Maßnahmen — ob Programme, Gesetze oder Verordnungen — gingen der SPD-Fraktion nicht weit genug. Es gab aber auch in sehr zahlreichen Fragen einen Konsens. Ob der Blick für das Machbare mit der wünschenswerten Klarheit immer vorhanden war, ist bei Nähe besehen schwer zu beurteilen. Aber wir haben uns redlich bemüht.
    Es wurde aber durch die Arbeit des Ausschusses sehr deutlich, welcher Stellenwert dem Umweltschutz in einer Industriegesellschaft zukommt. Die immer stärkere Vernetzung der einzelnen Politikfelder mit der Umweltschutzpolitik, besonders z. B. der Energie-, der Verkehrs- und der Agrarpolitik, ist ein deutliches Zeichen für den in der Tat enormen Bedeutungsgewinn der Umweltpolitik und damit des Umweltschutzes für unsere Gesellschaft, unser Land, aber auch inzwischen für Europa und den Ostblock.
    Wir sollten uns bei der Umweltpolitik von der Erkenntnis leiten lassen, daß wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen nur in der Industriegesellschaft und mit den Möglichkeiten der Industriegesellschaft sichern können. Die Option des Ausstieges aus der arbeitsteiligen Industriegesellschaft steht uns nicht offen, und wir wollen sie auch nicht öffnen. Wir wollen dies nicht nur deshalb nicht, weil die materielle Sicherheit der Menschen unseres Landes von ihr abhängt, sondern vor allem deshalb nicht, weil viele der heute schon bekannten und erkannten Umweltprobleme aller Fähigkeiten einer technologisch hochentwickelten Industiegesellschaft bedürfen. Herr Eylmann, dies ist ja wohl auch ein Punkt, der hier besonders angesprochen werden muß. Denken Sie nur an das Problem der Altlastensanierung oder denken Sie an die Bewältigung der ungeheuren Müllberge. Es geht also nicht um die Abschaffung, sondern um die stärkere ökologische Orientierung unserer Industriegesellschaft.
    Das Recht auf Arbeit hat schon Verfassungsrang. Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen soll nun den gleichen Rang erhalten. Die Gleichrangigkeit von Arbeit und Umweltschutz, von Ökologie und Ökonomie in praktische Politik umzusetzen,

    (Häfner [GRÜNE]: Das Recht auf Arbeit hat keinen Verfassungsrang! Darum wird gerade gestritten!)

    das ist eine ständige Aufgabe. Durch eine Verfassungsänderung, wie die SPD sie vorschlägt, würden wir uns alle in Politik, Wirtschaft und anderen Lebensbereichen selbst verstärkt in die Pflicht nehmen. Damit würden wir sogleich dem Anspruch gerecht, den Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Antrittsrede am 1. Juli 1984 so formuliert hat:
    Die wichtigste Aufgabe für uns, die wir heute Verantwortung tragen, ist die lebenswerte Zukunft für nachfolgende Generationen. Unsere Nachfahren werden nicht fragen, welche Zukunftsvisionen wir für sie bereithielten; sie werden wissen wollen, nach welchen Maßstäben wir



    Stahl (Kempen)

    unsere eigene Welt eingerichtet haben, die wir ihnen hinterlassen.
    Die SPD fordert nun heute, Herr Eylmann, den eingangs erwähnten einfachen Satz in die Verfassung aufzunehmen. Wenn ich es richtig sehe, hatte die FDP diese Formulierung ohne Einschränkung unterstützt, worauf Frau Segall ja schon in einigen Beratungen hingewiesen hatte.
    Die CDU/CSU und einige Kollegen von der FDP, wie der Herr Kollege Baum, wollen einer Staatszielbestimmung nur mit dem Gesetzesvorbehalt „Das Nähere regeln die Gesetze" zustimmen. Dies ist für uns, die SPD, nicht tragbar und auch nicht akzeptabel, weil wir ein Staatsziel Umweltschutz zweiter Klasse nicht haben wollen. Hans-Jochen Vogel hat als Kompromiß z. B. die Formulierung angeboten: „Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates."
    Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP, ich meine, vor allem Sie sollten sich endlich auf eine akzeptable Formulierung mit uns einigen, um die Absichtserklärung, die Sie vor Jahren gegeben haben, auch tatsächlich umzusetzen. Ihre Haltung, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, hat uns und besonders mich enttäuscht. Ich habe gehofft, daß auf Grund der zu Beginn meiner Rede erwähnten Situation bei gutem Willen aller eine Einigung hätte erzielt werden können.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Nur fehlt der gute Wille von Ihnen!)

    Diese Chance der Regelung dieses wichtigen Punktes in der Verfassung wird nun auf längere Zeit vertan sein, da der neue Deutsche Bundestag viele andere Probleme wird erledigen müssen.
    Lassen Sie mich, da ich nach 18jähriger Tätigkeit freiwillig aus dem Bundestag ausscheide, noch einige persönliche Bemerkungen machen. Die Arbeit hier in Bonn hat mir Spaß gemacht. Ich gebe zu, daß ich oftmals mit Ihnen, ja vielleicht in einem gewissen Zeitraum in verschiedenen Politikbereichen auch mit meinen Kollegen in der eigenen Fraktion querlag.

    (Schütz [SPD]: Manchmal warst Du hilfreich!)

    Meine Art, weniger um die Ecken zu schauen und zu taktieren als eine pragmatische Sprache und pragmatische Lösungen anzustreben, war für manche — ich hoffe, für nicht zu viele — Kolleginnen und Kollegen auch einmal beschwerlich. Dafür bitte ich alle, auch die GRÜNEN, um Nachsicht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich habe mich über viele Vertrauensbeweise, die manchmal sichtbar und manchmal unsichtbar waren, gefreut. Ich verlasse das Parlament ohne Groll und mit Zufriedenheit über diese Tätigkeit, um mich mit anderen, neuen Aufgaben zu befassen.
    Ich wünsche Ihnen allen persönliches Wohlergehen und vor allem dem neuen gesamtdeutschen Parlament eine gute Arbeit zum Wohle unseres schönen Landes. Dabei wäre es gut — nur noch einmal als Hinweis zum Abschluß —, ein wenig mehr über den Tellerrand des eigenen Landes hinauszuschauen.
    In diesem Sinne ein herzliches Glückauf!

    (Beifall bei allen Fraktionen!)