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    Plenarprotokoll 11/226 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 226. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abg. Dr. Sprung und Grünbeck 17801 A Erweiterung der Tagesordnung 17801 A Absetzung des Punktes 5 e von der Tagesordnung 17801 D Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung der Volkskammer über den Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über die Herstellung der Einheit Deutschlands 17872 C Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertragsgesetz — (Drucksachen 11/7760, 11/7817, 11/7831, 11/7841, 11/7920, 11/7931, 11/7932) c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses Deutsche Einheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur vereinbarten Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Regierungserklärung zur Beitrittserklärung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik und zur Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Nickels, Frau Beck-Oberdorf, Frau Hillerich, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Rust und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Beitrittserklärung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Garbe, Häfner, Hüser, Frau Kottwitz, Stratmann-Mertens, Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Demokratische, soziale und ökologische Eckpunkte zum Einigungsvertrag zu dem Antrag der Abgeordneten Stratmann-Mertens, Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN: Verabschiedung des Dritten Nachtragshaushaltsgesetzes und Verabschiedung des ersten gesamtdeutschen Haushaltsgesetzes vor den Bundestagswahlen zu dem Antrag des Abgeordneten Häfner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung des Grundgesetzes zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Beteiligung der Gewerkschaften am Vorstand und Verwaltungsrat der Treuhandanstalt zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Beteiligung der Gewerkschaften an der Kommission zur Überprüfung der Vermögenswerte aller Parteien und mit ihnen verbundenen Organisationen, juri- II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 stischen Personen und Massenorganisationen der DDR im In- und Ausland zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Deutsch-Deutsche Kulturunion (Drucksachen 11/7718, 11/7719, 11/7724, 11/7764, 11/7766 [neu), 11/7780, 11/7792, 11/7793, 11/7765, 11/7920, 11/7931) d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Überleitung von Bundesrecht nach Berlin (West) nach Fortfall der alliierten Vorbehaltsrechte (Sechstes Überleitungsgesetz) (Drucksachen 11/7824, 11/7936, 11/7937) e) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Inkraftsetzung von Vereinbarungen betreffend den befristeten Aufenthalt von Streitkräften der Französischen Republik, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin und von sowjetischen Streitkräften auf dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet nach Herstellung der Deutschen Einheit (Drucksachen 11/7763, 11/7915, 11/7916) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses Deutsche Einheit: zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Die Gemeinschaft und die deutsche Einigung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Mitteilung der Kommission: Die Gemeinschaft und die Deutsche Einigung — Auswirkungen des Staatsvertrages (Drucksachen 11/7770, 11/7755 Nr. 3.2, 11/7914) Genscher, Bundesminister AA 17803 B Wüppesahl fraktionslos (zur GO) . . . 17807 C Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 17808 D Frau Unruh fraktionslos 17814 A Dr. Schäuble, Bundesminister BMI . . . 17816C Häfner GRÜNE 17821 D Mischnick FDP 17825 C Häfner GRÜNE 17827 C Voigt (Frankfurt) SPD 17829 B Dr. Stoltenberg CDU/CSU 17831B Dr. Hornhues CDU/CSU 17832 B Frau Fuchs (Köln) SPD 17834 C Spilker CDU/CSU 17837 A Dreßler SPD 17839 D Frau Beer GRÜNE 17842 B Dr. Laufs CDU/CSU 17844 C Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 17846A Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 17848 B Frau Verhülsdonk CDU/CSU 17851 A Stobbe SPD 17852 D Dr. Rüttgers CDU/CSU 17855 A Dr. Diederich (Berlin) CDU/CSU . . . 17855 C Frau Vennegerts GRÜNE 17857 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 17858 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 17861 B Dreßler SPD 17862B, 17865 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 17862 C Frau Unruh fraktionslos 17862 D Büchler (Hof) SPD 17865 C Jäger CDU/CSU 17867 A Scheu CDU/CSU 17868 B Frau Wollny GRÜNE 17871 A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 17872 C Dr. Ehrenberg SPD 17873 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 17875 A Dr. Langner CDU/CSU 17876A Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 17877 C Frau Unruh fraktionslos 17878 B Wüppesahl fraktionslos 17880 A Stücklen CDU/CSU 17882 C Westphal SPD 17886 C Jahn (Marburg) SPD (Erklärung nach § 31 GO) 17889 C Carstens (Emstek) CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 17889 D Frau Flinner GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 17890 C Höpfinger CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 17890 D Conradi SPD (Erklärung nach § 31 GO) . 17891 C Frau Garbe GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 17892B Werner (Ulm) CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 17892 D Dr. Knabe GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 17893 D Frau Nickels GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 17894 B Frau Dr. Vollmer GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 17895 A Jahn (Marburg) SPD 17898 C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 III Namentliche Abstimmungen . 17896B, 17898D Ergebnisse 17896C, 17901A, 17902D Tagesordnungspunkt 4: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Abschlußgesetzgebung zum Lastenausgleich (Drucksache 11/7436) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Such, Frau Dr. Vollmer, Frau Nickels, Häfner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Beendigung von GenomAnalysen durch Strafverfolgungsbehörden (Drucksache 11/6092) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Baustopp für den Weiterbau der A 49 Borken—Lumda (Drucksache 11/1521) d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Umsetzung des Konzepts für die Förderung von Frauen in Entwicklungsländern (Drucksache 11/6126) e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Achter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung (Drucksache 11/7313) f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zum Thema „Der entwicklungspolitische Beitrag zur Lösung von Weltflüchtlingsproblemen" (Drucksachen 11/7352, 11/7627) g) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof: Bericht des Bundesrechnungshofes gemäß § 99 BHO über die Sicherheit der Informationsverarbeitung in Rechenzentren der Bundesverwaltung (Drucksache 11/7691) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkte 5 bis 7: ZP 5 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (Drucksache 11/7903) ZP 6 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt (Mikrozensusgesetz) und des Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke (Bundesstatistikgesetz) (Drucksache 11/7768) ZP 7 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen bei der Durchführung des Mikrozensusgesetzes vom 10. Juni 1985 (Drucksache 11/1756) 17904 C Tagesordnungspunkt 5: Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 160 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1985 über Arbeitsstatistiken (Drucksachen 11/5316, 11/7917) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wiener Übereinkommen vom 21. März 1986 über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen (Drucksachen 11/ 5728, 11/7790) c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß der Generalversammlung des Internationalen Ausstellungsbüros vom 31. Mai 1988 zur Änderung des Abkommens über Internationale Ausstellungen vom 22. November 1928 (Drucksachen 11/7188, 11/7799) d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. August 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern (Drucksachen 11/6530, 11/7888) f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Zur Verbesserung der kulturellen Lage der Deutschen in der Sowjetunion (Drucksachen 11/4755 [neu], 11/6477) g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag des Abgeordneten Sauter (Epfendorf), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Paintner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Intensivierung und Koordinierung der Agrarforschung für die Dritte Welt und in der Dritten Welt (Drucksachen 11/4211, 11/6635) IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 h) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses: Übersicht 17 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 11/7862) i) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 09 05 Titel 681 01 — Entschädigungsleistungen im Rahmen eines Ausfuhrgenehmigungsverfahrens — (Drucksachen 11/7734, 11/7863) j) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1990 bei Kapitel 10 02 Titel 656 54 — Zuschüsse zur Sicherung der späteren Altersversorgung als Arbeitnehmer bei Abgabe landwirtschaftlicher Unternehmen (Nachentrichtungszuschüsse) (Drucksachen 11/7438, 11/7864) k) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 176 zu Petitionen (Drucksache 11/7855) 1) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 177 zu Petitionen (Drucksache 11/7856) 17905 C Tagesordnungspunkt 6: a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Umwelthaftungsgesetzes (Drucksachen 11/6454, 11/7104, 11/7881) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag des Abgeordneten Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Reform des Umwelthaftungsrechts (Drucksachen 11/2035, 11/7881) Dr. Hüsch CDU/CSU 17908 A Bachmaier SPD 17909 D Kleinert (Hannover) FDP 17911 C Häfner GRÜNE 17912 D Engelhard, Bundesminister BMJ 17914 B Schütz SPD 17915 A Dr. Göhner CDU/CSU 17915 B Tagesordnungspunkt 7: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Zusatzprotokollen I und II zu den Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949 (Drucksachen 11/6770, 11/7882) Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 17917 C Verheugen SPD 17918 D Dr. Hirsch FDP 17920 B Eich GRÜNE 17921 A Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister AA 17921 C Tagesordnungspunkt 8: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer, Kleinert (Marburg) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Errichtung einer nationalen Gedenkstätte in Hadamar für die Opfer der NS- „Euthanasie" -Verbrechen (Drucksache 11/7329) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer, Frau Beer, Dr. Lippelt (Hannover), Meneses Vogl, Frau Nickels, Such und der Fraktion DIE GRÜNEN: Rehabilitierung und Entschädigung der unter NS-Herrschaft verfolgten Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und „Wehrkraftzersetzer" (Drucksache 11/ 7754) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Nickels, Frau Schoppe, Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Errichtung einer Gedenk- und Dokumentationsstätte im ehemaligen Konzentrationslager Salzgitter-Drütte (Drucksachen 11/786, 11/6517) Lüder FDP 17923B, 17927 B Frau Dr. Vollmer GRÜNE 17923 B Frau Dr. Wisniewski CDU/CSU 17925 A Lambinus SPD 17926B Carstens, Parl. Staatssekretär BMF . . . 17928B Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes (Drucksachen 11/391, 11/7928, 11/7938) 17929A Zusatztagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Frau Augustin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie des Abgeordneten Dr. Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts (Drucksachen 11/7834, 11/7935) . . . 17929 C Zusatztagesordnungspunkte 8 und 9: ZP 8 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Beteiligung der Soldaten und der Zivildienstleistenden (Beteiligungsgesetz) (Drucksachen 11/7323, 11/7550) ZP 9 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs ei- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 V nes Gesetzes zur Änderung des Personalvertretungsgesetzes und anderer Vorschriften (Drucksache 11/ 7471) 17930 A Nächste Sitzung 17930 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 17931* A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertragsgesetz — (Drucksachen 11/7760, 11/7817, 11/7831, 11/7841, 11/7920, 11/7931, 11/7932) Austermann CDU/CSU 17931* B Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . 17931* C Böhm (Melsungen) CDU/CSU 17931* D Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU . . 17931* D Cronenberg (Arnsberg) FDP 17932* A Dr. Czaja CDU/CSU und Dewitz CDU/ CSU 17932* C Engelsberger CDU/CSU 17934* D Dr. Fell CDU/CSU 17935* A Gattermann FDP und weitere Abgeordnete 17935* C Geis CDU/CSU 17935* D Dr. Götz CDU/CSU 17936* A Graf Huyn CDU/CSU 17936* D Jäger CDU/CSU und Sauter (Epfendorf) CDU/CSU 17939* B Kalisch CDU/CSU und weitere Abgeordnete 17940* A Dr. Kappes CDU/CSU 17940* B Lowack CDU/CSU 17941* A Marschewski CDU/CSU 17941* D Dr. Günther Müller CDU/CSU 17942* C Müller (Wesseling) CDU/CSU und weitere Abgeordnete 17943* A Niegel CDU/CSU 17943* D Regenspurger CDU/CSU 17944* A Rossmanith CDU/CSU 17945* A Sauer (Salzgitter) CDU/CSU 17946* B Schemken CDU/CSU 17947* D von Schmude CDU/CSU und weitere Abgeordnete 17948* B Dr. Schwörer CDU/CSU 17948* D Dr. Todenhöfer CDU/CSU 17949* A Windelen CDU/CSU 17949* D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Punkt 6 a und b der Tagesordnung (Umwelthaftungsgesetz, Antrag zur Reform des Umwelthaftungsrechts) 17950* B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes) 17950* C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatztagesordnungspunkt 11 (Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts) 17953* C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu den Zusatztagesordnungspunkten 8 und 9 (Beteiligungsgesetz, Gesetz zur Änderung des Personalvertretungsgesetzes und anderer Vorschriften) 17955* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17801 226. Sitzung Bonn, den 20. September 1990 Beginn: 9.02 Uhr
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    *) Anlage 6 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17931* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Brauer GRÜNE 20.09.90 Büchner (Speyer) SPD 21. 09. 90 * Clemens CDU/CSU 21.09.90 Frau Faße SPD 21. 09. 90 Kalisch CDU/CSU 21.09.90 Kolb CDU/CSU 21.09.90 Dr. Müller CDU/CSU 21. 09. 90 * Niegel CDU/CSU 20. 09. 90 * * Paintner FDP 21.09.90 Reuschenbach SPD 21.09.90 Schäfer (Mainz) FDP 21. 09. 90 Schäfer (Offenburg) SPD 21. 09. 90 Schulze (Berlin) CDU/CSU 21. 09. 90 Sieler (Amberg) SPD 20. 09. 90 Frau Trenz GRÜNE 21. 09. 90 Wischnewski SPD 21.09.90 Dr. Zimmermann CDU/CSU 21. 09. 90 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertragsgesetz — (Drucksachen 11/7760, 11/7817, 11/7831, 11/7841, 11/7920, 11/7931, 11/7932) Erklärung des Abgeordneten Austermann (CDU/CSU): Mit dem großartigen Einigungswerk wird ein Traum für die überwiegende Mehrheit der Deutschen in der neuen Bundesrepublik erfüllt. Der diese Einigung gestaltende Einigungsvertrag enthält allerdings mehrere Aussagen, die verschiedene Auslegungen zulassen. Ich stimme dem Vertrag mit dem Vorbehalt — daß nach dem interlokalen Recht auch für die DDR im Strafrecht das Wohnortprinzip gilt, soweit Verfassungsregelungen (Art. 1, 79 GG) tangiert werden, — daß die Fragen der Entschädigung für Enteignungen auf dem Gebiet der DDR von 1945 bis 1949 vom neugewählten Bundestag neu aufgegriffen und unter Beachtung des in der Bundesrepublik geltenden Verfassungsrechtes entschieden werden, — meiner Erklärung vom 21. Juni 1990 zu. Anlagen zum Stenographischen Bericht Erklärung des Abgeordneten Dr. Becker (Frankfurt) (CDU/ CSU) : Ausdrücklich begrüße ich die Aufhebung der Teilung Deutschlands in Frieden und Freiheit. Mir ist bewußt, daß diese Einheit nur unter Opfern zu erreichen ist. Deshalb stimme ich trotz mancher erheblicher Bedenken dem Einigungsvertragsgesetz zu. Meine Bedenken richten sich insbesondere gegen Regelungen zu Vermögensfragen und zu Abtreibungsfragen im DDR-Gebiet. In meiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, aus meinen Erfahrungen als Arzt und der Ehrfurcht vor dem Leben, aus den Erkenntnissen über den frühen Beginn und die Nichtverfügbarkeit des Lebens und der Wertordnung über den Vorrang des Lebens von Beginn bis zu seinem Ende vor anderen Rechten einschließlich des Selbstbestimmungsrechtes und aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Nichtvereinbarkeit der Fristenregelung mit dem Grundgesetz lehne ich die Fristenregelung ab. Mir ist bewußt, daß diese Bedenken vor dem Einigungsvertrag gesetzlich nicht mehr ausräumbar sind und erkenne die Verbesserung des Art. 31 Abs. 4 im Einigungsvertrag an. Erklärung des Abgeordneten Böhm (Melsungen) (CDU/CSU): Bei meiner Zustimmung zum Einigungsvertrag gehe ich im Hinblick auf die Aufnahme eines neuen Art. 143 Abs. 3 in das Grundgesetz davon aus, daß das zu wählende gesamtdeutsche Parlament das Problem der Enteignungsmaßnahmen von 1945 bis 1949 in einer Form aufgreift, die der Feststellung des damaligen Vorsitzenden der CDU in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, Jakob Kaiser, gerecht wird, der 1947 erklärte: Die Union hat ja gesagt zur Enteignung der Kriegsverbrecher und Aktivisten. Sie hat nicht ja gesagt dazu, daß darüber hinaus Enteignungsaktionen durchgeführt werden, die eine radikale Änderung der sozialwirtschaftlichen Struktur der Ostzone weit über den Bereich der Kriegsverbrecher und Aktivisten hinaus bewirken und die noch immer mit rigorosen Mitteln unter extensiver Anwendung von Denazifierungsvorschriften fortgesetzt werden. Diese einseitige Praxis entspricht dem politischen Endziel der SED, nicht aber dem Grundsatz einer wohlverstandenen Zusammenarbeit. Erklärung des Abgeordneten Carstensen (Nordstrand) (CDU/ CSU): Ich freue mich über die Vereinigung Deutschlands und stimme dem Einigungsvertrag zu. Ich erwarte allerdings vom neuen gesamtdeutschen Parlament und von den Ländern auf dem Gebiet der DDR eine befriedigende Lösung der Fragen, die die Unrechts- 17932* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 enteignungen in der Zeit von 1945 bis 1949 betreffen. Bei Einzelabstimmung über die Grundgesetzänderung, die diese Unrechtsenteignungen sanktioniert, hätte ich dieser ohne die Zusage einer Entschädigungsregelung nicht zustimmen können. Erklärung des Abgeordneten Cronenberg (Arnsberg) (FDP): Freudig stimme ich dem Gesetz zum Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungsvertragsgesetz zu. Dies bedeutet aber kein Einverständnis mit der dort für das Gebiet der Noch-DDR zunächst beibehaltenen Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch. Im Grundgesetz sind wir ganz bewußt die Verpflichtung eingegangen, jedes menschliche Leben unterschiedslos zu schützen, auch das im Mutterleib. Dies schließt nach meiner Überzeugung die Verfügungsmacht des Menschen über dieses Leben aus, auch eine zeitlich begrenzte Verfügungsmacht über noch ungeborenes Leben im Rahmen der Fristenregelung. Die Strafandrohung ist die Konsequenz des ernsthaften Willens unserer Gesellschaft, dieser Schutzpflicht zu entsprechen. Dabei sollte die Ausgestaltung des Strafrechts individuellen Konfliktlagen Rechnung tragen. Der Ausschluß der Strafbarkeit beim Vorliegen einer in einem vorgeschriebenen Verfahren festgestellten Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch resultiert aus der Erkenntnis, daß strafrechtliche Sanktionen nur als letztes Mittel zum Schutz des ungeborenen Lebens in Betracht kommen. Die praktizierte Interpretation der sogenannten sozialen (Notlagen-)Indikation, erst recht aber eine globale Fristenlösung wird meines Erachtens weder der Verpflichtung zum Schutz des ungeborenen Lebens noch der Konfliktlage der Schwangeren gerecht. Ist die Strafandrohung vom Grundsatz her zum Schutz des Lebens auch unverzichtbar, so kann sie gleichwohl nur allerletztes Mittel sein. Um ungeborenes Leben wirksam zu schützen, der Schwangeren in ihrer sozialen und psychischen Konfliktsituation zu helfen und ihren Mut und Willen zu stärken, das Kind auszutragen, bedarf es erheblich weitergehender Maßnahmen. Dazu gehören Angebote zu ernsthafter Beratung und angemessener Hilfe, wie sie beispielsweise die Stiftung Mutter und Kind erbringt. Statt schwer voraussehbarer Ermessensentscheidungen sind klare Rechtsansprüche der Schwangeren auf bestimmte Leistungen erforderlich. Durch Novellierung des Adoptionsrechts muß einer werdenden Mutter bei ungewollter Schwangerschaft eine Alternative zum Schwangerschaftsabbruch geboten werden, die ihre Wege aus der Konfliktlage ermöglicht, ohne sie in ihrer Freiheit anzutasten. Ganz wichtig ist auch, die immer noch vorhandenen Tendenzen zur Diskriminierung der Mütter, die bereit sind, ihr Kind zur Adoption freizugeben, wie auch der nichtverheirateten Mutter und des nichtehelichen Kindes in der Gesellschaft abzubauen. Die Kirchen, die sich unlängst wieder deutlich zur Beibehaltung des strafrechtlichen Schutzes des ungeborenen Lebens durch den Staat bekannt haben, müssen sich auch selbst fragen, ob sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Notwendige getan haben, um diese Diskriminierungen abzubauen. Auch der verkrampfte Umgang mit der Sexualität und die Unkenntnis über die Möglichkeiten der Verhütung ungewollter Schwangerschaften haben häufig genug ihre Ursache im kirchlichen Erziehungseinfluß. Auch hier muß deshalb helfende Beratung einen noch größeren Stellenwert erhalten. Unterschiedliches Recht im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen ist im einigen Deutschland — jedenfalls auf Dauer — weder im Bereich der Strafbarkeit noch im Bereich von Hilfe und Beratung hinnehmbar. Zeitlich und räumlich begrenzte Übergangsregelungen für den beitretenden Teil Deutschlands kann es nur mit dem Ziele geben, dem im ganzen Deutschland vom Grundgesetz geforderten Schutz des ungeborenen Lebens in bestmöglicher Weise zu entsprechen. Erklärung der Abgeordneten Dr. Czaja und Dewitz (beide CDU/CSU) I. Grundposition Wir wollen den raschen Zusammenschluß zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Unser immer als hervorragend bezeichnetes Grundgesetz soll gemäß Art. 23 GG auf die Länder der DDR erstreckt werden. Der Beitrittsbeschluß der Volkskammer soll am 3. Oktober wirksam werden. Die Volkskammer hat dies am 23. August 1990 mit Erwartungen verbunden, aber nicht mit einer unabdingbaren Voraussetzung. In den Einigungsvertrag sind mehrere fundamentale Grundgesetzänderungen unlösbar eingefügt. Vier Bereichen dieser Grundgesetzänderungen können wir in unserer politischen und rechtlichen Verantwortung für Deutschland und die Deutschen, für eine dauerhafte Nachkriegs- und Friedensordnung in Europa, für einen glaubwürdigen Ausgleich mit den Nachbarn nicht zustimmen. Da das Begehren einzelner Abgeordneter, diese fundamentalen Grundgesetzänderungen aus dem Einigungsvertrag zwecks sorgfältiger Beratung und getrennter Abstimmung herauszulösen, im Organstreit vom Bundesverfassungsgericht verworfen wurde, sehen wir uns zu unserem Bedauern gezwungen, dem Einigungsvertrag unsere Zustimmung zu versagen. Wir haben seit vielen Jahren politisch für diese wichtige Stufe der Wiedervereinigung, des Zusammenschlusses auch der Länder der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in freier staatlicher Einheit, gekämpft. Deutschland besteht nach Art. 23 GG aus mehreren Teilen. Im Rechtsgehorsam gegenüber der Verfassung, in der Verantwortung vor unserer Geschichte und einer glaubwürdigen und ausgleichenden europäischen Friedensordnung müssen wir die fundamentalen Veränderungen unseres erprobten Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17933* Grundgesetzes und unserer politischen Zielvorstellungen ablehnen. Das Völkerrecht eröffnet die Möglichkeit und die Hoffnung auf friedlichen Wandel. II. Im einzelnen Vier Bereiche der Grundgesetzänderungen versuchen „verfassungswidriges Verfassungsrecht" zu schaffen. 1. Art. 1 des Grundgesetzes muß bestandsfest und unangetastet bleiben. Der Kerngehalt aller Grundrechte ist darin begründet. Die beabsichtigte Minderung des vom Bundesverfassungsgericht verbindlich ausgelegten Schutzes des noch nicht geborenen, völlig wehrlosen Kindes auf unbestimmte Zeit, der Anspruch, die furchtbare Abtreibung von wehrlosen Geschöpfen innerhalb von Fristen in Teilen Deutschlands weiter zu praktizieren, die weitere Erschütterung des Rechtsgehorsams, der Ausschluß der sofortigen Anwendung der Art. 1 und 2 GG auch für das ungeborene Kind in ihrer verbindlichen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht im ganzen Geltungsbereich der Verfassung kann nicht hingenommen werden. Es kann von Verfassungs wegen keinen Rechtstitel und keine rechtliche Begründung dafür geben, daß das ungeborene Kind nicht von Anfang an durch das Recht, insbesondere das Verfassungs-, Sozial- und Strafrecht, geschützt ist. Deshalb ist der Einigungsvertrag von einem ethisch höchst bedenklichen Einbruch begleitet. 2. Von Verfassungs wegen haben die Organe der Bundesrepublik Deutschland die Grundrechte Deutscher gegenüber jeder, auch fremder Willkür mit allen rechtlich zulässigen Mitteln zu schützen. Dies gilt auch für den Schutz von Eigentum. Die entschädigungslose Konfiskation rechtmäßig erworbenen Vermögens, u. a. auch aus nationalen Gründen, ist völkerrechtswidrig. Widerspruchslose Hinnahme bedeutet auch stillschweigende Billigung des Unrechts, das viele deutsche Staatsangehörige in der DDR erlitten haben. Statt die Rückgabe oder eine zumutbare Entschädigung für jedes rechtswidrig konfiszierte Eigentum durchzusetzen, wird vieles völlig preisgegeben. Dieses willkürliche Verhalten muß zu erheblichen Entschädigungsansprüchen wegen unterlassenen Schutzes führen. Wir lehnen dies auch wegen eines möglichen Präjudizes bei Verhandlungen mit den Vertreiberstaaten ab, was Millionen deutsche Heimatvertriebene schwer treffen müßte. Bei beabsichtigten Gebietsabtretungen aber müssen alle Individualrechte der betroffenen Deutschen, auch ihre Eigentumsrechte, von Deutschland in den Verhandlungen geregelt werden. 3. Die Neufassung von Art. 146 GG ermöglicht die völlige Beseitigung des geltenden Grundgesetzes: sie sichert nicht einmal ausdrücklich seine bestandsfesten Teile: sie öffnet u. U. den Weg für eine Volksabstimmung über einen mit einfacher Mehrheit verabschiedeten neuen Verfassungsentwurf. Das Grundgesetz hat sich außerordentlich bewährt. Es genießt auch im Ausland hohes Ansehen. Wir wollen unsere freiheitlich-rechtsstaatliche Ordnung erhalten, sie freiheitlich, sozial und im Rechtsgehorsam in einem freiheitliche und enge Zusammenarbeit sichernden europäischen Staatenbund entfalten. Wir wollen keine Möglichkeiten für eine völlig neue Grundordnung und eine „neue Republik" eröffnen. Übrigens sieht der 2+4-Vertrag „in bezug auf Deutschland" den Wegfall von Art. 146 GG vor. 4. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist nach Ratifizierung des Politischen UN-Menschenrechtspaktes völkerrechtliches Jus cogens. Wo ein Volk in einem Staat organisiert ist, gilt es für das Staatsvolk. Verträge, die es verletzen, sind nach Art. 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention null und nichtig. Das Selbstbestimmungsrecht des ganz en Deutschen Volkes kann durch zwei von mehreren Teilen Deutschlands weder präjudiziert noch vollendet werden. Nach Art. 23 GG besteht Deutschland nicht nur aus zwei, sondern aus mehreren Teilen. Nach den verbindlichen Erklärungen der Siegermächte, insbesondere der Verbündeten, soll in „frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelungen" , die von Deutschlands Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 ausgehen, ihn jedoch nicht garantieren, der zukünftige Gebietsstand Deutschlands festgelegt werden. Eine Abänderung z. B. von Art. 7 Abs. 1 des Deutschlandvertrages ist bisher nicht bekanntgegeben worden; das geltende Wahrungsgebot des Grundgesetzes zugunsten ganz Deutschlands hätte keine Zustimmung deutscher Staatsorgane dazu gestattet. Art. 25 GG sichert innerstaatlich den Vorrang des völkerrechtlichen Jus cogens vor allen anderen Gesetzen (auch Vertragsgesetzen). Deswegen ist die in Art. 4 vorgesehene Änderung der Präambel des Grundgesetzes einschließlich der Streichung von Art. 23 GG unzulässig und würde „verfassungswidriges Verfassungsrecht" schaffen. Wir verteidigen die freie Selbstbestimmung des ganz en deutschen Volkes. Art. 4 verstößt in gravierender Weise gegen das Selbstbestimmungsrecht des ganzen deutschen Volkes, das — wie die Bundesregierung noch kürzlich zusammen mit dem Bundestag beim Bundesverfassungsgericht vortrug — „aus der Summe aller deutschen Staatsangehörigen" besteht. Der Verfassungsauftrag richtet sich nicht auf die staatliche Einheit „der Deutschen" , sondern — wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 18. September 1990 feststellte — auf „die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands". Deutschland ist aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehr als die Bundesrepublik Deutschland, die DDR und Berlin. Zu Recht hat in diesem Zusammenhang das Bundesverfassungsgericht am 18. September 1990 die DDR „als einen Teil Deutschlands im Sinne von Art. 23 Satz 2 GG" bezeichnet. 17934* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 Die Streichung von Art. 23 würde nichts daran ändern, daß nach Art. 25 GG das Selbstbestimmungsrecht des ganzen deutschen Volkes, das ohne territoriales Substrat undenkbar ist, als allgemeine Regel des Völkerrechts fortbesteht und die Verfassungsorgane bindet. Auch nach dem grausamen Krieg mit furchtbaren Untaten — deren große Zahl auf deutscher Seite wir ebensowenig leugnen, wie wir Untaten an Deutschen verschweigen — , nach der militärischen Kapitulation Deutschlands und den fortdauernden Unrechtsfolgen der grausamen Massenvertreibung muß in zähen Verhandlungen ein tragfähiger Kompromiß zwischen den Ansprüchen der Sieger und den Rechten der Deutschen ausgehandelt und vom gesamtdeutschen Souverän in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht verfassungskonform angenommen werden. Wir widersprechen der rechtswidrigen Selbstverstümmelung Deutschlands mit Mehrheiten zweier Parlamente durch totale Preisgabe Ostdeutschlands ohne gleichzeitige Gewährleistung der personalen Rechte der vertriebenen Deutschen. Das Junktim, Beitritt der DDR-Länder nur bei totaler Preisgabe Ost-Deutschlands, erweckt nicht den Eindruck freier Entscheidungen. Wir lehnen dies auch wegen der verheerenden politischen Folgen ab. Praktisch folgen in den Vertreibungsgebieten auf die völkerrechtswidrige Massenvertreibung Gebietsübertragungen: Man vertreibe grausam Millionen Menschen, siedle andere — nicht selten unter Druck — im Vertreibungsgebiet an und legalisiere dies durch Gebietsübertragung — das muß verheerende rechtliche, politische und moralische Folgen bei ähnlichen Konflikten in der Welt haben. Damit sollte ein deutscher „Einigungsvertrag" nicht belastet werden. Er sollte nicht die Möglichkeit eröffnen, daß die Sieger sich dabei auf den eigenen Willen der Deutschen berufen. Der „Einigungsvertrag" will von dem der Weimarer Republik im Versailler Vertrag belassenen Deutschland ein Viertel des Gebietes amputieren, ohne zähe Verhandlungen über einen tragfähigen Ausgleich in differenzierten Lösungen, die wir insbesondere, wie die USA und Großbritannien es schon bei den Außenministerkonferenzen 1947 taten, in einem freien europäischen Gemeinwesen zweier autonomer Volksgruppen in einem Teil des umstrittenen Gebietes begrüßen würden. Winston Churchill sagte für den Fall eines „Rumpfdeutschlands" durch eine solche Amputation einen schweren Unruheherd für Europa voraus. Ungerechte Verträge sind nur durch friedlichen Wandel, d. h. durch bessere Abkommen zu ersetzen. Emotionen, aber auch die Not daheim könnten die stufenweise Verwirklichung differenzierter Lösungen ermöglichen, die mit der freien personalen Zusammenarbeit von Fachleuten zur Überwindung der Not beginnen könnten. Wir bedauern es, daß der Einigungsvertrag nicht ausdrücklich den Weg für bessere Lösungen im europäischen Rahmen an der beabsichtigten deutschen Ostgrenze offen läßt und andeutet. Wir halten auch politisch, rechtlich und moralisch daran fest, daß die einfache Anerkennung der Faktizität nicht rechtlich fundierte Regelungen und den Rechtsgehorsam ersetzen kann. Dazu und zu Strukturen des Ausgleichs beziehen wir uns auf die Erklärung nach § 31 GO mehrerer Abgeordneter am 21. Juni 1990 (Anlage 2 des Bundestagsprotokolls). 5. Wir vermissen ferner die Gewährleistung des aktiven Wahlrechts für deutsche Staatsangehörige in den Teilen Deutschlands jenseits von Oder und Neiße bei einer historisch einmaligen Wahl, an der das g a n z e Deutsche Volk beteiligt werden soll. Ebenso fehlt eine angemessene Kriegsfolgenregelung für Vertriebene in den DDR-Ländern, um so mehr, als dies berechtigterweise für rassisch, religiös und politisch Verfolgte im Sinne des BEG und des Bundesrückerstattungsgesetzes erfolgen soll. Wir bekennen uns zur sittlichen Pflicht der Liebe zu Heimat, Volk und Vaterland. Wir werden dem freien Zusammenschluß von West- und Mitteldeutschland in einem freien, „europäischen" Deutschland dienen, um wirksame Selbstverwaltung der deutschen Volksgruppen in anderen Staaten uns bemühen und nach auch für die Deutschen besseren Verträgen in einem ganzen freien Europa streben. Wir sagen daher auch ja zu einem gerechten Ausgleich, aber nein zur totalen Preisgabe der Heimat der deutschen Vertriebenen. Erklärung des Abgeordneten Engelsberger (CDU/CSU): Nach der ablehnenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Organklage stimme ich trotz erheblicher Bedenken dem Vertragswerk zu. Ich hatte mich an der Organklage beteiligt, weil die Verknüpfung des Einigungsvertrags mit Grundgesetzänderungen den Abgeordneten die Möglichkeit nimmt, im einzelnen über diese Grundgesetzänderungen zu entscheiden. In der deutschen Einigung sehe ich einen geschichtlichen Vorgang und bin nach Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten gegen die Form der Abstimmung unter Hintanstellung gewichtiger Bedenken zu einem positiven Votum bereit. Die Bedenken bestehen hinsichtlich folgender Regelungen: 1. Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze Die Streichung des Art. 23 aus dem Grundgesetz, der den Beitritt weiterer deutscher Gebiete ermöglicht und dessen Aufhebung die bedingungslose Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze beinhaltet, wird von mir abgelehnt, da die Entscheidung hierfür nur unter dem Druck der Wiedervereinigung zustande gekommen ist. Auf Unrecht läßt sich keine endgültige Friedensordnung aufbauen. Der Verzicht Polens auf weitere Forderungen und die Gewährung von Niederlassungsfreiheit östlich von Oder und Neiße könnten allerdings einen wichtigen Beitrag zu dieser Friedensordnung leisten. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17935* 2. Enteignungen Nicht akzeptabel ist für mich die Anerkennung der 1945 bis 1949 von den Sowjets vorgenommenen Enteignungen. Hier wird jedes Rechtsgefühl verletzt; denn warum sollten die von den russischen Kommunisten durchgeführten Enteignungen rechtlich anders behandelt werden als die, die von den deutschen Kommunisten unter Ulbricht und Honecker vorgenommen worden sind? Wenn auch viele Enteignungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können, muß mindestens über eine angemessene Entschädigung verhandelt werden. 3. Abtreibungsrecht Ebenfalls lehne ich die Regelung des Abtreibungsrechtes (§ 218) ab. Daß für das Gebiet der bisherigen DDR eine Übergangsregelung gelten soll, kann hingenommen werden. Daß aber für westdeutsche Frauen auf dem Gebiet der DDR das kommunistische DDR-Recht gilt und daß, wenn es innerhalb der Übergangsfrist zu keiner Einigung kommt, in den ostdeutschen Bundesländern weiterhin die Fristenlösung gelten soll, ist nicht akzeptabel. Einer willkürlichen Tötung ungeborenen Lebens, wie sie die kommunistische Fristenlösung zuläßt, kann ich unter keinen Umständen zustimmen. Erklärung des Abgeordneten Dr. Fell (CDU/CSU): Ich begrüße die deutsche Einigung. Der Einigungsvertrag bringt den Menschen in der DDR die Freiheit, die Chance auf demokratische und persönliche Selbstverwirklichung. Die Vollendung der deutschen Einheit ist für die Erfüllung jahrzehntelanger Sehnsucht der Deutschen in Ost und West. Dies begrüße ich sehr. Trotzdem kann ich dem Einigungsvertrag nicht zustimmen. Abweichend von den ersten Überlegungen sieht der Vertrag in Art. 31 Abs. 4, letzter Satz, vor, daß das heute in der DDR geltende materielle Recht (Fristenlösung mit einem Rechtsanspruch auf Abtreibung) ab 1. Januar 1993 weitergelten wird, wenn es dem Gesetzgeber nicht gelingen sollte, bis Ende 1992 eine verfassungskonforme Neuregelung für die Lösung von Schwangerschaftskonflikten und den Schwangerschaftsabbruch in Kraft zu setzen. Jede Fristenlösung steht aber im Widerspruch zum Grundgesetz. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 hat dies eindeutig und eindrucksvoll bestätigt. Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, durch Zustimmung zum Vertrag die Fristenlösung im Gebiet der heutigen DDR auch über die Übergangsfrist des Art. 4 des Vertrages hinaus ausdrücklich in Kraft zu setzen und damit entgegen dem materiellen Verfassungsrecht den Schutz der ungeborenen Kinder preiszugeben. Mindestens bis zu einem die Verfassungswidrigkeit feststellenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts hätte diese Fristenlösung den Schein der Legalität für sich. Dies kann ich nicht verantworten, dies lehne ich ab. Der Lebensschutz muß ohne Einschränkung gewährleistet werden. Erklärung der Abgeordneten Gattermann, Dr. Solms, Heinrich, Dr. Thomae, Neuhausen, Seiler-Albring, Würfel, Folz-Steinacker, Dr. Weng, Paintner, Grüner, Bredehorn, Gallus, Grünbeck, Dr. Hitschler, Kleinert (Hannover), Cronenberg (Arnsberg), Beckmann, Ronneburger, Zywietz, Kohn, Timm, Dr. Ing. Laermann, Nolting, Richter, Rind, Lüder, Dr. Hoyer, Dr. Segall, Irmer, Gries, Dr. Feldmann (alle FDP): Die FDP ist als Rechtsstaatspartei den Grundrechten, also auch der Eigentumsgarantie verpflichtet. Deshalb können wir die getroffenen Regelungen für die Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 auf dem Gebiet der DDR als Festschreibung von Unrecht nicht unkorrigiert hinnehmen. Die Regierung de Maizière hat ihre Zustimmung zur Rückgängigmachung der Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage verweigert. Darüber hinaus hat die Regierung der Sowjetunion deutlich gemacht, daß sie zwischen unserer Haltung in dieser Frage und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten einen wichtigen Zusammenhang sieht. Um die Einigung nicht zu gefährden, stimmen wir dennoch der Regelung in der vorliegenden Fassung zu. Denn auf Drängen der FDP ist die Formulierung aufgenommen worden, daß die Enteignungen von 1945 bis 1949 als Ergebnisse der historischen Entwicklung von der Bundesregierung nicht gebilligt, sondern lediglich zur Kenntnis genommen werden und daß dem gesamtdeutschen Parlament vorbehalten bleibt, abschließende Entscheidungen über staatliche Ausgleichsleistungen zu treffen. Wir bekräftigen für die FDP die Entschlossenheit, darauf hinzuwirken, daß angemessene Ausgleichsleistungen für die unrechtmäßigen Enteignungen in der DDR zwischen 1945 und 1949 im gesamtdeutschen Parlament beschlossen und in Kraft gesetzt werden. Ausgleichsleistungen sind nach unserer Überzeugung nicht nur Geldzahlungen, sondern auch Vorkaufsrechte, Pachtrechte, Rückgaben an und von Grund und Boden und anderen Gegenständen, wo immer das technisch möglich ist und keine gutgläubig erworbenen Nutzungsrechte oder Eigentumsrechte Dritter verletzt werden. Dabei geht es uns nicht nur um wirtschaftliche Wiedergutmachung: Es geht um die Idee des Eigentumsrechtes. Der liberale Rechtsstaat gebietet allen, vor allem sich selbst, bestimmte Sachen und bestimmte Rechte als einem bestimmten Individuum gehörig unverbrüchlich zu achten. Dieser Grundsatz darf auch in der Stunde der deutschen Wiedervereinigung, in der Stunde des Beitritts des östlichen Teil Deutschlands zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht verletzt werden. Erklärung des Abgeordneten Geis (CDU/CSU): Der Einigungsvertrag stellt mich vor einen kaum lösbaren Konflikt. Auf der einen Seite geht es darum, durch den Einigungsvertrag einen raschen Vollzug der deutschen Einigung einzuleiten, ohne auf den langwierigen Prozeß der Überleitung unserer Gesetze auf das Gebiet der DDR angewiesen zu sein. Auf der anderen Seite findet sich in dem Vertrag die Vereinbarung, daß die in der DDR seit 1972 praktizierte Fri- 17936* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 stenregelung beim Schwangerschaftsabbruch zunächst beibehalten werden soll. Diese Fristenregelung aber ist nach den Grundsätzen, die unser Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 25. Februar 1975 aufgestellt hat, mit unserem Grundgesetz nicht zu vereinbaren. Nach einer langen Zeit der Abwägung, in welcher mir die Gründe für den Vertrag zu stimmen, zu überwiegen schienen, habe ich mich für dessen Ablehnung entschieden. Ich will damit keinen Zweifel daran lassen, daß ich gegen jede auch nur vorübergehende Rücknahme der Verpflichtung des Staates bin, den Menschen in seiner ersten Lebensphase auch mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen. Damit ändert sich nichts an der Kritik gegen die in der Bundesrepublik bestehende Indikationsregelung. Erklärung des Abgeordneten Dr. Götz (CDU/CSU) : Die Abstimmung über den Einigungsvertrag stellt mich vor einen nicht lösbaren Gewissenskonflikt. Einerseits möchte ich dem Vertrag zustimmen, weil ich die nationale Einheit Deutschlands von ganzem Herzen wünsche, andererseits kann ich die in diesem Vertrag enthaltene Regelung zum Schutz ungeborener Kinder aus religiöser Überzeugung und verfassungsrechtlichen Gründen nicht akzeptieren. Es ist vorgesehen, daß auf dem Gebiet der heutigen DDR die bisher geltende Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch ohne Pflichtberatung weiterbesteht. Damit wird die willkürliche Tötung ungeborenen Lebens erstmals auch vom Deutschen Bundestag als Gesetzgeber — wenn auch nur übergangsweise und nur für einen Teil Deutschlands — für straffrei erklärt. Ich halte diese Regelung mit dem durch den Einigungsvertrag neu ins Grundgesetz aufzunehmenden Art. 143 nicht für vereinbar. Dieser Artikel verbietet — auch für die zweijährige Übergangszeit — Abweichungen vom Grundgesetz, die gegen die Art. 19 Abs. 2 — Kernbereichsgarantie für Grundrechte — und Art. 79 Abs. 3 — in Verbindung mit Art. 1: Menschenwürde — verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 25. Februar 1975 die Verfassungswidrigkeit der damaligen Fristenregelung, die immerhin eine Pflichtberatung vorsah, auch auf die Verletzung dieser beiden Bestimmungen des Grundgesetzes gestützt. Die Fristenregelung, wie sie in der DDR besteht, ist deshalb unzweifelhaft ebenfalls verfassungswidrig und mit Art. 143 GG unvereinbar. Hinzu kommt, daß der neu in den Vertrag aufgenommene Art. 31 Abs. 4 vorsieht, daß die materiellen Bestimmungen der DDR-Fristenregelung auch über die zweijährige Übergangszeit hinaus fortgelten sollen, sofern der Gesetzgeber bis zu deren Ablauf keine Neuregelung des strafrechtlichen Schutzes des Lebens ungeborener Kinder zustande gebracht hat. Ich erkenne an, daß Art. 31 mit seiner Verpflichtung für den gesamtdeutschen Gesetzgeber, ein verfassungskonformes Lebensschutzrecht zu schaffen, einen Fortschritt gegenüber der ursprünglich beabsichtigten Regelung bedeutet. Dennoch können damit meine grundsätzlichen Bedenken nicht ausgeräumt werden. Erstens ist es eher unwahrscheinlich, daß sich der gesamtdeutsche Gesetzgeber innerhalb von zwei Jahren mehrheitlich auf eine verfassungskonforme Lösung einigt, so daß die DDR-Fristenregelung darüber hinaus ihre Gültigkeit behält. Zum anderen kann ich mich auch nicht übergangsweise mit einer Lösung einverstanden erklären, die hilfloses Menschenleben der staatlichen Einheit opfert. Das Menschenleben hat eine höhere verfassungsrechtliche Rangstelle als die staatliche Einheit, weil Leben göttlichen Ursprungs und die staatliche Organisation Menschenwerk ist. Über den Einigungsvertrag wird das Leben des ungeborenen Kindes zukünftig auch auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik dem grundgesetzlichen Schutz entzogen. Praktisch gilt ab sofort die Fristenregelung in ganz Deutschland, da das gewohnheitsrechtlich geltende interlokale Strafrecht mit seinem Tatort-Prinzip beibehalten wird. Dies ermöglicht Bundesbürgern ein Unterlaufen des bisher geltenden Indikationenstrafrechts und vereitelt damit dessen ohnehin schon unzulängliche praktische Anwendbarkeit. Besser wäre es gewesen, den Neubeginn der staatlichen Einheit nicht mit der Schwächung des Lebensschutzes zu befrachten, sondern ein verfassungsmäßiges Recht auf staatliche Unterstützung für schwangere Frauen und eine strafrechtliche Mitverantwortung für Väter zu statuieren. Ich bedauere es sehr, daß es nicht möglich war, über eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts eine getrennte Abstimmung von Grundgesetzänderungen und Kernvertrag herbeizuführen. So bleibt mir nach Abwägung der Rechtsgüter „Menschenleben" und „staatliche Einheit" nichts anderes übrig, als den Einigungsvertrag abzulehnen. Eine andere Entscheidung könnte ich nicht vor meinem Gewissen verantworten. Ich bekunde meinen Respekt vor allen Kolleginnen und Kollegen, die zu einem anderen Entschluß gekommen sind und danke der Bundesregierung für ihre großen politischen Leistungen auf dem Weg zur deutschen Einheit. Erklärung des Abgeordneten Graf Huyn (CDU/CSU): Ich lehne den Einigungsvertrag aus folgenden Gründen, die zum Teil schwerwiegende Gewissensgründe sind, ab: 1. Ich bin stets für die Herstellung der deutschen Einheit in Freiheit eingetreten. Die Herstellung der Einheit Deutschlands bedarf aber dieses Vertrages nicht. Im Gegenteil: Die Einheit kommt durch die Beitrittserkärung gemäß Artikel 23 Grundgesetz zustande. Zur Erstreckung der Geltungskraft des Grundgesetzes auf die Länder Mitteldeutschlands ist lediglich ein Inkraftsetzungsgesetz erforderlich. Der sogenannte Einigungsvertrag verkürzt demgegenüber entscheidende Rechte unseres Grundgesetzes. Ohne Einigungsvertrag ist daher der Deutschen Einheit besser gedient. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17937* 2. Dem Deutschen Bundestag und allen seinen Abgeordneten wird zugemutet, durch eine einzige Stimmabgabe über ein Vertragswerk von etwa 1 000 Seiten einschließlich einer ganzen Reihe schwerwiegender Verfassungsänderungen pauschal zu entscheiden. Dies verletzt meiner Meinung nach die Rechte der Abgeordneten und des gesamten Hohen Hauses. 3. Es widerspricht von Grund auf unserer freiheitlichen Rechtsordnung, wenn Elemente marxistisch-leninistischen Unrechts, die unserer Verfassung und den in ihr enthaltenen unabänderlichen und unveräußerlichen Grundrechten widersprechen, übernommen, gerechtfertigt oder nachträglich legalisiert werden sollen. Hierzu gehört insbesondere, aus der Abtreibung — also der Tötung ungeborenen Lebens — ein „Recht" zu machen oder der „Entzug der Grundrechte aus Opportunität", wie Prof. von Arnim zur Frage der Enteignung feststellt, wo der Deutsche Bundestag im Wege einer Verfassungsdurchbrechung die gezielte kollektive Entrechtung, die seinerzeit die Kommunistische Partei vorgenommen hat, vollenden soll. Dadurch würde das wiedervereinigte Deutschland buchstäblich „auf der Legalisierung schwerster Menschenrechtsverletzungen gegründet werden" (Prof. Kimminich). Dies ist nur der innenpolitische Teil einer Zangenbewegung, die uns von der westlichen, freiheitlichen Wertegemeinschaft zu entfernen und uns gemeinsam mit Teilen der außenpolitischen Zusatzverträge zunehmend in ein unübersehbares Abhängigkeitsnetz gegenüber der Sowjetunion politisch und finanziell einzubinden droht. 4. Entscheidend ist die Wahrung des Schutzes des ungeborenen Lebens. Hierzu haben am 30. August 1990 der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Lehmann, und der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Kruse, in einer gemeinsamen Erklärung festgestellt, „daß die geltende Fristenregelung der DDR mit den fundamentalen Überzeugungen des christlichen Glaubens und der Kirche nicht vereinbar ist. Sie widerspricht auch dem Grundgesetz und seiner Auslegung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975". Hier muß gemäß der unveräußerlichen Grundrechte und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jegliche Annäherung an eine Fristenlösung ausgeschlossen werden. Das von Ulbricht erlassene DDR- „Recht" auf Abtreibung widerspricht dem vom Grundgesetz garantierten Menschenrecht auf Leben, das jede vorsätzliche Tötung Unschuldiger verbietet. Das Bundesverfassungsgericht hat im dritten amtlichen Leitsatz zu seiner Entscheidung betreffend die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit der Fristenlösung erklärt, die „Verpflichtung des Staates, das sich entwickelnde Leben in Schutz zu nehmen, besteht auch gegenüber der Mutter" . Dieses Grundrecht auf Leben kann auch nicht für eine Übergangsfrist ignoriert werden. Im übrigen läßt das Grundgesetz selbst einen befristeten Verzicht auf Strafe nicht zu. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß auch der Gesetzgeber gegenüber der Grundentscheidung der Verfassung über den umfassenden Lebensschutz des Ungeborenen „nicht frei" ist; „gesellschaftspolitische Zweckmäßigkeitserwägungen, ja staatspolitische Notwendigkeiten können diese verfassungsrechtliche Schranke nicht überwinden" (BVerfGE 1, 14, 36). „Auch ein allgemeiner Wandel hierüber in der Bevölkerung herrschenden Anschauungen — falls sie überhaupt festzustellen wären — würde daran nichts ändern können" (a. a. O., S. 37). Der langjährige Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Willi Geiger wendet sich zu Recht gegen die Einräumung einer Übergangszeit und erklärt: „Die vorsätzliche und direkte Tötung eines Unschuldigen verletzt dessen Menschenwürde und das Recht auf Leben im Kern und vernichtet es irreversibel. Für diese Tat gibt es — abgesehen vom Fall der zur Rettung des Lebens der Schwangeren notwendige Opferung des Ungeborenen — keine Rechtfertigung. Ein Gesetz, das sagt, die Schwangere ist berechtigt, in den ersten drei Monaten ihr Kind abtreiben zu lassen, kann vor dem Grundgesetz keinen Tag lang Bestand haben. " Erschwerend kommt hinzu, daß bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag ein Kompromiß gefunden worden ist, bei dem die Fortgeltung des bisherigen DDR-Unrechts auf deren bisherigem Gebiet vorgesehen ist, falls bis zu einer bestimmten Frist eine politische Einigung über eine gesetzliche Neuregelung nicht hergestellt worden ist. Hiermit entfällt noch dazu der Druck, eine Einigung zu erreichen, was entweder einer Fortgeltung auf bisherigem DDR-Gebiet gleichkommt oder einer politisch bedenklichen Abschiebung der Verantwortlichkeit von diesem Hohen Hause und den anderen Gesetzgebungsorganen auf das Bundesverfassungsgericht gleichkommt. Auf einer Wiedervereinigung, die mit dem Leben tausender ungeborener Kinder bezahlt wird, kann kein Segen ruhen. 5. Ein Verfassungsskandal ist der im Einigungsvertrag unternommene Versuch, die widerrechtlichen entschädigungslosen Enteignungen von Grund und Boden in der sowjetisch besetzten Zone und der nachmaligen DDR nachträglich legalisieren zu wollen. Damit soll die unter Mißachtung aller Grund- und Menschenrechte vollzogene Vertreibung von Familien von ihrem Eigentum rechtlich unangreifbar gemacht und einer Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht entzogen werden. Hierdurch wird neues Unrecht begründet. Der langjährige Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig Rudolf Wassermann kommt zu dem Schluß, der neue Grundgesetzartikel 143 komme einer zweiten Enteignung gleich: „Der Rechtsfrieden wird erst jetzt gestört." Was hier legalisiert werden soll, ist keine „Bodenreform" , sondern Willkür und die Sowjetisierung der Landwirtschaft. Im übrigen hatten von den mehr als 11 000 enteigneten Höfen rund 4 300 eine Betriebsgröße von unter 100 Hektar. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, was Bundeskanzler Konrad Adenauer 1964 anläßlich der Würdigung des damals verstorbenen Andreas Hermes sagte: „Aus tiefer christlicher Verantwortung hat Andreas Hermes sein Leben dem Dienst für sein Volk gewidmet und sich aufrecht und mutig für die Freiheit eingesetzt. Wegen aktiver Teilnahme an der Widerstandsbewegung wurde er nach dem 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt. Kompromißlos, wie er gegen die Diktatur des Nationalsozialismus gekämpft hatte, wehrte er 17938* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 sich nach 1945 energisch gegen die Gewaltmaßnahmen des Kommunismus in der sowjetisch besetzten Zone und mußte wegen seines Widerstandes gegen die sogenannte ,Bodenreform' die Zone verlassen." Andreas Hermes hat als CDU-Vorsitzender in der sowjetisch besetzten Zone 1945 erklärt: „Wenn entschädigungslos enteignet werden sollte, geht das Vertrauen auf die Rechtsordnung verloren und damit das Vertrauen auf die neue Demokratie." Mit seinem Sohn, dem langjährigen Botschafter und Staatssekretär Peter Hermes, kann man hier nur die Frage stellen: „Gilt das nicht auch im Jahre 1990?" Der Ostberliner Unterhändler des Einigungsvertrages Günther Krause hat am 4. September 1990 vor der kommunistischen PDS-Volkskammerfraktion erklärt, PDS-Vorschläge seien in den Einigungsvertrag eingegangen, was sich beispielsweise in der Regelung zu Bodenreform widerspiegele. Dies entspricht in der Tat den Forderungen des Kommunisten Modrow in seinem berüchtigten Brief an den sowjetischen Generalsekretär, die sich Ministerpräsident de Maizière zu eigen macht, wenn er unter sieben Punkten anläßlich der Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 31. August 1990 als ersten Punkt erklärt: „Für die Menschen in der DDR und für den inneren Frieden im vereinten Deutschland ist die Festschreibung der Ergebnisse der Bodenreform von 1945 bis 1949 von zentraler Bedeutung. " Es ist geradezu ein Treppenwitz der Weltgeschichte, wenn dieses frei gewählte Deutsche Parlament solchen stalinistischen Forderungen nachgeben sollte zu einem Zeitpunkt, da in der Sowjetunion die Reprivatisierung enteigneten landwirtschaftlichen Bodens in Angriff genommen werden soll. Der vorgeschobene Einwand, unser Grundgesetz habe zwischen 1945 und 1949 weder in der Bundesrepublik noch in der sowjetisch besetzten Zone gegolten, ändert an der Beurteilung nichts. Denn erstens wird durch die unterschiedliche Behandlung zeitlich voneinander abgesetzter Unrechtshandlungen der Gleichheitsgrundsatz verletzt, zweitens ist die Enteignung durch eine Besatzungsmacht schon dadurch rechtswidrig, daß sie völkerrechtlich gegen Art. 46 der Haager Landkriegsordnung verstößt, und drittens gilt Art. 153 Weimarer Verfassung weiter. 6. In diesem Zusammenhang ist auch die geplante Aufnahme des vergessenen Art. 135a GG in den Einigungsvertrag eine Maßnahme, die geeignet ist, rechtsstaatliche Normen zu verletzen. Es geht hier um eine Abstreifung von Schuldenlasten durch einfaches Gesetz. Hiermit soll offenbar die Möglichkeit eröffnet werden, jegliche Ansprüche zu mindern oder gar zu löschen, die durch Handlungen der einstigen DDR entstanden sind. Dies reicht dann von Ansprüchen aus der sogenannten Bodenreform bis zur Reduzierung von Ansprüchen aus widerrechtlich verhängten Freiheitsentziehungen von Gegnern des kommunistischen Regimes. Auch hiermit würde verfassungswidriges Verfassungsrecht geschaffen werden. 7. Vergeblich sucht man in dem Einigungsvertrag eine angemessene Lösung der Rehabilitierung und Entschädigung der Hundertausenden von Opfern der kommunistischen Verfolgung. Das von der Volkskammer verabschiedete Gesetz ist völlig unzureichend. Es muß um eine klare Feststellung der Unrechtsmaßnahmen des SED-Regimes gehen ebenso wie um die Sicherstellung einer angemessenen Entschädigung, die aus dem unrechtmäßig erworbenen Eigentum der SED und der Blockparteien finanziert werden kann. Eine Anwendung unseres Häftlingshilfegesetzes mit lediglich einer symbolischen Entschädigung käme einer Verhöhnung der ehemaligen politischen Gefangenen gleich. 8. Keinerlei angemessene Regelung findet in dem Vertrag auch die Strafverfolgung der Verbrechen des SED-Regimes, von den Folterungen in den Haftanstalten bis zur Durchführung und Ausübung des Schießbefehls. Es darf doch wohl nicht wahr sein, daß in der bisherigen DDR gegenwärtig juristisch in einzelnen Fällen geprüft wird, ob die Todesschützen an Mauer und Stacheldraht ihren Ermessensspielraum verletzt hätten. Dies wäre genauso, wie wenn man die KZ-Schergen von Auschwitz danach beurteilt hätte, ob sie die Anordnungen Himmlers getreu befolgt haben oder nicht. 9. Unangemessen ist auch die Regelung der Aufbewahrung der Stasi-Unterlagen. Gerade wenn man verhindern will, daß Mißbrauch damit getrieben wird, gibt es rechtsstaatlich keinen sichereren und angemesseneren Platz als das Bundesarchiv in Koblenz, wo sie selbstverständlich unter getrenntem Verschluß und unter Aufsicht einer unabhängigen Kommission aufbewahrt werden können. Auf jeden Fall muß eine Vernichtung der Akten vermieden werden, da man sonst dem KGB in Moskau, der über vollständige Fotokopien aller wichtigen Akten verfügt, auf Jahrzehnte hinaus ein Erpressungsmonopol ohne Widerspruchsmöglichkeit eröffnet. Darüber hinaus sind dies keineswegs Akten, die lediglich die bisherige DDR angehen, denn von ihnen sind ebenso etwa zweieinhalb Millionen Bundesbürger betroffen. 10. Unzulässig ist in dieser Form auch die Streichung des bisherigen Art. 23 GG. Denn unter den Deutschen, denen — wie das Grundgesetz formuliert — „mitzuwirken versagt" war, zählen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ohne Frage beispielsweise auch die Schlesier. Auch wer — wie ich — nicht die Hoffnung gehabt hat, man könne die Grenzen von 1937 wiederherstellen und wer — wie ich — seit Jahrzehnten für eine deutsch-polnische Verständigung auf europäischer Grundlage eingetreten ist, kann nicht dafür eintreten, Menschen stillschweigend durch eine Pauschalabstimmung Grundrechte zu entziehen. Verfassungsrechtlich muß hier eine saubere Lösung angestrebt werden, und völkerrechtlich muß man in Verhandlungen mit Polen zu einer Lösung im europäischen Geiste mit durchlässigen Grenzen und der Möglichkeit der Gewährung des Rechtes auf Heimat ad personam sowie der Sicherung der Gruppenrechte für die Deutschen in den Ostgebieten und einer Regelung anstehender finanzieller Fragen kommen. Dies ist allerdings politisch schwer möglich, wenn man einseitig auf Rechte verzichtet, bevor man das, was man erreichen will, auch nur begonnen hat auszuhandeln. 11. Im Einigungsvertrag wird zwar Berlin als Hauptstadt bezeichnet, Bonn jedoch nicht als Parla- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17939* ments- und Regierungssitz festgelegt. Entweder hätte man beides tun oder beides unterlassen sollen. 12. Einer der schwerwiegendsten Eingriffe ergibt sich durch die Einführung des neuen Art. 146 GG. Dies eröffnet den Weg zur Abkehr von unserer, der besten freiheitlichen Deutschen Verfassung. Während die bisherige Fassung des Art. 146 GG den zeitlichen Geltungsinhalt aus der noch nicht vollendeten Wiedervereinigung zieht, wird mit der in der veränderten Präambel unterstellten vollzogenen Wiedervereinigung der bisherige Art. 146 GG hinfällig. Seine nunmehr vorgesehene Neufassung gibt ihm einen völlig anderen Sinn, der unser gesamtes Grundgesetz in Frage stellt. Er eröffnet die Möglichkeit zu alternativen Verfassungsveränderungen und damit zu einem äußerst gefährlichen Weg, der in eine andere Republik führen kann. Hiervor ist mit allem Nachdruck zu warnen. Angesichts dieser schwerwiegendsten verfassungsrechtlichen und materiellrechtlichen Gründe werde ich gegen den sogenannten Einigungsvertrag stimmen in der festen Überzeugung, daß die Herstellung der Deutschen Einheit, wie sie bereits durch die Erklärung der Volkskammer vom 21. August 1990 gemäß Art. 23 GG gesichert ist, in Zusammenhang mit einem Inkraftsetzungsgesetz der bessere Weg ist, der nicht nur der Einheit dienen würde, sondern Einigkeit und Recht und Freiheit. Erklärung der Abgeordneten Jäger und Sauter (Epfendorf) (beide CDU/CSU): Dem politischen Kern des Einigungsvertrages, der Zusammenführung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu einem deutschen Staat, stimmen wir nachdrücklich zu. Wir halten das Zustandekommen dieser Einigung auf der Grundlage des Art. 23 GG für eine große politische Leistung des Bundeskanzlers und seiner Regierung, die geschichtlichen Rang beanspruchen darf. Wir sagen zu dieser Politik schon deshalb ein klares Ja, weil wir die Einheit Deutschlands seit Jahrzehnten bejaht und aktiv mit vorangetrieben haben. Der Einigungsvertrag enthält neben diesem politischen Kern eine Fülle von Einzelregelungen, die ganz unterschiedlich bewertet werden können. Auf dem Gebiet der Menschenrechte enthält der Vertrag eine Regelung des strafrechtlichen Schutzes der ungeborenen Kinder, der wir aus Gewissensgründen nicht zustimmen können. Auf dem Gebiet der DDR bleibt die dort bisher geltende Fristenregelung ohne Pflichtberatung weiter bestehen. Diese Regelung bedeutet willkürliches Töten hunderttausender von ungeborenen Kindern und die physische, vor allem aber psychische Schädigung ebenso vieler Frauen. Wir halten diese Regelung auch mit dem durch den Einigungsvertrag neu ins Grundgesetz aufgenommenen Art. 143 nicht für vereinbar. Dieser Artikel verbietet — auch für die zweijährige Übergangszeit — Abweichungen vom Grundgesetz, die gegen die Art. 19 Abs. 2 (Kernbereichsgarantie für Grundrechte) und Art. 79 Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 1 GG: Menschenwürde) verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 25. Februar 1975 die Verfassungswidrigkeit der damaligen Fristenregelung — die immerhin eine Pflichtberatung vorsah — auch auf die Verletzung dieser beiden Bestimmungen des Grundgesetzes gestützt. Eine Fristenregelung, wie sie in der DDR besteht, halten wir daher für unvereinbar mit Art. 143 und damit für verfassungswidrig. Hinzu kommt, daß die neu in den Vertrag aufgenommene Bestimmung des Art. 31 Abs. 4 vorsieht, daß die materiellen Bestimmungen der DDR-Fristenregelung auch über die zweijährige Übergangszeit hinaus fortgelten, sofern der Gesetzgeber bis zu deren Ablauf keine Neuregelung des strafrechtlichen Schutzes des Lebens ungeborener Kinder zustande gebracht hat. Wir erkennen an, daß der Art. 31 mit seiner Verpflichtung für den gesamtdeutschen Gesetzgeber, ein verfassungskonformes Lebensschutzrecht zu schaffen, das auf Betreiben unserer Fraktion in den Vertrag hineingekommen ist, einen erheblichen Fortschritt bedeutet. Da es jedoch nach unserer Auffassung höchst ungewiß ist, ob eine verfassungskonforme — d. h. eine Fristenregelung nicht enthaltende — gesetzliche Regelung zustande kommt, befürchten wir die Anwendung von Art. 31 Abs. 4 letzter Satz des Vertrages, d. h. die unbegrenzte Weitergeltung der DDR-Fristenregelung nach Ablauf der zwei Jahre. Da der Vertrag somit entweder die befristete oder die unbegrenzte Fortgeltung dieser Fristenregelung zum Inhalt hat, wäre unseres Erachtens eine Zustimmung zum Vertragstext eine Zustimmung zu einer verfassungswidrigen Vereinbarung. Schließlich bedeutet der Vertrag nach unserer Auffassung die faktische Einführung der Fristenregelung auch auf dem Gebiet der bisherigen Bundesrepublik Deutschland, und zwar durch die Möglichkeit für hier ansässige Frauen, auch ohne jede Beratung in der DDR eine Tötung ihres ungeborenen Kindes vornehmen zu lassen. Das gewohnheitsrechtlich geltende interlokale Strafrecht mit seinem Tatort-Prinzip, das im Vertrag leider nicht geändert worden ist, läßt auf diese Weise ein Unterlaufen des hier geltenden Indikationenstrafrechts zu, das dessen ohnedies unzulängliche praktische Anwendung vollends illusorisch werden läßt. Eine Zustimmung zum Vertrag würde uns deshalb auch die Mitverantwortung für eine entscheidende Verschlechterung des strafrechtlichen Schutzes des Lebensrechts ungeborener Kinder hier in der Bundesrepublik Deutschland aufbürden. Dazu sehen wir uns nicht in der Lage. Da unser Strafrecht auf Grund der Werte-Ordnung unseres Grundgesetzes die höchsten Rechtsgüter des Menschen — vor allem sein Lebensrecht — zu schützen hat, halten wir es nicht für zulässig, diesen Lebensschutz für das ungeborene Kind praktisch zu beseitigen. Trotz der grundsätzlich positiven Haltung zum Hauptinhalt des Vertrages sehen wir uns daher nicht in der Lage, ihm zuzustimmen, weil uns diese Zustimmung in schwerste Gewissensnot stürzen müßte. 17940* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 Es bestehen auch gegen andere Einzelbestimmungen des Vertrages schwerste Bedenken. Das gilt namentlich für die neue Formulierung der Präambel des Grundgesetzes oder für den Art. 143 Abs. 3 des Grundgesetzes mit der verfassungsrechtlichen Sanktionierung der Enteignungen in der DDR zwischen 1945 und 1949, der durch den Vertrag eingeführt werden soll. Auch diese Bestimmungen enthalten Eingriffe in Grundrechte oder in das Selbstbestimmungsrecht des ganzen deutschen Volkes, denen wir nicht zuzustimmen vermögen. Wir betonen aber noch einmal mit Nachdruck, daß unser Nein oder unsere Enthaltung nichts daran ändert, daß wir der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden aus vollem Herzen zustimmen. Erklärung der Abgeordneten Kalisch, Dr. Mahlo und Schulze (Berlin) (CDU/CSU): Im Bewußtsein unserer Verantwortung, als Abgeordnete des Deutschen Bundestages an der Vollendung der deutschen Einheit mitzuwirken, stimmen wir dem Einigungsvertrag zu. Diese Zustimmung kann jedoch nicht ohne Hinweis auf Bedenken gegenüber einzelnen Regelungen des Vertrages erfolgen. Unsere Vorbehalte zu der im Vertrag getroffenen Eigentumsregelung finden ihren Niederschlag in der persönlichen Erklärung des Abgeordneten von Schmude, die wir mittragen. Bedenken begegnet auch die Frage der Weitergeltung des Art. 146 GG, wie sie in Art. 4 Abs. 6 des Einigungsvertrags festgelegt sowie weiter in Art. 5 des Einigungsvertrags, letzter Spiegelstrich, erwähnt ist. Nach unserer Überzeugung ist der Regelungsgehalt des Art. 146 GG durch den Beitritt der DDR-Länder nach Art. 23 GG aufgebraucht und somit diese Verfassungsbestimmung obsolet geworden. Folgerichtig ist daher Art. 146 GG zu streichen. In jedem Falle ist jedoch eine Bestimmung einzufügen, wonach die Regelungen des Art. 79 GG auch für den Fall einer Verfassungsänderung durch Volksabstimmung im Sinne des weitergeltenden Art. 146 GG Geltung finden. Sollte dies nicht geschehen, bestünde die ernste Gefahr, daß die Verfassung per Plebiszit in ihrer Gesamtheit ohne Beachtung der Wesensgehaltsgarantie und ohne Zweidrittelmehrheit des Parlaments außer Kraft gesetzt werden könnte. Dieser theoretischen Möglichkeit eines Verfassungsumsturzes stellen wir uns entgegen. Schließlich wenden wir uns gegen die durch den Einigungsvertrag mit der Änderung der Präambel und der Streichung des Art. 23 GG vorgenommene Präjudizierung des endgültigen Grenzausgleichs mit Polen. Nicht ein Vertrag mit der DDR, sondern die Verhandlungen des vereinigten Deutschlands mit Polen sind der richtige Rahmen zur Klärung der hier bestehenden Fragen. Erklärung des Abgeordneten Dr. Kappes (CDU/CSU) : Ich stimme dem Einigungsvertrag zwar als einem wahrhaft historischen Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit und wegen seiner herausragenden Bedeutung für den Frieden in Europa trotz ganz erheblicher politischer und verfassungsrechtlicher Bedenken zu, erkläre jedoch zugleich, daß ich mit den folgenden Aussagen des Vertragswerkes nicht einverstanden bin und sich auch in Zukunft politisch im entsprechenden Sinne verhalten werde: Erstens. Entgegen der vorgesehenen Neufassung der Präambel des Grundgesetzes haben die Deutschen in den dort genannten 16 Ländern die Einheit und Freiheit Deutschlands nicht vollendet und gilt das geänderte Grundgesetz nicht für das gesamte Deutsche Volk. Meine Auffassung zur Zukunft Ostdeutschlands und der dort lebenden Menschen habe ich mit meinem Abstimmungsverhalten zur Entschließung des Deutschen Bundestages vom 21. Juni 1990 und in einer hierzu abgegebenen Persönlichen Erklärung zum Ausdruk gebracht. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Folgerichtig lehne ich auch die Streichung des Art. 23 GG ab, wenngleich nach der KSZE-Schlußakte einvernehmliche Grenzänderungen ohnehin möglich bleiben. Im übrigen hoffe auch ich auf ein Europa der offenen Grenzen. Zweitens. Das Vertragswerk wird dem moralisch und verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens nur höchst unzureichend gerecht. Zwar können Abtreibungen sicher nicht in erster Linie durch Strafandrohung verhindert werden; jedoch prägt das Strafrecht nicht unerheblich das Rechtsbewußtsein einer Gesellschaft. Daher hat das Bundesverfassungsgericht, gestützt auf die Wertordnung unseres Grundgesetzes, den Gesetzgeber für verpflichtet erklärt, zum Schutz des ungeborenen Kindes als Ultima ratio auch Strafe anzudrohen. Hiervon dürfe nur dann abgesehen werden, wenn Gründe vorliegen, die vor der Wertordnung des Grundgesetzes Bestand haben. Zwar halte ich die vorgesehene Übergangszeit von bis zu zwei Jahren in unserer konkreten Situation für moralisch und verfassungsrechtlich gerade noch vertretbar. Falls es jedoch in dieser Zeit nicht zu einer verfassungsgemäßen gesamtdeutschen Regelung kommen sollte, kann entgegen Art. 31 Abs. 4, letzter Satz, des Einigungsvertrages auch im Gebiet der ehemaligen DDR nur unsere Indikationenregelung gelten. Ich gehe davon aus und werde mich nach Kräften dafür einsetzen, daß dann sofort das Bundesverfassungsgericht angerufen wird, das 1975 ja schon einmal eine einstweilige Anordnung in diesem Sinne getroffen hat. Im übrigen vertrete ich die Rechtsauffassung, daß trotz vielfältiger gegenteiliger Aussagen bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag auch in der erwähnten Übergangszeit Bürger der Bundesrepublik Deutschland nicht straffrei sind, wenn sie im Gebiet der ehemaligen DDR einen nichtindizierten Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Im Näheren will ich dies an anderer Stelle fachlich begründen. Drittens. Den vorgesehenen Art. 143 Abs. 3 GG, mit dem die Enteignungen im Rahmen der sogenannten Bodenreform kurzerhand festgeschrieben werden sollen, halte ich für verfassungswidriges Verfassungsrecht. Meines Erachtens muß das, was ohne nennens- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17941* werte Schwierigkeiten und ohne daß neues Unrecht geschieht, zurückgegeben werden kann, den Eigentümern zurückgegeben und das übrige angemessen entschädigt werden. Auch hier rechne ich notfalls mit einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Logisch wäre zwar einerseits, bei so schwerwiegenden Bedenken den Einigungsvertrag abzulehnen. Andererseits möchte aber auch ich bei der gegebenen historischen Situation dem Zusammenwachsen Deutschlands nicht im Wege stehen. Deshalb stimme ich zu. Erklärung des Abgeordneten Lowack (CDU/CSU): Von Beginn meiner politischen Arbeit an habe ich mit großer Leidenschaft für die deutsche Einheit — in dem sich einigenden freien Europa — gekämpft, gerade auch zu einem Zeitpunkt, als dies dem Zeitgeist zu widersprechen schien, viele verantwortliche deutsche Politiker die deutsche Einheit längst aufgegeben und/ oder sich mit dem Honecker-Regime in einer Weise arrangiert hatten, die der deutschen Einheit nicht diente. Das reichte von den Ostverträgen bis zur Anhebung der Transitpauschale u. a. auf 8,6 Milliarden DM in einer Laufzeit von 10 Jahren im Januar 1989. Die Bundesregierung hat für den Vollzug der Einheit, die wir in erster Linie den Menschen verdanken, die mit großem Mut, Risiko und Opferbereitschaft auf die Straßen in den Städten der ehemaligen DDR gingen, einen eigenwilligen und von Mißtrauen gegenüber dem Deutschen Bundestag geprägten Weg gewählt, dem ich nicht zustimmen kann. So hat sich die Bundesregierung in einem Staatsvertrag zu schwerwiegenden Grundgesetz- und Rechtsänderungen verpflichtet, die tief in die grundgesetzliche Ordnung eingreifen und für die deutsche Rechtsordnung völlig unübersehbare Konsequenzen haben werden. So wurde das für die Änderung des Grundgesetzes sowie für die Beratung und Verabschiedung von Gesetzen zuständige Parlament weitgehend von der Beratung ausgeschlossen und seine Mitwirkung auf die Alternative reduziert, zu einem Gesamtpaket mit Ja oder Nein abzustimmen. Noch in den letzten Stunden vor dieser Abstimmung hat die Bundesregierung eine Reihe von Gesetzen der Volkskammer, mit denen teilweise altes DDR-Recht konserviert werden soll, zum Gegenstand des „Einigungs"-Vertrages gemacht, obwohl nahezu kein Abgeordneter des Deutschen Bundestages von diesen Gesetzen Kenntnis nehmen konnte. Die Bundesregierung hat in dem von mir und anderen Abgeordneten des Deutschen Bundestages beim Bundesverfassungsgericht eingeleiteten Verfahren mit großer Suggestionskraft behaupten lassen, die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des „Einigungs" -Vertrags oder Teilen davon werde unübersehbare Folgen für die deutsche Einheit haben, obwohl die deutsche Einheit auch ohne diesen Vertrag in seiner jetzigen Ausformung als Konglomerat verschiedenster, oft zufällig aufgenommener gesetzlicher Regelungen zum 3. Oktober 1990 hätte vollzogen werden können. Der Beitritt gemäß Art. 23 des Grundgesetzes, den ich ausführlich befürworte, setzt den „Einigungs"-Vertrag nicht voraus. Vielmehr wäre, besonders nach der Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 sowie der Beitrittserklärung durch die Volkskammer, der Weg zu einem, auf einer einheitlichen Rechtsordnung aufbauenden Gesetz gemäß Art. 23 des Grundgesetzes möglich gewesen. Mit dem „Einigungs " -Vertrag und der nur vorbehaltlos möglichen Zustimmung des Gesetzgebers werden Millionen deutscher Opfer von Vertreibung, blindem Haß, Sadismus und Tötungslust, die Gefolterten, Gequälten, Entrechteten und deren Angehörige nicht befriedet. Sie müssen die Änderung der Präambel und die Streichung von Art. 23 des Grundgesetzes sowie die Neuformulierung von Art. 146 des Grundgesetzes angesichts völlig ungeklärter Rechtsverhältnisse eher als einen Akt der Verhöhnung denn als Versöhnung auffassen. Viele, die in ihrer ostdeutschen Heimat ausgeharrt haben und die unglaublichen persönlichen Opfern, Demütigungen und Grausamkeiten unterworfen wurden, haben in Zukunft keinerlei Mitwirkungsrechte als Deutsche mehr. Sie werden, ohne daß damit ihre Stimme gehört wurde, ausgegrenzt. Ich betrachte das Recht des Abgeordneten, an Abstimmungen teilzunehmen und damit an politischen Entscheidungen mitzuwirken, als das wichtigste Recht eines Volksvertreters überhaupt. Würde ich zum „Einigungs"-Vertrag mit Nein stimmen, müßte der völlig falsche Eindruck entstehen, daß ich die deutsche Einheit nicht wollte, während ich für sie mit großem Nachdruck arbeiten möchte. Zugleich würde ich mich an die Seite der SED-PDS stellen, einer Partei, der wir die Zerstörung eines Teils Deutschlands weit über die Forderungen der sowjetischen Besatzungsmacht hinaus und besonders grausame Aspekte der Teilung Deutschlands verdanken. Wenn ich mich deshalb — das erste Mal nach zehnjähriger Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag — auf das Recht berufe, nicht an einer Abstimmung teilzunehmen, so bringe ich meine persönliche Betroffenheit zum Ausdruck. Der „Einigungs"-Vertrag ist in seiner vorliegenden Form für die Vollendung der deutschen Einheit eher ein Hindernis. Er dient nicht der Rechtssicherheit, sondern fördert die Rechtsunsicherheit. Er schafft unterschiedliche Rechtsgebiete und stellt wichtige verfassungsrechtliche Grundsätze in Frage. Er enthält kein Recht zur Einheit, sondern ein Recht der Ausnahmen und der Sonderregelungen. Der „Einigungs"Vertrag wird schon in Kürze ungeheure Probleme schaffen. Schließlich enthält er auch keinerlei Perspektiven für die Entwicklung des Zusammenwachsens benachbarter Regionen, die unter der deutschen Teilung besonders gelitten hatten und denen ich mich in meiner politischen Arbeit besonders verbunden fühle. Erklärung des Abgeordneten Marschewski (CDU/CSU): Erstens. Der Einigungsvertrag regelt die Vereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. 17942 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 Ich begrüße den Zusammenschluß dieser beiden Teile Deutschlands durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Mein Dank gilt allen Politikern — vor allem Herrn Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl — für den unermüdlichen Einsatz zum Wohle unseres Vaterlandes. Zweitens. Der Einigungsvertrag bezieht sich jedoch nicht auf ganz Deutschland. Deutschlands rechtlich garantiertes Staatsgebiet erstreckt sich nämlich auch auf die Gebiete östlich der Oder-Neiße. Das ergibt sich u. a. aus: — dem Londoner Protokoll von 1944 und der Berliner Vierer-Erklärung vom 5. Juni 1945, — dem Notenwechsel mit den Verbündeten vom August und November 1979 zu den Ostverträgen, — der Ausgestaltung der Ostverträge als Gewaltverzichtsverträge und aus dem die bestehenden Grenzlinien nur beschreibenden Wortlaut (kein Wort von „Anerkennung" — vgl. Bundesaußenminister Scheel, 9. Februar 1972, vor dem Bundesrat), — der auch in den Ostverträgen verankerten Unberührtheit des Deutschlandvertrages, dessen Pflichten und Rechte die Bundesrepublik Deutschland in allen Teilen, nicht zuletzt wegen der Verantwortung für Deutschland, binden, — der Präambel, Art. 16, 23, 25, 116 und 146 des Grundgesetzes, — zahlreichen verbindlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts u. a. vom 31. Juli 1973, 7. Juli 1975 und 21. Oktober 1987, — dem Fehlen eines völkerrechtlich wirksamen Dokuments, daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße mit dem Inkrafttreten der Ostverträge aus der rechtlichen Zugehörigkeit zu Deutschland entlassen und der Souveränität, also sowohl territorialen wie der personalen Hoheitsgewalt der Sowjetunion und Polens, endgültig unterstellt worden seien (Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 40, 171). Dies ist geltendes Recht. Drittens. Der Einigungsvertrag hat meines Erachtens jedoch keine Änderung dieser eindeutigen Rechtslage zur Folge. Dies gilt sowohl für die Änderung der Präambel als auch für die Aufhebung des Art. 23 oder die Ergänzung des Art. 146 GG. Der Einigungsvertrag ist daher — wenn auch historisch nur als „kleinstdeutsche Lösung" zu betrachten — ein richtiger Schritt auf dem Wege, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Viertens. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hat mit der Realisierung des Einigungsvertrages eindeutig im Sinne Bismarcks gehandelt: „Der Staatsmann kann nur abwarten und lauschen, bis er die Schritte Gottes durch die Ereignisse hallen hört. Dann vorspringen und den Zipfel seines Mantels fassen — das ist alles. " Fünftens. Ich stimme daher dem Einigungsvertrag zu, der übrigens darüber hinaus eine Vielzahl an in jeder Hinsicht akzeptierbaren und begrüßenswerten Vereinbarungen enthält. Erklärung des Abgeordneten Dr. Günther Müller (CDU/CSU): Ich werde an der Abstimmung über das Einigungsvertragsgesetz nicht teilnehmen. Die Gründe dafür sind folgende: Da ich ein Anhänger der deutschen Einheit bin, müßte meine Nein-Stimme zum Einigungsvertrag zu einer Fehlinterpretation führen. Eine Ja-Stimme abzugeben ist aber nicht möglich, da das Einigungsvertragsgesetz in einer bisher in der deutschen demokratischen Geschichte einmaligen Art und Weise die Rechte der Abgeordneten suspendiert hat. Der Verhandlungsführer der Bundesregierung hat in einer bisher nicht üblichen Methode den permanenten Versuch gemacht, ohne Mitwirkung der Abgeordneten, wie es unsere Verfassung vorsieht, politische Daten zu setzen. Obwohl zu Beginn erklärt wurde, daß Änderungen des Einigungsvertrages nicht möglich seien, kam es zu permanenten Nachbesserungen auf Wunsch der Volkskammer der DDR. Dabei wurden Grundsätze unserer Republik in Frage gestellt und Ziele der SED-PDS, wie Staatssekretär Krause vor der PDS-Fraktion bestätigte, durchgesetzt. Der neue Artikel 143 des Grundgesetzes ist dafür ein klarer Beweis. Der Verzicht auf ein Viertel des Staatsgebietes von 1937 ist für die Vertragspartner kein Anlaß, eine historische Würdigung vorzunehmen. Die schlichte Formulierung: „Artikel 23 wird aufgehoben" ist würdelos und wäre in dieser Art in jedem unserer europäischen Nachbarstaaten undenkbar. Das Einigungsvertragsgesetz selbst ist das Ergebnis von Verhandlungen der Exekutive, an der das Parlament praktisch nicht beteiligt wurde. Selbst der Parlamentarische Staatssekretär im Hause des Verhandlungsführers wurde nicht über den Verlauf der Verhandlungen informiert. Die Abgeordneten müssen mit ihrer Stimme ein Gesetz billigen, das sie gar nicht kennen können und das darüber hinaus ein Ermächtigungsgesetz darstellt, wie es in der Geschichte der Demokratie einmalig ist. Innerhalb von drei Wochen sollte ein Abgeordneter rund 15 000 Paragraphen, die entweder geändert oder bestätigt werden sollen und die in den Gesetzen zweier verschiedener Staaten zu finden sind, überprüfen. Für 519 Abgeordnete steht ein Gesetz- oder Verordnungsblatt der DDR zur Verfügung, das nur in der Bibliothek zu bestimmten Stunden eingesehen werden kann und das nicht auf dem neuesten Stand ist. Vielleicht mag die Regelung der Spargelanbaugebiete und die Nachrüstungspflicht für Fahrräder unbedeutend für das Abstimmungsverhalten eines Abgeordneten sein, überprüfen kann er die 15 000 Paragraphen auf keinen Fall. Er muß einen Blankoscheck geben. Es werden Gesetze und Verordnungen im Einigungsvertrag für rechtsgültig erklärt, die, wie es im Einigungsvertrag heißt, „noch zu erlassen" sind. Außerdem sichert der Einigungsvertrag ab, daß für Ab- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17943* geordnete des Deutschen Bundestages oder für Kandidaten zur gesamtdeutschen Wahl am 2. Dezember 1990 Akten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zur Feststellung der „offiziellen oder inoffiziellen Tätigkeit" der Abgeordneten oder Kandidaten für den Staatssicherheitsdienst nicht benutzt werden dürfen. Da ich es mit der parlamentarischen Demokratie für unvereinbar halte, Blankoschecks auf Gesetze auszustellen, und darüber hinaus eine ordnungsgemäße Überprüfung des Inhalts des Einigungsvertrages für den einzelnen Abgeordneten nicht möglich war und seine Rechte damit suspendiert waren, bitte ich um Verständnis dafür, an der Abstimmung nicht teilnehmen zu können. Erklärung der Abgeordneten Müller (Wesseling), Höpfinger und Keller (alle CDU/CSU): Die Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands erfüllt uns mit Freude. An dieser Stelle gilt unser Dank all denjenigen, die immer an die Wiedervereinigung geglaubt und danach ihr politisches Handeln ausgerichtet haben. Wenn wir — Alfons Müller (Wesseling), Stefan Höpfinger und Peter Keller — dem Einigungsvertrag aus Gewissensgründen nicht zustimmen können, liegt dies einzig und allein an der für uns nicht annehmbaren Regelung im Zusammenhang mit dem Schutz des ungeborenen Menschen. Im Gebiete der bisherigen DDR bleibt die dort gültige Fristenregelung zunächst bis zum 31. Dezember 1992 in Kraft. Eine bindende Frist für ihr Außerkrafttreten ist nicht vereinbart. Die Indikationsregelung bei uns in der Bundesrepublik kann infolge dieser Rechtslage noch leichter unterlaufen werden. Im vereinigten Deutschland besteht damit auf nicht absehbare Zeit ein gespaltenes Lebensrecht. Die in Art. 31 Abs. 4 des Einigungsvertrages in Aussicht gestellte gesetzliche Neuregelung läßt durch eine Vielzahl schriftlicher und mündlicher Stellungnahmen die begründete Sorge aufkommen, daß die Entscheidungsbefugnis über das ungeborene Leben der werdenden Mutter allein überantwortet werden soll. Dies bedeutet, selbst wenn eine Beratungspflicht gesetzlich verankert wird, nichts anderes als eine verbrämte Fristenregelung. Damit wird den ungeborenen Kindern, den hilfsbedürftigsten Menschen in unserer Gesellschaft, der ihnen zustehende rechtliche Schutz der staatlichen Gemeinschaft versagt. Das widerspricht ganz klar dem Grundgesetz und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975. Durch die getroffene Regelung wird das Rechtsbewußtsein gegenüber dem ungeborenen Leben negativ verändert; es wird die unbedingte Achtung vor seiner Menschenwürde, vor seinem Recht auf Leben und vor seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit so verändert, daß wir das nicht mitverantworten können. Solche preisgegebenen Rechtspositionen sind kaum mehr rückholbar. Wie sollen je die Schleusen geschlossen werden, die hier aufgetan werden? Mit dem Gesetz zum Einigungsvertrag beginnt auf diesem Gebiet ein Weg, den wir nicht mitgehen können. Unser Bestreben in der politischen Arbeit war und ist es, die Familienpolitik positiv zu gestalten. Entscheidende familienpolitische Leistungen sind durch diese Bundesregierung Wirklichkeit geworden. Wir alle wissen, daß weitere Aufgaben in diesem Bereich gelöst werden müssen. Wir wollen aber nichts tun, was unserer Meinung nach das Lebensrecht der ungeborenen Menschen schmälert. Dies ist für uns eine Gewissensentscheidung. Wir können deshalb dem Einigungsvertragsgesetz unsere Zustimmung nicht geben. Zusatzerklärung des Abgeordneten Müller (Wesseling) (CDU/CSU): In der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 29. August 1990 war ich zunächst bereit, trotz erheblicher Bedenken dem Vertragswerk zuzustimmen. Leider ist dem damals vorliegenden Text in Art. 31 Abs. 4 ein für mich entscheidender neuer Satz hinzugefügt worden, der an diesem Tage nicht Gegenstand der Diskussion war: „Kommt eine Regelung in der in Satz 1 genannten Frist nicht zustande, gilt das materielle Recht in dem in Artikel 3 genannten Gebiet weiter. " Der später so in den Verhandlungen mit der SPD veränderte Vertragstext und die Reaktion zahlreicher Abgeordneter zeigen mir, daß die verfassungswidrige Fristenregelung im DDR-Gebiet auch über den 31. Dezember 1992 hinaus in Geltung bleiben kann. Deshalb ist die jetzt gefundene Formulierung des Art. 31 Abs. 4 nach meiner Meinung nicht mit den Grundwerten unseres Grundgesetzes vereinbar. Der Schutz des werdenden Menschen ist höchste Pflicht des Staates. Eine Abtreibung ist und bleibt für mich die Tötung menschlichen Lebens. Erklärung des Abgeordneten Niegel (CDU/CSU): Der Vereinigung von West- und Mitteldeutschland stimme ich voll zu, wobei ich daran erinnere, daß ich zu denen gehöre, die die Wiedervereinigung Deutschlands immer in den Mittelpunkt ihrer politischen Arbeit gestellt haben. Dem Einigungsvertrag würde ich meine Zustimmung geben können, wenn er nicht mit schwerwiegenden Verfassungsänderungen belastet wäre. Da der Vertrag mit den eingebundenen Verfassungsänderungen nicht der Einzelabstimmung unterliegt — man kann nur mit Ja oder Nein stimmen — und es nicht möglich war, die Grundgesetzänderungen aus dem Ratifikationsverfahren herauszulösen, muß ich dem Vertragsgesetz meine Zustimmung verweigern. Ich halte die Verfassungsänderungen im Einigungsvertrag für nicht notwendig und alle hierfür vorgebrachten Argumente für nicht stichhaltig. Sie sind 17944* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 bedenklich in bezug auf die neue Sinngestaltung der Präambel des Grundgesetzes, da die Einheit und Freiheit Deutschlands in allen seinen Teilen doch fraglos nicht vollendet wird — dies ist eine wirkliche Lebenslüge, mit der das jetzt so vereinte Deutschland belastet wird —, die Streichung des Art. 23, die weitere Beitrittsmöglichkeiten ausschließt, die Umgestaltung des Art. 146, durch die gewisse Kräfte das Grundgesetz aushöhlen wollen, um ihrem Ziel, eine andere Republik zu schaffen, näherzukommen, die Einfügung eines Art. 143, der die entschädigungslosen Enteignungen in der Sowjetzone in der Zeit zwischen 1945 bis 1949 sanktioniert. Es ist tragisch, daß die staatliche Vereinigung von West- und Mitteldeutschland in einer Form stattfindet, die es gerade denen, die sich dem Verfassungsauftrag zur Wahrung und Wiederherstellung der Einheit des ganzen Deutschlands verpflichtet fühlten, jetzt verwehrt, dem Vertragsgesetz zuzustimmen. Erklärung des Abgeordneten Regenspurger (CDU/CSU): Bei der Abstimmung muß einem unauflösbaren Widerspruch Rechnung getragen werden. Die der Bundesrepublik Deutschland beitretenden Landsleute erwarteten, daß die Bedingungen ihres Beitritts frei ausgehandelt wurden. Sie wollten dabei ein gleichberechtigter Vertragspartner sein. Ihre Forderungen führten zu einem Vertragsinhalt, der in Teilen das Grundgesetz bis in seinen Kernbereich hinein verändert. Dem stehen Rang und Gewicht des Grundgesetzes in der Fassung gegenüber, die ihm die Verfassungsväter 1949 gegeben hatten. Zweitens. Aufrecht und eindringlich sprach die Präambel mit ihren ursprünglichen Worten davon, welche Deutschen dem staatlichen Leben des Deutschen Volkes eine neue Ordnung gaben, daß dies auch geschah für jene, denen mitzuwirken versagt war, und daß das gesamte Deutsche Volk aufgefordert blieb, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Es war selbstverständlich und brauchte an dieser hervorgehobenen Stelle nicht besonders erwähnt zu werden, daß darunter das deutsche Volk in den unbestrittenen Grenzen des deutschen Staates vom 31. Dezember 1937 zu verstehen war. Dies wurde ausdrücklich in authentischer Interpretation erst dort erwähnt, wo die schwierigen Fragen der Staatsangehörigkeit zu regeln waren. Schamhaft wird in der künftigen Fassung verschwiegen, daß der schmerzliche Preis für die staatliche Wiedervereinigung der im Bundesgebiet und in der bisherigen DDR lebenden Deutschen der bevorstehende — und staatsrechtlich im Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag vorweggenommene — Verzicht auf die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße ist, ohne den diese Wiedervereinigung nicht zu erreichen gewesen wäre. Die Deutschen in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße, denen auch jetzt mitzuwirken versagt ist, werden keines Wortes gewürdigt. Ich tue dies hiermit ausdrücklich. Drittens. Die Gemeinsame Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, bei der es sich um eine politische Absichtserklärung handelte, erhält den Charakter einer rechtlich bindenden Verpflichtung, die gegen eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht am gegenwärtig geltenden Verfassungsrecht abgesichert werden soll. Verstöße gegen die grundrechtliche Eigentumsgarantie und gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes sollen auf diese Weise sanktioniert werden. Mit Verbrechen verbundene schwerste Verstöße gegen die Haager Landkriegsordnung, die darüber hinaus menschenrechtswidrige Willkürakte deutscher Kommunisten ermöglichten, werden zum Fundament der auf dem Grundgesetz beruhenden Rechtsordnung im wiedervereinigten deutschen Staat gemacht. Hierzu habe ich eine weitere persönliche Erklärung mit unterschrieben. Viertens. Das Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9. März 1972, das die Frauen in der DDR berechtigt, die Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen unterbrechen zu lassen, soll durch das Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag rechtlich sanktioniert werden. Seine Fortgeltung soll für zwei Jahre der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen werden, obwohl es mit Art. 1 und 2 des Grundgesetzes in der Auslegung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 25. Februar unvereinbar ist. Wegen der Unvereinbarkeit mit Art. 1 des Grundgesetzes, der durch Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes jeder Änderung entzogen ist, kann auch der verfassungsändernde Gesetzgeber mit einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nicht die rechtliche Grundlage für die Fortgeltung des Gesetzes vom 9. März 1972 schaffen. Die Rechtsordnung kann ihre bewußtseinsbildende Aufgabe nicht erfüllen, nachdem es schon nicht gelungen war, das Bundesberatungsgesetz zu formulieren und zu verabschieden. Die Fortgeltung der verfassungswidrigen Fristenlösung auf dem Gebiet der bisherigen DDR droht, bereits errungene Anfangserfolge wieder zunichte zu machen. Das Bundesverfassungsgericht muß unverzüglich über die Anträge der Bayerischen Staatsregierung entscheiden, die Indikationslösung, die zu einer verkappten verfassungswidrigen Fristenlösung geführt hat, und die Bestimmungen zu ihrer Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung für verfassungswidrig und nichtig zu erklären. Das Bundesverfassungsgericht hat nach seiner eigenen Rechtssprechung die Übereinstimmung einer angefochtenen Regelung mit dem Grundgesetz umfassend zu prüfen. Das Bundesverfassungsgericht hat somit die Gelegenheit, das in der DDR fortgeltende „Recht" der Schwangeren, über die Unterbrechung der Schwangerschaft in eigener Verantwortung zu entscheiden, für verfassungswidrig und nichtig zu erklären. Fünftens. Die Fortgeltung von Art. 146 Grundgesetz in einer neuen Fassung begründet die Gefahr des Mißbrauchs. Den Bestrebungen, eine neue Verfassung mit einfacher Mehrheit zu verabschieden, um die staatliche Ordnung auf dem Boden des Grundgesetzes durch „eine andere Republik" zu ersetzen, soll nach dem Willen der SPD ein Weg vorbei an den Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17945* Bestimmungen des Art. 79 des Grundgesetzes gebahnt werden, der nicht durch die Erfordernis einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen in Bundestag und Bundesrat erschwert ist und der vor allem die in Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes jeder Änderung, auch der durch den verfassungsändernden Gesetzgeber, entzogenen Bestimmungen verfügbar macht, darunter Art. 1 des Grundgesezes, der die Würde des Menschen zu achten und zu schützen aufgibt. Sechstens. Dem Einigungsvertrag stimme ich, ohne daß die gegen Teile seines Inhalts zu erhebenden gewichtigen Bedenken ausgeräumt wären, trotzdem zu. Der Rückschlag für die Schaffung einheitlicher und geordneter Verhältnisse in Deutschland wäre bei einem Scheitern zu groß. Der am 2. Dezember 1990 zu wählende Deutsche Bundestag als die freigewählte Vertretung des deutschen Volkes hat die Aufgabe, die jeder staatlichen Rechtssetzung — auch derjenigen der verfassungsgebenden Gewalt oder des verfassungsändernden Gesetzgebers — vorgegebenen Grund- und Menschenrechte zu wahren sowie die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes in seiner gegenwärtig geltenden Fassung aufrechtzuerhalten. Erklärung des Abgeordneten Rossmanith (CDU/CSU): 1. Bei der Abstimmung muß einem unauflösbaren Widerspruch Rechnung getragen werden. Die der Bundesrepublik Deutschland beitretenden Landsleute erwarteten, daß die Bedingungen ihres Beitritts frei ausgehandelt wurden. Sie wollten dabei ein gleichberechtigter Vertragspartner sein. Ihre Forderungen führten zu einem Vertragsinhalt, der in Teilen das Grundgesetz bis in seinen Kernbereich hinein verändert. Dem stehen Rang und Gewicht des Grundgesetzes in der Fassung gegenüber, die ihm die Verfassungsväter 1949 gegeben hatten. 2. Aufrecht und eindringlich sprach die Präambel mit ihren ursprünglichen Worten davon, — welche Deutschen dem staatlichen Leben des Deutschen Volkes eine neue Ordnung gaben, — daß dies auch geschah für jene, denen mitzuwirken versagt war, und — daß das gesamte Deutsche Volk aufgefordert blieb, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Es war selbstverständlich und brauchte an dieser hervorgehobenen Stelle nicht besonders erwähnt zu werden, daß darunter das deutsche Volk in den unbestrittenen Grenzen des deutschen Staates vom 31. Dezember 1937 zu verstehen war. Dies wurde ausdrücklich in authentischer Interpretation erst dort erwähnt, wo die schwierigen Fragen der Staatsangehörigkeit zu regeln waren. Schamhaft wird in der künftigen Fassung verschwiegen, daß der schmerzliche Preis für die staatliche Wiedervereinigung der im Bundesgebiet und in der bisherigen DDR lebenden Deutschen der bevorstehende — und staatsrechtlich im Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag vorweggenommene — Verzicht auf die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße ist, ohne den diese Wiedervereinigung nicht zu erreichen gewesen wäre. Die Deutschen in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße, denen auch jetzt mitzuwirken versagt ist, werden keines Wortes gewürdigt. 3. Die Gemeinsame Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, bei der es sich um eine politische Absichtserklärung handelte, erhält den Charakter einer rechtlich bindenden Verpflichtung, die gegen eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht am gegenwärtig geltenden Verfassungsrecht abgesichert werden soll. Verstöße gegen die grundrechtliche Eigentumsgarantie und gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes sollen auf diese Weise sanktioniert werden. Mit Verbrechen verbundene schwerste Verstöße gegen die Haager Landkriegsordnung, die darüber hinaus menschenrechtswidrige Willkürakte deutscher Kommunisten ermöglichten, werden zum Fundament der auf dem Grundgesetz beruhenden Rechtsordnung im wiedervereinigten deutschen Staat gemacht. 4. Das Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9. März 1972, das die Frauen in der DDR berechtigt, die Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen unterbrechen zu lassen, soll durch das Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag rechtlich sanktioniert und seine Fortgeltung soll für zwei Jahre der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen werden, obwohl es mit Artikel 1 und Artikel 2 des Grundgesetzes in der Auslegung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 25. Februar 1975 unvereinbar ist. Wegen der Unvereinbarkeit mit Artikel 1 des Grundgesetzes, der durch Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes jeder Änderung entzogen ist, kann auch der verfassungsändernde Gesetzgeber mit einer 2/3-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nicht die rechtliche Grundlage für die Fortgeltung des Gesetzes vom 9. März 1972 schaffen. Die Rechtsordnung kann ihre bewußtseinsbildende Aufgabe nicht erfüllen, nachdem es schon nicht gelungen war, das Bundesberatungsgesetz zu formulieren und zu verabschieden. Die Fortgeltung der verfassungswidrigen Fristenlösung auf dem Gebiet der bisherigen DDR droht, bereits errungene Anfangserfolge wieder zunichte zu machen. Das Bundesverfassungsgericht muß unverzüglich über die Anträge der Bayerischen Staatsregierung entscheiden, die Indikationslösung, die zu einer verkappten verfassungswidrigen Fristenlösung geführt hat, und die Bestimmungen zu ihrer Finanzierung durch die Gesetzliche Krankenversicherung für verfassungswidrig und nicht zu erklären. Das Bundesverfassungsgericht hat nach seiner eigenen Rechtssprechung die Übereinstimmung einer angefochtenen Regelung mit dem Grundgesetz umfassend zu prüfen. Das Bundesverfassungsgericht hat somit die Gelegenheit, das in der DDR fortgeltende „Recht" der Schwangeren, über die Unterbrechung der Schwangerschaft in eigener Verantwortung zu entscheiden, für verfassungswidrig und nichtig zu erklären. 5. Die Fortgeltung von Artikel 146 Grundgesetz in einer neuen Fassung begründet die Gefahr des 17946* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 Mißbrauchs. Den Bestrebungen, eine neue Verfassung mit einfacher Mehrheit zu verabschieden, um die staatliche Ordnung auf dem Boden des Grundgesetzes durch „eine andere Republik" zu ersetzen, soll nach dem Willen der SPD ein Weg vorbei an den Bestimmungen gemäß Artikel 79 des Grundgesetzes gebahnt werden, der nicht durch das Erfordernis einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen im Bundestag und Bundesrat erschwert ist und der vor allem die in Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes jeder Änderung, auch der durch den verfassungsändernden Gesetzgeber, entzogenen Bestimmungen verfügbar macht, darunter Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Würde des Menschen zu achten und zu schützen aufgibt. 6. Dem Einigungsvertrag stimme ich, ohne daß die gegen Teile seines Inhalts zu erhebenden gewichtigen Bedenken ausgeräumt wären, dennoch zu, um das für mich übergeordnete Ziel der Einheit nicht zu gefährden. Der Rückschlag für die Schaffung einheitlicher und geordneter Verhältnisse in Deutschland wäre bei einem Scheitern zu groß. Der am 2. Dezember 1990 zu wählende Deutsche Bundestag, als die freigewählte Vertretung des deutschen Volkes, hat die Aufgabe, die jeder staatlichen Rechtssetzung — auch derjenigen der verfassungsgebenden Gewalt oder des verfassungsändernden Gesetzgebers — vorgegebenen Grund- und Menschenrechte zu wahren sowie die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes in seiner gegenwärtig geltenden Fassung aufrechtzuerhalten. Erklärung des Abgeordneten Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU): Der Freiheitswille unserer Landsleute in Mitteldeutschland, die Politik der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika sowie die beharrliche, kluge Haltung des Herrn Bundeskanzlers haben zu der von uns allen nicht erwarteten Lage in Deutschland geführt. Um so mehr bedauere ich, dem Einigungsvertrag nicht mit Freude zustimmen zu können, sondern nur nach langer, schwerer Gewissensprüfung. Insbesondere nach den Abstimmungen beider deutscher Parlamente und der zu erwartenden Mehrheit im ersten Gesamtdeutschen Parlament im Bezug auf die zukünftige Ostgrenze Deutschlands will ich im Zwange dieser Erkenntnis der Vereinigung „Restdeutschlands" meine Zustimmung nicht versagen. Meine Familie stammt mütterlich- und väterlicherseits nachweisbar seit Jahrhunderten aus Ostdeutschland, aus Schlesien. Von dort wurden wir gewaltsam vertrieben. Immer bin ich für die Einheit unseres vielfach geteilten Vaterlandes eingetreten und dafür von Mitgliedern der heutigen Opposition, z. B. von Herrn Ehmke und Herrn Voigt, aber auch von Journalisten der „Zeit" und des „Spiegels" mit Hähme und Spott und beleidigenden Äußerungen überschüttet worden. In meiner nun 18-jährigen Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag habe ich in den Ausschüssen und im Plenum oft auf Deutschland in allen seinen Teilen, also auf das ganze Deutschland auch jenseits von Oder und Neiße, z. B. am 8. Oktober 1981 und am 9. September 1982, hingewiesen. Dabei habe ich mich auf das Grundgesetz und die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes im Verfassungsgehorsam gestützt. In dem Einigungsvertrag wird im Art. 4 das Wiedervereinigungsgebot aus dem Grundgesetz gestrichen und der Art. 23 mit der Möglichkeit des Beitritts anderer Teile Deutschlands aufgehoben. Diesem Verfahren und Vorhaben der Bundesregierung hat das Bundesverfassungsgericht jedoch in dieser Woche seine Zustimmung gegeben! Das Selbstbestimmungsrecht wird nun nicht mehr für das ganze deutsche Volk gefordert, sondern mit dem Beitritt der DDR für verbraucht erklärt. Die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße werden zum Ausland erklärt, und das Selbstbestimmungsrecht unseren dort lebenden Landsleuten nicht mehr zugestanden. Auch die Frage ihrer deutschen Staatsangehörigkeit bleibt offen. Die Entschließung zur Endgültigkeit der von Stalin durchgesetzten Oder-Neiße-Linie als Grenze habe ich am 21. Juni 1990 widersprochen (siehe Anlage 2 des Stenographischen Protokolls der 217. Sitzung). Die Mehrheit hat anders entschieden! Energisch verwahre ich mich gegen den in dieser Entschließung zum Ausdruck gebrachten ausdrücklichen Bezug auf das Görlitzer Abkommen. In seiner 68. Sitzung am 13. Juni 1950, erklärte der Bundestag, vorgetragen vom Alterspräsidenten Paul Löbe (SPD) u. a.: ... Gemäß dem Postdamer Abkommen ist das deutsche Gebiet östlich von Oder und Neiße als Teil der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands der Republik Polen nur zur einstweiligen Verwaltung übergeben worden. Das Gebiet bleibt ein Teil Deutschlands.... Niemand hat das Recht, aus eigener Machtvollkommenheit Land und Leute preiszugeben oder eine Politik des Verzichts zu treiben... . Die Mitwirkung an der Markierung der OderNeiße-Linie als angeblich „unantastbarer" Ostgrenze Deutschlands, ... ist ein Beweis für die beschämende Hörigkeit dieser Stelle gegenüber einer fremden Macht! Wie weit hat sich der Deutsche Bundestag von dieser eigenen Grundsatzerklärung deutscher Außen- und Ostpolitik entfernt! Ist es nun denn wirklich so unvorstellbar, in beharrlichen Verhandlungen mit der polnischen Regierung auch heute noch eine parallele Lösung zum Frankreich-Saarland-Problem angesichts der katastrophalen Lage in allen Bereichen in den Oder-Neiße-Gebieten zu finden oder eine mehr noch europäische konföderale Lösung auszuarbeiten? Es konnte mir troz intensiver Nachfrage nicht versichert werden, daß in den Verhandlungen des Außenministers in den vergangenen Monaten überhaupt der Versuch unternommen worden ist, der aufgrund der KSZE-Vereinbarungen doch möglich gewesen wäre, das Gebot der Wiedervereinigung, auf das uns das Grundgesetz verpflichtet, in bezug auf Ostdeutsch- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17947* land — auch angesichts der Situation in der Sowjetunion und Polen — überhaupt vorzutragen, weil man eben von vornherein von den realen Machtverhältnissen ausging, so wie viele von der ewigen Zweistaatlichkeit hinsichtlich der DDR ausgegangen sind. Es ist mir trotz intensiver Nachfrage nicht bestätigt worden, daß die Siegermächte expressis verbis von sich aus das angebliche Junktim aufgestellt haben, daß die Vereinigung von West- und Mitteldeutschland nur mit „freiwilligem" Verzicht auf Ostdeutschland ermöglicht werden könne. Ich vertraue jedoch den Versicherungen des Herrn Bundeskanzlers, der diese Forderung als conditio sine qua non bezeichnet hat. Sicherlich sind generelle Vorbehalte gegen Änderungen der Nachkriegsgrenzen im allgemeinen auch mir beim Obersten Sowjet im Kreml in Moskau noch am 12. September 1990 erläutert worden. Ich befürchte aber dennoch, daß das angebliche Junktim zwischen staatlicher Einheit und dem Verzicht auf ein Viertel unseres Vaterlandes aufgrund innenpolitischer Kriterien weitestgehend auch „hausgemacht" ist, insbesondere auch zur Rechtfertigung des Warschauer Vertrages gegenüber den damals und zum Teil heute noch Verantwortlichen! Ich nehme mir das Recht, auf verantwortliche Verhandlungsführer im Außen- und Justizministerium aufmerksam zu machen. Mit Überzeugung bekenne ich mich zum gültigen Grundsatzprogramm der CDU Deutschlands vom Jahre 1978 und mit der Ziffer 133 zu Deutschland in allen seinen Teilen und zum Selbstbestimmungsrecht des ganzen Deutschen Volkes. Ich habe tiefes Verständnis für viele Heimatvertriebene, die sich enttäuscht fühlen, und teile deren Schmerz. Wie bisher will ich im Geist der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen" vom Jahre 1950 als Demokrat, als überzeugter Europäer in christlicher Gesinnung mich für die Verständigung auch mit dem polnischen Volke einsetzen. Aufrichtige Verständigung aber kann nur auf der festen Grundlage der Wahrheit und der Gerechtigkeit beruhen. Ich befürchte aufgrund der geschichtlichen Erfahrung gerade auch im deutsch-polnischen Verhältnis nach dem ersten Weltkrieg, daß ein Grenzdiktat den Gedanken des Revisionismus von vornherein in sich tragen wird. Ich verweise auf die vielen Reden des im deutsch-polnischen Verhältnis erfahrenen Abgeordneten Prälat Carl Ulitzka aus dem oberschlesischen Ratibor. Die nationalistische-chauvinistische Haltung vieler Polen in Verwaltung und Kirche habe ich bei meinen Gesprächen im vergangenen Jahr in Warschau mit Vertretern der damaligen Regierung, den nun in der Regierung stehenden Vertretern der Solidarnosc und insbesondere mit Kardinal Glemp zu spüren bekommen. In dem Einigungsvertrag mit dem gleichzeitigen Verzicht auf ein Viertel unseres Vaterlandes bleiben völlig offen notwendig verbindliche Regelungen wie z. B. Volksgruppenrechte, das Recht auf die Heimat, Vorschläge zur Lösung der völlig offenen vermögensrechtlichen Fragen. Es steht immer noch aus ein polnisches Schuldanerkenntnis über die begangenen Unrechtstaten durch Massenvertreibung, Massentötungen, Zwangspolonisierungsmaßnahmen und völkerrechtswidrige Annektion. Wie anders sind die Worte gegenüber unseren sudetendeutschen Landsleuten vom Präsidenten und vom Kardinal-Erzbischof aus Prag. Ich erwarte von der Bundesregierung, daß sie bemüht bleibt, die Fehler der für den Abschluß des Warschauer Vertrages verantwortlichen Politiker zu korrigieren und durch vertraglich verbindliche Absprachen die Lebensbedingungen unsere Landsleute in den Oder-Neiße-Gebieten, zu verbessern. Menschenrechte sind unteilbar und müssen auch für alle Deutschen gelten. Es ist beschämend und bedrückend, mit welcher Lieblosigkeit und Herzlosigkeit, ja zum Teil mit widerlicher Gehässigkeit oder auch Lässigkeit — nicht nur in den Medien — das grausame Schicksal der Ostdeutschen behandelt wird. Man wird unsere Landsleute daheim nun völkerrechtlich von uns trennen, unsere Herzen kann niemand trennen, und man wird den heimattreuen Ostdeutschen auch die Heimat nie aus dem Herzen reißen können. Ich bin auch gewiß, daß gerade der Herr Bundeskanzler weiterhin mit uns ihr Fürsprecher bleiben wird. Trotz der Parlamentsmehrheit werden wir die Deutschen daheim nicht im Stich lassen! Wünschenswert ist, daß die Republik Polen möglichst bald in die EG eintreten kann, damit durch Aufhebung des Visumszwanges mit allen Nebenerscheinungen, durch Gewährung der Niederlassungsfreiheit und durch Beachtung und Respektierung des Europäischen Gerichtshofes ein neues Kapitel in den deutschpolnischen Beziehungen aufgeschlagen werden kann und diese Unrechts-Grenze demnach Brückenfunktion erhält. Bezüglich der Beurteilung der vermögensrechtlichen Fragen schließe ich mich der Erklärung meines Kollegen von Schmude an. Auch der Hinweis meiner Kollegen Dr. Czaja und Dewitz auf die ungelösten Entschädigungsfragen der Vertriebenen in der DDR findet meine Zustimmung. Die vermögensrechtlichen Regelungen entsprechen nicht meinem Gerechtigkeitsempfinden, und ich befürchte Schaden für den Rechtsfrieden in unserem Lande. Auch hier erhoffe ich mir von der Bundesregierung entscheidende Verbesserungen. Um die Vereinigung der nunmehr beiden freien Teile Deutschlands nicht zu behindern, stimme ich mit großem Bedenken dem Einigungsvertrag zu mit der Hoffnung, daß im deutsch-polnischen Bereich mit neuen Verantwortlichen in Warschau in europäischer Zielrichtung und auf dem Fundament von Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit für alle beteiligten Volksgruppen Lösungsmöglichkeiten gesucht, erarbeitet und durchgesetzt werden. Erklärung des Abgeordneten Schemken (CDU/CSU) : Ich stimme dem Einigungsvertrag unter großen Bedenken zu, weil ich den Weg zur Deutschen Einheit mit den einmaligen Chancen, insbesondere für die 17948* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 Entwicklung des geeinten Deutschlands in Frieden, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit, unterstützen möchte. Ich erkläre jedoch zugleich, daß ich mit der Fassung des Art. 31 nicht einverstanden bin. Das Vertragswerk wird dem moralischen und verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des werdenden Lebens nicht gerecht. Für mich ist Leben unteilbar und kann nach meiner Auffassung von Ethik und Moral durch kein auch noch so gesetzlich begründeten Kompromiß in Frage gestellt werden. Die Bedeutung des Art. 4 in der zukünftigen Fassung der Präambel „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen" verpflichtet uns, das unteilbare Gut des Lebens unter keiner Bedingung zur Disposition zu stellen. Zwar sieht Art. 31 Abs. 4 eine Übergangsregelung und die Verpflichtung, sofort „ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen" zur Beratung zum Leben in der ehemaligen DDR einzurichten, vor, aber es bleiben für mich nach wie vor die Bedenken, die durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Schwangerschaftsabbruch belegt sind. Die eng eingegrenzte Übergangsregelung kann dann nur vertreten werden, wenn wirklich zum Erhalt des Lebens geraten und geholfen wird. Dabei ist auch die jetzige Indikationsregelung in der Bundesrepublik nach der Einigung durch den Gesetzgeber zwingend zu verbessern. Dies sieht Art. 31 Abs. 4 unmißverständlich vor. Dies gilt eben auch für Indikationsregelung. Nur unter dieser Beschreibung und ausdrücklich verbesserter Hilfen für schwangere Frauen ist die Übergangsregelung unter großen Bedenken für mich erträglich. Erklärung der Abgeordneten von Schmude, Dr. Olderog, Engelsberger, Dörflinger, Kroll-Schlüter, Würzbach, Eigen, Hedrich, Harries, Schulze (Berlin), Lattmann, Wilz, Dr.-Ing. Kansy, Maaß, Dr. von Wartenberg, Kossendey, Graf von Waldburg-Zeil, Nelle, Dr. Wulff, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Frau Dempwolf, Dr. Sprung, Frau Hoffmann (Soltau), Dr. Müller, Dr. Köhler (Wolfsburg), Frau Fischer, Freiherr von Schorlemer, Clemens, Eylmann, Kalisch, Dr. Warrikoff, Dr. Meyer zu Bentrup, Hornung, Krey, Spranger, Dr. Stercken, Dr. Unland, Zeitlmann, Tillmann, Gerstein, Link (Diepholz), Dr. Vondran, Dr. Dollinger, Dr. Jenninger, Dr. Mahlo, Müller (Wadern), Bayha, Brunner, Schartz (Trier), Susset, Michels, Frau Geiger, Lintner, Lummer, Glos, Gröbl, Dr. Grünewald, Rossmanith, Regenspurger, Lowack, Hinsken, Dr. Voigt (Northeim), Borchert, Dr. Schroeder (Freiburg), Zierer, Rauen, Sauer (Salzgitter), Dr. Schneider (Nürnberg) (alle CDU/CSU) : Die im Einigungsvertrag vorgesehene Aufnahme eines neuen Art. 143 Abs. 3 in das Grundgesetz sowie die damit verbundene Anerkennung der sogenannten Bodenreform lehnen wir ab. Da nur über den Einigungsvertrag als Ganzes abgestimmt wird und wir nicht durch ein negatives Stimmverhalten die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gefährden wollen, geben wir diese Erklärung zu Protokoll: Unser Grundgesetz garantiert in Art. 14 den Schutz des Eigentums: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt." Durch die Aufnahme des Art. 143 Abs. 3 in das Grundgesetz und durch Art. 41 des Einigungsvertrages in Verbindung mit der gemeinsamen Erklärung der beiden Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik wird ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet. Die unterschiedliche Behandlung von Geschädigten während der Zeiträume 1945 bis 1949 und 1950 bis dato verstößt auch gegen das Gleichheitsgebot. (Art. 3 GG). Die von 1945 bis 1949 in der damaligen SBZ durchgeführte Bodenreform hatte keine Rechtsgrundlage. Vielmehr handelte es sich um politisch motivierte Willkürakte. Als Aufgabe der Bodenreform wurde genannt: „ 1. Die Liquidierung des feudal-junkerlichen Großbesitzes und die Beendigung der Herrschaft der Junker und Großbesitzer im Dorfe, weil diese Herrschaft immer eine Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande darstellte und eine der Hauptursachen der Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker war. 2. die Erfüllung des jahrhundertealten Traumes der landlosen und landarmen Bauern nach Übergabe des Großgrundbesitzes in ihre Hände. " Es stellt eine nachträgliche Verhöhnung von Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 dar, daß auch ihr Eigentum durch die Bodenreform entschädigungslos enteignet wurde. Von den mehr als 11 000 enteigneten Höfen hatten rund 4 300 eine Betriebsgröße von unter 100 ha. Vertrieben, inhaftiert und enteignet wurde jeder, der der kommunistischen Diktatur im Wege stand. Die Väter unseres Grundgesetzes ließen sich auf Grund unserer geschichtlichen Erfahrung von den Grundsätzen leiten: Nie wieder darf Macht vor Recht gehen und: Auf altes Unrecht darf kein neues Unrecht geschehen. Eine wie auch immer geartete Anerkennung der mit brutaler Gewalt erzwungenen Bodenreform lehnen wir aus moralischen, rechtlichen und politischen Gründen ab. Ein gesamtdeutsches Parlament muß deshalb nicht nur eine angemessene Entschädigung durch Ausgleichszahlungen und/oder Landrückgabe an die durch die Bodenreform Betroffenen sicherstellen, sondern auch den Art. 143 Abs. 3 unseres Grundgesetzes aufheben, weil dieser nicht mit Art. 14 zu vereinbaren ist. Erklärung des Abgeordneten Dr. Schwörer (CDU/CSU): Ich stimme dem obigen Gesetz zu. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17949* 1. Ich tue dies mit größtem Bedenken, weil in dem Gesetz die Fortgeltung der Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch für eine begrenzte Zeit enthalten ist. Ich verbinde mit meiner Entscheidung die feste Hoffnung, daß im gesamtdeutschen Parlament eine Lösung für den Schwangerschaftsabbruch gefunden wird, der die Fristenregelung auf dem Gebiet der früheren DDR beseitigt und die Indikationsregelung, die heute in der Bundesrepublik praktiziert wird, entscheidend im Sinne des Schutzes ungeborenen Lebens verbessert. 2. Ebenso verbinde ich mit meiner Zustimmung die Hoffnung, daß in den Eigentumsfragen in der früheren DDR eine Regelung gefunden wird, die dem hohen Rang des Eigentums gerecht wird. 3. Die Anerkennung unserer Ostgrenze verbinde ich mit der Erwartung, daß in einem Staatsvertrag mit Polen die Rechte der deutschen Minderheit gesichert werden. Dazu gehört auch das Heimatrecht der Heimatvertriebenen. Erklärung des Abgeordneten Dr. Todenhöfer (CDU/CSU) : Die Wiedervereinigung zweier Teile Deutschlands ist für mich das bewegendste Erlebnis meiner parlamentarischen Laufbahn. Ich begrüße sie aus ganzem Herzen und mit tiefer Freude. Um sie nicht zu gefährden, werde ich dem vorliegenden Einigungsvertrag zustimmen, obwohl ich vor allem in zwei Punkten erhebliche Vorbehalte habe: Erstens. Mit der Fortgeltung der Fristenregelung auf dem Gebiet der DDR, verbunden mit dem „Tatortprinzip", wird der ohnehin geringe Schutz ungeborener Kinder weiter ausgehöhlt. Die Bundesrepublik Deutschland entzieht damit ohne Not ungeborenen Kindern verfassungsmäßige Rechte und gibt sie zur Tötung frei. Das Abtreibungsproblem darf — das haben viele Frauen zu Recht immer wieder betont — nicht über die Köpfe der Frauen hinweg geregelt werden. Aber es darf auch nicht über die Köpfe der Kinder hinweg geregelt werden. Dies ist im Einigungsvertrag jedoch leider geschehen. Der Sozialstaat muß sich in erster Linie den Schwachen und Wehrlosen zuwenden. Es gibt nichts Wehrloseres als das ungeborene Kind. Der Rechtsstaat hat die Pflicht, jede Art menschlichen Lebens mit all seinen Instrumenten, auch mit dem Strafrecht, zu schützen. Kann sich ein Staat, der Abtreibungen bewußt zuläßt, wirklich Rechtsstaat und Sozialstaat nennen? Im Einigungsvertrag wird die einmalige Chance versäumt, mehr Menschenrechte in ganz Deutschland zu verwirklichen. Der Vertrag hätte dazu genutzt werden müssen, ein klares Signal für das Leben zu geben und mit der gegenwärtigen Abtreibungspraxis Schluß zu machen — im Osten mit der Fristenregelung, im Westen mit der verkappten Fristenregelung, die zu Unrecht den Namen „Notlagenindikation" trägt. Ich hoffe, daß das erste gesamtdeutsche Parlament diese schlimme Fehlleistung des Einigungsvertrages korrigieren wird. Wir sollten dabei werdenden Müttern in schwieriger sozialer Lage viel energischer helfen als bisher und endlich auch unseren Dünkel gegenüber ledigen Müttern aufgeben. Zweitens. Für die endgültige Festschreibung der Oder-Neiße-Linie als Grenze gilt der klassische Satz: Nichts ist geregelt, was nicht gerecht geregelt ist. Die Teilstaaten Bundesrepublik Deutschland und der DDR haben nicht das Recht, die gewaltsame Abtrennung Schlesiens, Oberschlesiens, Ostbrandenburgs, Pommerns und Ostpreußens vertraglich festzuschreiben. Sie haben nicht das Recht, auf 25 Prozent des deutschen Reichsgebiets vor(!) Hitlers Gewaltmaßnahmen zu verzichten, ohne den gesamtdeutschen Souverän und die betroffenen Bevölkerungsgruppen z. B. durch ein Referendum auch nur zu fragen. Ein Beitrag zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrecht der Deutschen ist dieses Vorgehen nicht. Nicht einmal die Sieger von 1945 maßten sich an, Polen den Erwerb der Gebiete östlich von Oder und Neiße zu ermöglichen. Warum eigentlich sollte unsere Rechtsposition 1990 schlechter sein als 1945? Den Frieden und die europäische Einigung darf man auch heute nicht auf stalinistischem Unrecht aufbauen. Der Einigungsvertrag verringert auch die Chance, in Verhandlungen mit der polnischen Regierung wenigstens echte Volksgruppenrechte für die unter polnischer Staatsgewalt lebenden Deutschen zu erreichen. Nicht einmal das hat die Bundesrepublik Deutschland erreicht. Die Behauptung der Befürworter der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, eine deutsche Wiedervereinigung sei nur um den Preis der Aufgabe der deutschen Ostgebiete erreichbar gewesen, ist im Grunde eine Unterstellung gegenüber den Vier Mächten. Will man damit etwa behaupten, die USA, Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion hätten Fallschirmjäger gegen Deutschland eingesetzt, wenn die Deutschen sich nach Art. 23 unseres Grundgesetzes wiedervereinigt hätten, ohne auf die Oder-Neiße-Gebiete zu verzichten? Die deutsche Wiedervereinigung ist nicht von den Politikern herbeigeführt worden. Die Wiedervereinigung wird Wirklichkeit, weil die Menschen in der DDR in großer Geschlossenheit für sie gekämpft haben und weil die sowjetische Führung ihren Soldaten befahl, in den Kasernen zu bleiben. Die Politiker hatten im Kern nur zwei große kontroverse Probleme zu lösen: die Oder-Neiße-Frage und die Abtreibungsfrage. Die deutsche Politik ist in beiden Fällen den Weg des geringsten Widerstandes gegangen. Ich befürchte, daß wir mit dieser opportunistischen Haltung unserer Verantwortung vor der Geschichte nicht gerecht werden. Erklärung des Abgeordneten Windelen (CDU/CSU): Dem „Einigungsvertragsgesetz" kann ich aus schwerwiegenden Gründen nicht zustimmen. Das bedrückt mich, weil mein ganzes politisches Wirken in den 33 Jahren meiner Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag als Schlesier und als Vertreter der Kriegs- 17950* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn. Donnerstag, den 20. September 1990 generation von dem Auftrag unseres Grundgesetzes und vom Streben bestimmt war, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden, dem Frieden der Welt und der Verständigung mit unseren Nachbarn zu dienen. Der Politik des Bundeskanzlers ist es zu danken, daß nunmehr die Wiedervereinigung mit den Deutschen in der ehemaligen DDR in Frieden und Freiheit möglich geworden ist. Doch ich bedauere, daß damit die Anerkennung der polnischen Westgrenze verbunden wurde, ohne daß gleichzeitig eine umfassende und verbindliche Regelung des deutsch-polnischen Verhältnisses, der Rechte der Deutschen im polnischen Machtbereich, des Heimatrechtes der Vertriebenen, der Anerkennung des Unrechtes von Vertreibung und Annektion und der materiellen Fragen erreicht wurde. Dies wird die künftigen Beziehungen zwischen Deutschen und Polen belasten. Die 150 Kriege und kriegerischen Auseinandersetzungen in aller Welt seit 1945 bis in unsere Tage mit über 50 Millionen Toten und weit mehr Vertriebenen mahnen uns, die schwierigen Probleme zwischen den Völkern in Geduld einem vernünftigen und gerechten Ausgleich zuzuführen, statt sie auf die nächste Generation abzuladen. Vor allem gilt es, einer Präzedenzwirkung entgegenzutreten, daß Vertreibung lohne und eine genügend lange Aufrechterhaltung von Unrecht Recht schaffen könne. Gewiß hat schon der deutsch-polnische Vertrag von 1972 den Spielraum der Bundesregierung begrenzt. Weil ich dies befürchtete, hatte ich diesem Vertrag damals meine Zustimmung versagt. Ich kann heute nicht Regelungen zustimmen, die ich schon vor 18 Jahren befürchtet und vor denen ich schon damals gewarnt habe. Mich bedrückt auch das Unverständnis und die Lieblosigkeit, mit der manche Politiker über das Schicksal von Millionen Heimatvertriebenen hinweggehen, die stellvertretend für das ganze Volk die schwersten Opfer gebracht haben, obschon sie an den Verbrechen des Dritten Reiches nicht mehr Verantwortung trugen als alle Deutschen. Ein erzwungenes Opfer zu Lasten Dritter aber kann nicht zum Ausgleich führen, und ein erzwungener Verzicht kann Polen nicht die notwendige Sicherheit geben, die es auf seinem Weg in ein freies Europa der Menschenrechte und der Selbstbestimmung braucht. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Punkt 6a und b der Tagesordnung (Umwelthaftungsgesetz, Antrag zur Reform des Umwelthaftungsrechts) Grünbeck (FDP): Auch im Namen des Kollegen Dieter-Julius Cronenberg erkläre ich gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zum Umwelthaftungsgesetz: Die Anhörung zum Umwelthaftungsgesetz hat erhebliche Zweifel an der Praktikabilität dieses Gesetzes ergeben. Mit der ungeklärten Frage der Versicherbarkeit von Schäden aus genehmigtem, störungsfreien Normalbetrieb, der sogenannten Ursachenvermutung für eine Anlage, die geeignet ist, einen entstandenen Schaden zu verursachen, und der Haftung auch für Entwicklungsrisiken werden Innovationen behindert, der Wirtschaft enorme Kosten aufgebürdet und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen mit völlig unkalkulierbaren Risiken belastet. Wir sehen uns daher nicht in der Lage, dem Entwurf zuzustimmen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes) Keller (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verbesserung des Vermögensschutzes in der Sozialhilfe, die wir heute unter dem Stichwort „Schutz des kleinen Hausgrundstückes" behandeln, geht bereits auf eine Gesetzesinitiative des Freistaates Bayern aus dem Jahre 1986 zurück, dem sich die übrigen Länder in einem gemeinsamen Gesetzesentwurf des Bundesrates angeschlossen haben. Lassen Sie mich die Problematik an Hand eines geläufigen Beispiels nochmals darstellen: Eine Familie mit einem behinderten Kind entschließt sich auf Grund der besonderen Wohnungsprobleme für diesen Personenkreis, ein eigenes, bescheidenes Haus zu bauen. Hier geht es in erster Linie nicht darum, Vermögen zu bilden, sondern geeigneten Wohnraum zu schaffen. Über Jahre muß eisern jede Mark gespart werden, die Familie muß in vielem zurückstecken. Dies gilt besonders für Familien, bei denen ein Elternteil zugunsten der notwendigen Betreuung eines behinderten Kindes von vornherein auf eine Berufstätigkeit verzichtet. Dann ist es geschafft, das notwendige Geld angespart und endlich das Eigenheim gebaut. Was passiert aber, wenn die Familie nach all den Entbehrungen in eine finanzielle Notlage gerät, und auf Sozialhilfe angewiesen ist? Nun droht auch noch der Verlust des Eigenheims. Noch aber kommt es entscheidend darauf an, wo die Familie wohnt. Liegt ihr Familienheim auf einem Grundstück an der Werra oder an der Leine, hatte es bislang noch beste Aussichten, angesichts des niedrigen Verkehrswertes als Schonvermögen behandelt zu werden. Beim gleichen Familienheim an der Isar oder an der Spree gelegen führt kein Weg daran vorbei, daß die Hilfesuchenden ihr Häuschen erst „aufbrauchen" müssen, bevor die Sozialhilfe greift. Das heißt, sie muß ihr Eigenheim verkaufen. Ich begrüße, daß diese soziale Härte nunmehr beseitigt wird. Weg vom „Verkehrswert" hin zur „Angemessenheit" eines Hausgrundstückes im Falle häusli- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17951* cher Pflege ist ein erster Schritt. Dabei wird in gleicher Weise den Belangen der Pflegefamilien wie den Grundsätzen der Sozialhilfe Rechnung getragen: Häusliche Pflege von Behinderten, Schwerkranken und alten Menschen ist in der Regel jeder Heimunterbringung vorzuziehen. Dabei bedeutet die Familienpflege für die Sozialhilfeträger eine wesentliche finanzielle Entlastung, die durch eine großzügigere Regelung bei der Beurteilung des Schonvermögens sicher kompensiert werden dürfte. Allerdings muß ich hier einfügen, daß ich hierin nur einen Einstieg für die nächste Legislaturperiode sehen kann. Angesichts des Widerstandes unseres Koalitionspartners mußte der weitergehende Entwurf des Bundesrates leider für die nächste Legislaturperiode zurückgestellt werden. Ich meine, die veränderte Wohnungssituation, der Anstieg des Wohngeldes, das zumindest indirekt auch mit zum Anstieg der Mietpreise beitragen dürfte, und der sozialrechtliche Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe gebieten, hier weitergehende Überlegungen — wie von bayerischer Seite vorgeschlagen — in die Tat umzusetzen. Froh bin ich, daß wir die Altersvoraussetzung von einem Jahr für den Anspruch auf Blindenhilfe mit dem heutigen Änderungsantrag ebenfalls gestrichen haben. Damit werden Maßnahmen zur Förderung eines blinden oder schwer hirngeschädigten Kindes bereits ab Geburt wenigstens finanziell unterstützt. Lassen Sie uns das System der Sozialhilfe weiterhin immer wieder kritisch durchleuchten, den geänderten Verhältnissen anpassen und Fehlentwicklungen entgegensteuern, um gezielt dort Unterstützung zu geben, wo sie wirklich notwendig ist! Frau Seuster (SPD): Stellen Sie sich einmal vor, Sie fielen bei einer Schiffsreise bei Sturm oder Seegang ins Wasser. Der Kapitän des Schiffes verspricht, Ihnen zu helfen. Er streitet sich aber mit seinen Offizieren, ob der Rettungsring der Ihnen zugeworfen werden soll, die richtige Größe hat oder ob er vielleicht eine Nummer kleiner sein darf. Der Streit zieht sich hin. Sie werden immer schwächer und können sich schließlich nicht mehr über Wasser halten. Das Thema ist damit für Kapitän und Offiziere erledigt. Das Schiff fährt weiter. Die Situation des Schiffbrüchigen entspricht derjenigen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die z. B. behinderte Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zuhause betreuen oder die selbst pflegebedürftig sind. Die Sozialhilfe, um die es heute abend geht, ist angelegt, als Hilfe zur Selbsthilfe. Das bedeutet gleichzeitig, daß derjenige der sich noch mit eigenen Mitteln aus einer Notlage befreien kann, keine Sozialhilfe erhält. Soweit Vermögen vorhanden ist, muß es verwertet werden, bevor die Sozialhilfe einsetzen kann. Von diesem Grundsatz, der richtig und vernünftig ist, gibt es aber Ausnahmen: Unter anderem darf die Gewährung von Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder der Verwertung eines kleinen Hausgrundstücks, besonders eines Familienheims, wenn der Hilfesuchende das Hausgrundstück allein oder zusammen mit Angehörigen, denen es nach seinem Tode weiter als Wohnung dienen soll, ganz oder teilweise bewohnt. So lautet der Text im § 88 des Bundessozialhilfegesetzes, um den es heute abend geht, ein Text, der auf den ersten Blick ganz klar und eindeutig erscheint. Der Teufel steckt aber bekanntlich im Detail. Ganze Heerscharen von Juristen haben sich über Jahrzehnte über die spannende Frage auseinandergesetzt, welches Hausgrundstück denn nun als klein oder als nicht mehr klein zu bezeichnen ist. Es geht also im übertragenen Sinne um die Größe des Rettungsrings, den ich eingangs erwähnte. Der Unterschied ist, daß die Betroffenen diese Spannung überhaupt nicht lustig finden. Wie würden Sie sich denn fühlen, wenn Sie ständig damit rechnen müßten, daß Ihnen der Helfer den Rettungsring klaut, weil er meint, er sei zu groß? Heute abend haben wir in den nächsten 30 Minuten darüber zu entscheiden, ob wir einen Weg einschlagen, der zu mehr sozialer Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft führt, oder ob wir unbeirrt den von dieser Bundesregierung betriebenen Marsch in die Zweidrittelgesellschaft fortsetzen. Das Ziel des uns vorliegenden Gesetzentwurfs des Bundesrates die Stärkung der Selbsthilfemöglichkeiten Sozialhilfebedürftiger. Die Tragfähigkeit des Rettungsringes soll verbessert werden. Unsere Aufgabe ist es zu prüfen, ob dieses Ziel mit der Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit erreicht werden kann. Wir sind der Auffassung, daß genau dies nicht der Fall ist. Auf die Einzelheiten komme ich anschließend im Zusammenhang mit der Erläuterung des von uns eingebrachten Änderungsantrages zurück. Zuvor gestatten Sie mir bitte einige Bemerkungen zum bisherigen Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens. Es ist wahrhaft bemerkenswert. Der Weg dieses Gesetzentwurfes durch die Institution der bundesdeutschen Gesetzgebung ist lang, so lang, daß er nur noch als Leidensweg zu bezeichnen ist. Die Vorgeschichte beginnt, formal betrachtet, am 1. Juni 1987. Dieses Datum trägt die uns vorliegende Bundestagsdrucksache 11/391. Der Ursprung der Idee, den Vermögensschutz Sozialhilfebedürftiger zu verbessern, liegt jedoch viel weiter zurück. Bereits 1980 hatte der Deutsche Bundestag einvernehmlich, also auch mit den Stimmen der heutigen Koalition, mit der damaligen 4. Novelle zum Bundessozialhilfegesetz eine ähnliche Verbesserung der Schutzvorschriften beschlossen. Dieses Gesetz scheiterte damals im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat, in dem die Union die Mehrheit hatte. Sechs Jahre später, im Sommer 1986, beschloß der Bundesrat einvernehmlich unter Umkehrung seiner bisherigen Position die Einbringung eines Gesetzentwurfs, der mit dem uns heute vorliegenden Entwurf identisch war. Der Initiator dieses Bundesratsbeschlusses war — hier wende ich mich besonders an die Kollegen und Kolleginnen von der CSU, weil sie es vielleicht schon vergessen haben — der Freistaat Bayern. Die Vorlage trug die Unterschrift von Franz Josef Strauß. Die erste Lesung des damaligen Ent- 17952* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 wurfs mit der Drucksachennummer 10/5842 fand im Deutschen Bundestag am 24. September 1986 statt. Mein inzwischen aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedener Fraktionskollege Lothar Witek, der damals für die SPD den Gesetzentwurf betreute, hatte offenbar die richtige Vorahnung. Er äußerte in der ersten Lesung die Befürchtung, die Bundesregierung werden den angestrebten Verbesserungen nur unter Bedingungen zustimmen, die die Absicht des Entwurfs in ihr Gegenteil verkehren würden. Zu dieser Auffassung veranlaßte ihn die windelweiche, wenig substantiierte Stellungnahme der Bundesregierung, der außer dem Hohen Lied vom Mißbrauch nicht viel zu dem Gesetzentwurf eingefallen war. Die Ausschußberatungen im 10. Deutschen Bundestag wurden erfolgreich verschleppt; der Entwurf verfiel der Diskontinuität. Zum allgemeinen Erstaunen in der Fachöffentlichkeit brachte der Bundesrat, wiederum auf Initiative des Freistaats Bayern, den Gesetzentwurf in der 11. Legislaturperiode wieder ein. Es wiederholte sich das gleiche Spiel. Die Bundesregierung machte Bedenken geltend, ohne sie näher zu konkretisieren. Zwei Jahre dauerte es, bis der Entwurf in erster Lesung ohne Debatte den Ausschüssen überwiesen werden konnte. Dort setzte sich der hinhaltende Widerstand der Bundesregierung fort. Obwohl sie außer ein paar dürftigen, konstruierten Beispielen möglicher sogenannter Mißbrauchsfälle ihre artikulierten Bedenken noch immer nicht konkretisierte, kam der Ausschuß überein, denkbare Schwierigkeiten in interfraktionellen Gesprächen aus dem Weg zu räumen. Auf eine Einladung zu einem solchen Gespräch warten wir noch heute. Erst nach unserer Ankündigung, einen Zwischenbericht nach § 62 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zu beantragen, legte die Koalition am 6. September 1990, also fast ein Jahr nach der ersten Ausschußberatung, einen Änderungsantrag auf den Tisch, der den ursprünglichen Gesetzentwurf bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Aus dem Umstand, daß die FDP bereits im Sommer mit genau diesem Antrag bei Verbänden hausieren ging, ohne allerdings die deutliche Abfuhr zu erwähnen, die ihr dabei erteilt wurde, ist zu schließen, daß Ihr Antrag auf dem Mist der FDP gewachsen ist. Insgesamt eine taktische Meisterleistung, die zu loben mir verständlicherweise schwerfällt! Die auf der Grundlage des Änderungsantrags der Koalition nunmehr beschlossene Empfehlung des Ausschusses weicht vom Gesetzentwurf des Bundesrates, den wir von Beginn an unterstützt haben, in wesentlichen Punkten ab: Erstens. Der jahrzehntelange Streit über den Begriff des sogenannten kleinen Hausgrundstücks sollte durch eine bundeseinheitliche Definition unter Bezugnahme auf das 2. Wohnungsbaugesetz beendet werden, und zwar generell für alle Sozialhilfeempfänger. Nach der vom Ausschuß beschlossenen Fassung soll nur für Blindengeldempfänger und für Empfänger für Hilfe zur Pflege, also für einen wesentlich kleineren Personenkreis, bei der Beurteilung der sozialhilferechtlichen Verwertbarkeit ihres Grundstückes der Verkehrswert außer Betracht bleiben. Damit fällt eine wesentliche Zielgruppe des ursprünglichen Bundesratsantrags, nämlich die Eltern behinderter Kinder, die Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff. BSHG erhalten, aus dieser Gesetzgebung heraus. Dies halten wir für nicht hinnehmbar. Zweitens. Der sozialhilferechtliche Schutz des Familienheims oder der Wohnung sollte auch auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 und des § 28 des Bundessozialhilfegesetzes erstreckt werden, also auf diejenigen nahen Angehörigen, die dem Bedürftigen besonders eng verbunden sind. Dieser Vorschlag ist in den Ausschußberatungen mit dem lapidaren Hinweis auf „durchgreifende systematische Bedenken" vom Tisch gewischt worden. Unbeantwortet, zumindest nicht überzeugend beantwortet bleibt die Frage, wie die systematischen Bedenken im einzelnen begründet werden. Zweifelhaft bleibt, ob die Länder, die diesen erweiterten Schutz selbst vorgeschlagen haben, diese Änderung akzeptieren können. Denn die Länder, denen eine übertrieben großzügige Handhabung des Vermögensschutzes bisher nicht unbedingt vorgeworfen werden kann, haben offenbar erkannt, daß Hilfe zur Selbsthilfe immer dann besonders kontraproduktiv wirkt, wenn sie zu gering ist. Wer in der Sozialhilfe nicht klotzt, solange noch Zeit ist, sondern kleckert und kürzt, produziert die Sozialhilfebedürftigen von morgen. Drittens. Vermögen, das der Beschaffung oder Herstellung eines Familienheimes dienen soll, so in der Regel Bausparvermögen, sollte nach dem Bundesratsvorschlag in das sozialhilferechtliche Verwertungsverbot einbezogen werden. Auch dieser Punkt richtete sich insbesondere auf die Verbesserung der Situation von Eltern mit behinderten Kindern. Einen solchen Schutz gab es übrigens bereits in der Zeit vor dem 2. Haushaltsstrukturgesetz. Auch dieser Vorschlag wurde im Ausschuß mit der geradezu abenteuerlichen Begründung abgeschmettert das Nachrangprinzip der Sozialhilfe würde damit „in bisher nicht gekanntem Maße durchbrochen" . Davon kann schon deswegen nicht die Rede sein, weil der sozialhilferechtliche Schutz von Bausparvermögen in der Fassung vor dem 2. Haushaltsstrukturgesetz von 1981 weiterging als in der jetzt vom Bundesrat vorgeschlagenen Fassung. Bei dieser Gelegenheit erinnere ich daran, daß nicht die SPD, sondern die CDU mit ihrer damaligen Bundesratsmehrheit über das Vermittlungsverfahren das sozialhilferechtliche Kleinholz angerichtet hat, dessen Folgen Sozialhilfeempfänger noch heute zu spüren bekommen. Zusammenfassemd ist festzustellen, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu diesem Gesetzentwurf alle drei im Vorblatt genannten Zielsetzungen nicht erfüllt. Deshalb beantragen wir mit unserem Änderungsantrag, der ihnen vorliegt, die Ursprungsfassung der Drucksache 11/391 soweit wie irgend möglich wieder herzustellen. Stimmen Sie unserem Änderungsanträg zu und beenden Sie das unwürdige Hickhack zu Lasten derer, die in irgendeiner Form auf Sozialhilfe angewiesen sind. Das jahrzehntelange Spiel über die Bande, bei dem sich Bundestag und Bundesrat gegenseitig die Verantwortung zuschieben, muß endlich aufhören. Insbesondere die Damen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17953* und Herren von der CSU sollten sich darüber im klaren sein, daß es ihrer Partei nicht besonders hilfreich sein würde, wenn drei Wochen vor der Landtagswahl in Bayern die CSU im Deutschen Bundestag mit ihrem Abstimmungsverhalten eine Initiative des Freistaats Bayern, die zudem auch noch vernünftig ist, zum Scheitern brächte. Der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit wird die sozialdemokatische Fraktion ihre Zustimmung nicht geben können. Frau Walz (FDP): Kinder sind nicht nur unsere Nachfolger im Leben, sondern Kinder sind auch Freude, Anlaß für Prüfung und Leid. Dies gilt für gesunde Kinder gleichermaßen wie für kranke und behinderte. Behinderte Kinder, Jugendliche, Erwachsene und ihre Familien brauchen unsere persönliche Hilfe und Fürsorge. Sie brauchen mehr als nur die kalte Anteilnahme von Gesetzen nach der zwar richtigen aber menschlich unvollkommenden Feststellung: Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Menschen sind dann nicht vor dem Gesetz gleich, wenn ihre besonderen Lebensverhältnisse von vorneherein ungleich sind. Dies trifft für Familien mit Behinderten zu. Für Familien mit Behinderten hat z. B. die Wohnung, hat das Haus einen besonderen Wert. Ihre Behausung ist Lebensraum in dem ein Behinderter und seine Familie normal leben können. Ich brauche dies im einzelnen nicht näher erklären, weil uns alle die beschämenden Vorfälle in Erinnerung sind, wo Nachbarn sich gegen Behinderte in ihrer Umgebung wehren oder Familien mit einem Behinderten als Mieter überhaupt nicht in Betracht kamen und kommen. Über das Schicksal der Mütter, die ein Leben lang bei häuslicher Pflege mit ihrem Leben einstehen, ist viel zu wenig bekannt. Ich hoffe, wir haben uns unser Einfühlen und Mitfühlen mit diesen Müttern bewahrt. Diese Mütter können nicht arbeiten. Sie sind ausschließlich für ihr Kind da. Für sie gilt nicht Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie, für sie gilt nicht Selbstverwirklichung, für sie gilt nicht das Verdienen eines Zubrotes. Für sie verlief die Rentenbiographie bisher schlecht. Wenn Familien mit behinderten Kindern bei häuslicher Betreuung ein Pflegegeld beziehen wollen, dann hält sich nach der bisherigen Regelung des BSHG das Sozialamt schadlos an Grundeigentum und Spaniermögen. Bei stationärer Pflege zahlt der Sozialhilfeträger klaglos. Geschützt wurde bisher lediglich das sogenannte kleine Hausgrundstück. Was ein kleines Hausgrundstück wert ist, definierten inzwischen die Ländern nach sehr unterschiedlichen Kriterien. Angesichts der davongelaufenen Grundstückspreise und Baukosten — vor allem in den Ballungsgebieten — häufiger an den Realitäten vorbei, wie Gerichtsurteile belegen. Dies ist mit ein Grund für den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf. Aber nicht nur Vereinheitlichung und Freistellung vom Zugriff des Sozialamtes für Menschen in besonderen Lebenslagen machen unser Handeln nötig. Auch angespartes Vermögen zur Beschaffung oder Erhaltung eines Familienheimes muß wieder geschont werden. Für uns ist es einsichtig, daß in einer Zeit der Wohnungsnot und der ständig steigenden Mieten vor allem Familien mit jungen behinderten Angehörigen zur Wohnraumbeschaffung nur der Weg über das Eigentum übrigbleibt. Die Kriterien für die Freistellung des angesparten Vermögens driften ebenfalls erheblich auseinander und führen zu Verärgerung und Unverständnis, ja zu Zorn und Resignation bei den Betroffenen. Mit dem Schutz des Vermögens, das nachweislich zur alsbaldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstückes dient, werden Härten und Ungerechtigkeiten beseitigt. Theoretisch kann ich die Bedenken derjenigen Kolleginnen und Kollegen verstehen,die darin einen Systembruch in der Sozialhilfe sehen. Die Mehrheit meiner Fraktion meint jedoch, daß eine menschenwürdige Lebensführung einen höheren Rang hat. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatztagesordnungspunkt 11 (Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts) Zeitlmann (CDU/CSU): Die Bundesrepublik Deutschland hat in den vergangenen Jahren ein stetiges Anwachsen der Asylbewerberzahlen zu verzeichnen. Hauptursache für den hohen Zugang an Asylbewerbern ist unbestreitbar der Sogeffekt, der von der wirtschaftlichen Prosperität Westeuropas und insbesondere der Bundesrepublik Deutschland ausgeht. Politische Verfolgung als Fluchtmotiv hat bei einer Anerkennungsquote zwischen 3 und 5 % fast nur noch marginale Bedeutung. Zu den hohen Zugängen von Asylbewerbern in diesem Jahr hat auch die Liberalisierung des Reiseverkehrs in den osteuropäischen Staaten beigetragen. Die hohen Zugänge sind weiter Folge des allgemein wachsenden Reiseverkehrs. Sie haben ferner ihre Ursache in den weltweit zu verzeichnenden Flüchtlings- und Wanderungsbewegungen, die — erleichtert durch moderne Massentransportmittel — bis nach Europa und in die Bundesrepublik Deutschland reichen. Das macht es erforderlich, Flüchtlingspolitik nicht nur als innere Angelegenheit eines Staates, sondern als weltweite Aufgabe zu betrachten und Lösungsansätze nicht nur im eigenen Land, sondern auch in den Herkunftsregionen der Flüchtlinge zu suchen. Da die Ursachen der Flüchtlingsbewegungen überwiegend in der extremen wirtschaftlichen Armut der Herkunftsländer begründet sind, muß eine erfolgversprechende Flüchtlingspolitik mit einer Politik der Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe einhergehen, deren Grundsätze die Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP in ihrem Antrag vom 19. Dezember 1989 gegenüber dem Deutschen Bundestag zum Ausdruck gebracht haben. Angesichts der hohen Zugangszahlen müssen wir aber auch durch innerstaatliche Maßnahmen alle 17954* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 Möglichkeiten der Beschleunigung und Verfahrensabkürzung ausnutzen. Die zwischen Bund und Ländern vereinbarte und inzwischen eingeführte enge Zusammenarbeit von zentralen Ausländerbehörden und Außenstellen des Bundesamtes zeigt Erfolg. Insbesondere für die Hauptherkunftsländer Türkei, Polen, Jugoslawien und neuerdings Rumänien konnte inzwischen die Dauer des Verwaltungsverfahrens auf durchschnittlich 4 Wochen verkürzt werden. Hinsichtlich der Asylanträge, die vom Bundesamt als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, soll künftig bereits mit Wirkung vom 15. Oktober 1990 — und nicht erst zum 1. Januar 1991 — die Möglichkeit der Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof entfallen. Damit dürfte künftig ein nicht unbeträchtlicher Teil der Asylverfahren dieser Personengruppen innerhalb eines halben Jahres unanfechtbar abgeschlossen sein. Die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa hat in letzter Zeit eine parteiübergreifende Diskussion über eine künftig notwendige Asyl- und Flüchtlingspolitik in Gang gesetzt. Ich begrüße diese Diskussion. Wir müssen vertieft und emotionsfei die Erfordernisse der Asylpolitik über Fragen des nationalen Verfahrensrechts hinaus erörtern und — auch unter Berücksichtigung der internationalen Verhältnisse — nach Lösungsansätzen suchen, wie unsere humanitären und rechtlichen Verpflichtungen langfristig in Einklang mit unseren tatsächlichen Möglichkeiten gebracht werden können. Deutschland muß auf Dauer ein ausländerfreundliches und asylfähiges Land bleiben. Frau Dr. Sonntag-Wolgast (SPD): Wie wir mit denen umgehen, die aus politischen Gründen oder wirtschaftlicher Not bei uns Zuflucht suchen, wird für die nächsten Jahre eines der ganz großen Themen bleiben, für das neue einige Deutschland ebenso wie für andere Industrienationen vor allem in Europa. Alle kurzatmigen Antworten taugen nichts für die humane Bewältigung des Problems. Das sollten wir all denen klarmachen, die augenblicklich wieder mit Worten wie „Asylantenschwemme" und „Flüchtlingsflut" leichtfertig umgehen und schnelle, rigorose Maßnahmen verlangen. Dabei möchte ich bei den Emotionen, die das Thema momentan hervorruft, sehr wohl zwischen professionellen Scharfmachern und Menschen, die sich ernstlich Sorgen machen, unterscheiden. So kann ich gut verstehen, wenn Bürgermeister und andere Kommunalpolitiker angesichts hoher Flüchtlingszahlen, ausgebuchter Billig-Hotels und voll belegter Turnhallen einfach nicht mehr aus noch ein wissen. Mir ist auch klar, daß manche Anwohner, die wenig über die Ursachen von Zuwanderung nachdenken, Unverständnis und Empörung äußern, vor allem gegenüber Gruppen, deren Verhalten und Eigenarten bei vielen in der Bundesrepublik schwer nachvollziehbar sind. Ich erinnere an die aktuelle Diskussion um die aus Rumänien angereisten Romana, und ich füge gleich hinzu, daß es sich hier um eine der letzten europäischen Nomadenbewegungen handelt, jedoch nur sehr bedingt um die Asylfrage. In dieser Situation sollten wir uns vor Trugschlüssen hüten. Ich warne davor, den Eindruck zu erwecken, als könne mit einigen wenigen eher organisatorischen Maßnahmen die gesamte Flüchtlings- und Asylproblematik abgehakt werden. Wir entscheiden heute über den Vorschlag der Koalition, einen Teil des neuen Ausländergesetzes schon Mitte Oktober in Kraft zu setzen. Die SPD hat dieses Gesetz abgelehnt. Sie kennen unsere ausländerpolitischen Alternativen. Wir haben nichts zurückzunehmen von den Einwänden, die wir im Frühjahr bei der Verabschiedung des Gesetzes vorgebracht haben. Ich rufe Ihnen aber auch ins Gedächtnis, daß wir seinerzeit durchaus einige positive Elemente erwähnt haben. Dazu gehören Fragen des Flüchtlingsstautus sowie die Möglichkeit, Familienangehörige aus dem Asylverfahren herauszunehmen. Einige Verbesserungen sind also auszumachen; sie kommen unseren — allerdings weitergehenden — Vorstellungen entgegen. Manches davon wurde im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf aufgrund der zum Glück heftigen Proteste der Wohlfahrtsverbände, der Kirchen und des Hohen Flüchtlingskommissars nachträglich eingefügt bzw. korrigiert. Wir werden Ihnen deshalb bei Ihrem Versuch, bestimmte asylrechtliche Maßnahmen per Gesetz vorzuziehen, keine Hindernisse in den Weg legen. Ebenso deutlich sagen wir aber auch, daß dieser Schritt eher der Beschwichtigung dient, kaum aber in der Sache wirklich weiterhilft. Wir werden uns deshalb der Stimme enthalten. Sie sollten diese Vorlage nicht allzu vollmundig hochloben, sondern den Menschen ehrlich sagen, daß es sich um eine — im Vergleich zur Bedeutung der Flüchtlingsproblematik — eher marginale Angelegenheit handelt. Und eines geht nun wirklich nicht an: sich mit pathetischer Geste zum Wahrer des Art. 16 unseres Grundgesetzes zu machen und im gleichen Atemzug zu beteuern, daß es geändert, ergänzt, mit einem Gesetzesvorbehalt versehen werden müßte — oder wie sonst die verharmlosenden Begriffe heißen. Das paßt nun einmal nicht zusammen, auch wenn Sie noch so häufig beteuern, Sie wollten das Asylrecht ja gerade vor Mißbrauch schützen. Gestern haben hier in Bonn die ausländerpolitischen Sprecher der SPD aus Bund, Ländern und dem Europa-Parlament eine Konferenz mit einer Entschließung beendet, aus der ich eine Passage zitieren möchte: „Das vereinte Deutschland wie auch die Europäische Gemeinschaft werden sich auch in Zukunft der Herausforderung weltweiter Flucht- und Wanderungsbewegungen zu stellen haben. Auf diese Herausforderung können und dürfen wir nicht mit Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl für politisch Verfolgte antworten. Vielmehr müssen wir darauf dringen, daß in Europa eine materielle Vereinheitlichung des Asyl- und Flüchtlingsrechts erfolgt, die den Art. 16 weder einschränkt noch unterläuft." Flüchtlingsprobleme lassen sich nicht durch vermeintliche Patentrezepte wie die Beseitigung oder Einschränkung des Grundrechts auf Asyl bewältigen. Das ginge zu Lasten der Verfolgten, ohne die Zuwanderung zu stoppen. Denn ihre Ursachen — Menschenrechtsverletzungen und das Wohlstandsgefälle zwischen den Regionen und Staaten — wären damit ja Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17955* keineswegs aus der Welt. Wer den Art. 16 demontieren möchte, der verschweigt, daß wir uns in einer Welt der offenen Grenzen — über die wir uns ja alle freuen — , im Zeitalter der modernen Medien und Verkehrsmittel nicht abschotten können. Und er verschweigt auch, daß die Bundesrepublik auch ohne einen Art. 16 in vielen Fällen verpflichtet wäre, Flüchtlingen z. B. nach den Kriterien der Genfer Konvention Schutz zu gewähren. Was wir brauchen, ist eine umfassende Flüchtlings- und Asylkonzeption, ein nationales und europäisches Flüchtlingsrecht neuer Prägung, das auch armuts- und kriegsbedingte Wanderungsgruppen berücksichtigt, dabei aber alle reichen Industrieländer gleichmäßig in die Pflicht nimmt. Wir brauchen gezielte Wirtschafts- und Strukturhilfen für die Dritte Welt, auch wenn viele unter uns in der augenblicklichen Lage solche Forderungen angesichts der hohen Kosten für die deutsche Einigung weit von sich weisen. Wir brauchen schließlich Strategien, die den Menschen ein Verbleiben in der Heimat erleichtern, auch und vor allem denjenigen, die sich wegen der Liberalisierung in Osteuropa nicht mehr auf politische Verfolgung berufen können, aber dennoch in der Hoffnung auf ein wirtschaftlich angenehmeres Leben zu uns wollen. Ich weiß zugleich, daß alle diese Pläne nicht von heute auf morgen verwirklicht werden können. Sozialdemokraten treten seit langem für eine Beschleunigung der Asylverfahren ein — und zwar im Interesse aller, nicht zuletzt auch der Betroffenen. Die Verfahren konnten entsprechend unserer Forderungen schon erheblich beschleunigt werden, was in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist. In den Außenstellen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge dauern sie zur Zeit sechs bis acht Wochen. Wir regen außerdem an, das Bundesamt von Asylverfahren zu entlasten. So können z. B. Flüchtlinge, die konkret nachweisbar in andere Länder weiterreisen wollen, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht erhalten. Gleiches gilt für die sogenannten De-factoFlüchtlinge. Gerichte müssen personell aufgestockt und durch zusätzliche Kammern erweitert werden. Das fünfjährige Arbeitsverbot für Asylbewerber ist nicht länger tragbar. Vor allem aber brauchen wir einen sachgerechten Kostenausgleich für Sozialhilfeaufwendungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Denn eines wird niemand leugnen: Flucht- und Wanderungsbewegungen sind ein weltweites Phänomen, mit verursacht durch nationale und internationale Politik. Die Bewältigung ihrer Folgen darf man nicht auf dem Rücken der Kommunen abladen. Dr. Hirsch (FDP) : Es ist eine Ausnahme, daß ein Gesetz, das noch nicht in Kraft getreten ist, geändert wird. Es geht darum, bestimmte asylrechtliche Bestimmungen des Gesetzes nicht erst am 1. Januar des kommenden Jahres, sondern schon am 15. Oktober in Kraft treten zu lassen. Es sind Bestimmungen, mit denen das Asylverfahren beschleunigt werden soll und kann. Für manche unserer Mitbürger ist das Asylrecht ungeliebt. Es fordert von uns Leistungen. Wir haben uns verpflichtet, politisch Verfolgte aufzunehmen. Das ist nicht nur eine Reaktion auf unsere eigene Vergangenheit, es ist der Entschluß, in diesem Jahrhundert der Flüchtlinge ein Zeichen für Überzeugungsund Glaubensfreiheit, ein Zeichen für individuelle Freiheit, ein Zeichen für Toleranz und Humanität zu setzen. Der Artikel 16 ist unsere Freiheitsstatue im sicheren Hafen unserer Verfassung, und wir werden ihr die Fackel nicht aus der Hand nehmen. Wir wollen an diesem Zeichen der Christlichkeit und der Liberalität festhalten. Es ist richtig, daß dieses Asylrecht auch von Menschen in Anspruch genommen wird, die nicht vor politischer Verfolgung, sondern nur vor Hunger, Armut und Elend fliehen wollen, nicht von Wirtschafts-, sondern von Armutsflüchtlingen. Wie immer in solchen Zeiten schlägt die Stunde der Vereinfacher, die die Mißbrauchsfälle an der Grenze abweisen wollen, als ob der Staat, der Zöllner, der Polizeibeamte, die Gabe hätte, in das Gehirn eines Menschen zu gucken und ihm anzusehen, ob er politisch verfolgt ist oder nicht. Es muß ein faires Verfahren geben, aber wir sind entschlossen, dieses Verfahren so zu straffen wie irgend möglich. Es muß schnell abgewickelt werden. Diesem Ziel dient dieses Gesetz. Lassen Sie mich abschließend eines sagen: Ich begrüße außerordentlich, daß der Bundesinnenminister in diesen Tagen eine Flüchtlingskonzeption vorgelegt hat, mit der er an die Wurzel des Problems gehen, nämlich die Ursachen der Flüchtlingsströme bekämpfen will. Der Sinn der politischen Entwicklung der letzten Jahre kann nicht darin bestehen, daß Mauer und Stacheldraht nur 200 oder 300 Kilometer weiter nach Osten verlegt werden. Wenn wir ein Europa der Freizügigkeit schaffen wollen, dann kann es nicht an der Oder-Neiße-Linie enden. Dann müssen wir mehr dafür tun, die Lebensverhältnisse in unseren europäischen Nachbarländern so zu verändern, daß dort nicht Menschen aus ökonomischen Gründen entwurzelt werden. Die Festung Europa ist kein Zukunftsobjekt. Die Chinesische Mauer hat eben nicht vor der Zukunft geschützt, und keine Mauer wird das tun. Uns ist angedroht worden, das Asylrecht zum Wahlkampfthema zu machen. Wir sind bereit dazu, und wir werden dann niemandem die Antwort ersparen, ob er auch weiterhin bereit ist, politische Flüchtlinge aufzunehmen, und was er zu tun bereit ist, um die wirtschaftlichen und sozialen Ursachen von Flüchtlingsbewegungen wenigstens in unseren Nachbarländern zu bekämpfen. Dieser Gesetzentwurf ist in dieser Frage ein Mosaikstein: Erhaltung des Asylrechts, aber Beschleunigung des fairen Verfahrens. Darum werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu den Zusatztagesordnungspunkten 8 und 9 (Beteiligungsgesetz, Gesetz zur Änderung des Personalvertretungsgesetzes und anderer Vorschriften) 17956* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Nach einem langen Tag der Debatte um den Einigungsvertrag und um die deutsche Einheit möchte ich diesen Tagesordnungspunkt zuerst zum Anlaß nehmen, noch einmal festzustellen, daß unsere Soldaten mit ihren Kameraden der Allianz durch ihren Dienst für Frieden und Freiheit den Prozeß der Entspannung und der Abrüstung mit ermöglicht und gefördert haben, durch die ja letzten Endes die Wiedervereinigung möglich wurde. Gerade an einem solch historischen Tag sollten wir auch einmal ihnen für ihren Beitrag, den sie dazu geleistet haben, herzlich Dank sagen. Indem wir dies tun, bekunden wir täglich, daß es mit uns keine Politik nach dem Motto geben wird: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan; der Mohr kann gehen". Wir wissen um die Schwierigkeiten, die mit der Verkleinerung der Bundeswehr und deren Umstrukturierung — auch und gerade im personellen Bereich — auf uns zukommen. Wir sind entschlossen, diese so zu bewältigen, daß niemand, der bisher treu seine Pflicht erfüllt hat, dabei Nachteile erleidet. Natürlich werden der Prozeß der Verkleinerung und Umstrukturierung der Bundeswehr und die Neubeschreibung der Aufgaben und des Selbstverständnisses der gesamtdeutschen Streitkräfte eine zentrale Aufgabe der politischen und militärischen Führung sein. Doch dieser Prozeß wird um so eher gelingen, je mehr wir die Soldaten selbst daran beteiligen. So gesehen kommt der Entwurf des Gesetzes über die Beteiligung der Soldaten gerade zur rechten Zeit, und wir sind vor diesem Hintergrund gut beraten, diesen noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Ich gebe zu, wir haben uns bei der Frage, ob und wie wir diesen Entwurf parlamentarisch behandeln wollen, recht schwergetan und kostbare Zeit darangegeben. Aber nachdem wir uns koalitionsintern und gemeinsam mit der Regierung in strittigen und für uns wichtigen Punkten geeinigt haben, sollten wir das Gesetz verabschieden, zumal wir durch die Verschiebung der Haushaltsberatung die Zeit dafür haben. Der Verteidigungsausschuß hat im vorigen Jahr ein ganztägiges Anhörverfahren zu Fragen der Beteiligungsrechte der Soldaten durchgeführt. Die Teilnehmer waren einhellig der Meinung, daß es an der Zeit sei, die Beteiligung der Soldaten an Entscheidungsprozessen zu verbessern. Über das Wie gab es unterschiedliche Auffassungen, wobei im wesentlichen zwei Modelle zur Diskussion standen: Von einem Teil der Teilnehmer wurde die Einbeziehung der Soldaten in das Bundespersonalvertretungsgesetz favorisiert; ein anderer Teil sprach sich für die Erweiterung und Stärkung des Vertrauensmännerrechts aus. Ich selbst hatte danach den vermittelnden Vorschlag gemacht, auf der Basis des Vertrauensmännerrechtes und unter Einbeziehung der Beteiligungsnormen aus dem Soldatengesetz, der Wehrdisziplinar- und -beschwerdeordnung, sowie dem bisherigen VertrauensmännerWahlgesetz ein eigenes Beteiligungsgesetz für die Streitkräfte zu erarbeiten. Dies war kein bequemer Kompromiß. Einerseits war mir daran gelegen, mit diesem Vorschlag zu verdeutlichen, daß die Streitkräfte wegen ihres besonderen Auftrags und ihres besonderen Dienstverhältnisses nicht einfach dem übrigen öffentlichen Dienst gleichgestellt werden können. In einem Anflug von Sarkasmus habe ich manchmal bemerkt, daß die Soldatenvertreter, die in allen Bereichen die totale Gleichstellung mit dem öffentlichen Dienst fordern, eigentlich den Rock ausziehen und sich fortan „Verteidigungsrat" oder „Wehrdirektor" nennen müßten. Andererseits war ich zur Überzeugung gekommen, daß eine Übernahme des BPersVg schon allein aus Gründen der Praktikabilität nicht möglich ist; es sei denn, man würde es an entscheidenden Stellen so modifizieren, daß letzten Endes ein BPersVG minor für Soldaten übrigbliebe. Die SPD hat mit ihrem Entwurf diesen Versuch gewagt. Aber ich bin sicher, würde er Gesetz, er müßte an der Undurchführbarkeit scheitern. Nehmen wir wenige praktische Beispiele: — Wie soll die Dreistufigkeit des BPersVG auf die fünf- bis siebenstufig aufgebaute Bundeswehr übertragen werden? Die SPD schlägt vor, die Zwischenstufe — also den Bezirkspersonalrat — bei der Division anzusiedeln. Nun hat die Division in der Regel drei Brigaden, und jede Brigade hat fünf Bataillone, von denen zwei im Saarland, eins in Rheinland-Pfalz und zwei in Baden-Württemberg disloziert sind. Diese Stufenvertreter müßten, um allein die einzelnen Standorte kennenzulernen, mehr Zeit aufbringen, als sie als Zeitsoldaten im Dienst sind. Oder: Wie soll das passive Wahlrecht für alle Berufs- und Zeitsoldaten uneingeschränkt gewährleistet werden? § 26 Abs. 1 BPersVG bestimmt, daß Personalräte auf drei Jahre gewählt werden. Bei Übernahme dieser Bestimmung — und das tut der SPD-Entwurf — würde entweder das passive Wahlrecht eingeschränkt oder aber die Versetzung eines Soldaten aus dienstlichen Gründen nicht mehr möglich sein. Denn einerseits dürften diejenigen, die wegen einer möglichen Beförderung eine Versetzung anstreben, kaum bereit sein, sich zur Wahl zu stellen; andererseits wären die auf drei Jahre in die Vertretung Gewählten kaum zu versetzen. Ein letztes Beispiel: Nach § 76 BPersVG hat der Personalrat Mitbestimmungsrechte bei Ein- und Anstellungen, Versetzungen, Abordnungen und Beförderungen. Wer im Wissen, daß die Personalbewirtschaftung der Bundeswehr zentral erfolgt, ja erfolgen muß, den Soldaten vormacht, mit der Übernahme des BPersVG würden sie in Personalfragen ein Mitbestimmungsrecht erwerben, führt sie hinters Licht. Ich meine, dies allein sind Beispiele und Gründe genug, die es uns geraten erscheinen lassen, dem SPD-Vorschlag nicht zu folgen. Wir begrüßen vielmehr den Regierungsentwurf der — unserem Vorschlag folgend — ein den Streitkräften adäquates eigenes Beteiligungsrecht bringt, der die Rechte der Vertrauensmänner — neuerdings „Vertrauenspersonen" — wesentlich stärkt, der als dominante Grundregel das Kooperationsgebot enthält und so, wenn er Gesetz geworden ist, die Zusammenarbeit zwischen Dienstherrn, Vorgesetzten und Soldaten erleichtern und das Miteinander der Soldaten — also die Kameradschaft — fördern wird. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17957* Wir werden unsere bereits erarbeiteten Änderungs- bzw. Ergänzungsvorschläge im Ausschuß einbringen und den Entwurf dort so zügig beraten, daß eine endgültige Verabschiedung als Gesetz noch in den verbleibenden Sitzungswochen möglich ist. Ich bitte auch um Ihre Zustimmung und bedanke mich für die Aufmerksamkeit zu später Stunde. Steiner (SPD): Der heute in 1. Lesung zu beratende Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Beteiligung der Soldaten und der Zivildienstleistenden — kurz genannt: Beteiligungsgesetz — kann auf eine zwar langwierige, dafür aber wenig glorreiche Entstehungsgeschichte zurückblicken. Bereits seit mehreren Jahren wird von verschiedenen Seiten eine wirkliche Erweiterung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte für Soldaten gefordert. Sowohl der Deutsche Bundeswehrverband als auch die Gewerkschaft ÖTV und auch die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag befürworten dies seit langem durch eine Einbeziehung der Berufs- und Zeitsoldaten in die Bestimmungen des Bundespersonalvertretungsgesetzes. Nicht so die Bundesregierung. Sie dokumentierte ihr Interesse für die berechtigten Belange unserer Soldaten durch schlichte, aber dafür um so konsequentere Nichtbeachtung. Auf Initiative der SPD-Fraktion fand am 14. Juni letzten Jahres im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages eine Expertenanhörung über die Fortentwicklung der Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte der Soldaten in der Bundeswehr statt, die der Bundesregierung kein einziges schlagkräftiges Argument für ihre Verweigerungstaktik in Sachen „Mitbestimmung für Soldaten" lieferte. Deshalb hat sie auch dafür gesorgt, daß es bis heute keine Auswertung dieser Anhörung gibt. Damit wurde das Signal für die militärische Führung gegeben, an ihrer starren Haltung festzuhalten. Besonders erschreckend an dieser Haltung ist das in ihr deutlich zum Ausdruck kommende Mißtrauen gegenüber unseren Soldaten. Die nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in allen öffentlichen Verwaltungen immer wieder bestätigte Tatsache, daß mehr Mitbestimmung die Arbeit nicht behindert, sondern letztlich fördert, wird schlicht in Abrede gestellt. Von der offenbar furchtbaren und zugleich unsinnigen Vision geplagt, daß eines Tages ein Unteroffizier in der Personalangelegenheit eines Stabsoffiziers mitreden dürfte, errichtet die militärische Führung ihr Suigeneris-Bollwerk gegen jede Form demokratisch bestimmten gesellschaftlichen Wandels innerhalb der Bundeswehr. Eine qualitative Änderung ist ausgeschlossen, so ihr unausgesprochenes Motto, weil wir sie nicht wollen. Dieses anachronistische Denken manifestiert sich auch in dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung nun nach langer Weigerung, sich des Themas überhaupt anzunehmen, vorgelegt hat. Wer so naiv war und gehofft hatte, der langen Ausarbeitungszeit hätte ein Reifungsprozeß auf der Hardthöhe zugrunde gelegen, der sieht sich nach Durchsicht des Entwurfes bitter enttäuscht oder besser gesagt gründlich verschaukelt. Lediglich die Rechte und Befugnisse des Vertrauensmannes werden mit dem Ziel neu beschrieben, den Soldaten echte Beteiligungsrechte nach wie vor vorzuenthalten. Entweder von Sachkenntnis wenig belastet oder vom Vorsatz beseelt, alte Betonstrukturen zu erhalten, haben die „Fachmänner" auf der Hardthöhe einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Realitäten des Soldatenberufes in keinster Weise gerecht wird. Würde man die von diesen Leuten verstandene Mitbestimmung wirklich umsetzen, käme das einer Entmündigung unserer Soldaten gleich. Ich stimme dem Deutschen Bundeswehrverband voll inhaltlich zu, der diesen Gesetzentwurf für einen Rückschritt in die Vergangenheit hält und ihn zutreffend als Begriffskosmetik abqualifiziert hat. Auch die Gewerkschaft ÖTV und selbst der Hauptpersonalrat beim Bundesministerium der Verteidigung lehnen dieses sogenannte Beteiligungsgesetz zu Recht in Bausch und Bogen ab. Was mag wohl in den Köpfen der hohen Militärs und der politischen Führungsriege auf der Hardthöhe vorgehen, wenn mit einem derart antiquierten Gesetzentwurf jegliche Zurückhaltung dahin gehend aufgegeben wird, unseren Soldaten die Reife für einen verantwortungsbewußten Umgang mit echten Mitbestimmungsrechten abzusprechen? Warum sollen unsere gut gebildeten und gut ausgebildeten Berufs- und Zeitsoldaten nicht in der Lage sein, die Vorschriften des Bundespersonalvertretungsgesetzes ebenso gewissenhaft und pflichtbewußt zu handhaben, wie Beamte in anderen Exekutivbereichen, etwa beim Bundesgrenzschutz oder bei der Polizei? Eigentlich sollte Bundesverteidigungsminister Stoltenberg als ehemaliger Ministerpräsident und Bundesfinanzminister wissen, daß kein Bereich des öffentlichen Dienstes — z. B. auch nicht die paramilitärisch organisierten Einsatzeinheiten beim Bundesgrenzschutz — durch die Einführung der Mitbestimmungsregelung nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz einen Leistungseinbruch erfuhr. Aber statt dessen tragen er und seine Beamten weiter zum Mythos von der angeblich unteilbaren Führungsverantwortung des militärischen Vorgesetzten bei. An dieser Stelle möchte ich gerne an das im Juli 1989 stolz von der Bundesregierung präsentierte „Programm zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr" erinnern. Damals war die Regierungskoalition offenbar der Ansicht, daß unsere Bundeswehr als zukunftsorientierter Arbeitsplatz für junge Menschen zu wenig Attraktivität böte. Hier hätte sie nun die echte Chance gehabt, wenigstens im Bereich der Mitbestimmung für mehr Attraktivität zu sorgen. Sie hat diese Chance mehr als kläglich vertan. Aber damit nicht genug. Nicht nur der Inhalt des Gesetzentwurf es ist eine Zumutung, sondern die Art und Weise wie er von der Bundesregierung im Parlament eingebracht wird, ist schlicht eine Frechheit. In einer Nacht-und- Nebel-Aktion setzten sie ihn kurzfristig auf die Tagesordnung, so daß wir in der „glücklichen Lage" sind, dieses Thema nun in vorgerückter Stunde erstmals behandeln zu dürfen, und das noch im Schatten der heutigen Debatte zur Verabschiedung des Einigungsvertrages. Das macht besonders deutlich, welchen Stellenwert die Koalition diesem Thema einräumt. 17958* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 Die Intention der Bundesregierung für diese Vorgehensweise ist klar: Die Hardliner auf der Hardthöhe wollen mit allen Mitteln versuchen, ihr überkommenautoritäres Denken in Gesetzesform festzuschreiben. Deshalb die späte Aufnahme in die parlamentarische Beratung, spät nicht nur an diesem Abend, sondern spät vor allem im Ablauf der Legislaturperiode. Die Bundesregierung dokumentiert damit sehr eindeutig, wie ernst sie es mit den Rechten des sogenannten „Staatsbürgers in Uniform" — den ihre Mitglieder in Sonntagsreden ja so gerne immer wieder beschwören — nimmt. Neu sind diese taktischen Manöver allerdings nicht. Einen ersten Eindruck davon konnte man bereits vor der Sommerpause gewinnen, als die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf am 20. Juni auf die Tagesordnung setzen ließ, um ihn dann am selben Tag wieder absetzen zu lassen, obwohl er als besonders eilbedürftig gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 3 GG noch am 11. Mai dem Bundesrat zugeleitet worden war. Eine vernünftige Begründung gab es dafür nicht, konnte es auch gar nicht geben. Nun ist dieser Gesetzentwurf also wieder da, natürlich in unveränderter Form. Etwas anderes wäre allerdings auch nicht möglich gewesen, denn er ist so schlecht, daß eine Verbesserung in einzelnen Punkten nichts gebracht hätte. Der ganze Entwurf ist unbrauchbar und entspricht in keiner Weise den Anforderungen einer zeitgemäßen Mitbestimmungsregelung für die Streitkräfte. Die SPD-Fraktion hat deshalb einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Berufs- und Zeitsoldaten in die Regelungen des Bundespersonalvertretungsgesetzes einbezieht und ihnen damit demokratische Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte sichert, wie sie in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst seit Jahrzehnten selbstverständlich sind. Es ist zu bezweifeln, aber dennoch zu hoffen, daß die Fraktionen der Regierungskoalition endlich zu der Erkenntnis gelangen, daß mehr gesellschaftliche Normalität für die Streitkräfte das Gebot der Stunde sein muß. Dies zu ermöglichen setzt mehr demokratische Mitbestimmung in der Bundeswehr voraus, als sie auf der Grundlage des Gesetzentwurfes der Bundesregierung realisiert werden kann. Nolting (FDP) : Wir haben hier vor einer Woche den Jahresbericht des Wehrbeauftragten debattiert. Eine der zentralen Forderungen in diesem Bericht war der Ausbau der Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten des Vertrauensmannes in der Bundeswehr. Das war eine Forderung, die von der FDP-Bundestagsfraktion seit langem unterstützt wird. Ich will daran erinnern, daß der Verteidigungsausschuß bereits am 14. Juni 1989 ein Hearing zum Thema Beteiligungsrechte der Soldaten durchgeführt hat. Damals waren sich alle Anwesenden einig, daß bei den Beteiligungsrechten ein dringender Handlungsbedarf besteht. Konsens war, daß zumindest die Rechte des Vertrauensmannes gestärkt werden müssen. Leider hat es lange gedauert, bis die Ergebnisse dieses Hearings umgesetzt wurden. So hat das BMVg im Mai nach heftigem Drängen auch und gerade der FDP-Fraktion den Entwurf eines Soldaten-Beteiligungsgesetzes vorgelegt. Ich bin froh, daß wir heute nach einigen Schwierigkeiten in diesem Hause endlich zur ersten Lesung dieses Gesetzes kommen. Allerdings weise ich für die FDP schon jetzt darauf hin, daß der Regierungsentwurf in den Ausschußberatungen verändert werden wird. So wird die in dem Entwurf enthaltene Reduzierung der Zahl der personalratsfähigen Dienststellen von der FDP-Bundestagsfraktion keinesfalls mitgetragen. Um eine derartige Verschlechterung der bisherigen Situation zu verhindern, werden wir entsprechende Änderungsanträge einbringen. Weitere Änderungsanträge werden den vorliegenden Gesetzentwurf erheblich verbessern. Im übrigen sollte aber nicht verkannt werden, daß der vorliegende Entwurf überwiegend Bestimmungen enthält, die die rechtliche Stellung des Vertrauensmannes stärken und seine Mitspracherechte ausbauen. Dies ist genau im Sinne der langjährigen FDP- Forderungen, die Mitwirkungsrechte der Soldaten schrittweise an die allgemein im Berufsleben üblichen Rechte anzupassen. Auch Soldaten werden in Zukunft stärker mitverantwortlich handeln können. Dies trifft dann auch für die Zivildienstleistenden zu. Beim Soldaten-Beteiligungsgesetz handelt es sich um einen wesentlichen Schritt in die richtige Richtung. Endziel der FDP-Fraktion bleibt es aber, eine sachgerechte Anwendung des Bundespersonalvertretungsgesetzes in der Bundeswehr zu erreichen. Dazu scheint uns aber der vorliegende Gesetzentwurf der SPD-Fraktion unzureichend zu sein. Ein Beispiel: Die in ihm enthaltene Trennung zwischen Bundeswehrverwaltung und Soldaten ist nicht in unserem Sinne. Wir sollten uns die Zeit lassen, zu einem späteren Zeitpunkt einen optimalen Gesetzentwurf zur Personalvertretung vorzulegen. Bis dahin sollten wir die Stellung des Vertrauensmannes durchgreifend verbessern. Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Der Entwurf der Bundesregierung eines Beteiligungsgesetzes für die Soldaten und die Zivildienstleistenden ist vom Bundesminister der Verteidigung und vom Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit gemeinsam erarbeitet worden. Er beinhaltet das Soldatenbeteiligungsgesetz und das Zivildienstvertrauensmann-Gesetz. Die Neuregelung der Beteiligungsrechte der Soldaten in den Streitkräften und der Zivildienstleistenden in den Dienststellen des Zivildienstes baut auf der bewährten Institution des Vertrauensmannes auf. Der Gesetzentwurf verwendet für den Bereich der Streitkräfte die geschlechtsneutrale Formulierung „Vertrauensperson" ; denn bereits jetzt dienen in den Streitkräften Frauen in der Laufbahn der Offiziere im Sanitätsdienst. Auch angesichts der beabsichtigten Öffnung aller Verwendungen im Sanitäts- und Militärmusikdienst für Frauen noch in diesem Jahr durch den Entwurf eines 14. Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes ist eine Formulierung gewählt worden, die auch auf Frauen Anwendung finden kann. Der Gesetzentwurf stärkt für den Bereich der Streitkräfte die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Soldaten. Sein Ziel ist es, die Soldaten im Sinne der Inneren Führung stärker zu beteiligen und der gesellschaftspolitischen Entwicklung Rechnung zu Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1990 17959* tragen. Die Bundesregierung hat damit auch die Anregungen des Wehrbeauftragen aufgegriffen, die Stellung des Vertrauensmannes qualitativ zu stärken. An dieser Stelle seien nur die wesentlichen Punkte des Gesetzentwurfs hervorgehoben: Festlegung von Tatbeständen, die den Schutz der Vertrauensperson vor einer Benachteiligung wegen ihrer Tätigkeit sicherstellen; Schaffung neuer Beteiligungstatbestände besonders in Personalangelegenheiten, z. B. durch ein Anhörungsrecht bei Versetzungen, Kommandierungen und Dienstpostenwechsel; qualitative Verbesserungen der Beteiligungsformen durch Einführung von Vorschlags- und Mitbestimmungsrechten sowie Tatbeständen zur Konfliktlösung ; Zusammenfassung der Beteiligungsnormen aus dem Soldatengesetz, der Wehrdisziplinar- und Wehrbeschwerdeordnung und des bisherigen Vertrauensmänner-Wahlgesetzes. Die durch den Gesetzentwurf definierten Formen der Beteiligung durch Anhörung, Vorschlagsrecht und Mitbestimmung tragen der besonderen rechtlichen und tatsächlichen Stellung des Soldaten Rechnung, sofern sie sich grundlegend von den Gegebenheiten in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes unterscheiden. Sie berücksichtigen die auftragsorientierte Organisations- und Befehlsstruktur der Streitkräfte und deren notwendige Funktionsprinzipien und die Besonderheiten in Ausbildung und Verwendung. Trotz Vergleichbarkeit einiger Tätigkeiten kann der Dienst des Soldaten nicht mit den Maßstäben ziviler Berufe, auch nicht mit denen der Polizei oder des Bundesgrenzschutzes gemessen werden. Aus dem Prinzip von Befehl und Gehorsam ergibt sich die eindeutige unteilbare Verantwortung des Vorgesetzten für seine Befehle. An diesen Grundsätzen, die nicht nur der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte dienen, muß festgehalten werden. Die im Gesetzentwurf für Mitbestimmungstatbestände gewählte Form der Konfliktlösung durch Aussetzung des Befehls oder der Maßnahme bis zur Entscheidung des nächsthöheren Vorgesetzten, Pflicht zur schriftlichen Begründung bei Abweichung von den Vorstellungen der Vertrauensperson und Ausbau des Beschwerde- oder Eingaberechts der Vertrauensperson tragen zur Findung einvernehmlicher Lösungen bei. Eine unterschiedliche Behandlung von Berufs- und Zeitsoldaten einerseits und Soldaten, die auf Grund der Wehrpflicht nach dem Wehrpflichtgesetz Wehrdienst leisten, andererseits würde ein Zweiklassenrecht begründen, wodurch negative Auswirkungen auf den Zusammenhalt der Streitkräfte nicht zu vermeiden wären. Zu den Soldaten, die den Personalrat wählen, wurden bisher Grundwehrdienstleistende in personal-ratsfähigen Dienststellen gezählt, obwohl diese Soldaten auf Grund ihrer nur etwa einjährigen Zugehörigkeit zur Dienststelle faktisch kein passives Wahlrecht besitzen und ein aktives zufällig auch nur dann, wenn in ihre Dienstzeit eine der alle vier Jahre stattfindenden Personalratswahlen fällt. Das heißt, daß diese Soldaten im Grunde keinerlei Wahlrecht haben. Sie erhalten nun erstmals die Möglichkeit, eine eigene Vertrauensperson zu wählen, und damit ein tatsächliches Beteiligungsrecht. Die Einrichtung der Vertrauensperson in den Streitkräften hat eine herausgehobene Bedeutung im Rahmen der Konzeption der Inneren Führung. Sie hat ihre vornehmliche Aufgabe als Mittler zwischen dem Disziplinarvorgesetzten und den Soldaten ihrer Wählergruppe, deren Interessen sie unmittelbar persönlich erfährt und vertritt. Ihrer Tätigkeit kommt damit große Bedeutung für die vertrauensvolle Zusammenarbeit, die Erhaltung des kameradschaftlichen Vertrauens und das innere Gefüge der Streitkräfte zu. Wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs ist auch die umfassende Neuregelung der Beteiligungsrechte der Zivildienstleistenden in den Dienststellen des Zivildienstes auf der Basis der bewährten Institution des Vertrauensmannes. Für den Bereich des Zivildienstes werden dabei durch Erleichterungen des Wahlverfahrens und durch weitergehende Verpflichtungen für die Leiter der Dienststellen wichtige Voraussetzungen dafür geschaffen, daß in mehr Zivildienststellen als bisher Vertrauensmänner gewählt werden. Außerdem wird die Stellung des Vertrauensmannes in der Beschäftigungsstelle gestärkt und sein Schutz gegenüber eventuellen Benachteiligungen und Behinderungen seiner Tätigkeit verbessert. Ausdrücklich werden den Vertrauensmännern Beteiligungsrechte in Form von Anhörungs-, Vorschlags- und Mitbestimmungsrechten eingeräumt und das Verfahren der Beteiligung im einzelnen festgelegt. Der Entwurf trägt damit den positiven Erfahrungen mit der Institution des Vertrauensmannes und dem Bedürfnis Rechnung, die Zivildienstleistenden in den Dienststellen einerseits in eine vertrauensvolle Zusammenarbeit einzubinden, ihnen andererseits aber auch Möglichkeiten der Einflußnahme auf die sie betreffenden Angelegenheiten zu geben, soweit dies mit der besonderen Dienststellung der Zivildienstleistenden in Einklang zu bringen ist.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl-Heinz Spilker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Ich wäre dankbar, wenn ich diesen Gedanken jetzt zum Abschluß bringen könnte. — Nur so können wir gleiche Voraussetzungen, gleiche Wettbewerbsverhältnisse für die Bauern in einem vereinten Deutschland schaffen. Dafür zu sorgen, sind wir auch den Landwirten in der Bundesrepublik Deutschland schuldig, die nicht zu Leidtragenden der Einheit werden dürfen, wie manche von ihnen auf Grund von Entwicklungen in einigen Teilmärkten und mancher übergangsbedingter Vorkommnisse befürchten. Das ist ein Zustand, mit dem ich seit Wochen täglich konfrontiert werde.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir unterstützen daher die von Bundesminister Kiechle geplanten und zum Teil schon realisierten Maßnahmen zur Entlastung der Agrarmärkte, die sich weiter fortsetzen sollten. Herr Präsident Heereman, ich bitte um Nachsicht, daß ich dieses Thema ohne Ihre „Genehmigung" aufgegriffen habe.

    (Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Denken Sie an die Zwischenfrage, Herr Kollege?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl-Heinz Spilker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Kollegin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich ein bißchen schonen würden, denn ich habe auch nur eine begrenzte Redezeit. Ich möchte meine Gedankengänge zusammenfassend abschließen.