Rede von
Gerhard
Jahn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Zwei einfache und klare Entschließungsanträge der sozialdemokratischen Fraktion führen dazu, daß Sie hier ein wahrhaft klägliches und jämmerliches Bild abliefern.
Im Widerspruch zum klaren Wortlaut der §§ 75 und 88 unserer Geschäftsordnung, die uns das Recht geben, eine Entscheidung über unsere Entschließung hier zu verlangen, flüchten Sie sich hinter eine Interpretation, von der Sie bitte zur Kenntnis nehmen wollen, daß meine Fraktion sie in aller Form und mit allen rechtlichen Gründen zurückweist, weil sie falsch ist.
Sie wollen Politik durch Geschäftsordnungstricks ersetzen. Das ist wahrhaft jämmerlich.
In der Sache geht es doch wohl um folgendes. In den nächsten Tagen wollen Sie die abschließenden Verhandlungen über den Zweiten Staatsvertrag, den Einigungsvertrag, so zu Rande bringen, daß das dann auch Grundlage für eine eindeutige Mehrheitsentscheidung in diesem Hause werden kann. Dazu brauchen Sie auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat.
Sie wären gut beraten, wenn Sie sich in einer so entscheidenden Frage wie der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs jetzt, vor Abschluß der Verhandlungen, um eine breite Übereinstimmung bemühen wurden und das, was wir in unserer Entschließung zum Ausdruck bringen, mit in die Überlegungen einbeziehen würden.
Sie haben — das räume ich ein — Ihre Schwierigkeiten in der Koalition. Sie müssen fürchten, daß Sie
für Ihre restriktive und konservative Haltung, mit der Sie sich in mühsamen Koalitionsgesprächen gegenüber der FDP gerade noch haben durchsetzen können, in der offenen Abstimmung in diesem Hause keine Mehrheit bekommen.
Deshalb kneifen Sie.
Wir fordern Sie auf, sich in einer der entscheidenden Fragen und, was unsere andere Entschließung anbelangt, hinsichtlich der Grundkonzeption, die in diesem Einigungsvertrag ihren Niederschlag findet, ein klares Votum des Parlamentes zu holen und nicht erst dann, wenn durch die Unterzeichnung des Vertrages vollendete Tatsachen geschaffen worden sind, zu fragen, ob dies eine hinreichende Zustimmung findet. Sie als Koalition machen es sich zu einfach, wenn Sie Ja und Amen zu allen Entscheidungen der Regierung sagen. Sie brauchen — daran erinnern wir Sie notfalls in den weiteren Debatten — für die Entscheidungen mehr als die Mehrheit der Koalition.
Mit der Mehrheit, die Sie haben, können Sie die Abstimmung heute mit einem Trick verhindern. Sie können damit auf einer fragwürdigen Grundlage von Ihrer Mehrheit Gebrauch machen. Sie können damit einem klaren Votum des frei gewählten Parlamentes ausweichen oder auszuweichen versuchen.
Ich frage die Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ob ihre Selbstverleugnung in der Koalition in der Tat so weit geht, daß Sie sich nicht in der Lage fühlen, in einer offenen Abstimmung in diesem Hause wahrhaft Farbe zu dem zu bekennen, was Sie außerhalb des Hauses und außerhalb der Koalitionsgespräche den Leuten draußen als Liberalität weismachen — muß man inzwischen sagen — wollen.
Sie können auf die Dauer nicht mit gespaltener Zunge reden!
Ich werbe dafür, daß wir hier eine offene Abstimmung durchführen. Ich appelliere an die Koalition, in dieser Frage die politische Entscheidung dem Taktieren vorzuziehen. Ich appelliere an Sie: Gehen Sie beim Ringen um eine überzeugende Mehrheit für den Einigungsvertrag nicht ein Risiko ein, das Sie nicht werden verantworten können!